LOST VOICES #9

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INKL. REZEPT

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STORIES

POETRY

INTERVIEWS


Jede Art zu schreiben ist erlaubt, nur nicht die langweilige. - Voltaire (1694-1778) frz. Philosoph

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LV IX Besetzung: Marcus Mohr Maik Gerecke Susanne Haupt Susann Klossek Andreas Winterer Ana Marija Muhi

Schlechtwetterfront Entgleist Spot Ausgeträumt / Mission Smartphone News Shit Lilien duften nicht nach Tod

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REZEP T SEITE 2 7 Interviews: André Pilz DBC Pierre

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LV‘s

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ALWAYS LOOK ON THE BRIGHT SIDE OF LIFE Coverimage „Laughter“ and „Innocence“ (last page) by Stuart Whitton More infos at www.stuartwhitton.co.uk Fotos/Bilder in dieser Ausgabe Patrick Lipke (Seite 4, 27), Susanne Haupt (Seite 8, 11, 13, 15, 29) Ana Marija Muhi (Seite 17)

Herausgeber: Marc Mrosk, Kontakt: ElVau@gmx.de

Alle Rechte der hier aufgeführten Werke liegen bei den jeweiligen Autoren, Fotografen/ Künstlern. All stories, poems and pictures in this magazine are owned by the writers and artist named in this issue.

alle Ausgaben unter www.issuu.com/elvau

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SCHLECHTWETTERFRONT von Marcus Mohr

Die Tankanzeige wippte alarmierend im roten Bereich. Keiner der beiden Brüder wusste, wie viele Autobahnausfahrten an ihnen vorbeigezogen waren. Simon, unter dessen Hintern ein Sitzkissen lag, fuhr. Er war es auch, der beschloss, von der Autobahn abzufahren, um zu tanken. Er fuhr seit knapp fünf Stunden nonstop. „Was machste?“ fragte Joshua vom Beifahrersitz. Er hatte einen Pottschnitt und Hasenzähne, die, fuhr er sie einmal ein, eine Kerbe in seiner Unterlippe hinterließ. „Ich fahr von der Autobahn ab.“ „Das seh ich auch.“ „Müssen tanken.“ „Weil der Tank leer ist?“ fragte Joshua. „Nee.“ Simon rollte mir seine Augen wie Murmeln in einer Endlosspirale. „Weil wir neue Zahnpasta für unsere Schuhsohlen brauchen.“ Sie fuhren über eine Schnellstraße, und nur wenige Autos kamen ihnen entgegen. Joshua schaute aus dem Beifahrerfenster, kaute patschend auf einem Kaugummi und bohrte in seiner Nase nach verwertbarem. Simon hatte die Tankstelle bereits gesehen, als Joshua sagte: „Da ist ´ne Tankstelle. Dort drüben. Da wo die Tankstelle ist.“ Simon pustet blubbernd Luft aus. „Wenn ich dich nicht hätte, Joshua“, sagte er ironisch. „Ja, dann wärste alleine, richtig?“ 4 „Richtig.“


Sie parkten parallel zu einer Zapfsäule. Beide stiegen aus und streckten sich. Joshua gab dabei ein Geheul ab, das nach hungrigen Wölfen klang. Simon nahm den Zapfhahn und bugsierte ihn in die Tanköffnung. „Musste pinkeln?“ fragte er Joshua. „Wieso?“ „Wieso? Was für ´ne bescheuerte Frage, verdammt. Vielleicht wär’s mal ´ne willkommene Abwechslung für dich, nicht nur in Flaschen zu pissen.“ Joshua kratzte sich im Schritt. „Nee, ich muss nicht. Musst du denn?“ „Ja, denk schon.“ „Soll ich halten?“ „WAS?“ „Ob ich den Tankhahnzapf halten soll?“ „Ach … okay. Nee, brauchste nicht. Du kannst aber mal drinnen fragen gehen, ob du den Schlüssel kriegst.“ „Was für ´n Schlüssel?“ Simon wurde lauter. Langsam verließ ihn seine Geduld. „Was denkste denn, häh? Den Schlüssel für die Toilette, was sonst?“ „Hab aber kein Geld“, sagt Joshua. „Kostet auch nichts.“ „Und wenn doch?“ „Kostet nichts! Wenn ich’s doch sage.“ „Sicher?“ „Ja, Scheiße nochmal. Kostet nicht, keinen Cent. Und jetzt Abflug!“ Joshua drehte ab und wurde von einer automatischen Schiebetür verschluckt, die genauso gläsern war wie die restliche Fassade des Tankstellenshops. Simon tankte unterdessen den Transit voll, schüttelte ab und schloss den Tankdeckel. Keine Menschenseele war außer ihnen hier. Nur der Wind, der die knochigen Bäume am Straßenrand schaukeln ließ und leichten Unrat über die Tankstelle fegte, verriet die Anwesenheit der Götter. Simon steckte sich eine Marlboro 100 an und ging zur Straße, schaute nach rechts, nach links und blinzelte dem in der Hitze schimmernden Asphalt entgegen, der mit leichten Staubwolken eingenebelt war – kein Auto, kein Fahrrad, kein Wanderer, nichts. Nur eine wettergegerbte Reklametafel stand da, die für ein Motoröl warb, dessen Name Simon nicht geläufig war. Er trat einem Stein vor die Stirn, der mit Schwung über die Straße hoppelte. Er spürte den Schweiß, der sich an seinem Rücken herunterhangelte. „Hab den Schlüssel“, rief Joshua. Simon drehte sich um und sah seinen Bruder, der vor dem Eingang stand und stolz mit dem Schlüssel über seinem Kopf rumwedelte. „Komm sofort“, rief Simon zurück. „Was?“ „Ich komm sofort. Moment.“ „Soll ich hier warten?“ Simon deutete mit rudernden Bewegungen an, Joshua möge warten. Er nahm drei schnelle Züge von seiner Kippe, trat sie aus und spuckte auf den Boden. Den Rotz verrieb er mit seinen Schuhsohlen. Dann ging er zu Joshua, nahm den Schlüssel 5 entgegen und bat ihn, im Auto auf ihn zu warten.


„In unserm Auto, richtig?“ Joshua war schon unterwegs zur Toilette. Er war es leid, seinem Bruder immer alles zweimal zu erklären. Er wird schon selbst auf die passende Antwort kommen, dachte er. Die Toilette roch nach einem olfaktorischen Cocktail aus penetranten Scheuermittel und festgefahrener Pisse. Der Toilettendeckel war bereits hochgeklappt, und während Simon pinkelte, las er auf der gekachelten Wand eine krakelige Eddingschmiererei, die einen Blowjob anbot. Darunter war eine Telefonnummer ohne Vorwahl notiert. Simon packte seinen Lachs ein und verließ die Toilette, ohne sich die Hände zu waschen. Draußen lief er einem schlaksigen Oldtimer in die Arme, der einen blauen Overall trug, der um seine Beine schlotterte. Er hatte eingefallene Wangen und graue Bartstoppeln und eisblaue Augen. Das muss der Tankwart sein, dachte Simon. „Gibt bald Regen“, sagte der Alte. Simon schaute in den Himmel, dann wieder zum Tankwart. „Braucht es nicht Wolken, damit es regnet?“ „Die werden kommen, versprochen. Hatte erst kürzlich ´ne OP am Rücken, weil ein Lendenwirbel den Geist aufgegeben hat. Hab da ´ne Narbe, ein echtes Untier. Sieht aus wie der Reißverschluss von ´ner Elefantenhose. Ist besser als ´ne Wetterstation, die Narbe.“ Simon wusste nicht, was sagen. Er rollte den Toilettenschlüssel wie eine Gebetskette zwischen seinen Fingern. Der Alte sprach weiter: „Hab’s deinem Kumpel schon gesagt.“ Simon wurde plötzlich hellhörig. „Was gesagt?“ „Dass ihr weiterfahren dürft.“ „Hatten wir vor, ja.“ „Dass ihr weiterfahren dürft, ohne zu zahlen. Geht aufs Haus.“ Er zwinkerte. Simon traute dem Braten nicht. Skeptisch fragte er: „Und wie kommen wir zu der Ehre?“ Wieder zwinkerte der Tankwart, und Simon konnte sich keinen Reim darauf bilden, was dieses verfluchte Zwinkern zu bedeuten hatte. Der Alte nahm ihn den Schlüssel aus Simons Hand und sagte: „Auf geht’s, Junge. Bevor ich’s mir anders überlege.“ Simon nickte und sagte kein Wort. Er ging zurück zum Transit und meinte die Blicke des Alten zu spüren, die in seinen Rücken stachen. Er stieg ein. Joshua saß auf dem Beifahrersitz und war in einen Comic vertieft. Er nuschelte die Sprechblasen laut mit. Der Tankwart war vor dem Eingang stehen geblieben. Bevor Simon den Schlüssel im Zündschloss umdrehte, schaute er ein letztes Mal zu dem Alten und nickte ihm dankend zu, woraufhin dieser nur den Kopf schüttelte und schief grinste. „Gute Reise und kommt gut durch“ rief er ihnen zu. Sie bogen auf die Schnellstraße und wenig später dann auch auf die Autobahn ein. Eine Weile fuhren sie schweigend. Dann fragte Simon seinen Bruder, ob er wüsste, warum sie nicht zu zahlen brauchten. Simon musste seine Frage wiederholen, weil Joshua eins mit seinem Comic geworden war. Endlich blickte Joshua auf. Er sagte: „Hab ihm gesagt, du müsstest auf Toilette.“ „Sonst nicht?“ „Doch.“ „Und was?“

