Erinnerung an Andreas Buro

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Sonderbeilage zum IPPNW-Forum

Erinnerung an Andreas Buro (1928 – 2016)


EDITORIAL

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde, liebe Mitglieder der IPPNW, die IPPNW trauert um ihr langjähriges Beiratsmitglied Prof. Dr. Andreas Buro. Wir haben Andreas sehr viel zu verdanken. Mit Gelassenheit, klarem Blick und der Fokussierung auf Lösungen gab er der IPPNW wesentliche Orientierungshilfen. Seine Fähigkeit, Wissen zu teilen und Positionen loszulassen gab uns Anregungen für den Generationenwechsel. Wir konnten ihn um Texte und Vorträge bitten und erhielten immer etwas, was uns weiterbrachte, fundierte politische Einschätzungen und klare Stellungnahmen. Zu den Kongressen „Kultur des Friedens“ und zuletzt im Oktober bei unserer IPPNW-Friedenskonferenz leistete er zentrale Beiträge. Das Schönste war seine Freundschaft zum Verein und zu vielen seiner Aktiven.

PROTEST GEGEN DEN VIETNAMKRIEG

I

n diesen Tagen der Feste der Gläubigen (der Artikel erschien an Weihnachten, Anmerkung der Redaktion) wird aus fast allen Himmelsrichtungen um Frieden, ja um Frieden auf Erden gebeten. Dennoch schießen so viele Menschen aufeinander. Warum?

Mit scheinbar unermüdlicher Energie und Schaffenskraft hat er ungeheuer viel auf die Beine gestellt. Er hat dabei politisch-strategisch gedacht, über das notwendige schnelle „Reagieren“ hinaus. Zum Beispiel hat er sich seit Jahren intensiv mit Ziviler Konfliktbearbeitung beschäftigt und die vielen guten Ideen in diesem Feld auf die konkrete Ebene sofort durchführbarer Maßnahmen heruntergebrochen. Er stellte damit ganz im Sinne von Horst-Eberhard Richter das Pro neben das Anti: Lösungsvorschläge neben die Kritik am Bestehenden. Mit seinen Dossiers zur zivilen Konfliktbearbeitung in verschiedenen Regionen der Welt hat er der Kooperation für den Frieden ein großes Geschenk gemacht.

Alle wünschen sich Sicherheit für sich selbst, für Frau und Kinder, für Freunde und Freundinnen. Sicherheit ist ein hohes Gut. Der Begriff der Sicherheit wird weitgehend mit dem der Sicherheitskräfte, also dem Militär verbunden. Wie falsch! Ein Rückblick auf das vergangene Jahrhundert. An dessen Beginn kostete ein Krieg um die Hunderttausend Tote, jetzt ist die Auslöschung ganzer Regionen oder sogar der ganzen Menschheit durch wenige Handgriffe möglich. Doch wird immer weiter in diese tödliche „Sicherheit“ investiert. Warum? Als Jugoslawien noch nicht im Bruderkrieg versunken war, reiste ich durch das Land. Wer Kroate, Serbe, Bosnier, Slowene, Mazedonier, Kosovare usw. war, spielte im täglichen Leben keine große Rolle. Ein Drittel der Jugoslawen war in Mischehen verbunden. War man nun was? Egal. Später kam das Unfassbare. Die Völker des Landes wurden gegen einander gehetzt, so dass der Nachbar dem Nachbarn an die Kehle ging. Wie konnte das geschehen? Waren sie alle verrückt geworden? Aus freundlichen Nachbarn wurden grausame und gnadenlose Mörder. Warum?

Aufgrund seiner fachlichen und menschlichen Kompetenzen fand er Akzeptanz in Friedensforschung, in Politik und in der Bewegung. Wir haben ihn in vielerlei Hinsicht als Brückenbauer erlebt, der den dringend notwendigen Austausch vermittelte.

