Legasthenie und Tanz - Chance oder Irrtum

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Schriftliche Hausarbeit zur Prüfung für das Lehramt an Grundschulen

Thema der Arbeit: Legasthenie und Tanz- Chance oder Irrtum?

Beurteilende Hochschullehrerin: Dr. Gertraud Eßel-Ullmann

Name der Kandidatin: Carolin Wagner

Uttenreuth, den 20.09.2013


VORWORT MIT DANKSAGUNG Mein Nachhilfeschüler fand in seinen zahlreichen Problemen im Unterricht, vor allem in denen, die den Schriftspracherwerb betreffen, kein Gehör: „Die Lehrerin meint, ich sei faul und solle mich einfach mehr anstrengen, aber ich kann es wirklich nicht besser!“. Seine Auffälligkeiten im Schul- und Privatbereich erfuhren zwei Schuljahre lang keine Beachtung, bis Anfang der dritten Klasse ein Test des Kinder- und Jugendpsychologen Legasthenie diagnostizierte. Ich nahm mir als angehende Lehrkraft vor, frühzeitiger auf mögliche Verhaltens- und Leistungsauffälligkeiten meiner Schüler zu reagieren, sodass ich mich unter anderem nach einer Ausbildung zur Legasthenietrainerin kundig machte. Es lag auch aus Zeitgründen nahe, die Zulassungsarbeit mit dem Fernstudium zur Legasthenietrainerin, das ich August 2008 begann, zu verbinden. Zeitgleich absolvierte ich ein Einführungsseminar zur Tanztherapie; in Folge der zwei begonnenen Weiterbildungen entstand das Thema dieser Arbeit: „Legasthenie und Tanz- Chance oder Irrtum?“. Heute, ein Jahr später, ist die Arbeit fertig, wofür ich mich bei folgenden Personen für die Bereitstellung von Quellen und den ermöglichten Zugang zu Daten bedanke: o Carolin Dufhues, die sich sogar während ihres Australienurlaubs Zeit für meine Fragen nahm und mir eine Kopie ihrer Magisterarbeit überließ o Prof. Dr. Gerd Hölter für die Bereitstellung seines Artikels zu den ‚Wirkfaktoren der Tanz- und Bewegungstherapie’ o Dr. Astrid Kopp-Duller für die Bemühung, das Thema dieser Arbeit innerhalb des EÖDL bzw. überhaupt publik zu machen o Birgit Mayer für das inspirierende Einführungsseminar in die Tanztherapie und ihre zahlreichen Literaturtipps bezüglich dieser Therapieform o Eszter Monigl für die Bereitstellung der Studien zu Entspannungsverfahren vor Leistungsanforderungen o Bettina Rollwagen für die Bereitstellung von Literatur und den Erfahrungsberichten aus ihrer eigenen Praxis sowie meinem privaten Umfeld für viel Geduld und meinen Nachhilfeschülern für intensive, gewinnbringende Zusammenarbeit.


INHALTSVERZEICHNIS VERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN UND TABELLEN VERZEICHNIS DER GRAFIKEN VERZEICHNIS DER ABKÜRZUNGEN 1

EINLEITUNG...................................................................................................... 12

2

LEGASTHENIE .................................................................................................. 16

2.1

Klassifikation ..................................................................................................................................... 16

2.1.1 Definition im historischen Wandel .......................................................................... 16 2.1.2 Pädagogische Definition nach Kopp-Duller ............................................................ 21 2.1.3 Definition nach ICD-10 ........................................................................................... 22 2.2

Ätiologie ............................................................................................................................................... 24

2.2.1 Genetische Untersuchungen..................................................................................... 27 a) Zwillingsuntersuchungen ................................................................................................. 27 b) Molekulargenetische Untersuchungen ............................................................................ 29 2.2.2 Neurobiologische Untersuchungen .......................................................................... 32 a) Visuelle Wahrnehmungsstörung … ................................................................................. 34 b) Auditive Wahrnehmungsstörung ……………………………………………………….36 2.3

Symptomatik ..................................................................................................................................... 39

2.3.1 Zeichen der Lesestörung .......................................................................................... 40 2.3.2 Zeichen der Rechtschreibstörung ............................................................................. 42 2.3.3 Sekundärsymptomatik- Zusammenhang mit Verhaltensauffälligkeiten .................. 49 2.4

Folgen- Entwicklung der Legasthenie bis in das Erwachsenenalter .......................... 50

2.4.1 Mannheimer Längsschnittstudie nach Esser & Schmidt ......................................... 51 2.4.2 Heidelberger Katamnesestudie nach Strehlow et al. .......................................................... 52


3

EXKURS- WIRKUNG VON ENTSPANNUNGSVERFAHREN VOR LEISTUNGSANFORDERUNGEN BEI KINDERN UND JUGENDLICHEN ...... 55

3.1

Leistungsanforderung als ein möglicher schulspezifischer Stressor im Kindesund Jugendalter ............................................................................................................................... 55

3.2

Stressbewältigung im Kindes- und Jugendalter ................................................................. 56

3.3

Ergebnisse Studie Schwäbisch Gmünd- Wirkung von Entspannungsverfahren vor Leistungsanforderungen bei Kindern und Jugendlichen ....................................... 57

4

TANZTHERAPIE................................................................................................ 61

4.1

Begriffsklärung ................................................................................................................................. 62

4.1.1 Definition der Tanztherapie ..................................................................................... 62 4.1.2 Anwendungsbereich der Tanztherapie ..................................................................... 69 4.1.3 Tanz in der Therapie in Abgrenzung zu Tanz als Kunst.......................................... 71 4.2

Methodik und Techniken ............................................................................................................. 73

4.2.1 Exkurs- Tanztherapie mit Kindern und Jugendlichen ............................................. 73 4.2.2 Methodik .................................................................................................................. 77 a) Bewegungsstudien nach Laban und Bartenieff .............................................................. 77 b) Bewegungsstudien nach Schoop und Siegel ................................................................... 80 4.2.3 Techniken ................................................................................................................. 83 a)

Idealtypischer Verlauf des tanztherapeutischen Prozesses .......................................... 83

b)

Techniken nach Klein .................................................................................................. 86

5 5.1

LEGASTHENIE UND TANZTHERAPIE ............................................................ 89 Wirkung von Tanz in Zusammenhang mit Legasthenie, ihrer Sekundärsymptomatik und Folgen .......................................................................................... 89

5.2

Legasthenie und Tanztherapie- Probleme ......................................................................... 102

5.3

Legasthenie und Tanztherapie- Chancen ........................................................................... 104


6

ABSCHLUSS ................................................................................................... 107

LITERATURVERZEICHNIS ANHANG Anhang A Anhang B Anhang C EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG


VERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN UND TABELLEN Abbildung 1:

Berühmt trotz Legasthenie! ……………………………………...

S. 15

Abbildung 2:

Definition im historischen Wandel- Persönlichkeiten ………...

S. 17

Abbildung 3:

Das Lesesystem des Gehirns …………………………………….

S. 18

Abbildung 4:

Interaktives Modell der Entwicklung von Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten ……………………………………. S. 24

Abbildung 5:

Ausschnitt der aktuellen Ätiologie-Legasthenie-Debatte ……….

Abbildung 6:

Vorstellung neuronaler Aktivität während des SSE …………….. S. 31

Abbildung 7:

Das Lesesystem unseres Gehirns ………………………………..

Abbildung 7.1:

Lesesystem eines Nicht- und eines Legasthenikers im Vergleich ……………………………………………………..

S. 26

S. 32

S. 33

Abbildung 8:

Vereinfachtes Ursachenmodell zur Lese- Rechtschreibstörung … S. 34

Abbildung 9:

Funktionsbeschreibung des magnozellulären Systems ………….

Abbildung 10:

Phonologische Bewusstheit als eine Ebene der linguistischen

S. 35

Fähigkeiten ………………………………………………………

S. 38

Abbildung 11:

So muss es ungefähr sein …..........................................................

S. 39

Abbildung 12:

Zwei-Wege-Modell von Scheerer-Neumann ……………………

S. 40

Abbildung 13:

Die Entwicklung des Rechtschreibens …………………………..

S. 43


Abbildung 14:

Textbeispiel meines legasthenen Nachhilfeschülers der 3. Klasse mit Originaltext ………………………………………………….

S. 45

Abbildung 15:

Lehrerkorrektur der Nachschrift eines Legasthenikers ………….

S. 47

Abbildung 16:

Tanz ……………………………………………………………..

S. 60

Abbildung 17:

Übersicht der BegründerInnen der Tanztherapie, ihrer psychologischen Grundorientierungen und Ansätze ……………. S. 64-67

Tabelle 1:

Ergebnisse von Familienuntersuchungen ……………………….. S. 28

Tabelle 2:

Ergebnisse von Zwillingsuntersuchungen ………………………. S. 29

Tabelle 3:

Defizite in der auditiven Wahrnehmung ………………………...

Tabelle 4:

Verteilung der IQ-Werte bezogen auf den erreichten

S. 37

Schulabschluss nach Strehlow et al. ……………………………. S. 51 Tabelle 5:

Erlernte Berufe zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung nach Strehlow et al. …………………………………………………… S. 52

Tabelle 6:

Übersicht der Bewegungsanalyse nach Laban und Bartenieff ….. S. 78

Tabelle 7:

Realisation der therapeutischen Zielsetzungen nach Schmidtchen in den idealtypischen Phasen einer Therapiesitzung ……………. S. 84 f.

Tabelle 8:

Wirkfaktoren der Bewegungs- und Tanztherapie- eine empirische Studie im Überblick …………………………………

S. 90 f.


VERZEICHNIS DER GRAFIKEN Grafik 1:

Vergleich der Leistungsmittelwerte mit/ohne Entspannung in Studie 1 ……………………………………………………………. S. 56

Grafik 2:

Leistungsdifferenzen in den Bereichen schlussfolgerndes Denken und Konzentration …………………………………………………

Grafik 3:

S. 57

Vergleich der Leistungsmittelwerte mit/ohne Entspannung in Studie 2 ……………………………………………………………. S. 58

Grafik 4:

Darstellung der relativen Wichtigkeit von 5 Wirkfaktoren der Tanztherapie bezogen auf Psychiatrie und Suchtbehandlung ……..

Grafik 5:

S. 92

Darstellung der relativen Wichtigkeit von 5 Wirkfaktoren der Tanztherapie bei weiblichen und männlichen Patienten …………..

S. 93

Grafik 6:

Wirksamkeit der Tanztherapie im Subtest Aggressionen …………

S. 96

Grafik 7:

Wirksamkeit der Tanztherapie im Subtest Sozialverhalten ……….

S. 97

Grafik 8:

Wirksamkeit der Tanztherapie im Subtest Depression ……………

S. 98

Grafik 9:

Wirksamkeit der Tanztherapie im Subtest Ängstlichkeit …………. S. 98

Grafik 10:

Wirksamkeit der Tanztherapie im Subtest Feindseligkeit ………… S. 99

Grafik 11:

Wirksamkeit der Tanztherapie im Subtest Entspannung ………….

S. 100


VERZEICHNIS DER ABKÜRZUNGEN ADHS …………………………………

Aufmerksamkeitsdefizithyperaktivitätssyndrom; Hyperaktivität

ADS …………………………………..

Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom

Anm. ……………………………………… Anmerkung BG ………………………………………...

Behandlungsgruppe

DGT ………………………………………

Deutsche Gesellschaft für Tanz

EÖDL ………………………………..........

Erster

österreichischer

Dachverband

Legasthenie et al. ………………………………………. und Andere ICD-10 ……………………………………

Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten

und

verwandter

Gesundheitsprobleme IQ …………………………………………

Intelligenzquotient

KG ………………………………………... Wartegruppe KJP………………………………………..