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„Ich meinte, es geht um Leben und Tod.“ „Um Leben und Tod?“ „Sagte ihm, wir wären auf der Flucht.“ Simons Kopf schnellte rüber zu Joshua. Sein Gesicht sah aus, als würde es jeden Moment von seinem Haupt tropfen. Sein Mund öffnete sich zu einem verzerrten O. „Du hast … du hast was?“ Joshua kaute auf seinen Wangenwänden und nickte. „Du weißt“, sagte Simon, „dass wir tatsächlich auf der Flucht sind. Das weißte aber, oder?“ „Eben. Ich wollt doch nicht lügen. Lügen darf man nicht. Schon vergessen?“ Simon schlug wütend auf Lenkrad und traf dabei die Hupe. Joshua erschrak und zog den Kopf ein. „Gottverdammt, Joshua. Manchmal frag ich mich echt, wie groß der Batzen Schiss ist, der in deinem Schädel rumsuppt.“ „Übermorgen werd ich siebzehn.“ „Und?“ „Bin ein Jahr älter als du. Dein großer Bruder.“ „Ja, schön für dich. Aber …“ Simon hielt inne. Zwar war er stocksauer auf seinem Bruder, aber er wollte ihm nicht unter die Nase reiben, ihn nicht kränken, dass Joshua es war, der zurückgeblieben war. Der nicht bis tausend zählen konnte. Dem man daran erinnern musste, sich die Nase zu schnäuzen, wenn sie lief. Joshua hatte den Intelligenzquotienten eines Vogels, der hinter Glasscheiben nach Futter sucht. Ohne weiter auszuholen, fuhr Simon weiter. Immer geradeaus. Weder Joshua noch er wusste, wohin sie fuhren. Sie wussten nur weshalb. Sie beide hatten gute Gründe, dass Auto ihres Vaters zu stehlen. Auch sie hatten Narben. Überall am Körper. Noch waren sie nicht soweit, dass Wetter vorherzusagen. Aber was nicht ist, konnte noch werden, dachte Simon, und drückte das Gaspedal durch und lauschte dem Fahrwind, der wie die Nichtigkeit des Weltalls klang.

Die ONLINE ZEITUNG für QuerdenkerInnen !!! Hier sind alle aufgefordert gegen den Strich zu lesen und die Signifikanten tanzen zu lassen. Hier finden Sie in geschmacklich reinster Form eine Auswahl kultureller Termine im Pott. Hier spiegelt sich feinsinnige Lyrik neben virtuellen Querulanten und schonungslosem Wortpüree des täglichen Wahnsinns. Dazu gibts Mukke, Reviews, Vinyl & Politics, Nerdkram und regelmäßige Konzertkarten-Verlosungen. Sendet Artikel, Stories und Comics an: aponaut@mustermensch.org und werdet berühmt!!!

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ENTGLEIST von Maik Gerecke

Alles begann mit meiner Geburt. Man wird einfach ungefragt in etwas hinein geboren. Ein räumliches, zeitliches ... Ding. Ein Universum, eine „Welt“. In ein Land, eine Stadt, einen Bezirk. In eine Schicht, eine Familie, eine Sitte, eine ... Moral. Aber zunächst: In einen Kreissaal. Naja, in meinem Stück Welt zumindest. Unmittelbar nachdem du raus bist, aus diesem Kreissaal, diesem Gleis, auf dem dein Zug ankommt, betrittst du auch schon sehr bald einen Haufen anderer Welten. Oder besser: Man führt dich in sie hinein. Du verlässt das Gleis, den Bahnhof, betrittst eine Stadt, nimmst einen Bus, fährst in einen Bezirk, machst Besuche, findest dich in irgendwelchen Sitten wieder. Irgendeiner Moral. Und manchmal bleibst du für lange, lange Zeit in einer solchen Welt. Warum auch immer! Ja ... warum diese komische Zugmetapher? Naja, meine Welt ist eben der Bahnhof. Hier verbringe ich meine Tage. Man kennt mich. In welcher Stadt auch immer. Wenn sie ein bisschen größer ist, kennt man mich. Ich bin überall. Ich sitze davor, dahinter, irgendwo drinnen, bis man mich bittet, zu gehen. Ich bin herunter gekommen, meistens betrunken, stinke, weil ich seit einer Ewigkeit nicht geduscht habe. Manchmal bin ich verrückt und nerve die Reisenden mit für sie unverständlichem Mist. Und was ich auf jeden Fall tue ... ist betteln. Soviele Welten. Nebeneinander herlaufend. Ineinander verwoben. Sie stoßen sich gegenseitg ab, ziehen sich an, bekriegen sich, stützen sich, bedingen sich. Du wirst von 8 der einen in die andere gereicht, herausgeworfen, aufgesogen, gefressen, verdaut, ausgeschissen.


Ich spreche die Menschen direkt an oder sitze einfach nur da. Mit einem beschrifteten Stück Pappe, einem alten Kaffeebecher oder dergleichen. Meine Welt ist eine unangenehme Notwendigkeit, ein Erzeugnis anderer, viel größerer Welten, als die meine. Sie ist ein akzeptabler Fehler in der Formel. Ein Tag ist meist wie der andere. Ich sitze stundenlang dort und schaue die Leute an. Manchmal werfen sie etwas in meinen Becher. Mitleid muss erregt werden, aber wichtiger ist noch, ans schlechte Gewissen derer zu appellieren, die offensichtlich mehr haben als ich. Der Bänker zum Beispiel! Wissen Sie, die Gesetze seiner Welt bedingen die Gesetze meiner Welt. Naja ... und die vieler anderer ... Bezeichnenderweise geben die Anzugträger meistens nichts. Sie müssen wissen, damit sein Geld in seinem steinernen Gewächshaus keimen, damit es gedeihen kann, muss es sich an anderer Stelle verringern. Es ist ähnlich wie in der Botanik. Ein Same saugt und saugt Materie aus seiner Umgebung und formt sich daraus etwas nach seinem ganz persönlichen Plan zurecht. Ein Pflänzchen kommt nicht aus dem Nichts. Die Menge der Materie wird dem universalen Gesamtkapital entlehnt. Ansonsten: Tote Erde. Menschen gehen im Bahnhof ein und aus. Du siehst sie alle. Alle Typen, die dieser Teil der Welt zu bieten hat. Geschäftsreisende, Studenten, Arbeiter, hübsche Frauen, Jugendliche – was auch immer. Sie alle gehen an mir vorbei. Manche gemütlich und entspannt, manche müssen ihren Zug noch kriegen. Sie alle kreisen in ihren Welten um irgendeine Sonne. Und ihre Welten kreisen um eine andere. Zumeist die des Bänkers. Und ich? Ich sitze einfach nur hier, habe Hunger, sehne mich nach einer Flasche Whiskey oder Brandy oder anderen hochprozentigen Seelenbetäubungsmitteln. Ich sage mitleidig „Danke“, wenn mir jemand ein paar Münzen hinwirft und weiter geht, ohne mich anzusehen. Ich habe manchmal das Gefühl, dass sie wütend sind. Wütend darüber, mir gerade Geld gegeben zu haben, weil ich ihr Mitleid geweckt habe. Andere lächeln mir etwas gequält und unsicher zu, vielleicht weil sie mir Mut machen wollen, oder einfach nur nicht wissen, wie sie mir ihr Beileid ausdrücken können, ohne sich dabei schlecht zu fühlen. Zwei Welten nehmen Kontakt auf. Wissen Sie, ich war früher mal Florist. Ja, ja, ein Mädchenberuf, aber ich bin in der Nähe eines Waldes großgeworden, in dem ich mich damals immer vor meinem Vater versteckt habe. Zum Studium der Forstwissenschaften ... naja, dazu haben die Privilegien meiner Familien-Welt leider nicht ausgereicht, also das heißt: Es ging halt nicht immer so wie ich will. Da ist es besser, man vergisst seinen Willen so schnell wie möglich. Hier am Bahnhof hat man die besten Chancen auf noch beachtlich große Zigarettenstummel in den Aschenbechern. Die Menschen stehen unter Zeitdruck. Meistens kommt ihr Zug gleich, meistens sind sie kurz davor, ihn zu verpassen und ... im Bahnhofsgebäude herrscht Rauchverbot. Eine nach der Hälfe ausgemachte Zigarette ist das reinste Fest für mich. Sie können sich nicht vorstellen, wie man sich über so etwas

