2 minute read

Geschichte der europäischen Migrationspolitik

Migration ist ein konstitutiver Bestandteil Europas: Sei es als vorherrschende Auswanderung im 19. und frühen 20. Jahrhundert, als zunehmende Einwanderung seit den Neunzehnsechzigerjahren, oder als seit jeher sich vollziehende Binnenmigration. Der europäische Kontinent ist seit seiner Besiedlung »in Bewegung« [1]. Immer wieder und verstärkt seit dem frühen 20. Jahrhundert haben die europäischen Staaten versucht, diese Migration politisch zu steuern. Mit der europäischen Integration entwickelte sich seit den Neunzehnfünfzigerjahren auch eine europäische Migrationspolitik und die Europäische Union (EU) ist einer deren wichtigster Akteure. [2] Dabei konkurriert sie mit dem Anspruch der in ihr vereinigten Mitgliedsländer, als souveräne Nationalstaaten selbst über den Zugang zu ihrem Territorium und der Teilhabe an ihren Gesellschaften zu entscheiden. In diesem Spannungsverhältnis steht europäische Migrationspolitik heute – und tat dies von Anfang an. Um die aktuellen Debatten um die Migrationspolitik Europas zu verstehen ist es also notwendig, ihre Geschichte zu kennen. Der folgende Beitrag zeichnet diese Entwicklung seit Beginn der Europäischen Integration nach, um so die Grundlage für eine fundierte Einschätzung der aktuellen europäischen Migrationspolitik zu legen.

Freizügigkeit der Arbeitnehmer als Grundelement des gemeinsamen Marktes

Advertisement

Migration war von Anfang an wichtiger Teilbereich der (damals noch west-)europäischen Integration. Bereits der Vorläufer der heutigen EU, die 1951 gegründete Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EKGS) sah die erleichterte Migration von Facharbeiter/-innen der Montanindustrie vor. In den 1957 unterzeichneten Römischen Verträgen, die die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) begründeten, wurden vier Grundfreiheiten benannt, um das angestrebte Ziel eines gemeinsamen Marktes zu erreichen: die Freiheit von Waren, Kapital, Dienstleistungen und eben auch von Arbeitskräften. Diese Arbeitnehmerfreizügigkeit wurde schrittweise umgesetzt, nicht ohne dabei auf Probleme und Widerstände zu stoßen. Denn die unbegrenzte Zulassung von europäischen Arbeitnehmerinnen und -nehmern zu den nationalen Arbeitsmärkten erschien den Skeptiker/-innen der Ausländerbeschäftigung nicht erstrebenswert: So befürchteten etwa die Innenminister in Zeiten des Kalten Krieges den Zuzug kommunistischer Arbeitskräfte, während sich die Gewerkschaften um zusätzliche Konkurrenz und Lohndruck zulasten ihrer Mitglieder sorgten.

Da jedoch der Wirtschaftsboom der »langen« Nachkriegszeit eine anhaltend hohe Nachfrage nach Arbeitskräften erzeugte und insbesondere auf dem italienischen Arbeitsmarkt ein Überangebot an Arbeitskräften bereitstand, überwogen die Befürworter/-innen der Arbeitnehmerfreizügigkeit. Sie argumentierten, dass in einem gemeinsamen Markt nicht Handels- und Investitionsbeschränkungen aufgehoben werden könnten, ohne auch den Produktionsfaktor Arbeit zu liberalisieren. Dies würde den Binnenmarkt unzulässig beschränken und damit das Wachstum hemmen. Aus der Perspektive eines gemeinsamen west-europäischen Marktes war die Arbeitnehmerfreizügigkeit also elementar.

Entsprechend wurde 1964 der Vorzug nationaler Arbeitnehmer/-innen bei der Stellenvergabe vor Bewerber/-innen aus anderen EWG-Mitgliedsstaaten (Inländerprimat) aufgehoben und EG-Staatsangehörige ab 1968 auf dem Arbeitsmarkt einander weitestgehend gleichgestellt. [3] Damit konnten beispielsweise Italiener/-innen in Belgien oder Niederländer/-innen in der Bundesrepublik auf Arbeitsuche gehen und sich gleichberechtigt mit Einheimischen auf Stellen bewerben. Versuche, auch die nationalen Arbeitsvermittlungen stärker miteinander zu vernetzen, waren jedoch aufgrund unter-

Ob Migration in und nach Europa von den Nationalstaaten einzeln oder besser gemeinsam geregelt werden sollte, ist keine neue Frage. Dabei ist die Entwicklung einer europäischen Migrationspolitik eng mit der Geschichte der Europäischen Integration verknüpft.

Dr. Marcel Berlinghoff, geboren 1977 in Mannheim, ist Historiker und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) der Universität Osnabrück. Er forscht und schreibt insbesondere zur Geschichte und Gegenwart von Migration und Flucht in, aus und nach Europa.

This article is from: