IPPNW-forum 155/2018 – Die Zeitschrift der IPPNW

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ippnw forum

das magazin der ippnw nr155 sept 18 3,50€ internationale ärzte für die verhütung des atomkrieges – ärzte in sozialer verantwortung

Foto: Atombombengeschäft

- Flüchtlingspolitik: Kein sicherer Hafen - Drohnen: Töten per Knopfdruck? - Global Health: Soziale Determinanten von Gesundheit

Divestment: Kein Geld für Atomwaffen


issuu.com/ippnw

Bestellen Sie die Broschüre Im humanitären Bereich hat das Werben um Erbschaften und Nachlässe eine lange Tradition. Der Vorstand der IPPNW hat sich nach reiflicher Überlegung dazu entschlossen, diese Möglichkeit den eigenen Mitgliedern, Fördererinnen und Förderern anzutragen. Den Einsatz für Ziele, die Ihnen am Herzen liegen, können Sie durch ein Vermächtnis oder ein Erbe nachhaltig unterstützen. Diese zwölfseitige Broschüre informiert Sie, welche Fragen dabei zu bedenken sind.

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Ihr Nachlass gestaltet: Über den Tag hinaus

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EDITORIAL Xanthe Hall ist Atomwaffenexpertin der IPPNW Deutschland.

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teckt Ihr Geld in der Herstellung von Atomwaffen oder Trägersystemen für Atomwaffen? Seit einigen Jahren verfolgt die IPPNW mit ICAN diese Frage und hat bereits einige Erfolge erzielt. Im Mai kündigte die Deutsche Bank z. B. an, Geschäftsbeziehungen zu AtomwaffenHerstellern beenden zu wollen. Jedes Jahr wird unter dem Titel „Don’t Bank on the Bomb“ eine Studie zu den Verwicklungen der Finanzinstitute weltweit in die Finanzierung von Atomwaffen veröffentlicht. Im Schwerpunkt dieser Ausgabe schauen wir genauer hin und informieren auch über Handlungsoptionen. Susi Snyder (PAX Niederlande) fasst in ihrem Artikel die Ergebnisse der Studie aus diesem Jahr zusammen und berichtet von motivierenden Erfolgen der Kampagne. Aino Weyers (ICAN Deutschland) nimmt speziell die Situation in Deutschland und die Beteiligungen deutscher Finanzinstitute unter die Lupe. Ist Ihre Bank dabei? Angelika Wilmen (IPPNW) geht der Frage nach, welche Wirkung der vor einem Jahr beschlossene UN-Vertrag zum Verbot von Atomwaffen bisher zeigt, und stellt fest, dass Atomwaffen gesellschaftlich immer mehr zu einem Stigma werden – von dem auch Banken zunehmend die Finger lassen. Wichtig ist natürlich nicht nur, zu wissen, welche Banken noch mit Massenmordwaffen Profit machen, sondern auch, was jeder selbst unternehmen kann. Dr. Katja Goebbels berichtet im Interview beispielsweise von ihren Erfahrungen mit dem Bankwechsel zu einer Bank mit ethisch und ökologisch vertretbaren Richtlinien. Wer nicht gleich die Bank wechseln will, kann auch der eigenen Bank Druck machen: So startete beispielsweise am 3. September 2018 eine neue Aktion zur DZ-Bankgruppe – dazu gehören Volks-, Raiffeisen- und Spardabanken. Mit dem Geld ihrer Kunden wird ein Kredit für Airbus finanziert, das gerade neue Atomraketen für Frankreich baut. Über die Webseite der Kampagne atombombengeschaeft.de können Sie ganz einfach eine entsprechende Bankfiliale in Ihrer Nähe finden und direkt per Mail anschreiben. Sie müssen nur Ihre Postleitzahl eingeben und schon ein paar Klicks später haben Sie die Mail versendet. Zu guter Letzt wirft Regine Richter von urgewald ein Schlaglicht auf die Erfolge von Desinvestitionen im Bereich „Fossile Energien“ – ein Beispiel, das Mut macht aber auch mahnt, dass Richtlinien nicht nur beschlossen, sondern auch konsequent umgesetzt werden müssen, um wirksam zu sein. In diesem Sinne: Bleiben wir wachsam, was die Banken mit unserem Geld machen. Keinen Cent für Atomwaffen!

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INHALT Unfallgefahr verharmlost: Tihange und Doel brandgefährlich

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THEMEN Schließt Ramstein, öffnet eure Herzen!..................................................8

Foto: DIE LINKE Nordrhein-Westfale/ CC BY-NC-SA 2.0

Töten per Knopfdruck?......................................................................................9 Aufrüsten statt Zukunftsprobleme lösen?............................................10 Atomwaffenverbot und nukleare Teilhabe.......................................... 12 Belgische Rissereaktoren brandgefährlich..........................................14 Kein sicherer Hafen..........................................................................................16 Die Unsichtbaren............................................................................................... 18

SERIE Die Nukleare Kette: Nevada....................................................................... 19

Atomwaffen: Banken finanzieren Massenmordwaffen

20 SCHWERPUNKT Über Geld spricht man doch...................................................................... 20 Kein Profit mit Massenmordwaffen........................................................ 22 Nach wie vor: Ein Bombengeschäft........................................................24 Stigma Atomwaffen.......................................................................................... 26 Wie ethisch ist meine Bank?...................................................................... 27 Keine Kohle für Kohle.................................................................................... 28

WELT IPPNW-Brief an Staatschefs: Festhalten am Atomabkommen mit dem Iran

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Iran: Dialog statt Sanktionen..................................................................... 30

RUBRIKEN Editorial.......................................................................................................................3 Meinung......................................................................................................................5 Nachrichten..............................................................................................................6 Aktion........................................................................................................................31 Gelesen.................................................................................................................... 32 Gesehen, Geplant, Termine......................................................................... 33 Gefragt..................................................................................................................... 34 Impressum/Bildnachweis.............................................................................. 33


MEINUNG

Ernst-Ludwig Iskenius ist langjähriges Mitglied der IPPNW und u. a. aktiv im Arbeitskreis Flucht und Asyl.

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Hohe Zäune, Stacheldraht, Schießbefehle, Ausreisesperren, Blockade der Grenzen durch aufgerüstetes Militär und Soldaten, Internierungslager, Einsperren von Menschen, die ihr Land verlassen wollen.

is in die 80er Jahre war dies eine im Westen zu Recht kritisierte blutige Praxis osteuropäischer Staaten, die glücklicherweise an den eigenen Widersprüchen zerbrach.

Aber genau diese repressive, gewaltsame Politik fördert die EU derzeit mit 14 Milliarden Euro und versucht, sie vielen abhängigen Staaten aufzuzwingen. Deutschland ist das Kraftzentrum dieser neuen Afrikapolitik. Gegen Geld wird die Ausreise in Richtung Europa unter Strafe gestellt. Einige Länder sperren Menschen lautlos auch ohne gesetzliche Grundlagen ein. Deutsche Firmen errichten mitten in Afrika hohe Zäune, wo die durch die Kolonialmächte geschaffenen Grenzen bisher durchlässig waren. Von der deutschen und europäischen Rüstungsindustrie aufgerüstete Grenzposten blockieren Migrationsrouten.

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ns EU-Bürger werden diese Maßnahmen als Fluchtursachenbekämpfung, Migrationskontrolle, als neue Entwicklungshilfe verkauft. „Wir wollen dabei helfen, dass die Menschen erst gar nicht die lebensgefährliche Überfahrt nach Europa beginnen, dass kriminelle Schlepperwesen austrocknen“, verkündet die Regierung. Doch all dies ist nichts Anderes als Symbolpolitik. Niemand verlässt seine Heimat ohne Grund: Die Flucht- und Migrationsgründe können individuell sehr vielfältig sein, basieren aber in der Regel auf existenziellen Nöten: Hunger, Krieg, Gewalt, Unterdrückung, Verfolgung, Land Grabbing, ungerechte zerstörerische Handelsbeziehungen, globaler Klimawandel, exzessive Rüstungsexporte und Aufrüstung repressiver diktatorischer Regime. Wer redet von der jüngsten Fluchtwelle von über einer Million Menschen im Süden von Äthiopien wegen eines Landverteilungskonfliktes um die letzten Ressourcen an Grund und Boden? Die Geheimverhandlungen mit den oft korrupten, repressiven diktatorischen Regierungen werden ohne Beteiligung der afrikanischen Zivilgesellschaft geführt, deren Stimme und deren Konzepten wir zum Durchbruch verhelfen müssen. Sonst hört das Sterben im Mittelmeer auch weiterhin nicht auf. 5


N ACHRICHTEN

Klimaschutz für Lebensretter

Schmutziger Profit

Deutsche Waffen im Jemenkrieg?

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Dirty Profits – Unser Geld für Rüstungsexporte in Kriegs- und Krisengebiete“, so heißt die im Juli veröffentlichte Studie von Facing Finance und Urgewald.

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ie letzte Mitgliederversammlung der IPPNW beschloss, dass die IPPNW „(...) sich verstärkt für das Thema Klimawandel und Gesundheit“ einsetzen möge – beispielsweise im Rahmen der Mitarbeit „Deutschen Allianz Klima und Gesundheit“. Hilfestellung und Anregung wie Ärzt*innen und im Gesundheitswesen Beschäftigte individuell aktiv zum Klimaschutz beitragen können, bietet auch das bundesweite Klimaschutzprojekt der Stiftung viamedi-ca: „Klimaretter – Lebensretter“. Es richtet sich speziell an die Beschäftigten des Gesundheitswesens und motiviert diese zu einem nachhaltigen Umgang mit Energie und Ressourcen. Auch alle Mitarbeitenden in Arztpraxen und Kliniken können in ihrem Arbeitsumfeld Klimaschutzaktionen umsetzen und sind zugleich Teil der bundesweiten Initiative: Treppe statt Aufzug, Stand-by vermeiden oder klimafreundlich konsumieren. Ein Online-Tool bietet Anregung zu Klimaschutzaktionen am Arbeitsplatz und zeigt, wie diese in der Summe einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz leisten können. Mit dem Projekt könnten über sieben Millionen Beschäftigte im Gesundheitswesen ihren ökologischen Fußabdruck reduzieren. Die nationale Klimaschutzinitiative des Bundesumweltministeriums fördert das für teilnehmende Betriebe kostenlose Projekt. Die Schirmherrschaft hat Bundesärztekammerpräsident Prof. Dr. Montgomery übernommen. Weitere Infos unter: projekt.klimaretter-lebensretter.de

Gemeinsam sind beide Organisationen der Frage nachgegangen, inwieweit deutsche Banken in die Finanzierung der Rüstungsindustrie involviert sind. Laut der Studie haben deutsche Banken und Investoren – unbeeindruckt von Tod, Flucht und Vertreibung in aktuellen Kriegsgebieten – alleine in den vergangenen drei Jahren hohe Geldsummen in Rüstungskonzerne investiert, die den Nahen und Mittleren Osten massiv aufrüsten und insbesondere den Krieg im Jemen befeuern. Zehn der 17 untersuchten deutschen Banken finanzierten im Zeitraum 2015 bis 2017 Rüstungsfirmen mit über neun Milliarden Euro, in Form von Krediten oder ausgegebenen Anleihen. Dabei zählen die Deutsche Bank sowie die UniCredit Group/HypoVereinsbank zu den führenden Finanziers mit Finanzbeziehungen zu 7 bzw. 8 von 10 untersuchten Firmen. Es folgen Commerzbank und BayernLB mit je fünf Rüstungskunden. Zu den geförderten Unternehmen zählen ThyssenKrupp mit U-Boot-Lieferungen nach Ägypten oder der deutsche „Rüstungsexportweltmeister“ Rheinmetall mit Exporten an gleich fünf der Staaten, die Krieg im Jemen führen. Auch die US-Unternehmen Lockheed Martin, Boeing und Raytheon, die zu den Hauptlieferanten der Golf-Allianz gehören, bekamen Gelder von deutschen Finanzhäusern.

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ei einem Luftangriff auf einen Schulbus im Jemen am 9. August 2018 sind laut Internationalem Roten Kreuz mindestens 50 Menschen ums Leben gekommen, die meisten von ihnen Kinder. Das von Saudi-Arabien angeführte Militärbündnis hat zugegeben, dafür die Verantwortung zu tragen. Einige Tage zuvor wurden bei einem Angriff auf ein Krankenhaus und einen Fischmarkt in der Hafenstadt Hudeida mindestens 55 Menschen getötet und weitere 170 Menschen verletzt. Medien der Huthi-Rebellen beschuldigten die von Saudi-Arabien geführte Allianz, für die Angriffe in Hudeida verantwortlich zu sein. Deren Sprecher wies dies jedoch zurück. Laut dem britischen Recherchenetzwerk Bellingcat deuten die veröffentlichten Bilder und Videos des Angriffs in Hudeida darauf hin, dass es sich um einen Mörserangriff handelte. Die Heckflossen und die Anzahl von Lüftungsöffnungen zeigten deutliche Ähnlichkeiten mit anderen Mörsermunitions-Produkten der Waffenfirma Rheinmetall. Die südafrikanische „Rheinmetall Denel Munition“, Tochtergesellschaft der „Rheinmetall Waffe Munition GmbH“, hatte 2013 Mörser im Wert von 50 Millionen Euro an die Vereinigten Arabischen Emirate geliefert. Zum Zeitpunkt des Angriffs waren Bodeneinheiten der von den Vereinigten Arabischen Emiraten und Saudi-Arabien geführten Koalition in die Stadt vorgerückt. Nach Medieninformationen liegen der Bundesregierung derzeit mehrere Ausfuhranträge für Rüstungsgüter nach Saudi-Arabien vor.


N ACHRICHTEN

Abschied von Uri Avnery

Urananreicherung: Kein Ausstieg

Killerroboter: Keine Einigung

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n der Nacht vom 19. auf den 20. August 2018 starb der israelische Friedensaktivist Uri Avnery im Alter von 94 Jahren. Seit 1948 setzte er sich unermüdlich für den Frieden zwischen Israel und Palästina ein. Er wurde als Helmut Ostermann in Deutschland geboren und floh 1933 als Kind mit seinen Eltern nach Palästina. Zunächst trat er der nationalistischen Miliz Irgun bei und kämpfte in der israelischen Armee. Er schrieb das Kriegstagebuch „In den Feldern der Philister“ und wurde zu einem überzeugten Verfechter einer Zweistaatenlösung mit Jerusalem als gemeinsamer Hauptstadt. Ab 1950 gab er 40 Jahre lang die liberale Wochenzeitung Haolam Hazeh heraus. Avnery war zudem von 1965 bis 1973 und von 1979 bis 1981 Abgeordneter in der Knesset für kleine – heute nicht mehr existente – linke Parteien. 1992 gründete er mit Freunden die israelische Friedensorganisation Gush Shalom. Mit einer Vielzahl von Büchern und Schriften beeinflusste er die öffentliche Debatte in Israel. Er traf den Palästinenserführer Jassir Arafat 1982 mitten im Bürgerkrieg und hatte Kontakt zur PLO-Führung. Während der zweiten Intifada 2003 stellte er sich Arafat im Präsidentenpalast in Ramallah als menschlicher Schutzschild zur Verfügung und löste damit viel Kritik aus bis hin zu Angriffen auf sein Leben. Die IPPNW war Uri Avnery freundschaftlich verbunden. Viele seiner Artikel erschienen in Übersetzung in diesem Magazin.

Jahre nach der Inbetriebnahme der bundesweit einzigen Urananreicherungsanlage (UAA) in Gronau hat in Essen erstmalig ein Gespräch zwischen RWE, dem Geschäftsführer von URENCO Deutschland und Anti-Atomkraft-Initiativen sowie Umweltverbänden stattgefunden. Für die IPPNW nahm Dr. Angelika Claußen, Vorsitzende IPPNW Europa teil. In scharfer Form kritisierten die Verbände und Initiativen, dass die RWE-Spitze am unbefristeten Weiterbetrieb der umstrittenen Uranfabrik in Gronau festhält. Es gibt Befürchtungen, dass das USAtomwaffenprogramm zukünftig durch Lieferungen aus den zivilen Uranfabriken der URENCO unterstützt werden könnte. Vertragsvereinbarungen zwischen dem URENCO-Konzern und der US-amerikanischen Tennessee-Valley-Behörde nach, soll URENCO künftig angereichertes Uran für den Betrieb von Atomreaktoren liefern. Diese Reaktoren wiederum produzieren Tritium für das US-Atomwaffenprogramm. Tritium wird für den Sprengkörper bei Atomwaffen eingesetzt. Die Vertreter von RWE und URENCO Gronau reagierten mit angeblichem Nichtwissen. Bezüglich der Einhaltung von internationalen Kontrollverträgen (Atomwaffensperrvertrag und Vertrag von Almelo) verwiesen RWE und URENCO auf die Verantwortung der Politik und der Atomaufsichtsbehörden. „Ein solches Maß an systematischer Verantwortungslosigkeit auf der Seite von RWE entsetzt mich“, so Dr. Claußen nach dem Treffen.

ie UN-Verhandlungen über tödliche autonome Waffensysteme sind Ende August 2018 ohne offizielles Abschlusspapier zu Ende gegangen. Eine Mehrheit der Teilnehmer*innen hatte sich zwar für Verhandlungen über eine neue internationale Gesetzgebung ausgesprochen, eine kleine Gruppe von Rüstungsmächten war aber dagegen. „Tödliche autonome Waffensysteme“ können Ziele ohne menschliches Zutun identifizieren, angreifen und eliminieren. Die immensen Fortschritte auf dem Feld der künstlichen Intelligenz und der Algorithmen bilden die Basis für die Killerroboter. Es kann sich um unbemannte Drohnen handeln, aber auch um Schiffe, Panzer, Raketenwerfer und andere Waffen. Rüstungsexperten von Human Rights Watch gehen davon aus, „dass die USA, Großbritannien, China, Israel, Russland und Südkorea Waffensysteme entwickeln, die in zunehmenden Maße autonom sind“. Die „Campaign to Stop Killer Robots“ listet 26 Staaten auf, die sich innerhalb der UN für ein Verbot der Killerroboter einsetzen, darunter Österreich und Belgien. Laut der Kampagne gehört Deutschland zu den Bremsern. „Deutschland will zusammen mit Frankreich durch unverbindliche, politische Erklärungen autonome Waffen regulieren. Sie haben gleichzeitig ein hohes Interesse an künstlicher Intelligenz und an Waffen mit autonomen Fähigkeiten, dafür setzen sie umfassende finanzielle Ressourcen ein“, kritisiert Thomas Küchenmeister von der „Campaign to Stop Killer Robots“.