Vor jedem neuen, potentiellem Krieg, werden die erwarteten Feinde in den Medien immer mehr zu Verkörperung des „Bösen“, während unsere Seite sich in Richtung des „Guten“. bewegt. USPräsident Reagan hat es dann auf den Höhepunkt der Ignoranz gebracht, indem er die Welt tatsächlich in die „Guten.“ (natürlich

Susanne Grabenhorst Vorsitzende der Deutschen IPPNW

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ANDREAS BURO 1993

VERLEIHUNG DES GÖTTINGER FRIEDENSPREISES 2013

„Das Große bleibt groß nicht und klein nicht das Kleine“

Friedenslogik, die die Kriegslogik infrage stellt Von Prof. Dr. Andreas Buro Struktur bereit waren, wurden mit dem Entzug der Finanzmittel gedroht. Obwohl von den Herrschenden nicht beabsichtigt, konnte sich in dem Gewirr von Papieren und Institutionen von Seiten der pazifischen Kräften ein neuer Begriff einschleichen und schnell in großen Teilen der Welt verbreiten. „Zivile Konfliktbearbeitung“ stieg auf zum Gegenkonzept des militärischen Konfliktaustrages. Ein riesiger Schritt! Warum?

der Westen, dessen Kriege Millionen töteten) und die „Bösen“ aufteilte. Alles war nun klar, so leicht war die große Vielfalt der Menschheit in Feind- und Freundbilder einzuteilen, während die Wirklichkeit für uns Bürger immer unklarer wurde. Das war und ist von den Herrschenden so gewollt, denn dann glauben wir leichter ihren Militärparolen. In dem Projekt „Münchhausen“, das im Aachener Friedensmagazin www.aixpaix.de erscheint, sind Kostproben der Lügengeschichten der Herrschenden zu finden. Die Frage für uns lautet: Weshalb lassen wir uns immer wieder so manipulieren? Warum?

Mir fällt der Vers aus Brechts „Lied von der Moldau“ ein: „Das Große bleibt groß nicht und klein nicht das Kleine ...“ Vielleicht sind wir in einer solchen Situation. In vielen Teilen der Welt bilden sich Widerstandsgruppen gegen Krieg und Gewalt, Ausbildungsstätten für Zivile Konfliktbearbeitung entstehen und Ausgebildete werden bereits in Konflikten erfolgreich eingesetzt. Das Bemühen ist oft schwierig – Brechts Wort! Manche Kontrahenten, die nicht mehr siegen können, lassen sich auf Verhandlungen ein und lernen, wie erfolgreich Zivile Konfliktbearbeitung sein kann. Soziale Bewegungen auf anderen Arbeitsfeldern lernen voneinander, dass zivile Konfliktbearbeitung auch für sie hilfreich ist. Erstaunlicherweise schleichen sich auch nicht selten bei Militärs Zweifel ein, ob ihr Tun noch sinnvoll sei. Viele sprechen von Friedenslogik, die die Kriegslogik infrage stellt.

Als es in Deutschland noch die Wehrpflicht gab, hatten erst Hunderte, dann Tausende den Kriegsdienst verweigert. Sie mussten hochnotpeinliche Prüfungen über sich ergehen lassen und zivile Ersatzdienste antreten. Die Zivis wurden in der Bevölkerung zunächst vielfach verächtlich angesehen, bis es so viele wurden und ihre Sozialarbeit in ihrem großen Wert nicht mehr zu leugnen war. Kriegsdienstverweigerung breitete sich über fast die ganze Welt aus. Eine Art von Widerstand von unten gegen den herrschenden Militarismus von oben. Die Erkenntnis brach sich Bahn: Widerstand gegen das militärische Morden ist möglich, aber sehr schwierig. Warum?

Ein großer Prozess des Umdenkens und der Umorientierung ist im Gange, vielfältig, spannend, Mut fordernd und Ausdauer. Toll! „Das Große bleibt groß nicht und klein nicht das Kleine.“ Hier findet Sinnsuche ihre Aufgaben. Großartig, dabei zu sein!

Dann geschah etwas Unerwartetes. Die westlichen Angriffskriege liefen auf vollen Touren, doch sie liefen von Afghanistan bis Irak und Syrien schief. Die Militärs verstanden nichts von den angegriffenen Völkern, nichts von deren Mentalitäten, meist nichts von deren Sprachen oder deren kulturellen, sozialen und ethnischen Zusammenhängen. Das Militär erfand daraufhin die Zivil-militärische Zusammenarbeit (engl. CIMIC). Nichtregierungsorganisationen (NRO), die nicht zur Kooperation der militärisch dominierten

Dieser letzte friedenspolitische Beitrag von Prof. Dr. Andreas Buro erschien am 24. Dezember 2015 auf www.aixpaix.de 3


Ein Vordenker und Motor der Friedensbewegung Gedenken an Andreas Buro Von Matthias Jochheim

IPPNW-FRIEDENSKONFERENZ 2015

P

Andreas Buro war ein profunder Analytiker der Macht, aber selber an Macht im Sinne von Regierungsfunktionen nie interessiert, weil er über die Gefahr der Korrumpierbarkeit in unserem offiziellen Politikbetrieb wusste.

