8 minute read

Des Simpls Geheimnis

Joachim Brandl, Michael Niavarani und Jenny Frankl vom Kabarett Simpl über billiges Bier, noch billigere Witze und Humor in Zeiten der »Cancel Culture«.

Ungewohnt viele Menschen versammeln sich am Parkplatz des Grieskai 74. Unsere langjährige Fotografin Marija Kanizaj hat uns erstmals in ihr Fotostudio geladen. Denn anders als bei üblichen Fazitgesprächen haben unsere heutigen Interviewten keinen Standort in Graz oder der Steiermark, an dem wir sie besuchen können.

Advertisement

Dazu kommt, dass wir erst zum zweiten Mal nicht eine Person für unsere Coverinterview ausgewählt haben, sondern gleich drei. Jenny Frankl, Joachim Brandl und Michael Niavarani befinden sich auf ÖsterreichPromotiontour zum Anlass von 110 Jahre Simpl. Der Zeitplan für das Trio ist dicht, eine knappe Stunde haben wir laut der beiden PR-Betreuer.

Als wir nach 40 Minuten darauf hinweisen, dass wir wohl langsam in Richtung Shootingraum aufbrechen müssten, will Niavarani aber nichts von Zeitdruck wissen und meint ganz ironiebefreit: »Wir haben keinen Stress, das sind sehr spannende Fragen.«

Michael Niavarani

110 Jahre Simpl ist der Grund eures Graz-Besuchs. Das Jubiläumsprogramm heißt des »Bullis Kern« und mit Bulli ist das Wahrzeichen des Simpl gemeint. Aber wer ist denn dieser Bulli eigentlich?

Michael Niavarani: Der damalige Gründer des Kabarett Simpl, ein gewisser Egon Dorn, hat sich aus München ein Logo für sein Lokal in Wien gestohlen. Es hieß damals Bierkabarett Simplicissimus, also man kam in den Keller, um Bier zu trinken, und hat die Kunst in Kauf genommen.

Jenny Frankl: Das Bier war auch extra billig.

Waren die Schmähs auch billig?

Niavarani: Natürlich, zum Bier passend. Aber jedenfalls hat dieser Herr Dorn ein Logo gebraucht. Der Münchner Bulli ist allerdings eckig gezeichnet, fletscht die Zähne und ist ein bissiger Kettenhund.

Joachim Brandl: Der Münchner Bulli ist deshalb bissig, weil er die Ketten der Zensur durchbeißt. Der Name »Simplicissimus« geht übrigens auf eine Satirezeitschrift zurück.

Niavarani: Der Wiener Bulli ist ein lieber Bulli, der bei der Zensur gar nicht aneckt, weil er höchstens jemandem ans Bein pinkelt, aber nicht beißt.

110 Jahre Kabarett ist eine wirklich lange Zeitspanne. Wie oft musste sich das Simpl neu erfinden?

Niavarani: Man fängt immer bei null an. Man ist nach jedem einzelnen Sketch, der gelingt, in der fatalen Situation: Was ist, wenn mir nie wieder etwas Lustiges einfällt?

Frankl: Aber wir legen unsere neuen Ideen in eine erfolgreiche Schablone. Diese Aneinanderreihung von Sketches blieb immer gleich.

Brandl: Ich glaube sogar, dass das vielleicht auch ein Geheimnis des Simpl ist. Wir sind das letzte Relikt. »Saturday Night Live« macht vielleicht noch, was wir machen.

Niavarani: Das Interessante an der kabarettistischen Revue ist, dass sie hochmodern ist. Es ist Tiktok – nur halt analog.

Tiktok ist unsere nächste Frage, gibt es eine Überlegung, auf Tiktok zu gehen als Kabarett Simpl? Immerhin lernen jungen Menschen dort heute satirische Formate kennen.

