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DIE LETZTEN TAGE?

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WIE LANGE KANN DIE CLUBSZENE NOCH DURCHHALTEN?

Corona trifft uns alle … und doch einige mehr. Vor allem die Club- und Veranstaltungsbranche kämpft ums Überleben.

›› Redaktion: Heidi Zehentner

Was ist Kultur? Theater und Oper natürlich, auch Kunst und Literatur schenken uns kulturelle Freuden. Das aber tun auch Veranstaltungen, die nicht der sogenannten Hochkultur entspringen, sondern mit Konzerten aller Musikgenres und Clubevents zu Hochstimmung beitragen möchten. Kleinere Konzerte dürfen, sofern für die Veranstalter*innen überhaupt finanzierbar, wieder stattfinden. Wann das Clubleben wieder zu erleben sein wird, steht in den Sternen. Oder im Corona-Masterplan der Regierung. Clubs- und Musikspielstätten stehen aktuell noch auf einer Stufe mit Kasinos, Diskotheken, Bordellen oder Sexkinos und unterliegen damit den Regelungen profitorientierter Gewerbetreibender. Hungrig tanzen diverse Grüppchen nachts im Park oder auf Frankfurts Plätzen, bewegen sich zu den treibenden Beats auf geheimen Raves. Dass dies negative Auswirkungen haben kann, zeigte sich jüngst in den Vorfällen am Opernplatz. Wann aber wird es auch Lockerungen für die Clubkultur geben? Wann öffnen sich die Türen von Adlib, Freud, Robert Johnson, Zoom, Tanzhaus West und Batschkapp? Wie lange kann die Clubszene noch durchhalten?

BASTIAN BERNHAGEN, GIBSON CLUB

Kurz vor unserem achten Geburtstag mussten wir den Gibson Club am 13. März auf unbestimmte Zeit schließen. Das Motto des geplanten Geburtstages wäre „endless 8“ gewesen. Dass jedoch nichts unendlich, sondern alles zerbrechlich und vergänglich ist, mussten wir in den Tagen nach dem 13. schmerzlich erfahren. Auf einmal wurden alle im

Team in eine surreale Welt gedrängt, die mittlerweile zur Realität geworden ist.

Achtzig Mitarbeiter befinden sich entweder in Kurzarbeit oder die Arbeitsverhältnisse ruhen. Seit nunmehr 17 Wochen sind wir geschlossen, ohne Umsatz und ohne Perspektive auf Wiedereröffnung als Club. In einer Krise wie dieser ist man froh, wenn man zuverlässige Partner an seiner Seite hat. Wir konnten mit unserem Vermieter eine Regelung in Bezug auf die Mietzahlungen vereinbaren und auch alle weiteren Kosten auf ein Minimum reduzieren. Als Unternehmer stehen wir in dieser Krise besonders zu unserer Verantwortung gegenüber unseren Mitarbeitern und geben hier zahlreiche Hilfestellungen durch individuelle Lohnaufstockungen und Informationen zu Förderprogrammen.

Diesen Lockdown werden wir noch für eine geraume Zeit überleben können, jedoch ist die jetzige Situation für uns völlig schizophren. Durch die zahlreichen Lockerungen für Bars und Restaurants entsteht der Eindruck, dass die

Gastronomie mittlerweile gut durch diese Krise kommt. Fakt ist, dass dies für die Clubs, Konzerthallen und diverse Veranstalter nicht zutrifft. Die Verlagerung der Partys in andere gastronomische Betriebe tut ihr Übriges zu dieser Wahrnehmung. Was viele – Außenstehende – nicht wissen: Es gibt immer noch ein striktes Tanzverbot. Aus diesem Grund muss für uns Clubs kurzfristig eine politische Lösung mit einer verbindlichen Exit-Strategie geschaffen werden. Ob diese darin besteht, uns als betroffenen Clubs, Open-AirFlächen durch die Stadt zur Verfügung zu stellen (dies wird in Berlin bereits umgesetzt), um in den verbleibenden Sommermonaten Pop-up-Locations zu bespielen, oder eine schrittweise Öffnung durch das Back-to-Live-Konzept zu ermöglichen, bleibt den Verantwortlichen überlassen. Fakt ist, dass für uns als Clubs immer noch ein Berufsverbot besteht. Wir haben in zahlreichen Gesprächen mit diversen Fraktionen Wege und Möglichkeiten hin zu einer Öffnung unserer Betriebe aufgezeigt. Jetzt braucht es Fachleute, die die Effektivität unsere Ansätze bestätigen. Und weitsichtige Politiker, die diese zeitnah in Verordnungen umsetzen.

ANSGAR „GRRR!“ FLEISCHMANN, SILBERGOLD

DCovid-19 hält die Menschheit im Würgegriff und die langfristigen Auswirkungen auf die Veranstaltungsbranche sind noch gar nicht abzusehen. Von heute auf morgen mussten sämtliche Clubs und Konzerthallen schließen und Tanzveranstaltungen sind bis auf Weiteres untersagt. An Orten, die soziale Nähe und verschwitzte Nächte bieten, sind Hygienekonzepte nur schwer umsetzbar und eine dementsprechend verringerte Publikumsgröße wirtschaftlich nicht tragbar. Das gilt insbesondere für Clubs ohne Außenbereich wie das Silbergold. Von einer Spendenaktion haben wir im Gegensatz zu vielen Kollegen bisher bewusst abgesehen. Glückli

cherweise sind die Sommermonate nicht die umsatzstärkste Zeit bei uns und die staatliche Soforthilfe hat in den ersten Monaten gegriffen, aber da muss dringend nachgelegt werden, denn selbst gestundete Mieten wollen irgendwann beglichen werden. Wie immer trifft es in einer Krise die Schwächsten am härtesten, so hat das Horst bereits aufgeben müssen, ein herber Verlust für Frankfurt. Auch muss man an die ganzen Berufe denken, die mit dem Clubbetrieb zusammenhängen, von der Reinigungskraft über Bar- und Sicherheitspersonal, Techniker, Lieferanten, Booker und natürlich DJs, Bands und Künstler. Die Schweiz hat Anfang Juni unter hohen Auflagen Veranstaltungen bis 300 Personen gestattet, aber dort kam es schon zu ersten Fällen von Infektionen. Niemand hat ernsthaft Interesse, das nächste Ischgl zu werden, denn die Gesundheit aller hat weiterhin oberste Priorität. Es liegt noch ein langer Weg vor uns, bis wieder ungezwungen in Clubs getanzt werden darf, aber wir sollten die Hoffnung nicht aufgeben.

ATA MACIAS, ROBERT JOHNSON

Wir sind als Club und Kulturstätte auf uns allein gestellt. Es gab 10.000 Euro Soforthilfe von der Stadt Offenbach, das war es. Nur wie sollen wir davon die laufenden Kosten bestreiten? Wir werden gehalten von unseren Fans – und nur durch diese. Von Privatpersonen haben wir 90.000 Euro Spenden bekommen (seeyousoon. love). Ohne diese hätte der Club seine Pforten längst schließen müssen. Seit März haben wir keine Einnahmen mehr. Wie also soll das gehen? Stark betroffen sind auch alle (noch) nicht so bekannten DJs und Musiker*innen. Einfach nur schlimm! Für diese gibt es kein finanzielles Mittel, da ihr Arbeitswerkzeug, und nur für das gibt es finanzielle Unterstützung, ihre Kreativität ist. Da bleibt nur Harz IV. Es kann nur weitergehen, wenn wir tanzen dürfen, so wie früher, Schweiß und Umarmen gehören zu einer Clubnacht einfach dazu. Alles andere macht keinen Sinn. Ein Club kann nicht auf Distanz tanzen. Wir werden keine halben Sachen machen. Die Politiker*innen müssen endlich verstehen, dass die Clubkultur sehr wichtig ist. Hier treffen sich Musiker*innen, Tänzer*innen, Musikliebhaber*innen, Künstler*innen, Designer*innen, Fotograf*innen und Andersdenkende in einem Raum und tauschen sich aus bis früh in den Morgen. Da entstehen fantastische Dinge, große Arbeiten, neue Ideen, hohe Kreativität. Es geht hier nicht um Alkohol und Drogennehmen, so wie das sehr gerne von außen wahrgenommen wird. Was wäre Berlin ohne sein Nachtleben? So nebenbei, der größte Arbeitgeber in Berlin ist die Nacht. Und das trifft auch auf den Großraum Frankfurt und Offenbach zu.