Mehr unter: www.uri-avnery.de Mehr unter: urantransport.de 7

Mehr unter: www.stopkillerrobots.org


FRIEDEN

Schließt Ramstein, öffnet eure Herzen! Protestwoche gegen eine Drehscheibe der globalen Kriegsführung

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om 23. bis 30. Juni 2018 fand erneut eine Aktionswoche in der Region statt, die außerhalb der USA die größte Konzentration von US-Truppen aufweist. Zehntausende Armee-Angehörige sind auf mehreren Luftwaffenstützpunkten und Unterstützungseinrichtungen stationiert. Diese „Military Community“ drückt der Region ihren unübersehbaren Stempel auf und ist ein nicht unbedeutender Wirtschaftsfaktor in der sonst überwiegend agrarisch geprägten Pfalz. Zentral in diesem pfälzischen US-Stützpunktsystem ist die Air Base Ramstein, Drehkreuz für den Transport von Kriegsmaterial und Truppen in die Einsatzregionen Nordafrikas und des Nahen und Mittleren Ostens. In den letzten Jahren ist eine weitere Funktion hinzugekommen: Die Air Base dient, in Verbindung mit einem entsprechenden Satellitensystem, als unentbehrliche Relais-Station für die Steuerung der Drohneneinsätze zum Beispiel in Pakistan, Afghanistan, auf der arabischen Halbinsel und in Afrika – die tödliche Einsatzsteuerung wird von Zentralen in den USA übermittelt.

Ein weiteres Element der Aktionswoche war das Wohnwagen- und Zeltlager auf der grünen Wiese in der Nähe, das Raum für Aktionsberatungen und kulturelle Ereignisse bot. Die Eindrücke dort vermittelten mit zum Teil farbenfrohen Outfits auch Anklänge an die frühere Hippie-Kultur – ein sympathisches Ambiente. Am Abschlusstag zogen wir dann in insgesamt drei Zügen zur Air Base. Ich beteiligte mich an einer Blockadeaktion von etwa 300 Demonstrant*innen am Haupttor der Air Base, die von der Polizei parallel zur Abschlusskundgebung und nach vorherigen Absprachen auch hingenommen wurde. Nach Ende der angemeldeten Demonstration forderte die Polizei uns zur Räumung der Zufahrtsstraße auf, was dann auch ohne gewaltsame Eskalation stattfand – es war wesentlich eine symbolische Demonstration von Widerständigkeit.

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on den Reden bei den Auftakt- und Schlusskundgebungen will ich hier nur drei Beiträge erwähnen: Peter Becker, langjähriger Vorsitzender der Juristinnen und Juristen gegen atomare, biologische und chemische Waffen (IALANA), wies bei der Auftaktkundgebung auf den völkerrechtswidrigen Charakter des von Ramstein aus geführten Drohnenkrieges hin, und kündigte eine juristische Initiative gegen dieses mörderische Handeln an. Sarah Wagenknecht ging auf die wesentliche Funktion der Air Base für die völkerrechtswidrigen US-Kriege in Afghanistan und Irak ein, und warnte vor einem nächsten Angriffskrieg gegen den Iran – deshalb müsse die Air Base geschlossen werden. Zum Abschluss sprach Eugen Drewermann mit leidenschaftlicher Empörung über die Verbrechen, die via dieser Basis verübt werden, aber auch über die Empfindungslosigkeit von Politikerinnen wie Merkel und Von der Leyen, die deutsche Kriegsbeteiligung und Drohnenbewaffnung vorantreiben. Er zitierte Friedrich Dürrenmatt aus seinem Stück „Die Physiker“ mit dem Satz: „Wenn die Welt verrückt spielt, muss die Intelligenz sich verweigern, mitzumachen“. Drewermanns Schlusssatz: „Schließt Ramstein, öffnet eure Herzen.“

Die Aktionswoche in der Region war eine ergiebige Gelegenheit für die internationale Vernetzung und den Austausch über Landesgrenzen hinweg. Beim Treffen der Initiativen gegen ausländische Militärstützpunkte kamen Vertreter*innen aus den USA, Großbritannien, Irland, Frankreich, Italien, Griechenland, den Niederlanden, Spanien und Süd-Korea mit uns deutschen Aktiven zusammen, tauschten Erfahrungen aus und verabschiedeten eine gemeinsame Resolution mit der Forderung: „Die Kriege stoppen, nicht die Flüchtlinge!“ Beeindruckend für mich die radikale Kritik der US-amerikanischen Mitstreiter*innen am imperialen Militarismus ihrer Regierung, eine Position, die uns hierzulande sonst kaum zugänglich gemacht wird.

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ine große Versammlung in der Kaiserslauterner Versöhnungskirche gab dem Journalisten Ekkehard Sieker Gelegenheit, über die gezielten Desinformationsstrategien zu berichten, denen wir tagtäglich ausgesetzt sind, im Dienste einer „Information Warfare“, für welche die EU eine eigene Task Force eingerichtet hat – in Kooperation mit parallelen NATO-Gremien. „Die Denkentwöhnung ist entscheidend“ für den Erfolg solcher Bemühungen, die „postfaktische Konsensbildung“. Bezeichnend, dass ein solch kritischer Rechercheur wie Sieker sein Betätigungsfeld nun bei der ZDF-„Anstalt“ gefunden hat – eine Sendung, die quasi die Rolle des Narren übernimmt, der als Einziger bei Hofe die Wahrheit aussprechen darf.

Matthias Jochheim ist Psychotherapeut und längjähriges IPPNW-Mitglied. 8


FRIEDEN

Töten per Knopfdruck? Kann eine Beschaffung von Kampfdrohnen für die Bundeswehr noch verhindert werden?

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ach einer sechsjährigen Auseinandersetzung hat die Große Koalition kurz vor der parlamentarischen Sommerpause einen neuen und sehr gefährlichen Schritt in den Drohnenkrieg gemacht. In den Bundestagsausschüssen für Verteidigung und Haushalt bewilligten SPD und Union am 13. Juni 2018 die Unterzeichnung eines 9-jährigen Leasingvertrages für fünf bewaffnungsfähige israelische Drohnen des Typs Heron TP für 1,2 Milliarden Euro. DIE LINKE und die Grünen stimmten gegen die Vorlage. FDP und AfD enthielten sich der Stimme. Jedoch steht die Auseinandersetzung über die Bewaffnung von Drohnen für die Bundeswehr noch bevor. Wie im Koalitionsvertrag vom März 2018 festgelegt, darf die Bundeswehr die Heron TPs zunächst nur als Aufklärungsdrohnen einsetzen.

In einem Kompromiss legten Union und SPD im Koalitionsvertrag von 2018 ein Leasing der bewaffnungsfähigen Heron TP Drohnen fest, versprachen aber: „Über die Beschaffung von Bewaffnung wird der Deutsche Bundestag nach ausführlicher völkerrechtlicher, verfassungsrechtlicher und ethischer Würdigung gesondert entscheiden“. Vergeblich argumentierten Kampfdrohnengegner*innen, dass es sinnlos und verschwenderisch wäre, bewaffnungsfähige Drohnen anzuschaffen, bevor die vorgesehene parlamentarische Debatte über die grundsätzliche Frage der Bewaffnung stattgefunden habe. Nichtsdestotrotz ist der bisherige Widerstand in Deutschland gegen eine Kampfdrohnen-Beschaffung im Vergleich mit anderen europäischen Ländern bemerkenswert. In den letzten zwölf Jahren haben Großbritannien, Italien, Frankreich, Spanien, Holland und Belgien bewaffnungsfähige bzw. bewaffnete US-Drohnen weitgehend ohne öffentliche Debatten bestellt.

Seit fast zehn Jahren gibt es eine internationale Debatte über den Einsatz von bewaffneten Drohnen. Schon zur Amtszeit von Präsident Clinton experimentierte die CIA heimlich mit der Bewaffnung von Drohnen für die „Terrorbekämpfung“. Ab 2001 setzte die USA Kampfdrohnen in Afghanistan und danach in weiteren Ländern ein. Das US-Drohnenprogramm blieb lange weitgehend geheim und wurde erst 2009 durch den zivilen Ungehorsam einer kleinen Gruppe von US-Pazifist*innen an die Öffentlichkeit gebracht. Schon 2010 kritisierte der Sonderberichterstatter der UNO die „gezielten“ Tötungen der USA durch Drohnen. Vor diesem Hintergrund gab es in Deutschland nach Ankündigung der Drohnenkrieg-Ambitionen des Verteidigungsministeriums 2012 auch in den Leitmedien eine kritische Debatte. Darauf aufbauend haben die DFG-VK und etwa 150 weitere Organisationen, darunter die IPPNW, im März 2013 das Netzwerk „Drohnen-Kampagne“ gegründet und den Appell „Keine Kampfdrohnen!“ unterstützt. DIE LINKE und die Grünen sowie einige bekannte SPD-Persönlichkeiten haben den Appell damals mitunterzeichnet.

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udem ist die Anordnung einer ethischen und rechtlichen Prüfung des neuen Waffensystems durch die regierenden Parteien in Deutschland unter den NATO-Mitgliedstaaten ohnegleichen. Sie böte die Möglichkeit für eine dringend notwendige internationale Expertenanhörung und eine gesellschaftliche Debatte zum Einsatz von Kampfdrohnen. Es besteht jedoch die Gefahr, dass das Verteidigungsministerium einen Anlass findet, um die Bewaffnung schnell durchzudrücken und „die Würdigung“ dementsprechend als oberflächliches Durchwinken gestaltet wird. Um dieser Gefahr entgegen zu wirken, müssen wir unsere Ablehnung gegen die Bewaffnung der Drohnen weiterhin durch Veranstaltungen und Aktionen aktiv in die Öffentlichkeit tragen und die Lobbyarbeit fortsetzen. Für die neue Situation sind neue Anregungen in der Friedensbewegung nötig. Weitere Informationen: drohnen-kampagne.de

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n mehreren SPD-Orts- und Landesverbänden wurde das neue Waffensystem scharf kritisiert. Die SPD-Führung positionierte sich zwar im Wahlkampf 2013 gegen Kampfdrohnen, führende SPD-Verteidigungspolitiker*innen unterstützten jedoch spätestens ab 2016 das Projekt einer „Euro-Drohne“ und die Einführung der Heron TP Drohnen als „Übergangslösung“. Nach einer intensiven Lobby-Kampagne der Friedensbewegung lehnte die SPDFraktion im Juni 2017 die Unterzeichnung eines Leasingvertrages für die Heron TP Drohnen überraschend ab mit der Begründung, dass die Munition und die dazu gehörenden Trainingsmaßnahmen für die Bundeswehr schon mitgekauft werden sollten.

Protest gegen den Kampfdrohnen-Beschluss im Juni 2018: https://youtu.be/oTtV1_TsDOQ

Elsa Rassbach ist Vertreterin der USFriedensorganisation CODEPINK und Mitbegründerin der deutschen DrohnenKampagne. 9


FRIEDEN

Aufrüsten statt Zukunftsprobleme lösen? Das sogenannte Zwei Prozent-Ziel der NATO führt in die falsche Richtung

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Generalsekretär Jens Stoltenberg und einige östliche NATO-Länder. Dies sei nötig, weil es mehr Bedrohungen gebe. Wer nicht aufrüstet, kann keinen Krieg überstehen, führen und gewinnen. Wer aufrüstet, will sich mindestens militärische Optionen offen halten. Dabei wird vor allem Russland genannt, das jedoch seine Rüstungsausgaben von 2016 auf 2017 um 20 Prozent gesenkt hat auf 66 Milliarden US Dollar (zum Vergleich: Deutschland gibt 43 Milliarden US Dollar aus, die USA 610 Milliarden US Dollar).

ls vor vier Jahren der Beginn des Ersten Weltkriegs im Fokus stand, wurde deutlich, wie in der Zeit zuvor eine Aufrüstungswelle die damaligen Länder durchzog, was sie schließlich in einen Krieg führte, der sich später als Weltkrieg herausstellte. 20 Millionen Tote, die Hälfte davon Zivilisten, wurden am Ende des Krieges gezählt. Am 11. November (Fest des Heiligen Martinus) 2018 ist es 100 Jahre her, dass mit dem Waffenstillstand von Compiègne dieser Krieg zu Ende ging. Aus heutiger Sicht sehen wir auch, wie aus dem Ersten Weltkrieg spätere Kriege, etwa im Nahen Osten, und Nationalismen, etwa in Europa, genährt wurden und werden.

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er Gruppendruck verhindert den Blick auf das, was durch 1989 bereits erreicht worden war. Damals bewegten sich die Staaten aufeinander zu und überlegten, zu einer gemeinsamen Sicherheit beizutragen, die niemanden ausschließt. Wie schnell hat das wiedervereinigte Deutschland vergessen, dass es auch von Russland etwas empfangen hat. Russland werden Völkerrechtsverstöße vorgeworfen und damit ein „Feindbild Russland“ konstruiert. Eigene Beteiligungen an Völkerrechtsverstößen werden tabuisiert.

Die Begeisterung aufs Militär zu setzen, verbrämt als notwendig und vernünftig beschrieben, durchzog nahezu alle Kommentare, Berichte und Interviews rund um den NATO-Gipfel im Juli in Brüssel. So kommentierte die Tagesschau: „Wahr ist allerdings auch, dass der US-Präsident in einem Punkt gar nicht so verkehrt liegt: Die Lasten im Bündnis sind unfair verteilt, und die Europäer haben sich in militärischen Dingen zu lange einen schlanken Fuß gemacht.“ In der Stuttgarter Zeitung war zu lesen: „Deutschland ist allerdings gut beraten, mehr für Verteidigung auszugeben und nicht erst 2024 bei 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu landen. Nicht, um den America-first-Politiker im Weißen Haus endlich ruhig zu stellen. Aber Deutschland sollte sich aus eigener Überzeugung die Sicherheit seiner Bürger mehr kosten lassen.“ So wird für die Aufrüstung Deutschlands getrommelt und der Gruppendruck zur Aufrüstung, der in der NATO herrscht, übernommen. Alternative Einschätzungen dazu, wie sie z. B. auf den Nachdenkseiten zu lesen sind, sind stärker zu verbreiten.

Der neue eindimensionale Blick auf die Steigerung der Militärausgaben verhindert auch, dass überlegt wird, wie die Staaten zum Weltgemeinwohl beitragen könnten und zu mehr Gerechtigkeit auf der Welt. Die Bundesregierung als reiches Industrieland muss diesen Gedanken stärken und dafür Mittel bereitstellen, damit globale Aufgaben wie Migration und Erhalt der Schöpfung angegangen werden können. Das sogenannte NATO-Ziel von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Rüstung ist nicht verpflichtend. Rechtlich bindend ist nur der NATO-Vertrag von 1949. Darin ist der Beitrag, den ein Land im Falle eines bewaffneten Angriffs auf einen Mitgliedsstaat zu leisten bereit ist, in das Ermessen des jeweiligen

Mehr Waffen, mehr Soldaten, vor allem aber mehr nationale Ausgaben fordern also nicht nur US-Präsident Donald Trump, NATO10


Aktiv werden

Mit der Unterschriftenaktion „Mehr fürs Militär? – Nicht mit uns!“ setzen Sie sich mit pax christi und befreundeten Friedensorganisationen, u. a. der IPPNW, gegen eine Erhöhung des Verteidigungshaushaltes ein. Unterschreiben Sie unter: www.openpetition.de/petition/online/mehr-fuers-militaer-nicht-mit-uns Foto: Bremer Friedensforum

Manche Militärstrategen zeichnen ein defizitäres Bild der Bundeswehr, Panzer kaputt, Hubschrauber am Boden, Kleidung zerschlissen etc. In diese Richtung zielt auch Bundeskanzlerin Angela Merkel mit ihrer Bemerkung, es gehe um Ausrüstung und nicht um Aufrüstung. Doch zu einer guten Haushaltsführung gehört, dass man mit vorhandenem Geld umsichtig plant, umschichtet und sich am gegebenen Finanzrahmen orientiert. So kritisierte der Bundesrechnungshof verschiedene Maßnahmen des Verteidigungsministeriums, etwa die ungenaue Beschaffung von ITSystemen auf Fregatten, die zu einer Verteuerung pro Schiff von 6 auf 30 Millionen Euro führt. Gibt es mehr Geld für die Bundeswehr, ist anzunehmen, dass solche Fälle zunehmen werden.

Landes gestellt. Jedes Mitgliedsland kann seinen militärischen Beitrag selber bestimmen. Ein bestimmter Prozentsatz vom Bruttosozialprodukt ist nicht vorgeschrieben. (Anders ist der Vertrag der „Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit“ PESCO von 23 EU-Mitgliedsstaaten aufgebaut. Er sieht als eine der Teilnahmebedingungen die regelmäßige Erhöhung der Verteidigungsausgaben vor.) Das auf dem NATO-Gipfel in Wales 2014 entstandene, sogenannte NATO-Ziel von zwei Prozent bedeutet keine bindende Verpflichtung für die NATO-Mitgliedstaaten, wie es auch beim Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages vom 21. März 2017 nachzulesen ist: „Der NATO-Summit in Wales stellte nach Auffassung von Jan Techau, Direktor des Richard C. Holbrooke Forum for the Study of Diplomacy and Governance an der American Academy in Berlin, zwar einen historischen Schritt dar. Dennoch bleibt die auf dem Gipfel gegebene Zwei-Prozent-Zusage eine nicht-bindende Verpflichtung der Mitgliedstaaten. Sie stellt somit ausschließlich eine politische Willensbekundung dar. So spricht Karl-Heinz Kamp, Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, im Zusammenhang mit der Zwei-Prozent-Zielvorgabe von einer ‚hochpolitischen Zahl‘“.

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ie Mehrheit der Menschen will keine Aufrüstung. In den USA waren es nach einer Gallup-Umfrage vom Februar dieses Jahres 65 Prozent der Bürgerinnen und Bürger, die keine weiteren Rüstungsausgaben wollen. Geld, das fürs Militär ausgegeben wird, fehlt an anderer Stelle. Besser investiert wäre es in Sozialwohnungen, Entwicklungshilfe, Integrationsprogramme für Benachteiligte oder zivile Konfliktbearbeitung. Höhere Rüstungsausgaben verhindern die Lösung der Zukunftsprobleme, statt dazu beizutragen.

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m selben Dokument ist auch der Weg beschrieben, wie es zum Zwei-Prozent-Ziel kam. Erstmals wurde eine solche Vereinbarung auf dem NATO-Gipfel 2002 in Prag für Beitrittskandidaten geschlossen. „Diese Vorgabe für die Beitrittskandidaten nahm insbesondere die US-Administration zum Anlass, im Vorfeld des Prager Gipfels am 21./22. November 2002 darauf hinzuwirken, dass dieses Ziel auch für die Mitgliedstaaten gelten müsse, u. a. um gegenüber den Beitrittskandidaten glaubwürdig zu erscheinen. Der auf dem Prager Gipfel von den Staats- und Regierungschefs der NATO-Mitgliedstaaten beschlossene Zwei-ProzentRichtwert implizierte allerdings keine rechtliche Verpflichtung.“

Wiltrud RöschMetzler arbeitet als freie Journalistin in Stuttgart und ist pax christiBundesvorsitzende. 11


ATOMWAFFEN

Atomwaffenverbot und nukleare Teilhabe Die IPPNW- und ICAN-Aktionswoche am Atomwaffenstützpunkt Büchel im Juni 2018

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uch nachdem vor einem Jahr in den Vereinten Nationen das Atomwaffenverbot beschlossen wurde, hält die Bundesregierung weiterhin an den völkerrechtswidrig in Büchel stationierten Atomwaffen fest und verweigert den Beitritt zum Verbotsvertrag.

Während es seit der Ächtung von Chemiewaffen, die schließlich zu deren Verbot geführt hat, undenkbar ist, mit Chemiewaffen zu prahlen, ist dies bei Atomwaffen, den zerstörerischsten aller Massenvernichtungswaffen, immer noch an der Tagesordnung. Neben der Stigmatisierung von Atomwaffen sind die aktuellen ICAN-Schwerpunkte das Inkrafttretenlassen des Verbotsvertrags durch die Ratifikation von 50 Staaten, die Gewinnung von 100 Unterzeichner-Staaten und die Vorbereitung des ersten Treffens der Vertragsparteien. Susi Snyder betonte die entscheidende Rolle von lokalen Akteuren wie uns in Deutschland, die jetzt vor der Aufgabe stehen, ihre Regierungen zur Unterschrift und zur Ratifikation zur bewegen.

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a die Regierungen der NATO-Mitgliedsstaaten, insbesondere von Ländern wie Deutschland, die NATO Atomwaffen auf ihrem Staatsgebiet beherbergen, besonders schwierig vom Atomwaffenverbot zu überzeugen sind, lag der Schwerpunkt des Symposiums auf dem Thema „Atomwaffenverbot und nukleare Teilhabe“. Deutschland kann dem Atomwaffenverbot nur beitreten, wenn es die Atomwaffen aus Büchel abziehen lässt. Die Stationierung von Atomwaffen in Deutschland ist aber nicht erst unter dem Atomwaffenverbot völkerrechtswidrig. Auch der Atomwaffensperrvertrag von 1970, in dem Deutschland als Nicht-Atomwaffenstaat Mitglied ist, besagt in Artikel 2: „Jeder Nichtkernwaffenstaat, der Vertragspartei ist, verpflichtet sich, Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper oder die Verfügungsgewalt darüber von niemandem unmittelbar oder mittelbar anzunehmen, Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper weder herzustellen noch

Gemeinsam mit ICAN wollten wir mit der diesjährigen Aktionswoche in Büchel Öffentlichkeit für die deutsche Verweigerungshaltung schaffen, die im krassen Gegensatz zu den zahlreichen Erklärungen der Regierung steht, eine Vorreiterrolle bei der atomaren Abrüstung spielen zu wollen. Das entscheidende Element der ICAN-Strategie ist die öffentliche Stigmatisierung des Unrechts, erklärte Susi Snyder von der Internationalen ICAN Steuerungsgruppe auf dem öffentlichen Symposium zum Auftakt der Aktionswoche. Sie sagte, dass wir jede Gelegenheit nutzen müssen, um die gesellschaftliche Norm zu festigen, dass Atomwaffen absolut inakzeptabel sind. Es gibt keine Entschuldigung und keine Rechtfertigung für Waffen, die entwickelt wurden, um ganze Städte zu zerstören und Hunderttausende Menschen zu töten. 12


Bomben teurer als Repliken aus reinem Gold. All das geschieht für eine Waffe, die mit alternden Flugzeugen aus den 1980erJahren ins Ziel gesteuert werden soll. Die Flugstunden der deutschen Tornado-Jets werden mittlerweile auf einen Mindestumlauf reduziert – jede Flugstunde darüber hinaus würde die Flugzeuge näher an ihre Ausmusterung bringen. Dazu kommen militärische Probleme: Es ist unzeitgemäß, Atomwaffen per Flugzeug einzusetzen. Erstens sind Flugzeuge im Gegensatz zu Interkontinentalraketen und Marschflugkörpern einem weitaus größeren Risiko ausgesetzt, kurzerhand abgeschossen zu werden. Zweitens können Tornados mit ihrem Einsatzradius von unter 1.500 Kilometern kaum EU-Territorium verlassen und so nur uns bombardieren. Eine Luftbetankung auf dem Weg zu einem weiter entfernten Ziel scheidet in einem von gegnerischen Flugzeugen bedrohtem Luftraum ebenfalls aus. Schließlich erschließt sich nicht, weshalb die USA nicht ihre eigenen Interkontinentalraketen aus Silos im mittleren Westen oder von ihren alle Weltmeere befahrenden UBooten verwenden würden. Diese erreichen ihre Ziele schneller, sicherer und ohne möglicherweise unzuverlässige Partner der Luftwaffe zu bemühen.

sonst wie zu erwerben und keine Unterstützung zur Herstellung von Kernwaffen oder sonstigen Kernsprengkörpern zu suchen oder anzunehmen.“

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eo Hoffmann-Axthelm Gründungsmitglied von ICAN Deutschland, der derzeit für ICAN in Brüssel Lobbyarbeit leistet, erklärte, weshalb das aus politischen Kreisen immer wieder gehörte Argument, das Atomwaffenverbot würde die NATO insgesamt infrage stellen, nicht zutreffend ist. Im Gegensatz zum strategischen Konzept der NATO, welches nur politischen Charakter hat und nicht rechtsverbindlich ist, verliert der NATO-Gründungsvertrag, der rechtlich bindend ist, kein Wort über Atomwaffen. Das aktuelle strategische Konzept der NATO mag sie zur nuklearen Allianz machen, „solange Atomwaffen existieren“. Gleichzeitig verpflichtet es alle Mitgliedsstaaten dazu, „die Bedingungen für eine Welt ohne Kernwaffen zu schaffen“. Die NATO ist eine flexible Allianz, die stets auf die Wünsche ihrer Mitglieder eingehen konnte. Atomar bewaffnete und atomwaffenfreie Mitglieder haben sich das Recht vorbehalten, nationale Festlegungen zu machen, die ihre Beteiligung an der Atomwaffenpolitik der NATO begrenzen. Beispiele hierfür sind:

Selbst für Abschreckungsjünger sei der Sinn dieser Atomwaffen kaum nachvollziehbar und militärisch seien sie noch nutzloser als normale Atomwaffen, falls das überhaupt möglich ist.

»» Die Stationierung von Atomwaffen ist in Dänemark, Island, Litauen, Norwegen und Spanien verboten. Der Transit von atomwaffenfähigen Schiffen ist in den Häfen von Island, Dänemark und Norwegen eingeschränkt. »» Frankreich beteiligt sich nicht an der Nuklearplanung der Allianz.

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n der anschließenden Diskussion wurde aus dem Publikum kritisch hinterfragt, warum ICAN sich nicht klarer von der NATO distanziere. Die Referenten antworteten, dass wir nur eine Chance hätten, die Atomwaffenpolitik der NATO Länder zu beeinflussen, wenn wir nicht ihre größte Angst schüren, dass sie durch die Aufgabe der Atomwaffen auch ihre Bündnispartner verlieren.

Hoffmann-Axthelm nannte drei Hauptgründe, die für das Festhalten an der nuklearen Teilhabe angeführt werden: Erstens habe Russland noch 2.000 „taktische“ Atomwaffen, und man solle nur als Quidproquo abrüsten. Aber Russland hat sie, im Gegensatz zu den USA (oder zur NATO), nicht in Drittländern stationiert. Und wir sollten uns, wenn es um die für unsere Sicherheit so wichtige Abrüstung geht, nicht von Russland abhängig machen; abgesehen davon, dass die hiesigen Atomwaffen Rheinland-Pfalz zur Zielscheibe machen.

Nach dem Mittagessen im Camp begann eine theatralische Inszenierung vor dem Haupttor des Fliegerhorstes. Eine „Breaking News“ machte die Runde, dass UN-Inspekteure des Atomwaffenverbots illegale Atomwaffen auf dem Militärstützpunkt entdeckt hätten. Als amerikanische Reporterin verkleidet, interviewte ich die Inspekteure und kreischte hysterisch: „Mr. Trump–please save us!“ Ein Aktivist mit der Maske von US-Präsident Donald Trump und auch die Darstellerin von Bundeskanzlerin Angela Merkel versuchten zu beschwichtigen. Beruhigen ließ ich mich jedoch erst durch die Ankunft der Aktivist*innen, die auch in diesem Jahr wieder mit einer wachsenden Anzahl, vor allem auch junger Menschen, eine ganze Woche lang kreativen Protest und zivilen Ungehorsam gegen den tödlichen Wahnsinn und für die Einhaltung des Völkerrechts geleistet haben. Gemeinsam sangen wir zum Abschluss den Büchel-Song „Raus aus Büchel, packt die Bomben ein ...“

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weitens sei Deutschland unter Außenminister Westerwelle bereits daran gescheitert, den Abzug zu erwirken – übrigens nachdem dies in der Koalitionsvereinbarung von 2009 sowie in einem Bundestagsbeschluss von 2010 beschlossen worden war und man wolle sich nicht noch mal „blamieren“. Drittens würden wir nur durch die nukleare Teilhabe einen „Platz am Tisch“ haben, wenn in der NATO über Nuklearstrategie und -einsätze debattiert wird. Doch der Platz am Tisch reicht weder dazu aus, eine Mitsprache über den Abzug zu haben, noch die Rhetorik gegenüber Russland von Atomwaffen freizuhalten. Auch ohne in der NATO Nuclear Planning Group (NPG) teilzunehmen, könnte Deutschland verhindern, dass der US-amerikanische Nuclear Posture Review seinen Weg in ein neues strategisches Konzept der NATO findet, da dieses per Konsens geschieht. Die Atomwaffen in Büchel sollen ab 2020 durch die neue B61 Mod-12 ersetzt werden. Damit sind sie keine stupiden Gravitationsbomben mehr, sondern können präzise ins Ziel gelenkt werden. Mit mindestens 10 Milliarden Dollar werden die neuen

Dr. Inga Blum ist Mitglied des Vorstandes der IPPNW und seit Jahren aktiv gegen Atomwaffen. 13


ATOMENERGIE

Belgische Rissereaktoren brandgefährlich Die Stellungnahme der Reaktorsicherheitskommission (RSK) ist für eine Entwarnung ungeeignet

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ie Reaktoren Doel 3 und Tihange 2 in Belgien seien trotz nachgewiesenen, tausenden Rissen weitgehend unbedenklich – so urteilt ein Gutachten der deutschen Reaktorsicherheitskommission RSK.

Denn das ist das Dilemma, in dem sich die belgische Atomaufsichtsbehörde und der Betreiber befinden: Wären die tausend Risse schon bei der Herstellung vorhanden gewesen, dann hätte dem AKW keine Betriebsgenehmigung erteilt werden dürfen. Sind die Risse erst während des Reaktorbetriebs entstanden, dann muss das AKW (sofort) einstweilig stillgelegt werden.

In ihrem 19-seitigen Bericht zu den Meilern heißt es, es sei „plausibel“, dass die Risse bei der Herstellung entstanden seien, und es sei nicht erkennbar, dass die Risse durch den Betrieb der Reaktoren zugenommen hätten. Für den Fall von erhöhtem Innendruck gebe es „ausreichende Reserven“ gegen einen Kollaps.

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olange also der Sicherheitsnachweis für den Reaktordruckbehälter nicht erbracht ist, so das Urteil der INRAG-Experten, darf der Reaktor nicht betrieben werden. Daher müsse Tihange 2 (und in der Folge auch Doel 3, das die gleichen Probleme hat – Anm. der Autorin) nach dem jetzigen bekannten Stand der Untersuchungen einstweilig stillgelegt werden.

Der RSK-Bericht stellt eine Reaktion auf das Urteil unabhängiger Nuklearexperten dar, die im internationalen Forschungsnetzwerk INRAG zusammen arbeiten. Zu ihm zählen Chemiker wie der Nobelpreiskandidat Digby Macdonald, die Materialexpertin Ilse Tweer und Gregory Jaczko, der bis 2012 für vier Jahre oberster Chef der US-Atomaufsicht war, und Wolfgang Renneberg, Leiter der Atomaufsicht in der rot-grünen Bundesregierung (1998–2005).

Nach den Pressemeldungen zum neuen quasi „Unbedenklichkeits“-Gutachten der RSK schlugen die Wellen hoch. Zwei weitere Atomexperten meldeten sich zu Wort: Dieter Majer, Ingenieur und ehemalig Technikexperte aus der Atomaufsicht des Bundesumweltministeriums urteilte, „dass diese RSK-Stellungnahme nicht geeignet ist, nachzuweisen, dass die Anlagen Doel 3/Tihange 2 insgesamt die erforderliche Sicherheit für einen Weiterbetrieb erfüllen.“

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ie Städteregion Aachen hatte die Forscher und Experten im April 2018 zu einer Tagung zur Bewertung des Sicherheitsrisikos für Tihange 2 eingeladen. Die Experten kamen zu dem eindeutigen Urteil, dass der Betrieb des Atomkraftwerks Tihange 2 international anerkannten Bewertungsmaßstäben für die Sicherheit von Atomkraftwerken widerspricht. Der Reaktor hätte mit den jetzt entdeckten Rissen am Reaktordruckbehälter bereits im Jahre 1983 nicht in Betrieb gehen dürfen, sofern diese Risse bereits bei der Herstellung vorhanden waren, wie von Betreiber und Aufsichtsbehörde unterstellt wird.

Gerrit Niehaus, der Chef der Atomaufsicht des Landes, wirft dem Vorsitzenden der Kommission in einer Mail zudem schwere methodische Fehler vor: „Von einem hochrangigen Expertengremium, das nach seinem Selbstverständnis das Bundesumweltministerium nach dem Stand von Wissenschaft und Technik zur Schadens- und Risikovorsorge berät, ist mehr zu erwarten, als 14


Was können wir Ärzt*innen und wir atomkritischen Menschen in dieser Situation tun? »» Eigene Erfolge wahrnehmen! Es ist uns erstmalig gelungen, die Interessenskonflikte in den Medien deutlich zu machen. »» Die europäische Dimension der großen Atomkonzerne deutlich machen, hier mit dem starken Einfluss der französischen Staatskonzerne EDF – Areva – Framatome. Diese spielen auch bei unserer Stilllegungsforderung für Fessenheim und Cattenom eine wesentliche Rolle. »» Die Rolle des Euratom-Vertrags deutlich machen, den Ausstieg aus Euratom fordern! Denn Euratom macht Staatsbeihilfen wie bei der Finanzierung von Hinkley Point erst möglich. Euratom spielte in der Begründung des Europäischen Gerichtshofs für die Subventionen von Hinkley eine herausragende Rolle. »» Hartnäckig weiter protestieren! Framatome in Lingen ist nervös geworden, man hat Angst, dass der Druck der AntiAtom-Initiativen auf das Bundesumweltministerium hinsichtlich eines Aus für die Brennelementefabrik wirken könnte, wie ein Artikel in der Süddeutschen („Druck auf Reaktor“) aufzeigte. Aktuelle Termine zu Mahnwachen und Protesten unter: www.sofa-ms.de Foto: GuenterHH/ creativecommons.org/licenses/by-nd/2.0

eine ingenieurtechnische Abarbeitung vorgelegter Untersuchungen.“ Er kommt zu dem Schluss, dass „das Risiko eines kata­ strophalen Unfalls nicht mit der Sicherheit ausgeschlossen ist, die Recht und Gesetz verlangen“.

lian im Fachausschuss mitdiskutiert und der RSK-Stellungnahme zugestimmt. Dies bestätigt auch das BMU. In der an der Stellungnahme beteiligten Gesamt-RSK sitzen mit Uwe Stoll und Ulrich Waas zwei weitere langjährige Mitarbeiter von Framatome bzw. der Vorgängerfirma Areva, welche die belgischen AKW baute und die Atomstandorte Erlangen und Lingen bis zur Übernahme durch EDF Anfang 2018 betrieb.

Was sind die Ursachen für diese eklatante Fehleinschätzung in der RSK? Unserem Bündnis aus zahlreichen Antiatomgruppen zur Stilllegung der beiden verbliebenen deutschen Uranfabriken in Gronau und Lingen sowie zur Stilllegung von Doel und Tihange gelang es, die Befangenheit und die Interessenskonflikte der Mitglieder der RSK nachzuweisen und in die Medien zu bringen.

