kinki magazine - #17

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kinki

nr. 17 sept/okt 2009 chf 6.–

4.–


ab CHF 179.00


‹Die Aussenseite des Menschen ist das Titelblatt des Innern.› – Persische Weisheit –

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Discover the legend of the Zodiac race at onitsukatiger.ch


‹editorial› dress to express. Liebe Leser. Eine Modeausgabe. Ausgerechnet jetzt. Wo es doch sinnvollere Beschäftigungen geben sollte, als sich über die stofflichen Hüllen um den Leib Gedanken zu machen. Zum Beispiel die Kohlendioxid-Belastung in der Atmosphäre, das Scheitern von Obamas Gesundheitsreform oder DJ Bobos unvermeidbare ‹Fantasy Tour 2010›. Oder viel­leicht ist gerade jetzt, wo sich die Welt aus ihrer sorgen­ geschwängerten Verkrampftheit nicht zu lösen vermag, die einzig sinnvolle Überlegung die der Wahl eines ange­ messenen Outfits? Denn eines ist klar: obwohl es gerade reichlich Trouble gibt, lassen wir uns nicht aus der Ruhe bringen und sehen selbstverständlich auch noch gut aus dabei. Wir diskutieren also über Oberflächlichkeiten und machen eine ernste Miene, wenn wir uns die untrag­bare Herbst-/­Winter-Kollektion von Henrik Vibskov vor Augen führen lassen. Ob Mode nun ein Mittel zum individuellen Ausdruck der Persönlichkeit, eine Lebenseinstellung oder ein politisches Statement ist, wollen wir hier gar nicht vertiefen. Hauptsache ist doch, dass man nicht zweimal dasselbe tragen muss. In diesem Sinne, eure in Seide gehüllte kinki Redaktion kinki

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www.pepejeans.com





‹content› Fashion

05 12 14 14 23 24 40 44 46 50 52 64 66 68 74 76 80 88 90 92 100 102 104 110 112 116 124 126 128

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Editorial Content Gossip Agenda Klamottenmauer ‹Femme Fragile› von Aorta Sadak: Ethnisch inspiriert – modisch kreiert Interview: Jesse Leyva Das Kleiden der Lämmer kinki’s found a fashion friend! A Life Less Ordinary Playlist: Patrick Mohr Querschläger: Andi Stutz ‹Organika› von Michael Bader Vertreter: Tabi Shoe Shock to Sell Engel im Deux Pièce Die Dreifaltigkeit der Düfte: London – Mailand – Paris Vive la Fragrance Philippe Jarrigeon: Dressed Over Creative Crisis Chronometrischer G-Punkt Schmucke Begleiter Freie Radikale Handkerchiefs: Faked in Switzerland ‹Missed on a Mission› von Raphael Just Media A Darker View Abo / Impressum

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‹contributors›

Aorta

Nach ihrem Abschluss an der Göteborger School of Photography im Jahre 1997 beschlossen Kristian Krän und Marco Grizeli, gemein­ same Sache zu machen und arbeiteten fortan unter dem Namen Aorta für unterschiedlichste Kunden wie das Göteborg City Theater, Toyota, Absolut Vodka und namhafte Magazine wie Elle, Café oder das 125 Magazine. Mit einer gelungenen Mischung aus Modefotografie und semidokumentarischen Einflüssen erschufen Aorta schon bald ihre ganz eigene Handschrift. Das Duo denkt cine­matografisch, wenn sie ein Shooting angehen, daher ist ihnen auch die Wahl der Location sehr wichtig, wie man in ‹Femme Fragile› schnell bemerkt, einer Story, die Aorta ursprünglich fürs englische Magazin 125 produzierten. – S. 24

Michael Bader

Der Münchner Fotodesign-Student Michael Bader beschäftigt sich gerne mit experimenteller Fotografie und unkonventioneller Mode. Für diese Ausgabe schoss Michael die Strecke ‹Organika›, die sich mit dem Ökomode-Trend auseinandersetzt und die Idee der biologisch hergestellten Stoffe auf die Spitze treibt. ‹Für mich soll Kleidung nicht nur eine Oberfläche bzw. eine Hülle sein, sondern mit dem Menschen eins werden und verschmelzen. Sie soll eine wirkliche Verbindung mit dem Träger eingehen, was meiner Meinung nach in heutigen Mode­ fotografien viel zu selten der Fall ist›, kommentiert er selbst die Moti­vation seiner Arbeit. Die Ver­schmel­ zung der Kleidung mit dem Model hatte beim Shooting allerdings auch seine Grenzen: ‹Das Eis­outfit war so kalt, dass das Mädchen Frostbeulen davontrug.› Organischer kann Kleidung nicht sein. – S. 68

Philippe Jarrigeon

Was die Arbeiten des Franzosen Philippe Jarrigeon so speziell macht, ist sicherlich der surreale und teilweise sehr ironische Blick, den er auf Themen wie Glamour, Mode oder Alltag wirft, und die Art, wie er daraus scheinbar mühe­los skurrile Welten erschafft. Schon während seines Studiums an der ECAL in Lausanne, das er vor drei Jahren abschloss, ver­ wirk­lichte der heute 27-Jährige etliche interessante Projekte und prä­sentierte seine fotogra­fischen Arbeiten in namhaften Magazinen wie Jalouse oder Amusement. Diesen Monat wird Philippe übrigens auch die erste Ausgabe seines eigenen Magazins namens ‹Dorade› veröffentlichen. Man darf gespannt sein! – S. 92

Sabine Liewald

‹Mode ist für mich irgendwie schizophren: auf der einen Seite bedeutet sie Anpassung, auf der anderen Seite Freiheit, Statussymbol und Statement. Kurz ge­sagt, Mode ist etwas total Verrücktes›, beschreibt die Fotografin Sabine Liewald ihr Verhältnis zur Fashionwelt. Seit neun Jahren pendelt die geborene Stuttgarterin zwischen Manhattan und Zürich, und verlieh unserer Mode-Spezialausgabe mit ihren Beauty-Shots den letzten Schliff. – Cover, Content und letzte Seite

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‹gossip›

no dogshit

‹agenda›

Der beste Freund des Menschen lässt sich neuerdings auch zusammen­ klappen und um­ weltschonend ent­ sorgen.

09 30.08.–25.10.

utopics: 11th swiss sculpture exhibition Biel

22.09.

archive (uk) & birdpen (uk) Volkshaus, Zürich 23.09.

soap&skin (au) Südpol, Luzern

Es gibt viele Dinge, die die Welt nicht braucht! Der Flatdog ist ei­ nes davon und deshalb müssen wir ihn unbedingt haben. Der Flatdog sagt stinkigem Hunde­ atem, herumliegenden Hundehaa­ ren und erzwungenen Spaziergängen bei Regenwetter den Kampf an und dient mit aussergewöhn­ licher Geselligkeit und leichter Pflege. Günstig, stubenrein und in fünf verschiednen Sorten erhält­ lich. Der Flatdog ist immer da, wenn man ihn braucht, beim Lesen vor dem Kamin, am Bettende beim Schlafengehen oder auch mal

beim Spazieren in der It-Tasche. Ausserdem ist er in die Ecke stell­ bar, falls der Bedarf an Gesell­ schaft mal ein Ende findet. Und wer schon immer beeindruckt von ­Macaulay Culkins alias Kevins ab­ schreckenden Installationen war, der kann den Gefährten aus Karton auch auf die Modellei­ senbahn montieren und ihn seine Kreise ziehen lassen – ob das die Einbrecher auch wirklich beeindruckt, bleibe dahingestellt. Er­ hältlich bei Riviera in Basel. (fr) www.baslerriviera.ch

25.–27.09.

freestyle.ch Landiwiese, Zürich 26.09.

global ghetto anthems feat. toy selectah (mex) Südpol, Luzern

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ghettohymnen für luzern

Auch die Regulators werden ihre Luzerner Hood mit internationalen Hymnen beehren.

Be ready for Hood House! Das ­Luzerner Kulturnetzwerk Korsett realisiert ab September eine neue Veranstaltungsreihe im Lu­ zerner Südpol. In Zeiten, wo sich Clubs und Eventveranstalter mit lustlosen Ideen fortwährend selbst übertreffen, soll die Serie ‹Global Ghetto Anthems› ein Gegenpol zu diesen beinahe lethargischen Zuständen darstellen und eine echte Alternative für Tanzbegeisterte sein. Ganz im 14

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Sinne des globalen Kulturaus­ tausches werden musikalische Ein­ flüsse aus aller Welt – wie bei­ spielsweise angolanischer Kuduro, mexikanischer Cumbia oder ­­ brasilianischer Baile Funk – mit eu­ ropäischer und amerikanischer Clubmusik in Verbindung gebracht und einem breiten Publikum ­zugänglich gemacht. Die Hood ­Regulators fungieren dabei als Gastgeber und spielen zusammen mit je einem internationalen Gast den Sound der Townships, Favelas, Slums, Barrios und ­Ghettos rund um den Globus und ­verschaffen der Dritten Welt ein ­Gehör. Mottogetreu eben: Mu­ sica para o mundo inteiro! ­Weitere Info findet ihr unter www. korsettkollektiv.com. (rs) Gäste: 26.09.09 – Toy Selectah (Mad Decent, MX) 31.10.09 – Schlachthofbronx (Disko B, München)

onedotzero_ch: digitalfilmfestival Seefeld Razzia, Zürich 07.10.

patrick wolf (uk) Mascotte, Zürich 07.–11.10.

shnit: kurzfilmfestival Bern und Köln 09.–11.10.

freestyle.berlin

Berlin-Tempelhof, Berlin 10.10.

equinox tour feat. ceschi (usa), 2mex (usa), playpad circus, dj scientist (d) Sedel, Luzern 11.10.

peter, bjorn and john (se) Fri-Son, Fribourg 16.10.–01.11.

illustrative: forum für zeitgenössische illustration und grafische kunst Villa Elisabeth, Berlin


Das neue Rivella Gelb.


kalte dusche mit ­heisser schokolade Der Duft von ­warmem Kakao ver­ wandelt sogar Warmduscher in süs­ se Versuchungen!

Wie genau sollte ein Mann riechen, um die zarten Nüstern der Frauen zu erquicken? Nach Moschus und Flieder? Nach Bergamotte und Sandelholz? Oder doch lieber nach Motorenöl und Benzin? ­Alles falsch! Das wahre Geheimnis der olfaktorischen Verführungs­ kunst birgt nämlich der Duft von Heisser Schokolade, Schlag­ sahne und Kirsche. Schon die Az­ teken wussten um die aphrodi­ sierende Wirkung der Kakaobohnen, welche wie es scheint nicht nur im Mund der Damen, sondern auch in deren Näschen ­wahre Glücksgefühle hervorrufen. Mit ‹Dark Temptation› wird AXE diesen Herbst deshalb die Herren der Schöpfung in duftende Sa­ chertörtchen verwandeln, und sie im wahrsten Sinne des Wortes zum Anbeissen riechen lassen. Und selbst wenn die armen ­Frauen dieser Verführung wohl kaum widerstehen können und sie sich durch den Geruch von ‹Dark Temptation› in hungrige Bestien verwandeln sollten, so bringt der neue Duft von AXE auch für das zarte Geschlecht zumindest den Vorteil, dass das Vernaschen der süssen Versuchung im Gegensatz zum Naschen der braunen Süssigkeit gut für die Li­ nie ist. Bon appétit, mesdames! (rb) www.axe.ch

5 years real (good) time society Am 3. September feierte Real Time Society im Globus Zürich in Saus und Braus den fünften Ge­ burtstag ihrer Boutique sowie das zehnjährige Jubiläum des Swiss Textiles Award. Fünf Jahre ist es her, dass Real Time Society ihre Bou­ tique im Globus in Zürich mit einer Selektion vielversprechender ­Designer eröffnete, und seither Kunden mit ungewöhnlichen De­ signstücken von Schweizer Talen­ ten beglückt. Diese vortreffliche Auswahl an Designern und Klei16

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dungsstücken können wir, als Büronachbarn, aus erster Hand bestätigen, schleichen wir uns doch täglich lechzend an den neus­ten Designkleidern vorbei. Wir gratulieren dem Geburtstags­ kind herzlich mit fünfstöckiger Kirschtorte, in rosa-weiss-gepunk­ tetem Papier, drapierten Luft­ küssen und dem ein oder anderen Champagnerglas, schliesslich ist Vorfeiern genauso angesagt wie Nachfeiern. Ebenso möchten wir uns herzlich bei Real Time

­ ociety bedanken, die als Bü­ S ronachbarn unser wachsendes Team toleriert, aufgenommen, mit Ge­ schichten unterhalten und gar mit den besten Salaten der Stadt durchgefüttert haben! Das Zürcher kinki Office zieht nämlich ab ­September nach Zürich Wollishofen, wo wir uns natürlich weiterhin über Besuche, Klatsch und modi­ sche Tipps der RTS-Mitglieder freuen. (fr) www.realtimesociety.com

willkommen in eden

Hätte es den Sün­ denfall nicht ­gegeben, müssten die Evas unter uns auf Element Eden verzichten. Und das wäre sündhaft schade.

Dass ‹Element› nicht nur als einer der bekanntesten Skateboard­ brands bekannt ist, sondern seit geraumer Zeit mit der Damen­ kollektion ‹Element Eden› auch die Herzen aller fashionbegeister­ten Girls höher schlagen lässt, dürfte mittlerweile den meisten be­ kannt sein. Dass der Brand seiner Verbindung zu Mutter Erde und ihren Bewohnern aber nicht nur im Namen gerecht wird, sondern an verschiedensten Stellen soziale und biologische Verantwortung übernimmt sowie junge Frauen aus unterschiedlichsten Bereichen ­unterstützt, dürfte aber vielleicht der ein oder anderen vor lauter Be­ geisterung für die neue Herbst-/ Winterkollektion entgangen sein. Egal ob Musikerinnen, Schriftstellerinnen, Künstlerinnen oder Motivationstrainerinnen und Sozialarbeiterinnen: als soge­ nannte Advocates des Brands ge­ niessen derzeit zwölf interessante junge Frauen die Unterstützung von Element Eden. ‹Live, Learn, Grow› lautet nämlich die Devise der Kleidermarke, und ganz in diesem Sinne solltet auch ihr euern Horizont unbedingt um einen ­Besuch auf ihrer Website erweitern! Sei es, um sich über kommende Projekte und die einzelnen Advo­ cates schlau zu machen, oder ­einfach nur, um die aktuelle Kollektion durchzuschauen. (rb) www.elementeden.com


adventures in motion

hgk basel: arty party Am onedotzero.ch ist mit vielversprechenden filmerischen Neuent­ deckungen zu rechnen.

Das Schweizer Pendant zum Onedotzero Original aus London findet dieses Jahr erneut im ­Rahmen des Zürcher Film Festivals statt und gibt jungen Künstlern die Möglichkeit, in den verschiedens­-

ten Bereichen um Motion und Film ihrer Kreativität freien Lauf zu ­lassen. Filmkünstler, die sich etab­ lieren möchten und in denen ein kleiner Polanski schlummert, füllen das Programm des onedot­

zero.ch mit klassischen oder ani­ mierten Zeichentrickfilmen und erhoffen sich vom Publikum die nötige Unterstützung für den Einzug in den Filmolymp. Die Jury – nicht aus Dieter Bohlen oder Kollege Detlef bestehend, sondern aus den Reihen des Publikums entsandt – entscheidet über Knall oder Fall der Teilnehmenden. Wir können euch einen Besuch des onedotzero.ch am 1. und 2. ­Oktober 2009 nur ans Herz legen. Spannendes, Lustiges, Unter­ haltsames und Skurriles sorgen zweifellos für die nötige Abwechslung. Weitere Informationen zum Festival, Links zu allen wich­ tigen Dingen und ein Interview mit Bart Wasem, dem Programmleiter des onedotzero.ch, findet ihr online auf kinkimag.com. (km)

Die diesjährige Abschlussparty der HGK Basel übertraf alle Erwartungen. Was in der Vorberei­ tungsphase noch nicht genau in der Vorstellungskraft mancher Köpfe Platz finden konnte, wurde am 4. September klargestellt. Die Dreispitzhalle in Basel war nicht mehr zu erkennen. Ein Setting der Sonderklasse erwartete die Besucher und faszinierte im ersten Augenblick auf eine Weise, dass einem die Spucke wegblieb. ­Ausgelassene Stimmung, kontakt­ freudige Menschen und lachende Gesichter, denen gegen Morgen hin der Kater vom nächsten Tag anzusehen war, sah man über die ganze Party hinweg und sie ­machten sie zu dem, was sie wer­ den sollte: unvergesslich. Die ­Mucke sorgte für den Rest und lässt sicher alle bis nächstes Jahr in ­Erinnerungen schwelgen und ge­ bannt auf die nächste Sause ­warten. (km) www.fhnw.ch

rock my wrist

Auch die härtesten Rocker sind mittlerweile im digitalen Zeitalter ange­ kommen.

Nein, nicht nur prollige Rapper stehen auf tolle Uhren, auch Rock’ n’ Roller wissen ‹what time it is!› Seit nunmehr zwölf Jahren sorgt das amerikanische Uhren- und Bekleidungslabel Vestal nämlich mit seinen Kollektionen dafür, dass nebst Nietenband und Leder­ schnur auch eine passende Uhr das Gitarristenhandgelenk schmücken darf. Beim Design zeitloser Chronometer lässt sich das Label dann authentischerwei­ se auch von seinen musikalischen Teammitgliedern beeinflus­ sen, zu denen nebst Grössen wie den Eagles of Death Metal, MSTRKRFT, Turbonegro, Black

Lips und Peaches auch im Snow-, Surf- und Skatebereich Teamrider mit rockiger Attitude zählen. So kreierte unter anderen auch die Star-Tätowiererin Kat Von D schon ein Uhrenmodell für Vestal, und die bärtige Skatelegende Chris Haslam fühlt sich sichtlich wohl im Team neben sei­ nen (ebenfalls bärtigen) musi­ kalischen Vorbildern, den Trash­ rockern von Valient Thorr! Wer also auch im Circle Pit oder beim Stagediven gerne wissen will, welche Tages- oder Nachtzeit ausserhalb des rauchigen Kellerclubs gerade geschlagen hat, dem sei dringend zu einer Vestal-

Watch geraten, die ihr euch auf ihrer Homepage ansehen könnt. Der Besuch lohnt sich übrigens nur schon wegen der Unmengen ­toller Musicclips und Interviews. Und wer am liebsten gleich eine ‹Digichord› umsonst abstauben möchte, der schreibe eine Mail mit dem ­Betreff ‹Vestal› an wettbewerb@kinkimag.ch, und mit ein wenig Glück tragt ihr schon bald ein Stück Musikgeschichte am Handgelenk. Let’s rock! (rb) www.vestalwatch.com

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kunst am sack Dass Recycling sich auch mo­ disch bewährt, dürften die Zürcher Gebrüder Freitag mit ihren Ta­ schen in den letzten Jahren mehr als eindrücklich bewiesen haben. Manch weit gereiste Lastwa­ genplane erfreute sich im Atelier des Kult-Labels schon einer imposanten Wiedergeburt als Umhänge- oder Einkaufstasche. Doch neuerdings stecken die fleissigen Taschenmacher ihre Teppichmesser nicht nur ins LKWVerdeck, sondern vergreifen sich für ihre Limited Art Edition an den Ausstellungsplakaten weltbe­ kannter Kunsthäuser wie der Tate Gallery, dem Tokyo Mori Art Museum oder dem MOCA! So ­erstrahlt das allseits beliebte Frei­ tag-Modell ‹F52 Miami Vice Shopping Bag› im künstlerischen Glanz verschiedenster Ausstel­ lungsbanner. Was uns mal wieder

zeigt, dass Recycling nicht nur modetauglich, sondern auch äus­ serst arty sein kann! Zu haben gibt’s die streng limitierten Kunst­ tüten auf www.freitag.ch. (rb)

Tour d’Art: die Plastiken­aus­stellung Utopics holt Kunst aus aller Welt auf Bieler Strassen.

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Sie sind es: unsere französischen Revolver-Helden. Während uns einige Bands ihrer Musik willen, andere ihrer Aufmachung wegen sympathisch sind, lieben wir Revolver, weil sie einen perfekten ­B alanceakt zwischen beiden Be­ reichen meistern. Hinzu kommt ihr verführerischer Akzent, mit dem sie ihr Image als ‹musiciens ­charmants› der englischen IndieWelt unterstreichen. Die Musik der Frenchies hört sich verdächtig nach den 60er-Jahren und den Beatles an, das aber sehr überzeu­gend und in erfrischender ­Manier! Wir empfehlen, Ambroiese, Christophe und Jérémie gleich live auf ihrer Tour zu sehen und davor unser Interview auf www.kinkimag.com/magazin zu verschlingen! (fr) Tourdaten D: 25. 09. Reeperbahnfestival, Hamburg 26. 09. Studio 672, Köln 27. 09. Privatclub, Berlin 28. 09. 59 to 1, München www.myspace.com/popdechambre

utopics we believe in

Die Monate September und Ok­ tober stehen in Biel im Zeichen der Kunst: Vor der malerischen Ku­ lisse des Städtchen am Bielersee wird während der 11. schwei­ zerischen Plastikausstellung Kunst im öffentlichen Raum neu defi­ niert. Als Novum im Kunstzirkus werden nicht nur Künstler, son­ dern auch (fiktive) Mikronationen wie Sealand oder Kingdom of ­Talossa ihre Werke in der Stadt präsentieren. Als verbindendes ­Element wurden die Teilnehmer angehalten, ‹ihre Ideen mit dem ­Mittel der plastischen Gestaltung zu kommunizieren und erfahrbar zu machen›. Die 50 Interventionen und Installationen decken ein breites Spektrum zeitgenössischer Kunst ab und variieren von ­Theaterveranstaltungen, Ausstel­

hände hoch

lungen und Performances zu Le­ sungen, Filmproduktionen und vie­ lem mehr. Die Utopics kann anhand eines Touristenführers in einem Rundgang besichtigt ­werden, auch stehen speziell für die Ausstellung konzipierte ­Guides bereit, welche die Besu­ cher auf einer rund zweistündigen Tour quer durch die Stadt be­ gleiten. Wir stehen schon in den Startlöchern und können es kaum erwarten, an der Utopics die künstlerischen Systeme, Uto­ pien und Weltentwürfe von ­Künstlern, Spassvögeln, Idealisten, Autokraten und Ex­zentrikern zu beäugen. Ein absolu­tes Muss für alle Kunstinteres­sierten. Wer seit der Expo 02 nicht mehr in Biel war, der sollte sich ins Knie s­chämen, und sein Kulturmanko beim Utopics Stadtparcours ­wieder auffrischen. (fr) Utopics – 11. Schweizerische Plastikausstellung in Biel: ­3 0.08.–25.10.09, Vernissage: 29.08. 12–21 Uhr www.interversion.org/utopics

music in the air Stellt euch vor, die neuen kinki Charts kommen raus und ihr ver­ liebt euch promt in eines oder mehrere der Lieder. Leider seid ihr aber gerade irgendwo auf einer Alpwiese, um für den alltäglichen Büroalltag neue Kräfte zu sam­ meln. Wie um Himmels Willen sollt ihr nun da oben, fernab jeglicher Zivilisation, an den langersehnten Ohrwurm rankommen? Ganz ­einfach: die Lösung des Rätsels bietet nämlich das neue ‹Nokia ­Comes With Music›-Mobiltelefon, mit dem ihr von überall auf Musik zugreifen könnt. Der neue Dienst von Nokia ‹Comes With Music› bietet dem Kunden ein vollkommen neues Klang- und Profitergebnis in Bezug auf Musikdownloads. Mit dem Kauf eines Comes With ­Music Mobiltelefons und dem damit verbundenen inklusiven MusikService steht euch nämlich eine Datenbank auf dem Nokia Music Store mit mehr als fünf Millionen Songs zur Verfügung, die ihr obendrein nach Ablauf der Jah­

resfrist unbegrenzt behalten und weiter nutzen könnt. Falls ihr also bereits jetzt schon einen Alp­ ausflug oder dergleichen in ­Planung habt, schaut unbedingt auf kinkimag.com vorbei und ­gewinnt mit etwas Glück ein ­Nokia 5630. (km)



shnit, shnat, film ab Von wegen ­langsame Berner! Das ‹shnit›-Festival überzeugt nicht mit langatmigen Werken, ­sondern mit prägnanten Kurzfilmen.

