kinki magazin - #27

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nr. 27 juli/august 2010 chf 6.–

4.–


WWW.VAGABOND.COM HOT SHOT

PH. BERSA


‹auftakt› we’re on a mission. Lieber Leser. Warum gibt es uns überhaupt? Nein, nicht die überdimensionierte kosmische Frage ohne Antwort, sondern eine einfache Positionsbestimmung. Wohin soll die Reise gehen, was nehme ich dabei mit und auf wen kann ich mich verlassen? Es gibt nämlich einen selbsterteilten Auftrag: Leuchtfeuer der Alltagsästhetik, letzte Festung des Bildungsbürgertums oder einfach nur ein ehrliches Standbein der Spassgesellschaft. Du wählst, du bist der Steuermann. Es geht um das Selbstverständnis und ein klares Bekenntnis mit der entsprechend deutlichen Aussage. Oder anders gesagt: ein Profil, ein Gesicht, eine Identität. In der Einheitlichkeit und Reizüberflutung der media­lisierten Welt und dem darüber liegenden Sendungsbedürfnis der Einzelnen wünschen wir uns Botschaften, die wir entweder cool oder scheisse finden können. Keine halben Sachen, sondern die konsequente Direktheit. Endlich wieder Schwarz und Weiss und nicht immer diese ungezählten ‹shades of grey›. Komm, ich nehm dich an die Hand. Deine sich manifestierende kinki Redaktion

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[ L I F E A F T E R S KATE]


2010

We A c t i v i s t s R AY B A R B E E & S A G E VA U G H N SHOT BY C H E RY L D U N N w w w. w e s c . c o m


Damaris Drummond | Performance Artist | Los Angeles | The : 10 people

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Tim Barber | Photographer, Photo Editor, Curator | New York | The

: 10 people

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Loreak Mendian Switzerland ThreeLogy GmbH phone: +41 (0)43 477 88 66 e-mail: info@threelogy.ch


‹inhalt› Standard 03 10 12 22 108 112 114

Auftakt Inhalt Neuzeit Klagemauer Kopfkino Abo / Impressum Henry & Paul

Report 24 32 36 38 44 46 52

‹In zero degrees› von Nina Hove Lost in time Standleitung From Inner Space Wortlaut: Jan Clausen Ruinierte Reise Querschläger: René von Gunten

Musik 60 62 64 70 72

Interview: When Saints Go Machine Vorspiel: Ed Harcourt Interview: Daniel Johnston Verhör Lieblingslieder: Friends with Displays

Mode 74 84 88

‹Off the wall› von Andrew Kuykendall Circo di vanità: Camo Vertreter: Schwimmflosse

Kunst ‹Pas de deux› von Lyuba Sautina Interview: Andy Denzler ‹Globes› von Rasmus Emanuel Svensson 102 Schauplatz: Ludwig Museum, Budapest 104 Zukunft der Stadt 110 From city to city 54 90 94

kooabaisiert [ Ergänzungsmaterial kooaba ]

kinki inhalt

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‹zugabe›

Lyuba Sautina

Nina Hove In ihrer Arbeit ‹In zero degrees› por-

Rasmus E. Svensson

Manuel Bürger

Geboren und aufgewachsen ist die Russin Lyuba Sautina in den unendlichen Weiten des westlichen Sibiriens, in Novosibirsk. Vor zwei Jahren verliess Lyuba ihre Heimat, um in der Millionenmetropole Moskau Soziologie zu studieren. Interessant ist, dass das Zusammenspiel zwischen Mensch und Umgebung nicht nur Lyuba selber, sondern auch die künstlerische Annäherung an ihre Bilder geprägt zu haben scheint: ‹In meinen fotografischen Arbeiten benutze ich Herangehensweisen aus der Soziologie, versuche den Menschen im Kontext zu seinem Umfeld zu begreifen. Um eine gewisse Harmonie zu gewinnen, ist es mir deshalb wichtig, die Menschen in ihrer vertrauten Umgebung zu zeigen, an Orten, wo sie sich entspannen und tief Luft holen können.› – S. 54

Dass Künstler nicht allzu gerne über ihre eigene Person schreiben, haben wir an dieser Stelle schon einige Male bemerkt. Genauso verhält es sich auch mit dem schwedischen Künstler Rasmus Emanuel Svensson. Versuchen wir uns also in einer ‹Herzblatt›-artigen Zusammenfassung seines Lebens und Schaffens, so lautet diese wie folgt: Rasmus, der schwedische Künstler und Co-Editor des Hefts PWR PAPER, der seine Sommer allerdings lieber in Berlin, als in Stockholm verbringt, eine Vorliebe für Science-Fiction, heisses Wasser und die Farbe Blau hegt, lädt euch in dieser Ausgabe mit seiner Serie ‹Globes› in seine ‹illustratorischen Kreise› ein. – S. 94 11

trätierte Nina Hove den Schwimmclub ‹The Bournemouth Spartans›, eine Vereinigung, die sich während der Wintermonate jeden Sonntag zum erfrischenden Bad im Meer trifft. ‹Mich interessierte die Art und Weise, wie sich diese Leute miteinander identifizieren und dies in den Bildern in Szene setzten. Ausserdem faszinierte mich die Beziehung zwischen Mensch und Meer›, erklärt die gebürtige Norwegerin ihr Fotoprojekt. Nina Hove lebt selber übrigens auch an der Englischen Küste in Bournemouth. Allerdings nicht des herrlich kühlen Wassers wegen, sondern weil sie dort am Arts University College seit zwei Jahren Fotografie studiert. – S. 24

Der Illustrator Manuel Bürger interpretierte für uns in diesem Heft grafisch drei Schweizer Brauchtümer. Den Platz an dieser Stelle möchte er aber gerne in ganz eigener Sache nutzen: ‹Ich, extrem attraktiver, smarter Jungdreissiger suche eine reizende Begleitung (weibl.), mit welcher ich diesen Winter im Transsibirischen Express nach Beijing fahren und von dort aus in Richtung Australien aufbrechen möchte. Hört sich das nach einem guten Überwinterungsplan an? Wenn du Lust und Moneten hast, ruf mich einfach an: 0049 177 368 55 37.› – S. 38


‹neuzeit›

ein blick zurück Der Kauf einer Brille gestaltet sich ja oftmals viel schwieriger als gedacht: Man kommt mit der fixen Vorstellung ‹ich möchte so eine wie Michael Douglas in Falling Down› oder ähnlichen Gedanken ins Geschäft und verlässt es meist mit einem halbherzigen Kompromiss auf der Nase. Wer nun aber auf der Suche nach jenen Brillenmodellen der Vergangenheit ist, die man bei Fielmann und Co. einfach niemals finden wird, der sollte unbe-

dingt bei Urban Eyewear in Zürich vorbeischauen. Dort findet sich nämlich eine stattliche Auswahl der stilprägenden Sonnenbrillen und Sehhilfen aus den letzten fünf Jahrzehnten. Vor allem die 70er und 80er sind an der Freyastrasse seit der Eröffnung im April mit etlichen Klassikern und Sammlerstükken gut vertreten. Wer hier also einen Kompromiss eingeht, ist selber schuld. (rb) Urban Eyewear, Freyastrasse 21, 8004 Zürich

‹agenda›

07 15.06. – 31.07.

margrit und ernst baumann: reportagen 1950 – 2000 Stadtsaal, Bern 20.07. – 25.07.

paléo festival feat. two door cinema club, iggy and the stooges, archive u.v.m. Paléo Festival, Nyon 21.07 – 31.07.

am schluss festival feat. the toasters, phon roll u.v.m.

Ein Blick in die Vergangenheit: Urban Eyewear führt Brillenklassiker aus den letzten fünf Jahrzehnten.

Mühleplatz, Thun 22.07.

nada surf

Schüür, Luzern 23.07. – 31.07.

blue balls festival feat. mike patton’s mondo cane, the dandy warhols, gil scott-heron u.v.m. KKL, Pavillon, Schweizerhof, Luzern

08 07.08.

wildlife! chukks, radiorifle

trumpf, gstoche, bock Nieder mit der neumodischen Unterhaltungselektronik! Die PlayStation kommt in den Schrank, das Dolby Surround-Heimkino wird ausgestöpselt und hat das iPad nicht sowieso bereits erste Kratzer auf dem Display? Also, zurück zu den alten Werten der Freizeitgestaltung. Und dazu braucht es nämlich weder Kabel, Display noch Controller, sondern in den meisten Fällen ein einfaches Set à 36 Spielkarten und eine gemütliche Spielerrunde. Egal ob Poker, Jass oder Bridge, der Onlineshop der Swisscard AG – Achtung, nicht zu verwechseln mit dem Kreditkartenanbieter – verkauft alles, was es zu einem guten alten Kartenspiel eben so braucht. Na gut, wem das einfache Kartenset zu wenig der Unterhaltung bietet, kann sich im Onlineshop zusätzlich auch stilgerecht mit kinki neuzeit

Jassteppich, Schiefertafel, Kreidestift und Schwamm eindecken. Der absolute Favorit im Sortiment des Kartenhandels ist übrigens das Quartett der Wildtiere, alternativ eignet sich natürlich auch ein Formel1-Quartett aus den 80er-Jahren, das auf jedem Flohmarkt erhältlich ist. Wer sich nun unweigerlich in seine Kindheit oder ins SkilagerAlter zurückversetzt fühlt, dem sei definitiv ein Blick ins Sortiment von Swisscard empfohlen. Und vielleicht heisst es schon bald in den Clubs dieses Landes anstatt ‹anstehen und abtanzen›, ‹absitzen und abheben›, und anstelle des besten Friseurs der Stadt wird über erfolgsversprechende Taktiken im Coiffeur-Jass diskutiert. ‹Gemsch!›. (mm) swisscardag.webstores.ch

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Club Bonsoir, Bern 07.08.

robot koch

Treibhaus, Luzern 11.08. – 14.08.

rock oz’arènes feat. placebo, monster magnet, gotan project u.v.m. Avenches 18.08.

against me!

Rote Fabrik, Zürich 18.08. – 29.08.

35. winterthurer musikfestwochen feat. ghinzu, portugal. the man, the gaslight anthem, eels u.v.m. Winterthurer Altstadt 21.08.

kunsthaus-fest feat. my heart belongs to cecilia winter, imperial tiger orchestra Kiff, Aarau 23.08.

au revoir simone Abart Club, Zürich 25.08.

splätterlitheater

Gasthof zum Widder, Winterthur


hals-looping kinki verbessert euer und unser Karma: Wir verschenken und ihr tragt die nachhaltig produzierten Schals von Codello.

Im Sommer von Schals zu träumen ist wie Glacé schlecken bei der Gletscherwanderung – es ist irgendwie unpassend. Und doch leiden so einige Fashionvictims an dieser saisonalen Verschiebung und lechzen schon im Frühling nach der präsentierten Herbst- / Winterkollektion. Genauso erging es uns bei den ‹Loopscarfes› des deutschen Labels Codello, die uns sofort den Kopf verdrehten, indem sie sich nahtlos rund um den Hals schlängelten. Auch die ‹Necklacescarfes› versetzten uns ohne Ende(n) ins Schwärmen und (bei gefühlten 25°C

im Schatten) ins Schwitzen. Bestehend aus feinen Zopfsträngen aus Jersey, die sich wie eine Halskette zusammenfügen, fungieren letztere sowohl als dekorative Schmuckstücke sowie auch als wärmende Schals. Doch das Warten ist halb so schlimm, denn erstens sind die Schals schon ab Juli erhältlich, zweitens bietet das Label Codello, welches die Nachhaltigkeit dem trendigen Design überordnet, auch zahlreiche Seidentücher und -schals, als auch leichte ‹Trendtücher› mit Quasten und kleinen Motiv-Metallanhängern. Und drittens verlost kinki einige der Schlauchmodelle. Alle Produkte werden qualitativ hochwertig und ökonomisch einwandfrei produziert – da gedulden wir uns freilich Glacé lutschend und freuen uns auf die Loops und eine Portion gutes Karma. Um einen Loopoder Necklacescarf zu gewinnen schickt ihr eine E-Mail mit Betreff ‹Codello› an wettbewerb@kinkimag.ch. (fr)

nachdruck Nachdem wir euch vor einiger Zeit schon vom aufstrebenden Snowboardbrand Hakuin Airlines berichtet hatten, der diesen Winter die Pisten erobern wird, gibt es diesen Monat weitere Neuigkeiten aus der kreativen Zürcher Ideenschmiede um Alex Schauwecker zu berichten: Zusammen mit seinem Snowboard-Buddy Yves Suter und dem Hamburger Fotografen Jens Kaesemann wurde das Label nämlich unlängst um einen eigenen Buchverlag erweitert. Im Hakuin Verlag erschienen sind bis jetzt einige der Werke der Verlagsleiter selber, bei-

spielsweise die verspielten Zeichnungen und Illustrationen von Alex, die auch auf den gleichnamigen Snowboards ihr Unwesen treiben, sowie die Zines ‹Hamburg is not a Meal› von Yves Suter und ‹Durch die Nacht› von Jens Kaesemann. Man darf allerdings auf viele weitere Neuerscheinungen gespannt sein, denn wie auch schon das Snowboardlabel, wirkt auch das Verlagsprojekt der drei Jungs erfrischend anders und äusserst vielversprechend! (rb) hakuin-verlag.com

Abseits der Piste? Hakuin powdert im Snowboardbusiness und Verlagswesen zugleich.

codello-shop.de codello.de

immer schön wach bleiben! Wer den Womanizer in sich schon geweckt hat, der sollte sich schleunigst zur ‹Mach Wach Show› von AXE anmelden.

‹Du miefst!›, ‹Ich heisse nicht Nina! Wer ist Nina?!› und ‹Hörst du mir überhaupt zu?›, sind Venussprüche, auf die man(n) – peinlich berührt – lieber verzichten würde. In eben diesen Geschlechterkampf, umgangssprachlich auch Dating genannt,

greift der Duftproduzent AXE wieder einmal beherzt ein, um die Männer dieser Welt vor kalten Duschen vom anderen Geschlecht zu bewahren. Die erste Lektion ist natürlich die olfaktorische Note, die stimmen muss, damit eine Annähe-

rung nicht schon im Keim (in der Achselhöhle) erstickt wird. Zweitens lehrt AXE, der Damenwelt mit einer gewissen Wach- und Aufmerksamkeit gegenüber zu treten. Beides erreicht man(n) natürlich mit dem Produkt aus dem eigenen 13

Hause: dem ‹AXE Rise Up Shower Gel›, welches Dank Limettenextrakten und Himalaya Mineralien erfrischt, weckt und Männer aufmerksam in den Tag entlässt. Doch damit nicht genug: Ebendiese Wachsamkeit und das implizierte Wissen über Frauen stellt AXE in seiner ‹Mach Wach Show› auf die Probe. Bei dieser Live-Quizshow kann sich Mann online oder direkt im Studio beweisen und sein gesammeltes Womanizer-Wissen in Challenges demonstrieren. Der Gewinner im Studio und der Gewinner vor dem Bildschirm erhalten jeweils zwei ‹Around the World Tickets› im Wert von CHF 7800.–, plus CHF 1400.– Taschengeld. Also liebe Männer, seid wach und hört uns endlich zu, denn dieses Kennerwissen wird euch auch bei der ‹AXE Mach Wach Show› helfen, die ab dem 26. August 2010 an vier Donnerstagen um 20 Uhr live auf axe.ch läuft. Alle Informationen zur Show, den Teilnahmebedingungen und der Registrierung gibt es ebenfalls unter axe.ch. Und vergesst nicht, liebe Herren, uns auf die Reise mitzunehmen. (fr) axe.ch


bier von hier Nationalstolz ist nur sehr selten angebracht. Vielleicht, wenn die Schweiz an der WM Spanien besiegt. Oder beim Bierkauf. Denn was gibt es peinlicheres, als mit einer Flasche Importbier vor dem Grill zu stehen? Und seit die Schweiz über ein weiteres leckeres Bier namens Striker verfügt, gibt es nun wirklich keine Entschuldigung mehr für Red Stripe, Corona und Co.. Auch die verschiedenen Geschmäkker werden dabei mit unterschiedlichen Brauarten wie Weizen, Lager, Premium und – für alle Kalorienbewussten unter euch – sogar als Leichtbier ‹Birdie› bedacht. Zu kaufen gibt’s die adretten Fläschchen und Dosen bei Coop. Doch was ist noch besser als Bier? Freibier natürlich! Und deshalb verlosen wir unter den durstigsten Hälsen unter euch 3 x 1 Palette Striker Premium Edelhell. Schickt uns einfach bis zum 1. August (der übrigens sicherlich kein Grund für Nationalstolz ist) eine Mail mit dem Betreff ‹Striker› an wettbewerb@kinkimag.ch und verratet uns, warum gerade ihr diese Palette besonders nötig habt. In diesem Sinne: Prost!

paperboy

Ein blonder Engel aus dem Nachbarschaft: das Striker Premium.

Nun ist kinki definitiv 2.0, wenn nicht sogar 2.0.1! Ab sofort könnt ihr nämlich jeden Beitrag, der im Inhaltsverzeichnis mit dem kleinen Dreiecksymbol gekennzeichnet ist mit euerm iPhone fotografieren, und ihr erhaltet in Sekundenschnelle Hintergrundinformation, zusätzliche Inhalte wie Videos und Musik oder könnt die Artikel via Facebook und E-Mail an eure Freunde weiterempfehlen. Dazu müsst ihr euch lediglich die kostenlose App ‹kooaba Paperboy› runterladen und schon kann’s losgehen: Einfach die Paperboy-App installieren, in der Applikation ein Foto einer mit dem Dreiecksymbol gekennzeichneten Seite aufnehmen, und schon liefert euch Paperboy mittels Bilderkennungsprogramm automatisch digitale Extras für die betreffende Seite. Also löscht eure doofen ‹Feuerzeug›- und ‹Wasserwaage›-Apps und schafft Platz für eine Applikation, die wirklich Sinn macht!

(rb) striker-beer.ch

(ah) kooaba.com

brieftaube auf reisen Once upon a time – da schrieben wir noch mit Tinte und Füller auf Briefpapier, machten Kleckse und Schreibfehler und brachten die (Liebes-)Botschaften anschliessend eigenhändig zum Briefkasten. Heute wird zeitsparend in die Tasten gehauen, Copy-Paste betrieben, per Klick abgeschickt und der Kommunikation jeden Hauch von Persönlichkeit entzogen. Die Designerin Naomi Baldauf und die Druckerin Rita Nicolussi wollten diese Anonymität und Immaterialität im schriftlichen Austausch nicht weiter walten lassen und machten sich an die zeitgemässe Wiederbelebung von Papier für den retrogardistischen Briefwechsel. Unter dem Namen ‹Le pigeon voyageur› kreieren sie moderne Papierwakinki neuzeit

ren mit gutem Design und solidem (verschwindendem) Handwerk, die sich auch inhaltlich an der vergangenen Zeit inspirieren. So werden beispielsweise bei den ‹Costume Nationale Suisse›-Sets – Karten mit Büttencouverts in Kartonverpackung mit Nationalbandmasche – Schweizer Trachten neu interpretiert und in alter Manier andächtig auf Karten gedruckt. Die Karten und Produkte sind also bereits voller Liebe, nur beschrieben müssen sie noch werden, um ihre Empfänger ins Jodeln zu versetzen. Die Karten sind bei Erbudak in Zürich oder über den Onlineshop von Le pigeon voyageur erhältlich. (fr) pigeon-voyageur.ch erbudak.com

Kommunikation in alter Manier: Briefpapier von Le pigeon voyageur.

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i g g o h c S f u A

c ü k t e S . e s s ro

© BEN & JERRY’S HOMEMADE, INC. 2010

COWS: WOODY JACKSON 1997

g

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Peace, Love & Ice Cream

Schweizer Alpen-Club SAC Schweizer Alpen-Club Club AlpinSAC Suisse ClubAlpino Alpin Svizzero Suisse Club Club Club Alpino Svizzero Alpin Svizzer Club Alpin Svizzer

Partner im Gebirgsschutz www.benjerry.ch

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Seit 1978 machen wir das vielleicht beste Glace der Welt nach unserem Geheimrezept: Von allem zu viel! Das gilt übrigens für jede unserer verrückten Sorten. Diese stellen wir seit über sechs Jahren klimaneutral her. Und damit nicht genug: Seit 2010 kooperieren wir offiziell mit dem SAC. So helfen wir nicht nur der Umwelt, sondern auch der Schweizer Gletscherwelt. Mehr auf www.benjerry.ch


cabrio jelly shoes kino Im Sommer schiessen nicht nur zahlreiche Open Airs für Freunde der Musik aus dem Boden, sondern auch der gepflegte Freiluft-Genuss für Cineasten ist seit jeher ein weiterer Grund dem Sommer entgegenzufiebern. Wer ob des umfangreichen Programms und der zahlreichen Outdoor-Kino-Lokalitäten jedoch bei der Auswahl schlichtweg überfordert ist, kann sich getrost in die perfekt manikürten Hände der kinki Filmkritikerinnen Cathrin und Anja begeben, die auf Seite 111 ihre Lieblinge der diesjährigen Kino Open Air-Saison vorstellen. Wer mit der Auswahl der Beiden übereinstimmt, darf sich übrigens freuen, denn kinki verlost Tickets für die Kino Open Airs. Um zu gewinnen schickt ihr eine E-Mail mit dem jeweiligen Kinotitel als Betreff an wettbewerb@kinkimag.ch. Für folgende Vorstellungen könnt ihr je 2 Tickets ergattern: Anna: 21. Juli Kino Xenix Zürich Don’t Look Back: 28. Juli, Kino Xenix Zürich Modern Times: 27. August OrangeCinema Bern (OrangeCinema zeigt die Satire unter freiem Himmel live untermalt vom Sinfonieorchester Basel in Bern, Basel und Zürich. kinki verlost je zwei Tickets für jede Stadt!) Down by Law: 27. August OrangeCinema Basel

und Gummistiefeln zu entspannen. Das Label Melissa vermählt nämlich die Materialität der Gummistiefel mit dem Design von Sandale, High Heel und Ballerina. Allein der amüsant bis geniale Name ‹Melissa – Plastic Dreams› verrät das Credo des in Brasilien ansässigen Labels, das seit über 25 Jahren weltweit Gummischuhe vertreibt: Das auserlesene Material Plastik wird in erster Linie nicht zum Schuh, sondern zum Modeaccessoire und Designstück gestaltet. Nach Kollaborationen mit Kreativen wie der Architektin Zaha Hadid und der Modedesignerin Vivienne Westwood glauben wir das aufs Wort. Während das neuartige westwood’sche Plateaumodell mit Flügeln uns wenig beschwingt, würden wir die Kunststoff-Peeptoes mit dem Herzen – die es schon letztes Jahr gab – sofort ausführen: bei Regen oder bei Sonnenschein. Ob die erschwinglichen Designtreter aus Gummi auch schweissverträglich sind, lassen wir mal dahingestellt. In der Schweiz sind Modelle von Melissa bei Monadico und bei Glam in Zürich erhältlich. (fr)

Plastische Schönheit ganz ohne Operationen gibt’s vom Label Melissa – Plastic Dreams.

Der meteorologische Sommerbeginn hat wieder mal bewiesen, dass hierzulande kein Verlass auf die wärmste Saison des Jahres ist. In unseren Breitengraden bleibt einem der abschätzende, morgendliche Blick in den Himmel trotz Sommerzeit und Meteostudium nicht erspart. Jacke und Regenschirm oder Shorts und Bikini? Und überhaupt lässt sich aus dem Himmelbild selten das korrekte Outfit ablesen, im Gegenteil, wenn man eine Regenjacke dabei hat, wird sie mit Sicherheit nicht zur Verwendung kommen und umgekehrt. Allein für das Schuhwerk haben wir inzwischen die Lösung gefunden, um die Zerrissenheit zwischen Sandalen

melissaplasticdreams.com glamshoes.ch monadico.ch

tridimensional ‹In Wahrheit ist alles Lüge, nichts ist echt, echt nichts›. So etwa klingt es, wenn zum dreifachen dissonanten Fanfarenstoss geblasen wird, um die erste ‹tri-publication› anzukünden. Diese widmet sich in ihrer ersten, grossformatigen Ausgabe dem Thema der Dissonanz und spielt sich deshalb mit Wort, Bild und Grafik krumm. Für das Magazin verantwortlich zeigen sich Samuel Bänziger, Ralf Bruggmann und Simon Schädler, die ihre Schranken überwindenden Ideen von freier Kunst viel besser zu vereinen wissen, als man nach dieser Einführung vielleicht denkt. Den beitragenden Künstlern und Kulturschaffenden aus der Region und dem Rest der Welt werden keine Grenzen gesetzt, sondern DIN A1Seiten zur freien Verfügung gestellt. In der ‹issue one, tri-dissonanz› finden sich deshalb die kreativen Welten von Beni Bischof, Salome Oggenfuss und Ralf Bruggmann. Das Überthema schafft hierbei Gemeinsamkeiten und Querverweise zwischen den künstlerischen Beiträgen und die ungewöhnliche, ansprechende visuelle Präsentation hebt von gewohnten Layouts ab – und vereint. Das Ziel ist denn auch die Vereinigung, alle tri-Publikationen sollen nämlich irgendwann zu einem Buch gebunden werden. Bis es soweit ist, erfreuen wir uns an den ‹tri-paginalen› Kunstwerken. (fr) tri-publications.com

gelebte und erlebte kunst Wenn die Sommerferien die Stadtbewohner an die Meeresküste locken und die hiesige Temperaturunsicherheit auch die Letzten ausser Lande treibt, dann legen auch viele Clubbetreiber, Eventveranstalter und Galeristen ihre Füsse hoch und geniessen das ‹Dolce far niente›. Doch weit gefehlt, wer denkt, ganz Zürich liege in St.Tropez: Zahlreiche optimistische Zürcher übersommern nämlich in der Limmatstadt und noch mehr Städter arbeiten emsig weiter – auch in den Sommermonaten. Allen gemeinsam ist das Verlangen nach Kultur und geistreicher Unterhaltung nach dem ‹Fiirabig›. Das perfekte vielschichtige Programm für Daheimgebliebene und Besucher bietet vom 16. Juli kinki neuzeit

bis zum 22. August 2010 die Young at Art im Zürcher Seefeld. In der Galerie ArtSeefeld warten in den Sommerwochen unter dem Motto ‹Kunst wird erlebt und gelebt› drei Ausstellungen in den Kunstgattungen Malerei, Design und Medienkunst auf aufgeschlossene und interessierte Besucher. Wie der Name verrät, wird das Projekt von einem jungen Team organisiert und bietet jungen Kreativschaffenden eine Plattform. Besonders beliebt sind die rauschenden Vernissagen, die jede Ausstellung einweihen. Und auch das Rahmenprogramm bestehend aus zwei Konzertabenden und einer Fashionshow mit internationalen Jungdesignern lockt direkt von der Badi in die Ga-

lerie. So kann man den Tag gemütlich vor und in der Galerie im angeregten Gespräch mit Künstlern und Besuchern und mit kulinarischer Verköstigung ausklingen lassen. Als Erinnerung an die lauen Sommernächte voll ‹erlebter Kunst› können ausgestellte Werke in ‹Slow Auctions› nach dem Auktionsprinzip von Ebay erstanden werden. (fr) 16.07.10: Vernissage Malerei 23.07.10: Konzert (The Flying Moustache) 30.07.10: Vernissage Design 06.08.10: Modenschau 13.08.10: Vernissage Medienkunst 19.08.10: Konzert (The Non-Neutrals / Baba Shrimps) Weitere Info unter youngatart.ch.