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inen deutlichen Hinweis auf Interessenskonflikte zeigen auch der Vorsitzende der RSK Rudolf Wieland, der bis März 2017 beim TÜV Nord angestellt war sowie Thomas Rickert, der nach wie vor für den TÜV Nord arbeitet. Der TÜV Nord macht einen Teil seines Umsatzes im Atomenergiegeschäft als Gutachter. Er wirbt unter dem Label „TÜV Nord nuclear“ um internationale Kunden für den AKW-Neubau. Ein Gefälligkeitsgutachten der RSK kommt dieser Geschäftsstrategie sehr entgegen, denn EDF und Engie Electrabel sind große Player der EU im Atomenergie-Geschäft. Unabhängigkeit in der RSK – ein Fremdwort. Die wenigen atomkritischen Mitglieder erfüllen eher eine Feigenblatt-Funktion.

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leich mehrere Mitglieder der RSK und des für die Stellungnahme federführenden Ausschusses „Druckführende Komponenten und Werkstoffe“ (DKW) befinden sich in einem Interessenskonflikt. Neben ihrer RSK-Tätigkeit arbeiten die Personen aktuell für Unternehmen der Atomindustrie oder waren für diese lange Jahre tätig – Unternehmen, die direkt vom Weiterbetrieb der belgischen Meiler bzw. allgemein von aufgeweichten Sicherheitskriterien für AKW profitieren. Insbesondere mehrere Mitarbeiter*innen von EDF/Framatome zählen hierzu. Bis heute liefert Framatome über sein Werk im niedersächsischen Lingen Brennelemente nach Doel und Tihange. Ohne die Aufträge aus Belgien stünde die Framatome-Brennelementefabrik in Lingen wahrscheinlich vor dem Aus. Erst vor zwei Jahren erhielt der Atomkonzern einen millionenschweren Wartungsauftrag für das AKW Doel. Und über den Mutterkonzern EDF ist Framatome sogar Miteigentümer der umstrittenen belgischen Reaktoren. Dennoch haben die EDF-Mitarbeiter Rainer Hardt und Dr. Renate Ki-

Dr. Angelika Claußen ist IPPNW-Präsidentin für Europa. 15


SOZIALE VERANTWORTUNG

Kein sicherer Hafen Die Abschottungspolitik der Bundesregierung

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enschenleben nach ihrer Herkunft zu bewerten ist unmenschlich. Mit großem Erschrecken mussten wir in den letzten Monaten feststellen, dass die Frage, ob man Menschen, die in Seenot sind, retten soll, laut formuliert und öffentlich diskutiert wird. Gerade als Ärzt*innen halten wir die Pflicht zu helfen und unserem Ethos und hippokratischem Eid nachzukommen hoch. Wir behandeln unsere Patient*innen unabhängig von Alter, Geschlecht und Herkunft und leben dies beispielsweise auch in der Versorgung von Menschen ohne Papiere vor.

Aktive Unterstützer*innen von Geflüchteten haben sich jahrelang und schließlich auch erfolgreich für eine dezentrale Unterbringung und gegen die „Katalogversorgung“ bei Ernährung und Körperpflege eingesetzt. Massenunterkünfte, die nachweislich physische und psychische Erkrankungen fördern und oft für Familien und traumatisierte Menschen ein ungeeigneter Lebensort sind, sollen wieder vermehrt eingeführt werden. Geldbeträge, mit denen eigenverantwortlich und selbstbestimmt eingekauft werden kann, sollen zugunsten von Sachleistungen wieder abgeschafft werden.

Die aktuelle Politik der EU und der Bundesregierung zwingt Schutzsuchende dazu, ihr Leben zu riskieren, um Asyl zu beantragen. Es gibt kaum noch Möglichkeiten der legalen Einreise nach Europa oder Deutschland. Durch schmutzige Deals mit anderen Ländern versucht die EU, die Abwehr von Geflüchteten schon weit vor der eigenen Grenze durchzusetzen und motiviert durch die Unterstützung von autoritären Systemen sogar weitere Menschenrechtsverletzungen zum Beispiel in Libyen. Dort werden die Flüchtlinge laut Aussagen von Menschenrechtsorganisationen gefoltert, missbraucht und versklavt. Die aktuelle Verordnung Dublin III, die festlegt, dass die Verantwortlichkeit für Flüchtlingsschutz in dem Land liegt, über das der einzelne Mensch eingereist ist, funktioniert nicht mehr. Eine Einigung über ein alternatives System ist aber leider nicht in Sicht.

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as Asylbewerberleistungsgesetz (das Sozialleistungen für Asylsuchende, „Geduldete“, und „vollziehbar Ausreisepflichtige“ und ihre Familienangehörigen regelt) stellt in vielen Punkten eine unzureichende Versorgung dar. Diese Grundlage soll nach den neuesten Änderungen nun teilweise für bis zu drei Jahre gelten. Damit erhalten Geflüchtete lediglich eine unzureichende Gesundheitsversorgung, es kann zu Leistungskürzungen kommen, die vor allem geduldete Menschen treffen und schließlich ist das Gesetz nicht vereinbar mit der Maßgabe des Bundesverfassungsgerichtes: „Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren.“ Die ab 1. August 2018 neu geltende Regelung für subsidiär Schutzberechtigte (einen Status, den vor allem viele Menschen aus Syrien in den letzten Jahren erhalten haben) schränkt den Familiennachzug auf 1.000 Angehörige pro Monat ein. Dies wird dem Grund- und Menschenrecht auf Familie nicht gerecht. Zudem sollten diese Entscheidungen nicht per Losverfahren getroffen werden, zumal es aktuell noch keinen klaren Verfahrensvorschlag für die Organisation gibt.

Wenn es Menschen trotz all der Widerstände nach Deutschland geschafft haben, und sogar einen Asylantrag stellen konnten, demonstriert die Politik mit zunehmender Deutlichkeit, wie unerwünscht sie hier sind. Die politischen Mittel reichen dabei von geplanten Asylrechtsverschärfungen bis hin zu unrechtmäßigen Abschiebungen.

Die geplanten Ankerzentren (Ankunfts-, Entscheidungs-, und Rückführungszentrum) stehen dabei symbolisch für viele der geplanten Neuerungen. Noch vor jeder Möglichkeit des Ankommens in Deutschland sollen Asylsuchende in Lagern kaserniert werden, haben kaum Zugang zu medizinischer Versorgung, keinen Rechtsbeistand und sollen am besten von dort gleich wieder rückgeführt werden. Die auch von uns immer wieder geforderte Einzelfallprüfung bleibt aus, da schon anhand der „positiven Bleibeperspektive“ vorselektiert werden soll, wer in so einem Zentrum landet und somit kaum Chancen auf Integration erhält.

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017 haben mehr als 50 Prozent der Asylsuchenden einen Aufenthaltsstatus in Deutschland erhalten (Quelle: BAMF „Das Amt in Zahlen 2017“). Es scheint, als gäbe es trotz aller Diskussion jede Menge Geflüchtete, die auch in Deutschland nach erster Asylantragstellung und Beurteilung durch das BAMF Recht auf einen Aufenthaltsstatus haben und sich diesen nicht erst einklagen müssen. Darüber hinaus ist die Quote der Menschen, die gegen den BAMF-Bescheid Einspruch erheben und dann auf dem Verfahrensweg Recht erhalten ebenfalls sehr hoch. Dies alles ignoriert Innenminister Horst Seehofer und treibt Abschottung, Rückführung und Abschiebung voran. In den derzeit diskutierten und beschlossenen Asylrechtsverschärfungen fällt die Politik in vielen Punkten weit hinter bereits Erreichtes zurück.

Menschen sind nach langer aufreibender Flucht und traumatischen Erlebnissen in ihrem Heimatland in einem Massenlager nicht gut aufgehoben. Psychotherapeutische Betreuung oder Schulunterricht für Kinder kann oft nicht realisiert werden. Dies 16


Foto: Jakob Huber/Campact, CC BY-SA 2.0, creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0

lässt sich in den bereits existierenden Zentren in Bayern beobachten. Transitzentren sind eine weitere inhumane Wortschöpfung und Erfindung. Menschen sollen als „noch nicht eingereist“ gelten und können aufgrund dessen festgehalten werden – dies widerspricht dem geltenden Recht, dass allein die Antragstellung auf Asyl kein Haftgrund sein kann (Erwägungsgrund 15 der Aufnahme-Richtlinie, Artikel 28 Abs. 1 der Dublin-III-Verordnung).

Abschiebungen nach Afghanistan Abschiebungen nach Afghanistan finden mittlerweile vor dem rechtskräftigen Abschluss des Asylverfahrens statt. In Punkt 40 seines Masterplanes für Migration schlägt Innenminister Seehofer vor, asylgerichtliche Verfahren zu beschleunigen, und möchte dies unter anderem durch „die Überprüfung der Rechtsmittel im Asylverfahren und Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht trotz Rechtsmittelverfahren“ umsetzen. Die hierin angedeuteten Verstöße gegen den Grundsatz eines effektiven Rechtsschutzes für jeden Menschen machen uns größte Sorgen. Bei der Sammelabschiebung nach Afghanistan am 3. Juli 2018 etwa wurden viele

gut in Deutschland integrierte Afghanen abgeschoben, darunter der junge Afghane Nassibullah S. ohne abgeschlossenes Asylverfahren. Mittlerweile befindet er sich wieder in Deutschland. Insbesondere im Bundesland Bayern wird die Personengruppe derjenigen, die in das Kriegsland abgeschoben werden, stark ausgeweitet – ohne Rücksicht auf die Gesundheit der Betroffenen.

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abei ist die Sicherheitslage in Afghanistan laut dem neuen Lagebericht des Auswärtigen Amtes nach wie vor „volatil“. Die Gefechte der islamistischen Talibankämpfer in der ostafghanischen Stadt Gasni im August, bei denen mindestens 100 Sicherheitskräfte getötet wurden, zeigten erneut, wie unsicher die Lage in dem Land ist. Das Bundesinnenministerium und das BAMF müssen endlich eine Entscheidungspraxis verfolgen, die der Gefahrenlage in Afghanistan gerecht wird, und dürfen nicht länger Menschenleben von Schutzsuchenden aufs Spiel setzen. In Deutschland und in der EU brauchen wir eine gemeinsame und solidarische Flüchtlingspolitik. Die Abschottungspolitik, die die Bundesregierung derzeit prak17

tiziert, ist mit einer menschenrechtlichen Asylpolitik nicht vereinbar – Menschenrechte gelten universal und sind nicht zu diskutieren. Als IPPNWler*innen leben wir dies in der Praxis in der Versorgung von Geflüchteten bei psychischen und physischen Erkrankungen und in dem oft darüber hinausgehenden sozialem Engagement der vielen einzelnen Mitglieder.

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nsere Forderungen nach gerechteren Wirtschaftsbeziehungen, unser Einsatz gegen den Klimawandel und Krieg sollten wir weiter fortführen. So lange aber Menschen auf der Flucht sein müssen, brauchen sie eine menschenwürdige Behandlung, Rettung vor Todesgefahr und Ertrinken im Mittelmeer und eine gewissenhafte Prüfung des Einzelfalls. Die Frage nach dem „ob“ darf nicht gestellt werden.

Carlotta Conrad ist Mitglied im Vorstand der deutschen IPPNW.


Die Unsichtbaren Die chronische Nierenkrankheit und soziale Determinanten von Gesundheit

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Wie die Boston Universität 2015 in einer Studie feststellte, sinkt die Nierenfunktion während der Erntezeit. Da die Art der Arbeit und die Dauer der Anstellung entscheidend für das Erkrankungsrisiko ist, liegt es nahe, dass ein oder mehrere Risikofaktoren für die Krankheit arbeitsbezogen sind. Von den 500 untersuchten Zuckerrohrarbeitern aus Chichigalpa waren diejenigen Arbeiter am schlimmsten betroffen, die die Pflanzen Global Health Summer schneiden oder pflanzen. „Die Arbeiter, die Jason Glaser war als Referent zu Gast auf der am Härtesten arbeiten müssen, sind die Viele der Arbeiter sterben bereits in jundiesjährigen IPPNW-Global Health Summer Kränksten“, erklärt Jason Glaser. gen Jahren an Nierenversagen. Oft sind sie School. Über mehrere Tage setzten sich die noch keine 30 Jahre alt. Während Gründe Teilnehmer*innen mit dem Medical Peace für Niereninsuffizienz in Industrienationen ie Behandlungsmethoden beschränken Work Fall der Zuckerrohrarbeiter in Nicaragua in einem Planspiel auseinander. „Der Übergewicht, Bluthochdruck oder Diabetes sich auf eine Dialyse, eine bestimmte Prozess war auch für mich wahnsinnig spansind, sind die Ursachen der chronischen Diät oder bei fortgeschrittener Erkrankung nend und lehrreich, weil ich noch mal einen Nierenkrankheit (Chronic Kidney Disease of auf eine Nierentransplantation. In den beanderen Blick auf die Akteure und Konfliktundetermined causes, CKDu) noch wenig troffenen Ländern besteht aber oft weder die dynamik bekommen konnte“, erzählt Glaser. www.health-and-globalisation.org erforscht. Die Krankheit tritt vornehmlich in Möglichkeit zur Dialyse, noch zur TransplanLändern des globalen Südens auf und hat tation. Oft besitzen die Arbeiter keine Kranallein in den letzten zehn Jahren mehr als 40.000 Menschen in kenversicherung und die soziale Unterstützung ist inadäquat. Die Mittelamerika und Sri Lanka getötet. Das akute Nierenversagen Krankheit Ebola hat seit 1976 15.000 Menschen getötet, erzählt betrifft großteils Arbeiter, die auf Farmen oder Zuckerrohr- und Jason Glaser. „Die Opferrate der CKDu liegt wesentlich höher, aber Kaffeeplantagen tätig sind. In einigen Regionen Nicaraguas wur- sie kommt nicht mit dem Flieger zu uns und tötet. CKDu ist nicht den zwischen 2002 und 2012 46 Prozent aller Todesfälle bei Män- ansteckend“, erklärt Glaser. Für ihn ist das der Grund, warum die nern auf die Krankheit zurückgeführt. In La Isla, einer Siedlung im Opfer dieser Krankheit unsichtbar bleiben. Norden Chichigalpas, starben 75 Prozent aller Männer zwischen 35 und 55 an Nierenversagen. In den 400 Familien der Gemeinde In Chichigalpa leben fast alle Familien von der Zuckerprodukgibt es mehr als 78 Witwen. tion. Der größte Zuckerhersteller der Region ist der Rumhersteller Flor de Caña. Mit dem Arbeitgeber konnte die Stiftung eine „Ich habe diese unvorstellbar harte Arbeit keine 30 Minuten durch- Vereinbarung erzielen, die die Arbeitsbedingungen der Zuckergehalten“, erzählt Jason Glaser, der anlässlich der Global Health rohrarbeiter verbessert. Die La Isla Foundation erhält finanzielle Summer School der IPPNW nach Berlin gereist ist, um über sei- Unterstützung von der Deutschen Entwicklungsbank. Die Stifne Arbeit zu referieren. Er studiert Epidemiologie an der Londoner tung führt Vergleichsstudien zur Erforschung der CKDu durch Hygiene- und Tropenmedizinhochschule und ist Gründer der La und vermittelt zwischen Arbeitern und Arbeitgebern, um die Isla Foundation. Die Stiftung setzt sich für eine Verbesserung der Arbeitsumstände auf den Zuckerrohrplantagen zu verbessern. Arbeitsbedingungen auf den Zuckerrohrplantagen in Nicaragua Mehr unter: laislanetwork.org ein. Jason Glaser ist überzeugt, dass die Ursache der Krankheit mit großer Wahrscheinlichkeit auf die Arbeitsbedingungen zurückzuführen ist. Stundenlanges Arbeiten ohne Pause, in der Hitze ohne Schatten, ein beschränkter Zugang zu Wasser sowie der Einsatz von Pestiziden gehören zum Alltag von ZuckerrohrarbeiAngelika Wilmen ist Pressesprecherin tern. „Wir können die Lebenserwartung der Arbeiter verlängern, und Koordinatorin der wenn wir Ruhepausen im Schatten einführen und für Zugang zu Öffentlichkeitsarbeit Wasser und sanitären Anlagen sorgen“, ist sich Glaser sicher. der IPPNW. in Zuckerrohrarbeiter in Nicaragua arbeitet während der Erntezeit bis zu 12 Stunden am Tag bei über 38 °C. Da es keinen Zugang zu Wasser gibt und er in der prallen Sonne arbeiten muss, verliert ein Plantagenarbeiter gut 2,4 Kilo Körpergewicht pro Tag. Für eine Tonne Zuckerrohr erhalten die Arbeiter weniger als einen Euro, durchschnittlich ernten sie zwischen vier und acht Tonnen.

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Foto: laislanetwork.org

SOZIALE VERANTWORTUNG


SERIE: DIE NUKLEARE KETTE

Atomwaffentests in Nevada Mehr als 1.000 Explosionen von Atomwaffen fanden in der Wüste von Nevada statt

Hintergrund

und so traten auch weiterhin regelmäßig Unglücksfälle auf, z. B. am 18. Dezember 1970: Die unterirdische Detonation Bombe „Baneberry“ löste eine radioaktive Staubwolke aus. Der radioaktive Niederschlag erstreckte sich bis über Teile der Bundesstaaten Kalifornien, Idaho, Oregon und Washington.

Das Nevada Testgelände, etwa 105 Kilometer nordwestlich von Las Vegas gelegen, ist das größte und wichtigste Atomwaffenversuchsareal der USA. Von 1951 bis 1992 wurden auf dem etwa 3.500 Quadratkilometer großen Gebiet 1.021 Atomwaffendetonationen durchgeführt – 100 davon überirdisch und 921 unterirdisch. Dabei wurden insgesamt etwa 222.000 PBq (1 Petabecquerel = 1 Billiarde Becquerel) radioaktives Material in die Atmosphäre freigesetzt.