Klinik

und

Poliklinik

für

Jugendpsychiatrie,

Kinder-

und

Psychosomatik,

Psychotherapie München M(s) ………………………………………. Leistungsmittelwerte Gmünd)

(Studie

Schwäbisch


N ………………………………………….

Umfang der Stichprobe

o.J. ………………………………………..

ohne Jahr

o.O. ………………………………………

ohne Ortsangabe

o.S. ……………………………………….

ohne Seitenangabe

P ………………………………………….

Signifikanz

Q-Sort ……………………………….........

Ratingverfahren,

das

zur

Messung

von

Selbstkonzepten eingesetzt wird. Eine Anzahl von

Items

mit

personenbezogenen

Feststellungen muss in eine Anzahl von Kategorien eingeordnet werden, die z.B. nach der Dimension "trifft völlig für mich zu" bis "trifft für mich gar nicht zu" angeordnet sind. Die resultierende Häufigkeitsverteilung der personenbezogenen Items in den Kategorien soll einer Normalverteilung entsprechen, d.h., die Anzahl der Items pro Kategorie wird vorgegeben s. …………………………………………..

siehe

SSE ……………………………….............. Schriftspracherwerb Tathe ……………………………………...

Tanztherapie

t1 ...………………………………………..

Erhebungszeitpunkt 1/Voruntersuchung

t2 ……………………………………........

Erhebungszeitpunkt 2/Nachuntersuchung


t3 …………………………………….........

Erhebungszeitpunkt 3/6- Monatskatamnese

vgl. ………………………………………..

Vergleiche

WHO ……………………………………...

Weltgesundheitsorganisation


1 EINLEITUNG

„In einer Allensbach-Umfrage (2001) nannten 73% der Bevölkerung über 16 Jahre in Deutschland

auf

die

Frage,

was

in

der

Schule

gelernt

werden

sollte,

‚Deutsch/Rechtschreibung’“ (Greiner, 2005, S.16). Die hohe Prozentzahl könnte aus der Tatsache resultieren, dass das Unterrichtsfach Deutsch die für unsere westeuropäische Zivilisation elementaren Kulturgüter, das Lesen und Schreiben, vermittelt. Durch sie werden Kommunikation, Dokumentation von geistigen Leistungen, Möglichkeit zur (Selbst-) Reflexion, Differenzierung, sowie Kreativität usw. gesichert

(vgl.http://www.uni-

ulm.de/LiLL/lerncafe/lerncafe7/einfuehrung/content_frameset.htm). Wer diese Kulturgüter nicht beherrscht, hat es in unserer Gesellschaft, in der neue Kommunikationstechniken wie Internet, Mails, Sms, etc. unabdingbar sind, sehr schwer. Umso erschreckender, dass laut Schulte-Körne (vgl. 2002, S.8) annähernd 4 Millionen Deutsche bzw. schätzungsweise 15% der Weltbevölkerung aufgrund einer Legasthenie dauerhaft nicht ausreichend Lesen und/oder Rechtschreiben können. Trotz fast 120-jähriger Forschung an dieser laut ICD-10 umschriebenen Entwicklungsstörung, bestehen Wissenslücken zu ihrer Ätiologie und in Folge, der Therapie. Deshalb zielt diese wissenschaftliche Arbeit darauf ab, die Legasthenie unter Berücksichtigung aktueller Forschungsergebnisse erneut zu definieren und den Tanz als eine mögliche Therapieform bezüglich der Lese- und Rechtschreibstörung, ihrer Sekundärsymptomatik und Folgen bis in das Erwachsenenalter zu diskutieren, um auf dem noch defizientären Gebiet der Legasthenie eine neue Perspektive zu evozieren. Die Arbeit umfasst auf den ersten Blick 4 Teilbereiche: Legasthenie, Exkurs zu Entspannungsverfahren, Tanztherapie sowie, bezogen auf die Themenstellung, Legasthenie und Tanztherapie. In dem an diese Einleitung angrenzenden Gliederungspunkt zur Legasthenie wird das Störungsbild einerseits durch die Definition im historischen Wandel, andererseits durch Definitionen nach Kopp-Duller und ICD-10 klassifiziert. Gliederungspunkte 2.2 und 2.3 verfolgen das Ziel, die Legasthenie näher zu beschreiben, sodass der aktuelle 12


Diskussionsstand zu der Ursachenforschung sowie der Symptomatik aufgezeigt wird. Innerhalb dieser werden auch komorbide Störungen beschrieben, die sich in möglichen Folgen der Legasthenie bis in das Erwachsenenalter (Gliederungspunkt 2.4) äußern können. Unter Berücksichtigung aktueller Forschungsergebnisse erweitert dieser Teilbereich den Einblick in das Störungsbild, folglich kann der Leser dieser Arbeit in dem vierten Bereich ‚Legasthenie und Tanztherapie’ von bereits Definiertem ausgehen. Ein Exkurs zur Wirkung von Entspannungsverfahren verdeutlicht unter anderem die Notwendigkeit, v. a. im Bereich der Legasthenie vor Leistungsanforderungen, die weitere Stressoren im Schulalltag darstellen, Verfahren zur Stressminderung einzusetzen. Das im Teilbereich zur Legasthenie erhaltene Wissen um das Störungsbild wird hierdurch insofern erweitert als der Teufelskreis der Legasthenie thematisiert wird. Dadurch soll erzielt werden, dass Lehrer, Eltern, Betroffene, etc. nicht, wie im Vorwort beschrieben, über die Störung hinwegsehen, sondern mittels geeigneter Verfahren aktiv werden. Bevor im letzten Teilbereich diskutiert werden soll, wie Tanz aufgrund empirischer Befunde, bzw.

daran

anschließend,

inwiefern

Tanz(-therapie)

auf

Legasthenie,

ihrer

Sekundärsymptomatik und Folgen wirkt, und somit die Frage des Themas dieser Arbeit „Legasthenie

und

Tanz-

Chance

oder

Irrtum?“

erörtert

werden

soll,

definiert

Gliederungspunkt 4 die Tanztherapie mit Hilfe einer Begriffsklärung und der Darstellung von Methodik und Techniken. Einen Ausblick auf die Weiterführung der Arbeit an diesem Thema offeriert der Abschluss. Da die Zulassungsarbeit in dem Rahmen eines Grundschullehramtstudiums verfasst wird, richtet sich der Blick nicht nur auf Erwachsene, sondern im Exkurs und in der Definition der Tanztherapie explizit auch auf Kinder und Jugendliche. Viele Autoren, unter anderem KoppDuller, weisen darauf hin, dass die Betroffenen nicht als Kranke bezeichnet werden sollen/können. Die in dem Teilbereich der Tanztherapie oftmals verwendete Bezeichnung ‚PatientIn’ wäre also laut Kopp-Duller grundsätzlich falsch. Jedoch findet man sie in der Literatur zu dieser Therapieform häufig, sodass jene Bezeichnung auch in dieser Arbeit verwendet wird.

13


Laut Topsch und dessen ‚Leitfaden für Examensarbeiten im Lehramtsstudium’, nach dessen Inhalte sich der formale Aufbau dieser Arbeit richtet, schadet es nicht, die eigene Autorenschaft sichtbar zu machen (vgl. Topsch, 2006, S. 32). Innerhalb der Darstellungen zu den persönlichen Erfahrungen mit den legasthenen Nachhilfeschülern schreibe ich deshalb zeitweise von mir in der ersten Person. Die Frage innerhalb des Themas „Legasthenie und Tanz- Chance oder Irrtum?“ scheint auf den ersten Blick eventuell widersprüchlich zu Teilbereichen 3 und 4, in denen von Tanztherapie die Rede ist. Es könnte also das Argument erhoben werden, die Arbeit sei in ihrer Themenstellung misslungen. Die Tatsache, dass meine tanztherapeutische Ausbildung noch nicht abgeschlossen, die persönlichen Erfahrungen jedoch aus meinem tänzerischen Umgang in Schulen rühren und sich die Wirkfaktoren in Gliederungspunkt 5.1 unter anderem auch auf Tanz ohne therapeutischen Hintergrund beziehen, legitimieren die Themenstellung bzw. waren ausschlaggebend, dass die Frage innerhalb der Themenstellung derart gestellt formuliert wurde.

14


LEGASTHENIE- JEDER KANN DAVON BETROFFEN SEIN

Ber端hmt trotz Legasthenie! Verf端gbar unter: http://legasthenieistkeineschande.word press.com/tag/legasthenepersonlichkeiten/, erstellt von Carolin Wagner

Abbildung 1: Ber端hmt trotz Legasthenie! (Carolin Wagner)

15


Legasthenie- Klassifikation

___________________________________________________________________________

2 LEGASTHENIE 2.1 Klassifikation 2.1.1 Definition im historischen Wandel Die Anfänge der Legasthenieforschung, die bis in das 19. Jahrhundert (vgl. EÖDL1, Modul 1, S. 38) zurückgehen und in diesem Gliederungspunkt aus pädagogischer, psychologischer und medizinischer Perspektive dargestellt werden, erlauben einen Rückschluss auf Ciceros Zitat: „Aus kleinem Anfang entspringen alle Dinge“. Dabei wird nicht der Anspruch einer Darstellung ‚aller Dinge’ bzw. einer vollständigen chronologischen Auflistung der Legastheniedefinition im historischen Wandel, sondern eher einer Übersicht der wichtigsten Daten erhoben. Folgende Erläuterungen zu der ‚Definition im historischen Wandel’ beziehen sich auf die Ausführungen des EÖDL (vgl. EÖDL, Modul 1, S. 38-45), Klicpera (vgl. Klicpera et al., 2007, S. 16 f.) und der Dillinger Akademie für Lehrerfortbildung und Personalführung (vgl. Dillingen S. 7), die die ‚Definition im historischen Wandel’ wie folgt klassifizieren: Bereits 1861 thematisierte Broca2 (Übersicht der Persönlichkeiten s. Abb. 2) die Legasthenie als Verlust der Sprache, der durch eine Krankheit bzw. einen Unfall einhergeht.

1 2

Abkürzungen siehe Abkürzungsverzeichnis Die in Gliederungspunkt 2.1.1 erwähnten Persönlichkeiten beziehen sich nicht auf die Originalliteratur,

sondern wie bereits erwähnt auf EÖDL, Modul 1, S. 38-45 16


Legasthenie- Klassifikation

Legasthenie als

___________________________________________________________________________ Verlust der Sprache Leitfaden/ ICD-10 21. Jh. Andreas Warnke

1861 Pierre Paul Broca Anthropologe, Neurochirurg

Psychologe

‚erworbene Wortblindheit’ 1877 Adolf Kußmaul Arzt, Hochschullehrer

1. pädagogische ‚partielle Idiotie’

Definition 1995

1885

Astrid Kopp-Duller

Oswald Berkhan

Präsidentin EÖDL

Mediziner Erste Hilfsschule für Schwachbefähigte in Braunschweig

1954

Definition

Kirchhoff

im

Lese- und Rechtschreibschwäche

1895 Genetische

James Hinshelwood

Dispositionen

Augenarzt Hinweis: auch 1907 in

historischen

Literatur zu finden

Wandel ‚congenital word-blindness’

Diskrepanzdefinition 1951

1896

Maria Linder

Kerr + Morgan

Psychologin, Biologin

Schul- + Augenarzt -> Neues Krankheitsbild

1925 Samuel T. Orton Professor der Neurologie + Psychiatrie

‚geistige Retardation’ 1916 Paul Ranschburg Kinderarzt, Neurologe

1903 Carl Wernicke Psychologe, Neurologe (WernickeAreal)

Funktionsstörung innerhalb visueller Wahrnehmung und visuellem Gedächtnis

Abbildung 2: Definition im historischen Wandel- Persönlichkeiten (Carolin Wagner)

17


Legasthenie- Klassifikation

___________________________________________________________________________ 16 Jahre später deklarierte Kußmaul die Legasthenie als ‚erworbene Wortblindheit’; abgelöst wurde dieser Begriff 1885 durch Dr. Berkhan, der von Legasthenie als ‚partieller Idiotie’ sprach. Im Jahr 1896 schufen Kerr und Morgan ein neues Krankheitsbild, die ‚congenital word-blindness’, wobei sie von neurologischen Defiziten bzw. „… einer pathologischen Veränderungen eines exakt definierten Bereichs [Gyrus Angularis, s. Abb. 3] im Gehirn …“ (EÖDL, Modul 1, 2009, S. 38) ausgingen.