rofessor Andreas Buro ist von uns gegangen, der seit mehr als 50 Jahren ein Vordenker und Motor der deutschen Friedensbewegung war. In seiner Vita verband er so viele Facetten: Er war zuerst Forstwissenschaftler, und behielt zeitlebens den empathischen Bezug zur Natur, wie etwa zu den Pflanzen seines schönen Gartens im Taunus. Er war politischer Aktivist, organisierte seit Ende der 50er Jahre die Ostermärsche und eine Fülle weiterer Kampagnen der Bewegung gegen den Krieg, ganz wesentlich motiviert aus seinen Jugenderfahrungen in Berliner Bombennächten und als Flakhelfer. Über 50 Jahre blieb er aktiv in unserer Bewegung für Frieden und Menschenrechte, bis zuletzt als Ideengeber und wichtiger Mentor, für die Kooperation für den Frieden, ebenso wie als wissenschaftlicher Beirat unserer IPPNW.

Unsere IPPNW war vielfältig mit Andreas‘ Arbeit verbunden: über die Beschäftigung mit der kurdischen Problematik in der Türkei und deren Nachbarländern – hier hatte Buro mit anderen deutschen und kurdischen Aktiven zusammen den Dialogkreis als wichtiges Forum etabliert. Er war weiter der gefragte Berater der „Kooperation für den Frieden“, des Bündnis von über 50 Friedensorganisationen, in dem auch die IPPNW mitwirkt. Alle friedenspolitischen Tagungen der IPPNW konnten auf die Beratung unseres Beirats Buro zählen, der im Übrigen über Jahrzehnte mit Bergrun und Horst-Eberhard Richter persönlich eng befreundet war.

Er war in seiner zweiten akademischen Laufbahn Politikwissenschaftler an der Frankfurter Universität, für den Bereich der internationalen Politik – ein viel zu seltenes, überzeugendes Beispiel, wie Wissenschaft und direktes politisches, bürgerrechtliches Handeln miteinander zu verbinden sind. Und er war auch ein Beispiel, wie politische Debatten, auch wenn sie mit Kontroversen verbunden sind, auf eine freundliche, immer versöhnungsbereite, nicht kränkende Weise geführt werden können – auch im Sinne des gewaltlosen Revolutionärs Mahatma Gandhi, der immer zu Andreas Buros großen Vorbildern zählte.

Andreas war ein kreativer, origineller Kopf. Ich denke daran, wie er ein israel-kritisches Gedicht von Günther Grass (das einigen Staub aufwirbelte), mit einem eigenen Poem kommentierte, aus meiner laienhaften Sicht in seiner sprachlichen Qualität dem des Nobelpreisträgers überlegen. Er initiierte und organisierte das „Projekt Münchhausen“, das Lügengeschichten sammelt, wie sie regelmäßig zur Kriegsbegründung in die Welt gesetzt werden. In seinem Leben musste Andreas Buro auch tragische Entwicklungen verarbeiten. Er blieb ein eminent beziehungsfähiger, mit vielen persönlichen Freunden verbundener Mensch, wie wir etwa bei seinen jährlichen Sommerfesten im Garten seines Hauses erleben durften.

Friedensforum: „Andreas Buro – zum Gedenken an einen streitbaren Pazifisten“

Nicht nur mit seinen Analysen und seiner unermüdlichen Tatkraft wird er uns präsent bleiben, sondern auch mit seinem Humor und seiner persönlichen Wärme und Menschlichkeit.

24 Seiten, DIN A4, Preis pro Exemplar: 1,- Euro zu bestellen bei: Netzwerk Friedenskooperative Römerstraße 88, 53111 Bonn Tel.: 0228/ 692904

Herausgeber: Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges,

friekoop@friedenskooperative.de

Lebenserinnerungen eines streitbaren Pazifisten“, Brandes & Apsel Verlag;

Ärzte in sozialer Verantwortung e. V. (IPPNW) Sektion Deutschland Kontakt: IPPNW, Körtestraße 10, 10967 Berlin, Telefon: 030 / 69 80 74-0 E-Mail: ippnw@ippnw.de, www.ippnw.de Bildnachweis: Titelseite links: Cover von „Gewaltlos gegen den Krieg – Titelseite rechts: „Kultur des Friedens“ 2003, Andreas Schoelzinger; S. 2: privat; S. 3 links: Joker; S. 3 rechts: Göttinger Friedenspreis 4


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