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freuen kann. Es müssen nur die Rahmenbedingungen stimmen, die diese Freude bedingen. So ist das mit dem Glück, fürchte ich. Es ist verdammt relativ. Abhängig von einem Bezugssystem. Wie in dieser Theorie von diesem ... Einstein, wie hieß die noch gleich? Die, die die Welt erklären soll. Übrigens: Die bundesweite Pfandverordnung war ein Segen für meine Welt. Die grüne Politik hat um die Jahrtausendwende wahrscheinlich mehr für die Armen getan, als es ihnen bewusst ist. Mit dem Sammeln von alten Pfandflaschen und -dosen kann man sich hin und wieder mal eine Flasche Fusel genemigen. Essen ist zwar nicht so wichtig, aber ... naja, leider notwendig. Auch wenn es im Winter drinnen wärmer als draußen ist, erlaubt man einem wie mir nicht, die Nächte im Innern des Bahnhofs zu verbringen. Ich bin unerwünscht. Geschaffen und verstoßen. Ganz so wie von meinem Vater. Man empfindet Abscheu mir gegenüber. Man sieht ein gewisses Sicherheitsrisiko in mir. Einen Taugenichts, einen Tunichtgut. Einer wie ich könnte ja aufgrund seiner Lage gewisse „Gedanken“ hegen, jemandem Unrecht zutun, etwa ihn seines Geldes zu berauben. Zum Beispiel den Bänker. Ja, wer weiß, was ich nicht alles bin. „Es tut mir leid, aber Sie können sich hier leider nicht aufhalten. Ich muss Sie bitten, die Eingangshalle zu verlassen.“ Aber es ist kalt draußen. „Es tut mir wirklich sehr leid. Bitte gehen Sie jetzt.“ Auf den Jacken der zwei Männer steht Sicherheitsdienst. Sie tragen sogar Gummiknüppel bei sich. Mein Vater brauchte damals nicht mehr, als seine beiden Fäuste. „Wenn Sie nicht freiwillig gehen, muss ich leider die Polizei rufen.“ Am Bahnhof beobachtest du Familienglück, Freundschaft, beruflichen Erfolg. Liebe! Ich sitze nur hier. Keiner weiß, wie ich hier her kam. Keinen interessiert es. Nicht mal ich selbst kann mich genau daran erinnern. Ich bin namenlos, identitätslos. Beseelter Abfall, den man aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht entsorgen, recycln darf. Vielleicht würde die Materie meines Leibes einen schönen Baum abgeben. Ich bin einfach hier. Erinnere die Menschen daran, immer fleißig und artig zu sein, damit sie nicht so enden wie ich; erinnere sie an die möglichen Abgründe, in die man stürzen kann; erinnere sie an ihr gutes Leben. An Welten, die sie niemals betreten haben. Ich lehre sie das Mitleid, lehre sie den Hass. Die Angst. Aber von meiner Geschichte wollen sie nichts wissen. Sie sind sich sicher, dass man nichts aus ihr lernen kann. Wahrscheinlich ist ihnen mein Antlitz die beste Bestätigung dafür. Vielleicht vermissen Sie, geschätzter Leser, so etwas wie einen „roten Faden“ in der Geschichte meiner Welt. Einen „Plot“, Wendepunkte, Spannungsaufbau, naja ... wissen Sie, die Welten da draußen, die wollen nur so selten irgendwelchen Weltgesetzen irgendeiner Ästhetik gehorchen. Sie entstehen einfach, vergehen einfach. Immer wieder. Hin und her. Der Zug fährt vorwärts, fährt rückwärts; gefesselt an die Diktatur der Schienen. Beseelt von der Unzahl der Reisenden.

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SPOT von Susanne Haupt

Sie steht über mir gebeugt wie eine pure Abbildung ihrer Selbst in diabolischer Form mit einem Arm erhoben und in der Hand des selbigen die Nachttischlampe meines ungefähr pi mal Daumen vierzig mal vierzig Zentimeter großen Bettbeistelltisches und flucht mich an als ob mir Reizgas aus dem Arsch fährt. „Hör auf zu Husten, sonst erschlag ich Dich!“, brüllt sie in manischer Form gegen mich, mein Bett und die angrenzende Wand und erst packt mich das Gefühl ich hätte mich hier drinnen schneller angesteckt als möglich oder diese Frau schleudert tatsächlich diese verfluchte Nachttischlampe nicht gerade treffsicher neben meinen Kopf aufs Kissen. „Ich geh ja schon“, höre ich mich schleppend sagen und taumle durch das nachtschwarze Zimmer mit einer Hand weit ausgestreckt dem Türknauf entgegen. Das grelle Licht auf dem Gang schleudert mir ungewohntes Wachsein entgegen, mein Herz versucht sich an das plötzliche Aufstehen zu gewöhnen, scheitert jedoch kurz vor dem Raum Generale wo mich Weißgekleidete vom Boden aufheben wie einen schleimigen Fisch aus trüben Gewässern. Meine Augen dürften mindestens genauso glasig daher kommen, also mache ich mir nichts aus der Show, spiele noch etwas mit und lasse meine Beine wie einen Fischschwanz hinter mir her schleifen, allerdings ohne die zappeligen Bewegungen eines vom Tode bedrohten Wasserbewohners, bevor ich mich schlaff auf einem Stuhl zusammen falten lasse. „Pffffffff......“ macht das Gerät am Arm und ich erinnere mich an Kindheitsträume in denen man gerne so etwas selbst 11