Abbildung 3: Das Lesesystem des Gehirns (http://reha.klinikum.uni-muenchen.de/3_Infoforum/B1IntroNP.pdf, S. 15)

18


Legasthenie- Klassifikation

___________________________________________________________________________ Die im Jahr 1896 entstandenen Forschungserkenntnisse sind insofern relevant als durch Schaffen eines neuen Krankheitsbildes weltweit das Legastheniephänomen näher erforscht wurde. Wernicke ergänzte 1903 den Fortschritt durch Kerr und Morgan noch mit der Forderung, Pädagogen und Erzieher sollten sich

mit dem Legastheniephänomen

auseinandersetzen. Durch Ranschburg wurde die Legasthenie 1916 in den Sonderschulbereich verwiesen, da er das Krankheitsbild durch geistige Retardation begründet sah. Derartige Verzögerungen beschrieb Orton 1925 nicht durch geistige Dysmechanismen, sondern durch „…Funktionsstörungen in der visuellen Wahrnehmung und im visuellen Gedächtnis…“ (EÖDL, Modul 1, 2009, S. 40) bedingt. Des Weiteren kam es im 19./20. Jahrhundert durch Hinshelwood und Stephenson, die genetische Dispositionen als ätiologisch ansahen, zu folgender Erkenntnis, „…dass eine erbliche Komponente für eine embryonale Fehlentwicklung gegeben sei“ (EÖDL, Modul 1, 2009, S. 39). In den folgenden Jahren bildeten sich verschiedene Begrifflichkeiten wie ‚Dyslexie’ (30 er Jahre), ‚Learning Disabilities’ (1962), ‚Minimal Brain Damage’ (40 er Jahre), sowie ‚Minimal Cerebral Dysfunction’ (60 er Jahre) (vgl. EÖDL, Modul 1, S 40 f.). heraus. Nachdem in der Zeit des zweiten Weltkrieges die Forschung um das Legasthenie-Phänomen stagnierte, kam es durch Linder 1951 zu folgender Beschreibung, die sich Ranschburgs Ausgrenzungsdefinition widersetzte: „Legasthenie ist eine spezielle und aus dem Rahmen der übrigen Leistungen fallende Schwäche im Erlernen des Lesens (und indirekt auch des selbständigen Schreibens) bei sonst intakter oder (im Verhältnis zur Lesefähigkeit) relativ guter Intelligenz“ (EÖDL, Modul 1, 2009, S. 41). Entscheidend ist hierbei, und darin besteht auch der Unterschied zu Ranschburg, dass „als Abgrenzungsfunktion in erster Linie die Diskrepanz zwischen normaler Intelligenz plus mindestens durchschnittlichen sonstigen Schulleistungen und stark defizitären Lese-Rechtschreibleistungen herangezogen (wird)“ (Akademie Dillingen, 2005, S. 7). Das Fremdwörterbuch DUDEN stellt fest, Legasthenie ist die „mangelhafte Fähigkeit, zusammenhängende Texte zu lesen od. zu schreiben“. Bis in die frühen 60er Jahre bezog sich die Legasthenie jedoch gemäß ihrer lateinischen Ableitung „… legere: lesen und griech. Astheneia: Schwäche…“ (EÖDL, Modul 1, 2009, S. 42) nur auf die Leseschwäche. Dieser

19


Legasthenie- Klassifikation

___________________________________________________________________________ Einschränkung entgegnete Kirchhoff im Jahr 1954, der die Legasthenie als ‚LeseRechtschreibschwäche’ bezeichnete. Von Legasthenie in dem Kontext visueller Defizite und einer IQ-Diskrepanz sprach man noch bis ca. 1960, wohingegen ab den 70er Jahren das Phänomen als „…’Unfug mit der Legasthenie’ gescholten…“ (Klicpera et al., 2007, S. 16) wurde. Nach ca. 10 Jahren der Stagnation erfuhr die Legasthenieforschung u. a. durch Schenk-Danziger neuen Wind. Sie sprach von Lernstörung und Teilleistungsschwäche. Zudem differenzierte man allmählich in Lese-Rechtschreibschwäche und Legasthenie, was für Bayern durch den Erlass der neuen bayerischen

Förderrichtlinien

im

Jahr

1999

bis

heute

gilt

(vgl.

http://www.schulberatung.bayern.de/schulberatung/index_05164.asp). Innerhalb dieser historischen Genese vollzog sich ein Paradigmenwechsel von einer Lese- zu einer Lese- und Rechtschreibschwäche, die aus dem Rahmen sonstiger schulischer Leistungen fällt. Aus der Perspektive der Ätiologie wurden neurologische Defizite, Funktionsstörungen in der visuellen Wahrnehmung, in dem visuellen Gedächtnis, und genetische Dispositionen angenommen. Zudem vermutete Kirchhoff noch 1954 die Legasthenie im Kontext der Minderbegabung,

was

Linder

zu

revidieren

versuchte.

Die

voranschreitenden

Forschungsansätze mit teilweise differenten Resultaten belegen die Tatsache, „… dass es sich bei der Legasthenie um eine multikausale Problematik handelt …“ (EÖDL, Modul 1, 2009, S. 45). Trotz fast 120- jähriger Forscheraktivitäten bestehen im Kontext der Legasthenie noch (Wissens-) Defizite, was die Literaturrecherche hinsichtlich dieser Zulassungsarbeit bzw. der Nachhilfeunterricht mit legasthenen Schülern (s. Vorwort) ergab. Laut Klicpera et al. ist „die Auseinandersetzung mit Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten … immer auch von dem Problem der unterschiedlichen Verwendung von Definitionskriterien geprägt“ (Klicpera et al., 2007, S. 119). Da diese Zulassungsarbeit im Rahmen des Lehramtsstudiums entsteht, werden im Folgenden sowohl eine pädagogische als auch eine psychiatrische

Klassifikation deklariert.

20


Legasthenie- Klassifikation

___________________________________________________________________________

2.1.2

Pädagogische Definition nach Kopp-Duller

Dr. Astrid Kopp-Duller, Präsidentin des Ersten Österreichischen Dachverbandes Legasthenie und Vorstandsvorsitzende des Kärntner Landesverbandes Legasthenie, verfasste 1995 die erste pädagogische Definition: „Ein legasthener Mensch, bei guter oder durchschnittlicher Intelligenz, nimmt seine Umwelt differenziert anders wahr, seine Aufmerksamkeit lässt, wenn er auf Symbole, wie Buchstaben oder Zahlen trifft, nach, da er sie durch seine differenzierten Teilleistungen anders empfindet als nicht legasthene Menschen. Dadurch ergeben sich Schwierigkeiten des Lesens, Schreibens oder Rechnens.“ (Kopp-Duller, 2004, S. 25) Die Präsidentin des EÖDL knüpft, indem sie von guter oder durchschnittlicher Intelligenz ausgeht, einerseits an die Definition Linders, andererseits an die von Schenk-Danziger an, da sie von differenzierten Teilleistungen als Ausgangspunkt für Schwierigkeiten im Schriftspracherwerb ausgeht. Innovativ an dieser pädagogischen Definition von 1995 ist, dass erstmalig auf ein Aufmerksamkeitsdefizit hingewiesen wird.

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Legasthenie- Klassifikation

___________________________________________________________________________

2.1.3 Definition nach ICD-10

Bevor die Legastheniedefinition nach ICD-10 aufgezeigt wird, erfolgt die Erklärung des ICDBegriffes anhand der offiziellen Internetseite der WHO: „The ICD is the international standard diagnostic classification for all general epidemiological, many health management purposes and clinical use …“ (http://www.who.int/classifications/icd/en), also ein internationaler Klassifikationskatalog psychischer Störungen. „Das Hauptaugenmerk dieser Störung ist eine umschriebene und eindeutige Beeinträchtigung in der Entwicklung der Lesefertigkeiten, die nicht allein durch das Entwicklungsalter, durch Visusprobleme oder unangemessene Beschulung erklärbar ist. Das Leseverständnis, die Fähigkeit, gelesene Worte wieder zu erkennen, vorzulesen und die Leistungen bei Aufgaben, für welche Lesefähigkeit benötigt wird, können sämtlich betroffen sein. Mit Lesestörungen gehen häufig Rechtschreibstörungen einher. Diese persistieren oft bis in die Adoleszenz, auch wenn im Lesen einige Fortschritte gemacht wurden…. In der späteren Kindheit und im Erwachsenenalter sind die Rechtschreibprobleme meist größer als Defizite in der Lesefähigkeit“ (Warnke et al., 2002, S. 14). Warnkes eben zitierter ‚Leitfaden für die Praxis’ ist auf der Definition und Klassifikation nach ICD-10 aufgebaut. Der Autor et al. subsumierte den eben zitierten Ausschnitt des ICD10 wie folgt: „Die Legasthenie ist eine umschriebene und schwerwiegende Beeinträchtigung des Erlernens von Lesen und Rechtschreibung, die in Besonderheiten von Hirnfunktionen begründet ist. Diese in allen Schriftsprachen vorkommende Teilleistungsstörung ist veranlagt und nicht Folge von unzureichender Beschulung, einer Intelligenzminderung oder anderen körperlichen, neurologischen oder psychischen Erkrankungen“ (Warnke et al., 2002, S.14). Verglichen mit der Kopp-Dullers, beschreibt diese Definition Lese- und Rechtschreibstörung und betont die mögliche lebenslange Dauer der mit diesem Störungsbild verbundenen Defizite.

22


Legasthenie- Klassifikation

___________________________________________________________________________ Nach einem Einblick in die Geschichte der Legasthenie, sowie deren Definition aus pädagogischer und psychiatrischer Perspektive, wird durch die nächsten Gliederungspunkte das

StĂśrungsbild

detaillierter

beschrieben

bzw.

die

Klassifikation

erweitert.

23


Legasthenie- Ätiologie

___________________________________________________________________________ 2.2 Ätiologie

Sich mit der Ätiologie hinsichtlich der Legasthenie zu befassen, hat unter anderem folgende Gründe: einerseits verdichtet sich das Hintergrundwissen zu dem Störungsbild, andererseits dient Ursachen- know how möglicherweise präventiven Maßnahmen. In der ‚Definition im historischen Wandel’ kristallisierte sich bereits heraus, dass das Legasthenie- Phänomen multifaktoral bedingt ist. Dies betonen auch aktuelle Autoren, wie Schulte- Körne: „Die Leseund Rechtschreibstörung stellt eine heterogene Störung dar, für die verschiedene Ursachen angenommen werden“ (Schulte-Körne, 2001b, S.4). Neben Küsperts genannten Ursachen wie Schädigungen im Mutterleib oder im Umkreis der Geburt (vgl. Küspert, 2001, S. 56), findet man in älterer Forschungsliteratur sozioökonomische, individuelle und familiäre Faktoren als Ursachen (s. Abb. 4).

