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Tegtmeyer

"Man kann ihm total ansehen, wie viel Spaß er daran hat", sagt Züchterin Claudia Tegtmeyer, während Otto mit wehendem Schweif am Spülsaum entlang galoppiert. "Ich bin früher oft mit ihm hier am Meer geritten - und das weiß er auch noch." Der auf Norderney geborene Hannoveraner Hengst ist an diesem Wochenende nach längerer Zeit mit seinem ständigen Reiter Oliver Ross für einen kurzen Besuch auf die Insel zurückgekehrt. Der frech zerzauste Schopf, die großen Augen, das Ohrenspiel - ein durchtrainiertes, drahtiges Muskelpaket. Einen wie Otto würden selbst Laien unter Hunderten wiedererkennen. Die Ausstrahlung, der ganze Habitus - wir haben noch nie so ein beeindruckendes Pferd erlebt.

Ottos vollständiger Name lautet Otto de la Roche FRH. Den Zusatz FRH dürfen nur Pferde tragen, die vom renommierten "Verein zur Förderung der Reiterei auf hannoverschen Pferden" als für Zucht und Sport besonders hoch veranlagt beurteilt werden. "Nur rund 20 Springpferde pro Jahr erhalten diese besondere Auszeichnung. Darüber freuen wir uns sehr", erklärt Claudia, die nicht nur Züchterin, sondern auch Besitzerin des 6-jährigen Hannoveraners ist. Seinen bislang größten Erfolg konnte Otto 2021 mit seinem Reiter Oliver Ross bei der Weltmeisterschaft der jungen Springpferde im belgischen Lanaken erzielen. "Da hatte er sich in seiner Altersklasse als eines von nur 12 Pferden aus Deutschland qualifiziert und ist in zwei Umläufen fehlerfrei gegangen." Am Ende hat er nur knapp das entscheidende Stechen verpasst. "Das war für Otto eine ganz tolle Leistung - und er steht ja noch am Anfang seiner Karriere."

Claudia Tegtmeyer züchtet seit mehr als 30 Jahren erfolgreich Pferde auf Norderney. In ihren Stallungen am östlichen Ortsrand kommen jedes Jahr etwa acht bis zwölf Fohlen zur Welt - reinrassige Hannoveraner der Stämme Neapenda und Sefaza. Viele ihrer gut ausgebildeten Pferde sind heute rund um den Globus zu Hause und erzielen bei Schauen, Championaten und Prüfungen Bestleistungen. Ein Talent wie Otto de la Roche FRH bedeutet auch für Claudia etwas Besonderes. "Er wirkte schon als Fohlen immer ein bisschen selbstbewusster als andere - als wollte er sagen, 'hier bin ich, wo ist der Rest der Welt?'", erzählt die erfahrene Züchterin. Ottos Herkunftslinie lässt sich über fünf Generationen der Norderneyer Zucht nachverfolgen. Seine Mutter Chelsea hat bereits als 3-jährige an der Hervart von der Decken-Schau - dem internationalen Springfestival der besten Hannoveraner Stuten des Jahrgangs - teilgenommen und befindet sich heute im Besitz einer bekannten Unternehmerfamilie, die mit ihr weiterhin erfolgreich anspruchsvolle S-Springen in Kanada bestreitet. Otto verbringt einen großen Teil seiner Kindheit und frühen Jugend frei und ungebunden in einer Hengstgruppe auf weitläufigen Koppeln im Norderneyer Inselosten. Nach zwei Jahren beginnt Claudia, intensiver mit dem Hengst zu arbeiten. "Wir haben von Anfang an immer an ihn geglaubt."

Bei der Ausbildung ihrer Pferde überlässt Claudia nichts dem Zufall. Das gilt auch für die Arbeit mit Otto. "Ich habe ihn zunächst anloungiert und zugeritten." Später folgen Sprungtraining und Geländeritt - und natürlich ausgiebig Dressur, "als wichtige Grundlage jeder Form von Reiterei." Im Alter von vier Jahren verlässt Otto die Insel, um seine Ausbildung auf dem Festland im Zucht- und Ausbildungsstall von Oliver Ross fortzusetzen. "Die Zusammenarbeit mit Oliver ist von sehr großer Bedeutung für mich." Mehrere ihrer Springpferde gibt Claudia Jahr für Jahr in seine Obhut, vor allem um sie auf Turnieren vorzustellen. Für viele findet sich bereits nach kurzer Zeit ein Kaufinteressent. "Aber wenn so ein Knaller wie Otto dabei ist, dann behalten wir den natürlich länger." Schon bei einem seiner ersten Freispringwettbewerbe belegt der Hannoveraner bei einem L-Springen in Verden einen zweiten Platz. 2021 qualifiziert er sich für das Bundeschampionat, die deutsche Meisterschaft der jungen Pferde. Und danach als Höhepunkt