Folgen für Umwelt und Gesundheit In den 1950er Jahren wurden die Bewohner der Region dazu animiert, die Atomexplosionen zu beobachten. Von der Atomenergiekommission erhielten sie Dosimeter, um die erhaltene Strahlendosis anschließend messen zu können. Die Bevölkerung von Utah war aufgrund der vorherrschenden Windrichtung am schwersten vom radioaktiven Niederschlag betroffen. Die Kinder der kleinen Stadt St. George, Utah erhielten vermutlich Schilddrüsendosen von bis zu 1,2–4,4 Sievert. Epidemiologische Studien ergaben dementsprechend auch einen signifikanten Anstieg von Leukämien und Schilddrüsenkrebs unter den „Downwindern“, die in Windrichtung vom Testgelände lebten.

Wie aus den freigegebenen Dokumenten der US Civil Defense Administration hervorgeht, wurde radioaktiver Niederschlag im Rahmen der Atomwaffentests wissentlich hingenommen. Als Wissenschaftler radioaktives Strontium in den Milchzähnen US-amerikanischer Kleinkinder nachwiesen und die Zahl kindlicher Leukämien und anderer Krebserkrankungen stieg, führte der wachsende Druck der Öffentlichkeit 1963 schließlich zur Unterzeichnung des Vertrags über das Verbot von Kernwaffenversuchen in der Atmosphäre, im Weltraum und unter Wasser. Unterirdische Detonationen wurden jedoch bis 1992 weiter durchgeführt

Angaben des National Cancer Institutes zufolge erhielt die USamerikanische Bevölkerung eine Gesamtstrahlendosis von vier Millionen Personen-Sievert Jod-131 durch die Atomtests in Nevada – etwa 500-mal mehr als die Gesamtstrahlendosis von Tschernobyl (7.300 Personen-Sievert). Eine 1999 publizierte Studie schätzt, dass etwa 10.000 bis 75.000 Menschen als Folge der Atomexplosionen von Nevada Schilddrüsenkarzinome entwickeln würden. Eine weitere Studie aus dem Jahr 2006 berechnete, dass ca. 1.800 Todesfälle durch Leukämien infolge der Atomwaffentests in Nevada zu erwarten sind.

Ausblick Auch heute noch bleibt das Testgelände radioaktiv kontaminiert. Die USA haben bis heute noch nicht den Vertrag über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen aus dem Jahr 1996 ratifiziert. 1990 wurde der Federal Exposure Compensation Act verabschiedet, um betroffene Downwinder finanziell zu kompensieren, wenn sie unter Krankheiten leiden, die durch Radioaktivität entstanden sein könnten. Für viele von ihnen ist es aber aufgrund bürokratischer Hürden und fehlender wissenschaftlicher Aufarbeitung schwierig, die ihnen zustehenden Kompensationen auch tatsächlich zu erhalten.

Dieser Text ist ein Ausschnitt aus der IPPNW-Posterausstellung „Hibakusha Weltweit“. Die Ausstellung zeigt die Zusammenhänge der unterschiedlichen Aspekte der Nuklearen Kette: vom Uranbergbau über die Urananreicherung, zivile Atomunglücke, Atomfabriken, Atomwaffentests, militärische Atomunfälle, Atombombenangriffe bis hin zum Atommüll und abgereicherter Uranmunition. Sie kann ausgeliehen werden. Weitere Infos unter: www.hibakusha-weltweit.de

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KEIN GELD FÜR ATOMWAFFEN


Mehr Informationen zur Studie und zu Investitionen in Atomwaffen unter: • dontbankonthebomb.com • atombombengeschaeft.de

Über Geld spricht man doch Kein Geld für die Finanzierung von Atomwaffen

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ie Deutsche Bank will ihre Geschäftsbeziehungen zu Atomwaffen-Herstellern beenden. Zwei der fünf größten Pensionsfonds der Welt wollen Atomwaffenfirmen keine Gelder mehr zu Verfügung stellen. Diese und weitere positive Ergebnisse sind nachlesbar in der aktuellen Ausgabe der Studie „Don’t bank on the bomb“, die seit 2013 jährlich die Investitionen von Finanzinstituten in Produzenten von Atomwaffen und Atomwaffenkomponenten unter die Lupe nimmt. Seit im Juli 2017 eine Mehrheit der Staaten einem Vertrag zum Verbot von Atomwaffen zustimmte, und die internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN) daraufhin für ihr Engagement den Friedensnobelpreis erhielt, ist das Thema wieder in die Öffentlichkeit gerückt. Entsprechend nimmt auch der Druck auf Banken und Versicherungen zu, sich klar gegen diese Massenvernichtungswaffen zu positionieren und aus deren Finanzierung auszusteigen. Ein großer Stein ist ins Rollen gebracht. Wir alle können dazu beitragen, ihn in Bewegung zu halten: Sprechen Sie über ihr Geld und darüber, was damit geschieht, wenn es bei Ihrer Bank liegt. Sagen Sie deutlich, was damit nicht geschehen soll und legen Sie es dort an, wo man das auch so sieht.

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KEIN GELD FÜR ATOMWAFFEN

Kein Profit mit Massenmordwaffen Die aktuelle Studie „Don’t Bank on the Bomb“ zu Investitionen in Atomwaffen

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Folgen von Atomwaffen veranstaltete. Diese Ausschlüsse spiegeln die Einsicht wider, dass nichts was mit der Herstellung von Atomwaffen zu tun hat, akzeptabel ist.

tomwaffen sind und bleiben die zerstörerischsten Waffen, die je entwickelt wurden. Waffen, die in der Lage sind, Städte zu zerstören, Armeen zu vernichten und Bevölkerungen auszulöschen. Im Juli 2017 hat die Mehrheit der Welt diese Waffen mit der Verabschiedung des Vertrags über das Verbot von Atomwaffen eindeutig abgelehnt. Atomwaffen töten nicht nur unterschiedslos, sind unmenschlich und unmoralisch, jetzt sind sie auch durch einen internationalen Vertrag verboten.

Es gibt noch weitere Erfolge zu verzeichnen. Die KBC, eine Bankengruppe mit rund 11 Millionen Kunden, zitierte den Atomwaffenverbotsvertrag mit ihrer Ankündigung, alle finanziellen Beziehungen zu Atomwaffenherstellern zu beenden. Die KBC hat ihren Hauptsitz in einem NATO-Land, in dem Atomwaffen lagern: Belgien.

Der Weg zum Ende der Atomwaffen zeichnet sich deutlich ab und beginnt mit dem Verbotsvertrag. Dennoch fühlt es sich oft so an, als wären Atomwaffen ganz weit weg, ein fernes Problem, das Politiker oder Regierungen anderswo schon lösen werden. Es erscheint nicht als Teil unseres täglichen Lebens. Als Bürger*innen können wir uns an unsere Politiker und Regierungen wenden und vehement fordern, dass Atomwaffen verboten und beseitigt werden, aber es gibt auch noch weitere Möglichkeiten sich gegen Atomwaffen stark zu machen.

Sogar die Deutsche Bank nimmt Änderungen vor – ebenso wie Finanzinstitute in den USA, Großbritannien und Frankreich. Sie sind nicht perfekt, aber sie bewegen sich in die richtige Richtung. Die Gesamtzahl der Finanzinstitutionen, die seit der Annahme des Atomwaffenverbotsvertrags in Atomwaffenhersteller investieren, ist um acht Prozent zurückgegangen. Die Studie „Don’t Bank on the Bomb“ verfolgt und dokumentiert diese Veränderungen. In der „Hall of Fame“ werden Finanzinstitute vorgestellt, deren umfassende Richtlinien jegliche Art von Investitionen in Atomwaffenhersteller verbieten. In diesem Jahr tritt zum ersten Mal auch ein US-amerikanisches Finanzinstitut in die Hall of Fame ein, der Großteil sind jedoch europäische Institutionen. Der Bericht bietet auch einen Überblick über Unternehmen mit Richtlinien, die zumindest davon abhalten, von der Produktion von Atomwaffen zu profitieren, die aber dennoch Schlupflöcher bieten. Die 41 Institutionen zeigen, dass das Stigma Atomwaffeninvestitionen inzwischen groß genug ist, um das Thema in den eigenen Richtlinien zu berücksichtigen. Nichtsdestotrotz gibt es noch viel zu tun, um die verbleibenden Schlupflöcher zu schließen.

Fortschritte seit dem Atomwaffenverbotsvertrag Seit der Verabschiedung des Atomwaffenverbotsvertrags haben zwei der fünf größten Pensionsfonds der Welt Änderungen ihrer Beziehungen zu Atomwaffenherstellern angekündigt. Der niederländische ABP, der fünftgrößte Pensionsfonds, hat nun eingestanden, dass Investitionen in Atomwaffen schon seit einiger Zeit ein Dilemma darstellten und verkündete, dass sie aufgrund von „gesellschaftlichen Veränderungen, auch auf internationaler Ebene [...] nicht mehr zu unserer nachhaltigen und verantwortungsvollen Investitionspolitik passen.“ Innerhalb des nächsten Jahres möchte ABP sicherstellen, dass Atomwaffenhersteller keinen Zugang mehr zu ihrem 500 Milliarden-Dollar-Pool (405 Milliarden Euro) haben.

Was kann ich tun?

Weitere 1.037 Milliarden Dollar (840 Milliarden Euro) werden von den Händen weiterer Atomwaffenhersteller ferngehalten. Der norwegische Pensionsfonds (weltweit der zweitgrößte Pensionsfonds) hat damit die ersten Änderungen in der Anwendung seiner Atomwaffenpolitik seit 2013 angekündigt, das Jahr, in dem die norwegische Regierung die erste Konferenz über die humanitären

In der Öffentlichkeit ist das Bewusstsein dafür gestiegen, wie sich Finanzinstitute verhalten und wie sie ihr Geld anlegen. „Divestment“-Kampagnen sind eine großartige Möglichkeit, über Atomwaffen ins Gespräch zu kommen und zu zeigen, dass es konkrete und greifbare Schritte gibt, um etwas für eine atomwaffenfreie Welt zu unternehmen. 22


Banken haben einen großen Kundenstamm, was bedeutet, dass Aktivisten eine große Anzahl potenzieller Unterstützer von Kampagnen finden können. Wenn Menschen sich besorgt zeigen, dass ihre Bank durch Pensionsfonds in Atomwaffen investiert und entsprechende Maßnahmen ergreifen oder Kunden drohen, ihre Gelder abzuziehen und diese bei einer anderen Bank anzulegen, kann dies einen entscheidenden Einfluss auf die Entscheidung einer Bank haben, sich vom Atomwaffengeschäft zu verabschieden. Schon alleine ein oder zwei Menschen können etwas bewegen, und Social-Media-Kampagnen haben in manchen Situationen bereits zum Erfolg geführt.

Was erwarten wir von den Finanzinstituten? Die Finanzinstitutionen sollten eine Unternehmenspolitik entwickeln, die alle finanziellen Verbindungen mit Unternehmen, die an der Herstellung von Atomwaffen beteiligt sind, ausschließt. Investitionen machen die Produktion erst möglich. Dies bedeutet, dass die Richtlinie auf ganze Unternehmen angewendet werden sollte. Es spielt dabei keine Rolle, dass Boeing oder Airbus Flugzeuge herstellen – wenn sie Investitionen sichern wollen, sollten sie aufhören, Atomraketen zu bauen. Die Richtlinien müssen auch für alle Aktivitäten gelten: Commercial Banking, Investment Banking und Anlagenmanagement. All diese Aktivitäten unterstützen ein Unternehmen bei der Herstellung von Atomwaffen. Schließlich haben gute Richtlinien keine geografische Grenze. Alle Atomwaffen sind dazu bestimmt, wahllos Zivilisten zu ermorden, für eine Richtlinie sollte es daher keinen Unterschied machen, welches Land diese Waffen besitzt. Wie der ehemalige UN-Generalsekretär sagte, „es gibt keine richtigen Hände für die falschen Waffen“.

Was kann noch getan werden? Es gibt andere, die davon überzeugt werden können, ihre Investitionskraft gegen Atomwaffen einzusetzen. Private Investoren wie Stiftungen, Universitätsstiftungen und kirchliche Fonds vertreten Interessen, die nicht im Einklang mit Atomwaffen stehen. Diese Organisationen haben manchmal große Mengen an Vermögenswerten, und wenn sie diese veräußern, kann das einen signifikanten Unterschied machen.

Städte oder lokale Regierungen können ebenfalls etwas bewirken, wenn sie sich dafür einsetzen, dass die von der Stadt/ Region gehaltenen Pensionsfonds nicht in atomwaffenproduzierende Unternehmen investieren. Solche lokalen Entscheidungen können helfen, nationale Unterstützung für das Verbot von Atomwaffen zu fördern.

den wie die wenigen Atomwaffenstaaten, zunehmend isoliert und stigmatisiert. Die Bereicherung an der Atomwaffenindustrie zu beenden ist, ein Schritt, an dem wir alle mitwirken können und der uns einer atomwaffenfreien Welt ein Stück näher bringt. Übersetzung: Edwina Al-Khalil

Fazit Am Ende des Tages sind neun Länder im Besitz von Atomwaffen. Neun nicht vertrauenswürdige Länder, die mit der Zukunft der Welt spielen, indem sie ihre Atomwaffen nutzbar machen, neue nukleare Fähigkeiten entwickeln und mehr und mehr Möglichkeiten für den tatsächlichen Einsatz ihrer nuklearen Streitkräfte bekannt geben. Überzeugende Veränderungen erfordern eine Vielzahl von Ansätzen. All jene Finanzinstitute, die vom Atomwaffengeschäft profitieren wollen, wer23

Susi Snyder ist „Nuclear Disarmament Programme Manager“ bei der niederländischen Friedensoragnisation Pax.


KEIN GELD FÜR ATOMWAFFEN

Schreiben Sie Ihrer Bank einfach: Ihr Geld könnte in einer Atombombe stecken – wenn Sie Kunde bei einer Volksbank, Raiffeisenbank oder Sparda-Bank sind. Die Gruppe der Volksund Raiffeisenbanken hat den Anspruch an sich selbst, das Geld ihrer Kunden nachhaltig und ethisch zu investieren. Doch Atomwaffen sind weder nachhaltig noch ethisch vertretbar. Durch eine Mail an eine Filiale in Ihrer Nähe wird diesen Banken überall in Deutschland bewusst: Ein Großteil der deutschen Bevölkerung lehnt Investitionen in Atomwaffen ab! Deshalb: Nutzen Sie Ihre Stimme! Ganz einfach unter: atombombengeschaeft.de

Nach wie vor: Ein Bombengeschäft Aktuelle Ergebnisse der „Don’t bank on the bomb“-Studie im Bezug auf die Banken Deutschlands

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CAN, die internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen, deckt zusammen mit der Friedensorganisation PAX in der Studie „Don’t bank on the bomb“ Investitionen in Atomwaffen auf. Ziel ist es, Fakten darüber zu veröffentlichen, wer und in welchem Maße in das tödliche Geschäft der Atomwaffen involviert ist. Seit 2014 erhob im Auftrag der beiden NGOs das unabhängige Forschungsinstitut Profundo Daten unter Zuhilfenahme einschlägiger Datenbanken (z. B. Thomson Reuters) und verschiedener öffentlich zugänglicher Quellen, etwa Berichte von Finanzinstituten, Medienmeldungen oder NGO-Informationen, und wertete diese aus. Die aktuelle Studie bezieht sich auf die Zeit seit Januar 2014 und untersucht die Investitionen in 20 Atomwaffenhersteller, die Atomwaffen, Atomsprengköpfe und Atomraketen herstellen und entwickeln und beleuchtet, von welchen Finanzinstitutionen sie Gelder beziehen. Die Firmen sind an der weltweiten Modernisierung nuklearer Arsenale beteiligt, womit sie Fortschritte der Abrüstung verhindern und mitverantwortlich sind, die Gefahr des Atomkrieges aufrechtzuerhalten. Die Weiterverbreitung von Atomwaffen wird befeuert. Jedes der Unternehmen hat direkte und eindeutige Verbindungen zur Herstellung von Atomwaffen. Die bloße Beteiligung an Trägersystemen wie z. B. Bombern, die die Atomwaffen abwerfen können, reicht nicht aus. Es geht um die Atomwaffen selbst. Damit eine Bank durch Aktien und Anlagen in der Studie auftaucht, muss sie mindestens einen 0,5 Prozent Anteil am jeweiligen Unternehmen haben. Die Fakten können als Werkzeug von Individuen, Konzernen und Institutionen genutzt werden, um zur Abschaffung von Atomwaffen beizutragen: Sie können in einen Dialog mit den eigenen Finanzinstitutionen treten, eine Desinvestition fordern oder beispielsweise die Entscheidung zum Bankwechsel ankündigen.

Seit 2014 haben 329 Investoren 20 Atomwaffen-Firmen Finanzmittel in Höhe von mindestens 525 Milliarden US-Dollar zur Verfügung gestellt. Atomwaffen sind ein Bombengeschäft. Gleichzeitig haben seit Annahme des UN-Vertrags zum Verbot von Atomwaffen bereits 30 Unternehmen ihre Investitionen in diese Waffen beendet, unter anderem z. B. zwei der größten Investoren der Welt: der norwegische Regierungsfonds und der niederländische Rentenfonds ABP.