Abbildung 4: Interaktives Modell der Entwicklung von Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten (KLICPERA, C. et al. (2007). Legasthenie, S. 161)

24


Legasthenie- Ätiologie

___________________________________________________________________________ Diese einzelnen Gesichtspunkte können den Verlauf der Störung beeinflussen, Klicpera et al. sprechen dabei von „…dynamischer Wechselbeziehung…“ (Klicpera et al., 2007, S. 160), stellen jedoch laut aktuellen Forschungsergebnissen keine Ursachen dar. Bevor in dieser Arbeit ein Einblick in aktuelle Forschungsbefunde zu der Ätiologie gewährt wird, erfolgt eine Darstellung des Funktionskreislaufes des Schriftspracherwerbs: während man früher gemäß der Behavioristischen Lerntheorie basale Fähigkeiten als Voraussetzung für den Schriftspracherwerbs annahm, geht man heute nicht mehr nur von allgemeinen psychischen Funktionen wie visuelle oder akustische Wahrnehmung aus, sondern eher von Lernvoraussetzungen, die unmittelbar mit dem Schriftspracherwerb zusammenhängen (vgl. Dillingen, 2005, S. 10 f.). Dabei stehen die Einsicht in die Funktion und den Aufbau der Sprache, sowie metalinguistisches Wissen im Vordergrund. Innerhalb dieses Gliederungspunktes zu der Ätiologie, der Lehre von den Krankheitsursachen (s.

DUDEN,

S.103),

werden

Dispositionen,

die

den

Funktionskreislauf

des

Schriftspracherwerbs bzw. dessen Verarbeitungsprozesse beeinträchtigen und in Folge möglicherweise eine Legasthenie bedingen, erläutert. Abbildung 5 zeigt hierzu verschiedene, aktuelle entwicklungspsychologische Ansätze.

25


Legasthenie- Ätiologie

___________________________________________________________________________ Entwicklungspsychologische Ansätze

Renate Valtin

Funktions- oder Teilleistungsschwächen sind nicht die wesentlichen Drahtzieher der Legasthenie

Bernd Ganser

Keine schlüssige Hypothese für die Ursachen von Legasthenie!

Waldemar v. Suchodoletz

Andreas Warnke

Augenkoordination hängt

Pathogenetische

nicht mit der Lesestörung

Hintergründe, wie

zusammen

Wahrnehmungsdefizite, lassen sich nicht bestätigen

Abbildung 5: Ausschnitt der aktuellen Ätiologie-Legasthenie-Debatte (Carolin Wagner, Inhalte: Dillingen, 2005, S. 9 f.) 26


Legasthenie- Ätiologie

___________________________________________________________________________ Diese Diskrepanz pointiert Ganser: „…beim gegenwärtigen Wissenstand [ist] eine schlüssige Hypothese für die Ursachen von [Legasthenie] schlicht nicht möglich“ (Dillingen, 2005, S.9). Schulte-Körne entgegnet Gansers Aussage 2002 mit einer Publikation zu aktuellen Forschungsergebnissen der Legasthenieätiologie, auf die sich angrenzende Ausführungen größtenteils beziehen.

2.2.1 Genetische Untersuchungen a) Zwillingsuntersuchungen

Bereits im 20. Jahrhundert wiesen Hinshelwood und Orton auf das gehäufte Auftreten von Leseschwierigkeiten in Familien hin. Neben Remschmidt, De Fries et al. (in: Schulte-Körne, 2002, S. 29) ist es v. a. Schulte-Körne, der die genetischen Faktoren in aktuellen Forschungen klärte. Während Familienstudien (s. Tab. 1) zeigen, dass „…das Wiederholungsrisiko für Geschwister … zwischen 39-52% (liegt)… [und] dass das Risiko für ein Kind, eine LRS zu entwickeln, zunimmt, wenn mehr als ein Elternteil betroffen ist“ (Schulte-Körne, 2002, S.29), sind es v. a. Zwillingsuntersuchungen, die Nachweise genetischer Einflüsse bei dem Auftreten von Legasthenie erbringen. Ziel der Zwillingsstudien ist es herauszufinden, „… welche Gene verantwortlich sind und wie dieser Einfluss zustande kommt“ (Klicpera et al., 2007, S. 163), bzw. „…inwieweit ein Merkmal genetischen Einflüssen unterliegt…“ (Schulte-Körne, 2002, S. 31).

27


Legasthenie- Ätiologie

___________________________________________________________________________ Studie

Stichprobe

Betroffene

Betroffene Eltern

(Familien)

Geschwister (%)

(%)

Hallgren (1950)

112

40,8

42,4

Finucci et al. (1976)

20

42,5

47,2

Vogler et al. (1985)

133

43,0

49,0

Gilger et al. (1996)

39

38,5

27,0

Schulte-Körne et al.

32

52,3

54,0

(1996) Tabelle 1: Ergebnisse von Familienuntersuchungen (SCHULTE-KÖRNE, G. (2002). Legasthenie: Zum aktuellen Stand der Ursachenforschung, der diagnostischen Methoden und der Förderkonzepte, S. 31)

Die Zwillingsuntersuchungen3 (s. Tab. 2) von Stevenson und Olson 1991 und 1994 ergaben, dass die Heritabilität4 sowohl für die phonologische Bewusstheit, als auch für die phonologische Dekodierfähigkeit und die orthographischen Fähigkeiten mittel- bis sehr hoch ausfielen, d.h. es kann ein Einfluss erblicher Faktoren auf die Verarbeitungsprozesse bei dem Schriftspracherwerb angenommen werden. Während mit zunehmendem Alter die Heredität bei orthographischen Fähigkeiten gleich hoch bzw. höher wird, nehmen die Hereditätsindizes beim Lesen mit dem Alter ab (vgl. Klicpera et al., 2007, S. 164). Bezüglich

der

Intelligenz

lässt

sich

sagen,

dass

Schwierigkeiten

im

Lese-

Rechtschreibprozess, wie bereits Linder, Kopp-Duller und ICD-10 definierten, unabhängig vom IQ sind.

3

Vergleich von eineiigen mit zweieiigen Zwillingen; daraus lässt sich Enge der Übereinstimmung dieser beiden

Gruppen in den Lese- und Rechtschreibleistungen hinsichtlich genetischer Faktoren bestimmen (s. Klicpera et al., 2007, S. 164) 4

Heritabilität gibt an, welcher Teil der in einer Population beobachteten Variation auf genetische Faktoren

zurückzuführen

ist

(vgl.

http://online-media.uni-marburg.de/biologie/genetik/boelker/vl-

genetik/VLGenetik15.pdf, S.1)

28


Legasthenie- Ätiologie

___________________________________________________________________________

Tabelle 2: Ergebnisse von Zwillingsuntersuchungen (SCHULTE-KÖRNE, G. (2002). Legasthenie: Zum aktuellen Stand der Ursachenforschung, der diagnostischen Methoden und der Förderkonzepte, S. 31)

Wie bereits in der Hinführung zur Ätiologie beschrieben, stellen, indem Risikogruppen frühzeitig identifiziert werden, v. a. die genetischen Faktoren eine optimale Grundlage, präventiv zu arbeiten, dar. Dabei basieren genetische Untersuchungen nicht nur auf die eben dargestellten Zwillings-, sondern auch auf molekulargenetischen Untersuchungen.

b) Molekulargenetische Untersuchungen

„Das Ziel molekulargenetischer Untersuchungen ist es, die für die LRS relevanten Genorte zu finden und in weiteren Schritten die genetischen Veränderungen an diesen Genorten zu erkennen“ (Schulte-Körne, 2002, S.32). Mit Hilfe von molekulargenetischen Untersuchungen von Smith (1983), Field and Kaplan (1998), Fisher (2002), Francks (2002) et al. (in: Warnke et al. 2002, S. 36), konnte man nachweisen, dass auf den Chromosomen 1, 2, 6, 15 und 18 Gene liegen, die für den Erwerb des Schriftspracherwerbs, genauer „…für die Entwicklung von Hirnfunktionen, die der 29


Legasthenie- Ätiologie

___________________________________________________________________________ Mensch beim Erlernen von Lesen und Rechtschreiben benötigt…“ (Warnke et al., 2002, S.36), ausschlaggebend sind. Im Kontext des Modus der Vererbung sprach man 1983 bei Smith noch von einem autosomal dominanten Erbgang (ein verantwortliches Hauptgen), während Schulte-Körne von genetischer Heterogenität, also einem polygenetischen Vererbungsmechanimus (mehrere verantwortliche Hauptgene), ausgeht. Eine Publikation der KJP München verdeutlicht, dass auch in dem Bereich der molekulargenetischen Untersuchung bis dato kein eindeutiges Ergebnis besteht: „Die aktuelle Forschung in der BRD zu den neurobiologischen und genetischen Grundlagen […] wird dazu beitragen, ein besseres Ursachenverständnis der Lese-Rechtschreibstörung zu erlangen….“ (www.kjp.med.uni-muenchen.de/forschung/legasthenie/ueberblick.php).

30


Legasthenie- Ätiologie

___________________________________________________________________________

Abbildung 6: Vorstellung neuronaler Aktivität während des SSE (Antonia Leibold, Carolin Wagner)

31


Legasthenie- Ätiologie

___________________________________________________________________________

„In den letzten 20 Jahren, insbesondere durch die [eben erwähnten] Ergebnisse der Hirnforschung, haben neurobiologisch begründbare Ursachen deutlich an Bedeutung gewonnen“ (Schulte-Körne, 2002, S. 13): 2.2.2 Neurobiologische Untersuchungen

Die Hirnforschung unter Geschwind, Al Galaburda, et al. (in: Klicpera et al. 2007, S. 169 ff.) fand in den letzten Jahren vier Areale (s. Abb. 7) im Gehirn heraus, die bestimmend für den Schriftspracherwerb sind: 1. Broca-Areal ( Produktion gesprochener Sprache) 2. Wernicke-Areal (Dekodierung der Sprache = Worterkennen) 3. Gyrus Angularis (Verknüpfung gesprochener und gesehener Wörter) 4. Wortformareal (Speichern und Abrufen von ganzen Wörtern)

Abbildung 7: Das Lesesystem unseres Gehirns (BLAKEMORE, S. et al. (2005). Wie wir lernen. Was die Hirnforschung darüber weiß, S. 111)

32


Legasthenie- Ätiologie

___________________________________________________________________________ Bei den meisten Legasthenikern ist, wie man Abb. 7.1 entnehmen kann, das Wortformareal weniger gut ausgeprägt. Des Weiteren fehlen Teile im Wernicke-Areal, sowie im Gyrus Angularis. Zudem zeigten Bildgebungsverfahren, dass sich Neurone in dyslektischen Gehirnen nicht an der gleichen Stelle wie bei Nicht-Legasthenikern befanden. Die so genannte weiße Schicht, verantwortlich für den Austausch der vier Areale, ist dünner als bei Menschen ohne Dyslexie (vgl. Blakemore et al., 2005, S. 130 ff.), sodass ein neuronaler Austausch innerhalb der für den Schriftspracherwerb vier relevanten Areale gestört und somit der Funktionskreislauf unterbrochen wird.

Abbildung 7.1: Lesesystem eines Nicht- und eines Legasthenikers im Vergleich (BLAKEMORE, S. et al. (2005). Wie wir lernen. Was die Hirnforschung darüber weiß, S. 133)

33


Legasthenie- Ätiologie

___________________________________________________________________________ Wie

Schulte-Körnes

Schaubild

‚Vereinfachtes

Ursachenmodell

zur

Lese-

Rechtschreibstörung’ in Abbildung 8 zu entnehmen ist, weist eine Legasthenie neben genetischen Dispositionen (bzw. durch diese bedingt) auch Störungen der visuellen und auditiven Wahrnehmung auf.