EVA DANIELS, ZOOM

Das Zoom ist seit vier Monaten komplett geschlossen. Tanzveranstaltungen dürfen bis auf Weiteres überhaupt nicht stattfinden – zumindest nicht in Clubs. Auf der Straße und in manchen Bars findet die Party allerdings trotzdem statt, was eindeutig zeigt, dass sich das Bedürfnis der Menschen, sich zu treffen und zusammenzukommen nicht dauerhaft unterdrücken lässt. Für Clubbetreiber, die normalerweise die Orte für

Zusammenkünfte und soziale Nähe bieten, ist es nicht nur frustrierend, sondern auch existenzbedrohend, dass sie ihre Räume nach wie vor nicht für Gäste öffnen dürfen. „ Mit Abstand geht es nicht“ ist ein treffender Slogan, der die

Situation in Clubs oder bei Konzerten beschreibt. Es müsste möglich sein, soziale Nähe in Clubs oder Konzerthallen wieder zuzulassen, wenn die Besucher einen aktuellen negativen Corona

Test vorlegen und/oder fieberfrei sind. Zudem sind die allermeisten

Clubs mit leistungsstarken Lüftungsanlagen ausgestattet, die einen stetigen Luftaustausch im Club gewährleisten. Es wäre auch denkbar, Tickets für den Club-/Konzertbesuch ausschließlich im Online-Vorverkauf zu vertreiben, was erforderlichenfalls eine Möglichkeit zur Nachverfolgung von Kontakten bieten würde. Dass die Party derzeit an allen möglichen oder unmöglichen Orten stattfindet, außer in Clubs, ist ein Zustand, der nicht mehr tragbar und nicht mehr zu rechtfertigen ist.

Wie die meisten Clubs steht auch das Zoom mit dem Rücken an der

Wand. Die kürzlich beschlossenen Überbrückungshilfen decken, sofern sie bewilligt werden, für die nächste Zeit nur 80 % der Fixkosten, die das Zoom nach wie vor zu tragen hat, obwohl die Umsätze um 100 % eingebrochen sind. Wo die restlichen 20 % herkommen sollen, weiß ich noch nicht. Ich würde ja liebend gerne selbst wieder

Umsätze generieren, wenn man uns Clubs mit all unserer Expertise, unseren Ideen und unseren technischen und personellen Möglichkeiten machen ließe. Aber wie so oft fehlt auch hierzu (noch) der politische Mut bei den Entscheidungsträgern.

SAVE THE SOUND

›› 9.8., Nachtleben, Frankfurt, 15 € (+Geb.), 18.24 Uhr, Open Doors: 17 Uhr, Tickets: eventbrite.de/Savethesound, FB und Instagram / savethesound.ffm

Wir wissen, was du diesen Sommer getan hast. Nicht viel. Wie die meisten Leute auch. Und das geht auch deinen Lieblingskünstler*innen so, deren Gigs dieses Jahr abgesagt wurden. Doch bevor deine Couch den Abdruck deines Hinterteils annimmt, mach dich auf und gönn dir eine heiße Nacht im Nachtleben. In entspannter Atmosphäre, bei feinsten House- und Disco-Tunes kannst du in nostalgischen Erinnerungen an die mittlerweile längst vergessenen Partynächte schwelgen. Sechs DJs sind auf zwei Floors am Start, allesamt mehr als vielversprechend: letung (@letuuung), DJ RMV (@minhhienphn), Steamboat (@yoursteamboat), Charles Michael (@tschatschatscharles), Charli[e] (@ charliiei) und Derjoni (@jnthnkrmr). Eine Tanzfläche wird/darf es nicht geben, dafür Stehtische für bis zu vier Personen. Arsenij Geld, Tavis Essig und Paul Jäger veranstalten einen Event, der nicht nur uns, sondern auch der Szene Gutes tun möchte, alle Einnahmen aus dem Ticketverkauf gehen an „United We Stream“. Da nur 100 verkauft werden dürfen, lohnt es sich, schnell zu sein und endlich mal wieder live ein Event mitzuerleben. Und wer mittlerweile zu schüchtern ist, um das Haus zu verlassen, schalte einfach beim Stream ein.