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An der Young at Art verschmelzen bei sommerlichen Temperaturen auch die Künste.


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made in japan Das Angebot besteht aus ausgesuchten Highlights, die Aki auf ihren Reisen in Japan entdeckt, und handgemachten, stark limitieren Stücken aus Familienbetrieben oder Kleinstwerkstätten. Erhältlich sind die Sachen bis jetzt in ausgesuchten Shops in der Schweiz. In Kürze öffnet aber der Japan Proxy Onlineshop seine Tore, wo dann alles gemütlich von zu Hause aus geordert werden kann. Bereits heiss begehrt sind die wunderschön schlichten Rucksäcke aus der Kollektion ‹Bag ’n’ NOUN› von Designer Takeshi Ozawa. Produziert werden die Schönheiten in verschiedenen Farben von einem Familienbetrieb in Osaka und sind darum jeweils nur in limitierter Stückzahl erhältlich. Nun, wir wären nicht kinki, wenn wir nicht eines der schmucken Transporterlis verlosen würden. Und zwar das Model ‹Napsac› in der Farbe ‹Navy›. Schreibt also schnell eine Mail mit eurer Adresse und dem Betreff ‹Japan Proxy› an wettbewerb@kinkimag.ch! Und noch eine Info für alle Studis, Schreiberlinge oder Web-Junkies unter euch: Im Rucksack findet ein 13-Zoll Notebook ohne Probleme Platz. (ah)

Beim Label Japan Proxy trifft japanische Kunst auf Schweizer Design

Das Schwert eines Samurais ist schon seit Jahrhunderten ein Symbol der bis heute kaum übertroffenen Handwerkkunst Japans. Das gilt aber nicht nur für die messerscharfen Klingen der als unbesiegbar bezeichneten Krieger. Japanisches Handwerk kann es locker mit der Präzision einer Schweizer Uhr aufnehmen. Im ganzen Land werden in kleinen Manufakturen Gegenstände mit höchstmög-

licher Qualität gefertigt. Gegenstände, die einem über Jahrzehnte treuen Dienst leisten und durch ihr raffiniertes Design Herz und Auge erfreuen. Genau diese Schätze bringt Aki Müller Yamauchi aus Zürich mit ihrer Firma ‹Japan Proxy› seit 2008 in die Schweiz. Ob fashionoder designorientierte Produkte, das kleine Team um Aki hat ein Händchen für schöne Dinge aus dem Land der Kirschblüten und Samurais.

japanproxy.ch

koffermusik bination aus moderner DAB-Radiotechnik und stilsicherem Retrodesign, sind die Kofferradios des legendären englischen Radioherstellers Roberts. Schon seit 1932 stellt die Firma aus Yorkshire tragbare Radios her und verkauft sie rund um den Globus. Mit dem ‹Iconic Revival Radio› verbindet sie 80er-Jahre Erfahrung mit neuster Technik und 50s-Retrodesign. Die schicken Köfferchen gibt’s in mehr als zehn passenden Farben, und sie überzeugen auch mit fettem Sound, Display, Stereo Line-Out und 120 Minuten Batterielaufzeit. Wer also demnächst im Freien stilvoll seine Mucke hören will, dem sei das Teil schwer empfohlen. Kaufen könnt ihr das Roberts Revival DAB für ca. 350 Franken im Onlineshop von robertsradio.co.uk oder in der Schweiz bei azone.ch. (ah)

Alte Kiste neu entdeckt: das Roberts Revival DABKofferradio.

Was hatten die halbstarken, rock ’n’ rollenden Jungs mit den gegelten Haartollen bestimmt mit dabei, wenn sie ein Mädchen zu einem Picknick auf einer Wiese verführt haben? Natürlich ein Kofferradio! Denn ohne Musik lief schon damals nicht viel. Nur mit dem richtigen Sound auf dem Kanal des Vertrauens kinki neuzeit

liess sich auch die schüchternste Lady rumkriegen. Klar, heute gibt es iPod-Doks, die einem die ganze Playlist in Dolby Digital um die Ohren knallen. Doch wirklich Stil haben die Dinger ja nicht. Eine Kom18

unter umständen

‹Der Sprung ins Leere› von Stefan Burger.

In der modernen Zeit wird unser Blick unweigerlich auf die spiegelglatten Oberflächen und makellosen Fassaden gelenkt, die unseren Alltag fast schon kulissenhaft umgeben. Doch was lauert hinter dem sauberen Verputz? Was erwartet uns unter dem Deckmantel und jenseits aller Kaschierung? Diesen Fragen widmet sich der 33-jährige Künstler Stefan Burger in seinen Installationen und Fotografien mit Vorliebe und zeigt so dem Betrachter interessante neue, teils bedrückende, teils ironische Blickwinkel, schafft Welten, die seltsam vertraut und dennoch so fremd anmuten. Das Fotomuseum Winterthur widmet dem aufstrebenden Künstler diesen Herbst unter dem Titel ‹Stefan Burger – Unter den Umständen› vom 11. September bis 14. November eine erste grosse Museumsausstellung. Eine Ausstellung, die zum Nachdenken, Schmunzeln, Stirnrunzeln und Diskutieren einladen wird. Und vielleicht auch dazu, das nächste Mal selber einen Blick hinter die blanken Fassaden unserer alltäglichen Umgebung zu wagen. Einen ausführlicheren Einblick ins Schaffen des Künstlers und ein Interview mit Stefan Burger werden übrigens auch wir euch unter diesen Umständen nach unserer Sommerpause nicht vorenthalten. (rb) Stefan Burger – ‹Unter den Umständen› ist vom 11.9. bis 14.11. im Fotomuseum Winterthur zu sehen. stefanburger.ch fotomuseum.ch


www.stussy.com distribution: threelogy.ch


‹kinkimag.ch›

meine grosseltern Im kommenden September 2010 erscheint im Patrick Frey Verlag das Buch ‹Meine Grosseltern / My Grandparents› von Mats Staub, welches uns veranlasst hat, einen kleinen Aufruf zu starten. Auf kinkimag.ch/ magazines zeigen wir nächsten Monat die Bilder von euren stylischen Grosseltern in ihren jungen Jahren und präsentieren im August auch erste Impressionen des Buchs. Der Autor Mats Staub ging in seinem Langzeitprojekt ‹Meine Grosseltern – Erinnerungsbüro› der Frage

nach, was jeder von uns noch von seinen eigenen vier Grosseltern weiss, und was nicht. Welche Erinnerungen sind haften geblieben und was lässt sich daraus für eine Geschichte erzählen? In bislang neun Städten sprach Staub mit mehr als 250 Enkel und Enkelinnen verschiedensten Alters über ihre Grosseltern und sammelte Bildmaterial und Erinnerungen. Im Buch treffen so Fotografien aus jungen Jahren, persönliche Schicksale und geschichtliche Begebenheiten

aufeinander und verleiten jedermann über Leben und Zeit der Grosseltern, die eigene Herkunft und Identität zu sinnieren. Um euch auch über die Sommerpause bei Laune zu halten, möchten wir Fotos von euren Grosseltern auf kinkimag.ch/ magazines sammeln und ein Bild von den (meist sehr stilvollen) Grosseltern unserer Generation malen. Also scannt die Fotoalben und schickt eure Bilder – egal in welcher Qualität – an: mygrandparents @kinkimag.ch.

steven harrington Würde man Steven Harringtons Kunst autobiografisch auslegen, wäre der amerikanische Künstler aus Los Angeles in einem Tippi aufgewachsen, hätte mit Leidenschaft Triangel gespielt und im Zeichen von Ying und Yang gelebt. Steven hätte Wasserpfeife geraucht, eine offene Beziehung mit Quadraten geführt und sein ganzes Umfeld hätte Hü-

te, Brillen und obligate Schnauzer getragen. Ebenso unterhaltsam wie sich dieser Lebensentwurf anhört, sind seine Bilder (auf kinkimag.ch/ art) anzusehen. Dies hat ihm neben seinen freien Arbeiten auch zahlreiche Kollaborationen mit Skaterund Streetwearlabels wie Element, Nike SB, Sixpack France und Kidrobot eingebracht.

the redneck manifesto Auch wenn der Name der dreiköpfigen Band The Redneck Manifesto ordentlich revoluzzerisch klingt, überzeugt die Band, deren Mitglieder mittlerweile quer verstreut um den Erdball leben, eher durch durchdachte Harmonien und instrumentale Überzeugungskraft, denn durch politische Botschaften. Mit unserer Reporterin Laura Studer plauderte Gitarrist Matthew Bolger über alte Jungfern, tiefe Freundschaften und darüber, warum die drei Herren trotz stimmlicher Qualitäten ihren Instrumenten den Vorrang lassen.

pause? Ja, kinki macht Sommerpause und reist wie jedes Jahr mit Sack und Pack für einen Monat nach St. Barth. Da wir allerdings wissen, dass auch zur heissen Sommerzeit unsere liebe Leserschaft nicht auf Wettbewerbe, Blogs, exklusive Artikel und Interviews, Videos und Charts verzichten will, wird wohl oder übel kinki neuzeit

auch dieses Jahr unsere Onlineredaktion im Büro schmachten müssen, anstatt sich am Sandstrand ihren Limbo-Künsten hinzugeben. Im Juli gibt es neben dem üblichen Entertainment spannendes von der Elektronudel Uffie zu lesen, die neben einem Kind endlich auch ein Platte produziert hat. Ebenso wird 20

eine wunderschöne Fotostrecke von Christian Knörr zu bestaunen sein, die eure romantischsten Hippieträume übertrifft – und habt nicht zuviel Mitleid mit unserer armen Onlineredaktion: Die darf sich dann über Weihnachten wieder in St. Moritz erholen.


nixonnow.com


klagemauer Dein Meerschweinchen hat dich heute gebissen? Deine Freundin steht auf DJ Bobo? Die Welt ist böse? Zürich geht dir auf den Sack? Dein Lover hat deinen Geburtstag vergessen? Egal was dich gerade stresst oder nervt: Auf kinkimag.ch unter ‹Klagemauer› kannst du Dampf ablassen. Die besten Einträge werden hier veröffentlicht.

Meine Motivation geht meine gute Laune suchen. Jetzt sind beide weg … Anonymous | diese scheiss tröten bei jedem fussball spiel … nerven ohne ende die dinger … Tööröööö | was nervt dich? ELTERN. (keine weiteren informationen nötig, denke ich.) Lola | das Gefühl wenn die Spritze vom Zahnarzt noch anhält … pfuiideifel – es bisst, abr i cha nöd chratzä. suuper!! lupa | ein foto von seinem ex mit der neuen als profilbild sehn – autsch, das tut ja auch noch nach mooonaten weh! pfuii dieses gefühl in der magengegend is mir gar net sympathisch! schnell gin nachschütten – ahja, jetzt is wiedr gut! blupp | Ich habe Adam Greens Penis gesehen! Blind | frisöse, die mir jeedes verfluchte mal vorgaukelt, meine haare seien kaputt! mir doch egal, du kriegst kein geld von mir um mich zur schnecke zu machen, bitsch! (und das selbe in grün beim zahnarzt …) meinhaariskaputtunddasisauchgutso | Haar in der Suppe oder Suppe im Haar. Das zweite passiert mir noch des öfteren. SuppenJohny | schimmel an der decke. kein essen im kühlschrank, ausser, warte: senf, tomatenmark, butter, campari. yeah. kann man was machen damit? Anonymous | wuunderschöne sommerkleider im schrank, die auch im schrank bleiben müssen. ich mag es heiiiss | SICH VERSTÄNDLICH VERHALTENDE MÄNNER braucht die welt, jawoll! (von der anderen sorte hat die ottonormalverbraucherin nämlich die nase sowasvongestrichenvoll im fall!) ottoswarenposten | meine temporäre mitbewohnerin stinkt nach hamster … hat aber keinen. besorgendlichdruckerpapier | dass ich wegen dieser (schon vorbei) Liebe, mein Natelabo gewechselt hab. grrrrrrrrrrr. sample | 2 Sorten brownies im haus: eine ohne walnüsse (ausgezeichnet!), die andere mit, aber besserer Teig. Lösung die von meiner Ratio vorgeschlagen wurde: Iss von beiden ein wenig. Ausgeführt, jedoch mehr als ein bisschen. Jetzt dreht sich mein Magen. Durchfall? clarins | wenn ich an einem Vuvuzela-Konzert bin und die Leute plötzlich anfangen Fussball zu spielen … Anonymous | hat mal einmal gekündigt ist man DAS Arschloch vom Dienst!! Boahh … ich naives, gutgläubiges Ding ey – ich muss endlich lernen Privates vom Business zu trennen!! Abr WIE denn?? Sitz ja hier 9h am Tag!! bin keine Schauspielerin purple rain | Am nächsten Abend nach dem Ausgang sich fast immer noch gleich betrunken zu fühlen wie ein Abend zuvor. Affenhaar | was am openair passiert, bleibt am open­ air erdbeereholunderhaferkäse | und täglich grüsst der schweisselige sitznachbar. zugnase | kinki neuzeit

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Nina Hove

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Lost in Time Kein anderes Land kennt eine so ausge­prägte Brockenhaus-Kultur wie die Schweiz sie betreibt. Doch habt ihr euch schon einmal ge­fragt, woher die Ware in den Auslagen der zahlreichen Brockis kommt? kinki auf Spuren­suche zwischen Kronleuchtern und Porzel­lankatzen. Text: Martina Messerli

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er Tisch, an dem ich sitze, ist alt, wie alt genau entzieht sich meiner Kenntnis. Nur diverse Gebrauchsspuren zeugen davon, dass bereits vor mir andere an diesem Tisch gesessen, gegessen und geschrieben haben. Feine Gläserabdrücke, die sich vor langer Zeit ins dunkelbraune Holz gefressen haben, sind zu erkennen. In meiner Fantasie sind es Zeugen langer Nächte und rotweinschwangerer Diskussionen. Konsultiert man das Telefonbuch findet man unter dem Schlagwort ‹Brockenhaus› rund fünfhundert Einträge, verteilt über die ganze Schweiz. Zieht man in Betracht, dass die meisten Brockis selbstständige, kleine Unternehmen oft ohne Telefonbucheintrag sind, liegt die Vermutung nahe, dass sich die Zahl der Secondhand-Geschäfte wahrscheinlich locker verdoppeln liesse. Auch Google bestätigt diese Annahme und fördert rund 20 000 Artikel zum Thema ‹Brockenstuben in der Schweiz› zutage. Die Schweiz, ein Völkchen von Schnäppchenjägern und Rappenspaltern oder sind die Secondhand-Möbelhäuser ganz im Gegenteil doch eher Symptom unserer Wegwerfgesellschaft? Und woher stammt eigentlich die Ware, die in den zahlreichen, gut sortierten Brockenhäusern dieses Landes feil geboten wird? kinki hat sich auf Spurensuche begeben.

Schnäppchenjäger und Rappenspalter Brockenhäuser, Brockenstuben, Brockis – die Begriffe leiten sich allesamt aus dem französischen Wort ‹Broquante› ab, auch wenn dieses im frankophonen Sprachraum vielmehr exklusive Antiquitätengeschäfte bezeichnet. Andere Quellen führen das Wort auf ein Bibelzitat in Johankinki report

nes 6.12 zurück. So soll Jesus bei der Speisung der Fünftausend zu seinen Jüngern gesagt haben: ‹Sammelt die übrig gebliebenen Brocken, damit nichts verloren gehe!› Der deutsche Theologe Friedrich von Bodelschwingh eröffnete Ende des 19. Jahrhunderts eine Sammel- und Verkaufsstelle für Gebrauchtwaren, deren Ertrag er zur Finanzierung seines Sozialwerks benutzte. Er nannte sie in Anlehnung an die zitierte Bibelstelle ‹Brockenhaus›. In keinem anderen Land ist die Dichte an Brockenhäusern, Trödelläden und SecondhandGeschäften so hoch wie in der Schweiz. Alleine auf der Zugfahrt zwischen Zürich und Bern sind mindestens sieben Stück – ja, ich habe sie gezählt – beim blossen Vorbeifahren zu erkennen. Entstanden sind die ersten Brockenhäuser hier um 1900 und wurden zunächst von der Heilsarmee, später auch von anderen karitativen Organisationen betrieben. Die Heilsarmee ist auch heute noch mit rund fünfundzwanzig Filialen die grösste ‹Ladenkette› im Geschäft mit ausrangierten Kleidungs- und Möbelstücken. Doch Brockenhäuser erfüllen längst nicht mehr nur ihren ursprünglichen Zweck, nämlich Menschen mit knapp kalkuliertem Budget mit dem Nötigsten an Möbelstücken und Kleidung zu versorgen. Brockis sind längst zum Stöberparadies urbaner Individualisten und Trendsetter geworden, was sich deutlich in den Auslagen der Geschäfte widerspiegelt. Staub und Wühltische gehören vielerorts der Vergangenheit an. Der Geruch von Mottenkugeln, der den erstandenen Schätzen oft länger anhaftete als einem lieb war, wirkt weniger penetrant. Nicht selten wird für die gefällig präsentierte Ware aller Art ein horrender Preis verlangt. Wirkliche Schnäppchen sind selten, feilschen, wie das unübersehbare Schild an der Kasse ‹zum Schutze der Mitarbeiter› deutlich macht, gar unerwünscht. 32

Die grüne Tasse der Marke Rössler, aus der ich seit Jahren meinen Morgenkaffee trinke, stammt aus dem Brockenhaus. Sie weist auf der Innenseite graue Spuren emsigen Umrührens auf. Ich weiss nicht, wer alles schon daraus getrunken hat, aber meine Geschichte mit der Tasse beginnt in dem Moment, als ich sah, wie eine Frau vor der Brocki ein fast komplettes Geschirrset der traditionellen Porzellanmarke aus einem Auto lud und sich mein Jagdinstinkt meldete.

Ladenhüter oder zeitlose Klassiker Vor den Fenstern der Redaktion fährt in unregelmässigen Abständen der Lastwagen einer Brokki vor, um allerlei Habseligkeiten, Schätze und Plunder an unseren Fenstern vorbeizutragen. Wonach wir uns die Finger lecken, kommt aus dem gegenüberliegenden Altersheim, das, wenn jemand stirbt und die Angehörigen keine Verwendung für das hinterlasse Hab und Gut sehen, die Möbel von einer Brockenstube abholen lässt. Auf die Nachfrage, ob dies der Normalfall sei, zeigten sich verschiedene Altersheime äus­serst zurückhaltend. Sie dürfen keine Auskunft darüber geben, was mit den Habseligkeiten der verstorbenen Bewohner geschehe. Eine Geschichte liess allerdings aufhorchen. Im Abstand von wenigen Tagen verstarben in einem Alters- und Pflegeheim im Berner Seeland beide Eheleute. Normalerweise würden die Angehörigen nach einigen Tagen die Räumung der gemeinsamen Zimmer in Auftrag geben und sich nach Möglichkeit selber um die Möbel und anderen Habseligkeiten ihrer verstorbenen Verwandten kümmern. Doch was geschieht, wenn die Hinterbliebenen, aus welchen Gründen auch immer, keine Verwendung für das Hab und Gut haben und keinerlei Ansprüche anmelden? Nachdem


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‹Sammelt die übrig gebliebenen Brocken, damit nichts verloren gehe!› ( Johannes 6.12 )

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niemand mehr auf den massiven Bauernschrank der Grossmutter. Doch ganz alles nähmen auch sie in der Brocki schon lange nicht mehr an. Diese letzte Aussage bezieht sich nicht nur auf kaputte oder wertlose Gegenstände, sondern immer häufiger auch auf gut erhaltene, nur leider eben Stil- und Geschmacksfragen unterworfene Stücke.

Die Geschichten dahinter Zurück im Seeland: Auch das einwandfrei erhaltene und qualitativ hochwertige Mobiliar des Ehepaars konnte den Qualitätskriterien der Brokkenstube nicht standhalten. Die einzige Möglichkeit, die in einem solchen Fall übrig bleibt, ist die Entsorgung durch die Kehrrichtverbrennung. Nachdem einige wenige Schätze wie ein altes, aufklappbares Nähkästchen von Angestellten des Altersheims aus dem Nachlass gerettet wurde, rückte die Müllabfuhr mit der Mulde an und transportierte gnadenlos das gesamte Hab und Gut des verstorbenen Ehepaars ab, darunter Fotoalben, gesammelte Briefe und persönliche Unterlagen. Alles, was die beiden aus den letzten achtzig, neunzig Jahren ihres Lebens sorgfältig aufbewahrt hatten, landete im Müll. Wie oft ganze Wohnungseinrichtungen dem feurigen Schlund der Kehrrichtverbrennungsanlage Bern zum Opfer fallen, kann man mir nicht sagen. Darüber werde keine Statistik geführt, erklärt mir der nette Mann am Telefon. Aber manchmal reue es ihn schon, wenn er sehe, was alles im Sperrmüll lande. Auch persönliche Gegenstände wie Fotos und Briefe treffe er bei seiner Arbeit oft an. Zeit, sich aber Gedanken über die Geschichte, die hinter den Gegenständen steckt zu machen, habe er keine, zuviel Arbeit würde liegen bleiben, wenn er jedem Gegenstand nachstudieren würde.

die Angehörigen trotz mehrmaliger Nachfrage kein Interesse am Nachlass ihrer Eltern zeigten, unterschrieben sie schliesslich eine Verzichts­ erklärung, die dem Altersheim alle Rechte am Besitz der Verstorbenen übertrug. Gemäss dem Motto ‹Wir holen alles› rückte die lokale Brockenstube mit drei Mann und Transporter aus, um kurz danach unverrichteter Dinge wieder abzuziehen. Das Mobiliar des kürzlich verstorbenen Ehepaars war zwar in tadellosem Zustand, entspräche aber in Punkto Stil nicht der Ware, die von den wählerischen Brocki-Kunden gesucht würde. Sprich: Wahrscheinlich wäre nichts davon zu einem Preis, der sich für die Brockenstube gelohnt hätte, weiterverkauft worden. Die Ladenhüter hätten im schlechtesten Fall von der Brocki selber entsorgt werden müssen und hätten dieser Mehrkosten und beträchtlichen Aufwand beschert. Der Schluss, der sich aus dem Handeln der Brocki ziehen lässt, ist einfach. Die wenigsten Brockis sind heute noch günstige Einkaufsmöglichkeiten für finanziell schlechter gestellte Menschen. Vielmehr dienen die Brockis vor allen in Grossstädten der Ausstattung von Wohnindividualisten, die sich in IKEA-Massenware nicht

wiedererkennen. Diese Feststellung wurde mir auch von verschiedenen Brockis bestätigt. Der Hauptanteil des Umsatzes werde, gerade in der Stadt, von jungen Leuten, hauptsächlich von Studenten, generiert. Heute sei es eben ‹chic› in der Brocki einzukaufen und die Kundschaft habe sich in den letzten Jahren stark verändert. Auf die Frage, woher denn die Ware stamme, reagieren die meisten Brocki-Betreiber und ihre Angestellten zurückhaltend. Das sei von Fall zu Fall verschieden und eigentlich dürften sie auch nicht sagen, woher ihre Ware komme, aber dass Altersheime ganze Einrichtungen inklusive persönlicher Gegenstände abholen liessen, käme dann doch relativ selten vor. Eher noch wären es die Angehörigen, die später Teile der Hinterlassenschaft in die Hände der Brockenhäuser übergeben würden. Einen Grund für diese Entscheidung und auch für die bis oben vollen Regale und Keller seines Betriebs sieht der Ladenbesitzer darin, dass junge Leute heute schon relativ früh ihre eigenen vier Wände haben und sich diese dank Billigmöbelhäusern auch preisgünstig einrichten können. Billigmöbel führen seiner Meinung nach auch dazu, dass eine Einrichtung viel schneller komplett ersetzt würde. Somit warte 35

Die Handtasche der unbekannten Marke ‹Creation Nicole› ist abgewetzt, würde meine Mutter sagen, Vintage nennt es sich wohl in Modezeitschriften. Das Leder hat die besten Tage hinter sich, das Innenfutter hängt in Fetzten runter, der Verschluss funktioniert nicht mehr richtig. Und trotzdem musste es genau diese Tasche sein. Wohin diese Tasche mit ihrer früheren Besitzerin wohl schon überall hingereist ist? Tasche, Tisch und Tasse: Auch wenn viele Brokkis etwas von ihrem ursprünglichen Charme verloren haben, nur schon die kleinen Geschichten, die hinter jedem einzelnen Gegenstand in den Auslagen der Brockenhäusern stecken und unsere Fantasie anregen, sind den Einkauf im Secondhand-Geschäft wert. Also, ‹sammelt die Brocken bis nichts mehr übrig bleibt› und denkt dabei ab und zu an die spannenden, traurigen und unterhaltsamen Geschichten, die sich dahinter verbergen. Fotos Gegenstände: Ellin Anderegg, Familienfotos: mit freundlicher Genehmigung von Karl Sauruck sen.