Abbildung 8: Vereinfachtes Ursachenmodell zur Lese-Rechtschreibstörung (SCHULTE-KÖRNE, G. (2001). Lese-Rechtschreibstörung und Sprachwahrnehmung, S.4)

a)

Visuelle Wahrnehmungsstörung

„Der Begriff der visuellen Wahrnehmung wird … für eine Vielzahl von Funktionen, die mit der Verarbeitung visueller Reize auf peripher und zentraler Ebene zusammenhängen, verwendet“ (Schulte-Körne, 2002, S. 21). Während 1993 Ygge und 1997 Schäfer in Kontrollstudien von keinem Problem der Augen bei Legasthenie ausgingen, belegten Livingston (1991), Eden (1996) und Demb (1998), dass eine Störung im magnozellulären System bei Legasthenie vorliegt (vgl. Schulte-Körne, 2001a, S. 76). Dieses System, „…das für die Verarbeitung rasch wechselnder visueller Reize verantwortlich ist…“ (Klicpera et al., 2007, S.176), zeigte neben schmäleren Zellkörpern und

34


Legasthenie- Ätiologie

___________________________________________________________________________ einer ungeordneten Zellstruktur, einer gestörten Bewegungswahrnehmung hinsichtlich sich bewegender, visueller Reize, auch eine defizitäre Verarbeitung von Reizen mit niedrigem Kontrast und niedriger Raumfrequenz (Schulte-Körne, 2001b, S. 7). Wie sich das mögliche Resultat der Störung des magnozellulären Systems auswirken kann, zeigt Abbildung 9.

Abbildung 9: Funktionsbeschreibung des magnozellulären Systems (SCHULTE-KÖRNE, G. (2001). LeseRechtschreibstörung und Sprachwahrnehmung, S. 7)

Talcott (in: Schulte-Körne, 2002, S.27) konnte 2000 belegen, dass die gestörte Bewegungswahrnehmung bei Legasthenikern zu einer erschwerten orthographischen Wissensaneignung führt. Daraus resultiert die Annahme, dass „…Störungen der magnozellulären Ebene (Bewegungswahrnehmung) die basale perzeptive Störung darstellt, die in Folge zu gestörtem orthographischen Wissen … führen kann“ (Schulte-Körne, 2002, S.27).

35


Legasthenie- Ätiologie

___________________________________________________________________________ Wenn auch Klicpera et al. Einwände gegen die Annahme visueller Defizite erhoben, so gelten die oberen Befunde als empirisch belegt. Resümierend lässt sich sagen, dass basale visuelle Wahrnehmungsstörungen Störungen des orthographischen Wissens bewirken (Talcott, 2000), die in Folge auch Störungen der Wahrnehmung und der Verarbeitung von Wörtern evozieren können. b) Auditive Wahrnehmungsstörung Im Kontext der Legasthenie diskutiert man neben visuellen Dysfunktionen auch Störungen des zentralen Hörens, so genannte auditive Wahrnehmungs- und Verarbeitungsstörungen. Lehnhardt (in: Schulte-Körne, 2001a, S. 31) klassifiziert diese als „…Störungen, die vom Ganglion spirale5 bis zum unteren Vierhügel6 lokalisiert sind, und solche, die rindennahe Abschnitte betreffen“ (Schulte-Körne, 2001a, S.31). Während von visuellen Wahrnehmungsstörungen bereits bei Hinshelwood gesprochen wurde, diskutiert man auditive Wahrnehmungsstörungen bezüglich der Legasthenieätiologie erst seit 30 Jahren.

5

Ganglion spirale= Innenohr, genauer Bereich der Schneckenspindel; von hier aus Verbindungen zu dem Hör-

und Gleichgewichtsnerv 6

Vierhügel= zum Mittelhirn gehörig; neuronale Verschaltung optischer und akustischer Signale (vgl. Faller,

1999, S. 648 f.) 36


Legasthenie- Ätiologie

___________________________________________________________________________ Die folgende tabellarische Übersicht (vgl. Schulte-Körne, 2002, S. 19 ff.) zeigt mögliche Defizite hinsichtlich der auditiven Wahrnehmung: Wissenschaftler

Defizite

Erklärung

Tallal et al.(1980)7

Zeitverarbeitungsstörung

Probleme bei der Wahrnehmung von kurz aufeinander folgenden Reizen

Rumsey et al. (1997)

Geringere Aktivierung

Probleme bei der Übersetzung von Laut zu

Paulesu et al. (2001)

über parietalen und

Buchstabe;

Georgiewa et al.

temporalen Hirnabschnitte

nicht möglich -> hirnorganische Korrelate

(2002)

beider Hemisphären

für die gestörte Sprachwahrnehmung

Schulte-Körne

Phonologische Bewusstheit Phonologische Bewusstheit als Überbegriff

(2001)

Worterkennen im Ganzen ist

für verschiedene lautanalytische Prozesse. Legastheniker

weisen

hierbei

ein

bedeutsames Defizit auf. Betrachtet man Abbildung 10, so wird klar, dass Defizite in diesem Bereich Probleme evozieren, da die beschriebenen Teilprozesse relevant für den Schriftspracherwerb sind. Tabelle 3: Defizite in der auditiven Wahrnehmung

7

Autorennamen stammen nicht aus deren Originalliteratur, sondern aus Quellenverweis 37


Legasthenie- Ätiologie

___________________________________________________________________________ Phonologische Bewusstheit

Phonematische

Phonematisches

Rekodieren

Bewusstheit

im Arbeitsgedächtnis

Phonematisches Rekodieren im Zugriff auf das mentale Lexikon

Abbildung 10: Phonologische Bewusstheit als eine Ebene der linguistischen Fähigkeiten (SCHULTE-KÖRNE, G. (2001). Lese-Rechtschreibstörung und Sprachwahrnehmung, S. 9)

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Legasthenie-Phänomen ein sehr komplexes ist. Die Literaturrecherche zu dem Gliederungspunkt der Ätiologie ergab, dass bisherige Untersuchungsergebnisse empirischer Studien zu der Legasthenie-Thematik teilweise nicht nur widersprüchlich, sondern v. a. auch defizitär sind. Dürre bringt es in seinem Trainingsprogramm auf den Punkt: „Trotz intensiver Untersuchungen sind die Ursachen von Legasthenie [bis heute] noch nicht hundertprozentig erforscht“ (Dürre, 2000, S.27). Die im zweiten Gliederungspunkt dieser Arbeit erörterten aktuellen Diskussionsstände um die Ätiologie exemplifizieren Kann- und nicht Muss-Bestimmungen, d.h. Legastheniker können, müssen aber nicht von den aufgezeigten Ursachen betroffen sein. Es gibt also keine biologische, psychische, genetische oder soziale Bedingung, die in jedem Fall bzw. als einzige zu Legasthenie führt.

38


Legasthenie- Symptomatik

___________________________________________________________________________

2.3 Symptomatik

Abbildung 11: So muss es ungef채hr sein (Marvin Machuj, Carolin Wagner) 39


Legasthenie- Symptomatik

___________________________________________________________________________ Wie bereits in den vorangegangenen Gliederungspunkten dargestellt, ist das Erscheinungsbild der Legasthenie sehr heterogen. Die Symptomatik betreffend setzt sich diese Heterogenität fort: „Tatsache ist, dass es … sehr viele Anzeichen für die Legasthenie … gibt“ (Kopp-Duller, 2004, S.35). Trotz der Diversität zeigen sich einheitliche Symptome, die schon im Säuglingsund Kleinkindalter deutlich werden: viele legasthene Kinder können/konnten nicht krabbeln, waren motorisch ungeschickt und erlernten zum Teil später das deutliche Sprechen. Wichtiges Indiz ist die Krabbelphase, da sie „…für die Entwicklung der Schreib- und Lesekoordination ein ungeheuer wichtiger Abschnitt ist“ (Kopp-Duller, 2004, S.35). Neben diesen Symptomen zeigen viele legasthene Kleinkinder im Vorschulalter auch kreative Leistungen und technisches Interesse bzw. Begabung. Umso negativer erscheint die mit Schuleintritt einsetzende Phase der Ernüchterung: „Nun treten Schwierigkeiten beim Erlernen des Lesens und Schreibens auf, oder aber auch beim Rechnen“ (Kopp-Duller, 2004, S.38). 2.3.1 Zeichen der Lesestörung

Abbildung 12: Zwei-Wege-Modell von Scheerer-Neumann (HELBIG, P., et al. (2005). Schriftspracherwerb im entwicklungsorientierten Unterricht. Lernwege bereiten und begleiten, S. 36)

40


Legasthenie- Symptomatik

___________________________________________________________________________ Um die Lernprozesse bei dem Lesenlernen nachvollziehen zu können, zeigt Abbildung 12 Scheerer-Neumanns Zwei-Wege-Modell, „… das nur die beim Lesen direkt beteiligten Prozesse und Teilfertigkeiten untersucht …“ (Kirschock, 2004, S. 24) und somit „…grundsätzliche Vorgänge beim Lesen erläutern kann …“ (Helbig et al., 2005, S. 35). Scheerer-Neumann unterscheidet zwei Wege: einerseits den direkten, der lexikalische Prozesse beschreibt und einen indirekten, der regelgeleitet ist. „Zentraler Gedanke [dieses prozessorientierten8 Lesemodells] ist die Annahme eines ‚inneren Lexikons’…“ (Kirschhock, 2004, S. 26).

Während beim direkten Weg das zu lesende Wort anhand graphischer

Merkmale erkannt und somit von dem inneren Lexikon entschlüsselt wird, erfolgt bei dem indirekten Weg das Lesen von der untersten Buchstabenebene zum Synthetisieren und damit zum Worterkennen. „Bei leseschwachen Personen liegt … ein bleibendes Ungleichgewicht zwischen … dem direkten lexikalischen Zugang und dem indirekten Zugang über das phonologische Rekodieren vor“ (vgl. Klicpera et al., 1998, S. 95). Wie sich das symptomatisch äußern kann, ist im Folgenden stichpunktartig dargestellt: o Auslassen, Ersetzen, Verdrehen oder Hinzufügen von Worten oder Wortteilen o Verlangsamte Lesegeschwindigkeit o Startschwierigkeiten beim Vorlesen, langes Zögern oder Verlieren der Zeile im Text, stockendes Lesen von Wort zu Wort, aber auch von Buchstabe zu Buchstabe ungenaues, nicht sinnhaftes Betonen beim Lesen o Vertauschen von Wörtern im Satz oder von Buchstaben in den Wörtern o Die Unfähigkeit, Gelesenes wiederzugeben, aus Gelesenem Schlüsse zu ziehen oder Zusammenhänge zu sehen (vgl. Warnke et al., 2002, S. 19 f.)

