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Editorial

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Editorial

Von Christian Klepej

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Über 52 Prozent der Wiener Schüler haben Deutsch nicht als ihre Umgangssprache in Verwendung. Im Bezirk Favoriten sind es sogar über 72 Prozent und an den Neuen Mittelschulen im Bezirk Margareten sind es unglaubliche 90 Prozent und mehr, für die das gilt. Das ist ein ungeheurer Missstand, der sich über die beiden letzten Jahrzehnte schleichend entwickelt hat. Und der wohl nicht zuletzt dadurch entstanden ist, beinahe jedwede »migrationskritische Stimme« als rechtspopulistisch (im besseren Fall) oder gleich überhaupt als »Nazi« zu brandmarken. So sind etwa seit 2010 immer wieder Forderungen erhoben worden, in den Pausen im Schulhof nur Deutsch als Sprache zu verwenden. Regelmäßig wurde darauf eben mit Rechtspopulismusvorwürfen und Diskriminierungsvorhaltungen geantwortet, regelmäßig versandeten dann ernsthafte Auseinandersetzungen mit dieser Problematik. Und eine solche Auseinandersetzung, abseits irgendwelcher Fremdenfeindlichkeit, hätte es eben dringend gebraucht. Was angesichts der aktuellen Zahlen, in der

Wer hier lebt, muss unsere Sprache verstehen. In unser aller Interesse

Bundesrepublik schaut es ja in den Städten ähnlich trist aus, mehr als evident erscheint. Erst vor wenigen Wochen gab es wieder eine vorsichtige Annäherung an das Thema, ich denke von der CSU, und ich habe nur mit Kopfschütteln die Reaktionen der Intelligenzija auf Twitter dazu verfolgt. Da war wenig unter einem Hitlervergleich zu haben, von bösen Migrantenablehnern war die Rede. Zahlreiche in Deutschland recht erfolgreiche Migranten (toll, wichtig und gut, dass es die gibt!) in Verbindung mit noch viel zahlreicheren deutschstämmigen Besserwissern (naja) priesen da die Vorteile der Mehr- und Vielsprachigkeit und haben viele Beispiele gebracht, wie toll der spätere Lebensweg war, auch ohne Deutsch als Umgangssprache in der Kindheit. Was diese Damen und Herren meines Erachtens falsch verstehen, ist einfach erklärt: darum geht es nicht. Jede einzelne Erfolgsgeschichte ist schön und begrüßenswert. Sie sind aber viel zu wenige, oder anders formuliert, das Problem zahlreicher kluger, gscheiter und liebenswerter Migrantenkinder – und da vor allem solche aus muslimischen Herkunftsländern – ist ein ganz anderes! Sie arbeiten später nicht, wie man nach einer Twitterschau denken könnte, allesamt auf Universitäten, in schmucken Redaktionsstuben oder in Anwaltskanzleien, nein, sie kommen ob ihrer Schwäche, die deutsche Sprache verwenden zu können, in aller Regel nicht einmal in den Genuss einer höheren Schulbildung, geschweige denn eines Studiums. Oft scheitern sie am Pflichtschulabschluss. Eine »Verpflichtung« zur Verwendung des Deutschen auch im Privaten, ist natürlich für mich der persönlichen Freiheit verplichtetem Demokraten grundsätzlich nicht möglich und schon gar nicht exekutierbar. Trotzdem gilt es, sich diesem Dilemma zu stellen. Und zumindest darin Konsens zu erlangen, dass es sinnvoll, wichtig und wesentlich für jeden hier Lebenden ist, in deutscher Sprache kommunizieren zu können. Um damit überhaupt erst die Möglichkeit eröffnet zu bekommen, Jobs, die über das Putzen oder Hilfstätigkeiten hinausgehen, jemals zu erlangen. Hier ist das Talent, das Potential einer ganzen Generation an jungen Menschen in Gefahr. Und nicht beim oft auch hilflos nach einer Lösung ringenden, bürgerlichen oder gar konservativen Politiker! Wie unsere Gesellschaft das angehen kann, wie weit diese jungen Menschen in Wien schon jetzt, was ihre berufliche Karriere betrifft, auf dem Abstellgleis sind, ich weiß es auch nicht. Es wird eines gemeinsamen Kraftakts bedürfen, in dem vernünftige linke und rechte gesellschaftliche Strömungen zusammenarbeiten, um so viele von diesen Jungen wie möglich »mitzunehmen« und ihnen klarzumachen, wer in diesem Land leben will, der muss auch Deutsch sprechen können. In ihrem Interesse. Und, das erlaube ich mir als etwas länger hier Lebender klarzustellen, auch in meinem. Schon jetzt habe ich, das merke ich bei meinen Wien-Besuchen von Jahr zu Jahr mehr, wenig gemeinsam mit vielen Menschen in der Hauptstadt. Sie sprechen nicht meine Sprache und haben damit wenig mit meiner Kultur gemeinsam. Das ist schade. Weil, das sehe ich etwa, wenn ich bei meinem türkischen Bäcker im Herz-Jesu-Viertel einkaufe und mit ihm ein bisschen über meine Kinder tratsche, es auch viel, viel besser gehen kann. Das müssen wir schaffen. Noch sind die Chancen intakt. n