A STAR IS BORN

Otto de la Roche FRH aus der Pferdezucht Tegtmeyer

die Weltmeisterschaft. Rund ein Dutzend größere Turniere geht Otto de la Roche FRH inzwischen im Jahr. Die richtige Balance zu finden zwischen Belastung und Entlastung bleibt eine Herausforderung. "Du hast gesehen, wie wach er ist. Das ist ein hochintelligenter Hengst, der weiß was er will - du musst ihn bei Laune halten und ihm auch Zeit für Erholung gönnen." Ende September 2022 finden wieder die Weltmeisterschaften in Lanaken statt. "Ich hoffe, dass wir erneut teilnehmen können - und vielleicht noch erfolgreicher abschneiden als im letzten Jahr."

Freude und Leid liegen bei der Pferdezucht nah beieinander - das musste Claudia bereits einige Male schmerzlich erfahren. 2021 gab es Anfang des Jahres Komplikationen bei den Geburten einiger Fohlen. "Wir haben mehrere Kameras in den Boxen und ein Frühwarnsystem mit Sensoren zur Messung von Temperatur und Feuchtigkeit, das uns anruft, sobald die Geburt losgeht", erklärt Claudia. "Wir sind wirklich ganz aufmerksam - und trotzdem kann es gelegentlich zu kritischen Situationen kommen." Gleichzeitig geschieht 2021 auch viel Erfreuliches. Zunächst hat Claudia ein Siegerfohlen bei einer norddeutschen Dressurschau. "Und dann belegt eine junge Französin bei den Paralympischen Spielen in Tokio mit einem Pferd aus unserer Zucht einen super vierten Platz - das hat uns hier alle total gefreut." Als bei den Weltmeisterschaften der jungen Dressurpferde in Ermelo auch noch ihr früheres Zuchtpferd Dinay einen fünften Platz erringt, zeigt sich für Claudia einmal mehr, dass sich die intensive Arbeit und der hohe Zeitaufwand lohnen. Otto de la Roche FRH bleibt für die Züchterin ohnehin bis heute ein permanenter Grund zur Freude.

Zuchtbetrieb heißt, die Pferde großzuziehen und auszubilden - aber meistens auch irgendwann zu verkaufen. Auf die Frage, ob sie Otto bald abgeben will, schüttelt Claudia entschlossen den Kopf. "Es gab bereits sehr lukrative Angebote - aber ich habe erstmal alles abgewiegelt", gesteht die Norderneyerin, die neben ihrer Pferdezucht hauptberuflich bei der Raiffeisen-Volksbank als Vermögensberaterin Kunden betreut und ihre Familie im elterlichen Hotel Seehof unterstützt. "Wenn Du so viel Arbeit hast, freust du dich natürlich, wenn du auf ein schönes Turnier gehen kannst - und siehst dort dein eigenes Pferd. Verkaufen kann ich Otto auch in ein paar Jahren noch." Für Claudia bedeuten die Zucht und der Reitsport kein cooles Business, sondern eine tief empfundene Leidenschaft. "Wenn du bei einem wichtigen Springen am Rand sitzt, zitterst du bei jedem Hindernis mit, du drückst die Daumen und denkst, hoffentlich packt er es." Die Pferdezucht Tegtmeyer ist ein kleiner Zuchtbetrieb mit verschärften Rahmenbedingungen. Claudia muss für jede noch so kleine Schau und jedes Turnier mit der Fähre übersetzen und mindestens 100 Kilometer fahren, bevor sie durchstarten kann. Zum Schluss des Gesprächs beschreibt sie uns eine typische Woche - mit so vielen Fahrten und Terminen, dass uns schwindelig wird. "So lange es Spaß macht und du auch ein bisschen Erfolg hast, siehst du das alles nicht als Arbeit an." Chapeau.

PFERDEZUCHT TEGTMEYER

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