8

Hinweis: Der Schriftspracherwerb wird von vielen Autoren unterschiedlich diskutiert, sodass verschiedenste

Modelle publiziert wurden. Die moderne Leseforschung zieht Top-down- und Bottom-up-Prozesse heran (Vgl. Klicpera et al., 2007, S.43) 41


Legasthenie- Symptomatik

___________________________________________________________________________ Exkurs- Persönliche Erfahrung: Meine wöchentliche Arbeit mit zwei legasthenen Nachhilfeschülern offenbart deren enorme Mühe, Graphem-Phonem-Korrespondenzen9 zu behalten, d.h. das phonologische Rekodieren (vgl. Scheerer-Neumanns indirekter Weg) erfolgt mühsam und meist fehlerhaft. Innerhalb eines Textes wird ein und dasselbe Wort häufig unterschiedlich gelesen. Gelesene Wörter scheinen nicht immer vom Gedächtnis verarbeitet zu werden, sodass Scheerer-Neumanns als direkt bezeichneter Weg – der direkte Zugriff auf das lexikalische Gedächtnis- meist nicht vollzogen werden kann. Auch bringt im Fall dieser zwei Schüler ein Einblick in das orthographische Reglement kaum Verbesserung. Dennoch zeigten sich in den 3 Jahren meiner Nachhilfetätigkeit verglichen mit dem Rechtschreiben große Fortschritte in der Leseleistung, welche sich auch in dem optimierten Leseverständnis bemerkbar machten. Die Symptome der Lesestörung resümierend ergibt, dass die Betroffenen „… sich weniger in der Art der Fehler von anderen Schülern, als in der Häufigkeit dieser Fehler [unterscheiden]“ (Dürre et al., 2004, S. 56). Auffällig ist das stark verlangsamte Lesen, das aus der enormen Mühe, die Buchstaben in Laute zu ‚übersetzen’, resultiert. Wie bereits in dem Exkurs angedeutet, verzeichneten sich bei jenen legasthenen Schülern in den letzten 3 Jahren starke Fortschritte, was die Leseleistung anbelangt. Klicpera et al. (1998, S. 95) erläutert dies wie folgt: „Die Tatsache, daß diese Kinder trotz ihrer Schwierigkeiten, wenn auch mit Mühe, wenigstens einigermaßen lesen lernen, wird auf die allmähliche, wenn auch deutlich verlangsamte Ausbildung eines direkten lexikalischen Zugangs [vgl. Abb. 12] zurückgeführt“. Die Definition des ICD-10 sagt, dass „mit Lesestörungen häufig Rechtschreibstörungen einher(gehen)“, sodass der kommende Gliederungspunkt diese thematisiert: 2.3.2

Zeichen der Rechtschreibstörung

Bevor die Zeichen der Rechtschreibstörung dargestellt werden, zeigt Abbildung 13 die ‚normale’ Entwicklung des Rechtschreibens (vgl. Klicpera et al., 2007, S. 29-39). 9

Graphem= kleinstes bedeutungsunterscheidendes grafisches Symbol; Phonem= bedeutungsunterscheidende

Einheit des Lautsystems (vgl. Kirschhock, 2004, S. 22) -> Graphem-Phonem-Korrespondenz= Buchstabe-LautKorrespondenz 42


Legasthenie- Symptomatik

___________________________________________________________________________

Vorschulisches Schreiben: o

Schulisches Schreiben:

Graphische

o

Entwicklung des

Repr채sentationen aus

Verarbeitungssystems

einander gereihten

f체r das Rechschreiben

Strichen und Symbolen o

Meist noch kein Kommunikationszweck

o

Voraussetzungen f체r korrektes Rechtschreiben: o

Schreibmotorik

o

Graphem-PhonemZuordnung

o

Wortspezifische Kenntnisse

Heterogenit채t innerhalb der Aneignung des Rechtschreibens bei Kindern

43


Legasthenie- Symptomatik

___________________________________________________________________________ Abbildung 13: Die Entwicklung des Rechtschreibens (Carolin Wagner)

Bei Legasthenikern wird der in Abbildung 13 dargestellte Kreislauf der Entwicklung des Rechtschreibens unterbrochen, sodass es zu folgenden Zeichen der Rechtschreibung nach Warnke et al. (vgl. 2002, S. 20) kommen kann: o Verdrehungen von Buchstaben im Wort (Reversionen) o Umstellungen von Buchstaben im Wort (Reihenfolgefehler) o Auslassungen von Buchstaben o Einfügungen falscher Buchstaben o Dehnungsfehler o Fehler in der Groß- und Kleinschreibung (Regelfehler) o Verwechslung von d/t, g/k, v/f (Wahrnehmungsfehler) Wie bereits bei den möglichen Symptomen der Lesestörung ist auch im Kontext der Rechtschreibung einmaliger Erfolg keine Garantie, d.h. ein- und dasselbe Wort kann immer wieder unterschiedlich fehlerhaft und zwischendurch auch richtig geschrieben/gelesen werden. Man spricht in diesem Kontext von Fehlerinkonstanz (vgl. Warnke et al., 2002, S. 20). Exkurs- Persönliche Erfahrung:

44


Legasthenie- Symptomatik

___________________________________________________________________________

45


Legasthenie- Symptomatik

___________________________________________________________________________ Abbildung 14: Textbeispiel meines legasthenen Nachhilfesch端lers der 3. Klasse mit Originaltext (Marvin Machuj, Carolin Wagner)

46


Legasthenie- Symptomatik

___________________________________________________________________________ Das Textbeispiel zeigt einen Ausschnitt der Rechtschreibleistung meines legasthenen Nachhilfeschülers in der 3. Klasse (Der Text diente als Vorbereitung auf ein Diktat im Unterricht). Sein Fehlerbild reduzierte sich im letzten Jahr stark, auch hat er weniger Probleme mit der Graphomotorik10, allerdings zeigt er immer noch für Legastheniker typische Störungen/Fehler im Rechtschreiben: o Häufiges Ausbessern von Wörtern: während mein Schüler früher, Klasse 1+2, fast alles durchstrich und folglich das Geschriebene nicht mehr lesbar war, zeigt er deutliche Fortschritte. Dennoch führt sein sich lautes Vorsprechen auch noch in der aktuellen dritten Klasse zu einer Verunsicherung und anschließend zu dem Durchstreichen von Buchstaben oder Wörtern o Dehnungsfehler: ‚Ziehgen’ anstelle Ziegen o Groß- Kleinschreibung: ‚…die Schafe. schnell vergeht die Zeit’; ‚butterkuchen’: das Groß- bzw. Kleinschreiben verläuft bei meinem Schüler trotz meines dreijährigen Bemühens weiterhin defizitär. Nachdem er einmal korrekt verschriftet, unterläuft ihm im nächsten Satz ein Fehler -> Warnkes Fehlerinkonstanz o Vergessen von Wortenden = grammatikalische Defizite: ‚schmutzige Hände“ anstelle ‚Zum Schluss waschen sie ihre schmutzigen Hände’. Auffallend ist auch, dass ihm ein zweimaliges Vorlesen eines Satzes nicht ausreicht. Hat er die ersten Wörter mit größter Mühe verschriftet, fehlen ihm die zum Satz gehörenden anderen Wörter. Er hat sie –wie er sagt- aufgrund intensiver Verschriftungsanstrengungen vergessen. Die anschließende Frage nach dem Diktatinhalt bleibt unbeantwortet, da dem Schüler jegliches Textverständnis fehlt. Während ich im obigen Exkurs - auf meinen legasthenen Nachhilfeschüler Bezug nehmendvon typischen Legasthenikerfehlern spreche, weist die Uniklinik München darauf hin, dass die Behauptung der ‚typischen Legasthenikerfehler’ unbewiesen ist: „In einer eigenen sehr großen Stichprobe konnten wir keinen Zusammenhang zwischen der Fehlerzahl und einer bestimmten Fehlerkategorie feststellen… Individuell kann es allerdings schon sein, dass

10

Graphomotorik

meint

die

differenzierte,

rhythmische

Schreibbewegung.

Sie

stellt

die

feinste

Koordinationsaufgabe des Menschen dar (vgl. http://www.ergo-stuelp.de/index.phtml?gT1=66) 47


Legasthenie- Symptomatik

___________________________________________________________________________ bestimmte

Menschen

eine

bestimmte

Fehlerart

besonders

häufig

begehen“

(http://www.kjp.med.uni-muenchen.de/forschung/legasthenie/wasist.php).

Abbildung 15: Lehrerkorrektur der Nachschrift eines Legasthenikers (WARNKE, A. et al. (2002). Legasthenie. Leitfaden für die Praxis, S. 21) 48


Legasthenie- Symptomatik

___________________________________________________________________________ Abbildung 15 zeigt eine Lehrerkorrektur, die eine Nachschrift eines Legasthenikers mit als ‚bodenlos’ erklärt und mit Note ungenügend bewertet. Bereits in dem vorangegangen Gliederungspunkt bzw. der dort erklärten Fehlerinkonstanz wird deutlich, dass Legastheniker unabhängig von ihrem Übungseinsatz und ihrem Willen, keine Fehler zu machen, diese immer wieder begehen. Wenn jedes Bemühen, Lesen und Rechtschreiben zu lernen, erfolglos bleibt (was bei Legasthenie meist der Fall ist), fügen derartige Korrekturen dem betroffenen Kind möglicherweise noch mehr Leid zu. Erwartungen an den Legastheniker können von diesem

nicht

realisiert

werden,

mangelndes

Selbstwertgefühl

bzw.

fehlerhafte

Bewertungsprozesse (s. Abb. 15), die unter anderem mit seelischen Störungen einhergehen, sind die Folge (vgl. Bilke, 2008). In Folge kann zusätzlich zu den Primärfaktoren, den Störungen des Lesens und Schreibens, eine Sekundärsymptomatik in Form von weiteren Verhaltenssauffälligkeiten entstehen.

2.3.3 Sekundärsymptomatik- Zusammenhang mit Verhaltensauffälligkeiten

Laut Klicpera et al. (2007, S. 192 f.) ist zwischen Verhaltensauffälligkeiten als Ursache bzw. als Folge von Lese- Rechtschreibstörungen zu unterscheiden. Fergusson

und

Lynskey

(in:

http://www.kjp.med.uni-

muenchen.de/forschung/legasthenie/wasist.php) konnten 1997 belegen, dass Kinder, die bereits in der Vorschule eine erhöhte Zahl von Verhaltensauffälligkeiten in Form von Störungen der rezeptiven und expressiven Sprachentwicklung aufwiesen, später Legasthenie entwickelten (vgl. http://www.kjp.med.uni-muenchen.de/forschung/legasthenie/wasist.php). Neben diesen Verhaltensauffälligkeiten als Ursache von Legasthenie gibt es komorbide Störungen. Von Komorbidität spricht man, „…wenn unterschiedlich diagnostizierbare und eigenständige Krankheitsbilder nebeneinander bei einem Patienten auftreten und einen insgesamt ungünstigen Krankheitsverlauf bedingen“ (http://www.curado.de/NeurologischeErkrankungen/Komorbiditaet--Zusammentreffen-verschiedener-Krankheitsbilder-120/). Auch wenn sie auf den ersten Blick keinen typischen Krankheitsbildern gleichen, stellen laut

49


Legasthenie- Folgen

___________________________________________________________________________ Klicpera et al. (2007, S. 124 f.) motorische Koordination, Sprach- und Rechenschwierigkeiten derartige komorbide Störungen dar. Als Folge von Legasthenie kann es zu Schulangst, Schulunlust, Bauchschmerzen, Einnässen, Schulschwänzen, Unruhe und Hyperaktivität kommen (vgl. http://www.kjp.med.unimuenchen.de/forschung/legasthenie/wasist.php).

Vor

allem

die

Beeinträchtigung

der

Aufmerksamkeit und der Konzentration werden immer wieder diskutiert. Eine Münchner Studie (vgl. http://www.kjp.med.uni-muenchen.de/forschung/aufmerksamkeit.php) konnte belegen, dass bei 20% der legasthenen Kinder ADHS vorliegt. Inwieweit Sekundärsymptomatik in Form von Verhaltensauffälligkeiten als Ursache oder Folge der Legasthenie auftritt, bleibt strittig, grundsätzlich besteht aber „zwischen Verhaltensstörungen und Lese- Rechtschreib[störung] ein relativ enger Zusammenhang“ (Klicpera et al., 2007, S. 202). Während man im Grundschulalter häufig mit Hyperaktivität und Aufmerksamkeitsstörungen konfrontiert wird, zeigen sich in der Sekundarstufe sowohl Zusammenhänge mit antisozialem Verhalten, als auch Delinquenz (vgl. Klicpera et al., 2007, S. 202). Aufgrund der möglichen Sekundärsymptomatik kann es zu einer Beeinträchtigung des Selbstkonzepts, „…das mentale Modell einer Person über ihre Fähigkeiten und Eigenschaften“ (Rost, 2006, S. 685) bzw. zu fundamentalen Attribuierungsfehlern11 kommen. Die damit verbundenen, möglichen Konsequenzen

werden in dem nachfolgenden

Gliederungspunkt dargestellt:

2.4 Folgen- Entwicklung der Legasthenie bis in das Erwachsenenalter

Während

Feldmann,

Bruck

und

Schulte-Körne12

mit

ihren

neuropsychologischen

Untersuchungen zeigen, dass die für das Kindesalter charakteristischen Auffälligkeiten auch bei Erwachsenen vorliegen, gibt es im deutschsprachigen Raum nur zwei Studien hinsichtlich

11

Erläuterung des Begriffs s. Rost, 2006, S. 36

12

Autorennamen stammen nicht aus deren Originalliteratur, sondern aus Quellenverweis 50


Legasthenie- Folgen

___________________________________________________________________________ der schulischen, beruflichen, sozialen und psychischen Entwicklung von Legasthenikern bis in

das

Erwachsenenalter

(vgl.

www.kjp.med.uni-

muenchen.de/download/nachuntersuchung.php). Während Strehlow et al. 1992 59 ehemalige männliche Patienten nach 12,7 Jahren nachuntersuchte (vgl. Strehlow et al., 1992, S.254), realisierten Esser & Schmidt 1991 eine prospektive epidemiologische Längsschnittstudie an 216 Kindern (vgl. Esser et al., 1992, S. 232).

2.4.1 Mannheimer Längsschnittstudie nach Esser & Schmidt

Esser & Schmidts Studie ergab 1991 hinsichtlich der schulischen und beruflichen Entwicklung Folgendes: Schulleistungsprobleme von legasthenen Grundschülern resultieren in einem geringeren Anteil derer im Alter von 18 Jahren auf dem Gymnasium. Grundsätzlich gilt, dass jede Art von umschriebenen Entwicklungsstörungen, in diesem Kontext die Legasthenie, eine hohe Bedeutung für schlechten Schulerfolg haben, der dann in einem mühevollen Start in das Berufsleben mündet. Nicht selten sind fehlende Ausbildung, Arbeitslosigkeit bzw. Jobs mit niedrigerer Qualifikation im Erwachsenenalter (vgl. Esser, 1991, S. 105-124) die Folge. Ein Viertel der Kinder Essers Längsschnittstudie wies psychische Auffälligkeit, vor allem dissoziale Störungen, von mindestens zehnjähriger Dauer auf, wobei das männliche Geschlecht dominierte (vgl. Esser et al., 1992, S. 232). Trotz dieser Ergebnisse sei darauf hingewiesen, dass „…eine allgemeine Vorhersage des Verlaufs von Kindern mit ‚Legasthenie’ kaum möglich [ist]“ (www.kjp.med.unimuenchen.de/download/nachuntersuchung.php), da die Diagnose bzw. die langfristige Entwicklung einerseits abhängig von protektiven Faktoren wie Selbstwirksamkeit, soziale Unterstützung, Bindungssicherheit (vgl. Bilke, 2008), andererseits von Rahmenbedingungen

51


Legasthenie- Folgen

___________________________________________________________________________ wie

individuelle

Fähigkeiten,

Förderung

und

Herkunft

der

Betroffenen

(vgl.

www.kjp.med.uni-muenchen.de/download/nachuntersuchung.php) ist. 13 Die zweite Studie im deutschsprachigen Raum bezogen auf die Folgen der Legasthenie bis in das Erwachsenenalter kam zu folgenden Ergebnissen: 2.4.2 Heidelberger Katamnesestudie nach Strehlow et al.

Tabelle 4 zeigt den erreichten Schulabschluss legasthener Kinder: IQ-Werte

Sonderschule

Hauptschule

Realschule

Abitur

84-100

2

7

4

1

101-115

1

18

2

1

116-130

0

11

6

2

> 130

0

0

3

2

Summen

3

36

14

6

Gesamt: 59 Tabelle 4: Verteilung der IQ-Werte bezogen auf den erreichten Schulabschluss nach Strehlow et al. (STREHLOW, U. et al. (1992). Der langfristige Verlauf einer Legasthenie über die Schulzeit hinaus: Katamnesen aus einer kinderpsychiatrischen Ambulanz. In: Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Heft 4, 261), modifiziert durch Carolin Wagner

Von 59 in der Katamnesestudie nach Strehlow et al. untersuchten Schülern mit einem überdurchschnittlichen IQ von 112 gingen 36 zur Hauptschule und nur 6 Jugendliche machten das Abitur. „Der erreichte Schulabschluss liegt [also] deutlich unter dem vom IQ zu erwartenden Niveau“ (Strehlow, et al., 1992, S. 261). Vor Abschluss der schulischen Laufbahn wechselten Legastheniker häufiger die Schule als Nicht-Betroffene (vgl. Strehlow et al., 1992, S. 260).

13

Anm.: In der Zeitschrift für Klinische Psychologie, 1993, fand ich eine andere Angabe der Stichprobengröße,

nämlich N=399 52


Legasthenie- Folgen

___________________________________________________________________________ Diejenigen, die das Abitur machten, waren deutsche Legastheniker der Mittelschicht mit schulisch ausgebildeten Eltern, d. h. die bereits im vorangegangenen Gliederungspunkt erwähnten ‚Rahmenbedingungen’ – in diesem Fall die Herkunft und Ausbildung der Elternsind auch in diesem Studienkontext relevant für den Schulerfolg legasthener Kinder. Die, im Vergleich zu Sonderschule und Gymnasium, hohe Anzahl der Schulabschlüsse an der Hauptschule und an der Realschule bestimmen auch die gewählten Berufe zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung: Studenten

7

abgeschlossene Ausbildung im Lehrberuf 45 Davon als: o Bäcker/Koch

6

o Metallbearbeitung

12

o Bau

17

o Andere

10

keine abgeschlossene Berufsausbildung

7

Summe

59

Tabelle 5: Erlernte Berufe zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung nach Strehlow et al. (STREHLOW, U et al. (1992). Der langfristige Verlauf einer Legasthenie über die Schulzeit hinaus: Katamnesen aus einer kinderpsychiatrischen Ambulanz. In: Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Heft 4, 261), modifiziert durch Carolin Wagner

Deutlich wird die handwerkliche Neigung der Legastheniker, die wahrscheinlich den für sie umständlichen Umgang mit Buchstaben, Texten etc. meiden wollen. Daraus geht hervor, dass die Berufswahl eingeschränkt erfolgt: der Betroffene versucht, die Jobauswahl auf die Störung zu adaptieren (vgl. Strehlow et al., 1992, S. 261) und meidet daraufhin Berufe, in denen hauptsächlich die Fähigkeit zu lesen und schreiben gefragt ist (vgl. Bürojobs, Sachbearbeiter, etc.). Das ist weniger verwunderlich, wenn man von der Tatsache ausgeht, dass „die zum Ausgangspunkt schon sehr schwache Rechtschreibleistung … bis zur Nachuntersuchung im Vergleich zum altersbezogenen Mittelwert noch einmal um mehr als eine Standardabweichung abgenommen (hat)“ (Strehlow et al., 1992, S.262). 53


Legasthenie- Folgen

___________________________________________________________________________ Des Weiteren untersuchten Strehlow et al. in ihrer Katamnesestudie auch die soziale und psychische Entwicklung von Legasthenikern bis in das Erwachsenenalter: Die Untersuchung der Störungen im emotionalen Bereich ergab, dass 11 von 59 Personen an Depression, Angst- und Zwangsstörungen litten. Dissoziale Störungen tauchten in Form von Alkohol- und Haschischmissbrauch, Drogen und Delinquenz auf (vgl. Strehlow et al., 1992, S. 261 f.). Der Ausblick in den angloamerikanischen Raum und damit die Studien von Maughan, Gray und Rutter im Jahr 1985, sowie Rawson 1968 und Robinson und Smith 196214 (vgl. Strehlow et al., 1992, S. 255) zeigen folgende, größtenteils mit Esser und Strehlow et al. übereinstimmende Prognosen für Legastheniker im Erwachsenenalter: o Höhere Rate von dissozialen Symptomen o Schlechte Prognose für sowohl die berufliche Entwicklung o als auch für das Erreichen eines höheren sozialen Status Die erörterten möglichen Folgen und Entwicklungsprognosen bzw. das Anderssein, die damit verbundenen Probleme in der Schule, im Elternhaus und unter Freunden… all das kann Stress auslösen, denn dieser entsteht genau dann, „…wenn die erlebten Anforderungen das verfügbare Bewältigungspotential übersteigen“ (Seiffge-Krenke et al., 2007, S. 11). Zudem stellen im schulischen Kontext Leistungsanforderungen für (Nicht-) Legastheniker einen

Stressfaktor

dar,

Entspannungsverfahren

sodass als

Gliederungspunkt mögliche

3

einen

stressmindernde

Exkurs,

inwiefern

Intervention

vor

Leistungsanforderungen wirken, liefert. Hinsichtlich des Titels dieser Arbeit ‚Legasthenie und Tanz- Chance oder Irrtum?’ wird der Exkurs in Punkt 4 insofern erweitert, Tanztherapie als ein mögliches Verfahren bezüglich der Sekundärsymptomatik von Legasthenie und den Folgen des Störungsbildes zu diskutieren.

14

Autorennamen stammen nicht aus deren Originalliteratur, sondern aus Quellenverweis 54


Exkurs- Wirkung von Entspannungsverfahren

___________________________________________________________________________ 3 EXKURS-

WIRKUNG

VON

ENTSPANNUNGSVERFAHREN

VOR

LEISTUNGSANFORDERUNGEN BEI KINDERN UND JUGENDLICHEN 3.1 Leistungsanforderung als ein möglicher schulspezifischer Stressor im Kindesund Jugendalter

Neben Schwierigkeiten mit Gleichaltrigen, Probleme mit den Hausaufgaben, sowie Konflikten mit Eltern und Lehrern (vgl. Seiffge-Krenke et al., 2007, S.163), stellt die Leistungsanforderung einen weiteren schulbezogenen Stressor im Kindes- und Jugendalter dar (vgl. Seiffge-Krenke et al., 2007, S.14). Besonders in Test- und Prüfungssituationen stellt sich bei den Schülern häufig Stress ein, der die Informationsverarbeitung durch ängstliche Kognitionen beeinflussen kann (vgl. Seiffge-Krenke et al., 2007, S. 165). Nicht selten resultiert der schulbezogene Leistungsdruck in physiologisch-vegetativen Symptomen wie Bauch- oder Kopfschmerz, kognitiv-emotionalen Symptomen, die sich in belastenden Gefühlen und Gedanken äußern, sowie verhaltensbezogene Symptome in Form von

körperlicher

Unruhe,

Konzentrationsschwierigkeiten

und

Veränderung

des

Sozialverhaltens (vgl. Seiffge-Krenke et al., 2007, S.14 f.). Für Legastheniker bedeuten die Leistungsanforderungen in der Schule, v. a. im Fach Deutsch bzw. immer dann, wenn dem Nachteilsausgleich (Bayern) nicht nachgegangen wird, dauerhaften Stress. Nach McNamara (in: Seiffge-Krenke et al., 2007, S. 11) gibt es drei Klassen von Stressoren, wobei im Legastheniekontext von Stressoren im Bereich der ‚Alltäglichen Anforderungen und Probleme’ ausgegangen werden kann, die über lange Zeiträume (gesamte Schulzeit) wiederkehren und dadurch zu erhöhtem Belastungserleben beitragen (vgl. Seiffge-Krenke et al., 2007, S. 11 ff.). Sowohl für Schüler ohne Legasthenie, als auch für gerade jene mit dieser Störung, sollten Verfahren angeboten werden, die den mit schulischen Leistungsanforderungen verbundenen Stress bewältigen können.