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Die letzte Bastion Betongold alias Immobilien sind die einzige Anlageform, die noch Renditen bringt. Dafür droht auf dem Markt ein Überangebot.

Reine Geldsache LH-Vize Anton Lang im Gespräch über die budgetäre Lage der Steiermark und zukunftsorientierte Verkehrskonzepte.

Fotos: Giulia May/Unsplash, Erwin Scheriau, Enlarge, Heimo Binder (2), Michael Geißler Political Correctness Maryam Laura Moazedi über »Political Correctness«, dieser ständigen Gratwanderung zwischen Tabu und Realität.

Jazzliebe in Zeiten der Cholera

Michael Petrowitsch über das internationale Jazzfestival in Saalfelden. Und wie die Salzburger Veranstalter mit der Pandemie umgehen.

Seite 80

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Rubriken

Editorial 3 Politicks 14 Investor 32 Außenansicht 38 Immobilien 68 Alles Kultur 80 Schluss 82

Immer am Drücker Berufsfotograf Thomas Fischer sieht mit Besorgnis die große Zahl freier Fotografen, die selten von ihrer Arbeit leben können.

Schöner Wohnen Seit 63 Jahren sorgt das Grazer Unternehmen Kaufmann mit solider Handwerkskunst für ästhetisches Wohngefühl.

SERIE Erfolg durch Führung (33) Seite 46 Außenansicht Peter Sichrovsky über die »Krisenprediger« in heimischen Medien . Seite 38

Liebe Leser!

Im Fazitthema geht es um das heiße Thema Wohnen. Steigende Mieten und explodierende Preise auf dem Eigentumsmarkt sorgen einerseits für Unmut unter Wohnungssuchenden und Käufern, andererseits jedoch für fette Renditen der Investoren. Das Betongold scheint die letzte Bastion der einträglichen Anlage zu sein, jedoch macht drohendes Überangebot Sorgen.

Das Fazitgespräch führten wir mit dem Finanzreferenten und Landeshauptmannstellvertreter Anton Lang. Seine Hauptsorge gilt dem Landesbudget, dessen solider Pfad der vergangenen Jahre durch die Corona-Pandemie und deren Folgen massiv beeinträchtigt worden ist. Außerdem stehen auf seiner Agenda der der Ausbau des öffentlichen Verkehrs und von Radwegen sowie der Tierschutz.

Für das Fazitporträt haben wir den Raumausstatter Kaufmann in der Grazer Mandellstraße besucht. Das Familienunternehmen sorgt seit den Wirtschaftswunderzeiten für gemütliche Wohnlichkeit in den heimischen Stuben und Zimmern. Mit über 6.000 Stoffen für Polsterungen und Bezüge und unzähligen Vorhang- und Tapetendekors sind der Phantasie beim Einrichten keine Grenzen gesetzt. Gutes Lesen! -red

IMPRESSUM

Herausgeber

Horst Futterer, Christian Klepej und Mag. Johannes Tandl

Medieninhaber & Verleger

Klepej & Tandl OG

Chefredaktion

Christian Klepej Mag. Johannes Tandl

Redaktion

Peter K. Wagner (BA), Mag. Josef Schiffer, Mag. Maryam Laura Moazedi, Dr. Volker Schögler, Mag. Katharina Kocher-Lichem, Mag. Johannes Pratl, Helmut Wagner, Mag. Katharina Zimmermann, Peter Pichler (Satz), Vanessa Fuchs (Organisation)

Lektorat AdLiteram

Druck

Walstead-Leykam

Vertrieb & Anzeigenleitung

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DI (FH) Gerald Gaksch, Sophie Serec, Simona Kokol

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Schmiedgasse 38/II, A-8010 Graz T. 0316/671929*0. F.*33 office@wmedia.at fazitmagazin.at facebook.com/fazitmagazin

Die letzte Bastion

Von Johannes Roth

Klassische Anlageformen sind seit dem Jahr 2008 vielfach entwertet. Betongold aber bildet immer noch eine Ausnahme. Die Folge: Wohnraum wird immer mehr zum Finanzprodukt mit stabilen Renditen. Das ist auch in Graz spürbar.

Es geht um viel: viel Geld, viel Raum und viel Arbeit. Die Immobilien- und Bauwirtschaft erfüllt Wohnträume, schafft Eigentum oder ein Dach über dem Kopf. Sie ist einer der lukrativsten Wirtschaftszweige und steht gerade deswegen immer wieder in der Kritik. Nicht immer ganz zu Unrecht, denn wo gehobelt wird, fallen Späne: Irgendwo wird immer eine Villa weggerissen, eine Aussicht verstellt oder gegen vermeintliche Denkmalschutzauflagen verstoßen. Andererseits regt sich Unmut auch dort, wo gerade nicht gebaut wird: Der Tristesse brach liegender Gründe und dem morbiden Charme bröckelnder Fassaden, verfallender Villen und welker Wiesen mag eben nicht jeder gerne erliegen.

Milliardenmarkt Wohnraum

Tatsächlich ist die Schaffung und Erhaltung von Wohn- und Arbeitsraum ein Milliardenbusiness. Rund 70 Milliarden Euro setzten Baugewerbe, Bauindustrie und Bauwesen 2017 in Österreich um, 16.000 Arbeitnehmer sind alleine in der steirischen Bauwirtschaft beschäftigt. Die Bauwirtschaft ist ein echter Konjunkturmotor, nicht minder die Immobilienwirtschaft. Die hat zwar durch Corona einen Dämpfer erlitten – im ersten Halbjahr 2020 sank in Graz laut RE/MAX-Preisspiegel der Wert der Verbücherungen um 44 Prozent gegenüber dem ersten Halbjahr 2019 –, hat aber trotzdem mit 702 Millionen Euro immer noch eine Größenordnung, die sie zum Politikum macht: Wohnraum gehört zu den elementaren Grundbedürfnissen der Menschen – ein Feld, das ideologischen Randgruppen reichlich Gelegenheit gibt, aufeinander zu prallen. Denn einerseits werden riesige Areale verbaut, um ganze Bezirke neu entstehen zu lassen. Das beeinflusst die Mieten. Andererseits müssen auch in Villenvierteln Gebäude weichen, um verdichtetem Wohnbau Platz zu machen. »Smart City« und »Nachverdichtung« sind dazugehörige Termini technici: Wo bereits bebautes Land ist, sind Infrastrukturen vorhanden, die andernorts erst mühsam errichtet werden müssen. Wenn statt einem Einfamilienhaus mit Garten acht bis zehn Wohneinheiten geschaffen werden können, geht das aber meist zulasten des Stadtbildes. Unbebaute Areale hingegen müssen entwickelt werden. Und zwar so, dass es nachhaltig und leistbar ist: intelligente Nachhaltigkeitslösungen für städtebauliche Entwicklungen – neudeutsch »Smart City«. Es stellt sich die Frage, ob wirklich in diesem Maß »nachverdichtet« bzw. neu gebaut werden muss. Nikolaus Lallitsch, Geschäftsführer der Raiffeisen Immobilien Steiermark, hat dazu eine klare Meinung: »Die aktuelle Diskussion um die sogenannte Nachverdichtung einerseits und die Leistbarkeit des Wohnens andererseits zeigt: In der öffentlichen Wahrnehmung gibt es niemals genügend Baulandreserven. Tatsächlich kommen derzeit viel zu wenige Grundstücke auf den Markt, um den Bauträgern und Genossenschaften qualitätsvollen und dennoch leistbaren Wohnbau zu ermöglichen.« Alle würden sich moderate Mietpreise und bescheidene Kaufpreise wünschen, »aber leider gehen die Grundstückskosten derzeit durch die Decke«, so Lallitsch. In Zahlen gefasst sieht das so aus: Laut Landesstatistik kostete der durchschnittliche Quadratmeter von 2014 bis 2018 in der Steiermark 55,3 Euro, während er in der Stadt Graz 237,4 Euro kostete. Im Vergleich zur Erhebung ein Jahr zuvor (Basis 2013 bis 2017) bedeutete das für Graz eine Steigerung von 21,6 Prozent. Mit einer besseren Grundstücksausnutzung, also höheren Bebauungsdichten, könne man dem begegnen. »Da sind eh alle dafür, nur nicht vor der eigenen Haustüre. Gegen das Projekt in der Nachbarschaft werden sofort einmal Unterschriften gesammelt. Leider führt das dazu, dass viele Bauherren in das Umland abwandern.« Das wiederum führe zur größten ökologischen Sünde unserer Zeit: Grünlandverschwendung, Bodenversiegelung, Verhüttelung der Stadtumgebung. »Der Wiener Ausdruck ‚Speckgürtel‘ beschreibt hässlich genug, wie nimmersatt sich die Städte in ihre grüne Umgebung fressen«, sagt Lallitsch.