bedienen würde. Wie eine Pflaume hält die Frau den Ball in der Hand, den sie zuvor aufopfernd pumpte um dann geduldig den langsam abwärts bewegenden Zeiger zu begutachten. Meine Fischaugen gewöhnen sich langsam an das Licht und mir dünkt als würde eine Zigarette gegen all das Böse auf der Welt gerade helfen. Ich mache der Dame in Weiß meinen Standpunkt unmittelbar klar und krieche an den Sofas und dem laufenden Fernseher vorbei, hindurch durch die Glastür in den Raum hinein, wo Björn sitzt, mit gefalteten Händen dem Ventilatorgeräusch lauschend. Das Fenster hier drinne kann mal nicht einmal auf Kipp stellen, was jedem Teerfanatiker dazu bringt in Stereo dem Rauschen der pseudostimmigen Belüftungsanlage und dem Rauschen des pseudounterhaltsamen Radios zu zu hören während sich am Nebentisch das dicke Alkoholikerpärchen mit den Bäuchen überm Hosenbund lautstark unterhält. Nur Betty sitzt noch hier mit einer Packung Skippo in der Hand, bereit sie bei der nächsten Person anzuwenden. Schnell sieht sie, dass mir nicht der Sinn nach Glücksspiel steht und sie gesellt sich zu Björn und mir an den runden Tisch, die schwarzen langen Haare zum Zopf gebunden und der Mund wie immer leicht und fordernd geöffnet. Ich schnorre mir eine Kippe von ihr. „Nachts ist es“, sagt Björn und alle fangen an zu lachen. Ich bin noch nicht lange genug hier um mit zu lachen, senke den Kopf und konzentriere mich auf das perfekte Abaschen meiner Zigarette. „Ich bin die Reinkarnation von Vishnu!“, brüllt er aufspringend los, tritt den Stuhl zur Seite und breitet die Arme aus als würde ihn etwas empor heben was einmal da war, aber nun versumpfte und Jan steht schon bereit vor der Glastür aber erneut fangen nur alle an zu lachen. Einfach keine richtige Action hier drinne. Ich schildere in kurzen, knappen und schlaftrunkenen Sätzen den Eklat mit der Nachttischlampe und versichere mir selbst mich am morgigen Tag in ein Zimmer ohne Nachttischlampe verlegen zu lassen sofern das hier möglich erscheint. Betty bietet mir ihr leeres Bett im Zimmer an was aber voraussetzt, dass ich das Spiel hier vollständig mitspiele und einen Großteil meiner Privatsphäre einbüße. In Anbetracht der Nachttischlampe als potentielle Gefahrenquelle bin ich durchaus gewillt diesen Schritt zu verfolgen und auf eigenständige Badbesuche zu verzichten. „Es ist Nacht“, sagt Björn aber keiner lacht. Jan reicht mir meine kleine quadratische Box über die Schulter und ich fische aus dem Quadratischen das Runde heraus, das auf der Zunge mehr nach Haferbrei als nach etwas anderem schmeckt. Ich schnorre mir eine weitere Kippe von Betty und versichere ihr die volle Rückgabe in Form meiner Zimmergesellschaft spätestens ab dem nächsten Abend. Langsam dreht der Ventilator seine dunklen Runden, immer und immer wieder dieselbe Luft nur schöner, weil sie kurz rotierte um sich dann wieder zu ihren restlichen vollgequalmten Freunden zu gesellen. Rotieren ist gut, denke ich und erkenne einen Mann mit Gummihandschuhen aus dem Augenwinkel der sich monoton mit einer Hand die kahle Kugel streichelt. Ich lasse meinen Kopf auf die Tischplatte sinken und merke, wie sich der Raum langsam beginnt aufzulösen. Schwebend beschreite ich den Rückweg zu meinem Bett und es ist ganz ruhig, hitverdächtig ruhig, nur den Fernseher hört man aus der Ferne noch laufen und Bettys Lachen. Ist ja auch nachts.

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AUSGETRÄUMT (Susann Klossek)

Ich stell es mir furchtbar vor So ein Künstlerleben Immer auf Tour In fremden Käffern herumtingeln Aufwachen mit schalem Geschmack im Mund In geschmacklosen Mittelklassehotels Nicht genau wissen In welcher Galaxie man gerade herumwabert An schlecht bezahlten TV-Serien schreiben Auf Autobahnen zwischen Hier und Dort Und wenn’s einem schlecht wird Nicht genau wissen Ist jetzt der Text oder der Fahrstil schuld Abends auf der Bühne Das Highlight des Tages Die Rampensau raushängen Wissen wofür man lebt Sich kurz im Ruhm sonnen Wissen wofür man blutet Doch dann fällt er wieder Viel zu früh Der Vorhang

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Manchmal trifft man auf Frauen Verfängt sich in ihren Klauen Das ist manchmal schön Meistens aber nur anstrengend Dann sitzt man an Tischen Mit fremden Leuten Die meinen sie hätten Anspruch auf dich Die Unterhaltung nach der Unterhaltung erwarten Und wenn du dann müde und wortkarg Auf dem Stuhl sitzt und gähnend am Rotwein nippst Sagen sie: Den hab ich mir aber auch amüsanter vorgestellt Und dann liegst du allein im Hotelbett Und hast nicht mal mehr die Kraft Zu onanieren Was auch nicht weiter tragisch ist Weil Lust dazu hast du auch nicht wirklich Und am Sonntag willst du den Bus nehmen Abstand von der Truppe Die dir langsam auf den Sack geht Mal wieder nach Hause fahren Die Kinder und die Frauen durchzählen Und dann steht an der Haltestelle MISSION Auf der LED-Anzeige (Susann Klossek) ‚Momentan von hier keine Abfahrt geplant‘ Früher träumte ich auch Einer muss es schliesslich machen Von so einem Leben Den anderen aufs Dach scheissen Heute halte ich mich lieber In die Suppe spucken In der Nähe von Vögeln auf Mir wär’s lieber Als dummdreist vom Fliegen zu träumen Es hätte Dich getroffen Ich bin so harmoniesüchtig Es hilft nichts Der Marshallplan steht Die Wahrheit muss raus Nimm’s nicht persönlich Einer muss Versprechen brechen Oder abkassier’n Auch Boxer geh’n in die Knie Ich hab den Job den keiner wollte Am wenigsten ich selbst Ich steh im Regen Und auf der schwarzen Liste Aber einer muss ja den ersten Stein werfen

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Ich sitze auf dem Klo, nehme mein Smartphone aus der Brusttasche, tippe mich mit dem rechten kleinen Finger zum Reader. Das Glas des Displays ist verschmiert. Ich wische es an meinem Werbe-T-Shirt ab. An der Toilettenwand vor mir klebt ein Zettel, vier Tesafilmstreifen, sorgfältig über die Ecken geklebt: "Die Firmenleitung weist darauf hin, dass der Verzehr von Drogen jeglicher Art auf dem WC untersagt ist." Ja. Genau. Zieht euch das Zeug im Meeting rein, wie es sich gehört. Eine krakelige Inschrift schmunzelt mir zu: "Wie Adolf Hitler sitz’ ich hier, die braune Masse unter mir." Das wirft Fragen auf. Ist das zum Beispiel schon nachlässiger Umgang mit unserer Geschichte? Apps! News-Apps! Die Rede ist vom Stillstand der Wirtschaft. Gemeint ist, dass das Wachstum stillsteht. Man fährt quasi mit 260 km/h auf der Autobahn, der Benz wummert am Anschlag, doch er wird nicht mehr SMARTPHONE NEWS SHIT schneller - das nennt man heute 'Stillvon Andreas Winterer stand'. Das ist schlecht: Man könnte ja noch schneller rasen. Sonst tun es die anderen. Es geht nicht darum, wer schneller im Ziel ist: es fragt ja auch niemand nach dem Ziel. Es geht nur ums schneller sein. Ums RaZEN. Bloß weg hier ist das Ziel. Alle sagen, man brauche Wachstum Wachstum Wachstum, und dennoch gibt es nur Krise Krise Krise. Vielleicht sollten wir zur Abwechslung mal drastisch schrumpfen? Und so weiter. Ich presse, nichts passiert. Die Zeilen fliegen an mir vorbei, nichts bleibt wirklich hängen. Ich frage mich, warum niemand die Frage stellt, wie das möglich sein soll, dass alle Wirtschaften der Erde gleichzeitig wachsen. Und wohin? Kein Wunder, dass die Amis zum Mars fliegen - die wollen da expandieren. Platz für McMarsmensch, General Mars Motors, IBMars. Und es werden ja doch die Chinesen vor ihnen da sein. 15 Mit Plastik-Souvenirs.