Wer einen Blick hinter das Nichts wirft, der sollte nicht allzu viel erwarten.

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‹standleitung› Das Essay vom Nichts Kreativ und depressiv? Eine Discounthotline verspricht Hilfe. Was niemand weiss: Sie führt direkt in ein indisches Callcenter. Dort sitzt Rajiv Ratra und hört zu. Auch wenn es um Nichts geht. Von Laurence Thio und Tin Fischer

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uten Tag, von Eschenbach hier. Ich grüsse Sie! Ich will Ihre Hilfe in Anspruch nehmen. Eins vorweg: Gibt es Journalistenrabatt für Ihre Hotline? – Bei uns gibt es keinen Rabatt, antwortet Rajiv. Wenn wir allen Journalisten, die hier anrufen, Rabatt geben würden, könnten wir dicht machen. Ruinös! – Hahaha, Sie sind gut. Lange haben wir auch gar nicht Zeit. Mein Text muss in 60 Minuten fertig sein. Mein Redakteur sitzt mir bereits im Nacken. Mein Name ist Jakob von Eschenbach. Ich schreibe für das wichtigste Feuilleton des Landes. Sie kennen sicher den Text, mit dem ich berühmt geworden bin. Ein Standardwerk! Rajiv googlet ‹Jakob von Eschenbach› und findet hauptsächlich Verweise auf seinen ersten Text ‹Die Khartasis der Intellektuellen›. Der Text wurde als ‹feuilletonistisches Vergissmeinnicht› bejubelt und von Eschenbach selber in einem Bericht über die Auszeichnung zum Journalisten des Jahres als ‹erster kulturjournalistischer Heilsbringer des Jahrtausends› gefeiert. Von Eschenbach fabuliert indes von seinem Standardwerk, den Preisen, die er dafür erhalten hat, und den Persönlichkeiten, die noch immer darauf verweisen würden. Rajiv versteht ihn nicht. Feuilletonistisches Deutsch und Namedropping, das ist eine Welt für sich. – Was ist Ihr Problem?, platzt Rajiv in die Ausführungen von Eschenbachs. Von Eschbach hält inne, zögert, und kapituliert: – Schreibblockade, sagt er. Und eine Stunde bis zur Deadline. Rajiv ist erleichtert. Jeder Vierte, der bei ihm anruft, hat dasselbe Problem. Meist larmoyante Hobby-

autoren. Rajiv ist auf diese Fälle inzwischen bestens vorbereitet. Er schlägt die ‹8 Tipps gegen Schreibblockade› auf karrierebibel.de auf und überlegt kurz, wann er eigentlich zum letzten Mal ein Problem in seiner von Psychologen entwickelten Software nachgeschlagen hat. Lange her. Also zurück zur Karrierebibel: – Jeder Text beginnt mit einem guten ersten Satz, liest Rajiv von der Website ab. Aber manchmal will einem dieser partout nicht einfallen, nicht wahr, Herr von Eschenbach! – Zu wahr, gibt von Eschenbach zu. – Keine Sorge, Herr von Eschenbach, antwortet Rajiv. Moderne Textverarbeitung hat hier eine grossartige Lösung geschaffen: Beginnen Sie einfach mittendrin! Schreiben Sie auf, was Ihnen wichtig ist. Sortieren können Sie später. Von Eschenbach ist wenig begeistert: – Habe ich bereits versucht, jammert er. Mein ganzes Blatt ist voll. Lauter Sätze. By the way: noch 50 Minuten! Rajiv beschleunigt, das hier scheint komplizierter. – Was ist denn Ihr Thema? – Schwierig, sagt von Eschenbach. Ja, etwas anderes hat Rajiv nicht erwartet. – Das Nichts, präzisiert von Eschenbach. Ein Essay über das Nichts soll es werden. Das Nichts? Rajiv gibt ‹Nichts› bei Wikipedia ein. Der Eintrag ist mit einem schwarzen Feld illus­ triert. Es gibt einen Schnaps, der Nichts heisst. Eine Düsseldorfer Neue-Deutsche-Welle-Band, die von 1981–1983 Musik gemacht habe und deren Bandmitglieder danach beschlossen, Mediziner zu werden. Und dann gibt es da noch das Nichts als ‹abstraktes Konzept in der Philosophie›.

– Nicht ganz einfach, Herr von Eschenbach, sagt Rajiv. Was haben Sie denn bisher recherchiert? – Recherchiert?, fragt von Eschenbach. – Was sie bereits über das Nichts gelesen haben?

‹Oder meinen Sie von nichts kommt Nichts?›

– Hahaha, Sie werden immer besser. – Sie müssen den Ort wechseln! Räumliche Veränderungen beflügeln unseren Geist, Herr von Eschenbach. Denn wie heisst es so schön: Wem die Worte auf der Zunge verdorren bevor sie notiert sind, kann entweder weitergrübeln oder den Ort wechseln. Kennen Sie dieses Sprichwort? Gibt es ein Strassencafé in Ihrer Nähe? – Sagen Sie, Sie lesen doch von der Karrierebibel ab! Sie verschwenden meine ganze Zeit mit Ihrer esoterischen Kriegsführung. – Wie bitte? Rajiv fühlt sich ertappt. – Sie haben meine Zeit vertrödelt und mir Geld abgeknüpft, ich will jetzt eine Lösung, flucht von Eschenbach. Fünf Minuten! Liefern Sie, zack, zack! Sie Internetabschreiber! Rajiv bekommt langsam einen Eindruck vom Sound der Kulturredaktion. Aber irgendwie scheint es ihm, als ob von Eschenbach nur angerufen habe, um eine Antwort zu hören. – Dann schreiben Sie halt nichts, sagt Rajiv trotzig, als würde er mit einem kleinen Kind sprechen. Von Eschenbach explodiert: – Sind Sie total verrückt? Schon mal eine leere Zeitung gesehen? 37

Rajiv hört Papier fetzen, dann knallt es, so als würde man das Telefon immer wieder gegen die Tischkante hauen. Danach ist die Leitung tot. Wenige Tage später liegt auf seinem Schreibtisch ein Briefumschlag. Darin eine renommierte Zeitung. Auf der Titelseite eine grosse Ankündigung: ‹Viele Philosophen sind daran gescheitert. Der Journalist Jakob von Eschenbach, Vorzeigeintellektueller und Avantgardist, hat das Nichts besiegt.› Im Feuilleton: Ein Essay über das Nichts. Eine leere weisse Seite. Auf den Folgeseiten werden Kritiker zitiert: – Wow - nichts!, Lettre International. – Noch nie war jemand so radikal wie von Eschenbach, DER SPIEGEL – Schlichtweg brillant!, Neue Zürcher Zeitung – Das avantgardistischste Feuilleton aller Zeiten!, Le Monde Diplomatique Rajiv runzelt die Stirn. Illustration: Patric Sandri Unser indischer Freund Rajiv Ratra ist ein wahres Multitalent: Als Berater einer Baumarkt-Hotline und Telefonseelsorger kümmert er sich gleichermassen um defekte Möbel und Menschen. Den kinki Lesern bietet er dabei monatlich einen kleinen Einblick in seinen Berufsalltag.


From Inner Space Die Schweiz hat nicht nur sieben ‹Präsidenten› und die höchsten Boni-Auszahlungen, sondern sie pflegt auch eine rekord­mässige Vielzahl von Brauchtümern. Die wenigsten davon sind über ihre Ge­mein­de- oder Kantonsgrenzen hinaus bekannt. Das ist auch gut so, denn manchmal ist es besser nicht zu wissen, was sich in Nachbars Garten alles abspielt: Ein kleiner Einblick in die skur­rilsten Brauchtümer der Schweiz. Text: Fa­bienne Schmuki, Illustration: Manuel Bürger

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arum wir am Zürcher Sechseläuten eigentlich diese unförmige Puppe von 3,40 Metern Höhe verbrennen, mit 60 Schweizerkrachern, 30 Kanonenkrachern und 20 Donnerschlägen in ihrem Ranzen, ist uns im Prinzip egal: Hauptsache, wir haben frei und können am Abend unsere Bratwurst über die das verkohlte Bürdeli halten. Was nach Ignoranz tönt, ist bloss Beweis einer normalen Zeiterscheinung: die Mode kontrastiert mit Bräuchen. Wer mit der Mode geht, und das trifft bei einem Grossteil der jungen Schweizer Stadtbevölkerung zu, der distanziert sich vom Traditionellen, vom Gebräuchlichen. Es lebe das Neue, die Kurzlebigkeit. Wenn wir heute von ‹Brauchtum› sprechen, dann meinen wir damit die bewusste Pflege von Bräuchen, die ihrer ursprünglichen Bedeutung eigentlich kaum mehr gerecht werden. Lange Zeit über erfüllten diese regelmässig stattfindenden Feste aber einen wichtigen gesellschaftlichen Zweck. Das Dorf oder die Gemeinde kam zusammen, um einen bestimmten Brauch gemeinsam zu feiern. Nicht selten blieb man nach dem offiziellen Teil, dem Umzug, dem symbolischen Kampf noch bis in die frühen Morgenstunden beisammen, um zu tratschen, zu diskutieren und gemeinsam dem Alkohol zu frönen. Die bekanntesten Bräuche, von denen man auch über die Kantonsgrenzen hinaus schon flüstern gehört hat, sind alte Zunftbräuche. Dazu gehören neben dem Sechseläuten auch das Zürcher Knabenschiessen, die Luzerner Fasnacht, der Aarauer Maienzug oder die Escalade in Genf. Daneben gibt es Dutzende von Bräuchen, welche den Jahreslauf feiern. Gerade in ländlicheren Gegenden wimmelt es nur so von Winzerfesten, kinki report

Alpaufzügen, Bergfesten mit Fahnenschwingen und Kuhkämpfen. Und dann sind da noch die dunklen Brauchtümer, die den Tod thematisieren, alte Flüche bekämpfen und solche, die auf Legenden basieren. Legenden, die Angst machen, solche, die Freude bereiten und Rätsel aufwerfen. Wir schütteln die Köpfe, wenn in Pamplona Stierläufe stattfinden oder die Mexikaner am Día de Muertos ihre Ca­ laveras de Dulce, Totenschädel aus Zucker oder Schokolade, verdrücken? Nun, schauen wir doch mal in unsere eigenen Reihen: Wir werfen brennende Scheiben in die Lüfte, die früher nicht selten Strohdächer lichterloh zum Brennen brachten und verführen kleine Kinder zum Stumpen rauchen …

Das BoconettRitual in Grimentz (Wallis) Am 17. Januar, dem Tag des St. Antoine, feiern die Grimentzer jeweils das Boconett-Ritual. Das Ritual gründet auf einer mündlich überlieferten Sage, die folgendermassen lautet: Um 1300 litten die Walliser unter der Pest. Ganze Dörfer erlagen dem Schwarzen Tod, vor allem ältere und schwächere Personen. Der Sage nach lebten in Grimentz zu dieser Zeit drei Jungfern, die sich in ihrem Haus einsperrten – gemeinsam mit einer Ziege und einem Bock. Sie überlebten dank dem Käse, den sie von der Ziege gewinnen konnten. Die meisten Erwachsenen waren in der Zwischenzeit von der Pest erfasst worden und dies hinterliess dem Dorf Grimentz viele Waisenkin38

der. Die drei Jungfern nahmen sich diesen Kindern an und versorgten sie mit Brot und Käse. In einer Version der Sage lebten die Jungfern fortan alleine und kümmerten sich um die Grimentzer Waisenkinder; in einer anderen Version heirateten sie drei junge Männer aus Vissoie. So oder so: Um Gott für ihr Leben zu danken, versprachen die drei Jungfern, allen Kindern unter sieben Jahren fortan lebenslänglich Brot und Käse zu verteilen. Warum die drei Jungfern von der Pest verschont geblieben sind? Darüber wird viel gewitzelt und die gängigste Erklärung lautet, dass der Gestank des Ziegenbocks wohl stärker gewesen sein musste, als die Pest selber. Das Boconett-Ritual wird bis heute durchgeführt. Jeden 17. Januar werden in der Kirche Käse und Brot gesegnet und danach an die Kinder des Dorfs verteilt. Der Brauch soll das Dorf vor Katastrophen schützen. Glaubt man der einen Version der Legende, wurde das Boconett-Ritual um die letzte Jahrhundertwende lediglich einmal ausgelassen. Im darauffolgenden Jahr wurde die Region von mehreren Katastrophen heimgesucht: einer Heuschreckenplage, schlechter Ernte und krankem Vieh.

Der Banntag im Liestal (BL) Der sogenannte Banntag wird mancherorts gefeiert: Im Zürcher Unterland, insbesondere im Furttal, und im solothurnischen Schwarzbubenland. In seiner ursprünglichsten Form findet man den Banntag aber heute noch im Liestal des Kantons Baselland. Dort gilt der Banntag als


Tradition oder Aberglaube? Braucht端mer wie das Boconett-Ritual kn端pfen an uralte Sagen an und 端berdauern die Zeit.

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Feiertag und die Teilnahme ist ausschliesslich Männern vorbehalten. Aber erst mal der Reihe nach: Seit dem Mittelalter unterstand der Banntag der Bürgerpflicht. Dabei wurde kontrolliert, ob die Grenzsteine nicht mutwillig von den Nachbarn verschoben worden waren. Männergruppen, aufgeteilt in sogenannte Rotten, schritten die Grenzwege ab und vermassen das Grundstück. Gleichzeitig wurde vom ortsansässigen Pfarrer eine sogenannte Flursegnung durchgeführt. Dieses Ritual spielte sich jeweils an Auffahrt ab. Mit der Reformation hat die Flursegnung ihr Ende gefunden und der Banntag wurde zu einem rein öffentlich-rechtlichen Akt. Im Liestal wurde im 16. Jahrhundert sogar die militärische Bemusterung miteingebunden. Später musste der Banntag dann auf den Montag vor Auffahrt verlegt werden, die Schiessereien und das Trinkgelage wurden an dem heiligen Feiertag nicht mehr geduldet. Seit der Einführung der Vermessung ab 1860 hat auch die Grenzsteinkontrolle an Bedeutung eingebüsst: Der Banntag verlor seine Daseinsberechtigung. In der Mitte des 20. Jahrhunderts wurde der Banntag mancherorts wieder eingeführt, in Form eines Volksfests. Im Liestal wird der Banntag noch immer am Montag vor Auffahrt durchgeführt, und es wird auch noch immer geschossen: Die Rotten werden von Trommel- und Pfeiferklängen sowie von Knallen aus Vorderladern begleitet. Und das Trinkgelage – nun, das findet auch heute noch statt.

Scheibensprengen in Oeschgen (AG) Das Scheibensprengen ist heidnischen Ursprungs. Früher glaubte man, dass Feuer die Kraft habe, Leben zu erwecken. Aus diesem Gedanken entwickelten die Bewohner verschiedener Gemeinden im Aargau, in Basel, im Sernftal und im Schwarzwald eine Methode, um den Feuersegen möglichst weit über die tot geglaubten Felder zu streuen, sodass die Saat wieder zu wachsen beginnen würde. Noch heute werden an der sogenannten alten Fasnacht im aargauischen Oeschgen ‹handgemachte Sternschnuppen› durch die Dunkelheit geschleudert. Eine Clique von 16 Männern ist für die Organisation verantwortlich. Sie schnitzen bereits vor Weihnachten handflächengrosse Holzscheiben aus Hagebuche, etwa zwölf Zentimeter breit und bis zwei Zentimeter dick. Beim Boll, einer Anhöhe über dem Sisslebach, versammeln sich dann die Zuschauer und die jungen Männer schlagen die Schiiben, welche am Feuer angesengt worden sind, an einer langen Haselgerte über ein schräges Brett durch die dunkle Nacht. Das Sprengen ist eine besondere Kunst und darf nur von denjenigen ausgeübt werden, die des Sprengens mächtig sind. Seit 1977 wird zusätzlich zum Scheibensprengen ein vier Meter hohes Speichenrad mit Stroh um­ wickelt, mit Stoff überzogen und schliesslich angezündet. Dieses brennende Rad soll die Sonne symbolisieren. Das Scheibensprengen geht mindestens auf den Anfang des 18. Jahrhunderts zurück – erstmals wurde es 1725 erwähnt, als der Schwanen-Wirt Fridolin Hauswirth in Oeschgen kinki report

das Tavernenrecht erhielt. In der Urkunde, die ihm am 26. Januar übergeben wurde, heisst es laut des Fricktaler Onlineauftritts: ‹… ferner würd ihme verlaubet, Täntz und Scheibenschiessen zu halten›. Anstatt den toten Feldern die gewünschte Fruchtbarkeit zu bringen, setzten die brennenden Scheiben über die Jahre hinweg immer wieder Häuser in Flammen. Viele Dächer waren damals nämlich mit Stroh bedeckt.

Eieraufleset in Effingen (AG) Die geschichtsträchtige Tradition der Eieraufleset (auch Eierleset genannt) findet heute noch in verschiedenen Gemeinden statt, darunter Effingen, Arlesheim, Buckten und Pratteln. Der Ursprung der Eierleset beruht womöglich auf einer Legende, die sich wie ein Krimi liest. Diese stammt aus dem Welschland und besagt Folgendes: Eine junge, hübsche Bürgerstochter, die nahe Lausanne wohnte, hatte ihre Hand einem Metzgersburschen versprochen. Allerdings hatte es auch der Sohn der Herrschaft auf das schöne Fräulein abgesehen und er umwarb die junge Dame so lange, bis sie die Verlobung zum Metzgersburschen auflöste und ihre Gunst dem Herrschaftssohn schenkte. Aus Rache lauerte der Metzgersbursche dem Patriziersohn eines Nachts im Schlosspark auf. Er forderte seinen Nebenbuhler auf, die Hände von seiner Verlobten zu lassen – als dieser aber bloss mit Hohn und Spott reagierte, wurde er kurzum vom Metzgerburschen erstochen. Nach einem sprichwörtlich kurzen Prozess wurde der Metzgersbursche daraufhin zum Tode verurteilt, doch die anderen Metzgerburschen aus der Gegend standen für ihren Kollegen ein und machten folgenden Vorschlag: ‹Das Gericht möge einen jungen Mann von den Freunden des Ermordeten bestimmen, der 120 rohe Eier, jedes eine Elle vom anderen entfernt und in gerader Linie auf einer öffentlichen Strasse gelegt, aufheben müsse, um sie dann in ein Leintuch zu werfen. Während dieses Vorgangs habe der Verurteilte unter Begleitung von Bewaffneten eine vom Gericht bestimmte Strecke zu Fuss und ohne irgendwelche Begünstigung zu begehen›. Der Metzgersbursche ging als Sieger dieses Wettlaufs hervor: Er traf am Ziel ein, bevor sein Gegner mit dem Auflesen der Eier fertig war. Heute allerdings geht es bei der Eieraufleset nicht mehr um Vergeltung und Mord, sondern es geht um den sinnnbildlichen Kampf zweier Jahreszeiten: Am Weissen Sonntag, acht Tage nach Ostern, liefern sich der müde Winter und der frische Frühling in den Strassen verschiedener Dörfer ein Wettrennen. Das wohl bekannteste und aufwändigste dieser Wettrennen finden in Effingen statt. Der Winter in Weiss, hoch zu Pferd, muss eine gewisse Strecke abreiten und vor seiner Umkehr im letzten Dorf einen Trunk zu sich nehmen. In der Zwischenzeit rennt der Frühling zu Fuss eine 80 Meter lange Strecke ab. Darauf befinden sich im Abstand von einem Meter stets zwei Sägemehlhäufchen, auf die insgesamt 162 Eier gelegt werden. 80 mal zwei weisse, rohe Eier und einmal zwei farbige, gekochte. Am Ende 40

der Eierreihen steht eine mit Spreu gefüllte Kornwanne. Während also der Winter so schnell wie möglich die vorgegebene Strecke abgaloppiert, muss der Frühling die Eier im Staffettenrhythmus einzeln auflesen und in der Wanne deponieren. Aufgrund der klug entworfenen Regie verliert der Winter – und der Frühling kann seinen Triumph feiern. Neben den beiden Hauptakteuren säumen weitere Figuren den Schauplatz: Da wären die Dürren, die mit dem Reiter zusammen den Winter versinnbildlichen, und die Grünen, die mit dem Renner zusammen für den Frühling stehen. Unter den Dürren finden sich Figuren wie der Straumuni, der Hobelspänler, der Schnäggehüsler, der Alte und die Alti. Die Aufgabe der Alti ist es, das Publikum mit der Eiermasse, die sich im Laufe des Rennens in der Kornwanne bildet, einzustreichen. Aufgrund der in zunehmendem Masse schönen und teuren Kleidung der Zuschauer, wird von diesem Teil des Brauchs heute allerdings abgesehen. Die Grünen werden verstärkt durch den Tannästler, den Stechpälmler, den Jasschärtler, das verliebte Hochsetspäärli und den Hüehnermaa. Zusätzlich sorgt der Polizischt als ordnende Macht für die Schlichtung des Kampfs zwischen den Naturgewalten, wie auch der Pfarrer, der am Ende des Wettkampfs die traditionelle Eierpredigt abhält. Unter der Eierpredigt versteht sich eine Art Schnitzelbank, bei der sowohl Stadtregierende als auch Einwohner und Nachbarsdörfer verspottet werden. Dabei kann es auch mal grob zu- und hergehen: Der Friedensrichter hat schon mehr als einmal nach einer Eierpredigt eingreifen müssen. Organisiert wird die Eieraufleset meist vom ansässigen Turnverein. Bei den Wettkämpfern handelt es sich um junge Turner. Die Teilnahme ist ausschliesslich den Männern vorbehalten: Die Frauen sind mit dem Nähen und Aufbereiten der Kostüme, ganz nach traditionellem Gebrauch, genügend ausgelastet.

Bochselnacht in Weinfelden (TG) Die Bochselnacht ist eine etwas abgeänderte Form des Räbeliechtliumzugs, der in Zürich eher verbreitet ist. Am Donnerstag vor Weihnachten findet im mittelthurgauischen Weinfelden ein Umzug statt, angeführt von den Schülern der 1. Primar- bis zur 1. Sekundarklasse. Diese ziehen gemeinsam mit ihren Bochseltieren durch die Strassen Weinfeldens. Vor dem Rathaus singen alle zusammen das Lied ‹Freut euch des Lebens›. Nach dieser Zeremonie gibt es Wurst und Brot für die Kinder. Danach führen die Schüler der dritten Oberstufe jeweils das Bochselnachttheater auf: Der Tradition entsprechend ist dies ein Märchen. Auf die Erwachsenen warten danach die Böllewegge in den Wirtshäusern des Dorfs. So weit, so gut. Was hingegen viel mehr erstaunen wird, ist, dass die Jugendlichen am Bochseltag eine grosse Menge an Zigaretten und Stumpen verrauchen. Dies wurde von den Erwachsenen geduldet, wenn nicht sogar unterstützt – bis ins Jahr 2004, als die Schulgemeinde erstmals beschloss, dass die Jugendlichen während


Wer in Oeschgen, AG, fliegende Scheiben am Nachthimmel erblickt, der hat es wahrscheinlich nicht mit Extraterrestriern, sondern viel eher mit einem feurigen Fruchtbarkeitsritual zu tun.

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des Umzugs auf das Rauchen verzichten sollten. Nicht immer war das Bochseln in der Schweiz gern gesehen. Bereits im Mittelalter wurden Verordnungen erlassen, ‹die das Bogschlen sol verbieten›. Bochseln ist verwandt mit den Begriffen posseln oder pochen, welche so viel bedeuten, wie Lärm machen oder Schabernack treiben. Was den Ursprung dieses Brauchs angeht, so existieren mehrere Theorien. Die eine besagt, dass an diesem Tag der Donar gehuldigt wird, der dem Donnerstag seinen Namen verliehen hat. Andere behaupten, der Bochseltag habe seinen Ursprung in der Pestepidemie des 17. Jahrhunderts gefunden. Wiederum erinnert die Bochselnacht aber an römische Totenbräuche in keltischen und germanischen Sitten. Und tatsächlich: Bis heute wird das Symbol des Totenkopfs häufig in die Rüben geschnitzt.