RUSBEH TOUSSI, ADLIB & VELVET CLUB

Wenn wie unsere Clubs nicht in Kürze widereröffnen können, sehe ich mich gezwungen, aufzuhören. Bei monatlichen Mietausgaben von über 50.000 Euro und seit vier Monaten ohne jegliche Einnahmen ist ein Kostenberg angewachsen (und wird es weiter), den ich nicht mehr bewältigen werde können. Das Adlib und der Velvet Club können bald nicht mehr existieren, wenn sich nicht bald etwas gravierend ändert. Doch die Politik ist mutlos, und ja, auch blind. Die Vorkommnisse am Opernplatz waren vorhersehbar. Was früher unsere Türsteher*innen, die zu Unrecht als asoziale Schläger abgestempelt werden, leisten, sieht man nun. Nämlich sich die Gäste genau anzuschauen und diejenigen, die Ärger vermuten lassen, gar nicht erst zum Zuge kommen zu lassen. Dass den Clubbetreiber*innen der Stadt bis auf Weiteres Berufsverbot auferlegt wurde und zeitgleich in manchen Bars und Restaurants Alternativ-Partys gefeiert werden, hätten die Verantwortlichen sehen kommen müssen. Auch, dass es für eine junge Generation sehr wichtig ist zu Musik und Tanz zusammenzukommen, was sich nun an allen öffentlichen Plätzen der Stadt zeigt, die abends von Feiernden überflutet werden. Mit Mülltonnen die Abstandsregeln einzufordern ist doch Unfug. Warum also nicht mit strengen Auflagen die Clubs wiedereröffnen? Es gibt Alternativmodelle wie zum Beispiel in der Schweiz, wo Clubs mit nachvollziehbaren Kontakten aufmachen dürfen. Die Türsteher*innen können dies auch in Frankfurt leisten. Nur Mut, werte Damen und Herren der Stadtverwaltung! In den Clubs haben wir äußerst leistungsfähige Lüftungsanlagen, darauf angelegt, eine große Menge an Menschen wieder gesund nach Hause gehen zu lassen. Mit derlei sind Bars oder Restaurants übrigens nicht ausgestattet. Lasst uns weitermachen, auch den Menschen zuliebe, die endlich wieder dort feiern können, wo es sicher ist.

MATTHIAS MORGENSTERN, TANZHAUS WEST & VORSTAND CLUBS AM MAIN E.V.

Seit Juni versuchen wir zusammen mit dem Theater Landungsbrücken einen Restart mit unserem neuen Konzept „Clubpicknick“. Das Kulturprogramm mit gastronomischer „Betreuung“ am Tisch, unter anderem mit ausgewählten Weinen und kulinarisch leckeren Häppchen, findet in unserem Sommergarten von Donnerstag bis Samstag jeweils ab 19 Uhr statt. Der Publikumszuspruch ist erfreulich groß und dient mir und meiner Belegschaft in Organi

sation und Umsetzung als kraftspendende Motivation. Gleichwohl ersetzen solche Lebenszeichen natürlich wirtschaftlich nicht einen normalen Clubabend und „Clubpicknick“ ist ein Sommerkonzept und somit abhängig vom Wetter. Spätestens Mitte September hat sich diese Outdoor-Option erledigt. Aus diesem Grund blicken wir besorgt auf den kommenden Herbst und die Wintersaison. Ohne nennenswerte Öffnungsperspektive geht Clubs & Musikspielstätten finanziell die Luft aus. Fast alle der Clubs im Rhein-Main-Gebiet werden das nächste Jahr nicht überleben und selbst wenn sie sich durch drastische Reduktion der Betriebsund Personalkosten à la Kurzarbeit in einer Art „Wachkoma“ ins nächste Jahr retten, werden sie bei einer möglichen Wiedereröffnung im Frühjahr ohne ihr Stammpersonal dastehen, das sich dann notgedrungen andere Jobs in der Zwischenzeit gesucht haben wird. Schon jetzt sind die Auswirkungen der Schließung deutlich spürbar. Vermehrt unkontrollierte Partys und Ansammlungen an öffentlichen Plätzen wie z.B. an der Alten Oper, Friedberger Platz einerseits und erst ein rein symbolisch appellierender Umgang mit diesem Phänomen und bei Nichterfolg der Maßnahmen ein ebenfalls hilflos polizeilich-repressiver Weg andererseits sehen wir als eine zunehmende Gefahr für ein positiv besetztes urbanes Nachtleben. Clubs- und Musikspielstätten haben an normalen Wochenenden in Frankfurt/Offenbach rund 50.000 zumeist jüngere Gäste. Fällt diese kulturelle und soziale „Jugendarbeit“ seitens der Clubs aus, suchen sich Jugendliche alternative Orte. Schon jetzt toben jedes Wochenende unkontrollierte Raves ohne Awareness oder Prävention und Umweltverschmutzung inklusive. Sie sind ein Folgeproblem der nach wie vor geschlossenen

vermutlich spätestens am Ende des Jahres vielen Clubs und Musikspielstätten. Wir benötigen einen Restart für unsere Kulturorte begleitet mit wirksamen Hygienekonzepten und gleichzeitige alternative und neue Angebote für öffentliche Plätze. Hierzu braucht es ein Stück weit Mut und Entschlossenheit, leider mangelt es den politisch Verantwortlichen daran entscheidend.