Irgendein Prinz, Baron oder Freiherr hat wieder was angestellt, McNews Royal. Lange Verrisse füllen den Kulturteil wie Dichtungsschaum die Fensterritzen im sanierten Altbau und behaupten mutig, dass die großen Hollywood-Filme Scheiße sind. Zwei Punktgrößen kleiner loben mutige zwei Zeilen Name-Dropping fünf IndependentMovies, aha. Darüber eine angestrengt pointierte Überschrift, so platt wie der Scherz eines gealterten Liftboys. Ein Boxenluder namens Aka Celebrity wird interviewt; ich kann keinen Anlass erkennen, keinen Grund für das Interview, der in das Schema 'Nähe, Nutzen, Neuigkeit' passen würde. Und warum sind wenige Arbeitslose besser als viele? Warum nennt man die nicht einfach Entspannte? Freie? Das Ziel erreicht habende? Jemand kommt herein. Ich höre ihn schnaufen, bin selber ganz still. Sein Reißverschluss macht Zipp, er grunzt, dann plätschert es. Der Hall begeistert mich: die Akustik in Firmentoiletten übertrifft die in den Übungsräumen von Musikern. Der Mann furzt. Wer einen zähen Stuhlgang hat und von daher eine gewisse Sitzerfahrung auf WCs, der kann bestätigen: Die meisten furzen beim Pinkeln. Es plätschert. Er summt ein bisschen, erkenne ich die Stimme? Er summt scheinbar sinnlos, doch dann erkenne ich ein paar Fetzen. Doch ich kann sie nicht benennen. Es kommt mir seltsam vor, etwas bekanntes nicht benennen zu können, es ist dann so, als gäbe es das Namenlose gar nicht. Seltsam auch das Kribbeln in den Füßen, die mir einschlafen. Das Smartphone leuchtet mir ins Gesicht. Ich surfe mich durch Handelsblatt online, durch Financial Times, durch den Industry Standard und die anderen Magazine. Wirtschaft interessiert mich nicht wirklich. Doch eisern klebe ich an den Zeilen, wie auf der Schüssel. Der Lesestoff muss zu bewältigen sein, hier muss doch der Schlüssel zum Verständnis liegen, was die Welt im Innersten zusammenhält. Ich wechsle die Fonts, doch die Texte bleiben gleich langweilig. Wer denkt sich diese Scheiße bloß immer aus? Warum sitze ich hier noch? Ich habe längst aufgegeben, den Kaffee zu verfluchen. Der dunkelbraune Prodomo in den Portionsbeuteln ist unschuldig. Die hellbraunen Filter sind unschuldig. Die schnorchelnde Brewmatic-Kaffeemaschine ist unschuldig. Auch das Wasser ist unschuldig. Die Firma spendiert Britta Wasserfilter, damit wir nicht verkalken. Die Chefs hier sind edle Du-wirklich-ey-Kapitalisten, mit einem satten Dispositionskredit an Verständnis. Selbst die Spülung, die ich gleich bemühen werde, erbricht astreine Trinkwasserqualität in das Porzellan von Villeroy & Boch. Keiner hat Schuld an Irgendwas. Nur ich muss inzwischen vor dem Frühstück drei Zigaretten rauchen, um die Scheiße aus dem Leib zu kriegen. Mein Handy klingelt. Nein, nur ein SMS. Werbung: Jemand, der mich ganz toll findet, will, dass ich ihn anrufe - auf einer Nummer, die sicher 80 Euro die Stunde kostet. Ich nehme mir vor, diesmal den Absender zu ermitteln und anzupöbeln. Ich presse. Schwere Geburt. Wichtig ist, was unten rauskommt, hatte visionär zur 16 geistig-moralischen Wende einst der Kanzler der Einheit prophezeit.


LILIEN DUFTEN NICHT NACH TOD von Ana Marija Muhi

Etliche Monate später sitzt sie wieder in diesem kleinen Cafe. In dem friedlich intimen Raum, der so aussieht als könnten hier Dramatiker luchsen, atmen und dabei ihren Kaffee schlürfen. Es riecht nach Lilien. Hier liegen ihre Träume begraben. Sie schaut sich um und versucht den liebevoll, aber prunklos dekorierten Raum zu begreifen. Mit ihren Sinnen zu erfassen, mit Sinn zu bezwingen. Sie fühlt sich genau wie früher auf seltsame Art und Weise angezogen von der warmen Cafestube und gleichzeitig macht sie ihr noch immer Angst. Sie versteht das nicht. Zerschlissene Edelmöbel vermischen sich mit zeitgenössischer Fotografie und fordern mit ferner Musik, zum Tanz in eine andere Welt auf. Sie sitzt auf einem Flugzeugsessel. Burn-Out. Sie ist hergekommen, weil sie es zuhause nicht ausgehalten hat. Ihre Wände schienen sich um ihre Lunge zu stülpen. Sie konnte nicht atmen, nicht schreien. Ihr Arzt hatte sie soeben für ein paar Wochen krankgeschrieben und strikt verordnet nichts zu tun. Im Büro hatte sie es auch nicht ausgehalten. Sie erinnert sich, dass sie, das letzte Mal als sie hier saß - vom gleichen Gefühl gequält – arbeitslos war. Das macht keinen Sinn. Krank ohne Arbeit? Krank durch Arbeit? Sie rührt in ihrem Kaffee und wartet dass er abkühlt.

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Sie muss etwas tun. Kann nicht stillstehen, muss rotieren. Das laute künstliche Rattern, erstickt das leise Wimmern. Sie will nicht, dass es leise um sie herum wird, will das dumpfe Klagen, Weinen oder Schreien, das durch ihre Augen nach draußen quillt, nicht sehen, nicht hören. Sie schloss in den letzten Monaten und Jahren immer erfolgreich die Augen und stellte den inneren Schleudergang auf repeat. Die dröhnende Lautstärke von außen, durchtränkte ihre in Fetzen zerrissenen Gefühle – die Waschmaschine lief hochtourig. Bunte Lappen wurden so lange vom Stress durchtränkt, bis sie um ihr Selbst durchspült, am Ende als nasses Grau aus der Schleuder gespuckt wurden. Nun sind ihre Gefühle hart und vertrocknet. Wie fahle Wischlappen in pappige Gebilde erstarrt, die bei leisestem Druck wie vermodertes Laub zerbröseln. Sie trinkt einen ersten Schluck heißen Kaffee. Sie erschrickt. Verbrennt sich. Mit einer Hand fühlt sie den Tisch vor ihr und mit der anderen fasst sie sich an die kalte Brust. Ganz vorsichtig. Rauher Stoff kratzt sich in ihre transparente Haut. Sie sieht den Raum wieder. Atmet den Duft süßer Lilien. Will wissen wo der Geruch herkommt, will das Außen sehen, riechen, schmecken. Sich nicht immer am Innen verletzen, vernetzen, verwaschen. Der schwere Duft fließt in sie hinein. Sie lässt die Augen diesmal offen. Sieht in der hinteren Sitzecke, die man über knarrende Holzstufen erreicht, eine Weinkaraffe, in der orangefarbene Lilien blühen. Der Strauß steht auf einem majestätischen Biedermeiertisch, der nicht hochglanzpoliert, sondern mit Garagencharme, dem alten Staub, mit punkiger Seele trocken trotzt. Dann blickt sie zum Tisch geradeaus und sieht wie sich ein weiterer Kelch mit pinkfarbenen Lilien einen Thron erschaffen hat. Die weitgeöffneten Blütenblätter verschwenden sich in ihrer Fülle, räkeln sich in wollüstig anmutender Pracht, als seien die vor Lebenslust triefenden Blätter, die unverschämten Schenkel einer verbotenen Frucht, die ihren süßlichen Blütensaft mit der Welt vereinen will. Sie ist erregt. Schnell schaut sie beschämt aus dem Fenster und ihr Gesicht verfängt sich in einer weiteren Blume. Sie nimmt ihren Mut zusammen und atmet tief ein. Sie ist wie besoffen vom verbotenen Duft. Schließt die Augen. Reißt sie wieder auf. Will nichts verpassen. Eine rosa-weise Lilie streckt ihr unverschämt ihren verlockenden Blütenstaub entgegen. Sie will den rotbraunen Puder berühren, ihn einatmen, mit ihrer Welt vereinen. Der Cafebesitzer schenkt ihr kühles Wasser nach. Sie erschrickt. Das kann sie gebrauchen. Sie lächelt, bedankt sich und trinkt einen Schluck erfrischendes Zitronenwasser, bevor sie sich wieder mit der Blüte paart. Feinstaubsex. Sie schaut an ihr herunter und zuckt zusammen. Ihr nackter Körper ist abgeschnitten. Wo sind die Wurzeln? Sie starrt auf den freischwimmenden grünen Stängel und reißt ihren Blick wieder hoch in ihre Augen. Die Blüte zwinkert ihr zu und sie ist irritiert. Schnell nimmt sie einen Schluck Wasser – nicht das das hier jemand mitbekommt. Sie blickt wieder fragend zur Blüte und da erst sieht sie, wie neben der prachtvollen Blume eine noch ungeöffnete Knospe sich zum Fenster ragt. Zart und hellgrün, formvollendet und prall gefüllt mit noch mehr betörendem Duft. Frida lehnt sich in ihren Flugzeugsessel. Wie kann etwas, dem die Wurzeln gekappt wurden so wunderschön blühen? Würde die Pflanze, wenn sie um ihre Vergänglichkeit wüsste sich auch so 18