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eit Januar 2014 haben zehn deutsche Finanzdienstleister den Atomwaffen-Produzenten insgesamt rund 10,37 Milliarden US-Dollar (8,41 Milliarden Euro) zur Verfügung gestellt. Der größte Investor aus Deutschland und auch der größte Investor weltweit war die Deutsche Bank. Zwischen 2014 und 2017 unterhielt sie Geschäftsbeziehungen zu 13 der 20 Atomwaffenfirmen, die wir in unserer Studie erfasst haben. Im Vergleich zur vorangegangenen Studie sind die Investitionen der Deutschen Bank von 5,15 Milliarden auf 6,62 Milliarden US-Dollar gestiegen. Eines der Unternehmen, dem die Deutsche Bank zwischen 2013 und 2017 Kredite in Höhe von rund 1,4 Milliarden US-Dollar zur Verfügung gestellt hat, ist die Firma Honeywell International. Honeywell ist Miteigentümer von Savannah River Nuclear Solutions. Savannah River ist eine Einrichtung im amerikanischen Bundesstaat Georgia, in der Tritium, das radioaktive Isotop des Wasserstoffs hergestellt wird. Dieses Material wird zur Herstellung von Wasserstoffbomben benötigt. Die Atombombe von Hiroshima, verglichen mit heutigen Atomwaffen eine sehr kleine Bombe mit einer relativ geringen Sprengkraft von 15 Kilotonnen, reichte aus, um eine ganze Stadt dem Erdboden gleichzumachen, Hunderttausende Menschen zu töten und viele ihr Leben lang krank zu 24


„Geld zu sparen, zu investieren und eine Rendite zu erwarten, heißt, an einer Zukunft interessiert zu sein. Eine Investition in Atomwaffen drückt kein Interesse an der Zukunft aus, sondern ist eine Investition in vermeidbares humanitäres Leid.“ machen. Die Arsenale der meisten Atommächte bestehen heute aus Atombomben mit einer sehr viel größeren Sprengkraft von mehreren hundert Kilotonnen Wasserstoffbomben. Bisher hat noch nie eine solche Bombe eine Stadt getroffen. Die Auswirkungen würden die Katastrophe von Hiroshima in den Schatten stellen. Die Daten, die wir über die humanitären Auswirkungen von Wasserstoffbomben haben, stammen von den Atomtests im Pazifik. Die radioaktiven Wolken zogen Hunderte Kilometer weit. Die Menschen, die auf den Atollen lebten, werden nie in ihre Heimat zurückkehren können. Ihre Inseln sind für die nächsten 24.000 Jahre unbewohnbar. Für Wasserstoffbomben braucht man Tritium, und für Tritium brauchen die USA Honeywell.

len und die Bank vor Reputationsrisiken schützen“. Mitte April fand ein Treffen zwischen ICAN Vorstandsmitgliedern und den aus London angereisten „Managing Direktor“ und „Vice President“ des „Non Financial Risk Manangement“ und der „Media Spokesperson“ der Deutschen Bank aus Frankfurt statt. Ende Mai veröffentlichte die deutsche Bank auf ihrer Website eine neue Richtlinie zu kontroversen Waffen, einen Tag vor der Aktionär*innenhauptversammlung. Demnach will die Deutsche Bank mit Unternehmen, die direkte Verbindungen zu Streumunition, AntiPersonenminen, Chemiewaffen, biologischen Waffen und Atomwaffen haben, „weder eine neue Geschäftsbeziehung eingehen noch bestehende Geschäftsbeziehungen fortführen“. Das könnte helfen, das Risiko eines Atomwaffeneinsatzes zu senken. Es ist ein Schritt in die richtige Richtung und zeigt, dass Veränderungen möglich sind und wie wichtig öffentlicher Druck dafür ist.

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ns Auge fiel aber auch die Finanzspritze der DZ Bank, die ihr Investment in Atomwaffenhersteller von 66 auf 470 Millionen US-Dollar massiv erhöht hat. Die DZ Bank ist das Zentralinstitut von rund 1.000 Genossenschaftsbanken in Deutschland, dazu gehören etwa Volks-, Raiffeisen- und Spardabanken. Die Volksund Raiffeisenbanken verkaufen das tödliche Investment sogar über den Fonds „UniGlobal“ an Privatanleger. Es handelt sich um den „Vorzeige-Fonds der Volksbanken“ (FAZ) und er richtet sich vor allem an Privatpersonen, zum Beispiel für die RiesterRente. Die DZ Bank unterstützt die US-amerikanische Rüstungsfirma Northrop Grumman mit mehr als 400 Millionen US Dollar. Dieses Unternehmen produziert Atomraketen für das US-Arsenal und ist auch am britischen Atomwaffenprogramm beteiligt. Die Firmen Airbus, Safran und Thales haben von der deutschen Bank (rund 1,5 Milliarden US-Dollar) und ebenfalls der Commerzbank (440 Millionen US Dollar) Finanzmittel erhalten. Airbus, Safran und Thales produzieren gemeinsam die neueste französische Atomrakete, die M-51-2. Eine solche Rakete trägt acht nukleare Sprengköpfe. Sie wird ausschließlich mit nuklearen Sprengköpfen bestückt und ist somit kein Dual-Use-Produkt. Frankreich will 48 dieser Raketen bauen. Selbst bei einer sehr konservativen Schätzung genug, um 40 Millionen Menschen zu töten.

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rst die praktische Umsetzung wird aber zeigen, ob die Richtlinie wirklich etwas verändert. Die Frage stellt sich vor allem auch, weil die Richtlinie an einigen Stellen bedauerlicherweise noch sehr vage ist. Zudem sieht sie leider Ausnahmen vor, was die folgende Formulierung in der Richtlinie zeigt: „Unter besonderen Umständen darf die Transaktion fortgeführt werden, wenn die betreffende Transaktion selbst nicht direkt mit einem kritischen Waffengeschäft in Verbindung steht.“ Bisher unbeantwortet bleibt auch, ob die Ausnahmen auch für Kredite an das Unternehmen als Ganzes möglich sind oder nur für einzelne Transaktionen, die speziell im Zusammenhang mit anderen Geschäftsbereichen des Unternehmens stehen. Ausnahmen für Kredite an das Gesamtunternehmen würden bedeuten, dass sich an der Geschäftspraktik der deutschen Bank nichts Wesentliches verändert. Eine schriftliche Zusicherung eines Unternehmens, einen Kredit nicht für die Herstellung von Atomwaffen zu verwenden, nützt nichts. Es wird für die Firma ja trotzdem Liquidität frei, die dann auch für Atomwaffen verwendet wird. Der einzige Weg, die Unterstützung der Produktion von Atomwaffen auszuschließen ist es, das ganze Unternehmen auszuschließen. Konkret bräuchte es eine Liste mit Firmen, die ausgeschlossen werden, wie es zum Beispiel auch der norwegische Pensionsfonds handhabt. Geld zu sparen, zu investieren und eine Rendite zu erwarten, heißt, an einer Zukunft interessiert zu sein. Eine Investition in Atomwaffen drückt kein Interesse an der Zukunft aus, sondern ist eine Investition in vermeidbares humanitäres Leid.

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ie französische Nukleardoktrin sieht zudem den Ersteinsatz von Nuklearwaffen vor. Ein sogenannter „Warnschuss“ mit Atomwaffen soll Entschlossenheit demonstrieren, nach dem Motto „eskalieren, um zu deeskalieren“. Eine irrsinnige Politik, die unsere Zukunft aufs Spiel setzt. Nach Veröffentlichung unserer Studie kontaktierten uns Mitarbeiter der Deutschen Bank und baten um ein Treffen. Das zeigt, dass sich mit Evidenz zivilgesellschaftlicher Druck aufbauen lässt, insbesondere dann, wenn die Fakten in der Presse Resonanz bekommen, wie es dieses Jahr wahrscheinlich auch dank des Friedensnobelpreises für ICAN der Fall war. Wir konnten die Geschäfte mit Atombomben einer größeren Öffentlichkeit bekannt machen. Eine Motivation für „Divestment“ der Banken ist unter anderem auch die Vermeidung der schlechten Schlagzeilen, was auch ein Zitat der Website der deutschen Bank zeigt: „Die Deutsche Bank hat klare Richtlinien, die ein verantwortungsvolles geschäftliches Handeln sicherstel-

Aino Ritva Weyers ist Medizinstudierende im 10. Semester und Vorstandsmitglied von ICAN Deutschland und IPPNW-Mitglied. 25


KEIN GELD FÜR ATOMWAFFEN

Stigma Atomwaffen Wie das Verbot nuklearer Waffen die Welt verändert hat

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er UN-Vertrag über ein Verbot von Atomwaffen ist ein Jahr alt geworden. Aber gibt es Grund zu feiern? Wurde wegen des Vertrages eine einzige Atomwaffe abgerüstet? Die Antwort lautet Nein. Nach wie vor gibt es weltweit ca. 15.000 Atomwaffen. Die Atomwaffenstaaten rüsten auf und investieren jährlich Milliarden von Dollar in ihre Erneuerung und Aufrüstung. Außerdem haben die Besitzerstaaten von Atomwaffen deutlich gemacht, dass sie dem Vertrag nicht beitreten werden.

spielte. Am deutschen Atomwaffenstützpunkt Büchel waren die Kirchen in diesem Jahr am Jahrestag der Verabschiedung des Atomwaffenverbots erstmals mit einer großen Kundgebung mit ca. 600 Menschen beteiligt. US-Friedensaktivist*innen gelang es zweimal, sich Zugang zu der Bundeswehr-Militärbasis verschaffen. In Großbritannien forderten Aktivist*innen

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er Vertragsprozess hat die Debatte über Atomwaffen verändert. Nicht mehr die Sicherheitspolitik steht im Vordergrund, sondern die humanitären Folgen dieser Massenvernichtungswaffen. Neue Perspektiven und Stimmen waren zu hören. Thematisiert werden nun auch die Macht- und Autoritätsansprüche der Atomwaffenstaaten, Rassengerechtigkeit, nachhaltige Entwicklung, wirtschaftliche Gerechtigkeit und eine Gleichberechtigung der Geschlechter.

Dennoch zeigt der Verbotsvertrag nach nur einem Jahr erste Ergebnisse, die Mut machen. Die Strategie, Atomwaffen zu stigmatisieren, ihre Unmenschlichkeit und Immoralität zu zeigen und den Status Quo der Atomwaffenstaaten in Frage zu stellen, geht auf. Abgeordnete setzen sich in den Parlamenten für den UN-Vertrag ein, Journalisten sprechen sich in Meinungsartikeln für das Verbot von Atomwaffen aus und Finanzinstitute geraten unter Druck, Investitionen in Atomwaffenhersteller zu beenden.

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o ist die Gesamtzahl der Finanzinstitutionen, die in Atomwaffenhersteller investieren, seit der Verabschiedung des UN-Vertrags bereits um acht Prozent zurückgegangen. Zwei der fünf größten Pensionsfonds der Welt haben Änderungen ihrer Geschäftspolitik im Bezug auf Atomwaffenhersteller angekündigt. Und auch die Deutsche Bank nimmt Änderungen ihrer Geschäftspolitik vor. Sie sind zwar nicht perfekt, aber sie gehen in die richtige Richtung. Und mehr noch: Der Verbotsvertrag hat der Anti-Atomwaffen-Bewegung neuen Schwung verliehen. In der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Nuklearwaffen (ICAN) beteiligte sich eine neue Generation von Aktivist*innen. Letztes Jahr wurde ICAN mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Dieser lenkte die mediale Aufmerksamkeit auf das Thema Atomwaffen. In ganz Europa gab es politische Proteste, in denen der UN-Verbotsvertrag eine Rolle

Regierung zum Beitritt zum Verbotsvertrag zu bewegen. Am 28. August 2018 forderte der Senat von Kalifornien die US-Regierung auf, den UN-Vertrag für ein Verbot von Atomwaffen zu unterzeichnen. In Deutschland unterstützen bisher knapp 300 Bundestags- und Landtagsabgeordnete die Erklärung. Im letzten Jahr hat die bremische Bürgschaft den Berliner Senat aufgefordert, sich auf Bundesebene für eine deutsche Unterzeichnung und Ratifizierung des UN-Vertrages einzusetzen.

Der UN-Vertrag zum Verbot von Atomwaffen wurde am 7. Juli 2017 von 122 Staaten beschlossen. 60 Staaten haben ihn bereits unterzeichnet, 15 Staaten haben ratifiziert (Stand 9/2018). Deutschland unterstützt den Vertrag bisher nicht.

die Regierung auf, den UN-Vertrag zu unterzeichnen, indem sie sich an das Geländer des House of Commons ketteten. Auch hier unterstützt die Kirche in Form der Church of England das Verbot.

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Staaten haben den Vertrag bereits unterzeichnet, 15 Staaten haben ratifiziert. Sobald 50 Ratifikationen erreicht sind, tritt er in Kraft. Die Ratifizierungsrate für den Verbotsvertrag läuft derzeit schneller als für jedes andere multilaterale Massenvernichtungswaffen-Abkommen. Die nächste Unterzeichnungszeremonie findet am 26. September 2018 in New York statt. Schon 950 Parlamentarier in mehr als 30 Ländern haben sich verpflichtet, ihre 26

Der Verbotsvertrag hat die Debatte um Abrüstung ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt. Unsere Bundesregierung weigert sich, gemeinsam mit den Atomwaffenstaaten beharrlich dem Abkommen beizutreten und die US-Atomwaffen aus Büchel abzuziehen. Deswegen müssen wir weiter öffentlich Druck machen. Die Petition an die Bundesregierung „Unterzeichnen Sie das Atomwaffenverbot“ haben bereits 60.000 Menschen unterzeichnet. Es müssen noch viel mehr werden. Unter nuclearban.de können Sie unterschreiben. Im Oktober werden wir den Text als Anzeige in einer überregionalen Zeitung abdrucken. Auch dafür brauchen wir Ihre Unterstützung.

Angelika Wilmen ist Pressesprecherin und Koordinatorin der Öffentlichkeitsarbeit der IPPNW.


Foto: attac

Wie ethisch ist meine Bank? Interview mit Dr. Katja Goebbels zum Bankenwechsel

Deutsche Kreditinstitute finanzieren mit Milliardenbeträgen nicht nur die Herstellung von Atomwaffen, sondern investieren auch in Atomenergie und Rüstungsproduktion, bieten Wetten auf Nahrungsmittel an oder haben Tochter-Unternehmen in sogenannten Schattenfinanzplätzen oder „Steueroasen“. Nur ein Prozent der Bürger*innen legt ihr Geld nach ökologischen und ethischen Standards an. Dabei sind Girokonto und Geldinvestitionen ein wirkungsvoller Hebel, um Druck auf die Finanzinstitute zu machen. IPPNW-Ärztin Dr. Katja Goebbels hat ihr Konto zu einer Alternativbank umgezogen und den Wechsel bisher nicht bereut.

In welche Projekte investiert die GLS Bank? Goebbels: Von den 20.000 jährlich finanziell geförderten Projekten entfällt etwa ein Drittel auf den Bereich der Erneuerbaren Energien, ein Viertel auf nachhaltiges Bauen und 20 Prozent auf nachhaltige Landwirtschaft. Weitere Gelder fließen in soziale Projekte und Bildungsprojekte, etwa in freie Schulen und Kindergärten, Einrichtungen für behinderte und für alte Menschen. Gibt es andere ethische Banken, die nicht mit Nahrungsmitteln spekulieren und nicht in Atomenergie, Atomwaffen oder Rüstungsgeschäfte investieren, die für Dich ebenfalls in Frage gekommen wären? Goebbels: Ja, die anderen drei Alternativbanken: Triodos Bank, Umweltbank und EthikBank. Inzwischen gibt es auch bei diesen unterschiedliche Angebote, z. B. kostenloses weltweites Abheben oder Ähnliches, sodass sich ein Vergleich lohnt.

Warum hast Du Dich von deiner alten Bank getrennt und bist zu einem anderen Finanzinstitut gewechselt? Katja Goebbels: Wie sicher viele andere IPPNW-Mitglieder auch, war ich früher bei der Deutschen Apotheker- und Ärzte-Bank, die ja schon Medizinstudierende ködert. Irgendwann habe ich aber angefangen, mich damit auseinanderzusetzen, was die Banken mit meinem angelegten Geld anfangen. Ich wollte keine Investitionen in die Rüstungs- oder Atomindustrie unterstützen. Daraufhin habe ich mir die Alternativbanken angesehen, die mit dem Geld ihrer Kunden ökologisch, sozial und ethisch verträglich wirtschaften. Das Angebot der GLS Bank „Gemeinschaft für Leihen und Schenken“ hat mir am besten gefallen.

Bist Du rückwirkend mit deiner Entscheidung zufrieden? Goebbels: Ja, im Großen und Ganzen. Das Konto kostet monatlich 5 Euro plus Kontoführungsgebühr, was es mir aber wert ist. Als Mensch ohne viel Erspartes ist Mitreden allerdings nicht so einfach, um Mitglied bei der GLS zu werden, muss man mindestens fünf Anteile à 100 Euro zeichnen. Das ist mir bisher noch zu viel gewesen. Auch kostet eine Kreditkarte nicht unerheblich, daher benutze ich bei außereuropäischen Reisen immer noch ein Konto der Deutschen Kredit Bank (DKB). Dass man überall bei Volks- und Raiffeisenbanken abheben kann, ist prima und der Online-Service klappt auch sehr schnell.

Welche Investments schließt deine neue Bank aus? Goebbels: Sie „stellen sicher, dass ihr Geld nicht in Atomenergie, Rüstung, Agrochemie oder Kinderarbeit investiert wird.“ In der vierteljährlich erscheinenden Zeitschrift „Bankspiegel“ werden die Kredite aufgelistet, die vergeben wurden. Als Kundin kann man mitentscheiden, in welchem Bereich das angelegte Geld fließen soll, ob in die ökologische Landwirtschaft oder in erneuerbare Energien. Wie die GLS die Einlagen anlegt, wird auf der Homepage der Bank transparent erklärt.