Es müssen nicht immer Blockbuster und Long métrages sein, im Ge­ genteil, wir sind längst den pointierten und subtilen Kurzfilmen ver­ fallen. Oft künstlerisch anspruchsvoll und low budget produziert, verzichten diese 1- bis 30-minütigen Filmchen auf den gewöhnlichen dramaturgischen Ablauf und bewei­sen auch bei der Themenwahl mehr Mut als ihre langatmigen Geschwister. Kurzfilme sind wie Überraschungsbonbons, deren Geschmack man im Vorhinein nicht kennt. Man setzt sich in den Kino­ saal und lässt sich von jemandes

Geschichte und Umsetzung be­ rieseln. Und wenn der Film mal nicht gefällt, dann macht das nichts, schliesslich ist er ja bald vorbei! Genau aus diesen Gründen lohnt sich der Besuch eines Kurz­ filmfestivals besonders. Ein ­aussergewöhnliches Spektrum an Filmen bietet das internationale Kurzfilmfestival ‹shnit›, welches weltweit nach den speziellsten Kurz­ filmen aller Art sucht! Somit erwarten den Besucher des shnits skurrile Kurzspielfilme, innovative Videoclips und eindrückliche ­Dokus, ein Potpourri an Genres,

alle vereint durch ihre Länge, sprich Kürze. Sie alle buhlen um die ­Preise der Jury und um die Herzen der Zuschauer und tragen zum abwechslungsreichen und qualitativen Programm des Festivals bei. Das shnit Kurzfilmfestival findet vom 7.–11. Oktober in Bern und parallel in Köln statt und war­ tet, über die Städte verteilt, mit ­einer einzigartigen Atmosphäre und abendlichem Fest auf. Ein be­ sonderer Abend verspricht der 9. Oktober zu werden, dann prä­ sentieren Delan Productions & kinki magazine die ‹kinki night›! Ab ­ 23 Uhr gibt es VJ-Action: Bei einem animierenden DJ-Set werden Filmausschnitte vom shnit live mit Effekten bearbeitet, editiert und ‹geremixt›. Also steigt ein in die ci­ neastische Wundertüte und lasst euch auch beim Tagesab­ schlusstanz noch von der über­wäl­tigenden Bilderwelt aus über 100 Filmen begleiten! Als Me­dienpartner verlosen wir selbstver­ständlich Freikarten fürs Festival auf www.kinkimag.com! (fr) www.shnit.ch

kinki presents windmill on tour

Ein Blick auf unsere Agenda ge­ nügt, um auszumachen, dass die besten Musik-Exporte nach wie vor aus England kommen. Da reiht sich auch die Band Windmill ein, die ihr ebenfalls in greifbarer Zeit live erleben könnt. Windmill, das ist der Sänger und Produzent Matthew Thomas Dillon, der live 20 kinki

mit seiner Band auftritt und seine Alben in Zusammenarbeit mit Tom Knott produziert. Unglaublich, dass wir dieses musikalische ­Projekt erst jetzt vorstellen, kam doch das erste Album ‹Puddle City Racing Lights› schon 2007 auf den Markt und löste eine Eu­ phoriewelle in der englischen IndieMusiklandschaft aus. Nun steht das Release des zweiten Albums ‹Epcot Starfields› an und wir ­können es kaum erwarten der ho­ hen und leidgetränkten Stimme Dillons zu horchen, die ihm schon Vergleiche mit dem jungen Neil Young einbrachte. Auch in melodi­ scher Hinsicht sind wir gespannt, was da kommen mag, zeigte sich doch das erste Album in ‹Arcade Fire›’scher Manier mit orchestralen Arrangements, viel Piano und ­Cello. Einzig die Grafik haut uns nicht aus den Socken, dafür

geht der Rest unter die Haut. Also lasst uns die frohe Botschaft in Windeseile verbreiten. Tourdaten CH/D: 26.09. FZW, Dortmund 27.09. International Love-Nerd Festival @ Kamp, Bielefeld 30.09. KulturhausIII&70, Hamburg 01.10. Beatpol, Dresden 02.10. Nato, Leipzig 03.10. Dot Club, Berlin 04.10. Kulturkeller, Fulda 08.10. Mariaberg, Rorschach 09.10. Kulturwerk 118, Sursee 10.10. Swamp, Freiburg Natürlich belässt es kinki nicht bei dieser ­ Ankündigung; auf unserer Website bieten wir euch ein exklusives Interview mit Matthew Thomas Dillon sowie die neusten Tracks von Windmill zum Anhören und darin Versinken. (fr) www.kinkimag.com/magazin www.myspace.com/windmillband

kugel­ sichere gläser

Bald ist es wieder soweit: vom 25. bis 27. September werden sich auf der Zürcher Landiwiese am Freestyle.ch Skateboard-, Snow­ board- und FMX-Profis um die ­Ohren springen und hoffent­lich nur bei den Zuschauern für ausge­ renkte Kiefer und Hälse sorgen. Mit von der Partie ist auch dieses Jahr die breit gefächerte Teamschar des kultigen Son­nenbrillen- und Goggleherstellers Oakley. Sei es der Freeskier Jacob Wester, Snowboard-Oberstyler Nicolas Müller, der ­gefeierte deutsche Vertskater Jürgen Horrwarth oder sein brasi­lianischer Teamkollege Sandro Dias sowie der furcht­ lose FMXer Petr Pilat: sie alle ­werden mit ihren Leistungen und dem grossen ‹O› auf der Schläfe für zahlreiche ‹Uhhs› und ‹Ohhs› im Publikum sorgen. Die Ski-, Snowboard- und FMX-Fraktion wird nämlich dieses Jahr nicht mit ir­ gendeiner Goggle am Freestyle.ch erscheinen, ­sondern mit einer auf 40 Stück limitierten Special Edition, deren sprichwörtlich ­kugelsichere Scheibe im ‹Rolling O-Lab› gar dem Beschuss mit ­einem 6 mm Hochgeschwindigkeitsprofil standhält. Wer gerne selbst in Besitz einer solchen Hochsicherheits-Goggle kommen möchte, sollte unbedingt an der Verlosung des exklusiven Stücks beim Rolling O-Lab teilnehmen. (rb) www.oakley.com/sports/freestylech



‹kinkimag.com›

over ansgar the rainbow

neue ufer Ein schöner Rücken kann auch ent­ zücken: die aktuelle Kollektion von Nathan Smith.

Statt mit einem klassischen Lebenslauf aufzuwarten, teilt der Ham­ burger Fotograf Ansgar Sollmann sein Leben lieber in Schnapp­ schüsse ein. Schon früh wurde dem 29-Jährigen nämlich seine Lei­ denschaft zu Fotografie und Film bewusst, mit deren Mittel er sich und dem Betrachter Freiheit zur Interpretation ‹der ­Wahrheit hinter der Wirklichkeit› verleiht. Überzeugt euch am ­besten selbst, denn wir beehren Ansgar diesen Monat auf kinkimag.com mit einem Künstlerporträt und ­verschaffen euch einen Einblick in seine Arbeiten.

Wer mit CocoRosie ein Interview führen will, der muss sich darauf gefasst machen, dass die zwei Schwestern auf sich warten ­lassen, oder eben doch nicht den Drang oder die Lust verspüren, ein Interview zu führen. Eigenwillig und unangepasst, das waren sie schon seit Anbeginn ihrer Kar­ riere – auf wie neben der Bühne. kinki wollte wissen, wie es sich anfühlt, im schnellebigen Musik­ zirkus erfolgreich mit Maskerade und Theatermontur zu bestehen und welche Pläne sie für die Zukunft schmieden. Bei ihrem Schweizer Konzert in der Schüür gelang es uns, Bianca Casady für ein kurzes Gespräch zu gewin­ nen, bei dem sie sich ebenso ­speziell und unnahbar zeigte, wie wenn sie mit ihrer überirdischen, hohen Stimme auf der Büh­ ne summt. CocoRosie, zwei ­ausgefallene Divas auf ihrer Thea­ terbühne? Viel eher zwei Küns­t­ lerinnen, die in CocoRosie Land leben, während sich die Welt aussen in eine andere Richtung weiter dreht. Ihre Welt besteht nicht nur aus Musik, sondern aus künstlerischen Projekten und den Charakteren, die sie – für die Bühne geschaffen – privat wei­ terführen. So spiegeln auch am Abend ihr stets befremdendes Aussehen sowie die Kostümierung ihren Charakter wider, den wir dank der hervorragenden stimmli­ chen Leistung auch etwas in ­unser Herz geschlossen haben. Ein Gespräch über die Welt da ­draussen, über zukünftige Projek­ te und über solche, die auf der Strecke geblieben sind. 22

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onedotzero Der Berner Producer, Schreiber, Editor und Programmleiter des onedotzero.ch ist ein wahres Mul­ titalent. An kreativen Ideen scheint es dem unerwartet redseligen ‹Franz und René›-Fan ­dementsprechend selten zu mangeln. Im Gespräch mit unserer Autorin Katja Alissa Müller verrät er uns, woher er seine Einfälle nimmt, wel­ che Anforderungen ein Film haben muss, um in seiner DVD-Samm­ lung zu landen und natürlich auch was genau Kreativität und Zitronen gemeinsam haben.

Die australischen Männer schei­ nen eindeutig glücklicher zu sein: nicht nur, dass ihnen grob ge­ schätzte 340 Sonnentage im Jahr vergönnt sind, sie haben auch noch Zugang zu den lässigsten Labels, die man sich denken kann. Während in unseren Breitengraden die Jungs zu wahren RetortenBoys verkommen sind, wachsen coole und aussergewöhnliche ­Labels für Herrenmode auf der anderen Seite des Globus wie Pilze aus dem Boden. Online präsentie­ ren wir euch fünf Aussi-Nach­ wuchslabels.

mehr? Und natürlich warten diesen Monat auf www.kinkimag.com nicht nur diese und weitere exklusive Ar­ tikel und Modethemen en masse auf euch, sondern wie gewohnt auch jede Menge News, Geheim­ tipps sowie die allseits beliebte wöchentliche Unterhaltung unse­ rer Herren Henry und Paul auf ­unserem Blog. Nebst zahlreichen Videoclips, Artikelergän­zungen, Künstlerporträts und der erleichternden Wirkung der ­Klagemauer denken wir natürlich auch an all die Gierigen und ­Raffsüchtigen unter euch und ­verlosen diesen Mo­ nat wieder in ­zahlreichen Wett­ bewerben interessante Preise! A need for greed…


klamottenmauer Worte. Hüllen. Hülsen. Worthülsen. Begriffe und Ausdrücke aus der Modewelt erscheinen oft so abstrakt wie absurd. Was sich hinter den ganzen seltsamen Wörten verbirgt und warum eine Hülle oftmals nicht mehr als eine Hülse ist, verrät euch unsere Kolumnistin Rita Greulich im Klamotten-Glossar.

Hierbei handelt es sich um das tausendfach kopierte und seit Jahrzehnten geliebte ‹Burlington› Muster | Bonding Nein, es geht nicht um Sex! Mit Hilfe von Kleber werden 2 Stoffe miteinander verbunden und es entsteht die luxuriöser wirkende Doppelgewebebindung bei Stoffen | Breeches Momentan sehr beliebte Form der Hosen. Den Reitsporthosen nachempfundene Beinbekleidung mit weitem Schritt und engem Sitz an den Knien | Crepe Georgette ‹Mmmhh, lecker› mag so mancher denken, jedoch weit gefehlt. Dies ist eine schwere, aber gerade noch durchsichtige Gewebeart, die sich durch ihren typisch körnigen bis sandigen Griff auszeichnet | Cookies Haben ­ihren Namen wohl eher durch die Form denn durch den Geschmack erhalten. Kleine ­Einschiebepolster | Dunova Markenbegriff für eine Acrylfaser von Bayer, die 3-mal schneller trocknet als Naturfaser und somit bei jedem von uns in irgendwelchen Sportklamotten zu finden ist | Fond Und schon wieder was zu Essen… Nein, nur der Begriff für einfarbige Untergrundstoffe bei gemustertem Gewebe | Flimsy Da schreiten die Models über den Catwalk und wirken so ‹flimsy›, gemeint ist dünn und zart | Flyback Könnte auch als Fachbegriff aus dem Snowboarden durchgehen, bezeichnet aber tatsächlich die am Rücken gekreuzten Träger bei Tops, die den Blick frei auf die Schulterblätter lassen. Very sexy | Faux Unis Fauxpas kennt jeder, hier kommt die Modevariante. Frei übersetzt: falsche Unis. Stoffe, die auf den ersten Blick einfarbig ­wirken, bei näherem Hinsehen jedoch ganz klein gemustert und demnach mehrfarbig sind | Kasack Russischer Volkstanz. Natürlich Quatsch. Ganz einfaches, hüftlanges Oberteil für Frauen | Krimmer Motorradteil. Ebenfalls Quatsch, wir meinen das momentan so geliebte, künstlich hergestellte Plüsch für Westen und Jacken | Lüster Kommt dem eigentlichen Sinn recht nahe. So nennt man den Glanz bei Stoffen. | Matelassé Leckeres Teegetränk von Starbucks oder eben die reliefartige Musterung, die eine plastische ­Erschei­nung gibt und dadurch den Stoff gepolstert wirken lässt | Mesh Trikots, ­Laufschuhe, Caps – jeder hat ‹mesh› daheim. Es handelt sich um siebartiges, luftdurch­lässiges Gewebe | Ombré Viva la Revolución! Wahrscheinlich bei den Ponchos abgeschaut. Ein Mo­deeffekt bei Kleidung, bei dem verschiedene Farben von hell nach dunkel oder um­gekehrt wandern | Wedges Wieder sehr hoch im Kurs und das nicht nur bei Fast Food Restaurants – Keilplateauschuhe mit Holzabsatz. Argyle

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Femme Fragile Photography Aorta @ LundLund Stylist Sally O'Sullivan @ LundLund Hair Carina Finnström @ Mikas, using Redken Makeup Oliver Andersson @ Mikas Model Hanna R. @ Elite Stockholm Extras Linda, Jesper, Julien, Pierre, Kristina, Ida, Sandra, John and Tobias Set design Johan Svenson Photographer’s assistant Alder White Stylist’s assistant Gareth Lindsay and Allen Grubesic Stylist (extras) David Njie Makeup (extras) Emma Nilsson @ Muse Set construction Ulrika Holmer and Alcro Shot at Spring Studio, Stockholm Previously released in 125 Magazine. Thank you!

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Ethnisch inspiriert – modisch kreiert Wie stellt man sich Mode vor, die von Symbol- und Zeichensystemen sowie von traditionellen, tribalen oder religiösen Bräuchen und Vorstellungen inspiriert wurde? Grün, schlicht oder hippiemässig? Das Label Sadak belehrt uns mit einer persönlichen Interpre­tation von Identität und einer künstlerischen, konzeptuellen Mode mit ästhetischer Aussagekraft eines Besseren. Text und Interview: Florence Ritter.

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ine Menschentraube hat sich im Wald gebildet, die Leute stammen offensichtlich vom Land und haben sich dem Anlass gebührend in ihre besten Kleider geworfen. Sie unterhalten sich eifrig, eine lockere Atmosphäre herrscht wie an einem Sonntagsausflug. Sie alle sind Bekannte und Verwandte aus den umliegenden Dörfern, die der Einladung der Familie gefolgt sind. In der Nähe des ersten grossen Baumes haben sie sich versammelt, um dem feierlichen Ereignis beizuwohnen. Nach der Wache wird das von der Familie gebackene Brot hervorgeholt und dem oder der Familienältesten auf die Stirn gelegt, wo es vom ältesten Sohn durch ein Beil entzweit wird – Lapot. Das Brot tötet das älteste Mitglied der Familie: den Greis oder die Greisin, die vom Alter in die Knie gezwungen und der Unselbständigkeit anheim gefallen sich selbst nicht mehr versorgen kann. Die Sitte erlöst die Familie von der Pflege und der Sorge um den Betroffenen. Der

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Anlass findet in einem feierlichen Rahmen statt, denn auch der Todgeweihte ist willig zu sterben und erleichtert, der vielbeschäftigten Familie nicht länger zur Last zu fallen.

Slawische Riten und Götter ‹Lapot› – so heisst auch die aparte Männerkollektion des Jungdesigners Sasa Kovacevic. Die weiss und rot geschminkten Gesichter der Models, die den Eindruck ‹trauriger Clowns› erwecken, sollen an Totenmasken erinnern und verstärken die Schwere, die in der Luft liegt. ‹Das wahre Leben besteht nicht nur aus schönen «geschminkten Gesichtern», auch nicht aus Prominenten, die mit tollen aufgemotzten Kleidern auf dem roten Teppich defilieren und künstliche Busen und aufgespritzte Lippen haben›, sagt Sasa und ergänzt bezüglich der Gesichtsbemalung: ‹Wenn man konzeptuell arbeitet,


Am Anfang standen ein traditionelles Todesritual und ein Gotteskult; Sasa Kovacevic verarbeitet und spinnt Sitten und Geschichten modisch weiter.

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Klephtis-Kleider verlangen (modische) Unabhängigkeit – so wie einst ein nationalistisches Banditenvolk in Griechenland.

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dann verwendet man auch keine Beauty Make Ups.› Anstelle von Äusserlichkeiten spielen für Sasa innere Werte und vor allem Identität eine bedeutende Rolle. Da Sasa Kovacevic aus Serbien stammt, sind es auch volkstümliche serbische Bräuche und Traditionen, die sein Denken und seine Arbeit beeinflussen.

Griechische Rebellen und urbane Diebe Auf der Suche nach Identität findet Sasa in der slawischen Mythologie ein Reichtum an Symbolund Zeichensystemen, Geschichten und Ritualen. Die Kollektionen des Labels Sadak entstehen in mehreren Prozessen. In einem ersten Schritt vertieft sich Sasa in die Welt seiner Vorfahren, informiert sich, lässt sich inspirieren und Ideen aufkeimen, erst dann greift er zu Stift und Stoff. Auch für Lapot las sich Sasa ein und suchte nach weiteren traditionellen Tötungsritualen. Dabei stiess er auf einen Kult, bei welchem dem Gott Velves (einem slawischen Gott der Erde, des Wassers und der Unterwelt) rituell Menschen geopfert wurden. Anbei fanden sich auch Beschreibungen der herrlich pompösen, aus Silber gewobenen Kostüme des Gottes, welche den Designer wiederum farblich, formalistisch und körperlich beeinflussten. Doch verfällt die anfangs eher in silberne Grau- und Schwarztöne gehaltene Kollektion im Verlauf der Modelle schleichend auch den warmen Farbtönen wie Gelb, Rot und Blau. Schliesslich geht es dem Designer nicht darum, ein Thema eins zu eins in sein stoffliches Gegenüber zu übertragen, vielmehr wird er von den Themen und Inspirationen getragen, bis sich seine geistigen Bilder und Assoziationen zu voluminösen Kleiderentwürfen vereinen. ‹Wahre Geschichten sind für mich inspirierend, weil sie einer Tradition und einer ethnischen Zugehörigkeit entsprechen. Für mich ist Lapot ein besonderes Thema, weil diese alte Sitte im heutigen Kontext ein wunderbares Statement abgibt. Diese Kollektion besteht nicht aus schönen Kostümen, es geht nicht ums Verkleiden, eher ist sie eine Transformation mystischer Geschichten in die reale Gegenwart. Lapot reflektiert die zeitlichen Codes der Gesellschaft›, erklärt Sasa den Zusammenhang von Titel, Thema und Kollektion. Auch seine erste Kollektion ‹Klephtis› von 2007 / 2008 überraschte mit ihren auffälligen Formen, den geschichteten Kleidungsstücken, dem Konzept und der Geschichte dahinter.

Sasa inspirierte sich dafür an einem nationalistischen Banditenvolk, welches in Griechenland wie ein kriegerisches Bergvolk gegen die Besetzung des Landes kämpfte, als dieses Teil des Ottomanischen Reiches war. Von dieser Geschichte ausgehend, recherchierte er die traditionellen Bekleidungen der Griechen im frühen 19. Jahrhundert und machte sich daran, eine Art modernen ‹Urban Klepht› zu kreieren. Sasas freie Interpretation und Weiterführung des Themas äusserte sich in Rosa- und Grau­ nuancen und als reine Frauenkollektion. Den Krieger konnte man darin kaum noch ausfindig machen, dafür rebellische Formen und Kombi­ nationen für starke, extrovertierte Frauen. Die Präsentation mit Gesichtsmasken beschwor auch hier eine tiefgreifende Stimmung, die nach Sasa den Widerstand manifestiert. So seien Masken ein Symbol der Rebellion, weil sie eines der wichtigsten Kommunikationsmittel, das Gesicht, verdecken würden. Nach der Männerkollektion Lapot schneidert Sasa zurzeit an einer Unisex-Kollektion sowie an seinem Abschluss an der Kunsthochschule Berlin-Weissensee. Bis anhin produzierte er die Kollektionen von Anfang bis Ende selbst. Wie es weitergeht, weiss Sasa bereits, er will sein Label Sadak weiterentwickeln, die Kollektionen produzieren lassen und – von der Identitätssuche (nicht nur der eigenen) geleitet – weiterhin extravagante, avantgardistische Mode kreieren. Der angepasste, kommerzielle Weg kommt für den Jungdesigner nicht in Frage: ‹Ich bleibe wie ich bin! Ich würde es aber nicht ablehnen, für Vivienne Westwood, Hussein Chalayan, Mc Queen oder Walter van Beirendonck zu arbeiten, das wäre grossartig.› Und für uns steht fest, dass es ein ungeahnter, nachhaltiger Entscheid sein kann, neben dem Kreativstudium noch in einem Ethnografischen Museum (zum Beispeil in Belgrad) zu jobben. Dieser Quelle ist es nämlich zu verdanken, dass Sasa Kovacevic Geschichte und Mythologie in einen neuen Textilkontext bringt, sie weiterspinnt und mit unkonventioneller Bildund Körperlichkeit besetzt. Genauso wie er auch die Gesellschaft mit unüblichen modischen Würfen konfrontiert, sie mit kritischen Themen zum Denken anregt und hoffentlich bald den ein oder anderen extrovertierten Modeliebhaber mit seiner ehrlichen Mode bekleidet. www.sadak.de Fotos: Daniel Bollinger, Sasa Kovacevic

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Paint it black!

Sneaker sollten weiss sein? Nicht für den legendären Nike Designer Jesse Leyva, der uns im Interview von seiner Leidenschaft für nachtschwarzes Schuhwerk, interessanten Kollabora­ tionen und dem Raub seiner liebsten Stücke erzählt. Interview: Daniel Shaked

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eder von uns kennt sicherlich mindestens einen Turnschuhsammler: diese kuriose Spezies, die in der Nacht vor Erscheinen der limitierten Treter vor den Shops campiert, um die heiss ersehnten Latschen dann originalverpackt wie einen wertvollen Schatz im Regal zu lagern, wo sich dieser in Reih und Glied neben anderen Raritäten der Sneaker-Tradition einreiht, meist ohne auch nur ein einziges Mal getragen zu werden. Auch Jesse Leyva, der Design Director of Sport Culture bei Nike, kennt diese Sammelleidenschaft von sich selbst. In seiner Position ist Jesse nun sogar fähig, das zu tun, von was mancher Sneaker-Junkie sein Leben lang träumt: er darf sich seine eigenen Prototypen herstellen lassen. Allerdings nicht, um sie im Regal aufzustellen, nein, die Schmuckstücke werden auch gleich vom Direktor persönlich getestet! Im Interview verriet uns Jesse, wovon ein klassisches Sneakerdesign abhängt, warum seine Sneakers immer schwarz sein müssen und natürlich auch, welches denn sein persönliches Lieblingsmodell ist. kinki magazine: Jetzt, da du für Nike arbeitest und eigentlich alle Schuhe für dich zugäng­lich sind, meinst du, dass es dein Sammlerverhalten geändert hat? Gehst du noch raus und kaufst dir Modelle? Jesse Leyva: Ich würde mich nicht als Samm­ler bezeichnen, sondern eher als jemanden, der viele ähnliche Dinge kauft. Die meisten Sam­mler tragen ihre Schuhe nicht. Ich kaufe alles, um es zu benützen. Als ich vor gut 12 Jahren anfing für Nike zu designen, besass ich etwa 100 Paar Schuhe, diese Zahl wuchs natürlich in den ersten Jahren meines Jobs ungemein an, doch eines Tages wurde meine Wohnung ausgeraubt und all meine Schuhe waren mit einem Schlag weg! Meine Air Jordan 1, die ich noch als Kind an der Hand meines Vaters gekauft hatte, Air Revolution… – alles weg. Aber wer auch immer die gestohlen hat, wird nicht viel Geld bekommen haben, denn sie waren alle ge­ tragen. – Im Moment trage ich gern Prototypen, ganz in Schwarz gehalten. But I’m a little strange… Ich trage meine Sneaker zwei Wochen lang jeden Tag und dann nie mehr. Nächstes Paar. 44 kinki

Um sie zu testen? Ja, nur um sie zu testen. Ich trage gerne die Modelle, an denen wir gerade arbeiten. Wir halten sie ganz in Schwarz, um un­nötiges Aufsehen zu vermeiden und die neuen Materialen etwas zu verbergen. Das Probe­ tragen hilft natürlich auch dabei, den Tragekomfort zu optimieren. Meist be­halte ich das Paar dann auch für mich.

Trägt seine Ideen nicht nur im Kopf, sondern am liebsten auch gleich an den Füssen mit sich rum: der Sneaker Designer Jesse Leyva.

Wenn ihr an Icons, die die Marke mitge­prägt haben, arbeitet, gibt es gewisse Guidelines, die ihr einhalten müsst? Komischerweise nicht. Doch die Leute, die ich für mein Team einstelle, teilen meinen Respekt für gutes Design, selbst wenn sie keine Sneaker-Heads sind. Ich bin halb Purist, halb Innovator. Aber nur weil wir die Macht haben, Designs zu ändern, bedeutet das nicht, dass wir es auch müssen. Wir schätzen die klassischen Formen und es wäre fahr­lässig, sie ihrer Identität zu berauben. Zumal Nike uns wirklich sehr viel Vertrauen entgegenbringt und wir keine wirklichen Einschränk­ungen haben. Die meisten in meinem Team sind Design-Puristen, bringen also dieses Grundverständnis für klassisches Design mit – seien es Schuhe, Industrie­artikel oder auch Möbel.