üppig verschwenden? Oder tut sie es gerade deswegen? Aber ist sie nicht schon tot bevor sie geboren wird? Frida spürt wieder den rauhen Stoff in der einen und den Holztisch des Cafes in der anderen Hand. Ihre vermeintliche Zeit wird ihr zur Begrenzung und sie verneigt sich vor den Lilien und dem Burn-Out. Lebenstrunken und abgefüllt mit kostbarer Vergänglichkeit, schwelgt sie noch einen Moment und schaut durch die Blumen. Schaut durchs Fenster und spiegelt sich im Glas. Sie sieht wie eine Frau drei porös-graue Wischlappen umkrallt und sie an ihre Brust drückt. In der Spiegelung sieht es aus, als würde die Frau in einer Karaffe stecken. Freischwebend in einer Welt aus Glas. Ohne Wurzeln, ohne Wunde. Frei. Sie schwimmt für einen Wimpernschlag in ihrer eigenen Vergänglichkeit und spürt wie sich in ihrer Hand eine Knospe tränkt. Wie das Rauhe zu einem samtigen Körper verschmilzt, sie streicht sich über ihre aufknospende Brustwarze und spürt, dass die bunten Farben ihrer Gefühlsfetzen wieder aufgerauscht sind. Ja, es ist die blutrote Angst. Ja, es ist grellgelbes Schuldgefühl. Und ja, es ist die giftgrüne Frage, wolang sie gehen soll. Ja, verdammt - es sind Gefühle, die sie nicht haben will. Aber sie lädt sie ein, für einen Moment zu bleiben. Sie erlaubt ihnen da zu sein und spürt ihre brennenden Brüste. In diesem Moment atmen die Angst und das Schuldgefühl tief durch und hören im selben Moment auf zu lodern. Die Angst bedankt sich angenommen zu sein und versichert, dass sie nur gekommen ist, um Frida zu warnen, dass Lebendige, das Bunte zuzulassen und zu akzeptieren, dass sie nur ein mahnender Bote ist, dessen Nachricht sie nun als das leise Wimmern erkennt, von dem sie fast vergessen hatte, dass es der eigentliche Grund war, weswegen sie hier saß. Als die Angst diese Botschaft mit dem letzten Atem ausgehaucht hatte, wollte Frida sich bedanken, doch da hatte sich der erschöpfte Bote schon in warmes Abendrot aufgelöst und versank mit dem Gelb, an einem Horizont, der ein anderer als ihrer war. Ihre Brust ist weich und das einzig verhärtete ihre triebhafte Knospe. Das Klappern der Tassen vom Nachbartisch zog sie wieder an. Sie trinkt ihren letzten Schluck Kaffee und schmunzelt darüber, dass sie in diesem Cafe sitzt, dass ihr so lange Zeit Beklemmungen gemacht hatte, weil sie immerzu den Zwang verspürte, hier das endlich untadelige Drama zu schreiben. Ein Schluck Wasser. Noch ein Schluck. Und noch ein Schluck. Der Cafebesitzer füllt das Glas wieder auf. Sie lächelt befreit und merkt, dass es ihr gar nicht um den Akt des Schreibens oder den erklommenen Gipfel einer konstruierten Dramaturgie geht, sondern um den Liebesakt, die Lust im Leben zu schwelgen, sich wie die Lilien weitgeöffnet zu verströmen, um dann den Höhepunkt des ganzen Affentanzes darin zu spüren, über sich selbst zu lachen und mit weit geöffneten Armen ihre Freunde zu begrüßen, die ins Cafe gekommen sind, um sich zu erkunden, ob sie wieder halbwegs im Takt läuft. Noch zwei heiße Cafe au Lait. Sie bleibt. Sie tickt. Sie tanzt.

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Foto von Camila Torres C. ©

Ein Gespräch mit André Pilz

MAN DOWN FUCKED UP STIMMEN VON DER STRAßE

LV: Normalerweise trete ich Werken, die Künstler wie Bushido zitieren mit einer gewissen Skepsis gegenüber, aber es scheint wohl die passende Sprache für diese Art von Geschichte zu sein. Wann hattest du deine Stimme bzw. Stil gefunden, der dich zufrieden stellte? AP: Das Bushido-Zitat hat eine Geschichte. Der Sohn meiner damaligen Nachbarn hat Bushido gehört, stundenlang, der Bub hat auch erlebt, wie sein Vater die Mutter geschlagen hat. Eines Morgens hörte ich im Stiegenhaus, wie seine Mutter ihm nachrief: Und wehe, du verprügelst heut wieder wen in der Schule! Die Zeile Ich hab mein Lachen verlor’n, eine ganze Generation besteht aus Waffen und Zorn hat sich mir eingeprägt, die hat er immer besonders laut mitgesungen. Die Leute, über die ich in „Man Down“ schreibe, hören Hiphop, hören Bushido, 50 Cent, Azad usw, warum also sollte ich sie nicht zitieren? Ein Stil entwickelt man im Laufe der Zeit, ich habe viel geschrieben, bevor mein erster Roman veröffentlicht worden ist, das war nicht gut, was ich da geschrieben habe, aber es war notwendig. Ich hatte immer eine Ahnung 20 davon, wie ich schreiben wollte, aber es dauerte, ehe ich dort ankam, wo ich hinwollte.


LV: Wie viel hast du aus deinem eigenen Leben in „Man Down“ einfließen lassen? AP: Nicht so viel, dass man mich verklagen könnte, aber genug, dass ich behaupten kann, ich wusste, wovon ich schrieb. LV: In „Man Down“ sagt der Protagonist Kai Ich bin mir sicher, dass mein Leben in Gewalt enden wird. Wie oft kam dir persönlich schon dieser Gedanke? AP: Der kommt mir jeden Tag. Vielleicht schreibe ich zu gewalttätige Geschichten. Vielleicht kocht mein Blut zu schnell. Vielleicht ist es auch nur eine dämliche Männerphantasie. Wahrscheinlich sterbe ich einen ganz unspektakulären, dummen Tod. LV: Wie verarbeitest du deine eigene Wut am besten? AP: Wenn man jünger ist, will man es ja jeden Tag mit der ganzen Welt aufnehmen, heute bin ich relaxter geworden. Was mich früher zur Weißglut brachte, bringt mich heute zum Lachen. Was zum Teil in der Politik abgeht, ist doch Satire pur. Als die Regierung aber wenige Monate vor Fukushima wieder in die Kernkraft einsteigen wollte, da war so ein Punkt erreicht, da dachte ich, und jetzt raus auf die Straße und denen in den Arsch treten, es muss krachen, es muss brennen, diesen Hampelmännern der Lobbys und Bosse muss man eine Lektion erteilen, zu Hause sitzen und auf die nächsten Wahlen warten, geht nicht mehr. Wenn man wütend ist, muss man sich bewegen, das hilft. Ob im Sport, auf der Straße, in seinem Kopf: Move, move, move! Ich glaube, ich schreibe gute Sachen, wenn ich wütend bin. LV: Was fasziniert dich an den gescheiterten Seelen? AP: Schon als Kind hatte ich eine Abneigung gegen allzu glatte Helden. Mich haben immer die Figuren interessiert, die in Filmen beiseite geschubst wurden, Menschen, die als Kollateralschaden so nebenbei ihre Leben aushauchten. Ich habe mir ja auch immer gewünscht, die Indianer würden diesem John Wayne endlich mal die Kopfhaut vom Schädel ziehen, weil die Typen, die er verkörperte, mir Übelkeit verursachten. LV: Liebe spielt immer eine entscheidende Rolle in deinen Geschichten, die sonst von AP: Gewalt und Verlorenheit berichten. Wie wichtig ist dieser Aspekt für dich? Man lebt nur, wenn man liebt. Die Zeit dazwischen muss man sich irgendwie vertreiben. Eine Geschichte ohne Liebesgeschichte wäre für mich eine Geschichte über Nebensächlichkeiten. LV: Was liest du gerade privat? AP: Zum wiederholten Mal Cormac McCarthys wunderschöne „Border Trilogy“, dazu einen Gedichtband von Charles Bukowski und „Soldaten“ von Sönke Neitzel und Harald Welzer. LV: Warum hast du angefangen zu schreiben? AP: Weil ich, als ich jung war, nicht reden konnte. Wer nicht reden kann, ist nicht cool und hat weder Freunde noch kriegt er Mädchen, wer nicht reden kann, tut sich 21 schwer, sich zu wehren. Schreiben war für mich überlebensnotwendig.