Niavarani: Ich schaue manchmal Tiktok und muss Ihnen sagen, mein Algorithmus ist eine Drecksau – da kommen nur Nackerte. Ich verstehe es nicht. Es gibt Menschen, die auf Tiktok Sketches machen. Da gibt es etwa eine Amerikanerin, die sämtliche Hormone und Organe des Köpers spielt. Begonnen hat es mit Face- book. Das war sozusagen die Demokratisierung der Veröffentlichung. Du musstest nicht mehr eine Zeitung haben. Und Tiktok ist die Demokratisierung des Theaters und Kabaretts.

Brandl: Und des Fernsehens.

Niavarani: Genau, du bist überhaupt nicht mehr abhängig davon, dass irgendjemand im ORF sagt, es sei lustig, was du machst. Es gibt Menschen, die haben Millionen von Klicks und damit Quoten, von denen der ORF nur träumen kann.

Frankl: Durch Zufall erreicht eigentlich.

Niavarani: Ich finde das für unseren Beruf überhaupt nicht bedrohlich.

Brandl: Aber die Frage war, ob wir Pläne haben, auf Tiktok zu gehen.

Frankl: Ich habe mir das schon sehr lustig vorgestellt.

Niavarani: Das ist schon eine Generationenfrage, warum soll ich ein Tiktok-Tänzchen machen?

Wenn man in der Tradition zurückgeht, ist Kabarett eine Form von Theater, das davon lebt, dass man mit Zuschauern interagiert. Später kam es ins Fernsehen – mit Karl Farkas und Fritz Grünbaum, wo diese Interaktion nicht mehr gegeben war. Inwiefern hat sich das auf die Kunstform des Kabaretts ausgewirkt – vor allem auf die Inhalte?

Niavarani: Dass das Simpl ins Fernsehen gegangen ist, hat das, was auf der Bühne stattfindet, überhaupt nicht verändert. Es hat dazu geführt, dass das Simpl populärer wurde. Wir feiern jetzt 110 Jahre – wir haben oft mit dem Konkurs gekämpft, vor allem in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Farkas und Grünbaum ist es gelungen, mit der Doppelconference ein Alleinstellungsmerkmal zu bekommen. Das Simpl hat sich in den Inhalten und Themen weiterentwickelt, aber nie in der Form, weil diese ja so abwechslungsreich ist und gut ist für ein buntes, unterhaltsames Programm. Farkas hat ja dann extra fürs Fernsehen seine Bilanzen geschrieben. Es wurde damals auch nie im Simpl selbst aufgezeichnet, weil die Fernsehkameras größer waren als die Tür. Das Format musste auch anders heißen, weil die Angst groß war, das Theater könnte eingehen. Aber es ist beim Theater eben so – auch nach den Schwierigkeiten mit Corona –, dass viel geredet wird, ob es wegen Netflix und Co. nicht ausstirbt. Ich glaube das nicht. Die Angst gab es schon beim Radio, dann beim Fernsehen.

Es sind unterschiedliche Zielgruppen bei Fernsehen und Kabarett. Welche Menschen gehen regelmäßig ins Kabarett?

Niavarani: Die, die regelmäßig ins Kabarett gehen.

Aber was braucht die Zielgruppe? Kabarett bedient ja auch Erwartungshaltungen.

Niavarani: Der Bulli ist im Prinzip beides. Mir ist es immer darum gegangen, Menschen gut zu unterhalten. Ich kann die Dinge, die um uns herum passieren, überzeichnen. Oder ich kann – wie Nestroy sagt – so lange an ihnen reiben, bis der Funke des Humors rausspringt.

Nestroy ist ja im Grunde Vorbild für Kabarett.

Niavarani: Ein Vorreiter, ja.

Insofern unterscheidet es sich von Schauspiel und Operette.

Niavarani: Natürlich. Aber jetzt nehmen wir Lotte de Beer, ihr ist es ein großes Anliegen, gut zu unterhalten und ein Statement zu setzen. Es gibt Produktionen, da ist das Burgtheater politischer als das Simpl. Auch wenn es noch keine Produktion gab, in dem das Burgtheater lustiger war als das Simpl, aber das macht ja nix.