Wenn ihr einen Schuhe gestaltet, gibt es einen speziellen Typ Träger, den ihr dabei im Hinterkopf habt? (Denkt nach.) Ich glaube es wäre doch schwierig, das nicht zu tun. Aber wir versuchen, es dennoch zu vermeiden. 90 Prozent der Produkte, an welchen wir arbeiten, würde ich wahr­ schein­lich nie anziehen. Wir reisen viel, das ist auf jeden Fall eine starke Inspirationsquelle, wenn ich wildfremde Personen sehe, deren Style mir gefällt. Oft denke ich mir, dass ich mich zwar so nie herrichten würde, aber für diesen Typ das richtige Paar Sneaker designen möchte. Wir sind also auch in gewisser Weise Stylisten. Ginge es nach mir, wären alle Schuhe schwarz – das wäre für die meisten wohl eher fad. Aber ich denke, dass darin nicht die wirkliche Stärke unseres Teams liegt. Dann doch eher im Austüfteln kleiner Details, und wie man alten Modellen mit Mitteln der heutigen Technologie zu besserer Leistung verhilft. Ist das der Grund, weshalb ihr immer wieder szenespezifische Leute einladet, eine Edition zu gestalten? Es gibt einfach nichts Authentischeres als solche Szene-Leute, die im Schuh ihren eigenen Vibe kicken. Für den Brooklyn-Style arbeite ich mit Clark Kent und für die AF1 Geschichte holten wir uns zum Beispiel Bobbito hinzu. Das ist es, was das Ganze ausmacht. Sie verkörpern das. Vielleicht liegen wir dann manchmal nicht richtig, aber es ist Phil Knight (Gründer und CEO von Nike) lieber, ausgewählte statt zahlreiche Partnerschaften zu pflegen. Was wäre dein Lieblingssneaker? Selbst­ verständlich in Schwarz gehalten… Oh. Das ist schwer (lacht)! Das ändert sich, aber die drei Top-Modelle sind der Trainer 1, Terra Humara und der Dunk! Ich liebe den Dunk. Er passt zu allem, hat eine ideale Form und ist nicht so schwer wie der AF1. Den einzigen AF1, den ich besitze, kaufte ich 1996 für 20 $ im Ausverkauf im Mitarbeiterstore von Nike. Es war ein Canvas Modell, die Mutter eines Freundes arbeitete damals bei Nike und sie schleuste mich rein. Das Interview in voller Länge findet ihr auf www.kinkimag.com. Foto: Daniel Shaked


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Das Kleiden der Lämmer

Die strenggläubigen Christen, die Fundamentalisten unter den Schäfchen: Sie tragen auffällig unauffällige Kleidung, die unmöglich Gottes ernsthafter Wille sein kann. Oder doch? kinki auf den Spuren religiöser Mode. Text: Roman Neumann

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ch habe nichts gegen Gott. Es ist sein Fanclub, der nervt. So steht es geschrieben. Irgendwo in den Weiten des Internets (Buch Facebook, Vers 18,1). ‹Ungeheuerlich!› murmeln die einen, ‹Frechheit!› die anderen. Doch um die säuerlich brabbelnde Masse zu besänftigen: wir differenzieren bald, ein wenig Geduld, bittschön. Selbstverständlich berührt uns der brave Christ, der nebenan an seiner Arche herumschraubt, nicht im Geringsten auf unangenehme Art und Weise. Auch Otto-Normal-Christin darf im Laden ungerührt in der Wühlkiste wühlen, dagegen haben wir überhaupt nichts (jetzt bitte das empörte Murmeln einstellen). Doch siehe, diejenigen rauben uns den Nerv, welche sich uns und unserem gottlosen Gemüt ungefragt aufdrängen. Die Missionare. Sie zerreissen grob unsere dumpfen Tagträume, die wir, die pendelnde Herde (gleichmässig trottend und mit abwesendem Blick) gemeinsam durchträumen. Sie stören die Eintönigkeit. Die, die uns ungefragt Bibeltexte vor Augen führen, Plakatwände damit zupflastern, die, die uns handkopierte Broschüren in die verschwitzten Finger drücken, oder gar diejenigen, die auf öffentlichen Plätzen Psalme rezitieren und uns damit den rechten Weg im Leben weisen wollen. Als mittelgrosse Klammerbemerkung: Auch andere Randgruppen strapazieren unsere Geduld – die Fairness verlangt diese Erwähnung. Radikale Fussballfans beispielsweise (die zwar keine hübsch gestalteten Broschüren verteilen) oder gelangweilte Busfahrer in fremden Städten (dieses fürchterliche Genuschel), jugendliche Hip-Hopper (oh, wie uncool, die kommen ja immer dran), und noch so einige Gruppierungen, die einer gewissen Ideologie folgen und damit ihr Tun und Erscheinungsbild legitimieren. Doch einen grossen, einen gehörigen, ja, einen gewaltigen Unterschied gibt es zwischen all diesen Randgruppen und unseren Lieblingen, den braven Christen. Während sich die Gilde der Busfahrer im Zivilleben einigermas­ sen unauffällig unter das gemeine Volk mischen kann, der Ultra-Fussballfan auch der nette junge Mann von nebenan sein kann (er grüsst doch immer so freundlich!), erkennt man den aufdringlichen Christen, denjenigen, der uns seinen Glauben förmlich ins Gesicht schleudert – ja, an was eigentlich? Natürlich, an seiner Kleidung. Denn die Strenggläubigen, die mit den sanften Stimmen, die mit dem steten innerlichen Kopfschütteln, diejenigen, die auf der Fussgängerstreifen-Wolke schweben, als sähen sie den Tunnel mit dem Licht – sie kleiden sich, als gäbe es kein Heute. Sie leben in der Vergangenheit. Als wären sie Jahrzehnte alt, im Fluss der Mode an den Rand gespült. Als wären sie dort verheddert, in einer Zeit, als in der Mode der Gummistiefel noch aus gutem Holz geschnitzt wurde. Der aufmerksame und urbane Stadtmensch (Rennvelofahrer, Grafiker) mag nun vielleicht auch hier (wie bei den nuschelnden Busfahrern und den radikalen Pyrowerfern) eine gewisse Unauffälligkeit dieser Schäfchen herausstreichen, mischen sie sich doch wieselflink in den

Strom der Masse, tauchen zuweilen unter neben all den gebleichten Röhrenjeans, Ankle Boots und den goldenen Plastikgürteln auch (für die Frau, die die Kurve der Schlankheit schwungvoll weiter aussen zeichnet). Doch wisse: wer sie einmal erblickt, die bibeltreuen Christen, der erkennt sie immer. An den kunstvoll geflochtenen Zöpfen der Mäd-

chen, am steifen Kragen der Buben, an den unvermeidlichen Grossfamilien (Josua, Arnfried, Jakob, Christine und Johanna) und am Häubchen für die Frau des Hauses. Wir sehen sie, unser gescheites Köpfchen liefert uns unmittelbar wunderbare Bilder, in denen wir unseren Finger ausstrecken, auf die Schuldigen zeigen, sie mit empörten Blicken steinigen und schreien: Ihr Sünder, ihr beschmutzt das empfindsame Augenlicht der Mode!

Pastellschäfchen Mode und Christentum… Mode und Christentum? Nein, das passt nicht. Es passt einfach nicht zusammen. Es stösst sich ab, wie zwei Magnete. Ja, es zieht sich schlecht an. Aber warum nur, warum, oh Herr? In einem Bibel-Bücherladen in Zürich, inmitten des Sündenpfuhls, dort suchen wir nach Antworten auf diese Frage. Dort wird die Bibel verkauft, dort wird der Name Gottes gross geschrieben und dort trifft sich die Stammkundschaft mit den beiden Damen hinter dem Tresen auf einen gemütlichen Schwatz – und lästert über die neusten Verfehlungen ihrer Kolleginnen aus dem Bibelkreis (‹Was die Witwe vom Heinz letztes Mal in der Kirche wieder für einen furchtbaren Rock anhatte, dieser Schnitt, so modern, aber die kriegt ja sowieso keinen mehr, kann nicht mal das Buch Mose auswendig, ähähähä›). Nein, so redet man dort natürlich nicht, pardon an dieser Stelle. Das gehört sich nicht. So geschah es wirklich: Mit sanften, unauffälligen und (natürlich!) pastellfarbenen Leinen-Blusen empfangen die beiden Hirtinnen des Ladens

den Kunden, selbstgemachte Ketten um den Hals bedecken züchtig das Dekolletee, das Parfüm ist naturbelassen. ‹Grüss Gott›, sagen sie wenig überraschend und beide Hüterinnen der biblischen Schriften schauen erwartungsfroh mit liebevollem Blick unter den ungezupften Augenbrauen auf den (zugegeben, wohl unpassend gekleideten) Kunden. Etwas verlegen (Eitelkeit? Todsünde! Auf den Scheiterhaufen mit ihnen!) zupfen die beiden Christinnen an ihrer Kleidung herum, als sie erfahren, welche Antworten wir suchen. Nennen wir die beiden Damen Maria und… Josefine. Maria (mit blauer Bluse, gebügelt) spricht sofort von der Sexsucht der Männer, diesem Joch, dem das starke Geschlecht unterworfen sei, vom Sommer, der derartige (auch verheiratete, Gott behüte sie) Geiferer hinter jedem Rock herwetzen liesse. Denn, so spricht Maria, da trage sie als Christin Verantwortung. Ein Oberteil, eines, das die weiblichen Formen unkeusch betone, käme für sie überhaupt nicht in Frage, weil – und da denkt sie ganz an die Männer – sie dürfe mit aufreizenden Kleidern doch nicht die mentale Untreue eines Ehemannes anregen, geschweige denn Gelegenheit zu einem kleinen Flirt geben! Ihre Stimmbänder winken, Maria ist nun ganz Ausrufezeichen. Lassen wir sie etwas atmen.

Kampf der Hose! Josefine (rotes Kleid mit schwarzen Punkten) gibt zu bedenken, dass die fundamentale Christin von heute lange Röcke anhaben müsse. Und keine Hosen. Dies habe sie am eigenen Leib erfahren müssen (nicht, dass sie in Hosen schlecht aussehen würde, nein, sie ist durchaus adrett, die Dame). Ein Mann habe ihr im Bibel-Laden ein Couvert zugesteckt, eine Notiz beinhaltend mit der Botschaft, er fände es vorbildlich, eine Frau in einem Rock zu sehen, sie sei schliesslich noch eine Christin von altem Schrot und Korn, und der Mann habe doch immer die Hosen an et cetera, pepe und Amen. Dass sie wenige Tage später – als moderne Christin in ein hübsches Paar Hosen gekleidet –

dem gleichen Mann wieder begegnet sei, schiebt Josefine dem Schicksal zu. Einige Leser werden nun, die glatte Stirn in tiefe Furchen gelegt, herummäkeln, in der Kirche beispielsweise sähe man ja ungeachtet des Glaubens kaum neongelb oder ähnlich verfehlte Farben, man wolle gar nicht wissen, was kinki

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der Autor für Lumpen anziehe und im Hause Gottes sei es eine Sache des Respekts, sich angemessen anzuziehen, und überhaupt, der Pfarrer könne sich nicht konzentrieren, wenn 18-jährige Dinger in der vordersten Reihe in ihrem Minirock auf der Kirchenbank herumlümmeln würden. ‹Ganz recht›, sei den eifrig mah-

nenden Zeigefingern zugerufen, ‹ganz recht›. Schliesslich geht man auch als Atheist nicht in Fetzen gehüllt an eine Hochzeit eines entfernten Bekannten. Das gestehen wir ein. Doch (und wir begeben uns hier auf die verschlungenen Pfade der weiblichen Psyche) weshalb bevormunden fundamentale Christinnen denn den männlichen Verstand? Der sei aus ihrer Sicht bei etwas nackter Haut ausgeschaltet, liege brach im Strassengraben und lasse die animalischen Urinstinkte das schwache Fleisch leiten! Eine nackte Wade, die glänzende Kuhle zwischen der weiblichen Brust, die zarten Rundungen eines Apfel-Gesässes (da könnte man nun wirklich ans Paradies denken, verbotene Frucht, Eva… ach, ihr wisst schon), das alles soll Männer endgültig ausser Gefecht setzen? Ihre Ehe aufs Spiel setzen, die sie in ihrer Fantasie sowieso jeden Tag hintergehen? Darauf wissen Maria und Josefine auch keine Antwort. Man wolle halt die Ehe schützen. Fertig. Nun gut, wir honorieren den noblen Gedanken, die Männerwelt vor der geballten Kraft des Ausschnitts und des Minirocks zu bewahren. Herzlichen Dank.

Daddy im Himmel Gehen wir weiter, an die Quelle. Jesus ist überall (Zitat eines Plakats am Central, Zürich), so also auch im Internet. Besucher von Jesus.ch sollen uns Auskunft geben, was die strenggläubige Christin davon abhält, sich zeitgemäss zu kleiden. ‹Wenn ich mich so sexy kleide, dass viel Haut zu sehen ist, sprich im Ausschnitt oder so, dann möchte ich ganz klar von den Männern gesehen werden. Sie verrückt machen – und das verurteilt Gott.› Das sagt eine Userin. 48 kinki

Gott verurteilt also die Waffen der Frau. Die Eva von heute soll Adams Feigenblatt nicht zum Erzittern bringen. Stimmt das? Wir konsultieren die Heilige Schrift, die Bibel – und finden nichts. Eine Stelle, in der Gott, Jesus oder der Heilige Geist höchstpersönlich, das Tenü vorgeben, existiert nicht. Nur ein kleiner Hinweis, in welche Richtung der Chef dort oben sich das ganze Treiben hier unten vorstellt. Im 5. Buch Mose 22,5 steht geschrieben: ‹Es soll nicht Mannszeug auf einer Frau sein, und ein Mann soll nicht das Gewand einer Frau anziehen; denn wer irgend solches tut, ist ein

Gräuel für den Herrn, deinen Gott.› Lassen wir dies unkommentiert. Ungeachtet fehlender göttlicher Unterstützung, begeben wir uns zu den Freikirchen der Schweiz, die, so scheint es, gewaltigen Zustrom von Schäfchen und Sündern aller Altersund Kleiderkategorien erhalten. Dort aber sehen wir etwas erstaunt: Der Freikirchler von heute kleidet sich ganz massenkonform, Vögele und H&M. Nichts zu beanstanden, obwohl die Ausschnitte durchaus etwas tiefer sein dürften (oh, ich Macho!). Als moderne Freikirche gibt man sich heute cool und hip und, so lernen wir es aus der Zeitung, man nennt nun Gottesdienste ‹Celebrations›, und der Heilige Vater, der alte Mann mit dem langen Bart (ich würde es zwar vorziehen, wenn Gott eine Frau wäre), wird dort ‹Daddy› genannt. Etwaige Rückschlüsse auf andere Geschäftszweige der Gesellschaft, wo andere gottgleiche Männer Daddy (Vorname: Sugar) gerufen werden sind zufällig und nicht beabsichtigt. Ausserdem schweifen wir ab.

gen wir in Gedanken unser Haupt auf seinen Schoss und weinen uns bei ihm aus (danke, Herr C.). Aber halt: Da gab es doch was, irgendwo in Amerika, Bibel-Fundis (schrieb der Blick). Die FLDS-Church, sie heissen ausgeschrieben ‹Fundamentalist Church of Jesus Christ of Latter Day Saints› (ja, das sind die mit der Polygamie, in Texas, wo Kinder schwanger, und… ach, der übliche Sekten-Kram halt), diese Gemeinschaft bietet neuerdings Mode im Internet an. Sind wir am Ziel? Auf der Homepage finden wir für 74,99 Dollar (Aktion! Zugreifen!) diese Röcke, diese aufgebauschten Ärmel, das Abschluss-Dingsda für die Zöpfe, die sie flechten, Hemden für den Herrn, Schürzen für die Küche, viel Weiss, Schwarz, Rosa und Hellblau. Oder Beige. Und die Seite preist: ‹We offer stylish clothing that will add to every woman’s ward­ robe. For any career, school, work, party… (PARTY!) you will look fabulous!› Fassen wir also zusammen: Die bibeltreue und strenggläubige Christin kleidet sich so, dass der Mann auf der Strasse sie nicht will, sie bestellt ihre Kleider aus Amerika und Hosen sind böse. Zurück zu Maria und Josefine. Als wir ernüchtert aus dem Bibel-Laden stolpern, etwas erschöpft von so viel Güte und Wärme, die die beiden Damen ausstrahlen, bemerken wir ihre direkten Ladennachbarn. ‹Hot Heels› steht da geschrieben, Schuhe stehen im Schaufenster. Für die Dame der Nacht. Rot. Weiss. Schwarz. Lackiert. Wir spielen kurz mit dem Gedanken, den roten Lackstiefel, Grösse 45, zu kaufen und damit zurück in den Bibel-Laden zu stöckeln. Nur um zu zeigen, dass sich Menschen, egal welchen Glaubens, durchaus auch für sich kleiden dürfen, ungeachtet der Resonanz, die sie erhalten. Und um zum Schluss noch etwas poetisch zu werden: Vor den Augen der Liebe sind wir alle nackt. Diesen Anblick (den mit den Schuhen, nicht den nackten) wollen wir Maria und Josefine dann aber doch nicht zumuten. Illustration: Raffinerie

Gott sieht alles Nachdem wir uns mit einem Flughafenpfarrer (die Umstände, die dazu führten, sind wirr und kompliziert, lassen wir sie also beiseite) unterhalten haben, sind wir zwar nicht um Antworten reicher, aber mit der Gewissheit erfüllt, dass dieser Seelenhirte mit der mitfühlendsten Stimme der Schweiz für die ganze Welt da wäre, ginge sie nur endlich unter. Erschöpft von der Odyssee im christlichen Mode-Dschungel le-

Mit der Zeit gehen und trotzdem Bibeltreue zeigen? Christliche Modelables wagen den Spagat zwischen Sittsamkeit und Hipness.


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kinki’s found a fashion friend!

Und einen Pullover für Paul. Oder für Pauline. Ein rauer, bärtiger Typ mit breitem, gestricktem Pullover, ein Seemann oder Hafenarbeiter. Und… Frauenbeine, Leggins und hohe Hacken. Oder auch mal Converse Schuhe. Das war die Inspiration. Und wir sprachen uns einstimmig für das Produkt aus. Text: Florence Ritter

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ir haben sie gefunden, die ambitionierten Jung­ designer: So flatterten Tag für Tag Lookbooks mit Schals, Herren­ westen oder undefi­ nierbaren Umhängen in unser Haus, und wir hätten gleich einen Online­store damit eröffnen können. Doch laute­ ten die Spielregeln anders und wir blätterten uns durch bare Fotos, collagierte Skizzenbü­ cher, professionelle Lookbooks und kleine Werkschauen mit integrierten Materialproben – stets unseren neuen ‹best fashion friend› im Hinterkopf. Dass wir ihn finden würden, daran zweifelten wir nicht. Viel eher bereitete uns die Auswahl des Gewinners aus den zahlreichen, abwechslungsreichen und überzeugenden Ein­ sendungen Kopfschmerzen. Doch als wir Pauls Pullover erblickten, war uns klar: den wollen wir auch! ‹In erster Linie sollte Mode durch ihre Optik und ihren Nutzen auffallen, die Frage nach dem Geschlecht ist auf den ersten Blick irrelevant›,

sagt Janine Wirth. Die Mode, die uns Janine präsentierte, hat nicht nur diese Aspekte mit Bravour erfüllt. Vielmehr gelang es ihr, mit den weiblichen und männliche Aspekten der Klei­ dung zu spielen, ohne das natürliche Bild von Mann und Frau zu irritieren, sodass ihre Kollek­ tion sowohl Paul als auch Pauline, sprich die gemischte Jury aus fashion friends und kinki Mitarbeitern, ansprach.

Gestrickt eingefädelt Dieser visuelle Anreiz wird auch eine grosse Rolle spielen, wenn Janines Kleider am virtuel­ len Bügel des Online-Shoppingportals hängen. Und auch das anstehende Shooting mit fashion friends wird die Kleider nochmals gekonnt in Szene setzen, und das Spiel mit den Geschlech­ tern ad absurdum führen. Die Kollektion ‹Ein Pullover für Paul› ent­ stand als Janine Wirths Abschlussarbeit am Ins­ titut für Mode-Design in Basel. Von September 2008 bis Januar 2009 hatten die Studenten Zeit für Konzept, Design und Produktion ihrer Abschlussarbeit. Die Frage, wer Janines Mode tragen sollte, bringt ihr Konzept und die Na­ mensgebung auf den Punkt. Janine: ‹Das Stri­ cken als handwerkliche Technik hat mich dazu gebracht, mir zu überlegen, wann ein Kleidungs­ stück mit Sinn und Bedeutung belegt wird. Strickt man für sich oder für jemand anderen? Und denkt man beim Stricken an diese Person? Oder geschieht das ganze erst, wenn das Klei­ dungsstück fertig ist und eine Person es für sich oder für jemand anderen aussucht?› Janines Kollektion sollte also an Paul gehen und nicht in den luftleeren Raum geschneidert und gestrickt werden.

Die richtige Auswahl für fashion friends

Alle wollen Pauls Pullover: Janine Wirths ModeAbschlussarbeit hat sich gelohnt.

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Doch nicht nur für Paul, sondern auch für das Online-Shoppingportal fashion friends hat sich der Aufwand gelohnt. Für die Kunden des Por­ tals, das fortan nicht mehr durch exklusive Mit­ gliedschaft eingeschränkt ist, prangen ab Mitte Oktober 2009 auch Designstücke von Janine

Nützlich und schön sollen die Kleider von Janine Wirth sein, das Geschlecht des Trägers steht dabei im Hintergrund.

Wirth in den virtuellen Regalen. Hätte Janine ihre ganze Kollektion anbieten wollen, hätte sie sich gleich noch mal ein halbes Jahr in die Näh­ kammer zurückziehen und sich Helferlein be­ schaffen müssen. Ausserdem gibt es einzelne Stücke, die schlichtweg zu kompliziert sind, um sie noch mal zu produzieren und auch sollen die auserwählten Stücke zum Angebot von fashion friends passen. So entschieden sich Janine und die Verantwortlichen von fashion friends für eher schlichtere Basics wie die schwarzen Karotten­ hosen, die detailgetreue und ausgeklügelte graue Jacke, die schwarz-graue Strickjacke, das weisse Hemd und viele farbige Schals. Ihr seht, ein Besuch von www.fashionfriends.ch lohnt sich in Zukunft nicht nur wegen der bekannten Marken, sondern auch wegen Pauls Pullovern! Gerne möchten wir uns an dieser Stelle noch bei allen Teilnehmern, bei fashion friends und bei Janine Wirth bedanken und wünschen der Jungdesignerin alles gute für die Zukunft! Fotos: Janine Wirth


Rauchen fügt Ihnen und den Menschen in Ihrer Umgebung erheblichen Schaden zu. Fumer nuit gravement à votre santé et à celle de votre entourage. Il fumo danneggia gravemente te e chi ti sta intorno.


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Text: Christina Fix & Anja Mikula

Fotos: David Spaeth

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Aufmerksam beobachten sie unsere Blicke, während wir schnell ihre Fotos überfliegen. Jeweils eine ihrer Sedcards nehmen wir heraus. Aufgeregt und schüchtern nehmen sie ihre Mappe wieder entgegen, bedanken sich und hoffen…

Paris hat schon manchen Traum unter sich begraben

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ufgrund der ‹Men’s Fashion Week› in Paris summt es in den Model-Agenturen wie im Bienenstock. Obwohl es aus gegebenem Anlass nur so vor männlichen Models wimmelt, erspähen wir in der Agentur ‹Just WM› fünf unscheinbare Mädchen, die eng aneinander gedrängt auf einem Sofa sitzen. Tatjana S., Galya, Kelly K., Ingrid M. und Veronika L. Sie könnten auch anders heissen. Im hysterischen Paris sind sie keine der grossen Protagonistinnen. Aufgeregt halten sie ihre Fotomappen wie Schutzschilder umschlungen. Mit grossen, leuchtenden Augen begrüssen sie uns, stellen sich brav vor und überreichen uns ihre bisherigen Referenzen.

Wir konnten uns nicht entscheiden, deshalb haben wir alle fünf Mädchen von ‹Just WM› zu Hause besucht und in ihrem Alltag begleitet. Ein Alltag, den Aussenstehende leicht unterschätzen, da sich beim ersten Blick auf das makellose endgültige Bild einer Modekampagne nicht erahnen lässt, was für ein Knochen­ job sich hinter dem schönen Business verbirgt. Tag für Tag erwartet die Mädchen eine knallharte Jury: Kunden bei Castings und sogenannten ‹Go Sees›, den Vorstellungsterminen. Wie am Fliessband werden die Models und die Mappen kurz durchgescannt. ‹Die Mode-Industrie hat Models schon immer mehr als Objekte denn als Menschen behandelt›, erzählt uns Modejournalist Michael Gross. Damit muss man umgehen können, bestätigten uns die Mädels. Doch bei der einen oder anderen kratzt die oberflächliche Modewelt schnell am Ego. Ingrid, das nordische Gesicht unter den sechs Mädchen, hat schwer zu kämpfen mit den Schattenseiten ihrer Arbeit: ‹Die Menschen fangen an, dich als Produkt zu sehen. Selbst deine Freunde beginnen dich abzustempeln›, sagt sie enttäuscht. Mit 16 Jahren startete sie ihre Modelkarriere in Norwegen. Nach ein paar Jahren legte sie jedoch eine Pause ein, um zu studieren. Heute huscht die 21-Jährige mit neuer und reiferer Motivation wieder von Casting zu Casting. Von der Objektifizierung der Models erzählt auch der Dokumentarfilm ‹Picture Me› von Ole Schell. Der junge Regisseur begleitete seine damalige Freundin – Topmodel Sara Ziff – fünf Jahre lang auf Shootings und Castings. In seinem preisgekrönten Film zeigt er den verbotenen Blick hinter die Kulissen der MultimillionenIndustrie und lässt die sonst stummen Gesichter darin zu Wort kommen. Auch das gestandene Model Sara Ziff, das ihr Gesicht schon den namhaftesten internationalen Labels lieh, hat das am eigenen Leib erfahren: ‹Dadurch, dass du als Model zu einer Art lebendiger Puppe wirst, gewöhnt man sich auch an die oberflächliche Aufmerksamkeit, die einem die ganze Zeit zuteil wird. Irgendwann fühlte ich mich aber nicht mehr wie ich selbst, sondern nur noch absolut leer.› Eine Pause, wie sie Ingrid einlegte, könne sie sich nicht leisten, sagt Galya. Die 23-Jährige ist seit ihrem 15. Lebensjahr ein international gebuchtes Model. Für sie war das Ticket nach Paris buchstäblich ein Ticket in ein neues Leben: ‹Ich kam endlich heraus aus der kleinen Vorstadt in Sibirien. Gleichzeitig flog ich von der Schule. Mittlerweile ist mir das aber egal, schliesslich spreche ich jetzt Englisch und ein bisschen Französisch und reise von Kontinent zu Kontinent›, kinki 55


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erzählt uns Galya stolz. Diese Chance nutzt sie bewusst, denn eine Rückkehr nach Sibirien in ihr altes Leben ist für sie undenkbar.

Die osteuropäischen Models werden auf den Shows nur ‹Ova› genannt Die osteuropäischen Mädchen sind nach wie vor gern gesehen in der Modelbranche. Sie sind gross und schmal, haben ‹dünne Knochen› und hohe Wangen. Dieses Durchscheinende, Kindliche, Unreife, ja fast schon Morbide, Ausgezehrte und Zerbrechliche scheint das zu sein, was die Designer, Fotografen und Art-Direktoren sehen wollen. Deshalb strömen seit Jahren wahre Mädchenmassen aus dem Osten in Richtung Paris. Seitdem es einfacher geworden ist, ein Visum zu erhalten, hindert viele osteuropä­ische Schönheiten oft nichts mehr daran, aus ihrem alten Leben zu flüchten. Der 22-jährigen Russin Tatjana ist diese Flucht gelungen. Sie erzählt aus ihrer Vergangenheit: ‹Ich habe Armut, Leid und Krieg gesehen, das liegt alles hinter mir. Heute bereise ich die ganze Welt.› Dabei ist die Schönheit der Osteuropäerinnen nicht ihr einziges Kapital: die Mädchen aus dem Osten sind auch berüchtigt für ihren enormen Ehrgeiz. ‹Osteuropäerinnen sind ambitionierter, weniger verwöhnt und sehen im Modelberuf das Ticket in die Freiheit›, berichtet Ursula Knecht, Chefin der Zürcher Model­ agentur ‹Option›. Auf den Modeschauen werden die Mädels aus dem Osten nur kurz ‹Ova› genannt. Die ganze Modewoche hindurch heisst es dann: ‹-ova, -ova, -ova›. Schönheiten aus dem Westen hingegen haben meistens weniger Chancen, es sei denn, ihnen haftet ein klein wenig ‹Ova› an. Für viele der Mädchen, die aus den tiefsten osteuropäischen Provinzen kommen, ist der Anreiz, die ganze Welt zu bereisen, eine immense Verlockung. Dabei muss man aber nicht nur mit der Begleiterscheinung des dauernden Jetlag umgehen können, der einen von Termin zu Termin begleitet; der Wettlauf für Castings und Shootings beginnt nämlich, sobald man in Mailand, Paris, London, Tokio oder New York gelandet ist. Topmodel Emina Cunmulaj erzählt in ‹Picture Me› mit ihrem harten albanischen Akzent backstage bei einer Modenschau: ‹Während der Fashion Weeks gehst du vor 1 oder 2 Uhr nicht ins Bett und am Morgen musst du schon wieder um 5 Uhr bereit sein. Vier Wochen lang geht das so und wirklich jeden Tag. Es gibt für uns weder Samstag noch Sonntag. In dieser Zeit kommst du weder zum Essen noch zum Schlafen und wirst noch dazu oft vom Jetlag geplagt. Irgendwann macht der Körper dann einfach dicht.› Dabei geschieht es oft, dass Jobs sehr kurzfristig abgesagt werden oder die Mädchen ausgetauscht werden. ‹In solchen Fällen sollte man am besten einen Stoffteddy, eine grosse Flasche Cola und das Foto eines geliebten Menschen bei sich haben›, sagt eines der Models, das erst seit einigen Wochen in der 58 kinki

Modelwelt Fuss gefasst hat und auch schon nach wenigen Tagen mit Enttäuschungen umgehen musste. Veronika ist 21 Jahre alt und kommt aus der Ukraine. Sie wurde auf einem Modelcontest entdeckt und kann über kleine Enttäuschungen hinweg sehen: wenn es dieses Mal nicht klappt, dann eben das nächste Mal. ‹Früher hatte ich kaum Geld, heute kann ich mir meine Wünsche erfüllen.› Sie möchte ihre Träume verwirklichen so wie das russische Topmodel Natalia Vodianova, das Aschenputtel der Modeindustrie. Für viele junge Osteuropäerinnen ist die 27-jährige Natalia eine Art Messias. Bei ihr erfüllte sich der Wunsch nach Erfolg, Geld und Ruhm: Ein französischer Talentscout entdeckte sie während ihrer Arbeit auf dem heimatlichen Dorfmarkt. Was wie im Märchen klingt, ist Natalias wahre Geschichte: sie hat es direkt vom heimischen Gorki in die Stadt an der Seine und auf die Catwalks geschafft. Mittlerweile ist die Russin mit dem Spitznamen ‹SuperNova› mit dem Briten Justin Portman verheiratet und die Mutter dreier Kinder. Bei forbes.com belegt sie mit 5,5 Mio. Euro Jahreseinkommen den 7. Platz der bestverdienendsten Models weltweit. Sie war unter anderem das Gesicht von Calvin Klein, zierte hauswandgrosse Billboards mit ihrer Gucci Kampagne und lief in ihrer Karriere bereits für alle grossen Designer auf den internationalen Laufstegen.

Als erster Preis winkt eine Waschmaschine Ehe sie ihr Glück in Paris versuchen, haben die meisten Osteuropäerinnen, die in Vodianovas Fussstapfen treten möchten, einen recht langen und mühsamen Weg bereits hinter sich gelassen: bevor sie überhaupt die Chance erhalten, auf den Catwalks der Modemetropolen zu laufen, machen sie ihre ersten Schritte in den Kulturhäusern der Provinz oder auf Schönheitswettbewerben. Oft winkt dort als erster Preis nicht mal ein Modelvertrag bei einer Agentur, sondern lediglich eine Waschmaschine oder gar ein Schwein. Nicht selten brechen die Mädchen mit ihrer Familie, um ihrem Traum zu folgen: ‹Trotz grosser Auseinandersetzungen mit meinen Eltern bin ich fortgegangen, um ein besseres Leben zu führen als sie›, sagt Galya im Rückblick auf ihr Leben in der Heimat. Hat ein Mädchen das Glück, entdeckt zu werden, heisst die nächste Station erst einmal Moskau, was für die meisten auch schon die Endstation bedeutet: ‹In Moskau gibt es etliche Agenturen, doch nur 15 davon sind seriös, der Rest ist schlichtweg fake›, erzählt uns Tatjana. Die meisten der 150 Moskauer Agenturen bessern ihre Etats durch Vermittlerdienste auf – wie zum Beispiel Jobs auf Messen oder beim Begleitservice. Die meisten Models machen mit. Nur eine von Hunderten schafft den Sprung in den Westen. Die übrigen stranden in der ehemaligen Zarenstadt, wo sie sich mit Mini­ gagen für ein Coverfoto oder bestenfalls auf der ‹Ru­ssian Fashion Week› durchschlagen. Die Hoffnung der Mädchen, wenigstens bei diesen Jobs von einem wichtigen Fotografen oder


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einem der Castingagenten entdeckt zu werden, stirbt aber stets zuletzt, so dass sie meist weitermachen.

Nach ein bis zwei Saisons sind die Models nicht mehr frisch Hübsche Mädchen gibt es genug, der Markt wird überflutet von bildschönen Nachwuchsmodels aus Osteuropa, die teilweise für die Hälfte des Geldes genauso adrett über die Catwalks in Mailand, Paris, New York und London laufen wie ihre Vorgängerinnen. Überteuerte Diven will sich die Branche nicht mehr leisten. Der nicht enden wollende Strom neuer Gesichter führt unwillkürlich zu einem immer kürzeren Haltbarkeitsdatum der Models. Betrug dieses früher noch etwa acht bis zehn Jahre, so sind die Models heute schon nach ein bis zwei Saisons nicht mehr frisch. Mit 14 oder 15 Jahren anzufangen ist normal, mit 20 Jahren ist es dann meistens schon zu spät. Zudem haben die Mädchen nur noch einen Vornamen und bestenfalls noch den Anfangsbuchstaben ihres Nachnamens, so wie unsere Fünf: Tatjana S., Galya, Kelly K., Ingrid M., Veronika L. Vorbei sind die Zeiten, in denen man würdevoll von der ‹Schiffer› sprach. Die Suche nach ‹dem neuen heissen› Mädchen ist zur regelrechten Hetzjagd geworden. Die amerikanische Modedesignerin Nicole Miller äussert sich hierzu im Film ‹Picture Me›: ‹Jeder versucht das eine neue «hot girl» der Saison zu finden. Ich finde das bedauerlich. Diese Karrieren sollten länger dauern.› Und auch Stage Designer Kevin Krier meint: ‹Es gibt in jeder Saison einen Haufen neuer Mädchen. Wenn wir eine gestern gesehen haben, dann wollen wir sie morgen ganz sicher nicht noch einmal sehen.› Durch die Jagd nach dem immer neuen, frischen Gesicht werden die Models zunehmend jünger. Es geht sogar so weit, dass viele der Mädchen erst 12 oder 13 Jahre alt sind. Topmodel Catriona Balfe beschreibt in ‹Picture Me› eine Szenerie bei einer Calvin Klein Show, bei der sie ein erst zwölf Jahre altes Model mit einem Malbuch backstage sah. Was diese Mädchen eint, ist der gemeinsame Traum von der grossen Karriere. Ihre Motivationen sind dabei oft sehr unterschiedlich: Kelly weiss ihre harmonische Familie zu Hause in Brasilien. Ihr und Ingrid ist bewusst, dass sie jederzeit nach Hause zurückkehren können. Dergleichen können sich Tatjana, Galya und Veronika nicht vorstellen. Sie haben ihr altes Leben zurückgelassen und dafür einiges aufs Spiel gesetzt. Vielleicht haben sie es bis jetzt nicht geschafft, ihren Traum vollständig zu erfüllen. Dafür arbeiten sie umso ehrgeiziger an ihrem Ziel, eines Tages die nächste Natalia Vodianova zu werden. Und sich soweit einen Namen zu machen, dass sie auch mit Ende 20 und vielleicht sogar darüber hinaus noch Aufträge bekommen.

Tatsächlich herrscht oft grosses Schweigen, fragt man die Mädchen nach ihren Plänen ‹danach› – dann, wenn sie zu alt sein werden für diesen Job. Viele von ihnen wissen nicht, was sie nach dem Modeln mit ihrem Leben anfangen sollen. Dies gilt für die osteuropäischen Mädchen im Besonderen; sie hoffen allerdings häufig auf eine lukrative Ehe, die sie von der Entscheidung von dem ‹Was danach?› entbinden würde.

Die Hoffnung stirbt zuletzt Die goldenen Zeiten sind vorbei. Am High End der High Fashion ist es eng geworden. Das ‹Unter-10.000-Dollar-am-Tag-stehe-ich-nichtauf›-Gehabe war gestern und längst wurde das Phänomen der Supermodels für tot erklärt. Viele Covers und Werbeaufträge gehen heute an Testimonials: so werden Celebrities genannt, die für ein Label werben und dabei bis zu vier Millionen Dollar für ihre Jobs einstreichen, wie beispielsweise Uma Thurman für ihre Louis Vuitton Kampagne. Die Testimonials stellen einen starken Gegenpol zu den namenlos gewordenen Models dar. Denn im Gegensatz zu den immer neuen Gesichtern verkörpern sie einen Wiedererkennungswert, aber auch eine Identifikationsfigur. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt: Natalia Vodianova löste immerhin die ‹Urgesteine› Naomi Campbell und Claudia Schiffer als Gesicht der Louis Vuitton Kampagne ab. Ob ein Realität gewordener Aschenputteltraum die Mühen der Tausenden aufwiegt, die auf der Suche nach Erfolg auf der Strecke bleiben, muss jedes Mädchen für sich selber beantworten; doch solange die Modewelt ihren Glanz behält, wird der Strom nicht abreissen. Der Kater kommt bekanntlich danach.

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‹playlist› Zehn absolute All Time ­Favourites von Patrick Mohr 07:03

Dire Straits: Brothers in Arms Dieser Titel, der als erstes auf meiner Playlist thront, ist meinem Vater gewidmet. Der Song berührt mich persönlich sehr, er ist emotional und jedes Mal, wenn ich ihn höre, verfalle ich aufs neue in Trance und dies auch nach fünf Jahren noch; der Song wird mich bestimmt noch lange begleiten.

04:45

Nouvelle Vague: Fade to Grey Den besten Start in den Tag bietet ‹Fade to Grey›. Ich höre den Song fast immer in der Früh nach dem Aufstehen, er gibt mir ein gutes Gefühl und die nötige Kraft, Berge von Stoff und Arbeit zu bewältigen. Dieser Bossa Nova Stil hat es mir angetan, er zieht mich magnetisch an. Ausserdem erinnert mich das Stück an meine grosse Liebe.

04:23

Antony and the Johnsons: Hope There’s Someone

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ie kinki Leser, welche das Ma­gazin seit Anbeginn ­begleiten, kennen ­Patrick Mohr bereits und wissen, dass es sich bei ­dieser ausgeflippten Persönlichkeit nicht um einen Schweizer DJ, ­sondern um ­einen deutschen Fashiondesigner handelt: ‹Play­list from a fashion point of view!› Die Modewelt kennt den Auf­ steiger Patrick Mohr als Enfant terrible, das sich rüstet, die Pariser Laufstege mit Sach und Krach zu erobern, und dies noch vor ­seinem 30. Lebensjahr – so lau­tet der Masterplan. An der MercedesBenz Fashion Week Berlin ’09 leistete er sich einen avantgardistisch-grenzwertigen Streich und liess neben professionellen Models Obdachlose in seinen ­Kreationen über den Laufsteg defilieren, womit er seinen Ruf als Designer mit künstlerischem Anspruch festigte. ‹Wie der Lum­ pensammler sein Hab und Gut

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Wenn ich nur noch schwarzsehe, dann ist ‹Hope There’s Someone› genau das Richtige, diesen Gefühlszustand zu unterstreichen. Ich tendiere manchmal zu depressiven Stimmungen. Dann höre ich diesen Titel und fühle mich verstanden, fühle mit und verfalle der Trauer, lasse mich in eine andere schwarze Welt fallen. Antony Hegarty ist für mich sehr inspirierend, da er sich zwischen Mann und Frau bewegt – wie meine Kollektionen.

zusammensucht, so wird auch der Mensch erst durch die Frag­mente des Lebens zu dem, was ihn schlussendlich ausmacht›, war die Devise der Kollektion mit asymmetrischen Lumpensilhouetten, die wie gewohnt von geometrischen Formen, insbesondere dem ­Dreieck, getragen wurden. Nimmermüde und stets bereit, den ­etwas eingekrusteten Fashionzirkus zu schockieren, arbeitet Mohr voller Elan sein Baukastensystem ab, wonach er als ­nächstes besonders mit Zylinderund Kreisformen arbeiten wird, bis es nächstes Jahr nach Paris ge­hen soll. Nebenbei hat er uns ­seine musikalische Playlist verraten, die – wie die Lumpen des Lumpensammlers – prägende Erinnerungen an das Erlebte ­darstellt, und nicht ganz so extrovertiert wie seine Mode da­ herkommt. www.patrickmohr.net

03:49

Portishead: It’s A Fire

Dieser Song ist für mich Gänsehaut pur, er geht direkt unter die Haut, zum Herzen. Ich träume und träume, schliesse die Augen und fühle mich frei. Die Stimme von Beth Gibbons ist für mich die pure Vollendung.

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Aphex Twin: Film So ertönt seit neuestem mein iPhone, wenn mich jemand anruft. Irgendwie empfinde ich ‹Film› als sehr meditativ und auch als aufbauend – da bekomme ich sofort gute Laune. Richard David James ist ein phänomenaler Vertreter der Electronica-Szene. Spezielle Gedanken oder Erinnerungen verspüre ich bei diesem Titel nicht, einfach nur schön…

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A Mountain of One: Innocent Line Dieser Titel ist unglaublich lebendig und mitreissend, er hat mir in der Vergangenheit schon viel Kraft gespendet. Ausserdem haben A Mountain of One das Dreieck als Symbol – wie ich. Der Song schafft es immer wieder, mich privat wie beruflich auf einen Nenner zu bringen.

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Radiohead: All I Need Der Songtitel ist bei mir Programm. Diese Melodie und die aussergewöhnliche Stimme von Tom Yorke begleiten mich schon lange und inspirieren mich immer wieder neu, deshalb höre ich den Song gerne beim Designen. Allein schon das offizielle Video zum Song, das parallel die kon­ trastierenden Welten zweier Jungen – einer aus reichen, einer aus armen Verhältnissen – zeigt, berührt mich sehr. Vermutlich ein Stück, das ich bis zu meinem Tode hören werde.

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Band of Horses: Is There A Ghost Acht Monate Hendrik Vibskov – das war eine sehr arbeitsintensive und lehrreiche, aber vor allem auch eine gute Zeit, und immer wieder haben wir ‹Is There A Ghost› bei der Arbeit gehört. Wenn ich den Song heute in meinem Atelier höre, fühle ich mich in diese Zeit in Kopenhagen zurückversetzt. Der Song ‹is my sensation and reminiscence›.

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Djuna Barnes: Urbanizer 1 Auch dieser Song hat mich während meiner Zeit in der dänischen Hauptstadt auf Schritt und Tritt verfolgt. Ich habe Djuna Barnes sogar persönlich kennengelernt. Mit ihrer ausdrucksvollen Ausstrahlung hat sie mich von der ersten Sekunde an fasziniert. Mir gefallen ihre musikalischen Übergänge, ihr Gespür und Talent, sie hat eine grossartige Persönlichkeit.

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Tom Waits: Tom Traubert’s Blues Ein Klassiker, etwas vom Besten, das der Meister mit der rauchigen Stimme hervorgebracht hat. ‹Tom Traubert’s Blues› löst bei mir tiefste Erinnerungen an meine Mutter aus. Bei diesem Titel kommen mir immer die Tränen. Mehr möchte ich gar nicht hinzufügen, da dieser Song und meine Assoziationen dazu sehr persönlich sind. Interview: Florence Ritter Foto: Promo



‹querschläger› Alles, ausser angepasst. Andi Stutz beliefert mit seiner Firma ‹Fabric Frontline› internationale Designer wie Vivienne Westwood und Chanel mit ­feinster Seide. Für einen Abstecher in sein Atelier wagen Promis aus aller Welt sogar einen Ausflug ins Zürcher Rot­lichtquartier. Kein Wunder, denn Andi überzeugt nicht nur mit seinen hochstehenden Produkten, sondern ist auch stets um das leibliche Wohl seiner Gäste besorgt.

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er Grund, warum ich bereits um sechs Uhr abends schwankend durch die Langstrasse torkle, und das auch noch dazu mitten unter der Woche, heisst Andi Stutz. Fünf Stunden zuvor empfing uns der ‹Seidenkönig› in seinem ­Atelier an der Anker­strasse – und wer meint, er beant­worte einem auch nur eine Frage mit leerem Magen, der täuscht sich gewaltig. Ebenso besorgt wie um sein eigenes ist der Bon Vivant auch um das körperliche Wohl seiner Gäste, und so bestellen wir im Restaurant Seiden­spinner Salat, Suppe, panierte Kalbsplätzchen mit Kartoffelsalat und eine erste Flasche Wein. Es sollte nicht die ­letzte sein, das war Andi sicher von Vornherein klar, denn ‹so ä chli höcklä isch doch eifach s Schön­ schti, oder?› Andi redet frisch von der Leber weg, auch wenn die während unse­res Gesprächs wohl einiges zu ­arbeiten hat, nimmt kein Blatt vor den Mund, und auch wenn die wirklich lustige Unterhaltung mit ihm eigentlich erst beginnt, als ich das Gerät abgeschaltet habe, schert sich der ­Lebemann herzlich wenig da­ rum, ob er mit seinen Antwor­ten ­irgendwem auf den Schlips steht. Vor allem, wenn es sich dabei nicht um einen sei­denen Schlips aus seinem Hause handelt. Immer wieder erzählt mir der ­sympathische Mann mit dem schallenden Lachen Episoden von Journa­listen, die er während der Interviews unter den Tisch ­ge­soffen hat,

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und Geschichten von enthaltsamen Langweilern, die er dann mit der Stretchlimousine gleich wieder zum Flughafen ­bugsierte, ohne auch nur ein Wort mit ihnen gewechselt zu haben. Dement­ sprechend erleichtert bin ich, als nach der dritten Flasche ­Rotwein selbst Andi eingesteht, dass er nun eine kalte Dusche ­nötig hat. Er erwartet in zwei Stunden schliesslich noch hohen ­Besuch aus Russland und hat sich immer noch nicht ganz von der Hochzeit erholt, die er letzte Woche feierte. Dabei handelte es sich wohlgemerkt aber nicht um seine eigene, wie immer wieder behauptet wurde. Nein, Andi Stutz tanzt auf vielen Hochzeiten, er tanzt mit vielen Frauen, mitunter sicherlich auch mit der einen oder anderen reichen russischen Dame, doch die Gerüchte um eine Scheinehe kommentiert er mit einem amüsierten Kopfschütteln. Während unse­res Gesprächs ruft sein Handy-Klingelton immer wieder ‹Meuterei!›. Andi lässt es angewidert liegen und hebt sein Glas, um uns breit grinsend mit den Worten ‹Happy New Year!› zuzuprosten. kinki magazine: Denkst du, dass ­Qualität gerade in einer schnelllebigen Zeit wie unserer gefragter ist denn je? Andi Stutz: Qualität wird immer wichtiger, das sieht man zum Beispiel auch bei Möbeln und so. Wir machten schon immer ein Nischenprodukt, und so gerne ich es an ­jeden Mann oder an jede Frau bringen würde, weiss ich ­natürlich, dass es nicht zu den ­pri-

mären Bedürfnissen der Menschheit gehört, ein Sei­dentuch zu ­besitzen. Ich kaufe mir auch zuerst einen Sack Rüebli, ­bevor ich mir eine Seidenkrawatte leiste, aber doch ­suchen immer mehr Leute nach qualitativ hochstehenden Produkten. Man hört ja, dass du deinen Freunden gerne mal die Krawatte abschneidest, wenn sie nicht von dir ist… Ach komm, das ist ja schon Ewigkeiten her! Aber wenn Leute ­behaupten, sie seien meine Freunde und ich treffe die am Para­ deplatz mit der falschen Krawatte, dann zeigt das, was für Freunde das sind: Lotterfreunde! Dann verlangte ich halt ab und zu mal nach einer Schere und schnitt denen den Fetzen ab. Eigentlich gut, dass du mich daran erinnerst, ich sollte wieder damit anfangen. Aber meine wilden Zeiten sind ja langsam vorbei. Obwohl ihr eigentlich ein Fami­lienbetrieb seid, stehst eigentlich immer nur du im Rampenlicht. War das von Anfang an so geplant oder hat sich das einfach so ergeben? Jeder soll das tun, was er am besten kann. Ich habe schon immer gerne viele Leute um mich herum gehabt; seit ich die Beiz aber nicht mehr führe, hat sich das natürlich ein bisschen gelegt. Du warst in der Vergangenheit ja auch schon Opfer der Klatschpresse: man rätselte über dei­ne sexuelle Ausrichtung und Gerüchte um eine heimliche,

­ ochzeit mit einer reichen Russin H machten die Runde. Belastet dich das, oder lässt es dich kalt? Über so etwas muss man drüber stehen können. Da kann man ja höchstens Mitleid haben mit den armen Journalisten, die von so ­einem Seich leben müssen. Die sollen doch lieber mal vorbeikommen und mich im Bett testen, dann merken sie schnell, wie langweilig es mit mir ist (lacht). Dann gäbe es nichts mehr zu schreiben. Du bist sehr kunstinteressiert, oder? Hmm, das wäre glaube ich gelogen. Oder zumindest masslos übertrieben. Ich kenne halt ein paar Künstler, mit denen habe ich ein gutes Verhältnis. Ein Bild muss mir einfach gefallen, wirklich eine Ahnung habe ich davon aber nicht. Ich habe jetzt ja sowieso keinen Platz mehr, um mir was ­Neues zu kaufen. So, und jetzt bestellen wir noch eine Flasche! Puh, ich muss das hier eigentlich heute noch abtippen… Du kochst ja anscheinend selber auch ganz gerne, oder? Bist du ein ­guter Koch? Weiss nicht, für mich ist es gut genug. Ich mag frische Kost. Ei­ gentlich lebe ich ja ganz gesund, weisst du, halt einfach ein bisschen masslos. Andi Stutz, 62, hat keinen Lieblingswein. Er ‹säuft zwar keinen Essig›, ist aber auch kein ‹Etikettensäufer›. Sein allerliebstes Getränk ist immer noch Mineralwasser, allerdings hasst er es, wenn Lokale Wasser aus dem Ausland ankarren, nur weil da ein eleganter Name draufsteht. Text und Interview: Rainer Brenner Foto: Daniel Tischler


‹Ich lebe gesund. Einfach ein ­ bisschen masslos.›

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Organika Photography: Michael Bader, www.michael-bader.com Photographic assistant: Philipp K端lker, Marco Deling Outfit design: Janina Amrehn and Michael Bader Balloon design: Kai Wiedermann Model: Meike Gehring / Model Pool, Annika Szurmann Hair and make-up: Sabrina Holtmann, Shideh Nikoukhessal

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Nachhaltig produzierte Rohstoffe, öko­ logisch abgestimmte Nahrung, Kleidung aus biologisch angebauten Fasern. Nach einem Zeitalter der aktiven, nachhaltigen Gestaltung, Technisierung und Industrialisierung der Umwelt gibt es ein Streben nach scheinbarer Re­natura­lisierung. Durch vielfältiges Aufgreifen von Vorbildern aus der Natur (Bionik) versucht der Fotograf Michael Bader eine künstliche Einheit zwischen Mensch und Natur zu schaffen. Seine Fotos sollen diese Verbindung zwischen dem Menschen und seiner Umwelt mittels abstrahierter Bekleidung darstellen.

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‹vertreter› Über die wichtigsten Schuhe von 1900 bis heute. Name: Tabi Shoe Geburtsjahr: 1988 Typ: Zehenschuh Hersteller: Maison Martin Margiela

Kunst oder Scheusal? Am Tabi­Schuh aus dem Hause Margiela mögen sich die Geister scheiden. Klar ist nur: sein Träger verströmt Exzentrik aus jeder Pore.

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ibt es nicht ein Sprichwort, nach dem man nicht trennen soll, was zusam­ mengehört? Das dürfte in diesem Fall schlichtweg missach­ tet worden sein und so verwun­ dert es auch nicht, dass einen der Anblick der zehentrennenden Schuhe aus dem Hause Maison Martin Margiela erst einmal nach Luft japsen lässt. Denn schön sind sie nicht: die sogenannten Tabis scheinen eher für Paar­ hufer geeignet als für den mensch mensch­ lichen Fuss. Im Jahr 1988 desi­ gnte das belgische Modelabel dieses erstaunliche Modell – abgeleitet von den japanischen Jikatabi­Socken, mit denen man mühelos in Zehenstegsan­ dalen gleiten kann – und pro­ duziert seitdem immer wieder neue Varianten. Um diesen Schuh zu verstehen und nicht in das übliche ‹Wer soll so etwas denn tragen?› zu ver­ fallen, bedarf es an dieser Stelle einer kleinen Erläuterung zu Martin Margiela, dem Meister von Täuschung und Recycling. Der Designer, von dem es kein Foto gibt und der Statements nur im Namen von ‹Maison Martin Margiela› per Fax oder E­mail abgibt, gilt tatsächlich als grosser Zampano des Modezirkus. Dabei beschäftigt er sich weniger mit zukunftsweisender als viel­ mehr mit gegenwärtiger Mode, die keinen Bezug zu einem Vorher oder Nachher hat. Bei Margiela findet man immer wieder Kleider, die im wahrsten Sinne recycelt wurden: denn im Prinzip macht der Belgier exakte Kopien von Kleidern, die es schon einmal gab. Anstatt das zu verheimli­ chen, deklariert er seine Kopien sogar öffentlich als solche mit einem Replica­Etikett: ‹Flamenco­ schuh, Buenos Aires, 1917›,

ist da zum Beispiel für jeden sicht ­bar am Etikett eines Schuhs zu lesen. So wirken seine Kreationen häufig wie die Ausstellungs­ stücke eines Museums und sind vielmehr eigenständige Aus­ sage als Ausdrucksform ihres Trägers. So mögen auch die Tabi­Schuhe wahrscheinlich im Museum einen grösseren Anklang finden als an den Füssen geltungsbedürftiger Fashionistas, die mit diesen nicht mal bequemen Tretern pure Ex­ zentrik aus jeder Pore verströmen.

Der TabiSchuh ist ein Tritt in den Arsch. Aber nicht nur für seine Art des Recyclings ist der gesichts­ lose Belgier bekannt: er unter­ sucht, dechiffriert und stellt Mode in Frage. Er kehrt Innerstes nach Aussen, zeigt offen Nähte und Säume und löst die Mode dabei buchstäblich in ihre Einzel­ teile auf. Insofern ist der Tabi die fleisch­ gewordene Infragestellung der gängigen Schuhform. Er ist Margielas markantester Schuh und wohl auch das Stück, das seine Auffassung von Design am ehesten widerspiegelt: nicht nur handelt es sich bei dem klei­ nen Scheusal um einen zu Ende gedachten Jikatabi­Socken, sondern steht dieser Schuh in seiner Aussage auch ganz und gar für sich selbst. Fast schon gewaltsam macht der Tabi uns klar, dass Margielas Mode uns nicht helfen will uns zu finden, sondern uns in dieser Frage mutterseelenallein und ohne An­ haltspunkt zurücklässt, und vielmehr irritiert als identifiziert. Schon andere Kreationen Margielas waren beim Tragen schlichtweg hinderlich, zu gross, verhedderten sich bei jeder Bewegung oder liessen nur klitze­ kleine Trippelschritte zu. Der Tabi­Schuh aber ist die Krönung von alledem: er ist der Tritt in den Arsch, der uns auf den Boden der Tatsachen und von unserem riesigen Ross herunterholt, auf den uns die Mode einst setzte. Text: Anja Mikula Illustration: Raffinerie


Artwork by // DIY www.sixpack.fr


Shock to Sell

Als Händler von United Colors of Benetton hatte man es zu Beginn der 90er-Jahre nicht leicht. Durch die schockierenden Kampagnen des Konzerns, der plötzlich ölverschmierte Enten und HIV-Infizierte als Werbeträger für Plakate und Anzeigen entdeckte, brach eine Welle der öffentlichen Entrüstung herein. Die Folgen reichten von eingeschmissenen Scheiben bis hin zu Aufrufen zum Kaufboykott. Text: Mathias Bartsch

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ür das Label hat es sich aber gerechnet, denn seit diesen Tagen steht Benetton als Syn­ onym für provozierende Wer­ bekampagnen. Tabuwerbung spielt heute bei UCB nur noch eine kleinere Rolle. Doch der Versuch, mit Bildern zu schocken und so Auf­ merksamkeit zu kreieren, ist noch immer ein beliebtes Mittel in den Marketingabteilungen. Wer einen Hang zum Morbiden in sich trägt, der kommt heutzutage bereits in den Werbe­ clips im TV voll auf seine Kosten. Da jagt sich schon mal ein Sprinter wegen der falsch ausge­ suchten Turnschuhe eine Kugel in den Kopf oder der Spielkonsolen-User rammt sich die Gabel ins Grosshirn. Der Trend zum schockie­ renden Element in der Werbung ist ungebro­ chen und wird durch die aktuelle Wirtschaftskri­ se noch mal verstärkt. Im ewigen Kampf um die Wahrnehmung der Konsumenten greifen die Werbeagenturen und deren Auftraggeber gern zu vermeintlichen Tabuthemen wie Gewalt oder Sex. Eine Entwicklung, der sich nicht erst seit Benetton ebenfalls die Modelabels unterwer­ fen. So erregte kürzlich die Plakatkampagne von Calvin Klein, bei der die goldene Regel ‹Sex Sells› reanimiert wurde, in New York grosse Aufregung. Calvin Klein brachte sich in Form ei­ nes 15 Meter hohen Werbeplakats auf einer Fassade im Stadtteil SoHo ins Gespräch, da auf dem Motiv beherzt einer Art Gruppensex­ orgie gefrönt wird. Die Bilder stammten von dem amerikanischen Fotograf und Illustrator Steven Meisel, der das Jeans-Geschäft bei CK ankurbeln sollte.

Die Ahnengalerie der Provokation bei CK Das Unternehmen blickt aber auf eine ganze Reihe von bewusst gesetzten Skandalen zu­ rück, die ihren Ursprung bereits Ende der 70er haben. Damals war CK noch eine dröge Marke, die für den cleanen amerikanischen Chic beim Thema Kleidung stand. Schlichte Schnitte, un­ auffällige Farben, doch dafür hochwertige Ma­ 76

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terialien waren der anästhesierende Inbegriff der Firmenphilosophie. Dies änderte sich aber schlagartig, als CK mit Brooke Shields als Wer­ befigur aufwartete. Inszeniert als laszive Blondi­ ne in hautengen Jeans und einem Hemd, das nur ein Knopf und sehr viel guter Willen zusam­ menhielt. Gemeinsam mit dem Claim ‹Nichts kommt zwischen mich und meine Calvins› war auch dem letzten Moralapostel klar, dass unter der Kleidung wohl nur noch die nackte Haut zu vermuten war. Zudem war Brooke Shields zum Zeitpunkt der Kampagne gerade 15 Jahre alt, was den Skandal nicht nur im Bible Belt, son­ dern in den gesamten USA abrundete. Für CK brach aber ein neues Zeitalter an, denn der Jeansverkauf machte Ka-Ching. Nicht weniger Aufmerksamkeit brachte wiederum in den 90ern der Schauspieler Mark Wahlberg für Calvin Klein, der mit durchtrainiertem Body und der Hand am Gemächt für die Unterwäsche der Firma posierte.

Sisley – Jenseits der Gürtellinien In Europa erfüllt seit vielen Jahren überwiegend der italienische Konzern Benetton die Rolle des Enfant terrible in der Werbung. Mittlerweile zwar gebremster, doch in der zum Unternehmen ge­ hörenden Marke Sisley lässt man dann doch noch sprichwörtlich die ‹Puppen› tanzen. Be­ sonders in den Kampagnen, die mit dem Foto­ grafen Terry Richardson in den letzten Jahren entstanden sind. Dessen roher und direkter Stil drückte sich dann beispielsweise in Bildern aus, auf denen sich Models unzüchtig aus dem Kuheuter Milch in den Mund spritzten. Neben dem reinen Porn Chic wurde somit auch der ge­ sellschaftliche Grenzbereich Sodomie als Wer­ beeffekt eingesetzt. Junge Mädchen, die sich an ein Schwein schmiegen oder anscheinend paa­ rungsbereit vor einem Stier räkeln, waren hierfür weitere Motive von Richardson, dem selbst be­ titelten ‹Rocktografen›. Der Hoffotograf von Sis­ ley scheint aber mittlerweile selbst genervt zu sein, denn das Repertoire ist irgendwann aus­ gereizt, der Schockwert nutzt sich ab. Weswe­

Sex Sells! Je provoka­ tiver Terry Richardsons Werbemotive waren, desto mehr durfte sich Sisley mit dem Ruf des Anrüchigen brüsten.


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gen Richardson, dessen Bildsprache als ­deutliche Vorbilder Nan Goldin und Larry Clark – beide Kinder aus der Fabrik Andy Warhols – verrät, in Interviews auch immer wieder verlauten lässt, dass er zukünftig eigentlich Lust auf unschuldi­ ge Kinderporträts hat.

Schock lass nach Bei United Colors of Benetton selbst ist eine gewisse Abkehr von der Tabuwerbung schon länger zu beobachten, besonders seit dem Weggang von Oliviero Toscani, unter dessen Leitung die bekannten Schockkampagnen in den 90ern entstanden. Priester und Nonne, die sich küssen, die blutverschmierte Kleidung ei­ nes bosnischen Soldaten: Toscani inszenierte Bilder, die mit Emotionen nicht nur spielten, sondern sie in einem riesigen Ausmass hervor­ riefen. Das Resultat der Bilderserien, die sich zweifelsohne ins kollektive Gedächtnis gebrannt haben, waren zwar einerseits Auszeichnungen und Diskussionen über gesellschaftliche Prob­ leme, andererseits aber eben auch gerichtliche Verfügungen und öffentlicher Protest. Was überrascht und auffällt, ist, dass wieder ein da­ mals eher als prüde oder konservativ einge­ schätztes Label zur medialen Aufmerksamkeits­ keule griff. Zumal die Klientel von Benetton nicht unbedingt als gesellschaftliche Boheme ver­ schrien war und man bis dahin bei der Marke vermutete, dass die meisten Reklamationen der Kunden mutmasslich daher rühren, dass die Citizen-Uhr am Arm mal wieder Fäden im Pullo­ ver gezogen hat... Für Benetton war dann aber 2000 anscheinend doch die eigene Schmerz­ grenze erreicht, als Toscani zum Tode verurteilte Häftlinge in amerikanischen Gefängnissen ab­ lichtete. Unter dem Eindruck der wütenden Öf­ fentlichkeit wurde die Zusammenarbeit gekün­ digt und Toscani ist heute Züchter von Westernpferden und nur noch hin und wieder für andere Labels tätig. So zeichnet dann auch beispielsweise das aktuelle Anzeigenmotiv in der Sonderausgabe von ‹Colors›, dem Benet­ ton-Magazin, ein beschaulicheres Bild. Hierbei werden unter dem Titel ‹Victims› stellvertretend für den Konflikt zwischen Tibet und China ein tibetischer Mönch und ein chinesischer Rotar­ mist gezeigt, die sich in gebetvoller Haltung friedlich grüssen. Das wirkt dann doch sehr be­ haglich und ist eher eine nette kleine Wohlfühl­ kritik, die man mit den Songs vom Tibetan Free­ dom Concert im Ohr problemlos konsumieren kann. Prügelbilder von tibetischen Demonstran­ ten kann man sich ja stattdessen bei YouTube anschauen.

Vom Tabu zum sozialen Engagement Tabu oder soziales ­Engagement? United Colors of Benetton rückt sich mit dem Aufzeigen politischer Missstände nicht ­immer ganz ins richti­ ge Licht.

Vielmehr tendiert es bei Benetton in Richtung soziales Interesse, wie verschiedene Kampag­ nen in der jüngeren Vergangenheit aufgezeigt haben, die mittlerweile selbst bei Menschen­ rechtsorganisation durchaus Gefallen finden. Denn gewichen ist dort der anfängliche Vorwurf, dass UCB mit gesellschaftlichen Tabuthemen

eine Art kommerziellen Ausverkauf betreibe. 2003 startete Benetton zum Beispiel wiederum im eigenen Magazin ‹Colors› eine Kampagne gegen Gewalt, bei der es unter anderem um die weltweite Misshandlung von Frauen ging. Die Frauenrechtsorganisation ‹Terre des Femmes›, die in Deutschland und in der Schweiz aktiv ist, bewertet solche Aktionen positiv. So meint Se­ rap Altinisik, die Leiterin der eigenen Kampagne gegen häusliche Gewalt: ‹Für uns stellt eine Ak­ tion dieser Art kein Problem dar, wenn soziale Missstände und im konkreten Fall die Men­ schenrechtsverletzungen an Frauen dadurch an die Öffentlichkeit kommen.› Eine verständliche Einschätzung, denn für die Nichtregierungsor­ ganisationen ist es eine kostenlose Unterstüt­ zung in ihrem Kampf gegen Ausblendung dieser Tabuthemen unserer Gesellschaft. Sie selbst sind auf teure Anzeigenkampagnen angewie­ sen oder bekommen nur mittels freier, weil nicht verkaufter Anzeigenplätze in Magazinen oder Tageszeitungen die Chance, kostenlos auf die jeweiligen Probleme hinzuweisen.

Benettons legendärer Thinktank ‹Fabrica› An die Stelle der Schockwerbung tritt also im­ mer öfter das Co-Branding mit humanitären Or­ ganisationen. Aktuell zum Beispiel ‹Show the Truth›, eine Plakatserie für die WHO-Kampagne zum ‹World No Tobacco Day 2009›. Eine Ent­ wicklung, die auch Paolo Landi, Benetton Ad­ vertising Director, bestätigt: ‹Die Zusammenar­ beit mit humanitären Organisationen wie der UNO, Reportern ohne Grenzen oder dem Jane Goodall Institute ist mittlerweile ein wichtiges Mosaik in der Werbestrategie von Benetton. Wir verfolgen dabei zwei Ziele: die Marke wird in einem positiven Zusammenhang wahrgenom­ men und den Organisationen wird geholfen, ihr Anliegen zu kommunizieren.› Der Entstehungs­ ort der Kampagnen ist dabei aber immer noch ein Erbe des gehassten Masterminds Oliviero Toscani: die Kreativschmiede ‹Fabrica› in Trevi­ so, die sich seit ihren Anfangstagen eines fast mythischen Rufs erfreut. 1994 wurde das ‹Be­ netton Communication Research Center› – so die offizielle Bezeichnung – von Konzernchef Luciano Benetton zusammen mit Toscani ge­ gründet. Die Einrichtung ist eine Kombination aus Agentur und Schule, wie Paolo Landi verrät: ‹Hier arbeiten rund 50 «fabricanti», beziehungs­ weise leben sogar dort. Gelehrt werden Fächer wie Video, Grafikdesign, Fotografie oder auch Musik. Ein «fabricanti» ist dabei zwischen 18 und 25 Jahren alt.› Zudem verbringen die kreati­ ven Novizen mindestens ein Jahr in der ‹Fabrica› und erhalten für ihre Schaffenskraft Kost und Logis frei sowie 500 Euro im Monat. Auf die ab­ schliessende Frage nach der Zukunft von Wer­ bung, die mit schockierenden Elementen arbei­ tet, hat Paolo Landi eine klare Antwort: ‹Für mich persönlich ist eine Werbung schockierend, wenn sie mich mit ungewöhnlichen Bildern zum Nachdenken bringt. Leider ist die derzeitige Tendenz in der Werbung vielerorts aber eher ge­ genteilig, das heisst, sie wird angepasster und viele Sachen wiederholen sich einfach nur.› kinki 79


Engel im Deux Pièce Sie sind diskret, unauffällig und stets makellos gepflegt: die Verkäuferinnen und Verkäufer, die einem hinter den schweren Glastüren an der Zürcher Bahnhofstrasse ein freundliches ‹Grüezi› zuhauchen, erscheinen uns so fremd und sind uns dennoch so ähnlich. kinki machte sich auf, einen Blick auf die ‹Engel der Bahnhofstrasse› zu werfen. Fotos: Julian Salinas, Text: Rainer Brenner 80 kinki


Name: Anja Esselier Alter: 67 Arbeitsort: A. C. Bang Ag, Bahnhofstrasse 1 Seit: 35 Jahren Tätigkeit: Gründerin und Geschäftsführerin Sprachen: Kroatisch (Mutter­ sprache), Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch und Russisch Wohnort: Ein Haus in Zürich Höngg Wer Frau Esseliers Laden­ lokal an der wohlklingendsten Adresse Zürichs betritt, der wird von ihr und ihren Kolle­ ginnen nicht nur höchst­ professionell bedient (‹wahr­ scheinlich weiss niemand auf der Welt mehr über Pelze als ich›), sondern profitiert gegebenenfalls sogar von ihrer Erfahrung als Pelz-Man­ nequin, wenn sie die edlen Teile höchstpersönlich vor­ führt. In den 70ern lernte sie durch diesen Beruf die Welt kennen, arbeitete für renom­ mierte Häuser in Mailand, Paris und New York und sammelte Erfahrung mit den teuren Materialien. Obwohl die studierte Kunsthistorikerin schon immer vielerlei Inte­ ressen besass, früher als Lang­läuferin in Oberammagau Wasa bis zu 90 Kilometer am Stück zurücklegte, an Marathons in Berlin und New York teilnahm und auch heute noch sportlich aktiv ist, bleibt ihre grösste Leiden­ schaft die Arbeit in ihrem Ge­ schäft. ‹Ich hoffe, dass der liebe Gott mich eines Tages direkt von der Bahnhof­ strasse 1 zu sich in den Him­ mel zieht.›

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twa tausend Schritte ist sie lang, vom Bahnhof bis hin­ unter zum Zürichsee führt sie tagtäglich massenweise telefonierende Männer in schwarzen Anzügen, Touris­ tengruppen mit Schweizer­ kreuzen auf ihren Leibchen, Teenies mit viel zu grossen Baseballkappen und frisch manikürte Damen des altehrwürdi­ gen Stadtadels mit sich. Die Zürcher Bahnhof­

strasse gehört zu den teuersten Vierteln der Welt. Hier zahlen die Läden monatlich bis zu 7000 Franken pro Quadratmeter – mehr als die meisten Schweizer pro Monat verdienen. Hier zeigt sich die ‹Little Big City› von ihrer in­ ternationalsten Seite, hier werden Besucher aus aller Welt stolz hindurchgeschleust und hier trifft Tradition auf Moderne, wenn nur we­ nige Wochen nach dem alljährlichen Sechse­ läuten die ravenden Massen der Street Parade an den vergitterten Schaufenstern vorbeizie­

hen und an der Oberen Bahnhofstrasse herum­ lümmeln.

Klare Grenzen Schon Mitte des 19. Jahrhunderts, als die Stadt sich nach einigem Hin und Her dazu entschied, den schönen Bahnhof mit einer noch schöne­ ren Strasse zu beehren, war den Bauplanern schnell klar, dass hier viel mehr entstehen würde kinki 81


Name: Johanna Egli Alter: 50 Arbeitsort: Rena Lange, Bahnhofstrasse 36 Seit: 10 Jahren Tätigkeit: Verkaufsberaterin Sprachen: Deutsch, Englisch und ein wenig Niederländisch Wohnort: Eigenes Haus im Kanton Glarus Trifft neue Ware ein, so kontaktiert Frau Egli ihre Stamm­kundinnen am liebsten gleich telefonisch, ‹wenn was Passendes dabei ist›. Trotzdem möchte sich Frau Egli ihrer Kund­ schaft nicht aufdrängen, lässt sie gerne auch mal ein bisschen alleine durchstö­ bern, wenn auch in sicherer Distanz. Da sie sich mit ihren Kunden nicht nur über Mode unterhält, sondern auch über Wirtschaft und Politik, ist es ihr besonders wichtig, stets auf dem Laufenden zu bleiben, was das Weltgeschehen be­trifft. Nebst ihrem Job, dem Skifahren und Lesen (am liebsten Thriller und Biografi­ en) schlägt Frau Eglis Herz aber für Reisen in ferne Länder. In Miami, New York und Amsterdam hat sie schon gelebt, nun träumt sie von einem Trip nach Alaska. Nicht nur wegen des Ski­ fahrens.

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Name: Miriam Haller Alter: Keine Angabe Arbeitsort: Gucci, Post­strasse 3 Seit: 2 Jahren Tätigkeit: Verkaufsberaterin Sprachen: Deutsch, Schweizerdeutsch (das sie sich mit 18 Jahren ange­ eignet hat), Englisch, Spa­ nisch, Französisch und Arabisch (das sie zwar ver­ steht, aber nicht spricht) Wohnort: Mietwohnung mit sechs Parteien in Adliswil Obwohl Frau Haller die Region Bahnhofstrasse teil­ weise als stressig und un­persönlich empfindet, ge­ niesst sie doch die Ver­ bundenheit zwischen den Leuten, die hier arbeiten. Dementsprechend schwer fällt es ihr auch, den Rei­zen der Einkaufsmeile zu wi­ derstehen, und so kommt sie nach der Mittagspause fast regelmässig mit einer Einkaufstasche zurück, wie sie uns gesteht. Doch in ihrer Freizeit sucht Frau Haller dennoch lieber Entspan­nung in der Natur. Beim Jog­ gen, Skifahren oder Fischen. Erst kürzlich zog sie eine 49 Zentimeter lange Forelle an Land, die man auch auf ihrem Facebook-Profil bewundern kann.

als ein bepflasterter Weg von der Zugstation hinab zum kühlen Nass. Was hier in den Boden gestampft wurde, sollte Zürich ein welt­städ­t­isches Gesicht verleihen. Somit wurde bei Baubeginn 1864 nicht nur der Spatenstich für ein teures und aufwendiges Bauprojekt ge­ setzt, sondern ebenso für das wohl wirksamste und vielleicht älteste Marketingkonzept der Stadt Zürich. Noch vor wenigen Jahrzehnten galt die Bahnhofstrasse in ihrer ganzen Länge als Luxus­

meile von Weltruhm. Doch vom Bahnhof her drängelten sich immer mehr internationale La­ den­ketten und Grossanbieter aufs altehrwür­ dige Pflaster und mit ihnen auch die Normalver­ braucher der Mittelklasse. Als habe hier schon die Namensgebung die Grenzen zwischen den verschiedenen Klassen gezogen, fanden sich an der Unteren Bahnhofstrasse Billiganbieter ein, aus deren bunten Läden laute Musik dröhnt. Hier drängelt sich Jung und Alt vorbei an Orsay und H&M hin zum Bahnhof, während an der

Oberen Bahnhofstrasse Ruhe und Zurückhal­ tung den Alltag bestimmen. Hinter schweren Türen, die sich dem Kunden entweder per Knopfdruck oder durch eine eigens dafür ange­ stellte Person öffnen, erwartet einen eine Welt, in der der Ausverkauf keine Rolle spielt und an der Kasse nicht nach Prozenten gefragt wird. Hier werden die Kleider von der Verkäuferin zur Kabine getragen, den Schmuck legen einem gepflegte feingliedrige Hände um den Hals, und wer seine Kreditkarte mehr als dreimal auf kinki 83


Name: Helene Müller Alter: 43 Arbeitsort: Laredo, St. Peter­ strasse 11 Seit: 7 Jahren Tätigkeit: Verkaufsberaterin Sprachen: Deutsch, Englisch, Italienisch Wohnort: Mietwohnung in Adliswil Frau Müller kann ihre Kundschaft aufgrund ihrer österreichischen Her­kunft zwar nicht mit einem urchigen Grüezi in Empfang nehmen, dafür aber mit einem strahlenden ‹Grüss Gott›. Die grösste Heraus­ forderung, die dieser Job ihrer Meinung nach mit sich bringt, liegt darin, jeder Kundin das anzubieten, was zu ihrem Typ und ihrer Figur passt. Und dement­ sprechend gross ist die Freude, wenn jemand, der den Laden mit schlechter Laune betreten hat, ihn mit einem Lächeln im Ge­ sicht und einer vollen Ein­ kaufstüte verlässt.