LV: Braucht es „Leute von der Straße“ um „Geschichten von der Straße“ zu schreiben? AP: Es braucht auf jeden Fall mehr Leute, die Geschichten von der Straße schreiben. Ich glaube, in Krachts Faserland gibt es diese Szene, in der der Ich-Erzähler sich fragt, wie sehr am Arsch man sein muss, wenn man mit einem Eintracht-Frankfurtaufnäher auf der Jacke rumrennt – und ich hatte zu der Zeit, da ich das Buch las, nicht einen, sondern viele Frankfurtaufnäher auf meiner Jacke. Ich dachte mir: Wo ist denn ein einziger Autor, der über den Typen mit dem Aufnäher schreibt, vom Fußball am Wochenende, vom Job, der dir die Haut vom Körper zieht, von dem Pleitegeier, der über einem kreist, ich hatte sie satt, die Autoren, die mit Cabrios durchs Land fuhren und in der Harald Schmidt Show Sekt schlürften. Ich behaupte nicht, dass die Qualität eines Autors von seiner sozialen Herkunft oder seiner finanziellen Situation abhängt, aber ein paar mehr Leute von der Straße, die über die Straße schreiben, das haben wir bitter nötig. Leute, die vom Leben an den Eier gepackt wurden, die ums Überleben kämpfen mussten, die vielleicht auch mal richtig Scheiße gebaut haben. Schauen wir nach England! Wo sind die Autoren, die von dem Leben in den Ghettos erzählen? Von der Gewalt, den Ängsten, den täglichen Enttäuschungen? Warum kam denn für viele diese Explosion aus dem Nichts? Wir brauchen Leute, die von denen unten erzählen, die auch wissen, von was sie schreiben, weil sonst niemand mehr diesen Menschen eine Stimme gibt und uns irgendwann alles um die Ohren fliegt. LV: Inwiefern beeinflussen Nachrichten über jugendliche Gewalttäter dein Denken und dein alltägliches Leben? AP: Ich habe ja über Jugendgewalt geschrieben, ehe das ein großes Thema in den Medien war. In meinem ersten Roman, der Anfang 2005 erschien, verprügeln junge Türken den Protagonisten, es gab Journalisten, die sich empörten, heute laden sie Sarrazin in ihre Talkshows ein. Medien beeinflussen mich da wenig, ich gehe auf Fußballspiele, ich benutze öffentliche Verkehrsmittel, da kriegt man das alles ab und zu hautnah mit. LV: Was hat sich seit der Veröffentlichung von No llores, mi querida - Weine nicht, mein Schatz im Jahr 2005 am meisten in deinem Leben geändert oder besser: wie empfindest du das Leben als Schriftsteller? AP: Zu meiner ersten Lesung in Berlin-Kreuzberg kam kein einziger Mensch. Als ich das zweite Mal nach Berlin fuhr, wurde am Deutschen Theater die Bühnenadaption von „Weine nicht“ uraufgeführt. In der Zeit vor dem Deutschen Theater gab es Kulturfritzen, die Lesungen absagten, weil ihnen mein Outfit nicht passte. Nach der Aufführung in Berlin klopften mir dieselben Journalisten auf die Schultern, die mich vorher verdammt haben. Das klingt nach viel Frust, der war auch da, heute lache ich über diese Leute. Als ich ernsthaft anfing zu schreiben, hatte ich ja so eine verdammt romantische Vorstellung von Literatur, dachte ich, in der Literaturwelt tummeln sich nur Leute, die wild sind, hungrig sind, tolerant und rebellisch, die aufbegehren gegen das Establishment, gegen Ungerechtigkeiten, die an Grenzen gehen wollen und auch darüber hinaus, und dann stößt man auf diese Erbsenzähler und engstirnigen Arschlöcher, die nicht selten alles für große Kunst halten, was große Langeweile ist, und ja auch noch glauben, sie 22 wären wild und rebellisch, aber ihre einzige Rebellion ist es, in der Nichtraucherzone eines Lokals zu rauchen.


AP: Ich werde von diesen Leuten nie einen Literaturpreis kriegen, nicht mal ein Stadtstipendium in einem Kaff, in das eh niemand will, aber ich gehe konsequent meinen Weg, ich bin ihn von Anfang an gegangen, hätte ich mich von Kritikern, Lektoren und befreundeten Germanistikstudenten beeinflussen lassen, würde ich so schreiben, wie alle schreiben, über Leute, über die eh jeder schreibt. LV: Was kommt als nächstes Projekt? AP: Mein neuer Roman, der im Frühjahr erscheinen wird, handelt von der Zeit nach einem Unfall in einem Kernkraftwerk in Frankreich, spielt in einer Sperrzone, in der ein wilder Haufen Outlaws und Hooligans einen Stadtteil erobert hat und es mit der Staatsmacht aufnimmt. Ich habe die Geschichte lange vor der Katastrophe in Fukushima begonnen, Fukushima ist auch der Grund, warum der Text eine Überarbeitung brauchte. Die Wirklichkeit hat meine Fantasie überflügelt. Vielen Dank, André!

Wer André Pilz lesen möchte, sollte sich folgende Bücher merken. Wer nicht… hat selbst Schuld. Man Down 276 Seiten, Haymon Verlag (2010) , 19,90 Euro ISBN: 978-3852186238 No llores, mi querida - Weine nicht mein Schatz 240 Seiten, Archiv der Jugendkulturen (2005), 18 Euro ISBN: 978-3865460318 Bataillon d'Amour: Eine Geschichte von Liebe und Gewalt 336 Seiten, Haymon Verlag (2010), 9,95 Euro ISBN: 978-3852188478

Andrés Blog im Internet findet Ihr unter www.liebeundgewalt.blogspot.com

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A CONVERSATION WITH DBC PIERRE

PIERRE GOD BIG LV: “Lights Out in Wonderland” starts where some storys end: the idea of killing onseself. When was the last time you thought about suicide? DBC: Well, I thought about it a lot while writing this book, from inside the character’s head – and philosophically, because if you really think about it, suicide is quite a logical and reasonable solution under some circumstances; for instance, not if you’re simply in a bad position or crisis because that can always change, but if you find inside yourself compulsions or habits which you cannot change and which keep repeating the same problems. Personally I last thought seriously about suicide when I was around 29 – I couldn’t see a way out of my situation. LV: You are / were doing a reading tour. How is it for you reading your stuff in front of audiences? DBC: It’s great to meet readers, that’s when I connect most to the job of writing – because really we are in an exclusive club and share the same experiences; I wrote in silence and solitude and they read in silence and solitude and we both had the adventure together. But actually reading aloud from the book is kind of strange – I never got used to reading in front of audiences, but at least I get to meet them face to face. The reader 24 has to remember that the relationship in a book is between me and them, through our mutual friends and enemies the characters, it’s very personal.