Beim Regietheater hat man immer politische Anspielungen reingebracht. Ich erinnere mich an Rebellen, die mit dem Jeep vorfahren bei Wilhelm Tell.

Niavarani: Ja, wobei beim Regietheater ein politisches Kostüm kein Statement, sondern Fantasielosigkeit ist. Ich verstehe nicht, warum bei Schiller oder Goethe Nazis auftreten müssen.

Was ist Ihr Statement bei Ihren Neuinszenierungen von Shakespeare? Was wollen Sie drüberlegen, sozusagen?

Niavarani: Ich versuche, nichts drüberzulegen, sondern das rauszukitzeln, von dem wir Theaterhistoriker glauben, wie es damals war – nämlich Volkstheater. Da sind jeden Tag 3.000 Menschen dringesessen, es gab keine Hochkultur, es gab überhaupt keine Theaterkultur, das war einfach ein Dienstleistungsbetrieb. Eines der größten Komplimente bei meinem »Richard III.« war, dass ein Hamburger Theaterwissenschaftler mir geschrieben hat, dass sie schon viel geforscht haben, aber unsere Aufführung dem am nächsten kam, was damals gemacht wurde. Und das obwohl bei mir kaum Shakespeare vorgekommen ist.

Brandl: Das Problem an Shakespeare ist: Er war Volkstheater, er war Massenmedium, aber er ist ja später erst Hochkultur geworden, weil wir in der Schule Übersetzungen lesen, die 150 Jahre alt sind und eine unfassbar verstaubte, alte Sprache haben.

Was westliche Kulturschaffende derzeit sehr beschäftigt, ist das Thema Wokeness. Wie geht es Ihnen mit Cancel Culture?

Niavarani: Wenn sich jemand in einer Komödie oder einem Kabarett beleidigt fühlt, ist es in 90 Prozent der Fälle ein Irrtum. Ein Witz ist nicht dazu da, jemanden zu verletzten, sondern dazu da, jemandem zum Lachen zu bringen. Hinhauen sollte man nur nach oben. Es gibt zwei Arten des Lachens, das Mitlachen und das Auslachen. Wenn ich einen Witz über einen querschnittgelähmten Schwarzen mache, ist es ein Mitlachen über sein Schicksal, die Frechheit des Schicksals, dass dieser Mensch nicht gehen kann, und die Absurdität, dass man überhaupt einen Unterschied macht, dass jemand eine andere Hautfarbe hat. Wenn ich Herbert Kickl von einem Pferd runterfallen lasse, dann lache ich ihn aus. Das ist übrigens unsere nächste Revue.

Brandl: Mein Gott, grandios. Können wir das Tonband ausmachen?

Niavarani: Aus- oder mitlachen ist der einzige Unterschied, den man machen muss. Sonst darf man über alles Witze machen.

Frankl: Wir haben privat ganz woke Einstellungen, wir schließen in unseren Witzen aber auch niemanden aus.

Die Tradition des jüdischen Witzes ist es, sich über sich selbst lustig zu machen. Etwa bei Karl Farkas oder Ernst Waldbrunn. Wenn jetzt ein Komiker keine jüdischen Wurzeln hat – inwieweit darf dieser einen solchen Witz übernehmen, ohne verdächtig zu sein?

Niavarani: Das ist eine Frage der Einstellung. Ich brauche beim Witz den Kontext. Man muss das Gesicht sehen, die Augen und wissen, was jemand vorher gesagt hat und in welcher Stimmung. Und selbstverständlich kann ein Nichtjude einen Witz über einen Juden machen. Es ist keine kulturelle Aneignung und kein Rassismus, wenn ich mich über die Sprache von Ausländern lustig mache, weil sie tatsächlich so reden.

Frankl: Aber grundsätzlich ist es schon einfacher, wenn ich Blondinenwitze mache.

Niavarani: Natürlich. Es ist auch viel lustiger.

Welche Grenzen des Humors gibt es?