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Name: Antonio Donnoli Alter: 30 Arbeitsort: Saint Phil, Haupt­ filiale Bahnhofstrasse 20 Seit: 7 Jahren Tätigkeit: Verkaufsberater Sprachen: Deutsch, Italie­ nisch, Englisch, Französisch Wohnort: Mietwohnung in Zug Bei Herrn Donnoli sitzt jedes Detail. Selbst die Initia­ len auf seinem Hemd – die, wenn er sich bewegt, unter dem Anzug sichtbar werden – stimmen mit der Farbe des Jacketts überein. Dem­ entsprechend wichtig ist die morgendliche Auswahl der Garderobe, bevor er in der Männerabteilung des exklusiven Geschäfts seine Stammkundschaft namentlich begrüsst. Privat mag es Herr Donnoli gerne auch mal etwas lässiger in Jeans, wenn er seinem Hobby, der Ar­beit an seinem Auto, fröhnt oder Platten auflegt. Sein Traum ist es, irgendwann ein­ mal selbst einen Laden auf­ zumachen. Und eine Familie zu gründen.

den Ladentisch legt, der wird fortan namentlich begrüsst und mit Champagnerflutes oder einer Tasse Kaffee empfangen.

Diskretion mit Namensschild Hier, zwischen Augustinergasse und Bürkli­ platz, macht nicht die Masse den Tagesumsatz,

sondern oft nur eine einzige Person. Hier ist der Kunde König, Scheich und Grossverdiener. Arabische Mogule ziehen sich in den verhältnis­ mässig kühlen Schweizer Sommermonaten in klimatisierten Läden zurück, um der brütenden Hitze in ihrer Heimat zu entkommen, der Famili­ enadel kleidet Kind, Kegel und Vierbeiner in ex­ klusive Roben, und neureiche Yuppies kutschie­ ren lässig ihre Schlitten durchs Fahrverbot. Zurückhaltung hat in der Bahnhofstrasse ein Namensschild und trägt Uniform. Unaufdring­

lich und doch bestimmt führen Verkäuferinnen und Verkäufer die erlesene Kundschaft durchs geräumige Ladenlokal, vorbei an einer gut sor­ tierten Auswahl. Doch wer verbirgt sich hinter dem schwarzen Deux Pièce und unter der sorg­ sam drapierten Frisur? Wer ist der Mann mit den enthaarten Unterarmen, der scheint, als habe er sich beim morgendlichen Rasieren noch nie ge­ schnitten? Und wer sind diese Damen von un­ schätzbarem Alter, die abends die Schmuck­aus­ lage in den Tresor im Untergeschoss schlies­sen? kinki 85


Name: Karin Kuhn Alter: 50 Arbeitsort: Gassmann, Post­ strasse 5-7 Seit: 12 Jahren Tätigkeit: Kundenberaterin, Lagerbewirtschafterin und stellvertretende Team­ leaderin. Sprachen: Deutsch, Englisch, Französisch und Griechisch Wohnort: Mietwohnung in Zug Ihr Chef bezeichnet Frau Kuhn als ‹Perle vom Dienst›. Je nach Tageszeit begrüsst sie ihre Kundschaft mit einem freundlichen ‹Guten Morgen›, ‹Guten Abend› oder einem einfachen ‹Grüezi›. Wenn morgens alle Glas­ vitrinen abgestaubt sind, küm­ mert sich die gelernte Arzt­ gehilfin und Kosmetikerin um das Wohlergehen von Kundschaft und Angestell­ ten. Ihren runden Geburtstag wird sie übrigens in Grie­ chenland feiern, wo sie seit 28 Jahren immer wieder Urlaub macht und mit ihrem Fotoapparat die wunder­ schöne Landschaft einfängt. Ihr Traum wäre es, jedes Jahr 3 Monate in Griechen­ land zu verbringen. Am liebsten jedes Mal auf einer anderen Insel.

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Name: Sarah Vanessa Wirth Alter: 24 Arbeitsort: Türler Uhren und Juwelen, Bahnhof­strasse 28 Seit: Mittwoch, 15. August 2007 Tätigkeit: Uhren- und Schmuckberaterin Sprachen: Deutsch, Eng­ lisch, Französisch und Portugiesisch Wohnort: Mietwohnung im Kanton Glarus Eigentlich kauft Frau Wirth nur in der Region Bahn­hof­strasse ein. ‹Hier gibt es alles, was ich brauche›, verrät die perfekt gepflegte junge Frau im Sitzungs­ zimmer im gut verschlosse­ nen Untergeschoss des Geschäfts. Im Konferenzraum fühlt man sich fast wie in einem James Bond Film: Leder, Glas und Holz prä­gen das Bild. Hier oder in den Hallen der Hersteller selbst lernt sie neue Modelle, Materialien und Techniken kennen: ‹ein Traumberuf›, meint Frau Wirth. Das einzig Schwierige ist ihrer Mei­nung nach, die Kunden von der ehrlichen Leidenschaft zu überzeugen, die sie für die Produkte emp­findet. In ihrer Freizeit betreibt sie gerne Altklassisches Dressurreiten, das sie jedoch nicht als Beruf ausüben möchte. Viel lieber widmet sie sich dort den ex­klusiven Zeitanzeigern. Sie selbst trägt übrigens Zenith. Unter anderem…

Viele haben sie sicherlich noch nie gesehen und werden sie auch niemals sehen. Nicht weil sie in einer anderen Welt leben als wir, nein, auch sie hausen in Miet­wohnungen in der Ag­ glomeration, auch sie kaufen ihre Lebensmittel im Migros und auch sie schauen aufs Preis­ schild, bevor sie sich von ihrem redlich verdien­ ten Lohn etwas leisten. Doch wahrscheinlich würden wir sie nicht wiedererkennen, denn so zurückhaltend, wie ihr Beruf es von ihnen ver­ langt, so flüchtig ist ihre Erscheinung.

Über mehrere Wochen hinweg versuchten der Fotograf Julian Salinas und ich in der Region Bahnhofstrasse diese Erscheinungen einzufan­ gen, ihnen ein Schaufenster im eigenen Laden zu verleihen und herauszufinden, was für eine Person sich hinter der dreisprachigen Begrüs­ sung verbirgt. Gefunden haben wir begnadete Springreiterinnen, Autofans, Sportler, die von grossen Reisen oder einem Haus am Meer träumen, Ex-Models, Fotografinnen, Sprachta­ lente und vieles mehr.

Das einzige, was uns von diesen Menschen trennt, ist wohl eine schwere Eingangstür und ein gross gewachsener Doorman.

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Die Dreifaltigkeit des Duftes: London – Mailand – Paris

Wir alle kennen den unverkennbaren Duft gewisser Städte. Doch wie genau riechen denn Mailand, Paris oder London eigentlich? Unsere Duftexpertin Irène Schäppi schnüffelte sich für uns durch die Gassen der europäischen Modemetropolen. London calling: ‹Fleurs De Bois› von Miller Harris kulminiert den erdigen Charakter der Insel in einem einzigen Duft.

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weimal jährlich begeben sich die drei grossen Modemetropolen Europas – London, Mailand und Paris – in einen wahren Ausnahmezustand. Dabei werden die Städte nicht etwa von feindlichen Kriegsherren überrannt, dafür aber von Fashion-Victims aller Art: Rang und Macht, Ansehen und Stolz in der Modewelt drücken sich dabei am Rande der Catwalks in japanischen Schärpen aus, ja sogar in englischen Morgenmänteln oder französischen Lumpen. Ferner in Matrosenmützen und Leopardensöckchen, Reifröcken, Militärstiefeln und Krankenpflegerjacken, schwarzen Lippen, allenfalls in violettgestreiften Wangen oder grün gefärbten, krausen Haaren. Um den Kopf gewickelte Handtücher oder Krawatten gelten zudem ebenso als hip wie über Hosen getragene Unterhosen, Handschuhe ohne Finger sowie an der Jacke befestigte Plastikfische. Und sind somit als Dekoration gerade gut genug, um die eigene Idee von absoluter Eleganz und Avantgarde sichtbar zu machen. Weshalb das Publikum des Prêt-à-Porter – mal mehr, mal weniger wichtig – beängstigend und strotzend vor Narzissmus sowie Exhibitionismus daherkommt und die Einwohner von London, Mailand oder Paris zwingt, sich – wie bei hysterischen Massenanlässen à la ‹Streetparade› – in den eige88 kinki

nen vier Wänden in Sicherheit zu bringen. Das Defilee der neusten Modekreationen ist somit die perfekteste Inszenierung der jeweiligen Stadt.

Rosenblatt und Hundekot London nun zeigt meist abgefahrene Mode und gilt als Mekka für junge, urbane Designs. Mailand dagegen kleidet nicht nur seine eigenen Bürger, sondern auch den Rest der Welt, während Paris allem voran für die Eleganz zuständig ist. Und für viele Designer noch immer als DIE wahre Modemetropole gilt. Denn in Paris ‹à la mode› zu sein bedeutet, den Trends zu folgen, falls man diesen nicht schon voraus ist, ohne jedoch seinen eigenen Stil zu vergessen. Trotz dieser äusserst ernstzunehmenden Vorherrschaft können die Pariser nun den Modezirkus dennoch ab und ein mit einem Augenzwinkern betrachten. So geschehen jedenfalls bei der Jean Paul Gaultier Show für Herbst / Winter 2009 / 10, als der französische Designer Peitschen schwingende Dominas auf den Laufsteg gesendet und der aktuellen Wirtschaftskrise tüchtig den Allerwertesten versohlt hat. In einem Punkt aber versteht ‹la grande nation› überhaupt keinen Spass: beim Parfum. Musste jeden­

Grandezza statt Dolce Vita: ‹Corso Como 10› von Carla Sozziani beweihräuchert Milano ganz zu recht.

falls die Duftforscherin Sissel Tolaas erfahren, welche es sich erlaubt hat, neben Berlin, New York und London auch Paris olfaktorisch darzustellen und die Franzosen damit quasi in ihrer Ehre beleidigt hat. Für das Verständnis des Lesers nun ist an dieser Stelle wohl anzuführen, dass die gebürtige Norwegerin seit 1990 ein Duftarchiv aufbaut (wo mittlerweile über 7800 Düfte sowie Riechproben gelagert sind), Kunst aus Rosenblättern sowie Hundekot macht und das Leben in jeder Hinsicht für das beste Parfüm hält. Kein Wunder also, dass die Stadt der Liebe für Sissel Tolaas nach Brot, Metzger und Hundekacke riecht. London stattdessen schmeckt nach abgefahrenen Reifen, indischem Essen, Asphalt und Frittieröl, während in Mailand ein Hauch von Bremsstaub und Urin, verschwitzter Haut sowie lang getragenen Lederjacken in der Luft liegt. Obwohl alles andere als fein, vermittelt dieses Sammelsurium brachialster Gerüche dem Reisenden immer mal wieder ein Gefühl des Ankommens, ja in manchen Fällen sogar ein ‹Willkommen-Daheim-Feeling›. Und stellt somit einen äusserst spannenden Aspekt dar, der wiederholt von der Parfum-Branche aufgegriffen wird. Was trotz der gerade präsentierten und durchaus fabelhaften Kreationen nun aber immer noch nicht klar ist: wie riecht Paris wirklich? Jedenfalls nicht nach Hundekot, finden Sophia


Pariserinnen sehen nicht nur besser aus, sie riechen auch besser, n’est-ce pas? ‹La Parisienne› von Yves Saint Laurent.

Eine dufte Europareise ohne Jetlag? Guerlain widmete den Metropolen Moskau, NY und Tokyo wohlriechende Hommagen. Ein Muss für jeden Kosmopoliten!

Grojsman und Sophie Labbé, und haben für Yves Saint Laurent mit ‹La Parisienne› (Eau de Parfum, 60 ml um CHF 107.–) einen Duft für Frauen geschaffen, die zu leben und lieben verstehen. Darum erscheint ‹La Parisienne› als floral-holziger Duft und wurde mit Puder- sowie Moschus-Akzenten versehen, wobei der Akkord aus Patschouli, Moosbeeren und Vetiver für einen frechen Touch sorgt. Inspiration und Gesicht des Parfüms ist übrigens Kate Moss: Übermodel, Stilikone und gebürtige Londonerin. Ob Frau Moss ebenfalls findet, dass ihre Heimat nach Gummi und Frittiertem riecht, sei dahingestellt.

Vom Regent’s Park zum Duomo Für Lyn Harris zumindest, trifft das nicht zu. So hat sich denn die Engländerin für ihre neuste Kreation ‹Fleurs De Bois› (Eau de Parfum, 100 ml um CHF 180.–) von frühmorgendlichen Spaziergängen durch den stillen, mitunter geheimnisvollen Regent’s Park in London inspirieren lassen und ein grünes, holziges Arrangement kreiert, das mit Galbanum, Tangerinenblättern sowie einem englischen Bouquet aus Rose, Jasmin und Iris selbst die Queen amüsieren soll-

te. ‹Not amused› hingegen ist zurzeit ein anderer Engländer, der sich im fernen Amerika nach einer Wiederholung seines diesjährigen Abstechers zum AC Milan sehnen dürfte: der zurzeit alles andere als angesagte David Beckham. Einen festen Platz in Mailand und der Szene hat dafür aber Carla Sozzani, welche 1990 mit der Gründung des Lifestylestores ‹Corso Como 10› eine beispiellose Karriere gestartet hat. Was nämlich zuerst eine Kunstgalerie war, wurde im Laufe der Zeit um verschiedene Bereiche erweitert und präsentiert sich heute als eine der hipsten Adressen in Mailand; befinden sich doch eine Modeboutique, eine Bar, ein Restaurant, ein Salon de Thé, ein Buchladen und ein Musikstore unter einem Dach, was internationale Modegrössen wie die Comme des Garçons-Designerin Rei Kawakubo wiederholt zum Verweilen anlockt. Mittlerweile hat Carla Sozzani ihr eigenes Parfum ‹Corso Como 10› (Eau de Parfum, 100 ml um CHF 140.–) erschaffen, wobei dieses infolge von Sandelholz und einem Hauch Weihrauch die Grandezza Mailands eingefangen hat. Und zwar ganz ohne die Verwendung von Schweiss oder Urin. Text: Irène Schäppi Illustration: Raffinerie

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‹vive la fragrance› The Final Curtain Call

Die Essenz olfakto­ rischer Glücksgefühle: ‹Essence› von Narciso Rodriguez.

Auch wenn der Name es nicht vermu­ ten lässt: ‹Fantastic Man› von Byredo riecht auch an Frauen fantastisch.

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eit vielen Jahren beschäftige ich mich zum einen mit der Jagd nach dem perfekten Par­ füm und zum anderen mit dem Suchen und Finden der Liebe. Beides, obwohl es so manchen spektakulären Duft gibt und ich diverse vergnügliche ‹amours foux› erleben durfte, schier ein Ding der Unmöglichkeit. Nahe an der Perfektion allerdings war meine letzte Begegnung mit einem männlichen Wesen. Der Einfach­ heit halber bezeichnen wir diesen Herren hier mal als ‹Fantastic Man›, wozu es übrigens ein gar herr­ liches, olfaktorisches und eben­ falls an Vollkommenheit grenzendes Pendant gibt. Durch den Mann nun, war es mir nämlich erst in diesem Sommer möglich, mich definitiv von einem vermeintlichen Traumprinzen zu verabschieden. Was vor genannter Bekanntschaft schier unvorstellbar war, da ich gleich einem Junkie nicht von die­ ser Liebschaft ablassen konnte. Ja sogar nach diversen Entziehungs­ kuren immer mal wieder rückfällig geworden bin. Eine E­Mail, einige schmeichelnde Worte und mehrere Liebesgeständnisse lies­ sen mein Schweigen jeweils null und nichtig werden, weshalb meine Person alsbald wieder in den Armen des Prinzen lag, der den Drachen noch nicht erschla­ gen hatte. Und wie ich jetzt weiss, auch nie haben wird. Item. Kurz vor meinem letzten Geburtstag jedenfalls war ich wieder mal als ‹relaps›, also als Rückfällige unterwegs. Wobei mir eingangs erwähnter Superheld umgehend zur Hilfe geeilt ist. Gleich einem Feuerwehrmann wusste er diese wieder entfachte Brunst zu löschen und führte mir vor Augen, was wahre Liebe ist oder sein kann. Wodurch ich gelernt habe, dass die Liebe einfach passiert – ohne wenn und aber. Und dass man niemanden, aber auch gar niemanden, von dieser Liebe über­ zeugen muss. Schon gar nicht, wenn man sich selbst in den Status einer Tiefkühlpizza hinein manövriert hat. Ist dies nun der Fall, verehrte Leser, so lasst euch an dieser Stelle eines nach dem ‹Run Forrest, Run›­Prinzip gesagt sein: Rennt. Rennt so schnell weg, wie ihr nur könnt. Auch wenn euer Herz dabei Zeter und Mordio schreit. Denn alles andere gleicht einem Selbstmord – euer Herz ist nämlich in solchen Momenten gerade dabei, euch den goldenen Schuss

zu verpassen. Auch ich, langjährige Abhängige, habe das nun erkannt. ‹Fantastic Man› sei Dank. Zu meinem Bedauern aber hat sich mein Retter in der Not unter­ dessen in ‹Love Man› verwandelt, weshalb diese als Romanze getarn­ te, dargebotene Hand gleich ei­ nem – wenn auch wunderbaren – Parfum verduftet ist. Was nun aber für diesen Mann gilt, ist zum Glück nicht auf folgenden ande­ ren fantastischen Kerl anzuwenden: Ben Gorham. Der gebürtige Schwede ist nicht nur ein abso­ lutes Prachtexemplar seiner Spezies, sondern auch für einen weiteren ‹Fantastic Man› (Eau de Cologne, 100 ml um CHF 180.–) verantwortlich. Zusammen mit den Machern des gleichnamigen holländischen Männermagazins hat dieser am ganzen Körper täto­ wierte Duftschöpfer diesen Sommer einen Unisex­Duft lanciert, der fabelhaft nach Bergamotte, Sternanis, Kardamom sowie Vetiver riecht und in jedem von uns einen Helden erwecken dürfte. So sehr sich dieser auch sträuben sollte, an den Tag zu treten. Eine weitere Begegnung von Licht und Sinnlichkeit stellt darum auch ‹Essence› (Eau de Parfum, 100 ml um CHF 230.–) von Narciso Rodriguez dar. Gleichzeitig inten­ siv und leicht angelegt, erscheint das Parfum als eine moderne, luftige Moschus­Interpretation, wel­ che mit Rosenblüten, Iris und einem Hauch Ambra versehen die Leichtigkeit des Seins wieder aufleben lässt. Wodurch bei der Trägerin – sollte sie auch noch so sehr an einem gebrochenen Herzen leiden – der Eindruck erweckt wird, Licht am Ende des Tunnels zu erblicken. Und das ist doch ganz im Sinne eines jeden, wie sagt man doch so schön, Liebes­ wahnsinnigen. Oder mit den Worten von Züri West gesagt: ‹...irgendeinisch fingt ds Glück eim...› Unsere Kolumnistin und Parfümfetischistin Irène Schäppi besitzt ein feines Näschen für das gewisse Etwas im Leben. Als leiden­ schaftliche Testerin von Luxushotels und auf der ewigen Suche nach dem speziellen roten Lippenstift besprüht sie die Welt um sich nebenbei mit ihrem Wissen über Parfüms. Illustration: Raffinerie


photography by robinbrueckmann.com


dressed over – PHILIPPE JARRIGEON

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La veuve, Croquoir serie, 2008

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vorangehende und diese Seite: Pied de Poule serie, 2007

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Pied de Poule serie, 2007

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Pied de Poule serie, 2007

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Creative Crisis

Jungdesigner oder doch nur das fleissige Schneiderlein? Die Finanzkrise ist schwer in Mode. Renommierte Designer und Modehäuser melden Insolvenz an, die grossen Marken versuchen, den Kopf über Wasser zu halten. Junge Modeschaffende und ihre Labels schaffen es in wirtschaftlich rauen Zeiten leider nur selten, an die Oberfläche zu gelangen. Text und Interview: Ramona Demetriou

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ie Musikindustrie wurde bereits vor einigen Jahren in die Knie gezwungen. Viele Musikfans waren nicht mehr bereit, die immer teurer werdenden und immer häufiger zu Tode auto-getuneten Tonträger zu kaufen. Musik ist eben ein Kann-Konsumprodukt und kein Muss-Konsumprodukt. Die meisten Musikhörer zogen es (und ziehen es immer noch) vor, sich die Songs zwar illegal, dafür aber kostenfrei und bequem von Tauschbörsen aus dem Internet herunterzuladen. Das Mitgefühl für die geprellten Künstler hält sich dabei häufig in Grenzen. Die Konsequenz der Plattenindustrie und der Künstler ist der Fokus auf das Wesentliche. Nämlich der Weg zurück zur unbestechlichen Live-Musik. Die Probleme der Luxusmarken in der Welt der Mode haben andere Auslöser. Doch die Konsequenz der Designer und Modehäuser ist ähnlich wie die der Musikindustrie. Sprich: ‹Quit the bullshit and focus!› Mode ist eben auch ein Kann-Konsumprodukt.

Jeder Modedesigner kann ein Hemd schneidern, doch nicht jeder Schneider kann ein modisches Hemd designen. Doch wie sollen junge Designer reagieren, die sich noch keinen Namen auf dem Markt gemacht haben? Schliesslich kann man sich schlecht auf das Wesentliche reduzieren, wenn der Fokus bereits auf dem Wesentlichen liegt. Es ist seit jeher schwierig, Designermode zu rechtfertigen. Schliesslich ist ein Hemd ein Hemd. Und in Krisenzeiten sticht das Argument des individuellen Kleidungsstücks für Kritiker noch weniger als sonst. Es stellt sich also die Frage: Gibt es wirklich einen Unterschied zwischen 100 kinki

dem Designerhemd und dem Hemd, das, sagen wir mal, der Schneider um die Ecke herstellt? Es ist sicherlich wichtig, Modedesign an sich erstmal als Handwerk anzuerkennen. Denn jeder Modedesigner kann ein Hemd schneidern, doch nicht jeder Scheider kann ein modisches Hemd designen. Damit ist der ausschlaggebende Punkt bei einem Designerstück: die kreative Arbeitszeit, die darin steckt. Ein Punkt, der zwar einfach zu formulieren, aber oft schwer zu beziffern ist. Denn während andere Handwerker sich an ganz klare Richtlinien halten können, müssen Kreativschaffende ihren Marktwert selbst festlegen. Besonders für Jungdesigner stellt das häufig eine Schwierigkeit dar. Denn wie viel um Himmels Willen kann man für Kreativität verlangen? Wir sind der Frage nachgegangen und haben zwei Start-Up-Designer und eine Schneidermeisterin besucht. Wenn man die Arbeitsstunden, die Materialkosten und den Endpreis vergleicht, kann man sich doch ganz einfach ausrechnen, was die Stunde Kreativität kostet. Oder vielleicht doch nicht?!

transformieren, um zu meinen Designs zu gelangen. Da steckt viel Neugier und Leidenschaft dahinter, so was kann nicht in reinen Arbeitsstunden gemessen werden.

Catherine Dubler

Michael Sontag

Die Designerin Catherine Dubler hat ihre Grundausbildung zur Schneiderin in Basel gemacht. Im Anschluss daran hat die 28-jährige Schweizerin den Master in Fashion Artefact in London abgeschlossen. Originalität, Qualität und das Handwerk an sich sind ihr wichtig, und Kreativität ist für die Jungdesignerin ein Selbstläufer im Kopf und bedeutet Gespür für neue Zusammenhänge. Für ihre Kollektion ‹everyday sur­ prise› hat Catherine Dubler versucht, die allgemeinen Regeln für Männermode zu hinterfragen und zu durchbrechen. Sie selbst sieht ihre Kollektion in einer Grauzone zwischen tragbarer Mode und Ausstellungsobjekten.

Der Berliner Michael Sontag hat sich intuitiv für das Modedesignen entschieden. Sein Studium hat er an der Kunsthochschule Berlin-Weissensee abgeschlossen. Im Rahmen der MercedesBenz Fashion Week im Januar in Berlin wurde der Jungdesigner als Finalist für den Nachwuchsförderwettbewerb ‹Designer for Tomorrow› ausgewählt. Ein halbes Jahr später präsentierte er dann, ebenfalls auf der Fashion Week, seine neue Kollektion in einer eigenen Show. Den Problemen, die mit der Finanzkrise auf ihn zukommen, möchte er offen, ehrlich und mit klarem Verstand entgegentreten. Kreativität ist für ihn ein teures Gut. Seine neue Kollektion bezeichnet Michael Sontag selbst als angenehm, voluminös, komfortabel, ungezwungen und leicht.

kinki magazine: Wie viele konzeptionelle Arbeitsstunden stecken in den Stücken? Catherine Dubler: Bei der Recherche ist sehr viel Zeit verstrichen, doch genau beziffern kann ich diese nicht. Ich habe die Skarifizie­r­ungs­tradition afrikanischer Naturstämme studiert und dann versucht, diese in Leder zu

Wie viele Arbeitsstunden wurden für die eigentliche Herstellung der Stücke benötigt? Die Realisation jedes Stückes verläuft ja vollständig von Hand – somit kann die Her­ stellung gewisser Stücke schon mal bis zu zwei Wochen dauern. Wie viel hat das Material gekostet? Ich habe das Material von einer englischen Firma gesponsert bekommen. Die Kollektion besteht vollständig aus weissem Schafs­nappa, da hätten sich die Materialkosten auf viele tausend Franken belaufen. Wie viel kostet das Stück für den Konsumenten? Das ist schwer zu beziffern. Je nach Teil zwischen 1000 und 7000 Franken.

kinki magazine: Wie viele konzeptionelle Arbeitsstunden stecken in den Stücken? Michael Sontag: Die Konzeptionszeit


eines Kleidungsstücks kann ganz unter­ schiedlich lang sein. Oftmals trage ich eine Idee schon monatelang mit mir herum, bevor ich sie realisiere. Ein anderes Mal geht es schneller. Innerhalb der Entwicklung eines Gesamtkonzepts modifizieren sich die einzelnen Stücke auch immer wieder. Wie viele Arbeitsstunden wurden für die eigentliche Herstellung der Stücke benötigt? Die Herstellungszeit eines Teils variiert auch stark. Sie ist abhängig von Schnittkons­ truktion, Material und Details. Wie viel hat das Material gekostet? Wenn man Wert auf Materialität legt, schlägt sich das natürlich im Preis nieder. Ich arbeite viel mit Seide und feinen Woll- und Baumwollqualitäten. Wie viel kostet das Stück für den Konsumenten? Kleid: Seide-Baumwoll-Mix, 550 Franken Hose: Seide, 600 Franken Hemd: Baumwolle, 350 Franken

Schneidermeisterin Fabienne Stroh Die Schneidermeisterin Fabienne Stroh arbeitet in Dietikon in der Nähe von Zürich und hat vor über 30 Jahren ihre Meisterprüfung in München absolviert. Das Atelier befindet sich im eigenen Haus. Schneidern ist nicht nur ihr Beruf, sondern auch ihre Leidenschaft. Trotz der Finanzkrise bemerkt Fabienne Stroh keinen Rückgang der Aufträge. Das liegt ihrer Meinung nach auch daran, dass sie ihren Kunden häufig mit den Preisen entgegenkommt. kinki magazine: Wie viele Stunden arbeiten Sie an einer Bluse? Fabienne Stroh: Eine Damenbluse be­nötigt ca. acht bis zehn Stunden mit Kunden­ gesprächen, Massnehmen, Anproben und dem eigentliche Schneidern. Dafür ver­lange ich um die 180 Franken. Wie viel kostet das Material dafür? Für eine Bluse brauche ich ca. zwei Meter Stoff. Der Preis pro Meter kann zwischen 80 und 150 Franken liegen. Der Gesamtpreis einer massangefertigten Bluse beläuft sich meistens auf 350 Franken. Wie viele Stunden arbeiten Sie an einer Hose? Für eine Hose brauche ich vom Kunden­ gespräch bis zum Annähen des letzten Knopfs zwischen sechs und acht Stunden. Wie viel kostet das Material dafür? Ich brauche etwa 1,40 m Stoff dafür. Den Meter gibt es ab 40 Franken, nach oben sind keine Grenzen gesetzt. Es kommt also darauf an, was man für ein Material haben möchte. Hosen kosten bei mir häufig zwischen 160 und 200 Franken. Illustration: Raffinerie

Zwischen Krise, Hoffnung, Kreativität und Handwerk: der Beruf des ModeDesigners definiert sich immer wieder neu.

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Chronometrischer G-Punkt

Sie gehörten zur Brett­ sportszene der 90er-Jahre wie Oakley-Sonnen­brillen, Billabong-Shorts und blonde Bunnies: Uhren von Casio, genauer gesagt G-Shocks! Meist in ­quietschigen Farben prangten sie am grundsätzlich zu schmal wirkenden Arm, ihre Displays leuchteten stets einen Tick zu grell und sie piepten so schrill, wie nur sie es kon­nten. Jetzt ist die Kult-Uhr 25 und will aufs Neue schocken! Text: Romy Uebel Nachdem es in den vergangenen Jahren etwas stiller um die Zeitmesser geworden war, zieht Casio nun ins Feld, neue Zielgruppen zu erobern, jede Menge Innovationen mit im Gepäck. Der letzte Event in London machte deutlich, auf wenn es das japanische Unternehmen abgesehen hat. Über 400 Blogger, Journalisten, jugendliche Szenewürste und Celebs wie Dizzee Rascal, Mark Ronson und Littleboots tanzten in der durchgestylten 24 Lounge zu Sounds von Henry Holland und Smokin’ Jo. Für London obligatorisch: der Wirbel um VIP-Plätze in den tunlichst mit roter Kordel abgegrenzten Bereichen, lautes Helau bilderbuchreifer It-Girls und reichlich Bussi-Bussi!

Sie zeigt trotz ihres fortgeschrittenen Alters keine Anzeichen von Schwäche: die Unzerstörbarkeit der schrillen G-Shock von Casio übersteht jeden Härtetest und ist bis heute das Markenzeichen der Kult-Uhr geblieben.

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onderlich gewalttätig erscheint Kikuo Ibe an sich nicht, dennoch machte es dem Japaner beim Tour-Start der ‹Shock the World›Eventreihe in London einen Heidenspass, eine Uhr mit voller Wucht auf eine Zielscheibe zu schmettern. Als geistiger Vater dieser Wurfgeschoss-G-Shock wusste er natürlich genau, was er seinem Baby zumuten kann. Die Uhr blieb heil, das Publikum amüsiert! 1983 präsentierte Ibe das Urmodell DW5000C, mittlerweile gingen weltweit über 60 Millionen G-Shocks in allen erdenklichen Farben, Materialien und Formen über die Ladentische. Wie bei vielen Erfolgsprodukten legte eine Anekdote den Grundstein zur Idee. Ibes Lieblingsuhr war gerade kaputt gegangen und der Casio-Produktentwickler wenig erbaut darüber. Er tüftelte an gepolsterten Prototypen 102 kinki

und warf diese – kein Witz – aus dem Klo des Casio-Gebäudes, dem einzigen Raum mit einem offenen Fenster. Den meisten Modellen bekam dies nicht gut und Ibe forschte weiter. Ein Kind, das im Park mit einem kleinen Gummiball spielte, brachte schliesslich die Lösung. Ibe ummantelte die Uhr mit einer Kunststoffschicht und siehe da: seine Erfindung überstand den 10-Meter-Fall locker! Die extrem stoss­feste und robuste G-Shock – G für Gravity – wurde zu einem Riesenerfolg. Die Modelle konnten locker in einen Betonmixer gesteckt, mit Dampfwalzen überrollt oder mit Hochdruckwasserschläuchen traktiert werden – sie blieben unbeschadet! Kein Wunder also, dass zunächst Extremsportler und andere Toughies die Uhr für sich entdeckten. Wenig später folgten Styler, die eine auffällige Alternative zu den flachen Popper-Uhren von Swatch suchten.

Ibe tüftelte an gepolsterten Prototypen und warf diese aus dem Klo­ fenster des Casio-Gebäudes. Bis Anfang November werden weitere elf Veranstaltungen – unter anderem in Shanghai, Paris, Berlin und Seoul – stattfinden, dabei werden jeweils Kooperationen mit lokalen Künstlern, aber auch historische Modelle präsentiert. Regelmässige Special Editions etwa mit Eric Haze, Todd Jordan, Redman, Mister Cartoon oder Spike Lee gehören fest ins Casio-Portfolio und haben nicht nur allerlei technische Features wie Funk- und Solartechnologie, sondern sehen dabei eben auch schick aus. Übrigens: die Schweiz soll ihren ShockMoment noch in diesem Jahr erleben! Watch out! Oder IN, oder so... Fotos: Promo


SKI / JACOB WESTER WWW.OAKLEY.COM/SPORTS/FREESTYLECH

Oakley Icon Ltd.: (+41) 448296100, www.oakley.com

Foto: www.mattiasfredriksson.com

JACOB WESTER BACK IN ZURICH N IO H! P C AMURI B ON09 H C Z A 0 H KI IN O-L H 2 RIC ER S K EE C NG E.C ZU MB 09 FR E BALLI TYL SE, PTETH 20 08 B O S IE E 7 20 ILL HE R REEDIW TSH - 2 CH W T F AN 25 E. ER AT L L T Y M ST WES HI E T E E FR COBME JA


Der Grat zwischen Schmuck, ­Accessoires und sonstiger Behän­ gung ist immer schmal, insbesondere in Zeiten der Wirt­ schaftskrise, in denen man gerne von den mageren Aussich­ ten ablenkt und sich mal wieder in den Grenzbereich der Kostümierung wagt. kinki hat sich auf die Suche nach dem etwas anderen Schmuckstück gemacht und in den poten­ tiellen Umhängern Ähnlichkeiten mit Porno-Utensilien, ­Rettungsringen, Waschlappen, Kettenhemden und Museums­ bildern gesehen, die sich – wen erstaunt’s – viel besser als Schmuck machen. Text: Katja Alissa Müller & Florence Ritter Schmucke Begleiter

Die Ketten von Bliss Lau haben sich dem ganzen Körper, vor allem dem Torso, verschrieben.

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Bliss Lau: Better Than a Kiss

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chmuck wird normalerweise an altbekannten Körperregionen wie dem Hals, dem Handgelenk, den Ohren oder seit der 80er-Jahrewelle auch im Haar getragen. Doch wie sieht’s mit den anderen Stellen aus? Das Label ‹Bliss Lau› kreiert als Antwort auf diese Stellenfixiertheit ‹Schmuck ohne Grenzen›. Soll heissen: keine Körperstelle, die nicht auch ein Schmuckstück verdient hätte. Die teilweise an Bondage erinnernden Teile zieren Mann wie Frau gleichermassen und rufen doch eine ordentliche Portion Mut an den Tag, diese in der Öffentlichkeit auszuführen. Dennoch, oder gerade aus diesem Grund, schaffen sie es, aus einem normalen Outfit innert kürzester Zeit einen Hingucker zu zaubern. Gehänge, bei denen man sich aber auch zu recht fragt, wie lange es dauert diese anzuziehen oder zu entwirren. Bliss richtet den Fokus jede Saison auf einen neuen Körperteil, den es zu dekorieren und hervorzuheben gilt. Sei es schlicht um Hals- und Oberkörper, als eine Art Rucksackträger, als Ergänzung für das liebste Stück der Frau – den Schuh – oder als Gürtel mit enormen Ausmas­sen. Inspiriert von der hawaiia­ nischen Kultur, Korsetten, Rüstungen und der Architektur New Yorks wie der Brooklyn Bridge oder dem Chrysler Building entsteht so Schmuck, der eine gewagte Mischung aus Kleidung und Accessoires darstellt. www.blisslau.com

Arielle de Pinto: Maschen-Parade

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iligran gehäkelte Ketten, mal pompös und Brust bedeckend, mal flächig und dann zurückhaltend simpel: So präsentiert sich das Werk der kanadischen Schmuck­designerin Arielle de Pinto. In die SchmuckdesignSzene schaffte sie es umgehend nach ihrem Abschluss, weil sie auf der Suche nach Herausforderungen anstelle von Garn mit Metallfäden zu häkeln begann. Die Designerin gesteht, das beinahe feuchte Gefühl von Metall schon immer als sinnlich empfunden zu haben. Deshalb machte sie sich daran, dem rauen Handwerkermaterial etwas Feines und Weibliches zu verleihen. Von spinnennetzähnlichen Ketten über Armschmuck und Gesichtsmasken hin zu grossflächigen Halsketten, die sich wie Strickware auf das Dekolletee legen, kostet sie die Welt der Accessoires aus. Arielle de Pintos Körperschmuck ist aussergewöhnlich: Technikbedingt haftet ihm etwas Textilhaftes an, das die Stücke ungezwungen leicht und geschmeidig wirken lässt, obwohl diese durch das Material ein erhebliches Gewicht mit sich bringen. Doch die

Arielle de Pinto häkelt sich für metallene Masken und Ketten die Finger wund.

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Feingliedrigkeit hat ihren Preis, das HardcoreHäkeln, um die handgemachten Pretiosen herzustellen, hat der Designerin nämlich weit mehr als schmerzende Handgelenke und Hände eingebracht. Wir verneigen uns ehrfürchtig und zahlen dankend den Preis für diese revolutionäre Schmuckkreation. www.arielledepinto.com

Palazzo Royale: Königlich royal

Y Gegen diese prunkvolle und kitschige Uhr vom Palazzo Royale verliert jede Rolex.

ou know what time it is. Seit Flavor Flav und seiner riesigen Uhr, die er wahrscheinlich auch noch zum Schlafen und auf dem Klo trägt, weiss ein jeder: Wer heutzutage auffallen will, dem reicht normaler Schmuck aus dem Mainstream Business nicht mehr. Grösser, toller, glänzender als Maxime bei der Suche nach dem perfekten Schmuckstück kann einen aber schnell in den Wahnsinn oder den Ruin treiben. Wieso also nicht einfach royal in der Welt umhergehen mit der ‹König Ludwig II› Armbanduhr aus Bayern, die dem Handgelenk eine majestätische Attitüde und dem ganzen Erscheinungsbild das gewisse Etwas verleiht. König Ludwig II strahlt einem vor hellblauem Hintergrund in seinem Gewand entgegen und wird nur ab und an von den goldenen Zeigern verdeckt, die mit dem dekorativ verschnörkelten Rahmen ein harmonisches Bild abgeben. Für den angenehmen Tragekomfort sorgt das hellblaue Lederarmband, welches einem bequem am Handgelenk sitzt und so das königliche Gefühl von Ludwig direkt auf den Träger transferiert. Ursprünglich als Gedenkuhr oder Souvenir für Touristen gedacht, wird sie heute bereits in grosser Anzahl von Liebhabern zur Kombination zum Dirndl getragen oder dient als Accessoire im Edel-PunkOutfit.

www.palazzoroyale.com

Anker-Crew: Nur für echte Homies

E Die Anker-Crew macht trag­ baren Gangsterschmuck im Sailorlook.

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ndlich. Es gibt GangsterSchmuck, der erstens tragbar ist und zweitens nicht ne Tonne wiegt und einen mit gebücktem Rücken durch die Stadt kriechen lässt. Die ‹Anker-Crew› hat sich darauf spezialisiert, handgemachten Schmuck für den echten Homie zu produzieren. Nichts mit überdimensionalem Bling Bling, der einem mehr Augenkrebs als Res­pekt einbringt und am Ende des Tages eine tiefe Spur der Kette im Nacken zurücklässt. Nur angenehmer Tragekomfort, schöne Sujets und trotzdem das Gefühl, dass die eigene Street Credibility gerade enorm zugenommen hat. Neben Highlights aus der Vergangenheit – wie ge-


häkelten Schlagringen, Baseballschlägern, Kondomen oder überdimensionalen Goldketten – gibt es im Sortiment allerhand mehr Gehäkeltes, Gestricktes und Gesticktes für Ohr, Hals und Arm. Und als neuste Kreation: filigrane goldene Kettchen mit Säbeln dran. Was will der echte, krasse Strassenjunge und das Streetgirl noch mehr als puren, einzigartigen Bling Bling, ein garantierten Kultstatus und kein Loch in der Geldbörse. www.marinsel.ch, www.ankercrew.tk

Kapow Wow Objects: Organic in Form ­ und Geist

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enn eine Sängerin wie Ebony Bones mit überdimensionalem Hals- und Armschmuck durch die Magazine oder über die Bühne tänzelt, dann entfährt einem schon mal ein ‹Wow›, denn in unseren mehr oder weniger ordinären Kleiderklischees sind solche grössenwahnsinnigen Accessoires nicht einberechnet. Wieder findet man das entwichene ‹Wow› dann im Namen eines Labels, das es sich zum Auftrag gemacht hat, derartig einnehmenden Schmuck zu gestalten. ‹Kapow Wow Objects› nennt sich das Label von Mia Morikawa, die sich gleich nach Abschluss des St. Martin College ans Werk ungewöhnlicher Halsschmeichler machte. Doch nicht nur die Grösse, sondern auch die Form des ‹Schmucks› irritiert das gewohnheitsliebende Auge. Materialtechnisch hat Mia die aufkommende Häkelhysterie längst überwunden und sich ans Fransige, Gestaffelte und Drapierte gemacht – alles aus organischem Material versteht sich. Da wundert es niemanden, dass unsere Lieblingsexotinnen Roisin Murphy und Björk, die schon länger im Geschäft sind, der Jungdesignerin längst verfallen sind. Nun müssten sich auch Normalsterbliche an die Kapow Wow Objekte ranwagen. www.kapowwowobjects.com

Alex & Chloe: Minimalistische Effekthascher Schmuck ist ein Statement, deshalb darf es bei Kapow Wow ­Objects auch mal pompöser sein.

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Schmuck ist längst nicht mehr der Frauenwelt vorbehalten. Was einst vorwiegend weibliche Dekolletees zierte, schmeichelt heute selbstverständlich auch der Männerbrust. Diese Genderfreiheit von Schmuckstücken steht auch bei Alex & Chloe namentlich im Vordergrund: Wer versucht, dem Labelnamen Geschlecht und Perkinki 107


son zuzuordnen, bleibt im Ungewissen. Den Gerüchten nach vereinen sich Alex und Chloe in einer Person, dem Designer Talia Alexander. Gewiss hingegen ist, dass die in minimalistischem Design gehaltenen Unisex-Kollektionen des aus L.A. stammenden Labels mit mannigfaltigen, humorvollen, eleganten und auch mal eklektischen Motiven an Mann und Frau viel Effekt erzeugen. Ihre Fusion von teils geschwärzten Edelmetallen und Plexiglas ist ebenso charakteristisch wie ihre innovativen Themen. Da gliedert sich auch die neuste Kollektion ‹Tar› ein, deren Motive aus den Tiefen der Erde und des Meeres stammen und Schlüssel, Zähne oder Kaninchenpfoten in teerschwarzem Metall an antiken Brassketten zu Halse bringen. Die Kollektion ‹Black Diamonds› bannt die geometrische Form des edlen Diamanten auf Plexiglas. Nicht zu vergessen, die ironischen streetartigen Schriftzüge der ‹Don’t Say No› Kette, auf der ein tropfendes OUI steht, ebenso wie die ‹Paris is Bleeding› Kette, die vom Song ‹Paris is Burning› von Ladyhawke inspiriert wurde! Weitere fantastisch überkandidelte Namenskreationen sind ‹Kate (the only ‹Moss› in our woods)› oder ‹Chanel is Dead›. Noch Zweifel? www.alexandchloe.com

Sabrina Dehoff: Schlicht schön

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abrina Dehoffs Schmuck ist für die Ewigkeit geschaffen. Während andere Schmuck­ teile schnell an Interesse verlieren und einem bald Leid sind, schaffen die Dehoff’schen Kreationen das Bedürfnis, die Ketten immer wieder anzuziehen. Zeitlose Eleganz, gemischt mit einem Hauch Extravaganz und spielerischen Noten, verleihen dem Träger das Besondere im Alltag. Die Stücke sind auf den ersten Blick auffallend, aber enorm schlicht gehalten. Plättchen scheinen ineinander geschoben zu sein, dazu eine Kette und fertig. Bei näherer Betrachtung entdeckt man aber immer mehr Details, eine saubere Herstellung und hohe ästhetische Qualität. Sabrina Dehoffs Schmuck kann mittlerweile auf der ganzen Welt gekauft werden. Von der Schweiz über die Niederlande, von Griechenland über Russland nach China, von Indien bis in die USA. Neben Schmuck kreiert Sabrina Dehoff auch atemberaubende Mode, die mit ihren Schmuckstücken perfekt harmoniert.

Immer auf der Suche nach ungewöhnlichen Kollektionsthemen und Objekten für um den Hals: Alex & Chloe.

www.sabrinadehoff.com

Sabrina Dehoffs Schmuck­stücke vereinen Schlichtheit und Ausgefallenheit.

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Don’t be surpriseD what you’ll Discover, you better watch out, run for cover. santigolD.

nixonnow.com


Freie Radikale

‹Radical Fashion› ist ein Kon­­strukt mit vielen Gesichtern. Designer provozieren, indem sie revolutionäre Auffassungen von Schönheit und Stil vorstellen sowie Mode zeigen, die nicht zuallererst nach ihrer kommerziellen Verwertbar­keit beur­teilt wird. Aber auch sie kochen nur mit Wasser, wenn sie etablierte Grenzen überschreiten. Radical Fashion – ein Schlagwort, dessen Realität erst noch er­funden werden muss. Text: Noémie Schwaller

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ch klicke und blättere mich durch Hunderte von Bildern mit der Zuordnung ‹Radical Fashion›. Was ich sehe, ist konzeptuelle Mode, Trash Design, Moderne, technische Materialien. Hier wird provoziert, nachgedacht, umgedacht, dekonstruiert, deformiert, in Stoffe geschnitten und viel mit den Augen gezwinkert. Der Begriff ‹Radical Fashion› wurde weitgehend vom V&A Museum London geprägt. In einer von Claire Wilcox konzipierten Ausstellung mit ebendiesem Titel wurden 11 bekannte, zeitgenössische Designer gezeigt, die alle als Old School Avantgarde bezeichnet werden können: Issey Miyake, Jean Paul Gaultier, Vivienne Westwood, Yohji Yamamoto, Azzedine Alaïa, Hussein Chalayan, Comme des Garçons, Helmut Lang, Alexander McQueen, Junya Watanabe und Maison Martin Margiela. Was ist radical? Das Wort wird in zwei Bedeutungen gebraucht, schreibt Valerie Mendes, Chief Curator Textile and Dress V&A, als Definition: ‹Die Hauptbedeutung lautet wohl revolutionär, aber paradoxerweise meint radikal auch soviel wie fundamental oder elementar.› Chalayan ist für mich Vorreiter und konsequenter Ausführer dieser ‹Radical Fashion›, in dem Sinne auch revolutionär. Wurde ihm nachgesagt, er sei in seinen Ideen gefangen, so wurde diese Meinung spätestens 2007 revidiert. Chalayan definiert Mode jede Saison neu und versteht die Art, wie wir uns kleiden, als Reaktion auf das Zeitgeschehen. Seine Arbeit drängt darauf, in einem grösseren Kontext über Mode nachzudenken. Also ist sie eben genau auch fundamental oder elementar. ‹This is what fashion is all about›, urteilt der London Daily Telegraph über Chalayans Werk. Miyakes Pleats Please Line ist radikal in ihrer Demokratie. Durch das Plissieren wurden Textur und Form zeitgleich so gestaltet, dass aus jedem Stück ein Unikat entstand, leicht und 110 kinki

flexibel. McQueens Mode ist radikal in ihrer puren Provokation. ‹Sie muss radikal sein, um die Menschen aufzurütteln und zum Umdenken zu bewegen›, sagte er in einem Interview im Observer. Bei Margiela ist es eine Abwesenheit, die er inszeniert. Auf eine radikale Art, selbstverständlich. Gareth Pughs Erfolg ist Beweis einer vorhandenen Nachfrage danach, bestehende Ansichten herauszufordern. Mode wird aber auch von Stylisten wie Jane How, Francesca Burns, Melanie Ward, Marie Chaix oder Karl Templer radikalisiert. Radical Fashion wird einfach mit Avantgarde gleichgesetzt. Beugen wir uns nicht der Macht als allgemeingültig hingenommener Mainstream-Auffassungen: ‹Radical› in Radical Fashion beschreibt nicht die Kleidung an sich, sondern ist vielmehr die kompromisslose, höchst einflussreiche Vorgehensweise und Einstellung dieser innovativen Designer zum Subjekt ihres Metiers. Ihre radikalen Kreationen sind radikal in ihrem Konzept, in der Idee, in der Umsetzung. Nicht als Fashion. Was man vor kurzem an der Fashion Week Paris bei den Männerkollektionen des kommenden Frühlings gesehen hat, ist denn auch nicht weiter aufregend. Bernhard Willhelm zeigte Zitate von Hartmann Nordenholz und Prada, Songzio wärmte Statements von Raf Simons und Acne auf. Radical Fashion muss erfunden werden! Illustration: Raffinerie

Radikal kopiert und angemessen unangepasst. Radikale Mode ist meist nicht mehr als eine gewagte Collage.


2 YEARS

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Handkerchiefs: Faked in Switzerland

Wenn man an die Rolle der Schweiz in der Textilbranche denkt, kommen einem wahrscheinlich höchstens die be­ rühmten St. Galler Spitzen in den Sinn und möglicherweise noch die genaue Verarbeitung am Webstuhl zu Zeiten der Heim­ arbeit. Die Schweiz sollte aber eigentlich auch für ihre abstruse Geschichte um ‹Madras Handkerchiefs› besser bekannt sein. Text: Katja Alissa Müller & Anja Mikula 1

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von allen dechiffriert und interpretiert werden kann. Aus dem französischen ‹carreau› entlehnt, was soviel heisst wie ‹quadratische Bodenplatte›, stellt es eine geometrische Figur dar, durch deren Vervielfältigung und Überlagerung erst ein kariertes Muster entstehen kann. Die Herkunft und Entstehung des Karos ist aber in etwa so gut zu durchschauen wie ein Schlammloch nach einem regnerischen Tag: Bis ins 19. Jahrhundert existierte der Brauch, sozial unangepasste Menschen mit Streifen zu brandmarken, weil man ihnen ein Bündnis mit dem Teufel anlastete. Neben Narren, Gefangenen, Sündern und Exoten traf es auch Irre und Kranke, Prostituierte, Henker oder einfach nur mutige Draufgänger. Ein paar hundert Jahre waren die Streifen nun mit dieser unschönen Symbolik belastet. Zu einem späteren Zeitpunkt herrschten die Streifen als neue Symbolik vor: man verband mit ihnen Hygiene oder Schwimmsport. Der gesunde Menschenkörper erstrahlte von da an in Streifen.