Unübersehbare Stadtbildveränderungen

Was Lallitsch als Folge niedriger Bebauungsdichte beschreibt, ist im Ergebnis auch der KPÖ ein Dorn im Auge – wobei die eher das Gemeindegebiet als die Stadtumgebung im Blick hat. Sie hat sich auf politischer Seite das Thema Wohnen an ihre Fahnen geheftet und besetzt es nach wie vor. Man tritt gegen die »Verbauung« von Graz an, moniert die Bodenversiegelung (plus 68 Hektar seit 2012), die Zunahme von neuen Gebäuden (»plus 370«) und Verkehrsflächen (plus 9,3 Hektar). Tatsächlich ist das Thema leicht verkäuflich – Wohnbauprojekte vor allem entlang der Einfallsstraßen in Webling, Eggenberg, Straßgang, St. Peter und Liebenau sind zu offensichtlich. Abgesehen davon sind in den letzten zwanzig Jahren einem Bericht der Kleinen Zeitung zufolge laut Peter Laukhard von der »SOKO Altstadt« ganze 179 – seiner Ansicht nach – schützenswerte Gebäude aus dem Stadtbild verschwunden. Und wenn ein Gebäude nach dem anderen geschleift wird, fragt man sich natürlich, wofür. Ein Blick auf die Statistik offenbart dabei, dass der Bedarf längst nicht so dramatisch ist, wie häufig dargestellt: Gerade einmal 1.605 mehr Menschen als die Stadt verlassen hatten, kamen vergangenes Jahr nach Graz (Nettozuzug). Die Bevölkerungsdichte hat zwar zugenommen, zwischen 1991 und 2017 aber nur um 20 Prozent; die Wohnbevölkerung ist in knapp 30 Jahren um etwa 53.000 Personen gewachsen. Zieht man einen Leerstand von kolportierten 10.000 Wohnungen ins Kalkül, ist reichlich Wohnraum gegeben. Genau weiß übrigens niemand, wie viele Wohnungen tatsächlich leer stehen, denn eine Leerstandserhebung wäre zwar durchführbar, drübergetraut hat sich aber bislang kein Politiker wirklich. Das Gerücht vom Nettozuzug von 6.000 Menschen jährlich hält sich darum selbst unter Immofachleuten hartnäckig. Allein: Laut Landesstatistik ist es falsch. Trotzdem entstehen Jahr für Jahr tausende neue Wohnungen – in Reininghaus sollen es in den nächsten Jahren etwa 5.000 sein, dazu kommen zig Großprojekte in anderen Stadtteilen und auch die Stadt errichtet und saniert jährlich hunderte neue Gemeindewohnungen. Das ist per se nichts Schlechtes, denn wo Mieter und Käufer ausreichend Angebot vorfinden, halten sich auch die Preise im Rahmen und Wohnen bleibt halbwegs leistbar. »Halbwegs«, weil Bezieher niedriger Einkommen oft auf Wohnbeihilfen zurückgreifen müssen. »Das liegt allerdings auch an der Höhe der Nebenkosten und den Energiekosten«, sagt KPÖ-Chefin Elke Kahr, »die machen menschenwürdiges Wohnen für einkommensschwache Bevölkerungsgruppen oft schwierig.«

Anlageform Immobilien

Vor allem die explodierenden Grundstückspreise machen das vertiefte Interesse von Investoren an Baugrundstücken und bebaubaren Flächen nachvollziehbar – die Finanzwirtschaft hat die Immobilienwirtschaft längst für sich entdeckt. Das Volumen der österreichischen Immobilienfonds beträgt 2020 insgesamt 9,4 Milliarden Euro an verwaltetem Vermögen; es wächst seit Jahren kontinuierlich – 2004 lag das Volumen aller österreichischen Immobilienfonds nur bei vergleichsweise bescheidenen 456 Millionen Euro. Sowohl private als auch institutionelle Anleger versprechen sich durch ein Investment in Immofonds einen schnellen Ausweg aus dem Zinstief. Bei hoher Inflation steigen die Fonds selbst tendenziell im Preis, die Mieteinnahmen sind in der Regel dem Verbraucherpreisindex angepasst. Die Risikostreuung ist gut, weil die Fonds ja in einer Vielzahl von Objekten investiert sind; und man kann mit relativ geringen Beträgen einsteigen und muss nicht gleich ein ganzes Zinshaus kaufen. Auch in Graz wird Neubau fleißig über Fonds finanziert: Ein bekanntes, auf Anlegerwohnungen spezialisiertes Grazer Unternehmen etwa sammelt seit 2016 jährlich bis zu 10 Millionen Euro von verschiedenen Kapitalgebern ein. Die Renditen, die der jüngste Kapitalmarktprospekt beispielhaft vorrechnet, bewegen sich – bei einer angenommenen Projektlaufzeit von vier Jahren – zwischen Totalverlust und 28-Prozent-Rendite. Dass solche Renditen trotz des Risikos jede Menge Anleger locken, liegt auf der Hand. Investieren kann man übrigens auch online – das Grazer Unternehmen Home Rocket stellt potenziellen Anlegern eine Plattform zur Verfügung, über die bislang mehr als 76 Millionen Euro eingesammelt wurden. Die Investments in die unterschiedlichsten Bauprojekte beginnen ab 250 Euro, die Top-Investoren zahlen bis zu 50.000 Euro ein.

Sinkende Renditen und mangelnde Qualitäten

Die Renditen sind hingegen bei Weitem nicht so hoch, wie von manchen in Aussicht gestellt, erklärt der Geschäftsführer der RE/ MAX-Niederlassung in der Grazer Grabenstraße, Alois Marchel: »Es gibt im Bereich der Anlegerwohnungen Renditeberechnungen, die von einer fiktiven Wertsteigerung der Immobilie und von einer Indexanpassung des Mietzinses ausgehen. Diese Renditeberechnung ist, sagen wir einmal, nicht optimal. Sie ist nicht realistisch. Man muss seriös immer von den Kosten und dem Mietzins ausgehen, der jetzt gerade erzielbar ist. Wir reden also von einer Rendite, die man zwischen 3,1 und 3,3 Prozent annehmen kann.« Als Anlageform sei dies aber immer noch gut, bestätigt Marchel. Graz sei vor allem deshalb beliebt, weil die Anschaffungskosten sich hier im Vergleich zu Wien im Rahmen halten würden, während ungefähr gleich hohe Mieterträge generiert werden können. Wohnraum als Spekulationsobjekt hat allerdings auch seine Schattenseiten. Stadtplanungschef Bernhard Inninger weist immer wieder auf sie hin: »Wird ein Gebäude von der Projektidee bis zur Fertigstellung nicht als Ort des Wohnens oder als Stadtbaustein, sondern lediglich als Finanzprodukt verstanden, leidet die Qualität – für die künftigen BewohnerInnen, für das Umfeld. Und: Wer in einer Stadt als Bauherr wertgeschätzt werden möchte, wird seinen Gewinn nicht rücksichtslos maximieren. Genau

9,4 Milliarden Euro … sind in österreichischen Immobilieninvestment fonds veranlagt

291.072 … Menschen wohnen in Graz

2.282 … Einwohner pro Quadratkilometer beträgt die Bevölkerungsdichte in Graz

1.605 … Menschen sind 2019 mehr nach Graz gezogen als aus Graz weg

19 Millionen Euro … so hoch war der Kaufpreis für eine komplette Wohnanlage in Graz, was die Transaktion zur bislang teuersten am Grazer Wohnungsmarkt 2020 machte

3.271

2.518

1.102

91 Millionen … Immobilien wurden in Graz im ersten HJ neu verbüchert, haben also ihren Besitzer gewechselt

… Euro kostete 2019 ein durchschnittlicher Grazer Wohnungsquadratmeter

… Quadratmeter an neuen Gebäudeflächen kommen jede Woche in Graz dazu.

… Euro betrug 2019 die Förderhöhe, mit denen das Land Steiermark Geminnützigen Wohnbau gefördert hat, damit wurden u.a. rund 2.300 Wohnunegn neu gebaut

das geschieht jedoch bei anonymen Investitionsentscheidungen aus der Ferne.« Dass die KPÖ das fast ebenso sieht, ist systemimmanent: »Wir sind ja für die Schaffung von neuem, leistbarem Wohnraum – aber wir wehren uns dagegen, dass Wohnungen gebaut werden, nur um sie dann leer stehen zu lassen und darauf zu hoffen, dass sie ohnehin im Wert steigen werden.«

Künstlich niedrige Leerstandquoten

Jedenfalls muss eine Wohnung, die man einem Anleger verkaufen will, vermietbar sein. Das gilt für große institutionelle Anleger ebenso wie für den Einzelanleger. Um die Leerstandsquote niedrig zu halten – bei weniger als ein Prozent – greifen manche Bauträger mitunter schon einmal zum einen oder anderen Kunstgriff. Eine beliebte Variante sind zum Beispiel Mietfreistellungen: Eine gewisse Zeit lebt der Mieter kostenlos in der Erstbezugswohnung, nach Erfüllen des Mietvertrages zieht er einfach aus und in die nächste – neue – Wohnung. Der Anleger muss sich dann einen neuen Mieter suchen. Eine andere Variante: Mietgarantien für zehn Jahre – allerdings zu einem dreiprozentigen Aufschlag auf den Kaufpreis. Mit Zahlung dieses Aufschlages erwirbt sich der Anleger eben die Garantie darauf, dass seine Wohnung zu einem bestimmten Preis vermietet ist. Steigt während der Garantiezeit der Mietzins, verbleibt die Differenz beim Verkäufer, der Anleger, der damit auch auf eine Reihe von Rechten verzichtet (etwa sich den Mieter aussuchen zu können), sieht davon nichts. »Beides war eine Zeit lang durchaus gängige Praxis«, bestätigt ein Immo-Insider, heute sei man davon jedoch ganz klar abgerückt.

Lebensqualität im Leitbild

Einerseits wollen immer mehr Investoren bauen, andererseits sehen die bereits hier lebenden Bewohner ihre Lebensqualität gefährdet. Ganz besondere Assets sind die Jahrhunderte alte Architektur – und der Grünraum, für den Graz bekannt ist. Beides ist in hohem Maße schützenswert – Bautätigkeit steht diesem Schutzbedürfnis entgegen, was die Fülle an Vorschriften für neue Projekte mitbegründet. Stadtplanungschef Bernhard Inninger: »Eine Stadt ist niemals fertig. Politik und Verwaltung steuern das Baugeschehen aktiv. In einem Rechtsstaat ist es nicht möglich, das Bauen zu verbieten – freilich kann man Regeln dafür schaffen. In diesem Sinn betreiben alle betreffenden Magistratsabteilungen Qualitätssicherung. Für Mehrparteienhäuser in gewachsenen Einfamilienhausgebieten gelten z.B. seit 2019 neue Vorschrif

Weltspar.Monat in der HYPO Steiermark

13. Oktober bis 13. November 2020 Als Dankeschön für Ihre Treue und Verbundenheit.

Wir haben eine kleine Aufmerksamkeit vorbereitet, die wir – heuer erstmalig, bedingt durch gesetzliche Einschränkungen und zum Schutz der Gesundheit und Vorsorge – in einem „Vorbeispa[r]zieren“ bei bzw. in der HYPO Steiermark-Filiale unseren Kundinnen und Kunden schenken wollen.

Für eine persönliche Beratung nehmen wir uns gerne viel Zeit und ersuchen um eine Terminvereinbarung.

Qualität, die zählt. www.hypobank.at

ten: keine Laubengänge und offenen Stiegenhäuser, nur wenige Parkplätze im Garten etc. – das wurde mit dem sog. »Räumlichen Leitbild« vom Gemeinderat rechtsverbindlich verordnet.« Der Eindruck der »Verbauung« und »Versiegelung« der Stadt ist so gesehen nicht unberechtigt – andererseits achtet die Stadtplanung penibel darauf, dass die Summe aller Grünflächen nicht weniger wird. Inninger: »Geringe Versiegelung ist gut für das Kleinklima, den Wasserhaushalt, das Kanalnetz; nicht zuletzt verringern sich Überflutungen bei Starkregen. Daher geht die Stadt bei eigenen Bauvorhaben mit gutem Beispiel voran und es gibt auch zunehmend ambitioniertere Vorschriften für die private Bautätigkeit, etwa die Begrünung von Dächern oder die Pflanzung von Bäumen betreffend. Ergänzt wird das durch Förderungen unter anderem für Dach- und Wandbegrünungen oder Baumpflanzungen.« Smart Cities legen genau darauf wert: wenig Verkehr, viel Grünraum, insgesamt nachhaltiges Bauen. Mit Reininghaus und der Waagner-Biro-Straße entstehen in Graz gerade zwei solche Leuchtturmprojekte der Stadtentwicklung. Immobilienexperte Nikolaus Lallitsch ist voll des Lobes: »Sie verwandeln ehemalige Industriestätten in lebenswerte Stadtteile der Zukunft. Die Smart City Waagner-Biro-Straße hat einen Lagevorteil in Graz-Mitte, dadurch kann der Anspruch nach einem Stadtteil der kurzen Wege und der sanften Mobilität bestens umgesetzt werden. Sie bietet besonders hohe Lebensqualität und funktioniert als eigener Stadtteil, ohne ein Satelliten-Viertel zu sein. Sie ist von wenigen kreativen Köpfen erdacht worden. Das hat die Umsetzung kompromissloser Qualität erleichtert.«

Glücksdorf statt Stadt

Urbanität bleibe jedenfalls ein Megatrend, sagt Lallitsch, die Nachfrage bleibe hoch, das Angebot könne damit nicht Schritt halten. »Viele zieht es zur Ausbildung und zur Arbeit in die Städte. Es gibt aber auch eine gegenläufige Strömung: Glücksdorf statt Stadt. Drei Viertel der Steirerinnen und Steirer ziehen das Landleben der Stadt vor, wissen wir aus einer ganz aktuellen GallupStudie. Die Menschen sind mit ihrer Wohnsituation grundsätzlich zufrieden, aber ein Viertel aller 20- bis 65-Jährigen möchte in absehbarer Zeit die momentane Wohnsituation verändern. Das bedeutet: Eine Million österreichischer Haushalte steht zur Disposition.« Damit zerstreue sich auch die Hoffnung nach fallenden Wohnungspreisen. Was für ganz Österreich gilt, muss jedoch nicht für Graz gelten:

#wellbeback

Mit vollem Einsatz

Mut für morgen. www.news.steiermark.at

»Eine Stadt ist niemals fertig. Politik und Verwaltung steuern das Baugeschehen aktiv. In einem Rechtsstaat ist es nicht möglich, das Bauen zu verbieten – freilich kann man Regeln dafür schaffen. In diesem Sinn betreiben alle betreffenden Magistratsabteilungen Qualitätssicherung.«