Niavarani: Die Grenze des guten Geschmacks muss man auf jeden Fall überschreiten, man muss auf jeden Fall die Grenze des Zumutbaren überschreiten. Aber man muss wissen, womit man sie überschreitet. Und man muss wissen, ergibt es innerhalb dieses Sketches einen Sinn? Reine Provokation bringt nix. Ich will die Leute zum Lachen bringen. Was habe ich im Simpl gekämpft, Scheiße sagen zu dürfen. Das war mir sehr wichtig. Das ist, was mich und John Cleese verbindet, – er hat bei der BBC um »cunt« und »shit« gekämpft. So lächerlich es klingt, aber das ist tatsächlich gesellschaftlich relevant.

Fazitgespräch

Gibt es Beispiel für Witze, die das Simpl nicht macht?

Frankl: Ich überlege die ganze Zeit, mir ist nichts eingefallen.

Niavarani: Wir sagen also eh alles.

Kommt vor, dass sich jemand beschwert über unzumutbare Witze?

Niavarani: Ununterbrochen. Ein Beispiel: Ich habe einmal einen Brief bekommen, ob ich für Hunde mit drei Beinen spenden möchte, damit sie auch aus dem Tierheim adoptiert werden. Das ist nicht erfunden. Ich musste sehr lachen und sagte dazu auf der Bühne, ich spende 100 Euro und dann kann man fünf davon einschläfern. Das finde ich sehr witzig.

Stichwort Lisa Eckhart. Ist das noch geschmackvoll?

Niavarani: Es muss ja nicht geschmackvoll sein, es ist eine Geschmacksfrage. Sie hat einen tollen Rhythmus, ist sprachlich brillant und provokativ.

Also Sie finden es in Ordnung?

Niavarani: Ich liebe Lisa Eckhart.

Eckhart will bewusst Grenzen überschreiten, um ihre Resonanz zu erhöhen.

Niavarani: Das wollen wir nicht unbedingt, aber wir haben nichts dagegen.

Frankl: Manche Sachen werden auch einfach falsch verstanden. Unsere Finalnummer beschäftigt sich damit, dass man aufs Klima aufpassen muss, und wir demonstrieren da praktisch am Schluss. Wir haben aufgrund dessen Briefe von Menschen bekommen, die meinten, sie hätten das Theater verlassen müssen, weil sie sich so geärgert haben. Man dürfe sich nicht über Leute lustig machen, die den Klimawandel wirklich ernst nehmen. Das ist eben ein Missverständnis.

Die Beleidigungsgrenzen sind bei manchen Menschen sehr tief angesetzt.

Brandl: Ja. Und das verschiebt sich. Ich habe im Sommer eine Veranstaltungsreihe mitmoderiert, da gab es eine Richtlinie, die alle Auftretenden unterschreiben sollte. Dort stand, dass man sich zu allen woken Themen bekennt, nichts über Geschlecht, Hautfarbe usw. sagt. Im Prinzip darfst du dann keinen Auftritt mehr machen. Dann kann ich über Tische sprechen. Und muss wahrscheinlich noch aufpassen, dass ich nicht über die Farbe des Tisches etwas sage. Es stand dort sinngemäß, das Publikum habe die Deutungshoheit. Wenn jemand findet, ich habe die Grenze überschritten, dann habe ich das, aber dann kann ich kein Theater mehr machen.

Frankl: Vor allem kein Kabarett.

Niavarani: Man könnte sagen, es herrscht eine Überempfindlichkeit. Ich versuche aber immer, etwas Positives rauszunehmen. Ich hoffe nicht, dass es nicht nur eine Hysterie ist, die irgendwann vorbei ist. Wenn man Filme aus den Neunzehnsechzigern oder Neunzehnsiebzigern anschaut: Damals nahm man eine Behandlung von Frauen durch Männer hin, die heute als Vergewaltigung gelten würde. Es wurde aber so dargestellt, als wäre sie erfreut, dass er sie endlich küsst. Trotzdem darf ich mir diese Filme anschauen, aber sie zeigen uns, dass die Gesellschaft sich Gott sei

This article is from: