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Polizei statt Militär

Graffiti: Banksy / via Amos Trust

Ein Element einer zivilen Sicherheitspolitik?

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Eine aktuelle Bevölkerungsumfrage der Bundeswehr konstatiert, die Bundesbürger seien „[h]insichtlich ihrer außenpolitischen Grundhaltungen […] als eher anti-militaristisch, antiatlantizistisch und klar multilateralistisch zu charakterisieren, das heißt, sie halten militärische Gewalt nicht für ein effektives oder moralisch angemessenes Mittel der Außenpolitik, wünschen sich eine außenpolitische Emanzipation von den USA und sprechen sich eindeutig für eine Zusammenarbeit mit befreundeten Staaten und Bündnispartnern aus.“

Trotzdem sei die positive Einstellung zur Bundeswehr im Vergleich zum Vorjahr 2019 um sechs Punkte auf 82 Prozent gestiegen (ippnw.de/bit/bundeswehrumfrage). Dieser offenkundige Widerspruch zwischen Kriegsablehnung einerseits und Bundeswehrbejahung andererseits lässt sich meines Erachtens nur dadurch erklären, dass es eine Schutzlosigkeitsangst gibt, die trotz aller Kriegskritik mangels Alternativen doch am Militär festhält. Getreu der von Helmut Schmidt zu Nachrüstungszeiten zitierten alten Hamburger Kaufmannsregel, wonach man das schmutzige Wasser nicht auskippt, bevor man kein Frisches hat.

Der dringend gebrauchte frische Wind in der Außen- und Sicherheitspolitik könnte der von der Initiative „Sicherheit neu denken“ (SND) vertretene Ansatz einer friedenslogischen zivilen Sicherheitspolitik sein. Anhand von fünf Säulen zeigt das Szenario auf, wie eine zukunftsfähige, bei den Konfliktursachen ansetzende, nachhaltige Sicherheitspolitik aussehen kann. So wird neben dem Bemühen um eine nachhaltige Lebensweise, um eine partnerschaftliche, gemeinsame internationale Sicherheitsarchitektur und zivile Konfliktbearbeitung u. a. auch der Aufbau internationaler Polizeistrukturen auf weltregionaler und auf UN-Ebene vorgeschlagen.

Nach zwanzig Jahren kontraproduktivem Afghanistankrieg sollte anstelle der von der Verteidigungsministerin proklamierten stolzen Rückkehr der Bundeswehr besser Selbstkritik geübt und nach Alternativen zum „Krieg gegen Terror“ gefragt werden: Wäre es nicht sinnvoller gewesen, die USA hätten nach dem Anschlag am 11. September 2001 bei den Vereinten Nationen die ad hoc-Aufstellung einer Internationalen Polizei zur Suche und Festnahme der Attentäter von New York beantragt, anstelle Kriege in Afghanistan, Irak, Libyen und Syrien mit hunderttausenden von Toten zu führen? Auch wenn das Militär eines Tages aufgelöst bzw. in ein internationales Technisches Hilfswerk transformiert sein sollte, wird es zur Bekämpfung von größerer, internationaler und terroristischer Gewalt eines Restgewaltsystems bedürfen. Dieses muss jedoch polizeilicher Natur sein.

Eine globalisierte Welt kann nicht mehr durch nationale Außenpolitiken bestimmt sein, sondern bedarf einer Weltinnenpolitik, wie sie schon vor 60 Jahren von CarlFriedrich von Weizsäcker vorausschauend gefordert worden ist. In diesem Rahmen haben nationale oder Bündnisarmeen keinen Platz. Im Unterschied zur Energiepolitik, in der erst nach langer Bekämpfung des Widerstands gegen die atomare und fossile Energieerzeugung die Erforschung und Entwicklung von Alternativen staatlich gefördert wurde, gibt es dergleichen im Bereich der Sicherheitspolitik bislang leider nicht. Deshalb entstand innerhalb der Initiative „Sicherheit neu denken“ die Fachgruppe „Internationale Polizei“. Diese entwickelte in Kooperation mit Vertreter*innen aus Wissenschaft, Friedensbewegung, Polizei, Militär und Politik eine „Zukunftsperspektive für eine Internationale Polizei“ (ippnw.de/bit/akademie-baden).

