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Greenwashing und Lobbyismus auf der Klimakonferenz

Greenwashing und Lobbyismus auf der UN-Klimakonferenz

Für eine gesunde Zukunft ohne Atomenergie!

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Die diesjährige UN-Klimakonferenz COP26 in Glasgow hatte etwas von Exklusivität: Die größten CO2-Verursacherstaaten diskutierten größtenteils unter sich – über die Köpfe derer hinweg, die aufgrund der Corona-Pandemie nicht einreisen konnten: Delegierte und Aktivist*innen aus den am stärksten betroffenen Weltregionen. Erdöl-, Gas- und Kohleindustrie entsandten mehr Vertreter*innen als einzelne Länder. Auch die Atomindustrie betrieb massiv Lobbyarbeit.

Die IPPNW war erstmals mit drei Vertreter*innen auf der COP. Die IPPNW-Vorsitzende Dr. Angelika Claußen hatte dank der Zusammenarbeit im Bündnis „Don’t Nuke The Climate“ und dem Nuclear Information and Resource Service (NIRS) offiziellen Zugang bekommen. Auf verschiedenen Pressekonferenzen setze sie Akzente zum enormen CO2-Fußabdruck des Militärs sowie der zivil-militärischen Verflechtungen von Atomenergie und Atomwaffen. Über die Medizinstudierendenorganisation IFMSA konnte auch IPPNW-Mitglied Leonie Maier an der Klimakonferenz teilnehmen. Energie- und Klimareferent Paul-Marie Manière berichtete live vor allem über die Lage und Proteste außerhalb des COPGeländes.

Greenwashing

„Das ist keine Klimakonferenz, das ist ein globales Greenwashing-Festival“, sagte Greta Thunberg am 5. November in Glasgow. Die Konferenz sei eine „Niederlage“ und „ein PR-Event“. So waren 141 Vertreter*innen allein aus der Atomindustrie auf der COP registriert, wie eine Recherche des unabhängigen Recherchenetzwerks „The Ferret“ zeigt. Insgesamt seien rund 1.000 Repräsentant*innen aus der fossilen Industrie, der Atomindustrie, der Autoindustrie und dem Agrobusiness vor Ort gewesen. Unter dem Slogan „Net Zero needs Nuclear“ sprachen bezahlte Mitarbeiter*innen des Young Generation Network des Nuclear Institute sowohl auf der Klimakonferenz als auch während den großen Demonstrationen gezielt Menschen an, um für Atomenergie Werbung zu machen. Ein Blick auf die Webseite verrät: Gesponsert wird „Net Zero needs Nuclear“ von dem französischen Atomkonzern EDF und dem internationalen Urankonzern URENCO.

Offiziell trat die Atomindustrie auf der COP unter dem Dach der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) auf. Auch an den Ständen der Atomwaffenstaaten war die Lobby vertreten. Als eine der wichtigsten Lösungen für eine saubere Zukunft stellten die Vertreter*innen auf dem Panel der IAEO kleine modulare Reaktoren (SMR) vor. Wer sich einmal mit SMRs auseinandergesetzt hat, weiß, dass kleine modulare Reaktoren vor allem für den Antrieb militärischer U-Boote von Atomwaffenstaaten genutzt werden. „Ohne zivile Atomenergie gibt es keine militärische Nutzung, und ohne die militärische Nutzung auch keine zivile Atomenergie“, hatte Emmanuel Macron 2020 beim Besuch der Atomschmiede in Le Creusot gesagt. Wie viele Atomwaffenstaaten drängt Frankreich deshalb auf den Ausbau der Atomenergie und baut immensen Druck auf andere EUStaaten auf, Atomenergie zum Ende des Jahres auf EU-Ebene als nachhaltig einzustufen. Fragen aus dem Publikum waren auf dem Panel der IAEO nicht zugelassen.

Die starke Präsenz der Pro-Atom-Lobby auf der COP ist beispielhaft für den Einfluss, den die Industrie inzwischen weltweit auf die Organisatoren der Klimakonferenz hat. Das Bündnis „Don’t nuke the climate“ veranstaltete als Reaktion darauf eine Pressekonferenz unter dem Titel „Warum Atomenergie keine Lösung darstellt“. Angelika Claußen sprach dort neben Teilnehmer*innen aus Südafrika, Australien und Japan für die IPPNW. Ihr Statement: „Nuclear power has no place in a healthy, sustainable future.” Mitschnitt unter:

www.youtube.com/c/IPPNWgermany

Abrüsten fürs Klima

Neben dem Kampf gegen die Atomenergie nutzte die IPPNW die COP, um Kontakte zum internationalen Netzwerk der Friedens- und Klimabewegung aufzubauen und zu verfestigen. Gemeinsam forderten sie, den CO2-Fußabdruck des Militärs zwingend in die jährlichen Klimaberichte an das UNFCCC einfließen zu lassen. Ohne die genaue Erfassung der Emissionen von Rüstungsindustrie und Militär könne keine ernsthafte Klimapolitik betrieben werden. Die geforderte Transparenz sei die Voraussetzung dafür, dass der hohe CO2- und Ressourcenverbrauch des Militärs sowie die Zerstörungskraft der eingesetzten Waffen von der Klimabewegung überhaupt in den Blick genommen werden können. An einem Aktionstag im Rahmen der COP

KRIEG IM JEMEN: MÜTTER SUCHEN EINE MOBILE GESUNDHEITSAMBULANZ VON UNICEF AUF. VIELE KINDER LEIDEN UNTER MANGELERNÄHRUNG UND KRANKHEITEN (SADAH/JEMEN 2016).

Foto: inforse.org / Twitter berieten Frauen der beteiligten Organisationen in diesem Zusammenhang, wie sich Ziele aus Klima und Frieden verbinden ließen. Die Forderungen der IPPNW „Atomwaffen abrüsten“ und „Atomwaffen verbieten“ passen demnach zu „Stop Ecocide“ – denn der Einsatz von Atomwaffen ist der größte denkbare Ökozid. Dieser Ansatz soll weiter verfolgt werden.

Diagnose „Klimawandel“

Auf der COP gab es darüber hinaus in diesem Jahr erstmalig einen Gesundheitspavillon. Die WHO machte in ihrem Programm auf die Zusammenhänge von Klima und Gesundheit aufmerksam. Viele Länder bekennen sich inzwischen zu mehr Gesundheitsschutz durch Klimaschutz – die Finanzierung hierfür bleibt jedoch bisher meist noch aus (2021 WHO Health and Climate Change Survey Report).

In Kanada etwa wird der „Klimawandel“ bereits offiziell als Krankheitsursache diagnostiziert: 500 Menschen sind dort nach Schätzungen infolge der Hitzewelle im Juni gestorben. Mediziner*innen berichteten der Zeitung „Independent“ zudem exemplarisch über eine 70-jährige Asthmapatientin, deren Gesundheitszustand sich infolge von Hitzewellen und dem Smog, der durch Waldbrände ausgelöst worden war, dramatisch verschlechtert hatte. (The Independent, 8.11.2021) Mit den Folgen des Klimawandels auf die Gesundheit setzte sich auch die Medizinstudierendenorganisation IFMSA im Rahmen des „Youth Day“ auseinander. Seit Beginn der Weltklimakonferenzen fand auf der diesjährigen COP zum ersten Mal ein Tag der Jugend statt. Laut IPPNW-Mitglied Leonie Maier 26 Jahre zu spät – schließlich werde auf der COP über die Welt verhandelt, auf der diese Jugend einmal leben möchte.

Jetzt handeln

Schon steht fest: Was auch immer auf der Klimakonferenz beschlossen wurde, reicht nicht aus, um das 1,5°C-Ziel einzuhalten. Natürlich ist es schwierig, von einer Konferenz zu erwarten, dass sie alle Lücken schließen kann, die in den letzten Jahrzehnten entstanden und geblieben sind. Und doch lag (und liegt) auf diesen zwei Wochen in Glasgow ein besonderes Gewicht: Es gilt weiterhin, das Ziel von Paris, 1,5 Grad einzuhalten. Fast alle Staaten – allen voran die Verursacher und Industriestaaten – müssen ihre jeweiligen nationalen Klimaschutzziele gemäß den ihnen noch zustehenden CO2-Restbudgets überarbeiten und anpassen. Die Lücke, die zwischen Ankündigen und Umsetzung klafft, ist groß – in Deutschland wie auch international. Hinsichtlich der fossilen Energien muss die kommende Bundesregierung den Kohleausstieg bis 2030 organisieren, fossile Subventionen abschaffen und das Ausbautempo der erneuerbaren Energien vervielfachen. Hinsichtlich der Europäischen Politik und der EU-Taxonomie gilt: Die Bundesregierung muss sich einem Nachhaltigkeitslabel für Atomenergie oder Gas in der Europäischen Kommission entgegenstellen.

Mit Blick auf friedenspolitische Klimaziele muss der CO2-Fußabdruck der Bundeswehr nicht nur erfasst und veröffentlicht werden. Allem voran ist Abrüstung angesagt, das Ende der nuklearen Teilhabe und der damit verbundenen Militärflüge sowie die Absage an den Kauf des atomwaffenfähigen Kampfbombers. Sich für einen sozialökologischen Wandel zu engagieren, bedeutet Gesundheitsschutz mit Klimaschutz und Friedenspolitik zu verknüpfen. Das ist über Wahlperioden hinaus von grundlegender Bedeutung. Dazu braucht es starke zivilgesellschaftliche Stimmen.

Dr. Angelika Claußen, Leonie Maier und Paul-Marie Manière besuchten die COP26 in Glasgow.