Silvesterchläuse in Urnäsch (AR) Dieser Brauch des alten Silvesters in Appenzell Ausserrhoden gehört sicherlich zu den bekannteren Brauchtümern der Schweiz. Jährlich sollen etliche Touristen zum Alten Silvester in Urnäsch anreisen, um Zeuge eines geschichtsträchtigen Ereignisses zu werden. Die Tradition der Silvesterchläuse wird in vielen Dörfern des ausserrhodischen Hinterlands gepflegt. Aber nur in Urnäsch wird der Silvester bis heute zweimal gefeiert: am 31. Dezember und nochmals zwei Wochen später, am 13. Januar. Diese Gegebenheit geht zurück auf einen Streit, der Ende des 16. Jahrhunderts aufgekommen war. Und zwar ging es in diesem Streit um die Gregorianische Kalenderreform: Der Julianische Kalender (nach Julius Caesar) hinkte in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts um zehn Tage hinter der wirklichen Zeit nach. In einer Kalenderreform, gemäss welcher sich alle Länder nach dem neuen Gregorianischen Kalender zu richten hätten, wurde festgehalten, dass alle Länder zehn Tage auslassen sollten. Vom 4. Oktober 1582 hätten alle direkt auf den 15. Oktober 1582 springen sollen, um den Rückstand des Kalenders gegenüber der Sonne aufholen zu können. Allerdings übernahmen nur wenige Länder den neuen Kalender an jenem Datum, darunter Spanien und Portugal. Die meisten katholischen Länder zogen in den folgenden Jahren nach – die protestantischen Länder hingegen lehnten den neuen Kalender vorläufig noch ab. In der Schweiz entfachte um dieses Thema herum ein riesiger Zank der Konfessionen und so kam es, dass man in katholischen Gebieten nach dem 11. Januar 1584 zum 22. Januar 1584 sprang. Im paritätischen Kanton Appenzell war die Lage allerdings noch komplizierter: Eine Umstellung erfolgte halbpatzig im Jahre 1584 (obwohl Unterschriften in Taufbüchern oder ähnlichem gefunden wurden, die den 12. Januar 1584 sowie den 14. Januar 1984 datierten), jedoch entschloss sich Appenzell Aus­ serrhoden fünf Jahre später wieder dazu, zum alten Kalender zurückzukehren. Dieser Entscheid basierte auf den konfessionellen Spannungen nach 1586, die durch die gegenreformatorische Tätigkeit der Kapuziner und den Glaubensvertrag von 1588 hervorgerufen wurden. Erst am kinki report

26. Juni 1798 wurde der Julianische Kalender im Halbkanton Appenzell Ausserrhoden abgeschafft. Langer Rede kurzer Sinn: Die Appenzell ‹Aus­ serrhödler› feiern den Silvester jeweils mit der alten Tradition der Silvesterchläuse, deren Ursprung allerdings unbekannt ist. Die Urnäscher lassen es sich nicht nehmen, das neue Jahr auch am 13. Januar mit einer zweiten Silvesterfeier und mit einem zweiten Umzug der Silvester­chläuse nochmals einzuläuten. Die Tradition der Silvesterchläuse folgt einem Schema, welches sich Jahr für Jahr wiederholt. Am Tag vor dem Silvester ziehen Gruppen von sechs Chläusen im Dorf umher, die als Schuppel bezeichnet werden. Die Chläuse sind unterteilt in die Schönen, die Wüeschte und die Wald- oder Naturchläuse (oder auch Schö-Wüeschte). Je nachdem, welcher Gruppierung sie angehören, tragen die Chläuse Gewänder aus Samt, aus Naturmaterialien oder wild aussehenden Masken aus Tierzähnen und Knochen. Die insgesamt 30 bis 40 Schuppel wandern also durch Urnäsch und halten immer wieder bei Bauernhöfen, wo sie ihre Rollen und Schellen ertönen lassen und anschliessend in die Zauren einstimmen. Von ihrem Publikum erhalten die Chläuse daraufhin Geld und Glühwein. So geht dies den ganzen Tag, von den frühen Morgenstunden bis weit nach Mitternacht, wo sie dann mit ihren Frauen und Bekannten in den Dorfwirtschaften zusammentreffen. Natürlich sind auch beim Silvesterchläusen nur Männer zugelassen. Die Schöne allerdings tragen Masken mit dem Antlitz einer Frau.

Glossar: Bürdeli: Zusammengebundenes Kleinholz. Der Scheiterhaufen, auf dem der Böögg abbrennt, besteht aus vielen Bürdeli. Jungfern: Junge Adelige, wird häufiger aber als Synonym für Jungfrau verwendet. Rotte: Männergruppe, Teil einer Formation (militärisch). Flursegnung: Wasser und Salz wird gesegnet und auf Gelände und Weiler verteilt. Vorderladern: Ursprünglichste Form der Feuerwaffe. alten Fasnacht: Sonntag nach dem Aschermittwoch. Schiibe: Scheibe, hier: handflächengrosse Holzteller. Dürren: Sie versinnbildlichen bei der Eierleset mit dem Reiter zusammen den Winter. Grünen: Sie versinnbildlichen mit dem Renner zusammen den Frühling. Straumuni: Figur der Eierleset; ein Kostüm, das aus einem mit leergedroschenem Stroh vollgestopften Erdklotz besteht. Hobelspänler: Figur der Eierleset; ein Kostüm, das aus dürrem Holz hergestellt ist. Schnäggehüsler: Figur der Eierleset; ein Kostüm, das aus leeren Schneckenhäusern besteht. Alte / Alti: Alter / Alte; Figur der Eierleset. Tannästler: Figur der Eierleset; Kostüm, das den immergrünen Wald darstellt. Stechpälmler: Figur der Eierleset; Strauch, den auch der Winter nicht besiegen kann. Jasschärtler: Figur der Eierleset; Kostüm aus Jasskarten, das die ewige Spielfreude verkörpert. Hochsetspäärli: Figur der Eierleset; Hochzeitspärchen. Hüehnermaa: Figur der Eierleset; der Hüehnermaa hat es auf die jungen eierlegenden Hennen abgesehen. Polizischt: Figur der Eierleset; Polizist, der für Ordnung während des Wettkampfs sorgt. Pfarrer: Figur der Eierleset; Pfarrer, der am Ende die Eierpredigt hält. Eierpredigt: Reime, im Stile einer Schnitzelbank, die am Ende der Eierleset vom Pfarrer vorgetragen werden. Räbeliechtliumzug: An drei Schnüren aufgehängt und an einem Stock festgebunden, werden die mit einem Kerzchen bestückten Räbenlichter von den Kindern durch die dunklen Strassen getragen, wobei das Licht vor allem bei den Sujets durch die dünnen Wände scheint. Bochseltieren: Ausgehölte und durch Schnitzereien verzierte Runkelrüben (siehe auch: Räbenliechtliumzug). Böllewegge: Ein mit Zwiebeln gefülltes Hefegebäck. Bochseln, posseln, pochen: Lärm machen und Schabernack treiben. Schuppel: Begriff vom Silvesterchläuseln; Gruppen aus sechs Chläusen. Schönen: Figur der Silvesterchläuse; sie tragen farbenfrohe Kleidung aus Samt und eine Maske, die aussieht wie ein lächelndes Frauengesicht. Wüeschte: Figur der Silvesterchläuse; sie verkörpern das dämonische und das urtümliche Element, tragen wild aussehende Masken aus Tierzähnen, Hörnern und Knochen und Umhänge, die dick mit Heu, Stroh, Stechpalmen- und Kiefernzweigen, Blättern etc. bedeckt sind. Wald- / Naturchläuse / Schö-Wüeschte: Figur der Silvesterchläuse; das Material für die Kleidung stammt aus der Natur. Kiefernzweige, Stechpalmenzweige, Silberdisteln, Moos, Kiefernzapfen, Eicheln und Rinde. Rollen: Runde Schellen. Schellen: Grosse Kuhschellen. Zauren: Ein fast sakral klingendes Jodeln ohne Text.

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Appenzell Ausserrhoden lebt nach einer anderen Zeitrechnung. Zumindest, wenn es um den Jahreswechsel geht.

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‹wortlaut› Das10 Minuten Interview. Jan Clausen: ‹Musik ist Herzenssache. Dann erst kommt das Geld.› kinki magazine: Hättest du nicht was Ordentliches lernen können? Arzt oder Lehrer? Jan Clausen: Darüber habe ich nie nachgedacht. Ich hab mich schon immer mit Musik beschäftigt. Und irgendwann eben auch beruflich als Organisator von Konzerten, Festivals und Touren. Eine andere Karriere habe ich nie in Betracht gezogen. Kann man denn von einem Job in der Musikbranche seine Miete bezahlen? Also klar ist, dass man in der Musikbranche so gut wie nicht reich werden kann. Es sei denn, man steht als absolut kommerzielles Produkt auf der Bühne oder im CDRegal. Darum ging es mir aber auch nie. Erst kommt die Musik und dann das Geld. Aber die Zeiten für die Musikbranche ändern sich gerade drastisch. Der Schwerpunkt hat sich im Business verlagert.

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usik ist mein Leben! Viele beanspruchen dieses Credo für sich, aber auf nur wenige trifft es so sehr zu, wie auf Jan Clausen. Der 35-jährige Hamburger ist ein Selfmademan. Als Tourmanager von Deichkind, Notwist und Eins Zwo jobbte er sich durch Booking- und Konzertagenturen, bis er im Jahr 2003 seine eigene Musikmanagement-Klitsche gründet: Queen About Music ist ein echtes Herzblutprojekt, mit dem Jan und sein Team Bands, Einzelkünstler und mittlerweile auch ganze Festivals betreuen. ‹Betreuen› heisst im Musikerjargon sich um alles kümmern: Transport, Unterbringung, Interviewtermine, Presseversand, Public Relations und und und. Unter anderem ist so auch seit 2005 das rekinki wortlaut

In welche Richtung? Wo früher noch die höchsten Umsätze mit CD-Verkäufen gemacht wurden, ist heute fast kein Geld mehr zu machen. Es hat sich umgedreht: Früher haben Musiker getourt und Konzerte gegeben, um ihre Platte zu pushen. Heute macht man eine CD, um die Konzerte zu promoten. Geld verdient man fast nur noch mit Live-Auftritten. Und genau das ist mein Tätigkeitsbereich. Ich organisiere Musikerlebnisse.

nommierte SPOT Festival in Arhus, der zweitgrössten Stadt Dänemarks, zu Jans Kundenstamm gekommen. Das Besondere am SPOT Festival: Es ist nicht nur eine der interessantesten Talentshows der pulsierenden dänischen Indie-PopSzene, sondern vor allem auch ein grosses Treffen für die gesamte Musikbranche. Journalisten, Produzenten, Musiker, Manager, Promoter, Booker – sie alle treffen sich jedes Jahr auf dem Festivalgelände in Bahnhofsnähe oder in einer der zahlreichen Live-Locations, die in der ganzen Stadt verteilt sind. Kurz vor dem Auftritt von Lars & The Hands of Light, die Jan auch unter seinen Fittichen hat, hat er uns zehn Minuten seiner Zeit für unsere Fragen geschenkt.

Klingt fast schon pathetisch. Welchen Stellenwert haben Festivals im Musikzirkus? Einen enorm hohen. Sie sind sowohl für Musiker, als auch für die Industrie höchst interessant: Man erreicht in einer genau definierten Zeitspanne eine grosses Publikum, ganz ohne Streuverluste. Das bedeutet, dass es keine direktere und damit bessere Möglichkeit gibt, die Leute mit 44

einem Produkt – Musik oder Werbebotschaft – zu erreichen. Dadurch kann man Synergien nutzen und deshalb finden die Veranstalter auch immer noch genügend Sponsoren für ihre Grossveranstaltungen. Gibt es denn nicht schon genug Festivals? Der Markt scheint noch nicht gesättigt zu sein. Ständig werden neue Festivals kreiert. Noch nie gab es so viele Musikevents mit mehr als 1000 Besuchern, wie zurzeit. Was sagst du als Kenner der Szene zur Schweizer Festivallandschaft? Die Schweiz gilt als absolutes Festivalland. Hier ist es den Veranstaltern besonders gut gelungen, kommerzielle Interessen, anspruchsvolle Musik und schöne Locations miteinander zu verbinden. Das Gurten Festival, Paléo, Montreux, aber auch das Lakeside Festival sind echte Perlen. Eines der sicherlich spannendsten und gleichzeitig entspanntesten Festivals in Europa ist aber immer noch das SPOT Festival in Dänemark – weil ich jedes Mal gleich mit mehreren neuen Lieblingsbands nach Hause komme. Wer so viel mit Musik zu tun hat wie du, hat bestimmt auch einen sehr distinguierten Musikgeschmack. Du wirst lachen. Selbst nach all den Jahren auf Konzerten und Festivals und den Tausenden von Bands und CDs, die ich mir anhören darf, habe ich immer noch dieselben Helden. Von meiner All Time Favourites-Liste sind zum Beispiel die Beastie Boys nicht wegzudenken … Text und Foto: Matthias Straub



Ruinierte Reise Mit fünf erhielt unser Autor einen Fotoapparat, um auf einer Griechenlandkreuzfahrt Bilder zu schiessen. 20 Jahre später entdeckt er die Fo­ tos wieder. Und realisiert: Die grösste Ruine auf der Reise war nicht der Palast von Knossos, sondern das schrottreife Schiff. Chronik eines Untergangs. Text und Bilder: Tin Fischer

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er Knirps auf dem Foto rechts bin ich. 5 Jahre alt. Das Schiff, auf dem ich stehe, ist mittlerweile gesunken. Die Reederei, der es gehörte, wurde aufgelöst. Das Land, in dem ich mich befinde (Griechenland), steht heute vor dem Bankrott. Das Fotolabor, von dem der Film in meiner Kamera stammte und das die Reise organisierte, gibt es nicht mehr. Über den Verbleib meiner Badehose weiss ich nichts. Es ist der 9. Mai 1988. Unser Schiff befindet sich auf der Überfahrt von Santorini nach Kreta, wo wir die Ruinen des Palasts von Knossos besichtigen werden. Meine Mutter hatte die Griechenlandkreuzfahrt gebucht, um uns an die Wiege der westlichen Kultur zu führen. Aber schaue ich mir heute die Fotos an, die ich damals selber geschossen habe, würde ich sagen: So richtig habe ich den Sinn von Ruinen und deren Besichtigung nicht verstanden. Kaum eine abgebrochene Säule habe ich fotografiert. Die einzige Venus-Skulptur, die ich auf Film verewigt habe, war eine welsche Rentnerin mit einem rot-weissen ‹Fotolabo Club›-Hut. Dem 3500 Jahre alten Delfin-Fresko im Palast von Knossos hatte ich die gleiche Beachtung geschenkt wie einem Fussballposter auf Mykonos von 1987.

Fahrt ins Ungewisse Die einzige ägäische Ruine, die einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen hatte, war unser Schiff. Nicht, weil das Durchschnittsalter der Passagiere so hoch war wie das der Zuschauer des ‹Traumschiff›. Das war 1988 noch normal. Schon im 19. Jahrhundert hatte Mark Twain auf einer der ersten Mittelmeerkreuzfahrten den Mangel an jungen – beziehungsweise jungen weiblichen – Passagieren beklagt. Kreuzfahrten waren bis vor kurzem Rentnervergnügen und der Sarg kinki report

ein so selbstverständliches Bordmobiliar wie der Deckchair (kein Witz). Nein, der erste, der auf einer Kreuzfahrt eine junge Frau aufgerissen hat (vergesst den Film ‹Titanic› – das gab es nie), war mein Bruder 1988. Wenn auch leider nichts aus der Liebe geworden ist. Er kam vom Bodensee und sie vom Lac Léman und die beiden waren mit drei Jahren zu jung für solche Distanzen. Unser Schiff war ein abgewrackter Säufer. Ruiniert und marode, früher vielleicht mal ein guter Sportler, aber die besten Tage hinter sich. Der Bug war schnittig, da gibt es nichts zu diskutieren. Die TSS Atlas wurde 1951 gebaut, um als Passagierfähre auf der Route Rotterdam-Le Havre-Southampton-New York möglichst schnell den Atlantik zu überqueren. Aber als 1958 die erste Boing 707 die gleiche Strecke über Nacht zurücklegte, war sie gewissermas­sen wie der Arbeiter, der durch einen Roboter ersetzt wurde. Sie versuchte sich als Kreuzfahrtschiff, einem neuen Gewerbe, in dem es einfach war, Geld zu verdienen. Doch bald nach unserer Reise wird sie auf die schiefe Bahn geraten und nur noch dazu dienen, Gesetze auszureizen. Als ‹Cruise to Nowhere›-Schiff aufs Meer hinausfahren und zollfreie Zigaretten verhökern und – weiss übermalt und mit leuchtenden Buchstaben beschriftet – am Ufer von New Orleans als Casino dienen, weil Glücksspiele an Land verboten sind. 2003 wurde sie zum Schrottwert verhökert, sank aber vor der Dominikanischen Republik. Auf dem Weg zum Schiffsfriedhof. Nicht besser erging es der Reederei Epirotiki Line. 1991 zerstörte eine Explosion ihr Flaggschiff im Hafen von Venedig. Kurz darauf sank ihre ‹Oceanos› vor der Küste Südafrikas. Der Kapitän ging in die Seefahrtsgeschichte ein, weil er mit seiner Familie in ein Rettungsboot gestiegen ist, dabei sämtliche 225 Passagiere auf dem sinkenden Schiff zurückgelassen hatte, und das dann auch noch begründete mit: ‹When I give the order to abandon the ship, it doesn’t matter what time I leave. Abandon 46

Der junge Foto­ graf auf dem Sonnendeck der TSS Atlas (rechts) und eines seiner Bilder aus dem Nachtleben von Mykonos (unten).


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Noch ist alles in Butter auf dem Kutter. Infolge von Explosionen und Kollisionen wird die Reederei in den n채chsten drei Jahren drei Schiffe an den Meeresgrund verlieren. kinki report

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is for everybody. If some people want to stay, they can stay.› Aus den Fluten gerettet wurden am Ende alle 225 Passagiere vom Zauberer und vom Bordgitarristen. Vielleicht ist es bloss eine literarische Metapher, wahrscheinlich aber menschliches Gesetz: Wenn die Kapitäne nur noch ins Wasser spucken und die Künstler das Kommando übernehmen müssen, dann ist es aus. Auf der TSS Atlas war es die für das Entertainment zuständige Pascale, die das Ende einläutete. Täglich hackte sie das Tagesprogramm in die Schreibmaschine: ‹DER KOMMANDANT, KAPITAN IOANNIS PAPADOPULOS, zusammen mit EPIROTIKI LINES, seine Offiziere und der ganze Besatzung, heissen Ihnen ein herzlicher ‹WILKOMMEN!› Der TSS ATLAS ist jetzt Ihre ‹zu Hause› und es ist unseren erlichste Wunsch, dass Sie jede Stunde an Bord vergnügen. Dass Ihren Kreuzfahrt gemutlicher Relax und bleibende Freundschaft gibt. ‹KALO TAXIDI› – GUTE REISE!!!!!!!!!!!› Pascale war mit ihrer Sprach­akrobatik auf der TSS Atlas das, was auf der Titanic die Bordkapelle war: der Choral der letzten Stunde. Was das Schiff an Freizeitaktivitäten längst nicht mehr hergab, versuchte sie mit Ausrufezeichen wettzumachen. ‹GRIECHISCHE ABEND mit TANZEN, LIEDER und MUSIKEN aus Griechenland›, schrieb sie am Sonntag den 8. Mai: ‹OPA!!! OPA!!!› Auch sie wusste, dass wir am gleichen Tag die Tür zum Innenpool auf dem untersten Deck aufgestossen und nur in ein rostiges Loch geschaut hatten, in dem ein Netz und eine weisse Styroporkugel hingen wie in einem verlassenen Affenkäfig. Dieses Bild hat sich tiefer in meiner Erinnerung eingeprägt als das Amphitheater von Ephesos.

Eine Ruine mit Rettungsboot Da stehe ich also, auf einer Ruine am Ende einer Ära, und fotografiere. Künstler lieben diesen Standpunkt. Nichts sieht so gut aus wie eine Ruine, nichts spielt sich besser als ein Säufer und nichts erzählt sich schöner als das Ende einer Ära. Auch meine Mutter war von den Ruinen angetan. An Land hatte sie mehr Bilder von abgebrochenen Säulen geschossen als von mir und meinem Bruder. Man müsste nun aber meinen, dass jemand, der jede Bruchstelle der Ruine des Palasts von Knossos fotografiert, auch von der TSS Atlas und ihrem verrosteten Innenpool nicht genug bekommen kann. Doch seltsamerweise hat meine Mutter all ihre Bordfotos so geschossen, dass vom Schiff höchstens ein Deckstuhl oder vielleicht noch ein Stück der Reling zu sehen ist. Die maroden Rettungsboote, die schimmligen Brötchen, unsere feuchte, fensterlose Innenkabine auf dem untersten Deck und die sonnenverbrannten Passagiere hatte sie stets ausgespart. Wahrscheinlich konnte nur ein 5-Jähriger, der das alles nicht persönlich nahm, diese Dinge fotografieren. Dass er die Bilder 20 Jahre später publizieren würde, ahnte glücklicherweise niemand. Literatur zum Thema: David Foster Wallace: ‹Schrecklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich› Kristoffer A. Garin: ‹Devils on the Deep Blue Sea: The Dreams, Schemes, and Showdowns That Built America’s Cruise-Ship Empires›

Der Mensch als Insel Dass die Reederei am Verrotten war, war das eine. Dass sie auch noch gedemütigt wurde, das andere. Zwei Israeli in Miami, Ted Arison und sein Sohn Mickey, waren mit ihrer Reederei Carnival gerade dabei, das Kreuzfahrtschiff neu zu erfinden. Als Megaliner. Gleich drei neue Schiffe hatten sie vom Stapel laufen lassen. Kreuzfahrt sollte nicht mehr Personentransport sein, sondern Grund dafür, auf dem Meer eine perfekte Kleinstadt zu bauen. Zwar wird das Harper’s Magazine David Foster Wallace – kurz nachdem er sein Buch ‹Unendlicher Spass› fertiggestellt hatte – auf eines dieser Schiffe schicken, auf denen selbst das kleinste Fusselchen keine Überlebenschancen hat, und er wird schreiben, dass all diese Kreuzfahrten etwas unerträglich Trauriges umgeben würde. Sinke Nachts der Spass- und Lärmpegel, befalle ihn ein Gefühl der Verzweiflung und der eigenen Bedeutungslosigkeit. ‹Sobald sich einmal der Reiz des Neuen und das Erstaunen über so viel Bequemlichkeit gelegt hat, macht sich Enttäuschung breit, Enttäuschung darüber, dass der ganze Aufwand keineswegs persönlich gemeint ist, sondern Teil eines Dienstplans›, schreibt er. Ob er mehr Gefallen gefunden hätte an der dienstplanlosen TSS Atlas und den Ausrufezeichen von Pascale, ist einerlei. Als er seinen Bericht schrieb, hatte Carnival Epirotiki bereits einverleibt. kinki report

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Zwei Ruinen: Amphitheater mit abgebrochenen Säulen in Kusada­ si (rechts) und Pooldeck mit Küchenkamin auf der TSS Atlas (unten). Ausser­ dem ein griechi­ scher Protagonist epischer Welt­ literatur: Tragflä­ chenboot aus dem ‹Was-ist-Was›Buch im Hafen von Piräus.


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‹querschläger› Alles, ausser angepasst. Der Stuntman René von Gunten bezeichnet sich selber gerne als ‹modernen Highlander›: Äusserlich wird er immer älter und innerlich immer jünger. ‹Live fast, die young› gilt deshalb bei ihm auch noch mit 49 Jahren.

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rgendetwas an René wirkt seltsam, als er mir an seinem Glastisch gegenübersitzt und meine Fragen beantwortet. Nebenan, im Wohnzimmer, haben sich mittlerweile seine Eltern eingefunden, um in einer knappen Stunde zusammen mit René vor seinem riesigen Fernsehbildschirm Zeuge zu werden, wie die Schweiz Fussballgeschichte schreibt. Doch ich kann mir einfach nicht vorstellen, wie René dort auf der Couch sitzen wird, kann mir nicht vorstellen, wie er in seinem runden Wasserbett liegt und sein Surroundsystem von der Kopfleiste aus steuert und genauso seltsam wirkt auf mich das Bild, als René mir auf seinem Stuhl gegenübersitzt. Renés Körper ist nicht zum Sitzen gemacht. Viel eher zum Stürzen, Fallen, Überfahren werden und für sonstige brenzlige Situationen. ‹Ich bin kein Hauruck-Typ›, erklärt René, als seine langen Beine uns mit schnellen Schritten durch einen Wagenpark aus neun Autos und unzähligen Motorrädern führen, ‹so ein Stunt will gut geplant sein.› Red Bull in der Linken, Zigarette und Schlüssel in der Rechten schlägt er gegen eine der Windschutzscheiben, über die er sich an den Wochenenden jeweils zu Demonstrationszwecken vor seinen Schülern wirft. Angefangen hatte alles vor 15 Jahren, als es René an seiner Tankstelle zu langweilig wurde, weshalb er sich kurzerhand entschloss, sich in Deutschland bei der Stuntfirma Action Concept zu bewerben. Bald schon folgte der erste 14-tägige Auftrag für die neu lancierte Fernsehserie ‹Alarm für Cobra 11›. Aus zwei Wochen wurden schliesslich mehr als elf Jahre, während denen René an Filmsets, in Hotels und Wohnwagen lebte, sich von Brücken und aus Helikoptern schmiss, sein Auto durch Flammen manövrierte und gegen Leitplanken setzte. kinki querschläger

Doch auch wenn René mittlerweile in der Schweiz mit seiner Stuntschule und verschiedenen Engagements für Shows, Werbespots und Events zumindest wieder einigermassen sesshaft geworden ist, prägt die Action nicht nur seinen langen drahtigen Körper, sondern auch die Wände seiner Wohnung. Poster und Zeitungsausschnitte zieren die Zimmer. ‹Meine Exfreundin lachte mich immer aus, bei mir sehe es aus wie bei einem Teenager›, grinst René und schämt sich ein bisschen für die Sternchen an seiner Schlafzimmerwand. ‹Aber im Kopf bin ich halt jung geblieben›, erklärt René und wirkt dabei durchaus zufrieden. kinki magazine: René, tut dir momentan gerade irgendwas weh? René von Gunten: Ich muss mir oft Sprüche von Gleichaltrigen anhören, die zu mir sagen: ‹Wenn du in unserem Alter am Morgen aufwachst und dir tut nichts weh, musst du froh sein.› Aber auf den Morgen, an dem ich aufstehe und mir tut nichts weh, warte ich seit 30 Jahren. Wenn mir nichts weh tut, habe ich irgendwie das Gefühl, ich habe nicht gelebt. Man legt den Stuntman-Beruf nicht um 5 Uhr ab wie eine Krawatte, das beeinflusst auch den Alltag: Wenn man mit Freunden durch die Stadt läuft, macht man hier mal einen Scherz und dort eine kleine Einlage, in der Stuntschule mache ich die Sachen auch alle vor, manchmal ohne Protektoren … Ich stehe nicht auf Selbstverstümmelung oder dergleichen, aber ein paar Blessuren gibt’s immer wieder.

man so viel unterwegs ist. Klar ergibt sich vielleicht ab und zu mal die Chance auf einen One-NightStand, aber das hatte ich zur Genüge, das brauche ich heute nicht mehr. Man ist durch den Beruf zwar vielleicht interessant, aber ich lege viel Wert darauf, dass eine Frau nicht an meinem Beruf, sondern an meiner Person interessiert ist – egal, ob die Beziehung nur für eine Nacht, oder längere Zeit hält. Es ist definitiv schwierig, als Stuntman eine längere Beziehung einzugehen, die ständige Distanz, die Sorgen, die sich der Partner vielleicht macht, allenfalls die Eifersucht, man kommt ja auch mit vielen Leuten in Kontakt …

gesagt, ziemlich Respekt vor Spinnen. Nicht, dass ich durchdrehen würde, aber wenn ich hier eine Spinne sehe, verlasse ich den Raum.

Wie sieht das denn aus mit dem Älterwerden in der Branche? Ewig wirst du diesem Beruf nicht nachgehen können. Es gibt viele Ausweichmöglichkeiten innerhalb der Branche, sei es als Stunttechniker, Stuntkoordinator, Actionregisseur. Es findet sich überall ein Türchen und als Stuntman ist man ziemlich vielseitig, auch handwerklich. Doch ich werde wohl auch mit 60 Jahren noch ein paar ‹Highfalls› machen, aber der Heilungsprozess dauert halt länger. Natürlich überlege ich mir daher heute noch genauer, ob ich dies oder jenes wirklich mache, ob es sich lohnt, noch einen draufzulegen, oder nicht.

Das gibt aber eine brutale Sauerei! Ja, das ist klar. Dafür kann dann jeder gleich ein Schäufelchen Erde draufwerfen. Etwas makaber vielleicht, aber gut aussehen würde es bestimmt (lacht).

Wovor fürchtest du dich denn am meisten? Vor der Blödheit der Menschen und gewissen Politikern. Wenn ich die Zeitung aufmache und überall Meldungen über verrückte Fussballfans lese, die sich über den Haufen knallen, weil die falsche Mannschaft gewonnen hat, über Terroristen und Umweltkatastrophen, das macht mir Angst. Und ganz persönlich habe ich, ehrlich

Mit deinem Beruf kommt man sicherlich toll an bei den Frauen, oder? Jein. Am Anfang dachte ich mir das auch, aber ich habe dann schnell gemerkt, dass es schwierig ist, eine Partnerschaft einzugehen, wenn 52

Wenn du dir das aussuchen könntest: Wie würdest du gerne sterben? Es sollte nicht wehtun, das ist wichtig. Angenommen, ich hätte noch eine Stunde auf dieser Welt und die Freiheit, das Leben auf meine ganz persönliche Art und Weise zu verlassen, dann würde ich vielleicht schon was Spektakuläres machen: Aus 60 Metern direkt in meinen eigenen Sarg springen, vielleicht, während die Trauergäste schon ums Grab stehen.

René von Gunten lebt im Kanton Bern. Er hasst Filme ohne Happy End. ‹Der Profi› mit Jean-Paul Belmondo hat er sich aus diesem Grund noch nie angeschaut. Schwach, bzw. sesshaft zu werden, kann sich der ‹Highlander 2010› übrigens schon vorstellen. Zum Beispiel dann, wenn ihm eine Frau wie Michèle Hunziker über den Weg laufen sollte. Text und Interview: Rainer Brenner Foto: Daniel Tischler


‹Wenn mir nichts weh tut, habe ich das Gefühl, ich hätte nicht gelebt.›

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Lyuba Sautina

Pas de deux

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flickr.com/photos/sautina/ 59


Kann Maschine Sünde sein? Wie man als junge Band ziemlich schnell ziemlich steil geht, führen uns When Saints Go Machine aus Dänemark gerade exemplarisch vor. Auch wenn ihr Debüt-Album ‹Ten Makes A Face› gerade erst erschienen ist, stehen die vier Ko­penhagener dieses Jahr neben den Gorillaz als Opener auf der Orange Stage des Mammut-Festivals in Roskilde. Text: Kai Eisele, Interview: Matthias Straub

Mechanische Schale, organischer Kern: When Saints Go Machine um Nicolaj Vonsild (2.v.l.).

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ut besuchte Festivals sind eine bedeutende Sprosse auf der Karriereleiter von jungen Bands. Das wissen When Saints Go Machine spätestens seit ihrem Auftritt im Volkshuset beim diesjährigen SPOT Festival im dänischen Aarhus, wo die junge Band als Geheimtipp gehandelt wurde und sich die lokale Presse im Anschluss vor Lobhudelei fast überschlug. Dabei ist ihr oft sphärischer Sound eigentlich auch ziemlich discotauglich und würde genau so gut in einen New Yorker kinki musik

Undergroundclub passen. Angesiedelt zwischen Elektro, Alternative und Diskopop, sorgen vor allem die souligen Vocals von Nikolaj Manuel Vonsild dafür, dass die extrem tanzbaren Songs sehr eigenständig klingen und sich trotzdem wohl jeder ohne grössere Eingewöhnungszeit mit den dänischen Klangbastlern anfreunden kann. kinki magazine hat nach dem Konzert mit Nikolaj gesprochen, der mit einem glückseligen Lächeln über die Vorzüge und Bedrohungen der Technisierung in der Musik berichtete. 60


kinki magazine: Hallo Nicolaj. Reden wir über Technik. Was passiert, wenn Heilige zu Maschinen mutieren? Werden sie dann zu Sündern? Nicolaj: Das weiss ich nicht. Aber im Bezug auf unserem Bandnamen untersuchen wir letztendlich mit unserer Musik genau diese Fragen: Was passiert, wenn sich das warme Organische mit dem kalten Maschinellen verbindet? Was entsteht daraus? Ist uns das neue Produkt wohl gesonnen oder sollten wir Angst davor haben?

‹Alles zieht so rasch vorüber.› Der technische Aspekt ist doch sehr wichtig

Welche Rolle spielt das Internet für die Entwicklung neuer Ideen und Musik? Im Internet liegt eine ganze Menge möglicher Inspirationen für uns. Man kann dort alles finden. Das ist natürlich spannend! Mir macht einfach nur die Geschwindigkeit ein bisschen Angst. Es gibt so viele neue Bands und alles zieht sehr schnell vorüber. Und die Leute interessieren sich nicht mehr so sehr für ganze Alben, sondern nur noch für einzelne Tracks, die sie irgendwo runterladen. Das ist doch eine Schande. Die ganze Dramaturgie geht dann verloren. Daher auch unser Albumtitel, weil wir glauben, dass erst die zehn Stücke in ihrer Gesamtheit und der vorgegebener Reihenfolge das Werk vollenden. Siehst du denn auch Gefahren in der Tech­ nisierung des Alltags? Ich bin der einzige in der Band, der kein iPhone besitzt und ich möchte auch wirklich keines. Wenn wir mit dem Tourbus unterwegs sind, schauen alle andauernd nur auf ihr Display und keiner blickt mehr aus dem Fenster. Leute checken ihre Mails beim Essen und können sich kaum noch auf das Gespräch konzentrieren. Das stört mich. Vielleicht ist das auch deshalb so, weil diese Phänomene alle noch relativ neu sind. Technische Gadgets sind doch eigentlich Dinge, die man nutzt, um sich

das Leben einfacher zu machen und um mehr Raum zu haben, über das Wesentliche nachzudenken. Was mir allerdings aus mu­ sikalischer Sicht an der ganzen Elektronik gefällt, ist, dass sie keine Fehler macht. Manchmal passieren dadurch komische Sachen, die unsere Art musikalisch zu arbeiten verändert. Verstehst du dich selbst eher als analoger oder als digitaler Typ? Das ist schwer zu sagen. Man kann einen Song aus verschiedenen Richtungen angehen. Ein computergenerierter Loop, den ich gerne einsetze, ist wohl Digitalismus in seiner reinsten Form. Die Maschine arbeitet für dich. Andere Songs entwickeln sich aus einem analogen Gitarrenriff heraus und die digitale Bearbeitung kommt erst später hinzu. Dieses Spiel kann hin- und hergehen, bis man sich einer Klang­ atmosphäre annähert, die einem gefällt. In diesem Prozess passiert oft etwas Unerwartetes. Das ist für mich dann die beste Verschmelzung der analogen mit der digitalen Welt. kinki magazine verlost 5 CDs des DebütAlbums ‹Ten Makes A Face› von When Saints Go Machine. Einfach eine Mail mit dem Betreff ‹Maschine› und deinen Kontaktdaten an wettbewerb@kinkimag.ch senden. Foto: Promo

www.marlboro.ch

für eure Musik, oder? Ja, wir sind alle zuerst einmal Produzenten, die mit dem Computer arbeiten und an zweiter Stelle erst Musiker, die ‹echte› Instrumente spielen. Mit technischen Mitteln kann man den typischen Bandinstrumenten, wie Gitarre, Bass und Schlagzeug ein neues, ungewohntes Leben einhauchen. Auch die ganze Sache mit dem Remixen ist eine interessante Ent­ wicklung, wie man sich mit Musik beschäftigen kann. Leute aus dem Clubkontext kennen oft zuerst den Remix und interessieren sich aber dann für das Original. Dieser Mechanismus hat uns geholfen, Aufmerksamkeit zu bekommen. Wir haben unsere ‹rohen› Songs zum Bearbeiten angeboten. Die daraus entstandenen Remixes wurden zuerst in Clubs gespielt und auf

Umwegen kamen so die Hörer dann zurück zur Originalversion und uns als Band.

SOFT TASTE

GOLD ADVANCE * Die Menge an Teer, die Sie inhalieren, variiert, je nachdem, wie Sie die Zigarette rauchen. La quantité de goudron que vous inhalez dépend de la façon dont vous fumez la cigarette. La quantità di catrame inalata varierà in base al modo di fumare la sigaretta.

Rauchen fügt Ihnen und den Menschen in Ihrer Umgebung erheblichen Schaden zu. Fumer nuit gravement à votre santé et à celle de votre entourage. Il fumo danneggia gravemente te e chi ti sta intorno. 61


‹vorspiel› Musiker erklären ihre Songs.

1.

Ed Harcourt : Lustre

A Secret Society:

Ein zynischer Mensch zu sein, bietet immer gute Munition für den Angriff auf vollkommenes Glück. Auf das Wort ‹Lustre› stiess ich zum ersten Mal, in William Shakespeares ‹King Lear› – ‹Out, vile jelly! Where is thy lustre now?› – ein eher verdrehter Beschleuniger für so einen fröhlichen Song. Ich liebe das Arrangement und die Tatsache, dass die Langley Sisters das Album beginnen.

Das ist mein Bekenntnis: Ich liebe London, aber die meiste Zeit möchte ich am liebsten auf einer Farm inmitten vom Nirgendwo leben, mit vielen Kindern und Katzen, auf einer Veranda sitzen und selbst gebrannten Schnaps trinken. Wir habe viele meiner Vocals durch kleine Verstärker aufgenommen, um diesen sandigen Effekt zu erreichen.

2.

Haywired: Das war der erste Song, den wir in Bear Creek aufgenommen haben. Es war grossartig in einer Scheune aufzunehmen und ich wollte, dass Raifes Drums klingen wie die von John Bonham. Den Song schrieb ich über meine Frau. Es ist der älteste auf dem Album – von 2006!

3.

Church Of No Religion: Ich besuche regelmässig die Kirche. Das ist mein hoffnungsvolles Zen, meinen Atheismus aufzugreifen … Es ist wichtig, eigene Entscheidungen zu treffen und nicht von kollektiven Gedanken beeinflusst zu werden. Ich bin ganz für das Individuum, ich sang davon die ganze Nacht in der Dunkelheit – wir haben uns nicht ohne Grund viel von The Zombies angehört.

4.

Heart Of A Wolf:

E

s fliesst. Das Gefühl, die Passion, die dich dazu bringen, weiterzumachen und nicht aufzugeben. Es sprudelte aus mir heraus, meint Ed Harcourt. Ein Mann, der seiner Musik sehr nahe zu stehen scheint. Inspiriert von der Geburt seiner Tochter, veröffentlichte er vor kurzem sein bereits fünftes Album mit dem Titel ‹Lustre›. Ein Begriff, den er mit dem Leuchten in den Augen eines Manns verbindet, der etwas gefunden hat, für das es sich zu leben lohnt. Die Platte des stolzen Vaters und Sohns eines Diplomaten ist eine glasklare musikalische Verarbeitung der Gefühls- und Gedankenwelt des Künstlers selbst. In seiner Jugend besuchte Ed verschiedene Internate, merkte aber schon bald, dass er etwas anderes will, als zu studieren: nämlich Lieder schreiben. Nach einigen Jahren in einer Indie-Band namens Snug merkte er jedoch, dass er nicht dafür ge-

kinki vorspiel

Dieser Track wurde in einer alten Aufnahmezelle im Studio aufgenommen, die eigentlich auf dem Empire State Building stehen sollte. Elvis hatte seinen ersten Song in dieser Zelle aufgenommen. Und ich benutzte das Mikrofon, das einem Typen aus Long Island gehörte, der in Frank Sinatras Band gespielt hatte! Oh, die Geschichte! Das Loop besteht übrigens aus den Clicks einer Pistole. Natürlich nicht aus meiner eigenen Pistole. Noch ein Song für meine Frau.

macht ist, im Kollektiv zu musizieren. Ed wird also erstmal Koch. In der Küche hat er viel Zeit, um über Songtexte nachzudenken und im Jahr 2000 finden seine Demotapes dann endlich den Weg zu einem Label, wo sie auf interessierte Ohren stiessen. Daraus entstand ein Mini-Album, das Ed grösstenteils bei seiner Grossmutter auf seinem Vierspurrecorder aufgenommen hatte. Fortan ging es bergauf und mit seinem ersten ‹grossen› Album ‹Here be Monsters› auf Heavenly Records wurde er für den Mercury Music Prize nominiert. Zehn Jahre später, aufgenommen im Bear Creek Studio im Norden Seattles, ist ‹Lustre› wohl das ‹feinste› Ed Harcourt-Album seit seinem Debüt von 2001. Vollgepackt mit emotionalen, ja fast romantischen Songs, erinnert das Album an den Soundtrack eines autobiografischen Liebesfilms – Regie und Komposition: Ed Harcourt.

5.

Do As I Say Not As Do: Als ich dieses Piano einspielte, dachte ich an Steve Reich. Ich mag die Idee subtiler Avantgarde-Einflüsse in Popsongs. Ein feiner Bezug auf die Wichtigtuerei der Politiker und deren verrückt aufgeregte Desillusion.

6.

Killed By The Morning Sun: Dieser Song wurde live eingesungen, sehr organisch, viel mehr als meine ersteren Aufnahmen. Es geht um den Moment, wenn du die ganze Nacht auf warst, und die Sonne dich am Morgen zu zerstören droht! Das erinnert mich an John Donnes Gedicht ‹The Sun Rising›, in dem er die Sonne beschimpft, weil sie ihm und seiner Geliebten folgt.

7.

Lachrymosity: Ich habe ein Wort erfunden! Ich schrieb diesen Song, nachdem ich EMI verlassen habe. Ich befand mich damals, ehrlich gesagt, mitten in einem selbsthassenden Zustand. Das merkt man dem Song auch an.

62

8.

Lustre :

9.

When The Lost Don’t Want To Be Found: Bei diesem Song dachte ich an Roy Orbison in einer dunklen Gasse, zusammen mit Mark Lanegan … Noch ein Song, bei dem der Mann von der Frau gerettet wird. Männer können wirklich mürrische Bastarde sein. Nun, dieser hier kann es auf jeden Fall.

10.

So I’ve Been Told: Ich sang diesen Song eines Nachts unten am Fluss. Für die Redwood-Bäume und die Grillen, Wasser versickerte … Sowas kann man nicht nochmals wiedergeben. Dazu spielte Joe Hadlock, Rhyans Vater, Akkordeon. Ich malte einige Bilder und verteilte sie an alle. Trevor, der Ingenieur, bekam eines davon, auf dem einfach nur BOOM steht!

11.

Fears Of A Father: Dieses Lied habe ich geschrieben, als meine Frau schwanger war. Es ist ein offener Brief an meine Tochter. Ich bin sehr stolz auf die Orgel in diesem Track. Ich versuche nur ein besserer Mann zu sein. Denn am Ende dreht sich eben doch alles um die Liebe.

Ed Hardcourt – Lustre (Piano Wolf) ist bereits erschienen. Text: Antonio Haefeli Foto: Promo


S C I S S O R

S I S T E R S

INCL. THE HIT SINGLE

FIRE WITH FIRE OUT NOW!

www.scissorsisters.com www.universalmusic.ch


Starstruck Dass ein Interview mit der charismatischen Singer / Songwriter-Legende Daniel Johnston keine leichte Sache ist, war mir klar. Doch ein bisschen mehr als drei Minuten wären dennoch schön gewesen … Text und Interview: Rainer Brenner, Fotos: Yves Suter

A

ls ich um drei Uhr in der Früh auf leisen Sohlen meine Wohnung betrete, packe ich das weisse T-Shirt mit dem lustig grinsenden Monster aus meiner Tasche und überlege mir, wo ich es denn nun hinwerfen soll. Nach rechts in den Wäschekorb? Oder nach links, in die Mülltonne? Ich frage mich, warum ich dieses Ding gekauft habe, nach all den Enttäuschungen des heutigen Tages. Ein kurzer Blick auf den Display meines Diktiergeräts erzählt mir mehr über Daniel Johnston, als er selbst es getan hat. 3:02 steht dort. Nicht mehr und nicht weniger. Doch was war der Grund für diese magere Ausbeute? Ist Mister Johnston psychisch einfach zu labil? Hatte er einen schlechten Tag? Oder nützt er seine Situation einfach schamlos aus?

1. Daniel geht es schlecht Als wir mit fünf Minuten Verspätung um 17:05 vor dem Fri-Son anbrausen, haben wir ein ordentlich schlechtes Gewissen: Wartet er vielleicht schon ungeduldig auf uns? Ist er schon wieder gegangen? ‹Nein, er ist noch gar nicht da, Daniel ist noch im Hotel, es geht ihm nicht so gut›, lässt uns der grossgewachsene schlaksige Tourmanager wissen und entschuldigt sich für unser schnelles Atmen, das wir von der rasanten Fahrt durch die Innenstadt mitgebracht haben. ‹Ihr könnt ihn gerne nach dem Abendessen interviewen, so gegen sieben, okay?› Okay. Etjen scheint diese Worte nicht zum ersten Mal auszusprechen, dennoch scheint ihm die Situation alles andere als angenehm zu sein. ‹Sorry guys. Nehmt euch doch einen Kaffee.› Es folgt ein Spaziergang durch die Stadt, bei welchem ich mich frage, wie viel von Herrn Johnston wohl nach Jahrzehnten zwischen medikamentösen Behandlung und künstlerischem Erfolg, Verfolgungswahn und Ikonenstatus übrig geblieben ist. Anekdoten und Gerüchte über Daniels Leben finden sich im Internet wie Sand am Meer. Doch irgendwie scheinen die privaten Tragödien und Miseren seinem künstkinki musik

lerischen Erfolg keinen Abbruch zu tun: Seine Zeichnungen werden in höchstrangigen Museen ausgestellt, seine Monster haben es gar auf den Screen eines iPhone-Spiels geschafft und seine minimalistischen Songs werden von praktisch jedem erdenklichen Star der Indieszene bewundert oder gecovert. ‹Ich bin ein Halbmillionär!›, verkündete er vor zwei Jahren fröhlich, aber zitternd in einem Fernsehinterview mit einer Plastikschüssel in seiner Hand. Er kriege viele Briefe, Zeichnungen und Mails von geistig verwirrten Leuten, lacht Johnston dort. ‹Aber die sollen mir Geld schicken, Briefe und Geld, das ist es, was ich brauche.› Nach unserem kleinen Spaziergang durch Fribourg schauen wir uns zusammen mit einer Handvoll bebrillter Fans den Film ‹The Devil and Daniel Johnston› an. Wir setzen uns auf lieblos drapierte Plastikstühle und verfolgen die Dokumentation mit Erstaunen, Entsetzen und Unglauben. Daniel als hochbegabter, aber seltsamer Teenager, Daniel als unglücklich verliebter Songwriter, Daniel als psychisches Wrack, Daniel als Superstar auf MTV, Daniels T-Shirt an Kurt Cobains Brust, Daniel als schwieriger, aber geliebter Sohn, Daniel und der Teufel … Kurzum: Daniel zwischen Genie und Wahnsinn. Als wir um kurz nach acht Uhr in den Backstagebereich vorgelassen werden, erspähen wir Johnston in gekrümmter Haltung auf der Terrasse des Clubs stehend. Der glühende Zigaret­ tenstummel, den er soeben ins nasse Gras geworfen hat, scheint ihm Sorgen zu bereiten. ‹Vielleicht sollte ich ihn lieber holen, oder?›, fragt Johnston ein Bandmitglied des Beam Orchestras, das ihn musikalisch auf seiner Tournee begleitet und durch die ungewohnte Instrumentierung seine Stücke in ein ganz neues Licht rückt. Doch unser Weg führt nicht direkt zu Johnston, der in seinem zu kurzen Pullover und seinen dreckigen Trainerhosen wirklich nicht gerade so aussieht, wie man sich einen ‹Halbmillionär› vorstellt, sondern zur Hand seines Bruders Dick. Mit seinem sorgfältig getrimmten Bart und seiner zugeknüpften Windjacke wirkt er wie das komplette Gegenteil seines Bruders und passt 64


Well, you heard about the time I climbed the Empire State Building And you heard about the time I was in the insane asylum

But I bet you never knew What I had to do And what I went through Just to bring you a lonely song

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irgendwie so gar nicht ins laute Treiben des versprayten Backstagebereichs, wo gerade die Teller abgeräumt werden. Er begleitet Daniel auf seiner Tour, seit der Vater diese Rolle nicht mehr übernehmen kann, und zeigt sich interessiert an den Sitten und Vorzügen unseres Landes, sowie an unserer Arbeit. ‹Diese Herren hier würden sehr gerne mit dir sprechen, Daniel, lass uns doch ins Zimmer da hinten gehen, dort seid ihr ungestört.› Daniel blickt nach hinten, unsere Gesichter hat er sich noch nicht angesehen. Und als wir das Zimmerchen erreichen, wo ein neu erstandenes Beatles-Buch auf dem Tischchen liegt, lässt er sich in den Sessel fallen und kratzt sich abwesend in seinen Bartstoppeln. Dick verlässt den Raum.

If you listen very hard You can hear the despera­tion of a sad and broken heart My heart

kinki magazine: Mister Johnston, wie war Ihr Tag? Daniel Johnston: Äh, ich kann mich ehrlich gesagt nicht erinnern. Ich bin wohl durch die Stadt gelaufen, habe mir ein bisschen Musik gekauft … Was haben Sie sich gekauft? Keine Ahnung, ich erinnere mich nicht. (D.J. murmelt vor sich hin, er scheint sich über unseren Interviewtermin aufzuregen, doch ich kann die Worte auch beim zehnten Mal durchhören nicht verstehen. Nur das ‹Just kidding› am Schluss klingt einigermassen verständlich). Da Johnston mir nicht direkt in die Augen blickt, entschliesse ich mich, meinen Blick ebenfalls weg­zurichten. So sprechen wir beide in die leere Mitte des Raums. Okay, ähm, ich habe mir vorhin im Nebenraum zusammen mit all den anderen Leuten den Film über Ihr Leben angesehen, während Sie hier Backstage Ihr Abendessen zu sich nahmen. Ist das nicht eine ziemlich seltsame Situation für Sie? Ahh, ja, sehr, sehr seltsam! Fragen Sie sich manchmal, warum die Leute so fasziniert von Ihnen sind? Naja, die Leute sind fasziniert von der Welt der Stars. Starstruck, halt. Ich kann’s manchmal selber nicht glauben, wie verrückt die Leute sind, keine Ahnung.

Well, you heard about the time But not all of it is true And you’ve read the magazines I’ve been wounded by folklore

Unter Ihren Cartooncharakteren finden sich ziemlich skurrile Figuren. ‹Ratzoid› zum Beispiel, das ist eine Nazi-Ratte, die gegen böse Juden kämpft, oder? Mhm. Woher kam die Inspiration zu dieser Figur? Ich wollte eigentlich Mickey Mouse zeichnen, dann habe ich sie ein bisschen anders aus­ sehen lassen, und … naja, so ist dann diese Figur entstanden. Daniel schwitzt. Seinen Worten zu folgen ist praktisch unmöglich, und ich kann nur hoffen, dass sie auf dem Diktiergerät etwas deutlicher klingen werden. Auf seine Antworten reagiere ich wie ein Tourist in einem fremden Land, der nicht unanständig erscheinen möchte, obwohl er kein Wort von seinem Gegenüber versteht, und kinki musik

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deshalb ständig lächelt. Ich befinde mich in Daniel Johnstons Welt. Aber nicht mehr lange.

2. Daniel hat einen schlechten Tag Wir waren vom Label vorgewarnt worden: Wenn Johnston einen schlechten Tag hat, so wird er euch vielleicht gar kein Interview geben. Das Risiko müsst ihr eingehen. Umso zufriedener schätze ich mich, als ich langsam zum mittleren Teil meines Interviews vordringe: kinki magazine: Würden Sie Ihre Kunst als provokativ beurteilen? Daniel Johnston: Ich würde sagen … Ich brauche mal eine Zigarette, okay? Ähm, okay. (Dick tritt zur Tür ein:) Wo ist er hin? Er wollte eine Zigarette rauchen gehen. Keine Ahnung, wo er hin ist. Hey! Wir haben ihn in eure Obhut gegeben, wenn wir ihn jetzt nicht mehr finden, ist das eure Schuld! Oh, nun ja, er ist einfach gegangen … Just kidding … Johnston ist weg. Seine kleine Gitarre und sein Beatles-Buch hat er zurückgelassen, was mich irgendwie doch einigermassen beruhigt. So finden wir ihn denn auch unweit des kleinen Zimmerchens neben einem Aschenbecher sitzend, mit einer glimmenden Zigarette in seinem Mund. Er habe keinen guten Tag heute, erfahren wir vom Tourmanager und Dick. Bisher sei die Tour ganz gut verlaufen, so schlimm sei’s auf jeden Fall noch nie gewesen. Sie hätten heute Mittag eine kleine Auseinandersetzung gehabt, meint Dick, nachdem ihn Daniel unsanft zur Seite stösst, seine Gitarre und sein Buch greift und beleidigt an uns vorbeistapft. Seltsam kommt uns nur vor, dass die Mitglieder des Orchesters sich an diese Situation gewöhnt zu haben scheinen. Wie ein Geist schlurft Johnston durch die Gänge, wer ihm über den Weg läuft, der blickt zu Boden, an die Wand oder sonst wo hin. Ob er denn wohl in diesem Zustand spielen könne, fragen wir den besorgten Tourmanager, der nervös seinen Kopf kratzt und mit einem Schulterzucken antwortet. So schlimm sei es nun wirklich noch nie gewesen, noch nie.

3. Daniel verarscht uns alle

But I bet you never knew What I went through And what I had to do Just to bring you a lonely song

‹Und, wie viel Zeit hattet ihr?›, fragt uns die Verkäuferin des Merchandisestands lachend, als wir mit verwirrter Mine an ihren Stand treten, um uns – ‹starstruck›, wie auch wir es sind – das geschichtsträchtige T-Shirt zu kaufen, bevor die 50 bebrillten Damen und Herren im Nebenraum uns die tragbaren Grössen wegschnappen würden. Ich lächle und überreiche ihr schweigend den Geldschein. Der Tourmanager tritt mit schnellem Gang zu uns. Es tue ihm leid, er selbst fände das überhaupt nicht in Ordnung. Daniel tue 67


das immer und immer wieder. Noch einmal klopft er uns auf die Schulter und verabschiedet sich mit einem weiteren ‹Sorry guys. Probiert’s doch nachher nochmals› hinter die Bühne. Eine halbe Stunde und zwei entspannende Becher Bier später wagen wir einen zweiten Versuch. Diktiergerät und Fotoapparat im Anschlag, finden wir Daniel dort vor, wo wir ihn zurückgelassen hatten. Daniel sitzt in einer Rauchwolke. Die Ankündigung ‹Ich geh mal eine rauchen› scheint für Johnston wohl nicht dieselbe Zeitspanne und Nikotinmenge zu umfassen wie für andere Menschen. Der Fotograf versucht ihn zum Aufstehen zu überreden, damit uns wenigstens ein Foto von ihm bleibt, doch Johnston hält sich die Hand vors Gesicht und schliesst seine Augen. Sein Bruder versucht ihm gut zuzureden: ‹Diese Jungs sind weit gefahren und haben lange auf dich gewartet, Daniel.› Doch Johnston meint, er müsse noch für seinen Auftritt üben (Daniel Johnston und üben?). Er klaubt eine weitere Zigarette aus seinem Päckchen und steckt sie sich an, ohne nur einmal aufzublicken. kinki magazine: Wie wichtig ist die Komponente des Humors in Ihrer Arbeit, Herr Johnston? (Daniel Johnston murmelt) Hmm, hmm. Im Film, den man über Ihr Leben gedreht hat, ist Humor scheinbar kein Thema, doch soweit ich das beurteilen kann, würde ich sagen, Sie haben einen grossartigen Sinn für Humor. (D.J. raucht und lächelt.) Auf Wiedersehen, Mister Johnston. Er wird nicht auftreten können, nicht in diesem Zustand, bin ich mit dem Fotografen einig. Und ja, es ist schade, dass man Johnston in einem so schlechten Licht abbilden musste. Rauchend, kaputt und müde. Darf man das überhaupt?, fragen wir uns und warten gespannt auf den angekündigten Auftritt. Dabei sind wir uns sicher, dass wir mehr wissen, als all die Leute, die sich nun schweigend vor der Bühne eingefunden haben. Daniel wird nicht kommen. Zehn Minuten später steht Johnston auf der Bühne. Es ist ein grandioser Auftritt, und als wir gegen ein Uhr den Konzertsaal verlassen und an seinem Tourbus mit der Aufschrift ‹Starstruck› vorbeilaufen, fühle ich mich einfach nur verarscht. Wohin nun also mit dem T-Shirt? In den Müll oder auf die Wäsche? Als ich den weissen Stofffetzen ausbreite und mir das stieläugige Selbstporträt von Daniel Johnston ansehe, das mich mit grossen Lettern ‹Hi, how are you?› fragt, muss ich schmunzeln. Ich lege das Leibchen sorgfältig zusammen und in den Schrank. Wir hatten wohl einfach einen schlechten Tag …

Well, I’ll tell you right now Just to set the record straight I never meant no harm Or to generate so much hate

But I bet you never knew What I went through And what I had to do Just to bring you a lonely song

Lyrics: ‹A Lonely Song› by Daniel Johnston

kinki musik

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DER VIDEOCLIP ZUM RADIO-SONG LIVE AUF: WWW.105.CH RADIO 105 EMPFÄNGST DU AUCH IM KABELNETZ IN DER GANZEN DEUTSCHSCHWEIZ: BS 103.9, BE 105.6, LU 101.7, SG 105.3, ZH 105.1 ODER AUF UKW 93.0 FM


‹verhör› Essentielle Alben für jede Lebenslage. Auch diesen Monat haben wir uns natürlich wieder ein bisschen umgehört. Jemand hat sich dabei sogar fast um den Verstand gehört. Und das alles nur, um auch diesmal wieder einer unerhört anspruchsvollen Hörerschaft mit einer fein bedachten Auswahl an Hörbarem, Gehör zu verschaffen. welcome to wonderland

Ellen Allien: Dust

Die Gesetze von Zeit und Raum gelten anscheinend nicht für alle auf diesem Planeten. Anders ist nicht zu erklären, woher Ellen Allien schon wieder besagte Zeit genommen hat, um ein weiteres elektronisches Glanzstück abzuliefern. Denn neben der Arbeit im Studio ist Ellen Allien nonstop auf der ganzen Welt in Sachen Elektromissionierung unterwegs. Dabei zeigt sie in den geilsten Clubs regelmässig den eigentlichen Residents, wo die TechnicsNadeln hängen. Ach ja, daneben wird noch ein Label wie BPitch Control erfolgreich geführt und als Modedesignerin gearbeitet. Auf dem fünften Album zeigt sich Ellen Allien nun erstaunlich verspielt und neugierig. Den eher soften Soundstrukturen auf dem Vorgängeralbum ‹Sool› folgt ein innovatives Kaleidoskop aus Synthie-Pop, Disco und Minimal House. Hier mal eine Klarinette wie in dem Track ‹My Tree›, dort eine schnörkellose Bassline wie in ‹You›. Verlassen wird sich nur auf das Neue, das bisher Unbekannte, wenn auch jede Menge Gitarren und Bläser als weitere Mosaikteile in die Tracks eingeschraubt werden. Dazu der fortwährend kinki verhör

Trentemøller hätte sicherlich Nachhilfe in Sachen Weitsichtigkeit geben können. Kaum ein anderer Musiker vermag momentan so viel Raum in seiner Musik zu transportieren. So ist der musikalische Blick von ihm auch auf dem neuen Album auf endlos gestellt. Ausgedehnte Flächen, meist femininer Whisper-Gesang und wieder mal grandiose Melodien sind das ätherische Gerüst für die neuen Stücke auf ‹Into The Great Wide Yonder›. Dazu kommt aber diesmal eine Portion Dramatik, die das Album von seinem Vorgänger ‹The Last Resort› unterscheidet. Mitunter antreibende Gitarren- und Schlagzeugparts geben den Stücken mehr Biss und Richtung. Alles wirkt analoger und organischer. Auch weil Trentemøller im Handgepäck seiner elektronischen Stücke immer eine Hand voll Folk versteckt, den er liebevoll über die Tracks verstreut, beispielsweise in ‹Neverglade› oder dem betörend schönen ‹Tide›. Die Platte ruft durchgehend eine intime Stimmung hervor, die beim Hörer aber nie das Gefühl des Voyeurismus erzeugt. Stattdessen fühlt man sich eingeladen und geniesst speziell auch die Vocals. Bei denen zeigt Trentemøller sein nächstes Talent, das sich in einem stilsicheren Casting der Gastsängerinnen offenbart. So fügt sich der magische Gesang der Dänin Marie Fisker perfekt in den Song ‹Sycamore Feeling› ein, während man in weiteren Stücken den ebenfalls aus Dänemark stammenden Sängerinnen Solveig Sandnes und Josephine Philip von Darkness Falls lauscht. Vier Jahre liegen zwischen dem jetzt erscheinenden Album und der letzten Platte. Trentemøller

gehauchte Sprechgesang der Musikerin und fertig ist das neue ‹Ellen Alliens Wunderland›. Auffällig ist, dass Ellen Allien auch das Mic immer stärker entdeckt. Beschränkte sich die Stimme bisher auf gehauchte Sprachfragmente, so singt sie diesmal mitunter ganze Strophen oder Refrains. Das Cover, auf dem sich Ellen Allien chromfarben und mit geschlossenen Augen von Staub umwirbelt präsentiert, ist also stimmig gewählt. Ellen Allien ist auf ‹Dust› mehr denn je ausgependelt und ruht in sich. Genau dadurch kommt sie aber immer weiter voran. Wer ein hartschnaufendes DJAlbum erwartete, das an die treibenden Sets von Ellen Allien erinnert, wird mit ‹Dust› seine Probleme haben. Die Platte ist nicht für die Peak Time im Club – eher für die Afterhour oder für die Kopfhörer auf der Couch.

folktronica is the jam

Trentemøller: Into The Great Wide Yonder

Als vor wenigen Monaten der Klimagipfel in Kopenhagen an der Sehschwäche der Politiker für die Zukunft scheiterte, wäre die Rettung recht nah gewesen. Der in der Stadt lebende Musiker Anders 70

schrieb in der Zwischenzeit unter anderem den Soundtrack für einen dänischen Thriller und scheint an dieser Arbeit Gefallen gefunden zu haben. Denn ‹Into The Great Wide Yonder› versprüht stets auch die cineastische Stimmung eines Roadmovies, bei dem aus den heruntergelassenen Scheiben des Wagens einzig Trentemøllers Tracks als Navi durch die Nacht zu hören sind.

solar-express aus brooklyn

Javelin: No Más

Als echtes Verbrauchermagazin verschenkt kinki hiermit ein paar hundert Sonnenstunden mehr für den Sommer. Mit den Stücken von ‹No Más› des Duos Javelin aus Brooklyn ist überall T-Shirt-Wetter. Die elektronischen Spielereien strotzen nur so vor tanzbaren Beats, die irgendwo aus dem Hip-Hop der 80er und dem R ’n’ B der 90er-Jahre ausgebuddelt und elektrifiziert wurden. Der klassische Routenplaner ‹From Disco to Disco› wird von Javelin um einige Stationen erweitert, abgebogen wird noch zum New Wave oder Funk. Dass sie dabei knapp an der inoffiziellen Rekordzahl von Samples pro Platte von The Avalanches vorbeischrammen, ist mehr als okay. So wirkt die


Platte der beiden Amerikaner und Cousins Tom Van Buskirk und George Langford nie überladen und bleibt – genau richtig für heisse Sommertage – leicht verdaulich. Auch wenn keiner der Tracks wirklich geradeaus gehen kann, denn zahlreiche Stile und Tempi wechseln sich fröhlich ab. Gleich der Opener ‹Vibrationz› breitet beide Arme aus und lädt als entspannter Türsteher in den Club Tropicana von Javelin ein, wo an der Bar bereits die Herren von Steinski und Coldcut mit den Füssen wippen. Den Takt gibt bei den halbinstrumentalen Stükken meistens ein glühendes HousePiano vor, dass von einem ADSverdächtigen Drumpad begleitet wird. Daneben zuckern immer wieder Streicherparts wie in ‹Mossy Woodland› oder ein Glockenspiel und eine akustische Gitarre wie in ‹Goal /  Wide› den Sommercocktail. Das Debütalbum, das nun nach einer Handvoll EPs erscheint, ist somit ein echter Grenzgänger zwischen den Genres. Die musikalische Gegenüberstellung der unterschiedlichen Stile geht aber auf, weil ‹No Más› stets als Einheit erkennbar bleibt, trotz aller mit unter etwas hek-

des Zenkloster. Psychedelisch gibt es deshalb für die erste Platte ‹Before Today› schon mal vorab den dreifach eingesprungenen Lotus! Doch statt zum meditierendem Sitzen verleitet die LP doch eher zum enthemmten Tanzen. Zwar bauen sich viele Songs als melodramatischer Softrock auf, anschliessend drehen aber immer wieder Synthie-Pop und stellenweise Funk schwer am Tempo. Beispielsweise in ‹Bright Lit Blue Skies› oder in ‹Beverly Hills›, in dem die Synthies in der Hüpfburg von hell tönenden Chören angefeuert werden. Ariel Pink sucht in seinen Stücken nach musikalischen Inseln, die bisher nicht kartiert waren. Klar lassen die Songs Referenzen en masse erkennen, von 70er-Jahre Disco bis hin zum aktuellen Lo-Fi à la Feist oder Grizzly Bear. Aber der Sound ist stets frisch, was auch das noch nicht trockene Genreschild ‹Chillwave› beweist, dass man fix der Musik von Ariel Pink zuteilte. Nachdem er seit gut 15 Jahren im künstlerischen Underground von L.A. arbeitet und den Schlafsack wahrscheinlich schon in jedem abgewrackten Clubloch auf Touren

tischen Soundexperimenten. Mit dieser Platte in den Ohren ist der Wetterbericht ab sofort just a 13-letter-word.

when the devil is blind

Ariel Pink’s Haunted Graffiti: Before Today

Es gibt Momente, in denen geht man barfuss durchs Leben, weil alles klar erscheint. Ein Talent, solche seltenen Augenblicke tablettenfrei und vielmehr musikalisch zu erschaffen, besitzt der Amerikaner Ariel Pink. Seine Songs versetzen den Hörer in eine relaxte Stimmung, bei der er sofort ein entrücktes Lächeln auf den Lippen trägt – locker ausreichend für den Zutritt in je-

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zwischen New York und der Westküste ausgerollt hat, bleibt zu hoffen, dass sich mit dieser Platte endlich der verdiente Fame einstellt. Veröffentlicht wird die Platte auf der Indie-Goldpresse 4AD, bei der auch Bands wie TV on the Radio oder Beirut sind. Statt nerdiger Homerecordings verschaffte das Label Ariel Pink und seiner kongenialen Begleitband Haunted Graffiti so den ersten richtigen Aufenthalt in einem Studio und schloss für den phantastischen Übertrack ‹Round and Round› sogar die Türen zu den Abbey Road Studios auf. There’s a new kid in town! Unser fabrikneuer Reviewnator Mathias ‹The Judge› Bartsch wird sich ab sofort bei Gefahr als One-Man-SWATTeam furchtlos vor die Playtaste eurer Musikanlagen werfen. Oder euch bei echten CD-Hostien zurufen: Turn it up! Denn verräterische Silberlinge haben in der Vergangenheit bereits genug Unheil angerichtet. Keine Neuerscheinung im hörbaren Bereich ist jetzt noch sicher vor dem Urteil des final schwerstabhängigen Musik-Junkies. Stattdessen werden monatlich Tipps für jede emotionale Grosswetterlage geliefert.


‹lieblingslieder› Helvetische DJs stellen ihre All Time Favourites vor. Friends with Displays 06:07

Clara Hill – Flawless

Es gab mal eine Zeit, da war das Hip-HopLabel ‹Definitive Jux› so was wie eine Kirche. Und Labelgründer und Produzent El-P war der Messias. Seine Beats für das ‹Cold Vein› Album von Cannibal Ox sind auch heute noch der Zeit um Lichtjahre voraus. ‹Pigeon› ist im Speziellen ganz grosses Kino; ‹Blade Runner› meets ‹Wildstyle›, sozusagen.

Die Stimme von Clara Hill kombiniert mit dem Sonarkollektiv tut einfach gut. Ideal für vernebelte Morgen und sonnige Abende. Für uns ein Klassiker des Nu-Jazz.

05:04

Jeff Mills – Casa Diese Platte wurde so oft rauf- und runtergespielt, dass die Rillen schon kaum mehr zu sehen waren. Ein Tribal-Funk-PercussionLoop der zum absoluten Klassiker mutierte. Unvergesslich auch die Endlosrillen auf vielen seiner Platten. 1995 / 96 besass man praktisch alle Axis Records Platten von Jeff Mills. Nun sind sie alle weg. Wie konnte man nur, würden jetzt viele sagen. Wir auch.

04:26

Aesop Rock – Daylight

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ie drei Freunde mit den Displays sind ein fester Bestandteil im St.Galler Club- und Nachtleben rund um die Kunst der modernen Tanzmusik. Doch fangen wir da an, wo alles begann: Rosario, Andi und Valentin gründeten mit zwei weiteren Kumpels vor einigen Jahren das ‹Basislager›, eine Hip-Hop-Combo, mit der die fünf den Osten unsicher machten und sogar ein Album aufnahmen. Das Release dieser Platte war dann aber auch schon fast das Ende vom Rap-Ding. ‹Grundsätzlich ging uns die sogenannte ‹HipHop-Szene› damals schon extrem auf den Sack.› Sagen die drei heute. Sie beendeten noch die laufende Tour und Viva spielte eine Weile ihr Video, doch waren sie zu diesem Zeitpunkt eigentlich schon dabei, nach neuen Möglichkeiten Ausschau zu halten. Ohne ihre zwei Kumpanen beschloss das Trio, den St.Galler Clubzirkus aufzumischen und dem Hip-Hop-Minimal-Baller-

kinki lieblingslieder

‹Life’s not a bitch, life is a beautiful woman, you just call her a bitch because she won’t let you get that pussy.› Der ‹Definitive Jux›Meilenstein schlechthin! Kein El-P Beat zwar, aber Blockhead war immer schon der passendere Producer für den abstrakten Flow von Aesop Rock. Was für eine Hymne!

mann-Einheitsbrei ihre Vorstellung von tanzbarer Clubmusik entgegenzuhalten. Nach dem ersten Gig, bewaffnet mit Laptops und Plattenspieler, in einem autonomen Punkschuppen, ging alles sehr schnell, und Captain de la Rosa, Comander Heat und Colonel Schneeberger, wie die drei sich fortan nannten, wurden Residents im St.Galler Club Kugl. ‹Friends with Displays› war geboren. Weg vom Hip-Hop wurden die Beats schneller und die Sounds abgefahrener. Elektro, House oder moderne Discotunes, aufbereitet mit einer grosszügigen Portion Weitsicht auf andere Genres, widerspiegeln den gemeinsamen Nenner der drei St.Galler. Die Befreiung aus vergangenen Genrekonventionen ist also schon weit fortgeschritten und findet ihre Vollendung wohl demnächst in eigenen Produktionen, an denen die Jungs zur Zeit basteln. Da geht noch was!

04:05

Alex Gopher – Motorcycle (Wet Clutch Short Edit) Dieses unglaubliche Teil schafft es seit Jahren immer wieder in unsere Sets. Die endlose Steigerung, dieser Drive – was für eine Bombe. Spätestens bei 2:14 geht das Ding durch die Decke und wer sich dann nicht bewegt, ist bereit für die letzte Ölung.

05:30

4Hero – Hold It Down (Bugz In The Attic Co-Operative Mix) Die Könige des Broken Beats remixen 4Hero. Da gibts nicht viel zu sagen: tanzbar und wetterfest!

04:57

Miles Davis – I Thought About You Gleich nach dem ersten Ton von Miles Davis fühlt sich die Welt an wie Samt. Man wird von den weichen Tönen der Trompete aufgefangen und die Gedanken schwelgen in schönen Erinnerungen. Der Song, von Jimmy van Heusen komponiert, wurde viele Male gecovert. Sogar von Frank Sinatra. Miles Davis’ Version ist reiner Genuss auf höchstem Niveau.

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06:00

Cannibal Ox – Pigeon

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Matthew Herbert - Birds Of A Feather Zwar ohne Drums, aber dennoch treibend und catchy. Das schafft nur der verrückte Matthew Herbert, welcher mit ‹Birds Of A Feather› unserer Meinung nach ein zeitloses Stück Musik geschaffen hat.

03: 22

The National – Baby, We’ll Be Fine Dass The National nicht erst seit dem aktuellen Album die beste Band der Welt ist, beweist unter anderem dieser Song vom Album ‹Alligator›. Wunderschöne Harmonien kombiniert mit todtraurigen Lyrics lösen ein Gefühlschaos aus, wie es eben nur ein typischer The National-Song kann. Da möchte man gleichzeitig lachen und heulen. Sieht aber scheisse aus, deshalb lassen wir’s!

04:16

Basislager – Moschtfescht Blues Der guten alten Zeiten willen muss hier auch ein Basislager-Song Erwähnung finden. ‹Moschtfescht Blues› fasst das Ganze wunderbar zusammen; Thurgauer Battle-Rap trifft auf elektronischen Beats. Das verkauft sich in etwa so gut wie gebrauchtes Toilettenpapier. Aber die Zeiten im Studio, auf Tour, im Backstage von irgendwelchen Jugendclubs mit Bier, Schnaps, Gras und Weiberei waren schon toll. Heute ist alles anders. Fast alles. Text: Antonio Haefeli Foto: Promo Weitere Info unter friendswithdisplays.com.


Graphic Design by Felix Pf채ffli


Andrew Kuykendall

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Page 75 Skirt Vibe Johansson Hat Sonni Leather Opera Gloves Staerk Spiderweb Earring Gara Danielle Heels Rock & Republic Page 76 Top Ravishing Mad Suede Skirt Steark Necklace Laruicci Page 77 Suit Wackerhaus Harness Coco de Mer Ankle Boot Jean-Michel Cazabat Page 78 & 79 Leather Skirt Thomas Wylde Vintage Vest Boots Rock & Republic Page 80 Sweater Jen Kao Harness Coco de Mer Page 81 Dress Verlaine Harness Jen Kao Socks and Knickers American Apparel Boots Jean-Michel Cazabat Page 82 Black Wool Pants Verlaine Bakelight Bangles Cara Caringer Heels Pour La Victoire Suspenders Vintage

Photography Andrew Kuykendall, clicksandcontacts.com Styling James M. Rosenthal, kateryaninc.com Hair Damian Monzillo, kateryaninc.com Make-up Kristi Matamoros, kateryaninc.com Style Assistant Lindsey Hornyak and Ross Martineau Model Kara @ Wilhelmina NY 83


Circo di vanità ‹Italiener haben keinen Stil, zumindest nicht die Mode­menschen› – Stefano Ughetti teilt aus und hängt sich damit weit aus dem Fenster, denn der Gründer von Camo ist Italiener und macht Mode … Text: Romy Uebel

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er Genie -Purist Helmut Lang sagte einmal: ‹Kleider sollen keine Witze erzählen.› Für Stefano Ughetti ist demnach halb Italien ein Witz, denn der 35-Jährige fühlt sich ein wenig wie der Prophet im falschen Land: ‹Italien ist eine Modedisco mit vielen schlimmen Fussballerklamotten, die alle im Licht stehen wollen. Diesen ganzen BriatoreStyle respektiere ich, aber ich muss ihn nicht geil finden.› Stefano ist alles andere als ein griesgrämiger Zeitgenosse, seine Entwürfe sollen sich nur bitte vom südländischen Massenlook der bestickten Jeans, bunten Hemden, spitzen Schuhe und pelzverbrämten Kapuzendaunenjacken abheben. Und das tun sie. Als die Modejournalistin Diane Pernet ihn vor drei Jahren auf einer Messe fragte, ob er Däne sei, machte ihn das stolz. ‹Nicht, dass ich gern Däne wäre, aber die nordeuropäische Ästhetik, die Art zu leben – das liegt mir schon sehr.› Die italienischen Einkäufer erwärmten sich wahrscheinlich gerade deshalb zögerlich für Camo. Erst nachdem das Label in Kopenhagen, Barcelona und Berlin wuchs, interessierte man sich auch in der skeptischen Heimat für ihn.

Schmunzeln, nicht lachen!

Stefano verbrachte den Grossteil seines Lebens in Biella, im Norden Italiens. Das Örtchen ist bekannt für traditionelle Handwerkskunst und seine namhaften Stoffmanufakturen, die für all die grossen Designer dieser Welt feinstes Tuch produzieren. Als Sohn eines bekannten Malers und Enkel eines noch bekannteren Bildhauers stand Stefano vor der Hürde, seiner Kreativität auf unbetretenen Pfaden Ausdruck zu verleihen. Sein erster Job führte ihn in eine Fabrik für Möbelstoffe, wo er als Büroaushilfe begann und schnell Einblick in sämtliche Bereiche von Design über Produktion bis hin zu Qualitätskontrolle erhielt. Es folgte ein Managementjob in einem Unternehmen für Interieur Design bis sich Stefano schliesslich aufmachte, seinen Traum zu kinki mode

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‚Italien ist eine Modedisco mit vielen schlimmen Fussballerklamotten, die alle im Licht stehen wollen.› Stefano Ughetti

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leben. Im Jahr 2000 eröffnete er Superstar, einen Concept Store für Herrenmode, Accessoires, Einrichtungsgegenstände und Bücher, und feilte an seiner stilistischen Identität. Mit einem kleinen Team startete er fünf Jahre später Camo, hat mittlerweile Showrooms in Mailand und London und verkauft in über 100 Läden in Europa, aber auch in Kanada, Russland, Korea, China und Japan. Camo ist ein perfektes Stückchen Zeitgeist, eingebettet in die derzeitige Hipster-Geschmackswelt: zu Shorts umgewandelte Anzughosen, Strickjacken, die an Bademäntel erinnern und coole Prints, die allzu klassischen Schnitten die Ernsthaftigkeit nehmen. Camo verbindet Einflüsse aus traditioneller Herrenbekleidung mit ein bisschen Streetwear-Attitüde und einer Note Verschrobenheit zur perfekten Uniform für den Geek 2010. ‹Ich möchte nicht, dass die Leute bei meinen Entwürfen laut loslachen, aber ein bisschen ironisch sind meine Sachen durchaus immer›, erklärt Stefano. Mit Camo belegt er seine Philosophie, dass Kleider immer auch Kommunikation bedeuten. Denn selbst wenn man sich angeblich nicht für Klamotten interessiert, legt man sich mit der Wahl einer bestimmten Farbe oder eines bestimmten Schnitts eben doch fest. Mit dem Namen Camo spielt Stefano auf diese unsichtbaren Identitäten und die Vielschichtigkeit der Dinge an. Camouflage – das ist nicht nur eine Farbe, sondern die Summe vieler. ‹Man muss sich doch immer irgendwie an bestehende Regeln anpassen. Am Strand ist ein Bikini okay, auf den Strassen von Berlin merkwürdig. Man ist also immer irgendwie Camo›, erklärt der Macher. In seinen Entwürfen verquickt er regelmässig mentale oder zeitgeistige Ansätze. So widerspiegelte seine Wave-Kollektion von 2009 das Auf und Ab des Lebens, die Horse-Kollektion für diesen Sommer persifliert die Krise und fordert auf, wie Pferde über Hindernisse zu springen. Ab in den Zirkus geht es dann im kommenden Herbst mit Stefanos Aufforderung, nicht alles so schwer zu nehmen und einfach mal wieder fröhlich zu sein.

Getarnter Italiener Neben dem konzeptionellen Spiel mit Doppel-

deutigkeiten kennzeichnet aber vor allem eins die Marke – Qualität, denn alle Kleidungsstücke werden ausschliesslich in Italien aus italienischen Stoffen gefertigt. ‹Ich stelle mich mit dem Stempel ‹Made in Italy› nicht über andere Labels. Aber ich bin der Meinung, dass man das tun sollte, was man ist. Und ich bin nun mal Italiener, im klassischen Sinne!› Und tatsächlich kann man sich den sympathischen Querdenker bestens beim Kartenspielen mit rauchenden, alten Herren vor den Cafés seiner Heimat vorstellen. Denn genau daher kommt die wirkliche Inspiration des subtilen Camo-Stils, den eben kein Fashionfollower mal so kopieren kann … camofactory.com

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THE SWISS MAGAZINE OF GRAPHIC DESIGN AND VISUAL CREATION


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‹vertreter› Über die wichtigsten Schuhe von damals bis heute.

us dem Wasser zu steigen, ist ja jedesmal ein Alptraum: Die gerade noch glänzende Haut wird von Gänsehaut überzogen. Eben noch schwerelos und elegant, wirkt unser Körper – einmal aus dem Wasser entstiegen – schwerfällig und plump, wie uns Gott nun mal erschaffen hat. Um diesen gottgegebenen Nachteil elegant zu kaschieren, hilft es, seine irdische Plumpheit durch ein besonders sportives Accessoire zu kaschieren. Oder drücken wir es euphemistischer aus: Dieses sportive Accessoire kann unsere eigene Sportivität (auch wenn nonexistent) charmant hervorheben. Diese Heldentat kann nur ein Schuh der Superlative vollführen: die Schwimmflosse. Um aber nicht

Name: Schwimmflosse Geburtsjahr: 1933 Typ: Taucheraccessoire Besonderheit: erzeugt quietschenden Trittschall

wild watschelnd wie Nessie dem Wasser zu entsteigen, sollte man tunlichst vermeiden, die Flosse noch am Fuss zu tragen, sondern sie beim Aus-den-Fluten-Emporsteigen stattdessen lässig über die Schulter baumeln lassen. Man kann es natürlich auch Ursula Andress in James Bond gleichtun und wahlweise exotische Meeresmuscheln zu Tage fördern, um seine Sportivität auf himmelschreiende Art und Weise unter Beweis zu stellen. Wem das zu brachial ist oder mit zu viel Anstrengung verbunden (immerhin muss nach den glitschigen Meeressäugern erst einmal getaucht werden), der greife auf die altbewährte Schwimmflosse zurück, die bereits im Jahre 1933 vom Franzosen Louis de Corlieu patentiert wurde. Im klassischen Sinne sind Schwimm- oder Taucherflossen in Schwimm- oder Fersenbandflossen unterteilt: Schwimmflossen sind wie ein Schuh geformt, werden barfuss getragen und deshalb meist nur für den Einsatz in warmem Wasser verwendet. Früher (etwa um Frau Andress’ Zeiten herum) wurden Schwimmflossen meist aus schwarzem oder blauem Gummi und mit dreieckigem Flossenblatt gefertigt.

Physikalische Wunderdinger Bei Fersenbandflossen wird der vordere Teil über den Fuss gestülpt und bietet somit Platz für isolie­­rende Neoprenfüsslinge oder die Fussteile eines Trockentauchanzugs. Gehalten werden die Flossen an der Ferse mit einem verstell­baren Gummiband oder einer speziell gepolsterten Stahlfeder, die den aparten Namen ‹Spring Strap› trägt, gehalten. Im klassischen Sinne ist die Taucherflosse natürlich ein sportliches Gerät mit physikalischer Wirkkraft: die Vortriebsflächen der Beine eines Schwimmers oder Tauchers werden mithilfe der aus Gummi oder PVC gefertigten Flossen vergrössert. Wem das jetzt alles zu technisch war, der kann sich immer noch – wie zu Beginn dieses Artikels bereits erwähnt – auf das positive Karma der Schwimmflossen besinnen oder damit schlicht und ergreifend seine Haut retten und vor der von BP in den Weltmeeren hinterlassenen Ölpest einfach ganz schnell davonpaddeln.

Nebst roter Wollmütze das wohl wichtigste Accessoire für Meeresforscher wie Jacques Cousteau und solche, die es noch werden wollen: die Schwimmflosse.

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Text: Anja Mikula Illustration: Adrian Riemann

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Distorted Fragments Auf der Website des Zürcher Künstlers Andy Denzler sieht man kleine Bilder, die an flimmernde Filmstills erinnern und zwischen Stop und Motion Portraits, Menschen in Bewegung und Figuren in der Natur erkennen lassen. Doch erst, wenn man seine Bilder im Original sieht, lassen sich das Ausmass und die Wirkung seiner Kunst erfassen. Text und Interview: Florence Ritter

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iese Bilder sind viel zu gross, um in un­ ser Magazin zu passen, ist mein erster Gedanke, als ich Denzlers grossräumi­ ges Fabrikatelier betrete. Seine Kunst wirkt auf den 1 x 1m bis 2 x 3 m grossen Leinwän­ den ganz anders als in Internetauflösung. Auch in Grossformat bleibt die Assoziation mit dem Film, dem bewegten Bild, bestehen. Nähert man sich den Bildern jedoch, zerfallen sie in abstrakte Tei­ le, denen man keinen Inhalt mehr zuordnen kann. Letzteres ist nicht verwunderlich, denn Denzler kommt aus dem Abstrakten. Nachdem er seine ‹Verwischungstechnik› jahrelang auf gegen­ standslose Farbfeldern anwandte, entwickelte er diese weiter, sodass er auch gegenständliche Inhalte verstreichen konnte. Denzler spricht von seiner Maltechnik, als wäre sie sein wohlgehüte­ tes Geheimnis: der Schlüssel seiner Kunst. Denn erst die waagrechte Bewegung der Farbe er­ weckt das Bild und dessen Inhalt zum Leben.

Klassisches Handwerk

Andy Denzler malt mit Ölfarbe. Während das klassische Medium auf der Website wenig er­ kenntlich ist, erscheint es in Natura in seiner vol­ len Pracht. Steht man in Denzlers Atelier, so er­ öffnen einem die Bilder schrittweise etwas über ihren Entstehungsprozess und die angewandte Technik. Während viele Bilder ganz von der ho­ rizontalen Verwischung durchzogen sind, sind auf einigen schmale Abstände ausgelassen. Da­ raus blickt die rohe, dick aufgetragene Farbmas­ se hervor. ‹Die verschiedenen Texturen sind gut sichtbar, mit etwas Distanz gibt es eine Verdich­ tung der Oberflächensinnlichkeit, dieser Aspekt interessiert mich sehr›, meint Denzler. Ein vorge­ maltes Bild, das statische Personen zeigt, wartet kinki kunst

auf seine ‹bewegende› Fertigstellung und gibt die Grundlage aller Kunstwerke Denzlers preis. Denzler arbeitet in Schichten, die letzte Schicht Ölfarbe verzieht er mit dem Spachtel. Er muss nass in nass arbeiten, der Zeit- und Materialauf­ wand ist enorm: ‹Es ist immer ein Adrenalinkick, weil sich sicher mehrere Kilo Ölfarbe auf dem Bild befinden. Es ist heikel, weil es wertvolles Material ist, das danach verloren geht›, meint er. Während diesen letzten, entscheidenden und unkorrigierbaren Handgriffen entwickelt jedes Bild ein Eigenleben, gewinnt an Bewegung, Schnelligkeit und irritierender Unschärfe. Fertig­ gestellt wirkt es, wie wenn man einen Blick aus dem fahrenden Zug wirft, wie eine Bildstörung auf dem Fernseher oder wie wenn man einen Film vorspult oder flimmernd anhält. Besonders die Schwarz-Weiss-Bilder wissen vom Medium der Malerei abzulenken, gesteht auch der Künst­ ler ein: ‹Es hat etwas von diesen 60er-TV-Inter­ ferenzen. Wenn man die Monitore von alten Schwarz-Weiss-Fernsehern betrachtet, haben die so ein Rauschen und diese Verzerrung. Ich bin mit dem Schwarz-Weiss-Fernsehen in den 60er-Jahren aufgewachsen, das hat mich ge­ prägt.› Doch die Form bleibt in Denzlers Schaf­ fen nicht der einzige Berührungspunkt zu den digitalen Medien.

Medienzeitalter Inhaltlich glaubt man Pressefotos, bekannte Per­

sönlichkeiten, Politiker oder Stimmungsbilder in der Natur zu erkennen. Zur Beziehung der Malerei zum digitalen Umfeld meint Denzler: ‹Ich arbeite mit einem sehr klassischen Medium, Öl auf Lein­ wand, von dem her fühle ich mich zu den alten Meistern hingezogen und schätze ihre Arbeiten sehr. Nichtsdestotrotz setze ich auch digitale Mittel ein. Die neuen Medien beeinflussen mich 90

Waterfall Crossing, 2010 70 × 100 cm, Öl auf Leinwand


‹Ich denke nicht, dass es Aufgabe des Künstlers ist, Probleme zu lösen, sondern eher Fragen zu stellen.›

Golden Brown Dawn, 2010 150 × 200 cm, Öl auf Leinwand

Floating Stones, 2010 140 × 120 cm, Öl auf Leinwand

The Human Nature Project I, 2010 140 × 120 cm, Öl auf Leinwand

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‹Zeit und Geschwindigkeit fliessen in meine Bilder ein. Ich kämpfe immer gegen die Zeit, das ist ein wichtiges Kriterium in der Malerei.›

Transition II, 2010 150 × 150 cm, Öl auf Leinwand

sehr, seien es Computeranimationen, Videos, Internet oder Fotografie. Diese Informationen fliessen alle in meine Arbeiten ein.› Videos, Pressefotos und eigene Fotografie verwendet er als Vorlage, oft überarbeitet er sie aber erst noch mit Hilfe von Photoshop und komponiert sie nach seiner Vorstellung. Andy Denzler arbeitet konzep­ tionell. Bilder werden fast nur im Kontext eines Themas oder einer Ausstellung geschaffen. Die Werkgruppen sind inhaltlich, farblich oder auch technisch vereint und reflektieren meistens sei­ ne Überlegung. Jedoch funktionieren die Bilder auch einzeln. Denzler sagt: ‹Ich behandle eigent­ lich tagtägliche Thematiken, die einen beschäfti­ gen, die in den Medien waren.› So findet man eine Schwarz-Weiss-Portraitserie ‹Distorted Faces›, die farbigen ‹In to the Black Woods›-Bilder, univer­ selle ‹Urban Figures› oder ‹American Paintings›. Letztere besetzte er mit der Bush Administration und patriotischen, amerikanischen Symbolen und zeigte sie 2005 in einer kritischen Ausstellung in New York.

Das Spannende an Denzlers Bildern scheint der dargestellte Widerspruch zu sein, das Einfangen eines bewegten Moments in ein Bild, in welchem die Bewegung noch spürbar ist. Deshalb haftet allen Werken auch eine gewisse Vergänglichkeit und Schnelligkeit an, die auch den Entstehungs­ prozess begeleitet: ‹Zeit und Geschwindigkeit, fliessen in meine Bilder ein. Ich kämpfe immer gegen die Zeit, das ist ein wichtiges Kriterium in der Malerei. Besonders bei dieser Technik, da ich nass in nass arbeite. So wird inhaltlich die Ver­ gänglichkeit, aber auch die Verletzlichkeit der Menschen durch dieses Aufgebrochene, Frag­ mentierte dargestellt.› Die bisweilen kritischen und Fragen aufwerfenden Inhalte, welche die Se­ rien als Ganzes in sich tragen, runden den Effekt und die Fragilität der Kunst von Andy Denzler ab. Vom 27. Juli bis zum 29. August 2010 stellt Andy Denzler sein ‹Human Nature Project› bei Schultz Contemporary in Berlin aus. Weitere Info gibt es auf andydenzler.com.

Vergänglichkeit des Moments

Sein konstantes Spiel mit Inhalt, Form und Medi­ um bringt jedoch eine andere Serie auf den Punkt. Von Andy Warhols Screentests inspiriert, malte er die Protagonisten der Factory mit seiner stilisti­ schen Verschiebung. Während Warhol die Perso­ nen auf Film wie Bilder erscheinen lassen wollte, versuchte Denzler Nico, Edie, Dennis Hopper und Co. auf der Leinwand bewegt aussehen zu lassen. kinki kunst

In to the Black Woods II, 2010 100 x 120 cm, Öl auf Leinwand

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‹schauplatz› Die besten Adressen für junge Kunst. Im Sommer müssen Budapests Strassen gegossen werden, um nicht zu schmelzen. Schutz vor den sengenden Temperaturen und zugleich eine Art kulturelle Erleuchtung fanden wir im Ludwig Museum für zeitgenössische Kunst.

wurde. Auf stattlichen 7000 m² kann man gut und gerne den ganzen Tag durch die weitreichenden Räume des Ludwig Museums wandeln. Der imposante Eingangsbereich verbindet drei Sektoren, die alle unter einem Dach zusammenfinden: die Béla Bartók National Concert Hall, das Festival Theatre und das Ludwig Museum – Museum für zeitgenössische Kunst. Besucht wird das Ludwig Museum hauptsächlich von Studenten. Aufgrund der Partnerschaft mit dem Palace of Art beinhalten allerdings oftmals Konzerttickets auch den Eintritt für das Ludwig Museum. Und so liefen auch uns an diesem schwülen Sommertag Pärchen in Abendgarderobe vor einem Konzert von Wagner durch die weitläufigen Ebenen des Ludwig Museums entgegen. Im Ludwig Museum wird internationale und ungarische zeitgenössische Kunst mit einem starken Fokus auf Mitteleuropa ausgestellt. In der Vergangenheit räumte das Museum aber auch schon so bedeutenden Namen der ungarischen Kunst wie dem 60er - Jahre-Künstler

oben rechts: das imposante Gebäude, Foto: Balázs Glódi oben links: Künstler Attila Csörgö, Foto: György Darabos links: ‹Spring Garden› von Pál Gerber

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er Sommer in Budapest ist eine unbegreifliche Sache. Die flirrende Hitze droht während der heissen Monate den Asphalt der zwei Millionen-Metropole zu verflüssigen. Vor eben diesen Temperaturen flüchteten wir an einem besonders heissen Tag in das Ludwig Museum. Während auf den Strassen Arbeiter die Trottoirs und Strassen mit Wasserschläuchen bewässerten, durchquerten wir die scheinbar

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ausgestorbene Stadt mit dem Tram, um auf die Pester Seite der Lágymányosi-Brücke zu gelangen. Enstanden ist das Ludwig Museum aus der privaten Sammlung von Peter und Irene Ludwig. Der mittlerweile verstorbene deutsche Industrielle und Kunstmäzen verteilte seine Kunstsammlungen auf sage und schreibe neunzehn Museen in fünf Ländern: Eines davon ist das Ludwig Museum in Budapest.

Hochkarätige Kunst auf 7000 m²

Einmal angekommen, erwarteten uns die kühlen Hallen des modernen und offenen Gebäudes, das von den Architekten Zoboki, Demeter and Associates geplant und im Jahr 2005 feierlich eröffnet 102

Tibor Hajas oder dem 2008 mit dem Nam June Paik Award ausgezeichneten Attila Csörgö ein, der Anfang nächsten Jahres in der Kunsthalle Hamburg zu sehen sein wird. Derzeit zu sehen ist die Ausstellung mit dem wohlklingenden Namen ‹I’m looking for a Choir that Still Sings and a Laundry that Still Washes›, die am 16. Juni eröffnet wurde. Gezeigt wird eine Retrospektive Gerber Páls, seines Zeichens einer der subversivsten ungarischen Künstler. Text: Anja Mikula Ludwig Museum – Museum of Contemporary Art Palace of Arts Komor Marcell u. 1 Budapest, H-1095 Dienstag bis Sonntag, 10 – 20 Uhr ludwigmuseum.hu


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Zukunft der Stadt Wie möchte ich in Zukunft leben? Wie soll die Stadt meiner Träume aussehen? Wie werde ich mich in zwanzig Jahren fortbewegen, wie kommunizieren und welche Kleidung werde ich tragen? Text: Matthias Straub

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iese Fragen lassen sich weder pauschal beantworten, noch gibt es zu jedem Punkt nur eine einzige gesicherte Aussage. Aber wie das Leben in der Stadt von Morgen aussehen könnte, beschäftigt Kreative jeden Couleurs. Um den Ideenaustausch zum Thema ‹Zukunft der Stadt› zu fördern, lädt die Automobilmarke smart mit der Ausstellungsreihe ‹smart urban stage› in sechs europäischen Metropolen auf eine interdisziplinäre Plattform ein. In Berlin, Rom, Paris, Madrid, London und Zürich können sich Künstler und Kreative im Rahmen der Ausstellung vernetzen und ihre Projekte vorstellen, die von namhaften Kuratoren in den Kategorien Be (Kultur / Gesellschaft), Create (Design), Exchange (Medien / IT), Explore (Wissenschaft), Live (Architektur) und Move (Mobilität) ausgewählt werden.

Lebenswelt + neues Produkt = Innovation

Als Kuratoren der Ausstellung konnten in jeder der sechs Metropolen fünf visionäre Vordenker aus den jeweiligen Bereichen gewonnen werden, die für ihre Kategorien Projekte ausgewählt haben. Zu den lokalen Vordenkern kommt als Kurator in der Kategorie Move der Repräsentant von smart, Dr. Thomas Weber, Vorstandsmitglied der Daimler AG und in dieser Funktion verantwortlich für Konzernforschung & Mercedes-Benz Cars Entwicklung. Die Arbeiten reichen von philosophischen Visionen bis hin zu konkreten Innovationen für das urbane Leben in der Zukunft. In der Kategorie ‹Create› stellt uns Boris Müller, Pro­fessor für Interaction Design an der FH Potsdam, seine beiden Projekte für die bereits erfolgreich durchgeführte ‹smart urban stage› in Berlin vor. kinki magazine: Professor Müller, wie lässt sich Ihr Beitrag beim ‹smart urban stage›Projekt in wenigen Worten beschreiben? kinki kunst

Boris Müller: Zum einen gibt es das Projekt ‹Energy Harvest› von Hanspeter Kadel und Myriel Milicevic. Sie erfanden ‹parasitäre Energiesammler›, die auf Energielecks im urbanen Raum angesetzt werden können, wie zum Beispiel auf entweichende Wärme aus schlecht gedämmten Fenstern. Dann betreue ich auch das Projekt ‹~IDENTITÄT› von Jonas Loh und Steffen Fiedler. Aus dem Online-Profil einer Person können sie dreidimensionale, generativ erstellte Datenskulpturen bauen. Welchen Beitrag können Events wie das ‹smart urban stage›-Projekt leisten, um den Stadtbewohnern innovative Ideen und Designlösungen für die zukünftigen Herausforderungen in Grossstädten nahezubringen? Städte sind im hohen Masse dynamische und dezentrale ‹Organismen›. Ich halte den Ansatz für problematisch, mit einer grossen Idee oder einem grossen Projekt alle urbanen Probleme lösen zu wollen. Ziel der ‹smart urban stage› ist meines Erachtens eher, dass Stadtbewohner Alternativen aufgezeigt bekommen, die sie direkt auf ihren eigenen Lebenswandel anwenden können. Die Ausstellung schafft also Anregungen zur Reflexion und Veränderung des eigenen Verhaltens. Sie sagen, dass die grossen digitalen Inno­va­tionen der nächsten Jahre gestalterischer und nicht technischer Natur sein werden. Von welchen Innovationen sprechen Sie konkret? Die letzten zehn Jahre sind gekennzeichnet von enormen technischen Entwicklungen. Und ich vermute, dass auch die nächsten Jahre noch voller Überraschungen sein werden. Eine technische Entwicklung ist aber – isoliert betrachtet – recht wert- und sinnfrei. Echte Innovation ist erst dann erreicht, wenn die tech­ nologischen Entwicklungen in einem Produkt oder Service zusammengeführt werden, der in einem Bezug zu unserer Lebens welt steht. Und dies ist eine Gestaltungsaufgabe. 104


Im Projekt ‹~IDENTITÄT› von Jonas Loh und Steffen Fiedler werden aus den persönlichen Datensätzen von Social Community Nutzern dreidimensionale Skulpturen generiert.

Vom 30. August bis 12. September 2010 macht die ‹smart urban stage› Halt in Zürich im Puls 5 am Turbinenplatz.

Die ‹smart urban stage› (Bild oben) ist eine interdisziplinäre Plattform, auf der Ideen zur Zukunft der Stadt vorgestellt werden.