Einige Aspekte daraus:

Aus Gründen der kulturellen, sprachlichen und religiösen Verbundenheit ist die Bildung von internationalen Polizeistrukturen vorrangig innerhalb von Weltregionen (z. B. Lateinamerika, Afrika südlich der Sahelzone, arabische Welt, Europa) als Bezugsrahmen zu favorisieren. Organisationen, die alle Staaten einer Weltregion einbeziehen (in Europa: Europarat oder OSZE), kommen als Träger in Betracht bzw. sind zu schaffen. Eine spezielle UN-Polizei könnte die Sicherung der internationalen Kommunikations- und Verkehrsstrukturen übernehmen bzw. in Konflikten, die weltregional schwer lösbar sind (wie z.B. in Israel-Palästina), dort vereinbarte Friedensregelungen absichern. Ebenso wäre eine UN-polizeiliche Sicherung des Weltraums sinnvoller als die nunmehr auch durch die Bundeswehr betriebene Militarisierung des Alls.

Für den Aufbau sind die bisherigen Erfahrungen internationaler Polizeieinsätze nationaler Polizeibeamt*innen, aber auch ziviler Nichtregierungsorganisationen in Konfliktregionen zu berücksichtigen. So ist beispielsweise die jeweilige conflict ownership zu respektieren: Nachhaltige Lösungen können nur von den Beteiligten selbst, eventuell mit externer Beratung, gefunden werden. Auch muss die internationale Polizei-Arbeit vorrangig präventiv und deshalb auf langzeitigen Beziehungsaufbau angelegt sein. Die dabei zum Einsatz kommenden Beamt*innen bedürfen insbesondere deeskalativer und mediativer Qualifikationen. Auch darf sich die internationale Verwendung nicht nachteilig für den Berufsweg im Heimatland auswirken, sondern sollte ein besonderes Qualifizierungsmerkmal sein. Bei der Rekrutierung sind alle ethnischen und religiösen Zugehörigkeiten in einer Weltregion proportional zu berücksichtigen.

Der Einsatz in einem Konfliktgebiet ist nur auf Einladung oder mit Billigung der dort herrschenden Macht möglich. Aufgabenbereiche könnten sein:

» Kontaktaufnahme zu allen Konfliktparteien

» (In Kooperation mit Friedensfachkräften) Vermittlungsbemühungen

» Schutzgewährung für bedrohte Menschen/Gruppen

» Überwachung von Waffenstillstandsvereinbarungen, Abrüstungsvereinbarungen, freien Wahlen bzw. Volksentscheiden

» Waffenrückkauf in Bürgerkriegsländern

» Bekämpfung organisierter internationaler Kriminalität und von Terrorismus

Die Realisierung dürfte gegenwärtig nicht top down durch einen UN-Beschluss zu erwarten sein, sondern eher bottom-up durch Initiativen auf weltregionaler Ebene. Zur Lösung des OstukraineKonfliktes könnte die OSZE internationale Polizeieinheiten aus ihren Mitgliedsländern bilden, die den Waffenstillstand in einer entmilitarisierten Zone überwachen und, falls auf politischer Ebene der Klärungswille stärker wird, die Sicherheit bei der Durchführung freier und geheimer Wahlen in den umstrittenen Gebieten gemeinsam mit internationalen Beamt*innen gewährleisten.

Dasselbe gilt z. B. für den Israel-PalästinaKonflikt. Sobald eine Lösung (z. B. Zweistaaten-Regelung oder ein Staat mit zwei „Kantonen“) vereinbart worden ist, könnte eine starke Präsenz internationaler Polizei die Realisierung überwachen.

Gewiss sind solche Einsätze mit Kosten und Risiken verbunden. Diese müssen jedoch mit den Kosten und Risiken militärischer Sicherheitspolitik verglichen werden. Möglicherweise kann diese reale Betrachtung vielen Mitbürger*innen, die keinen Krieg wollen, helfen, ihr Schutzbedürfnis durch eine zivile, andere Staaten nicht bedrohende Sicherheitspolitik besser gewahrt zu sehen.

Die „Zukunftsperspektive für eine Internationale Polizei“ wird auf einer Akademietagung am 22.–24. September 2021 in Bad Herrenhalb präsentiert und zur Diskussion gestellt.

Weitere Informationen dazu: ippnw.de/bit/akademie-baden

Dr. phil. Theodor Ziegler ist Religionspädagoge und Mitglied im Koordinationskreis von „Sicherheit neu denken“.