LV: Literary you moved from Texas to London and Berlin, what makes those places so inspiring for your work? DBC: Each place has its own different inspiration for these books – I chose them because I felt they were the best settings for each adventure, they were full of the symbols I needed for the story to come alive. LV: Since “Vernon God Little” you probably gave hundreds of interviews. Do you like the attention after the succes of the novel or does it just bore you? DBC: It can be distracting sometimes, but never boring – actually I found that with journalists I’m among colleagues, they probably write more words than I do, and under harder conditions, so I look at it like a meeting with fellow writers. LV: Most stupidest questions you ever heard? DBC: There aren’t many stupid questions, thankfully. The most stupid was someone asking me why Vernon’s father never came home? (Vernon’s father is obviously dead from the beginning). LV: Which books will you keep until you die? DBC: Papillon by Henri Charriere, the Memoirs of Jacques Casanova de Seingalt, The Tin Drum by Günter Grass, On The Road by Jack Kerouac, Tonio Kröger by Thomas Mann. LV: After years of trying to get out of all the trouble you got yourself in, you suddenly had this huge succes with your first novel “Vernon God Little”. Was that like getting a shot of adrenalin after taking sleeping pills? DBC: No, do you know what was really bizarre? I felt like Vernon himself when he gets saved from the death sentence. Think about it: a book about a boy in trouble who gets miraculously saved was the thing which miraculously saved me! LV: If we narrow it down to two: which characters inspire you more: “the young and crazy” or “the old and fucked up”? DBC: Definitely old and fucked-up, because they’re more complex. I lived young and crazy for many years and all those boys are dead now. Young and crazy usually means ‘stupid’ – old and fucked up means ‘in pain’. LV: When came the idea for “Vernon God Little”? DBC: It came a couple of days before my 38th birthday, watching a picture on TV of a kid being arrested for a high school shooting: I started writing in the voice of that kid and didn’t stop until Vernon was born. LV: In your younger years you tried making a movie about the Aztecs. Are you still pursuing that project in some way or are you definitely done with movies? DBC: I’m done with that project, in fact Channel 4 in the UK made a documentary with me looking at the story behind that story (see youtube: The Last Aztec). But I’d 25 LOVE to make movies, I think that would be perfect for me – in a way these books are just written movies which I’m directing, I think very visually.


LV: How important is sarcasm for your stories? DBC: Maybe not sarcasm but irony is very important – because I find life is naturally ironic anyway. LV: You were born in Australia and grew up in Mexico and spent some time in the US after that. Where do you feel home after all? DBC: I feel at home almost anywhere now, Berlin or Mexico or just in an airport. What I need is an apartment at the airport with a garden on the roof where I can watch the planes. LV: What’s up next for you? DBC: A non-fiction book with all the secrets I learned about writing a book. Thank You, DBC Pierre!

DBC Pierre bei einer Lesung in Hannover, Anfang Oktober 2011. Foto: Susanne Haupt

„Lights Out in Wonderland“ nun endlich auf Deutsch: Das Buch Gabriel, 378 Seiten, Eichborn Verlag (2011), 19,95 Euro, ISBN: 978-3821861524

Mehr Infos unter www.dbcpierre.com

Außerdem von DBC: Jesus von Texas („Vernon God Little“), 383 Seiten, Aufbau Taschenbuch Verlag (2005), 8,95 Euro, ISBN: 978-3746621500 26 Bunny und Blair („Ludmila‘s Broken English“), 391 Seiten, Aufbau Taschenbuch Verlag (2008), 11,95 Euro, ISBN: 978-3746624846


FREAK OF COOK empfiehlt

Whiskyburger mit Bananenchutney, Ruccola und Süßkartoffel-Fritten, mit einen Pfefferdip von Sebastian Schwark 400 g 2 El. 2 El. 2 El. 1 Zehe 1 stk. 1 Tl. 1 Tl. 30 ml. 100 g 2 Stk.

Hackfleisch gemischt Senf Ketchup Sojasauce Knoblauch Zwiebel Rauchsalz Pfeffer Whisky (Jim Beam, dunkel) Ruccola Burgerbrödchen

1 Stk. 1 Stk. 1 Prise 1 Prise 10 ml 1 gr. 1 L. 1 Tl. 1 Glas 1 Glas 10 ml 1 Prise 1 Prise

Bananen Chillischote Curry Salz Jim Beam Süßkartoffel Sonnenblumenöl Salz Mayonaise Grüner Pfeffer (100g Glas) Jim Beam 27 Zucker Salz


Die Kartoffeln der Länge nach in ca. 1cm Dicke Stifte schneiden und in kochenden Wasser ca. 2-3min köcheln lassen. Herraus nehmen und auf ein trockenes Tuch legen. Den grünen Pfeffer abtropfen lassen und zusammen mit der Mayonaise in einen Gefäß pürieren. Den Whisky dazu geben und mit Salz und Zucker abschmecken. Bananen schälen und in Würfel schneiden. Die Chillischote der Länge nach halbieren und das Kerngehäuse heraus kratzen und die Schote in feinen Streifen schneiden. Beides zusammen mit etwas Öl in einer Pfanne anschwitzen lassen, mit Zucker, Salz und Curry bestäuben und alles gut vermischen. Den Jim Beam hinzugeben und alles mit einander verkochen bis die Banane sich zum größten Teil aufgelöst haben. Das Hackfleisch mit Ketchup, Soja, Senf, Jim Beam vermischen. Knoblauch und 1/2 Zwiebel klein schneiden und in die Masse vermischen. Mit Rauchsalz und Pfeffer abschmecken. Danach die Burger auf einen Grill abbraten. In der Zeit einen Topf mit den Sonnenblumenöl erhitzen und die trockenen Kartoffelstäbchen fritieren, heraus nehmen und Salzen. (Holzkelle in heißen Öl eintauchen, wenn sie Blasen wirft ist das Öl heiß genug, danach den Herd leicht runter stellen) Das Burgerbrödchen in der Zeit rösten und den Ruccola waschen. Die Brödchenhälften mit den Pfeffer-Dip bestreichen und den Burger darauf geben. Das Bananenrelish auf den Burger portionieren und mit Ruccola garnieren. Deckel rauf legen. Dazu die Fritten und den Dip unf fertig wäre der Whiskyburger.

Sebastian Schwark, geboren am 27.07.1990, gelernt in Hotel New Orleans in Wismar. Kochausbildung im August 2010 bestanden.Praktika unter anderem bei Nils Henkel (Schlosshotel-Lerbach), Juan Amador (Amador), Peter Niemann (NIEMANNS TRESOR). Zurzeit Küchenchef im Restaurant zum Weißen Stein (von Rach getestet). Seit März 2011 start seines Projektes (freak-of-cook.de) und Zusammenarbeit mit dem Fotografen Patrick Lipke (fotopaddy.de) Spezialisiert auf Essen auf ungewöhnliche Weise. Es soll nicht in das typische Bild hinein passen, 28 aber auch inspirieren und zum Nachdenken und vor allem zum Nachkochen anregen.


LV‘s Baujahr 81, Mitherausgeber des Straßenfeger. Keine Bestseller, keine Preise, kein Intellektueller

Marcus Mohr

1983 in Hannover geboren. 2007 – 2011 Studium der Philosophie und allgemeinen Sprachwissenschaften in Göttingen. Lebt und schreibt derzeit in Berlin.

Maik Gerecke

Jahrgang 1985, lebt in Hannover. Fotografiert, schreibt und zeichnet, weil sie nicht anders kann. Sortiert alle zwei Wochen ihre Bücher neu. Hat ihren Koffer dieses Jahr von Paris nach Grasse gebracht und parkt ihn erstmal dort

Susanne Haupt

studierte Germanistik und Slawistik und wechselte später in die Wirtschaft. Momentan ist sie als Journalistin für verschiedene Medien und als Gastautorin für eine Satiresendung im Schweizer Fernsehen tätig. In den letzten 20 Jahren bereiste sie rund 40 Länder. Bücher u.a. 2003 "Nichts und wieder Nichts" (Lyrik), 2008 "Tropenfieber – Geschichten aus der Fremde" (Reisereportagen) und 2010 "desperate mousewife - Wollen Sie die Datei Karriere wirklich löschen?" (Roman). Zudem hat Sie in diversen Anthologien sowie Literatur- und Kunstzeitschriften veröffentlicht. Klossek lebt in Zürich. Unter dem Titel "Nachrichten aus dem beschädigten Ich" www.nichtsundwiedernichts.blogspot.com schreibt sie einen Blog.

Susann Klossek

'68 in Köln. Herausgeber von "Zarathustras miese Kaschemme Magazin für exzentrische Literatur" (online seit 1989). Sachtexte, Soundtracks und Fotos. Gedichte, Kurzgeschichten und Schundromane. Lebt in Venedig.

Andreas Winterer

Jahrgang ‚78. Lebt und arbeitet als Freie Autorin und Fotografin in Hannover. http://anna-maria-muhi.jimdo.com

Ana Marija Muhi Holger Dauer

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www.myspace.com/lostvoicesmagazine


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