Riesenentwicklungsprojekte wie die Smart Cities in Reininghaus oder der Waagner-Biro-Straße lösen am Grazer Immobilienmarkt eine leichte Unruhe aus. Man fürchtet, durch ein Überangebot an Mietwohnungen die eigenen Projekte nicht mehr gewinnbringend bewirtschaften zu können. Sie sehen sowohl den Mietenmarkt als auch den Käufermarkt in Gefahr; der Bedarf sei bei weitem nicht so groß wie das Angebot. Ihre Skepsis gegenüber Reininghaus etwa formuliert eine Immobilienmaklerin so: »Im ersten Halbjahr hat es kaum Zuzug nach Graz gegeben, der Wohnraum, der mit den neuen Stadtteilen geschaffen wird, ist einfach überdimensioniert. Dazu kommt ein Verkehrskonzept, das aufgehen kann – oder auch nicht. Nur mit einer Verlängerung der Straßenbahnen und dem Propagieren von kurzen Wegen wird das zu erwartende Verkehrsaufkommen kaum in den Griff zu kriegen sein.« Außerdem: »Die ersten Wohnungen sind in Reininghaus bereits übergeben – diese Mieter leben jetzt einmal nicht nur in einem Stadtteil, der verkehrstechnisch derzeit nur mangelhaft erschlossen ist; bis die Straßenbahn dort vorfährt, dauert es ja noch. Es wird Jahre dauern, bis der Stadtteil fertiggebaut ist – wer immer dort jetzt wohnt, wohnt noch sieben Jahre lang mitten in einer Baustelle. Das muss man mögen – in diesem Umfeld kann man nicht unbedingt leicht vermieten.«

Weitreichendes Verkehrskonzept

In puncto Verkehrskonzept widerspricht Barbara Urban, die in Graz für die Mobilitätskonzeption verantwortlich ist, deutlich: Sorgen der Anrainer wegen freier Parkplätze seien weitgehend unbegründet, es gebe 5.000 unterirdische Stellplätze in Reininghaus. Das Verkehrskonzept basiere auf der Mobilitätsstrategie der Stadt, die eben darauf abziele, den neu entstehenden Autoverkehr in engen Grenzen zu halten. Straßenbahnverlängerung und kurze Wege für Radfahrer und Fußgänger einerseits, aber auch eine gute Durchmischung: Arbeit, Freizeit und Nahversorgung sind im neuen Stadtteil möglich. Andererseits, so Urban: »10.000 Bewohnerinnen und Bewohner, 5.000 Arbeitsstellen – das ist nicht nichts! Natürlich wird sich das Verkehrsaufkommen erhöhen. Wir haben aber darauf geachtet, dass es sich in Grenzen hält und so gut wie möglich verteilt.« Es bleibt also spannend am Grazer Immobilienmarkt: Ein Ende des Baubooms ist derweil nicht in Sicht; weitere Areale wie Reininghaus oder die Waagner-Biro-Straße warten auf ihre Entwicklung durch die Stadt oder private Anbieter. Die nächsten Herausforderungen warten bereits – die längst fälligen Umgestaltung des Griesplatzes und der angeschlossenen Wohngebiete sowie der Bebauung von Arealen wie der Ackernwiese in Puntigam sind städtebaulich und hinsichtlich der Verkehrsplanung spannende Projekte, die bis jetzt noch ungelöste Probleme aufwerfen. Wenngleich coronabedingt ein leichter Rückgang des Bau- und Immobilienbooms zu verzeichnen ist, so ist das Interesse der Anleger an Immobilienfonds ungebrochen. Gerade in unsicheren Zeiten ist Betongold wertvoller denn je. Das sorgt zwar für hohe Grundstückspreise, aber auch für stabile Mieten. Kurz gesagt. Eigentum zu schaffen wird schwieriger werden; Wohnen an sich bleibt jedoch weiter leistbar.

Graz (Stadt) 2015 2016 2017 2018 2019

Wohnungspreise pro Quadratmeter € 2.189,00 € 2.139,00 € 2.187,00 € 2.347,00 € 2.518,00

Häuserpreise pro Quadratmeter

Grundpreise pro Quadratmeter € 2.086,00 € 2.345,00 € 2.421,00 € 2.458,00 € 2.688,00

€ 210,50 € 219,60 € 225,70 € 249,10 € 247,60

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