Die Schweiz als wichtigstes Export­ land Doch wie verhielt es sich in der Schweiz mit Karos, Streifen und Mustern? Hier wie auch in anderen Teilen Europas hatten die Karos noch keinen Einzug in die Mode gefunden. Während die Textilproduktionen in Ländern wie Indien,

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ass Textilien als Massenware in Billiglohnländern produziert werden, um anschliessend ihren Einzug in alle internationalen Modegeschäfte und von dort ihren Weg in den heimischen Kleiderschrank zu finden, ist nun wirklich nichts Neues. Spannend ist es dann aber schon, dass vor ein paar hundert Jahren eine Art umgekehrte Globalisierung möglich war. Betrieben wurde diese bereits ab dem Jahr 1872 von der Firma Brunnschweiler & Cie. im Kanton Glarus – genauer gesagt im kleinen Dorf Ennenda. Dort wurden nämlich im Inland Stoffe mit der Musterung anderer Länder hergestellt, um sie so auf dem ausländischen Absatzmarkt gewinnbringend, günstiger und ausser Konkurrenz zu verkaufen. Der Gedanke an Karos stellt bei vielen unbeabsichtigt eine Verbindung zu Schottland her, dessen Volksstämme seit den Kelten im 16. Jahrhundert diese Muster in ihren Tartans als Abgrenzung, Erkennung und Sippenzeichen der verschiedenen Clans trugen.

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Narren, Prostituierte und Henker mussten Streifen tragen Seit historischen Tagen entwickelte sich das Karo zu einem internationalen Zeichen, welches kinki 113


Afrika, Java oder der Türkei auf Hochtouren liefen, produzierte die Firma Brunnschweiler & Cie. massgetreue Nachahmungen aus diesen Regionen und belieferte die Länder mit Stoffen, die sie vorher aus Indien bezog. Die Schweiz trat an die Stelle des wichtigsten Exportlandes und stand in harter Konkurrenz auf dem Markt in Übersee. Dank der Textilproduktion für Afrika und Co. verbesserte sich die Lage im Dorf Ennenda über alle Massen: Hatte die Bevölkerung zuvor noch mit täglicher Armut zu kämpfen, wurden nun Arbeitsplätze geschaffen. Die Herstellung der Stoffe erfolgte auf der Grundlage von indischen, türkischen und javanischen Mustern, die in England an Handelsfirmen mit Niederlassung in Afrika, die Shipping Houses, gen Übersee verkauft wurden. Die Schweizer Exportware behauptete sich schnell und stetig neben den Originalen, wobei vor allem die Madras Handkerchiefs – feine quadratische Baumwolltücher mit grossflächigem Karo- oder Streifenmuster – für den Export nach Afrika Anklang fanden. Dennoch standen die Stoffe aus der Schweiz immer wieder in grosser Konkurrenz zu den Original-Geweben. Die Madras-Handkerchiefs der Schweiz erhielten den Zusatz ‹imitation›, wogegen die echten ein ‹real› erhielten. Die Schweizer Textilien sollten den indischen möglichst nahe kommen, jedoch bei den Mustern Rücksicht auf den Geschmack der Kundschaft nehmen.

Die Löchlimaschine als Fälschungsapparat Typisch für die echten Handkerchiefs sind die gewellten, im Abstand von etwa einem Zentimeter perforierten Webkanten, die für die Echtheit der Stoffe ein Erkennungsmerkmal darstellte. Alfred Brunnschweiler kreierte als Antwort in Ennenda eine ‹Löchlimaschine›, die den Schweizer Imitationen eine Spur mehr Echtheit verleihen sollte. Jedoch konnte Brunnschweiler & Cie. nie den originalen Geruch der Stoffe nachbilden, der aufgrund dem in Indien zum Färben verwendeten Gelbwurz, dem sogenanntem ‹Curcuma›, dem Material seine eigene Note verlieh. Mit dem Aufkommen eines höheren Wohl-

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standes und dem Wunsch nach Echtheit, prüften die Käufer in Afrika die Stoffe mit Nase und Zunge, um die Originale von den Schweizer Nachahmungen zu unterscheiden. Seit dem Zweiten Weltkrieg gilt ‹swiss cotton› immer noch als Gütesiegel für hochstehende Stoffqualität, deren Wettbewerbsfähigkeit aufgrund der ständig wachsenden Produktionskosten aber stark minimiert wurde. Nach Ausbruch der Wirtschaftskrise 1929 versiegte die Nachfrage nach Madras Handkerchiefs aus dem Kanton Glarus und die Firma war gezwungen sich auf die Inland-Distribution zu konzen­ trieren.

Einmal Karo, immer Karo Trotz des regen Interesses und des Marktaustausches blieben die Karos in Europa lange unbeachtet. Erst im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts, kamen mit der Englandmode die heute unverzichtbaren Muster in Form von Damenkleidern und Herrenanzügen zum Vorschein. Seit dem Zweiten Weltkrieg konnten sich die Karos dann konstant durchsetzen und sind seit diesem Zeitpunkt omnipräsent, immer wieder neu im Trend und aus der heutigen Modeszene kaum mehr wegzudenken.

1: Einige nigerianische Handkerchiefs werden ‹Opobo› genannt: nach dem Hafen, über den die Stoffe importiert wurden. 2: Türkisches Pestemal / Futa 3: Nigerianisches Handkerchief 4: Besonders beliebt in Sierra Leone war das Schachbrettmuster; zudem auch einfache Streifen- und Karomuster. 5: Nigerianisches Handkerchief ‹Strawberry Ground› Fotos: Museum für Gestaltung Zürich, Kunstgewerbesammlung. Marlen Perez © ZHdK



Missed on a mission

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In den kommenden Tagen werden die hiesigen Kinos die Premiere des ersten Schweizer Science-Fiction-Films feiern. ‹Cargo› entführt den Zuschauer in die dunklen Ecken des Raumfrachters ‹KASSANDRA›, der auf seinem Weg zu einer heruntergekommenen Raum­station am anderen Ende der Galaxis eine unheimliche Fracht mit sich führt. Acht Jahre lang arbeitete die Schweizer Crew um das Regisseuren-Duo Ivan Engler, Ralph Etter und Produzent Marcel Wolfisberg an dieser aufwendigen Filmpro­duktion, die trotz knappem Budget durchaus mit internationalen Formaten mithalten dürfte. Der Fotograf Raphael Just entführte die vom Kostüm­designer Rudolf Jost entworfenen galaktischen Anzüge der KASSANDRA-Crew fürs kinki magazine auf eine letzte Reise vor der Premierentour: in die abgelegenen Winkel der hei­mat­ lichen Bergwelt. Denn Science-Fiction ist endlich in der Schweiz gelandet!

Fotograf: Raphael Just www.raphaeljust.com Hair & Make Up: Nicola Fischer www.style-council.ch Produktion & Casting: Nadja Putzi www.nadjaputzi.com Models: Valentina, www.option-model.com Remo, www.scout-model.com Special Thanks: Hotel Restaurant Belvedere, www.gletscher.ch Eisgrotte Belvedere Rhonegletscher

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‹media› Vom Umschlag bis zum Abspann. ‹Fashion is all a girl wants›, dachten sich auch unsere Redaktorinnen und drängten sich geradezu auf, die Buchund ­Filmempfehlungen zu übernehmen. Dabei stöberten sie sich sowohl durch schöne als auch weniger schöne Seiten ­der Modewelt und liessen weder Hochglanzmagazine noch Fitnessvideos aus…

BUCH imagé

­ estätigen diese Hingebung und b Am­bition der naturgetreuen ­Abbildung der Idee eines Gegen­ standes – zum Beispiel wenn ­Berthoud anmerkt, sich jedem Objekt, das er zeichnet, verpflichtet zu fühlen. Wie gesagt Facsimile ist ein ­Farbtupfer, der uns im grauen Alltag fehlt. Salvation! Erschienen bei Edition Simonett, CHF 100.–

roussâtre François Berthoud: ­Facsimile Eine Schnittstelle von Kunst und Mode stellt neben der Mode­ fotografie vor allem die Mode­ illustration dar. Obwohl man zum Überleben nur Love, Shelter und Bratwurst benötigt, sind es doch ideelle Dinge wie die ­Kunstwerke von François Berthoud, die uns das Leben erst versüs­sen und unsere Welt ästhetisieren. Die farbenfrohen, flächigen und ausdrucksstarken Illustrationen von Frauen, Kleidern, Beinen, Taillen, Dekolletees, Frisuren und Pumps zeigen eine begierige Würdigung und ein ausgesprochenes Verständnis des weiblichen ­Körpers. In Facsimile reihen sich Magazinseiten (von den bekann­ testen Modemagazinen), Covers, Werbungen und Features des Schweizer Künstlers Seite an Sei­ te. Dabei fällt auf, wie selbstlos die Linoleumschnitte sind, die sich stilistisch aus Comics und ja­pa­nischen Holzschnitten ableiten. Auch Aussagen des Künstlers 124 kinki

Chloë Sevigny: Reds Schon als ich klein war, wollte ich sie unbedingt haben: Rote Haare und Sommersprossen und ein freches Bubengesicht wie Pippi Langstrumpf. Ich wollte zu diesen 1 bis 2 Prozent der Weltbevöl­ kerung gehören und statt Melanin Phäomelanin in mir tragen. Dann, in der Pubertät, trugen mei­ ne ‹Willst-du-mit-mir-gehen?Bitte-Ja-ankreuzen›-Freunde ein rebellisches Lausbubengesicht und rötliche Haare. Auch später fand ich rothaarige Frauen meist ausserordentlich speziell und schön, wie Meerjungfrauen oder Göttinnen, die Männer liebte ich. Zumindest bis ich Bekannt­ schaft mit einem königlichen Inselreich im Norden machte, des-

sen Männer (und Frauen) überdurchschnittlich oft rot-orange Haare tragen, dafür aber auch eine überdurchschnittliche Vorliebe für Alkohol mit sich brachten. Gin­ gerale, klar! Seitdem bin ich selektiver ­geworden. Eine ähnliche Schwäche für rötliches Haar muss auch die Schauspielerin Chloë Sevigny teilen. Für ihre zweite Kollektion bei Opening Ceremony entschied sie, dass rothaarige Models sich am besten dafür eignen wür­ den, die von England, Tweed und Animalprints inspirierte Kollektion zu präsentieren. ­Models aus Freundes- und Bekanntschaftskreisen tragen die Unisex-Kol­ lektion, welche die 80er-Jahre ge­ radezu herauf­beschwört. Um die Winterkollektion ab­ zurunden vereint sie die Rot­ schöpfe in einem limitierten Bildband, der fernab vom kommerziellen Lookbook, die wunderschönen, von David Armstrong abgelichteten Models zeigt, die durch Beiträge von Chloës ­Lieblingskünstlern wie Peter Coffin oder Lily Ludlow ergänzt werden. I love it. Limitierte Edition, erschienen bei OC, ­keine Preisangabe.

politisé

In Grenzen frei: Mode, ­Fotografie, Underground in der DDR 1979–89 Mode, apolitisch und oberflächlich? Das grenzt schon beinahe an ­Ignoranz. In der Mode verkörpert sich immer ein Zeitgeist, beson­ ders in Krisenzeiten. Anstatt die schönste Nebensache der Welt oder einfach ein dominanter Wirtschaftsfaktor zu sein, kehrt die Mode in der Krise zu ihren Ur­ sprüngen zurück, welche – nicht wie bei Kleidung die Funkti­ onalität ist – sondern die Ausdrucksform. Mode als eine Stellungnahme, die unfehlbar Bezug auf die politische Situation nimmt. So geschehen in der DDR, wo ‹sich die einen in ihren Kollektionen in Grenzen frei ­bewegten und die anderen mit provozierenden Inszenierungen die Grenzen austesteten›. Die von den staatlichen Handelsketten HO und KONSUM angebotene Jugendmode stand der Unter­ grund-Mode gegenüber, welche kämpferisch von einer alternativen DDR-Mode-Szene kreiert wurde. Eine schöne, fotografische Bestandesaufnahme dieses Zwei­ kampfes zwischen offizieller


und alternativer Mode findet sich in diesem Buch wieder. Ebenso eindrücklich zeigen die Mode­ dokumentationen unterschied­ licher Fotografen und Fotografin­nen das immerwährende Bemühen der Subkultur, dem Ein­ heitslook die Individualität ­ent­gegenzusetzen, und beweisen, dass gewisse Looks immer ­wieder in Mode kommen.

DVD the look

Erschienen bei Kerber PhotoArt, CHF 46.30

légendaire

Norberto Angeletti & ­Alberto Oliva: Vogue Vogue – die Koryphäe unter den Modemagazinen, eine Legen­ de, eine Institution. Wenn Anna antrabt, senkt die Modebranche den Blick und geht in die Knie. In 115 Jahren hat sich das Hochglanzmagazin dermassen unange­ fochten etabliert, dass Reihen von aufstiegswilligen Assistenten ihr Privatleben ihrem Job gerne für ein paar Jahre opfern. Verzicht – auch auf die eigene Ehre – doch wer für die Vogue assistiert, der hat es fast, wer für sie arbeitet, der hat es ganz geschafft. Demzu­ folge hat sich auch eine Reihe von Persönlichkeiten um die VogueSpitze versammelt. Für ein Shoo­ ting werden Starfotografen, ­Starstylisten, Starhairstylisten und Starproduzenten mit den Models der Stunde aufgeboten, Klei­ derberge werden über Ozeane versetzt und nichts ist unmöglich – nicht mal ein Settingwechsel am letzten Shootingtag oder ein Modelwechsel beim letzen Shot. Die Vogue – das ist Mode in Perfektion. Ebenso ist es auch die Geschichte der Diffusion von Mode. Im Buch von Norberto ­Angeletti und Alberto Oliva wird diese spannende Erfolgsge­ schichte zusammengefasst und mit den ­legendären Modefoto­grafien ­illustriert, die auch einen schönen Überblick über die ­modischen ­Höhenflüge des letzen Jahrhunderts liefern. Und das, ohne dass man sich durch Hunderte Seiten von An­ zeigen blättern muss. Erschienen bei Collection Rolf Heyne, CHF 155.–

Ulrich Seidl – Models Die Germany’s Next Topmodel Kandidatinnen hätten sich das Casting-Fieber sicher abschminken können, hätten ihre Eltern sich vor dem ganzen Klamauk einmal ­‹Models› reingezogen. Das öster­ reichische Schreckgespenst Seidl führt hier drei erfolglose Mo­ dels vor, gewillt absolut alles zu tun für den ganz grossen Erfolg als Topmodel. Castings, Kotzen, Koks und der obligatorische schnelle Sex mit dem erfolgsverspre­ chenden Fotografen gehören zu ihrem Alltag. Hier glänzen die ­Laiendarstellerinnen, allen voran Vivian Bartsch, die Ulrich Seidl in seinem dokumentarischen Film vorführt. ‹Models› kann man sich nur an einem Abend zu Gemü­te führen, an dem man die Abscheu Seidls auf die Menschheit ertragen kann und auch dann nicht heftig zusammenzuckt, wenn der ‹Stern›-Fotograf Vivian an­ raunzt: ‹Du arschgeficktes Weih­ nachtsmännchen. Zieh Dich aus. Ich will sehen, was Du hast.› Bereits auf DVD erhältlich.

the dress

Godard – Masculin Féminin Mal ehrlich: dieser Film ist kaum zum Aushalten! Klar ist das Werk Godards ein Stück Filmge­ schichte, aber wenn man nicht gerade ein Filmstudent im zweiten Semester ist, wird er einen mit sei­ ner unfassbar lauten Geräusch­ kulisse und eingeblendeten marxistischen Zitaten begleitet vom Sound einiger Pistolenschüsse, einfach nur nerven! Aber:

­Masculin Féminin eignet sich ganz wunderbar dazu, ihn bei der nächsten Hausparty grosskotzig an die Wand zu beamen, um alle Gäste restlos vom eigenen über­ schäumenden Intellekt zu über­ zeugen. Hübsch anzusehen sind auch die beiden Protagonisten Jean-Pierre Leaud und Chantal Goya: der linksradikale Hips­ter mit Krawatte und der junge Popstar in Chanel. Für diesen gut ­gekleideten Anblick nehmen wir auch gerne Godards politische Message über die Pepsi-Genera­ tion in Kauf. Bereits auf DVD erhältlich.

the shape

Cindy Crawford – ­ A New ­Dimension Rein in das Aerobic Lycra Trikot gesprungen, schnell die DVD eingeworfen und schon geht es los: dank ‹A New Dimension› und Cindy Crawford werde auch ich bald den Body des Top­ models haben, denke ich – stelle aber schnell fest, dass ich aus Versehen zur falschen DVD ge­ griffen habe. Denn das dritte von Crawfords Workoutvideos be­ inhaltet vor allem Übungen für das Training nach der Schwangerschaft. Dass ich hier nicht zur Ziel­ gruppe gehöre, bemerke ich schon beim Vorspann, in dem Cin­ dy mit ­Sohne- und Ehemann in stim­mungsvollen Schwarzweiss­ aufnahmen herumtollt. Das er­ scheint mir fast blasphemisch, hatte ich mich doch auf eine schweisstreibende Stunde voller Fat-Burning gefreut. Zudem bin ich ernsthaft über die störenden Naturaufnahmen irritiert, da Cindy ihre einfallsreichen Übungen am Strand, in der Wüste oder be­ vorzugt in felsigen Gegenden ­vollführt. Den Rest gibt mir nur noch ihre Variante der Kniebeugen, bei der während des Beugens mit ausgestrecktem Arm auf dem ­B oden liegende Spielkarten auf­genommen werden. Der dadurch ­ausgelöste Lachanfall hat mir ­si­cherlich mehr Bauchmuskeln be­ schert als das gesamte Training des Topmodels.

FILM the future

Cargo Cargo ist schon vor Erscheinungsbeginn zur Legende geworden, handelt es sich hier doch um den ersten Schweizer Science-Fiction Film überhaupt. Mit einem Budget von 5 Millionen CHF will es das Regisseuren-Duo Ivan Engler und Ralph Etter allen beweisen und musste in der Vergan­ genheit mit herben Enttäuschun­ gen wie einem eingestürzten Set und langen Jahren der Vorbe­ reitung straucheln. Da wird die Handlung schon fast nebensächlich. Wer sich also wie ich nicht die Bohne für Science-Fiction inte­ressiert, kann sich auf die bevor­ stehende Cargo-Mania schon mal thematisch mit unserer Mode­ strecke ‹Missed on a Mission› einstimmen, in der wir die Ko­stüme zum Film in Szene gesetzt haben. Kinostart: 24. September 2009 Anja Mikula und Florence Ritter verlieben sich ­t agtäglich in neue Designstücke, über die sie be­ richten, schwärmen und in Ekstase geraten, und für die sie immer noch Gönner suchen. Da die Diskrepanz zwischen Fashionträumen und Garderobenrealität meist unüberwindbar ist, vertiefen sie sich dann doch lieber in Literatur und Film über Mode, die erschwinglich und ­wissenserweiternd sind.

Bereits auf DVD erhältlich.

kinki 125


A Darker View

Sah man ­Models bisher nur als schöne, langbeinige und cellulitefreie Projektionsfläche unerreichbarer Träume, so zeichnet der Dokumentarfilm ‹Picture Me› von Ole Schell ein deutlich realistischeres Bild. Text und Interview: Anja Mikula Regisseur Ole Schell begleiteteTopmodel Sara Ziff fünf Jahre lang bei ihrer Arbeit: ein ­verbotener Blick hinter die Kulissen.

F

ür reich, perfekt und erfolgreich werden sie gehalten. Als Musen der Desi­ gner und begünstigt mit Gratis-Kleidern stellen Models einen von vielen Mädchen be­ wunderten Übermenschen dar. Dass der Schein hier oftmals trügt und die Realität weniger schön ist als die Gesichter ihrer Pro­ tagonistinnen glauben machen, wissen meist nur die wenigen, die selbst Akteure im Modezirkus sind. Einen einzigartigen InsiderBlick in diese Welt wurde dem amerikanischen Filmemacher Ole Schell gewährt, der sich über einen Zeitraum von fünf Jahren an die Fersen seiner damaligen Freundin Sara Ziff – ihres Zeichens Top­ model und Gesicht so namhafter Labels wie Calvin Klein, Stella McCartney und Dolce & Gabbana – heftete. Entstanden ist exklu­ sives Material, das Ole in seinem Dokumentarfilm ‹Picture Me› ­verarbeitet, der die unbekannte Variable hinter der Mode-Glitzerwelt beleuchtet. Dabei erzählt er nicht nur von der viel zitierten 126 kinki

­ egleiterscheinung Magersucht, B die alle Jahre wieder in der ­Presse breitgetreten wird; den beiden ist ein realistischer Blick hinter die Kulissen der Industrie gelungen, die von den schönsten Frauen dieser Welt profitiert. Wenig glamourös ist die andere Seite der Modeindustrie, die das Model und der Dokumen­ tarfilmregisseur aufdecken: Themen wie sexueller Missbrauch am Set und das viel zu junge Alter der Mädchen werden hier behandelt, sodass uns beim Betrachten einer Hochglanz-Modekampagne oder einer Modestrecke in einer Zeitschrift wohl in Zukunft noch andere Gedanken begleiten werden als nur schiere Bewun­ derung für den uns dargebotenen entblössten cellulitefreien Körper in teurer Mode. Zu Beginn mutet ‹Picture Me› noch wie eine videotagebuch­ artige Dokumentation an. Hier wird der Zuschauer Zeuge von der ­surrealen und abgezäunten Jet-SetWelt, in der Sara Ziff sich mit ­immer höher werdendem Bekanntheitsgrad wiederfindet und in die sie ihren Freund Ole Schell mit

einweiht. Die anfänglichen Szenen im Film reflektieren die fröhlichen Seiten des Business, wie zum Beispiel die Kameradschaft zwischen den Model-Mädchen und das Surren und Summen backstage bei einer Modenschau. ­Tatsächlich entwickelt sich ‹Picture Me› im Laufe seiner 80 Minuten aber zu einem aufklärenden Dokumentarfilm, der mittlerweile auf dem Internationalen Film Festival in Mailand erste Preise gewonnen hat und auch auf anderen internationalen Filmfestivals für Furore sorgt. Trotz aberwitzig kleinem Budget gelingt es den beiden mit 5 Jahren an Material umzugehen und das ehrliche Porträt einer ­Industrie aufzuzeigen, die auf Künstlichkeit beruht. Durch die Ge­ genüberstellung von Hochglanzmaterial aus Fotoshootings und den selbstreflexiven, verwackelten Handkamerabildern aus dem ­Privatleben der Models rechnet der Film mit der Traumwelt der Mo­ deindustrie ab und bringt uns eine harsche Realität näher. Auf dem Weg zum Flughafen, steht uns der junge Regisseur Ole Schell am Steuer seines Autos Rede und Antwort, während er sich einen Weg durch die nicht gerade beruhigte Verkehrslage von New York City bahnt. kinki magazine: Was ist die ­Intention von ‹Picture Me›? Ole Schell: Wir hatten ursprünglich nicht geplant die sexuelle Ausbeutung dieser Industrie aufzudecken, aber je weiter wir ­vordrangen, desto mehr begriffen wir, dass es zahlreiche Models gibt, die diese unerzählten Geschichten von sexuellem Missbrauch mit sich herumtragen. Viele von ihnen haben sich geweigert vor der Kamera darüber zu reden, aber einige waren ­mutig ­genug, diese Story zum ersten Mal zu erzählen. Das bewegendste Ma­ terial ist in den Momenten entstan­den, in denen die Mädchen alleine vor der Kamera wie bei einem

Videotagebuch gesprochen ­haben. Der Film ist ­aber in Kapitel gegliedert und the­ma­tisiert un­ter ­anderem auch das Alter der Models, ihre extreme Schlankheit und Objekti­fizierung. Wie kamst du auf die Idee zu diesem Projekt? Wie verlief die ­Umsetzung? Ich kam gerade aus der Filmschule der New York University und trug zu diesem Zeitpunkt einfach immer meine Kamera mit mir. Sara begann zur selben Zeit ihre Karriere und ich war oft an ihrer Seite und filmte sie mehr so zum Spass, während sie arbeitete. Ich schnitt kurze ­Sequenzen von Saras Castings, Fotoshootings und Reisen zu exotischen Locations zusammen. Das war in erster ­ Linie als Geschenk an sie gedacht. Ich zeigte dieses Material auch meinem Vater, der Journalist ist, und er sah dahinter eine echte Geschichte. Ab diesem Zeitpunkt verbrachte ich einige Jahre und ­Saisons an Saras Seite und folgte ihr backstage. Das Ma­terial schnitten wir dann in meinem Wohn­zimmer an der Lower East Side in Manhattan und verbanden dort dieses persönliche Home Video mit Backstage-Material und Interviews mit Designern wie Nicole ­Miller, Fotografen wie Gilles ­Bensimone und den Models Lisa Cant, Missy Rayder und Cameron Russell. Einige der Models führten Videotagebücher, in denen sie direkt in die Kamera über ihre Hoffnungen, Ängste und Sorgen in der Industrie sprachen. Ich versuchte ein Gespür für die In­dustrie zu entwickeln. Wir waren von Anfang an daran in­ teressiert, das reale Leben der Models zu zeigen und nicht nur das ­geairbrushte endgültige Bild von ihnen in einer Anzeige oder auf dem Laufsteg. Das Interview in ganzer Länge könnt ihr auf www.kinkimag.com nachlesen. Foto: Rob Bennett


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Beauty is timeless! Das dachten sich auch Sabine Liewald und ihr Team bei den Aufnah­men zu diesen Bildern. Herzlicher Dank gebührt dabei den Make Up Artisten Brigitte Äschbach (Cover- und Content­ seite) und Tyron Machhausen (diese Seite).

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