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‹Die grossen digitalen Innovationen der nächsten Jahre werden gestalterischer und nicht technischer Natur sein.› Prof. Boris Müller

Werden wir aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung auch immer mehr Energie zur Datenerfassung, -verarbeitung und -archi­vierung benötigen? Falls ja: Woher kommt diese Energie? Gute Frage! Es fällt mir schwer, energiepolitische Fragen dieser Grössenordnung zu beantworten. Interessant ist aber die Überlegung, dass im Falle von Online-Services die Distanz zwischen Provider und Kunde keine Rolle spielt. Es wäre also denkbar, Serverfarmen in extrem sonnigen Gebieten zu betreiben und sie mit Solarenergie zu unterhalten. Der Kunde sitzt also im verregneten Zürich, kann aber von der Sonnenenergie profitieren. Was geschieht in Zukunft mit den Unmengen an ‹alten› Daten, die wir selber produzieren und die laufend automatisch generiert werden? Die Frage sollte weniger lauten, was mit den ‹alten› Daten passiert, sondern vielmehr, was mit den neuen geschieht. Ich persönlich halte es für unumgänglich, dass unser per­ sönliches Datenmanagement professionalisiert wird. Genauso wie wir heute unser Geld auf einer Bank verwahren, werden wir in absehbarer Zukunft alle unsere Daten einer Institution anvertrauen. Diese Institution steht dann auch in der Verantwortung, die Daten in unserem Sinne zu verwalten. kinki kunst

Jonas Loh und Steffen Fiedler ‹~IDENTITÄT›

Wir können uns die Welt ohne Internet kaum mehr vorstellen. Vor allem in Online-Communities wie Flickr, Facebook oder MySpace bilden wir virtuelle Realitäten aus, die einem permanent andauernden Prozess des Erfindens und Neudefinierens unterworfen sind. So ist neben der realen Welt mit Individuen eine künstlich generierte Welt entstanden, die sich mit Bits und Bytes ausdrückt. ‹~IDENTITÄT› will diesen Gegensatz sichtbar machen und zeigen, wie digitale Welten dreidimensional abgebildet werden können. Jonas Loh und Steffen Fiedler haben zu ausgewählten Personen umfangreiche Online-Profile erfasst und daraus individualisierte, dreidimensionale Skulpturen ge­formt. Dazu werden Web-Crawler-Programme eingesetzt, die das Internet automatisiert durchsuchen und bestimmte Seiten analysieren. Spezielles Interesse liegt dabei auf dem Konsumver­ halten (amazon), Kommunikationsformen (twitter), Interessensgebieten (delicious) und Hörgewohnheiten (last.fm). All diese Informationen werden in einer Datenbank abgelegt, um vier Parameter festzulegen: Interesse, Kommunikation, Alter und Aktivität. Durch diese Interpretation der persönli106

chen Inhalte erhält jede Identität ihre einzigartige Form – fixiert in einer generierten Skulptur. Digitale Biografien werden so in körperliche Gebilde transzendiert und Virtuelles wird plötzlich greifbar. Vom 30. August bis 12. September 2010 macht die ‹smart urban stage› Halt in Zürich im Puls 5 am Turbinenplatz. Dort kann der neue smart electric drive probegefahren werden – was man sich nicht entgehen lassen sollte, denn genau so schnell und leise rollt die Zukunft auf uns zu! Folgende fünf Kuratoren werden die Ausstellungen in Zürich begleiten: in der Kategorie ‹Create› Prof. Dr. Jacqueline Otten von der Zürcher Hochschule der Künste, in der Kategorie ‹Explore› Dr. David Müller von der ETH Zürich, in der Kategorie ‹Exchange› Romano Strebel von Ron Orp, in der Kategorie ‹Be› Dr. Stephan Sigrist von der ETH Zürich bzw. Leiter des W.I.R.E. und Prof. Sacha Menz, Professor für Architektur und Bauprozess der ETH Zürich in der Kategorie ‹Live›. Auch kinki magazine wird an einem Tag mit einem zukunftsgerichteten Programm im Zelt der ‹smart urban stage› vertreten sein. Mehr Info dazu findet ihr in unserem Blog auf kinkimag.ch und auf smart-urban-stage.com Fotos: Matthias Steffen & Daimler AG


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‹kopfkino› Vom Umschlag bis zum Abspann. War früher alles besser? Hielt der Sommer regelmässig seine Termine ein, lasen wir Bücher ohne digitale Ablenkungen und fühlten uns der Natur viel näher? Nichts da. Diesen Monat blättern wir in vergangenen Tagen und lassen es uns nicht nehmen, Filme im Freien zu schauen – mit oder ohne Sommer.

Buch to eat

Larissa Bertonasco: La nonna La cucina La vita Ich liebe es, durch Kochbücher und -magazine zu blättern und mir all die wunderbaren Kreationen und Desserts anzuschauen, die visuell – trotz penibler Einhaltung des Rezepts – selten etwas mit meiner eigenen Version gemein haben. Deshalb stehe ich letzten Endes selten in der Küche und fordere den Jamie Oliver in mir heraus. Eine Nonna, wie sie Larissa Bertonasco hat, könnte ich mir da nur wünschen. Die italienische Grossmama kocht nämlich fürs Leben gerne und so gut, dass ganz Ligurien – und Larissas Kindheitserinnerung – danach duften. Wie es um Larissas Kochkünste steht, ist nicht bekannt, dafür illustriert sie so hübsch, wie ihre Nonna herzhaft Gerichte zaubert. Mischt man diese Zutaten in ein Buch, so erhält man ein sinnliches Kunstwerk zwischen Augen- und Gaumenschmaus. Nonnas Rezepte reichen von simpel bis aufwendig und geben mit ‹Fiori di Zucchine ripieni›, ‹Acciughe alla Ligure› und ‹Crostata con Fichi› weit mehr als nur kinki kopfkino

unverfälschte Bild einer Subkultur. Als sich 1979 die Hip-Hop-Kultur mit ihren Elementen Graffiti, Breakdance, DJing und Rapping im New Yorker Armenviertel South Bronx entwickelt, ist Martha Cooper mit ihrem Fotokamera mit dabei. Eindrückliche Bilder von Hip-HopLegenden wie Fab 5 Freddy, Grandmaster Caz, der Rock Steady Crew oder Run-DMC lassen HipHop-Herzen höher schlagen. Der Bildband ist unterteilt in die Kapitel Writers, B-Boys, DJs & MCs, Downtown, Graffiti Art, Media und Style. Neben den über 450 Fotos beinhaltet das Buch Essays von verschiedenen Hip-Hop-Künstlern.

das traditionelle Familien-Bolognese-Rezept preis. Die Würze geben dem Buch natürlich die Illustrationen der Enkelin: Rezepte, Zutaten, Küchengeräte, Märkte und natürlich auch immer die Nonna sind so liebevoll gemalt, gezeichnet und collagiert, dass sie mich tatsächlich zum Kochen bekehren könnten. Hinzu mischen sich kleine Anekdoten und Erzählungen zur Grossmutter, die wie die Rezepte – ‹dio mio› – in Deutsch verfasst sind. Das Buch erscheint übrigens bereits in der 11. Auflage und eignet sich bestens als ästhetisches und kulinarisches Geburtstagsgeschenk. Erschienen beim Gerstenberg Verlag, ca. CHF 30.–

Erschienen bei From Here to Fame Publishing, ca. CHF 60.–

to hear

to ride

Martha Cooper: Hip Hop Files – Photographs 1979-1984 Get the money. Dollar, dollar bill y’all. Wie alles, was sich in der Welt gut vermarkten lässt, wurde auch die Hip-Hop-Kultur, zumindest deren Musik und Kleidungsstil, im Sinne der kapitalistischen Logik zu einer Ware, die für den Verkauf produziert wird und dessen Erfolg sich an deren Verkaufszahlen misst. Martha Coopers Fotografien in ‹Hip Hop Files› dokumentieren hingegen das

Robert Klanten und Sven Ehmann: Velo – Bicycle Culture and Design ‹Mir sind mit äm Velo daaa›, ertönte es früher mehrstimmig, als ich mit meiner Velo-Gang mit Klingelgetose, Stützrädern und aufgesatteltem Znüni-Koffer durch die Gassen in den Kindergarten ratterte. Seither hat sich aber viel getan um den Kult des Fahrradfahrens. Klingel, Stützräder, Ständer, Gänge und sogar 108

Bremsen wurden der Ästhetik zuliebe abmontiert und das Fahrrad mit der Zeit zu einem Designobjekt stilisiert, dessen Höhepunkt vorerst das Fixed-Gear-Bike verkörpert. Verständlicherweise bildeten sich daraus auch unterschiedliche Fahrweisen und vor allem Fahrgemeinschaften. Das Buch ‹Velo – Bicycle Culture and Design› nimmt den Leser – auf dem Lenkrad sitzend – mit auf die Reise zu den unterschiedlichen Szenen, die sich mit Leib und Seele diesem Gebrauchsgegenstand verschrieben haben. Da gibt es zum Beispiel extreme Zweirad-Globetrotter, Fahrradboten auf Fixed-Gear-Rädern, Radler auf dem klassischen Hollandrad, modebewusste Velofahrer auf historischen Rennrädern und Innovationshungrige auf den neuesten Hightech-Rennmaschinen und e-Bikes. Das Fahrrad ist als ökologisch vertretbares Fortbewegungsmittel ‹Zeitgeist auf zwei Rädern›, besonders in Zeiten, in denen Umweltschutz gross geschrieben wird und durch das Radfahren geradezu Position bezogen wird. Diese Bedeutungssteigerung erfährt das Velo gleich auf zwei Ebenen: Zum einen wird dem Fahrrad als Verkehrsmittel wieder mehr Beachtung und somit auch Radwege oder Platz in innovativen Stadtplanungskonzepten geschenkt. Zum anderen wird es aus dem Rahmen des reinen Nutzgegenstands herausgehoben und zum Bestandteil eines kreativen Lifestyles, der den Bezug zur Kunstszene suggeriert. So radelt das Buch auch vornehmlich im Dunstkreis der Jungen und Innovativen, welche durch die Ästhetisierung des Gegenstands und die Betonung


des Designs den Fahrradkult erst gefördert haben und diesen heute exzessiv leben. Der Hype dreht also seine Runden, und bringt neben Bikes, die man individuell zusammenstellt, Design-Sonderausstattungen und neue Sportarten wie BikePolo oder -Football mit sich.

Kino

geduldig auf Hinweise, die zu seiner imaginären Geliebten führen könnten. Als diese ausbleiben, bittet er nicht nur seinen besten Freund (Serge Gainsbourg) um Hilfe, sondern schickt eine ganze Garde seiner Angestellten los, um in den Strassen von Paris junge Frauen zu fotografieren, die der Gesuchten ähnlich sehen. Vergeblich, denn die Schöne verbirgt ihre Augen hinter einer grossen Hornbrille … Die avantgardistische, musical-ähnliche Komödie rund um die Liebesodyssee eines Verblendeten war die erste Farbproduktion des französischen Fernsehens. Der Schweizer Regisseur Pierre Koralnik konnte dieses poetisch-schräge Popspektakel zusammen mit Gainsbourg relativ vorgabenfrei realisieren. Koralnik: ‹Es war einzigartig, die Musik übernahm die Funktion eines Drehbuchs, das Ganze war sehr wild, in den Kompositionen steckte Gainsbourgs ganzer Modernismus, und seine Texte waren grossartig.› Finden wir auch – hingehen!

chaplin

Erschienen beim Gestalten Verlag, CHF 58.90

to read

Christopher Felver: Beat Unsere Freunde von ‹Last Gasp› veröffentlichten mit ‹Beat› einen beeindruckenden Bildband über die Beat-Generation und die von ihnen beeinflussten Kunstschaffenden. Die sich in den Fünfzigern in den Vereinigten Staaten um Jack Kerouac, Allen Ginsberg und William S. Burroughs entwickelte Strömung des Beats inspirierte Horden von Dichterinnen und Denkern und wirkt bis heute. Der Fotograf Christopher Felver begleitete und dokumentierte von 1980 bis 2006, die überlebenden Protagonisten der Beat-Generation und der PostBeat-Ära. Der Bildband Beat ist eine eindrückliche Sammlung von Fotografien, welche durch Texte, Notizen, Gedichte und Artefakte ergänzt wurden. Die Liste der Beteiligten lässt wohl nur Ignoranten kalt: Lawrence Ferlinghetti, Allen Ginsberg, Jack Kerouac, Neal Cassady, Gary Snyder, William S. Burroughs, Hunter S. Thompson, Charles Bukowski, Dennis Hopper, Ira Cohen; um nur eine Handvoll zu nennen.

Modern Times, Charlie Chaplin (1936) Die Weltwirtschaftskrise der 30erJahre und ihre Folgen: Im Triebwerk der modernen Industrie verkommt der Mensch immer mehr zum ferngesteuerten Roboter in den von Maschinen geprägten Arbeitsabläufen. Im Zeitdruck gehen Individualismus und Identität zunehmend verloren – wer dagegen ankämpft, riskiert die Arbeitslosigkeit. Aktueller könnte das Werk nicht sein, welches Chaplin 1936 als Regisseur schuf. In der Hauptrolle verkörpert er einen Fabrikarbeiter, der als Versuchskaninchen für seltsame Erfindungen herhalten muss. Als die automatische Fütterungsmaschine ihm die Teller um die Ohren schmeisst, tickt es auch bei ihm aus: In der berühmten Laufbandszene rädert ihn die Maschinerie nicht nur im eigentlichen, sondern auch im bildlichen Sinn. Wie ein Irrer hetzt er bis zur Erschöpfung umher – Burn-out würde man wohl heute sagen. Chaplin entscheidet sich für die Menschlichkeit, steigt aus, kellnert in einer Kneipe und verliebt sich in ein wunderschönes Mädchen. So einfach geht das!

21. Juli, Kino Xenix, Zürich

jarmusch

Down by Law, Jim Jarmusch (1986) ‹Down by Law› ist ein stiller Film: das wird einem gleich zu Beginn bei der langsamen Einfahrt durch die menschenleeren Strassen Louisianas bewusst. Jim Jarmusch geniesst in der Schwarz-Weiss-Komödie die langgezogenen, kulissenhaft wirkenden Szenen und lässt seine Protagonisten Jack (John Lurie), Zack (Tom Waits) und Roberto (Roberto Benigni) in ihnen gewähren, wüten, schweigen und Karten spielen. Oder sie bis zum Exzess ‹I scream, you scream, we all scream for icecream› in ihrer Gefängniszelle brüllen. Dort sind die drei Rabauken mehr oder minder unschuldig gelandet. Bis auf Roberto, der einen Mann mit einer Billardkugel erschlagen hat. Der zunächst auf heftige Ablehnung seiner Zellgenossen stossende Italiener sorgt alsbald mit einem an die Zellenwand gemalten Fenster für ein kleines Stück Glück in der öden Gefangenschaft. Wie es Jim Jarmusch immer wieder schafft, dass der

27. August, OrangeCinema, Bern

gainsbourg

Erschienen bei Last Gasp Publishing, ca. CHF 30.– ‹Back in the days when I was young I’m not a kid anymore›, sang Ahmad und so schwelgen auch die Rezensenten Florence Ritter und William S. Blake wehmütig in Zeiten, in denen noch anständig gedichtet wurde, die Omi einen bekochte, Fahrräder statt Offroader die Strassen beherrschten und man sich revoluzzerisch glaubte, wenn man Freundeskreis hörte.

Anna, Pierre Koralnik (1966) Der blasierte Chef einer Werbeagentur wird vom Foto einer jungen Frau fast um den Verstand gebracht. Niemand kennt die zufällig ins Bild geratene Schönheit. Unsterblich verliebt, setzt er alles in Bewegung, um die Unbekannte ausfindig zu machen, lässt ihr Foto auf Plakatformat vergrössern und wartet un109

Zuschauer nicht vor schierer Genervtheit ob Benignis wild radebrechendem Wesen die Leinwand zerfetzt, ist uns zwar bis heute ein Rätsel. Aber es funktioniert. 27. August, OrangeCinema, Basel

dylan

Don’t Look Back, D.A. Pennebaker (1962) Der Dokumentarfilm ‹Don’t Look Back› begleitet den damals 24-jährigen Bob Dylan auf seiner Grossbritannien-Tournee im Jahre 1965. Dabei schwelgt der Schwarz-WeissFilm weniger in Konzertausschnitten, sondern konzentriert sich auf die Zeit vor und nach den Auftritten. Pennebaker zeigt Dylan, der eine überdimensionale Glühbirne als Talisman mit sich herumträgt, beim Musizieren mit Sängerin Joan Baez und dem ‹britischen Bob Dylan› Donovan oder bei seinem teilweise arroganten oder streitlustigen Umgang mit Fans und Journalisten. Wer denkt, durch ‹Don’t Look Back› einen Einblick in die Person Dylans zu erhalten, der irrt: Vielmehr demonstriert der Dokumentarfilm wie die verschiedenartigsten Faktoren im Leben des Singer / Songwriters seinen musikalischen Stil formen, der sich zum Zeitpunkt des Films kurz vor der Wende von der Folkmusik zur elektrischen Gitarre befand. Wem das nicht genug ist, der kann sich an der Anfangssequenz des Films delektieren: Hier zu bestaunen ist ein kleines Stück Musikgeschichte: das Video zum Song Subterranean Homesick Blues ist seines Zeichens der leibhaftige Vorläufer des Musikvideos! 28. Juli, Kino Xenix, Zürich Für die hier vorgestellten Filme verlosen wir je zwei Freikarten. Wie ihr die gewinnen könnt, steht auf Seite 16. Cathrin Michael und Anja Mikula haben sich seit dem Konsum von ‹Gainsbourg› in die reinkarnierte Geliebte und die Ehefrau gemorpht. Gemeinsam trauern sie ihrem Serge nach und schenken mit vor Eifersucht verzücktem Herz dem lieblichen Gesang von France Gall Gehör. Ob die beiden nach der Sommerpause wieder in das Hier und Jetzt zurückfinden schien zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses ungewiss.


From city to city Vom Werden und Vergehen der Städte berichtet ein Buch der Berliner Fotografenagentur Ostkreuz. Ein Band, der Fotografien aus 22 Städten versammelt – Bilder der Armut, des Zerfalls. Bilder, die der Frage nachgehen, welche Hoffnungen sich mit dem städtischen Raum verbinden. Text: Marc Peschke

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mmer wieder ist zu hören, die Stadt sei die Zukunft der Welt. Man mag es sich nicht vorstellen, wenn man etwa durch eine durchschnittliche bundesdeutsche Fussgängerzone läuft. Kaum einmal, dass Architektur hier utopisches Potential entfaltet. Trotzdem ist es so: Die Welt zieht es in die Städte. Mittlerweile leben mehr Menschen in Städten als auf dem Land.

Die Urbanisierung schreitet voran Die urbane Prägung des Menschen untersucht nun ein Buch, das die renommierte Berliner Fotografenagentur Ostkreuz anlässlich ihres 20sten Geburtstags herausgegeben hat. Hier haben die Mitglieder der Agentur Bilder zum Thema versammelt. 18 Fotografinnen und Fotografen sind um die Welt gereist, um Städte zu porträtieren. In Indien fotografierten sie die 1968 eröffnete esoterische Stadt-Utopie Auroville, in Manila fanden sie Slums, in den USA wuchernde, zerfaserte Städte wie Detroit, in China die Reissbrett-Stadt Ordos inmitten der Steppe, in Dubai allumfassende Künstlichkeit – und in Gaza zerbombte Häuser. So unterschiedlich die Bilder von Fotografen wie Dawin Meckel, Sibylle Bergemann, Andrej Krementschouk, Ute und Werner Mahler oder Maurice Weiss sind, so sind in vielen von ihnen doch die alten Glücksversprechen des urbanen Raums konserviert. Städte versprechen Freiheit und Wohlstand, Nähe und doch auch Anonymität – noch immer gilt: Stadtluft macht frei. Noch immer ist die Stadt ein Ort der Hoffnung, der Armut zu entfliehen. Doch noch immer ist sie selbst auch der Platz, wo sich die Armut sammelt, wo das Leben prekär wird, wie die Ostkreuz-Fotografen in 22 Städten erfahren haben. Armut – wie etwa jene in Lagos oder Manila – ist eine Katastrophe, aber es gibt noch andere: Prypjat in der Ukraine ist nach dem Reaktorunglück in Tschernobyl zu einer Geisterstadt mutiert – und in Las Vegas steckt das Katastrophale in der omnipräsenten Künstlichkeit. Betrachtet man diese Bilder, dann will man auf die Zukunft der Stadt keinen Pfifferling mehr kinki kunst

setzen. So wie der Beton an allen Ecken bröckelt, bröckelt auch die Hoffnung von der Stadt als ‹Schmelztiegel der Kulturen›. Oder ist es doch ganz anders? Die 18 Ostkreuz-Fotografen jedenfalls meinen, die Stadt sei ‹alles und sein Gegenteil – zur gleichen Zeit, am gleichen Ort›. Ostkreuz – Agentur der Fotografen (Hrsg.): Die Stadt. Vom Werden und Vergehen 296 Seiten, ca. 60.00 CHF Hatje Cantz Verlag, Mai 2010 ISBN tridimensional: 978-3-7757-2659-7 Fotos: Ostkreuz – Agentur der Fotografen Die Fotografen der Agentur Ostkreuz zeichnen mit diesem Buch ein sehr per­ sönliches Porträt der grossen und kleinen Städte unserer Erde.

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AjAmi

Die Entdeckung aus Taiwan: Ab Mitte Oktober in den Schweizer Kinos

Scandar Copti & Yaron Shani

«Hühnerhaut garantiert.» Le Courrier

Ab mitte August im Kino

au revoir taipei von Arvin Chen Oscar Nomination 2010 Best Foreign Language Film

Eine irre Grossstadt-Komš die mit immer neuen Wendungen Ð so schš n kann junges Kino sein!

Die andere Kinodimension: Filme und DVDs aus Süd und Ost www.trigon-film.org Telefon 056 430 12 30


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‹impressum› JuLI / AuGuST 2010 Cover: rasmus emanuel Svensson redAkTIonSAnSCHrIFT kinki magazine Mööslistrasse 3, 8038 Zürich T +41 44 271 09 00 F +41 44 271 09 02 kInkI MAGAZIne BÜro ZÜrICH Mööslistrasse 3 8038 Zürich BÜro STuTTGArT Falbenhennenstrasse 5 70180 Stuttgart BÜro BerLIn Wissmannstrasse 2 12049 Berlin GeSCHäFTSFÜHrunG mark.mirutz@kinkimag.ch ProJekTLeITunG melania.fernandez@kinkimag.ch MArkeTInG cathrin.michael@kinkimag.ch MArkeTInG ASSISTenZ orlando.pitaro@kinkimag.ch ABoServICe kinkimag.ch/abo | abo@kinkimag.ch onLIne orange8 interactive ag, orange8.com AuFLAGe 60 000 druCk Werk zwei Print + Medien GmbH GeSTALTunGSkonZePT raffinerie AG für Gestaltung, raffinerie.com eInZeLverkAuF /ABonneMenT CHF 6 / 4 (pro Ausgabe) / CHF 58 / 50 (11 Ausgaben) verTrIeB SCHWeIZ vALorA AG, valora.com verTrIeB InTernATIonAL stella distribution GmbH Frankenstrasse 7 20097 Hamburg

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die nächste Ausgabe gibt es ab dem 16. September!

foto des monats die ähnlichkeit ist frappant, wenn da nur nicht der Grössenunterschied wäre … rainer traf Stilikone und La ChapelleMuse Amanda Lepore während ihres kurzen Aufenthalts in Zürich und bietet euch hier schonmal einen vorgeschmack auf unsere Modeausgabe, die euch nach unserer Sommerpause erwartet. Amanda inklusive.

Ausschneiden und ab damit an: kinki magazine Mööslistrasse 3 8038 Zürich

Foto: Lozza

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probeabo


‹henry und paul› Die mit den gestraften Übeltätern. Und mit den küssenden Lesben. Und einer Antwort ohne Frage.

Sir? Sprich, Henry. Sie waren lange in der Stadt. Ich habe mir Sorgen gemacht. Henry, ich habe nur einen AidsTest gemacht, keine Bange. Gestatten Sie die Frage, Sir, aber warum grinsen Sie? Henry, als ich das Krankenhaus verliess, spielte das Radio gerade ‹Rape Me› von Nirvana. Herrlich. Stell dir vor, über dich fällt ein Unhold her und du lachst dabei. kinki henry und paul

Sir, das ist widerlich. Ach, komm, Henry. Es geht doch nur um den Urinstinkt der Menschheit. Strafe. Busse. Sühne. Nenn es wie du willst. Die Natur rächt sich, der Vergewaltiger steckt sich mit Aids an. Ätsch! Sir, das ist nicht sonderlich lustig. Ich … will das nicht hören. Na gut, lassen wir das, Henry. Willst du wissen, was ich sonst noch so allerhand Lustiges erlebt habe?

Sir, nehmen Sie es mir nicht übel, aber ich weiss nicht, ob ich das wissen will. Ha, ich werde es dir sagen, Henry. Ich habe zwei Lesben gesehen. Auf der Strasse. Sie haben sich geküsst. Sir, sehen Sie mir meine Wortwahl nach, aber was zum Henker ist daran lustig? Unsere Reaktion, Henry! Jeder schaut hin (man sieht es ja nicht allzu oft), jeder schaut unbe114

teiligt wieder weg (man will ja nicht zu laut glotzen), jeder stellt sie sich zusammen im Bett vor (wieso tut man das nur bei Homosexuellen?) und jeder gibt sich weltmännisch, als wär’s das Normalste in der Welt. Ist es das nicht, Sir? Natürlich ist es das, unterstell mir jetzt bloss keine Homophobie, Henry! Aber unsere Reaktion ist deswegen längst nicht so genormt wie bei heterosexuellen Paaren. Sie ist gekünstelt. Und ihre Erkenntnis daraus, Sir? Überhaupt keine. Moment … vielleicht doch. Eine Freundin zu haben, ist nur was für Schwule. Wie bitte? Schwul ist das neue Hetero! Jetzt habe ich den Faden verloren. Wer sagt das, Sir? Alle, Henry! Modezeitschriften, beste Freunde, müde Frauen. Aber es ist ja auch egal, wir kochen sowieso alle im selben Topf. Nur gären wir unterschiedlich lange. Jetzt bin ich verwirrt, Sir. Ich fasse zusammen: Wir sind alle schwul? Exakt, Henry. Und jetzt mach mir ein Sandwich! Gerne, Sir. Mit Mayonnaise? Tss … Henry! Mayonnaise ist Porno, Butter ist Erotik. Sir, mein Blutdruck. Bitte unterlassen Sie es, Lebensmittel verbal zu vergewaltigen. Beruhige dich, Henry. Ich habe ja kein Aids. Alles ist gut. Wir haben uns alle lieb. Aber ich habe Hunger. Ich nicht mehr, Sir. Ich nicht mehr. Text: Roman Neumann Foto: Philippe


DEIN

DVD Release 09.09.2010

DVD & BluRay Release 09.09.2010

DVD & BluRay Release 02.09.2010

DVD & BluRay Release 26.08.2010

DVD & BluRay Release 05.08.2010

DVD Release 01.07.2010

GEORGE CLOONEY in «THE MEN WHO STARE AT GOATS»

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>> Fun is the new green. Der smart fortwo electric drive.

Etwas Gutes zu tun, hiess bis heute auch immer ein Stück weit zu verzichten. Doch das ist Geschichte. Wer die Umwelt mit dem smart fortwo electric drive schützt, bekommt jetzt sogar noch etwas dazu: jede Menge Fahrspass. Denn die Zukunft fährt nicht nur leise, effizient und emissionslos, sie beschleunigt auch dynamisch und stufenlos. So wird Fahren zu einem ganz neuen Erlebnis. Auch für Ihr Gewissen. Der smart fortwo electric drive. Viel Spass ohne Abgas.

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