Weitere Informationen zum Bankenwechsel gibt es in der urgewald Broschüre „Was macht eigentlich mein Geld?“ urgewald.org/shop/broschuere-umwelt-ethik-bankgeschaeften Interview: Angelika Wilmen, IPPNW

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KEIN GELD FÜR ATOMWAFFEN

„Divestment-Kampagnen bringen viele wichtige Diskussionen in Gang, können schädlichen Unternehmen die Finanzierung abschneiden. Wichtig ist es jedoch, nach Erfolgen eine gute Umsetzung von guten Beschlüssen zu verlangen und diese kritisch zu begleiten.“

Keine Kohle für Kohle? Wie wirksam ist „Divestment“? Ein Beispiel aus dem Bereich „Fossile Energien“

Versicherer entdecken ihr politisches Gewissen – auf Kosten der Kohleindustrie“, titelte das Handelsblatt im Mai 2018. Anlass war die Entscheidung der Allianz, ihr Kohle-Divestment zu erweitern. Im Jahr 2015 hatte sie angekündigt, sich bei ihren Eigenanlagen von allen Kohleunternehmen zu trennen, die über 30 Prozent ihres Umsatzes durch den Abbau von Kohle oder mehr als 30 Prozent ihrer Energieerzeugung aus Kohle erzielen. Diese Entscheidung betrifft laut Handelsblatt Aktien und Anleihen im Wert von über vier Milliarden Euro. 2018 erweiterte der Versicherer diesen Schritt um Unternehmen, die neue Kohlekraftwerke mit mehr als 500 Megawatt planen, die nicht mit einem 2 °C Pfad vereinbar sind (was den Zubau von Kohlekraftwerken in z. B. vielen afrikanischen Ländern noch erlauben würde). Außerdem werden Kohlekraftwerke und -minen nicht mehr versichert. Darüber hinaus erklärt das Unternehmen, dass es 2040 kohlefrei sein will. Bis dahin haben Energieversorger oder Bergbaubetriebe Zeit, komplett aus der Kohle auszusteigen, wenn sie weiter versichert werden oder der Allianz Anleihen und Aktien verkaufen wollen.

lionen USD verwalten. Dazu gehören Pensionskassen, Städte, Universitäten, Kirchen, Stiftungen.

Was nützt’s? Oft wird die Frage gestellt, was Divestment denn tatsächlich nützt, alldieweil nur Aktien verkauft werden und Unternehmensanleihen nur auslaufen gelassen werden, das Geld also den Unternehmen nicht wirklich entzogen wird. Dazu ist zu sagen, dass es um einen massiven Legitimationsverlust für die Kohle- und Fossilindustrie geht. Je mehr Institutionen keine Aktien und Anleihen mehr haben wollen, umso schwieriger wird es, für die Unternehmen Geld aufzutreiben. Peabody Energy, ein amerikanisches Kohleunternehmen, vermeldete dies schon 2014: Das Unternehmen warnte in seinem Jahresbericht an die Börsenaufsicht vor den Divestment-Kampagnen, dass diese negative Effekte auf die Nachfrage und den Preis ihrer Wertpapiere auf den Finanzmärkten haben könnten. 2016 meldete Peabody Insolvenz an, was sicher nicht nur an Divestment-Kampagnen gelegen hat, jedoch haben sie wohl dazu beigetragen. Inzwischen ist Peabody jedoch zurück im Geschäft und wird wieder an der New Yorker Börse gehandelt.

Die Allianz folgt dem Divestment-Trend, und verstärkt ihn gleichzeitig: Versicherer wie AXA, Zürich, Swiss Re oder Generali haben ebenfalls Kohle-Divestments angekündigt. Bereits im Juni 2015 entschied das norwegische Parlament, dass die Regeln für den norwegischen Pensionsfonds festlegt, ein umfassendes Divestment für Kohleunternehmen mit über 30 Prozent Aktivitäten im Kohlebereich und/oder Einnahmen aus Kohle. Die Bank, die den Pensionsfonds verwaltet, teilte dem norwegischen Finanzministerium im August 2015 mit, dass die Divestment-Entscheidung Anlagen im Wert von 55 Milliarden Norwegische Kronen (5,77 Milliarden Euro) umfasse (Der Gesamtwert des Fonds liegt Ende Juli 2018 bei knapp 890 Milliarden Euro). Allerdings zeigen urgewald-Analysen des Portfolios, dass bis 2018 viele dieser Desinvestitionen noch ausstehen.

Neubauplänen die Finanzierung abschneiden Darüber hinaus geht es darum, zukünftige Finanzierungen zu verhindern, indem Firmen identifiziert werden, die aktiv neue Kohlekraftwerke bauen wollen. Denn oft werden solche Projekte durch die Ausgabe von Anleihen oder neuen Aktien (neben allgemeinen Firmenkrediten) realisiert, besonders seit immer mehr Banken die Finanzierung von konkreten Kohleprojekten ausschließen. Um der Kohle den Geldhahn effektiv abzudrehen, müssen solche Firmen beim Divestment ganz oben auf der Liste stehen. Aus diesem Grund hat urgewald im vergangenen Jahr die „Global Coal Exit Liste“ veröffentlicht, die unter anderem 120 Kohlekraftwerksplaner identifiziert. Dies sind Unternehmen, die neue Kohlekraftwerke mit Kapazitäten von zusammen mehr als 550.000 MW planen. Dazu gehören RWE und Uniper, PGE, Energa und Enea aus Polen oder Adani aus Indien sowie zahlreiche chinesische Firmen. Wenn auch nur ein Teil dieser Pläne realisiert wird, müssen wir uns vom

Die Versicherer und der Norwegische Pensionsfonds sind nur besonders große Investoren mit Divestment-Entscheidungen. Laut der Fossil Free Kampagne haben sich weltweit 895 Institutionen zum Divestment verpflichtet, die Vermögen im Wert von 6,16 Bil28


zulassen, keine Atomunternehmen und ebenso wenig Firmen, die Militärwaffen herstellen oder vertreiben. Gleiches hat das Land Berlin bei seinem DivestmentBeschluss festgelegt. Die Stadt Göttingen schließt neben Fossilen auch Atomwaffenproduzenten und die Rüstungsindustrie aus. Die Divestment-Diskussion öffnet somit die Tür auch für weitere Nachhaltigkeitsthemen.

Foto: 350.org/ creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/2.0

Ein wichtiger Punkt ist hierbei jedoch leider zu beachten. Dem Kohle-Divestment kommt sehr entgegen, dass Kohleunternehmen vielerorts wirtschaftlich sehr schlecht dastehen. Die RWE-Aktie etwa bereitet den nordrhein-westfälischen Kämmerern schon seit einigen Jahren keine Freude mehr. Der Abschied von solchen Unternehmen fällt leicht. Das gilt nicht in gleichem Maße für Rüstungsunternehmen, die vom Drängen auf höhere NATOAusgaben und den zahllosen Konflikten weltweit profitieren.

Pariser Klimaschutzziel verabschieden. Da die Preise für erneuerbare Energien weltweit sinken und der Widerstand gegen neue Kohlekraftwerke in vielen Ländern sehr groß ist, gehen die Neubaupläne erfreulicherweise zurück, deshalb wird die Liste der Kohlekraftwerksplaner in diesem Jahr aktualisiert.

dass zwar Wertpapiere von Kohlebergbauunternehmen verkauft wurden, dafür aber massiv in Energieunternehmen investiert wurde, die Kohle verfeuern. Wenn es darum geht, dass die Kohle in der Erde bleiben muss, darf in solche Unternehmen natürlich ebenfalls nicht investiert werden.

Umfassender Begriff von Kohleunternehmen

Interessant für den Zusammenhang dieser IPPNW-Ausgabe ist, dass die Beschäftigung mit den eigenen Anlagen dazu führen kann, dass mehr als fossile Unternehmen ausgeschlossen werden. Die Stadt Münster etwa, die als erste deutsche Kommune eine Divestment-Entscheidung getroffen hat, hat Kriterien für den Fonds aufgestellt, in dem künftig ihr Geld angelegt werden soll: Dieser darf neben Fossilen auch keine Unternehmen enthalten, die Kinderarbeit

Bei der Arbeit zum norwegischen Pensionsfonds haben wir festgestellt, wie wichtig es ist, klar zu definieren, was wir unter einem Kohleunternehmen verstehen. Oft geht es bei Divestment-Forderungen nämlich nur um Unternehmen, die fossile Energieträger abbauen. Eine erste Divestment-Entscheidung des norwegischen Pensionsfonds führte so 2014 dazu,

Nicht nur Fossile

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Und ganz generell gilt ohnehin: Beschlüsse sind gut, auf die Umsetzung kommt es jedoch an. Städte und Länder veröffentlichen nach Divestment-Beschlüssen oft die Kriterien für die Fonds, in denen sie ihr Geld anlegen lassen wollen. Teils sind die Fonds einsehbar. Bei anderen Investoren ist es schwieriger, zu überprüfen, ob die Beschlüsse sauber umgesetzt werden. Der norwegische Pensionsfonds veröffentlicht einmal jährlich die Liste aller Unternehmen, in die er investiert. Er ist damit aber eine rühmliche Ausnahme. Andere große Investoren wie Versicherer oder Pensionsfonds sind leider nicht so transparent, bei ihnen helfen bezahlte Finanzrecherchen, die aber nicht notwendigerweise für alle Akteure Ergebnisse bringen. Somit bringen Divestment-Kampagnen viele wichtige Diskussionen in Gang, können schädlichen Unternehmen die Finanzierung abschneiden. Wichtig ist es jedoch, nach Erfolgen eine gute Umsetzung von guten Beschlüssen zu verlangen und diese kritisch zu begleiten.

Regine Richter ist Energiereferentin bei urgewald.org.


WELT

Dialog statt Sanktionen IPPNW appelliert an Staatschefs, das Iran-Atomabkommen weiterzuführen einigten Staaten die Gesundheit der Bevölkerung im Iran gefährdet und rief die Staats- und Regierungschefs Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens dringend dazu auf, das Abkommen aufrechtzuerhalten und europäische Unternehmen, die durch US-Sanktionen bedroht sind, zu schützen. In dem Schreiben wurde die Sorge zum Ausdruck gebracht, dass erneute Sanktionen Gesundheitsversorgung und Lieferung wichtiger medizinischer Güter beeinträchtigen werden.

APOTHEKE IM IRAN: DURCH SANKTIONEN WERDEN MEDIKAMENTE TEUERER UND SIND SCHWERER ZU BEKOMMEN

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m Mai 2018 kündigte Präsident Trump für die USA das „Iran-Atomabkommen“ (Gemeinsamer umfassender Aktionsplan/Joint Comprehensive Plan of Action, kurz: JCPOA) und setzte wieder harte Wirtschaftssanktionen in Kraft – gegen ein Land, das bereits wirtschaftlich zu kämpfen hat. Angesichts der drohenden finanziellen Strafen durch die USA ziehen sich europäische Unternehmen zunehmend aus Handelsabkommen zurück, was für die Bevölkerung im Iran drastische Konsequenzen haben könnte. In einem Brief der IPPNW-Sektionen Frankreich, Deutschland und Großbritannien vom 18. Juni 2018 appellierten die Ärzt*innen an ihre Regierungen – die alle ursprüngliche Unterzeichner des JCPOA sind – zu dem Abkommen zu stehen. Die IPPNW fürchtet, dass die einseitige Aufkündigung des JCPOA durch die Ver-

Dr. Leila Moein, IPPNW-Ärztin, und Vertreterin der Ärzte für soziale Verantwortung (PSR-Iran) sagte dazu, die Sanktionen führten „(...) durch höhere Kosten und die Schwierigkeit, bestimmte Medikamente überhaupt zu finden, wieder zu mehr wirtschaftlichem Druck für Familien der mittleren und unteren Mittelklasse. Darüber hinaus hat die einseitige Aufkündigung des JCPOA durch Präsident Trump das Misstrauen gegenüber der internationalen Gemeinschaft in der iranischen öffentlichen Meinung verstärkt.“

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n ihrem Brief an den französischen Präsidenten Macron, die deutsche Bundeskanzlerin Merkel und die britische Premierministerin May bestärkte die IPPNW die Staats- und Regierungschefs, weiterhin eng mit der iranischen Regierung zusammenzuarbeiten, um sicherzustellen, dass die Verpflichtungen des Abkommens von allen verbleibenden Parteien erfüllt werden. Die Organisation drängte darauf, die Richtlinien des Europarates anzuwenden, um Unternehmen, die Geschäftsbeziehungen mit dem Iran fortführen, vor den Auswirkungen der Strafmaßnahmen der USA zu schützen. Bei einem Treffen mit IPPNW-Vertretern im Élysée-Palast am 30. Juli 2018 verurteilte Etienne de Gonneville, französischer Rat für strategische Angelegenheiten, die Entscheidung der USA und teilte die Bedenken der IPPNW-Vertreter Abraham Behar, Jorge Zwaig (AMFPGN) und Tomasz Pierscionek (Medact) bezüglich der humanitären Folgen der Sanktionen gegen den Iran. Die Regierung von Präsident Macron wird sich neben der Europäi30

Einladung in den Iran In Shiraz wird vom 14.–16. November 2018 der Internationale Kongress „Health for Peace (ICHP)“ stattfinden. Dr. Alireza Salehi und Dr. Leila Moein vom Teheran Peace Museum und PSR-Iran laden Ärzt*innen der IPPNW, Vertreter*innen von ICAN und andere Interessierte dazu ein, Vorträge und Workshops während der dreitägigen Konferenz zu halten, die von der „Shiraz University of Medical Sciences“ unterstützt wird in Zusammenarbeit mit dem iranischen Ministerium für Gesundheit und medizinische Ausbildung. Die Konferenz bietet internationalen Mediziner*innen und Friedensvertreter*innen die Möglichkeit direkt mit iranischen Kolleg*innen über Fragen des Friedens und der öffentlichen Gesundheit zu sprechen – und Bemühungen zu unterstützen, den JCPOA beizubehalten und die Bürger*innen vor den schädlichen Auswirkungen der US-Sanktionen zu schützen. IPPNW-Co-Präsident Dr. Arun Mitra und IPPNW-Vizepräsidentin für Europa, Dr. Angelika Claußen, werden anwesend sein. Dr. Moein bittet darum, dass Interessent*innen ihnen schnellstmöglich Bescheid geben, damit sie bei der Reiseplanung helfen können: Dr. Alireza Salehi: salehiar@sums.ac.ir Dr. Leila Moein: leilamoein@gmail.com

schen Union, dem Vereinigten Königreich, Russland und China an den JCPOA halten und sieht darin ein gutes Modell, um die Weiterverbreitung von Atomwaffen zu verhindern.

D

e Gonneville sagte, Präsident Macron sei besorgt, dass Sanktionen den Verkauf von medizinischen Gütern und Geräten an den Iran beeinträchtigen würden. Die französische Regierung versuche einen europäischen Konsens für „Gesundheits-Ausnahmen“ zu schaffen, sollten die USA ihren Handelsboykott soweit ausdehnen, dass er auch die Einfuhr von Medikamenten aus dem Ausland beeinflusst. Sie begrüßen die Unterstützung der IPPNW.

Charles Johnson ist Programmdirektor bei der internationalen IPPNW in Boston.


AKTION

Happy Birthday Der Atomwaffenverbotsvertrag wurde ein Jahr alt

Fotos: Ralf Schlesener

Am 7. Juli 2018, dem ersten Jahrestag des internationalen Atomwaffenverbotsvertrages, haben Friedensaktivisten von IPPNW und ICAN die Bundesregierung zum Beitritt aufgefordert. Ein Jahr zuvor hatten 122 Staaten bei den Vereinten Nationen diesen Vertrag beschlossen, der u. a. Einsatz, Besitz, Stationierung und die Drohung mit Atomwaffen verbietet. Inzwischen haben ihn 60 Staaten unterzeichnet und 15 Staaten ratifiziert. Die Bundesregierung weigert sich nach wie vor, dem Abkommen beizutreten. In einem Straßentheater auf dem Berliner Alexanderplatz wagten die Aktivisten einen optimistischen Blick in die Zukunft: Zwei als Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Heiko Maas verkleidete Personen unterschrieben einen überdimensionierten Verbotsvertrag. Passant*innen unterzeichneten zudem eine entsprechende Petition an die Bundesregierung.

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G ELESEN

G ESEHEN

Kriegsmacht Deutschland?

Am Anfang war die WAA

Informationen über und Handlungsempfehlungen zu den „Internationalen Erwartungen an Deutschland“, sich als militärische Ordnungs- und Führungsmacht engagieren zu sollen.

Der Film „Wackersdorf“ ist eine Reise zur Geburtsstunde der Anti-Atombewegung. Er ist heute so aktuell wie damals: ein Plädoyer für demokratische Werte und Bürgerengagement.

eit Jahren häufen sich Stimmen, die von Deutschland die Übernahme größerer internationaler Verantwortung, auch in militärischen Fragen, erwarten – aus seiner ökonomischen Stärke und der darin begründeten Macht solle Deutschland sich führend an der Aufrechterhaltung einer stabilen Weltordnung beteiligen. Dies ist der zentrale Gegenstand der Broschüre „Kriegsmacht Deutschland?“ von Henrik Paulitz, welche mehr Zitatensammlung als Dokumentation von Vorgängen hinter den Kulissen ist. Die Darlegungen werden ergänzt durch Rückblicke auf deutsche Kriegsbeteiligungen seit 1999, gut dokumentierte Hinweise auf die deutsche Außenpolitik, mit oftmals deutlicher Bevorzugung diplomatischer Lösungen gegenüber militärischem Vorgehen.

ls im Landkreis Schwandorf in den 1980er Jahren die Arbeitslosenzahlen steigen, steht Landrat Hans Schuierer unter Druck, Perspektiven für die Bevölkerung zu schaffen. Da erscheinen ihm die Pläne der Bayerischen Staatsregierung wie ein Geschenk: In der beschaulichen Gemeinde Wackersdorf soll eine atomare Wiederaufbereitungsanlage gebaut werden, die Arbeitsplätze für die ganze Region verspricht. Doch als der Freistaat ohne rechtliche Grundlage mit Gewalt gegen Proteste einer Bürgerinitiative vorgeht, die sich für den Erhalt der Natur in ihrer Heimat einsetzt, steigen in Schuierer die Zweifel. Er beschäftigt sich mit den Risiken der Atomenergie und legt sich mit der mächtigen Strauß-Regierung an.

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Wackersdorf ist ein Polit-Drama über die Hintergründe, die zu dem legendären Widerstand gegen den Bau der WAA in der Oberpfalz führten. Johannes Zeiler spielt den Lokalpolitiker Hans Schuierer, der seine Karriere und seine Zukunft aufs Spiel setzt und kompromisslos für Recht und Gerechtigkeit kämpft. Er weigert sich, die Pläne für die Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf zu unterschreiben bis die bayerische Staatsregierung seinen Widerstand mit der „Lex Schuierer“ umgeht. Das Gesetz regelt den „Selbsteintritt der Verwaltung“, was bedeutet, dass der Freistaat Bayern anstelle des Landrates unterzeichnen kann.

Neben diesen durchaus nützlichen Aufbereitungen werfen etliche Schlussfolgerungen und Vorschläge des Autors Fragen auf: Wenn 147 sich gegenseitig mit Beteiligungen durchdringende Bankhäuser, transnationale Rohstoff-, Rüstungs- und Medienkonzerne als geschlossenes System über die Welt verteilt 80 Prozent der weltweiten Umsätze kontrollieren, mit Barclays und Chatham House als Denkfabrik an der Spitze – wie beherrscht dieses System Konkurrenz und Widersprüche untereinander? Wenn es Staaten und Regierungen zu aggressiverer Außenpolitik „nötigt“ – mit ihren Denkfabriken? – wie soll damit die Friedensbewegung umgehen? Wirklich mit einem Brief an „Interessierte und Verantwortungsträger im Ausland“, damit hier wie dort Proteste „gegen das System der Nötigung“ organisiert werden – „statt Länder anzuklagen“? Es scheint nicht mehr zu intelligenter Politik und Kommunikation zu gehören, Verantwortliche für gefährliche Politik in Regierung und Parlament zu identifizieren. So soll die Spaltung der Gesellschaft beispielsweise verhindert werden, indem man mit Rassismus-Vorwürfen etwas zurückhaltender und vorsichtig bei „vordergründig ‚ausländerfreundlicher‘ Berichterstattung“ sei.

Der Film wurde an Originalschauplätzen gedreht und zeichnet die Geburtsstunde der Anti-Atombewegung in der Bundesrepublik Deutschland. Weitere Protagonisten der bayrischen Anti-Atombewegung spielen in dem Film eine Rolle, Bestandteil sind zudem Originalbilder vom Widerstand und Reden von Franz-Josef Strauß. Am 1. Oktober 1988 hatten auch etwa 600 Ärzt*innen gegen die Anlage protestiert, darunter viele IPPNW-Mitglieder wie Gründungsmitglied Horst-Eberhard Richter. Für ihn war die geplante Anlage ein Symbol technischer Hybris.

Eine durchaus interessante Lektüre mit einigem Licht und langen Schatten.

Dieser kluge und unterhaltsame Film ist eine Lektion in Sachen Moral, Bürgerengagement und Verantwortungsbewusstsein.

Henrik Paulitz: Kriegsmacht Deutschland? Akademie Bergstraße, 2018, DIN A4, 102 S., 20,00 €, ISBN 978-3-981-852516

Er läuft ab 20. September 2018 im Kino. Weitere Informationen unter www.wackersdorf-film.de

Jürgen Sendler

Angelika Wilmen 32


G EDRUCKT

TERMINE

Im Ausnahmezustand

SEPTEMBER 21.–23.9. Europäisches IPPNWTreffen und Studierendentreffen, Wrocław, Polen

Entlassung, Verhaftung und Vertreibung: Reiseeindrücke aus der Türkei

E

21.–23.9. Die Tepco-Atomkatastrophe, internationale Tagung, Frankfurt (Main)

ine achtköpfige Gruppe von Ärztinnen, Pädagoginnen und einem Pfarrer war vom 10. bis 24. März 2018 unterwegs in Istanbul, Diyarbakir, Mardin, Nusaybin, Cizre, Hasankeyf, Dersim/Tunceli und Ankara. Sie führte Gespräche mit Vertreter*innen der Zivilgesellschaft, der HDP und der Deutschen Botschaft und nahm am Newrozfest in Diyarbakir teil.

22.9. 13. Göttingen

Atommüllkonferenz,

27.9. Kriegsmacht Deutschland?, Buchvorstellung und Diskussion, Ulm

OKTOBER 1.10. Gesundheitsversorgung von Menschen ohne Papiere und ohne Krankenversicherung, Ulm

Einblicke und Eindrücke, Begegnungen und Gespräche dieser Reise in eine Türkei im Ausnahmezustand bündelt das neu erschienene IPPNW-Akzente 2018 „Entlassungen, Verhaftungen und Vertreibung“.

9.10. Ausstellungseröffnung „Hibakusha weltweit“ mit Vortrag von Dr. Alex Rosen, Berlin

Die 36-seitige Broschüre kann für 5,00 € in der IPPNW-Geschäftsstelle oder in unserem Online-Shop bestellt werden: shop.ippnw.de

9.–14.10. International Uranium Film Festival 2018, Berlin 13.10. #unteilbar: Großdemonstration für eine offene und freie Gesellschaft, Berlin

G EPLANT Das nächste Heft erscheint im Dezember 2018. Das Schwerpunktthema ist:

Unser Rezept für Frieden: Humanität und Menschenrechte statt Ausgrenzung Der Redaktionsschluss für die Ausgabe 156/September 2018 ist der 30. Oktober 2018. Das Forum lebt von Ihren Ideen und Beiträgen. Schreiben Sie uns: forum@ippnw.de

IMPRESSUM UND BILDNACHWEIS

13.–14.10. „We shall overcome!“ Gewaltfrei aktiv für die Vision einer Welt ohne Gewalt und Unrecht, Tagung, Gammertingen/Buttenhausen 19.–21.10. Krankenhaus statt Fabrik, Kongress gegen die Ökonomisierung der Gesundheitsversorgung, Stuttgart 26.–28.10. „Don’t militarize me!“, Vernetzungstreffen junger Friedensaktivist*innen, Kassel

NOVEMBER Herausgeber: Internationale Ärzte für die Verhütung

schriftlichen Genehmigung.

des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung e. V.

Redaktionsschluss

(IPPNW) Sektion Deutschland

30. Oktober 2018

für

das

nächste

Heft:

Redaktion: Sabine Farrouh (V.i.S.d.P.), Angelika Wilmen,

Gestaltungskonzept:

Samantha Staudte

Samantha Staudte; Druck: DDL Druckereidienstleistun-

Freie Mitarbeit: Edwina Al-Khalil

gen Berlin; Papier: Recystar Polar, Recycling & FSC

Anschrift

der

Redaktion:

www.buerobock.de,

Layout:

Körte­

Bildnachweise: S.4: Österreichisches Bundesministe-

straße 10, 10967 Berlin, Telefon: 030 / 69 80 74

rium für Europa, Integration und Äußeres, creativecom-

0, Fax 030 / 693 81 66, E-Mail: ippnw@ippnw.de,

mons.org/licenses/by/2.0; S.7 links oben: NervousEner-

www.ippnw.de, Bankverbindung: Bank für Sozial-

gy, creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0; S.7 rechts

wirtschaft,

oben: stopkillerrobots.org; S.8: Lucas Wirl, creativecom-

IBAN:

IPPNWforum,

DE39100205000002222210,

BIC: BFSWDE33BER

mons.org/licenses/by-nc-sa/2.0; S.30: MRG90 (Wiki-

Das Forum erscheint vier Mal im Jahr. Der Be-

media), creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.

zugspreis

de; S. 34 © Max Rauner; nicht gekennzeichnete: privat

für

Mitglieder

ist

im

Mitgliedsbeitrag

enthalten. Sämtliche namentlich gezeichnete Artikel

oder IPPNW.

3.11. Demokratie und Frieden in Gefahr?, IPPNW-Tagung, Landsberg am Lech (siehe S. 35) 13.11. Trügerische Sicherheit – Wie die Terrorangst uns in den Ausnahmezustand treibt, Eggenfelden

DEZEMBER 3.–14.12. UN-Klimagipfel, Katowice, Polen 7.–9.12. Berlin

IPPNW

Peace-Academy,

Informationen und Kontaktdaten: www.ippnw.de/aktiv-werden/termine

entsprechen nicht unbedingt der Meinung der Redaktion oder des Herausgebers. Nachdrucke bedürfen der

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G EFRAGT

6 Fragen an … Claudia Peterson

Sie wuchs in der Windfahne der Atomwaffentests von Nevada auf und engagiert sich heute für die betroffenen „Downwinder“.

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Wann haben Sie zum ersten Mal eine Atombombe explodieren sehen? Als ich 1955 geboren wurde, wurden in Nevada schon im fünften Jahr Atombomben getestet. Ich wuchs auf einem Bauern­hof im Süden Utahs auf, und eines Abends saß ich mit meinem Bruder auf der Schaukel, als ich plötzlich einen Riesenfeuerball über dem Horizont aufsteigen sah. Ich rannte ins Haus und rief meiner Mutter zu, dass ein UFO zu sehen sei. Als sie rauskam, hatte sich die Wolke schon wieder verflüchtigt. Wir gingen wieder nach drinnen, als wäre nichts Besonderes passiert.

War Ihre Familie betroffen? Bei meinem Vater wurde ein Hirntumor diagnostiziert. Er hat sechs Monate lang gekämpft, aber dann verstarb er. Ein paar Jahre später wurde bei unserer Jüngsten, Bethany, ein Neuroblastom der Stufe 4 diagnostiziert, später akute monozytische Leukämie. Und meine Schwester, fünf Jahre älter als ich, erkrankte an Hautkrebs. Sie war schwanger. Sie gebar das Baby, und drei Wochen später be­gann die Chemotherapie. Ich wusste, dass sie sterben würde. Bei der Beerdigung beobachtete Bethany alles sehr genau. Sie starb einen Monat später. Es war die Hölle.

Hatte niemand Angst vor der radioaktiven Strahlung? Am Anfang nicht. Wir aßen alles aus dem Garten, wir tranken die Milch unserer Kühe. Nach­dem ich eingeschult worden war, kamen eines Tages Angestellte der Atomenergiebe­hörde in schwarzen Anzügen in die Schule. Sie brachten Geigerzähler mit und erzählten uns, sie würden die Schilddrüsen unter­suchen. Wenn die Messgeräte Alarm schlu­gen, sagten sie: Macht nichts, du hattest wohl mal eine Röntgenaufnahme beim Zahnarzt. Dann gingen wir in den Keller der Schule, und man erzählte uns, wo wir uns verstecken müssten, wenn die Russen uns bombardierten. Wenn ein Test angekündigt wurde, sollten wir nun drinnen bleiben. Meine Mutter hängte an diesen Tagen auch keine Wäsche nach draußen. Sie arbeitete als Krankenschwester und sagte uns, sie habe ein schlechtes Gefühl wegen der Tests. Es war aber nicht so, dass uns irgendjemand gewarnt hätte.

Haben Sie damals der Regierung die Schuld gegeben? Drei Jahre gingen ins Land, in denen ich einen Fuß vor den ande­ ren setzte. Dann bekam ich eine Einladung der IPPNW nach Semipalatinsk, dort lebten die russischen „Downwinder“. Das waren wunderbare, höfliche, kluge Menschen. Mir wurde bewusst: Das sind auch nur Mütter, die ihre Kinder lieben – und ich hatte mein Leben damit zugebracht, diese Menschen zu fürchten. Da wurde ich wütend. Was man denen angetan hatte, hatte man auch uns angetan. Ich schwor mir, dass ich mir niemals wieder den Mund verbieten lassen würde. Auch wenn man mich dafür aus der Kirche werfen würde.

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1990 hat der US-Kongress ein Gesetz verabschiedet, in dem eine Entschädigung festgesetzt und eine Art Entschuldigung formuliert wird. Nehmen Sie die an? Nein. Das Positive daran ist, dass wir wissen: Die Regierung war sich über die Gefahren der Tests im Klaren. Aber Krebs in der zweiten oder dritten Generation wird von dem Gesetz nicht anerkannt. Ich habe vielen geholfen, die Anträge auszufüllen. Oft werden sie abge­lehnt. Und wenn nicht, speisen sie einen mit 50.000 Dollar ab. Die reichen gerade mal für ein halbes Jahr Chemotherapie. Es ist ein Schlag ins Gesicht.

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Wann schöpften die Menschen Verdacht, dass der Fallout gesundheitsschädlich sein könnte? Einige Leute hatten die Regierung auf Schadensersatz verklagt. Tausende von Schafen waren nach einem der Tests gestorben. Als ich in der sechsten Klasse war, erkrankte einer meiner Klassen­kameraden an Leukämie. Ich weiß noch, wie traurig ich war, als er starb. Kurz darauf erkrankte ein Schüler an Kno­chenkrebs und starb ein Jahr später. Eine gute Freundin meiner Mutter wurde krank und verstarb, sie war jung. Ihr Arzt sagte, das könnte an der Strahlung liegen. Die Indizien häuften sich, aber viele Leute sagten immer noch: Die Regierung würde uns niemals Schaden zufügen.

Gekürzte Fassung eines Interviews von Max Rauner erschienen unter: www.zeit.de/zeit-wissen/2018/03/atomwaffentestnevada-leben-erfahrungsbericht 34


ANZEIGEN

EINLADUNG

Demokratie und Frieden in Gefahr? IPPNW-Tagung, Samstag, 3. November 2018 Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Sie herzlich zur IPPNW-Tagung „Demokratie und Frieden in Gefahr?“ einladen. Mit ausgewiesenen Referenten widmen wir uns in Vorträgen und Workshops diesem aktuell brisanten Thema. Wir wollen ein wichtiges Zeichen setzen für den Erhalt des Friedens und die Bewahrung der Humanität und der Menschenrechte. Somit ein ganz wichtiges Anliegen unserer IPPNW. Machen Sie mit und kommen Sie nach Landsberg. Wir freuen uns sehr über Ihre Teilnahme! Mit freundlichen Grüßen, Rolf Bader, ehemaliger Geschäftsführer der IPPNW Programm 10.00 Uhr Begrüßung (Rolf Bader, ehemaliger Geschäftsführer der IPPNW, Kaufering) 10.15 Uhr Vortrag: Der Atomkriegsgefahr begegnen „Weltbürgertum im Anthropozän – eine Chance für den Weltfrieden“ (Dr. Till Bastian, Arzt und ehemaliger Vorstand der IPPNW, Isny) 11.00 Uhr Vortrag: „Demokratie und Menschenrechte – eine Bestandsaufnahme“ (Gert Heidenreich, Schriftsteller, ehemaliger Präsident des PEN-Zentrums West, Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, Seefeld/Hechendorf) 12.00–12.30 Uhr Kaffeepause

Start der neuen Ausbildung im November 2018

Campaigning for Peace Qualifizierung zum/zur Campaigner*in und Moderator*in in Kampagnen Frieden braucht Kampagnen! Durch Kampagnen entwickelt die Friedensbewegung wirkungsvolle Strategien und Handlungskonzepte, wie sie ihrem Ziel näher kommen kann: eine Welt ohne Kriege. Frieden braucht Campaigner*innen! Neben einer starken Bewegung braucht es auch professionelle Campaigner*innen. CampaPeace qualifiziert dich als Campaigner*in und als Moderator*in für Kampagnen. Die Qualifizierung vermittelt grundlegende Kompetenzen im Bereich gewaltfreier Widerstand, Kampagnenarbeit, soziale Bewegungen und Moderationstechniken. So kannst du noch erfolgreicher in Kampagnen bundesweit und regional aktiv sein.

12.30–13.15 Uhr Vortrag „Internationale Kampagne gegen den globalisierten Waffenhandel“ Referent: Dr. Helmut Lohrer, Arzt und International Councillor der IPPNW, Villingen (angefragt)

Teilnehmen kann jede*r, der oder die in der Friedensbewegung in Kampagnen aktiv ist oder gerne werden möchte.

13.15–14.00 Uhr Kaffeepause

November 2018 – November 2019: sechs Module à 2 Tage jeweils von Freitagabend bis Sonntagmittag

14.00–16.00 Uhr Workshops: zu den Themen „Frieden und Demokratie in Gefahr?“, „Friedenspolitisches Wirken der IPPNW – früher und heute“ und „Würde und Menschenrechte – ein Plädoyer für gelebte Humanität“ 16.15 Uhr Abschlussplenum Anmeldung: Rolf_Bader@web.de Tagungsbeitrag: 20,00 € Ort: Stadttheater Landsberg (historische Altstadt), Schlossergasse 381, 86899 Landsberg

Kontakt für Fragen und Anmeldungen: ursula.gramm@wfga.de Ausführliche Beschreibung unter www.wfga.de/aus-und-fortbildungen


Let's talk about ...

Friedensdienst

Antikriegsarbeit

Kampagnen

Pazifismus

Gewaltfreie Kommunikation

Dialog

Frieden

Friedenslogik

Zivile Konfliktbearbeitung

Prävention

Deeskalation

7.–9. Dezember 2018 in Berlin

Friedensbewegung Medical Peace Work

IPPNW Peace-Academy Für Studierende und junge Ärztinnen und Ärzte Ein Wochenende lang wollen wir uns gemeinsam über zivile Konfliktbearbeitung, Friedenslogik und gewaltfreie Kommunikation informieren, diskutieren und interaktiv Ideen entwickeln. Wie ist die Friedensbewegung strukturiert und was gibt es für aktuelle Aktionsmöglichkeiten, um auf gewaltfreie Konfliktlösungen aufmerksam zu machen und sich für Frieden einzusetzen? Wie können wir konstruktive und schlüssige Argumentationsketten aufbauen, um Menschen von unserem Anliegen der friedlichen und fairen Konfliktbearbeitung zu überzeugen? Teilnahmebeitrag inkl. Unterkunft und Verpflegung im Akademie Hotel, Berlin: 45,00 €

Weitere Infos und Anmeldung:

www.ippnw.de/bit/peaceacademy2018

Freitag, 7. Dezember 2018 • Auftakt: Kennenlernen, Brainstorming und Peace Line Up, gemeinsames Essen und Film Samstag, 8. Dezember 2018 • Basiswissen I & II (Zivile Konfliktbearbeitung, Gewaltfreie Kommunikation, Friedenslogik versus Sicherheitslogik) • Praxis: Vorstellung von aktuellen Kampagnen und Projekten • Einführung in Kampagnenarbeit & Arbeitsgruppen zu möglichen Kampagnen Sonntag, 9. Dezember 2018 • Basiswissen III: Responsibility to protect/ Schutzverantwortung • Fishbowl Diskussion Pro & Kontra • Gesprächstraining • Feedback und Auswertung


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