55


Exkurs- Wirkung von Entspannungsverfahren

___________________________________________________________________________

3.2 Stressbewältigung im Kindes- und Jugendalter

Um den durch schulischen Leistungsdruck häufig entstehenden Stress bewältigen zu können, bieten sich für Kinder und Jugendliche so genannte multimodale Stressbewältigungstrainings an (vgl. Seiffge-Krenke et al., 2007, S. 243). Diese umfassen eine Vielzahl unterschiedlicher Methoden, die meist o eine kognitive Umstrukturierung o das Einüben eines Entspannungsverfahrens sowie o ein Fertigkeitstraining, z.B. der Aufbau von Sozialverhalten und das Erlernen von schulbezogenen oder allgemeinen Problemlösestrategien inkludieren (vgl. Seiffge-Krenke et al., 2007, S. 237). Während die Stressbewältigung im Kindesalter, also im Grundschulbereich, auf primärpräventive Maßnahmen15 ausgerichtet ist, bedarf es im Jugendalter (Sekundarstufe) einer Sekundär- und Tertiärprävention, da „…im Jugendalter die Tendenz [besteht], durch erhöhte schulische Stressoren bei gleichzeitig ungünstigen Stressverarbeitungsstrategien (wie Aggression) externalisierende Störungen zu entwickeln“ (Seiffge-Krenke et al., 2007, S. 243). Die Sekundärsymptomatik und Folgen bis in das Erwachsenenalter verdeutlichen, dass Stressbewältigung gerade auch im Kontext der Legasthenie relevant ist. Die Wirkung von Entspannungsverfahren - als ein Baustein des multimodalen Stressbewältigungstrainings - auf die Schulleistung, wurde von 2002 bis 2006 an der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd unter Leitung Professor Doktor Behrs getestet:

15

Stressbewältigungskompetenz so früh wie möglich stärken 56


Exkurs- Wirkung von Entspannungsverfahren

___________________________________________________________________________

3.3 Ergebnisse Studie Schwäbisch Gmünd- Wirkung von Entspannungsverfahren vor Leistungsanforderungen bei Kindern und Jugendlichen

Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf den Tagungsbeitrag: „Die Wirkung von Entspannungsverfahren auf das Abschneiden von Schülern bei Leistungstest“ unter Monigl et al.. Da diese Präsentation nicht im Netz auffindbar ist, lege ich eine Kopie der Zusammenfassung im Anhang bei. Die erste Studie umfasste eine Stichprobe von 70 Hauptschülern der siebten Klasse, wovon 62% deutsche und 38% ausländische Kinder waren. Atementspannung und Fantasiereise stellten die angewandten Entspannungsverfahren dar, deren Einsatz in signifikant besseren Leistungsergebnissen resultierte:

Grafik 1: Vergleich der Leistungsmittelwerte mit/ohne Entspannung in Studie 1 (MONIGL, E. et al. (2004). Die Wirkung von Entspannungsverfahren auf das Abschneiden von Schülern bei Leistungstest, siehe Anhang)

57


Exkurs- Wirkung von Entspannungsverfahren

___________________________________________________________________________

Grafik 2: Leistungsdifferenzen in den Bereichen schlussfolgerndes Denken und Konzentration (MONIGL, E. et al. (2004). Die Wirkung von Entspannungsverfahren auf das Abschneiden von Sch端lern bei Leistungstest, siehe Anhang)

58


Exkurs- Wirkung von Entspannungsverfahren

___________________________________________________________________________ Exkurs- Persönliche Erfahrung: In meinen Förderstunden, die ich -wie bereits erwähnt- zwei legasthenen Nachhilfeschülern erteile, beginne ich jede Trainingseinheit in Form einer Atemübung oder Fantasiereise. Sowohl mein Nachhilfeschüler, als auch meine Schülerin präferieren die Fantasiereise mit anschließendem Gespräch bzw. einer Gefühlsskizze inklusive deren Präsentation. Die Studie der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd offenbart Parallelen, insofern als schwache Hinweise auf die bessere Wirkweise der Fantasiereise in den Bereichen des schlussfolgernden Denkens und der Konzentration bestehen (s. Grafik 2). Meine Nachhilfeschülerin erklärte mir bereits mehrmals, sich nach der Fantasiereise besser konzentrieren zu können, was sich, wie eben erwähnt, mit den Ergebnissen der Studie deckt. Die zweite Studie, die die Wirkung einer Fantasiereise auf das Abschneiden von 123 Grundschülern der vierten Klasse bei Leistungstests untersuchte, zeigt erneut eine Verbesserung der Schulleistung:

Grafik 3: Vergleich der Leistungsmittelwerte mit/ohne Entspannung in Studie 2 (MONIGL, E. et al. (2004). Die Wirkung von Entspannungsverfahren auf das Abschneiden von Schülern bei Leistungstest, siehe Anhang)

59


Exkurs- Wirkung von Entspannungsverfahren

___________________________________________________________________________ Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass einfache Entspannungsverfahren sowohl in der Grundschule, als auch in der Sekundarstufe eine Verbesserung der Schulleistung bewirken können. Die Leistungsmittelwerte verbesserten sich nach den Entspannungsübungen in allen Leistungsbereichen signifikant, da derartige Verfahren unter anderem stressmindern wirken. Jene Verbesserung sollte Ausgangspunkt für weitere Forschungsansätze im Hinblick auf Störungsbilder wie Legasthenie sein. Konsequenterweise wird im weiteren Teil dieser wissenschaftlichen Arbeit erörtert, inwiefern Tanztherapie als ein mögliches Verfahren im Kontext der Legasthenie, deren Sekundärsymptomatik und

Folgen bis in das

Erwachsenenalter wirkt.

60


Tanztherapie- Begriffsklärung

___________________________________________________________________________ 4 TANZTHERAPIE

Abbildung 16: Tanz (Augustinus in: LEHMKUHLE, J. (2007). FĂśrderung von Menschen mit geistiger Behinderung durch Bewegung und Tanz, S. 5) 61


Tanztherapie- Begriffsklärung

___________________________________________________________________________ Bevor die Wirkung von Tanztherapie auf Legasthenie bzw. deren Sekundärsymptomatik und Folgen bis in das Erwachsenenalter erörtert wird, erfolgt eine Begriffsbestimmung, die folgende Fragestellungen aufgreift: Was ist Tanztherapie, wo findet sie Anwendung und inwiefern grenzt sich Tanz als Therapie von Tanz als Kunstform ab?

4.1 Begriffsklärung 4.1.1 Definition der Tanztherapie

Roßner beginnt ihre Einleitung zu der Definition von Tanztherapie mit folgendem Zitat: „The psychotherapeutic use of movement as a process which furthers the physical and psychic integration of an individual“ (http://www.tanzetage-wuppertal.de/texte/tanztherapie.pdf). Nowroth übersetzt wie folgt: „Die Tanztherapie nutzt das Medium Tanz und dessen Grundlage – die Bewegung- um sowohl die psychische als auch die physische und soziale Integration

des

Individuums

zu

fördern“

(http://www.tanzetage-

wuppertal.de/texte/tanztherapie.pdf). Entwickelt wurde diese nach Wilke (2007, S. 13) „kreative, ganzheitliche Behandlungsweise“ in den 40er Jahren in den USA (vgl. http://woerterbuch.babylon.com/Tanztherapie), wobei Tanz bereits seit 1830 neben anderen kreativen Ausdrucksformen, wie Theaterspiel, Musizieren oder Malen zur Behandlung in der Psychiatrie eingesetzt wird (vgl. Wilke, 2007, S.20); dieser Einsatz legitimiert unter anderem Rummel (2000, S.8) mit seinem Forschungsergebnis, dass Tanz eine wohltuende Wirkung auf die Patienten hat. Liest man sich in die Geschichte des Tanzes ein, so wird schnell klar, dass die Idee des Tanzes als eine Art Heilmittel Jahrtausende zurückliegt: „[Bereits] die ägyptischen Priester und die Griechen tanzten, um Krankheiten zu beeinflussen…“ (vgl. Rummel, 2000, S.8). Während vor dem 19. Jahrhundert Tanz in Form des eher formalistisch und technisch orientierten Bewegungsrepertoires des Balletts bestand, erhält - Dank Duncan (vgl. Wilke, 2007, S. 20) - Tanz im Expressionismus eine neue Sprache: „Tanz soll den menschlichen Körper und seine organischen Bewegungsmöglichkeiten in den Mittelpunkt stellen“ und als Möglichkeit verstanden werden, „… sich als Persönlichkeit zu verwirklichen und Zuständen 62


Tanztherapie- Begriffsklärung

___________________________________________________________________________ und Gefühlen individuellen Ausdruck zu verleihen“ (Wilke, 2007, S. 21). Bezogen auf den historischen Abriss der Tanztherapie und dem darin enthaltenen ‚Paradigmenwechsel’ von Ballett zu Ausdruckstanz im Expressionismus lässt sich sagen, dass die „Tanztherapie aus [genau dieser] veränderten Auffassung von Tanz entsteht“ (Wilke, 2007, S. 24). Es geht also nicht mehr nur, wie im Ballett als Gesellschaftstanz im Vorexpressionismus, um das perfekte, tänzerische, technisierte Ergebnis, d.h. es zählt nicht die Methode oder Leistung, sondern um das Innenleben des Tänzers, das mit Hilfe des Tanzes als Ausdruckmittel sichtbar wird. Daraus ergibt sich Kleins (2007, S. 25) Definition der Tanztherapie. Diese zeigt „…Wege zu einem befreienden Selbstausdruck und einem tieferen Selbstverständnis auf, um [den Tanzenden] letztendlich in seiner speziellen Lebenssituation zu stärken und handlungsfähig zu machen“. In dieser Zeit des Wechsels vom Ballett zum Ausdruckstanz in Deutschland bzw. Modern Dance in den USA, „…gewinnen die Werke von S. Freud, A. Adler, … C.G. Jung weitere Anerkennung und Verbreitung“ (Wilke, 2007, S. 23). Deren tiefenpsychologisches Gedankengut, das in Abbildung 17 unter anderem dargestellt wird, steht für den Versuch, „…durch verbale körperorientierte und gruppenorientierte Methoden das Unbewusste zu entschlüsseln“ (Wilke, 2007, S. 23). Beide Ansätze- Tanztherapie und psychoanalytische Verfahren- haben also das Ziel, Zugang zu unbewusstem Terrain der Persönlichkeit zu verschaffen. Bräuninger geht in ihrer Publikation bzw. der darin enthaltenen Behauptung, „…dass ein Konflikt im tanztherapeutischen Prozess auf Erfahrungen in der Vergangenheit hinweise und mittels tanztherapeutischer Intervention durchge- und bearbeitet werden könne…“, weiter als Wilke (Bräuninger, 2006, S. 8). Duncans Nachfolgerinnen, Chace, Schoop, Espenak und Whitehouse16, sind die Pionierinnen der Tanztherapie und „wichtigste Begründerinnen verschiedener tanztherapeutischer Richtungen“ (http://woerterbuch.babylon.com/Tanztherapie).

16

Anm.: Die, in diesem Gliederungspunkt erwähnten Persönlichkeiten, beziehen sich nicht auf die

Originalliteratur, sondern auf die angegebenen Quellenverweise 63


Tanztherapie- Begriffsklärung

___________________________________________________________________________ Während Chace, Mitbegründerin der ‚American Dance Therapy Association’, Tanz als Mittel zur Kommunikation sieht und in ihrer tanztherapeutischen Richtung die Grundeinstellung des Psychoanalytikers Ferenczi teilt (vgl. Wilke, 2007, S. 25 f.), findet die Schweizer Tänzerin Schoop Eingang in die Integrative Tanztherapie, die „eine Integration von mehreren Strömen professioneller und persönlicher Entwicklung, psychotherapeutischen Theoriehintergründen und tänzerischen Ansätzen dar(stellt)“ (Wilke, 2007, S. 41). Espenaks tanztherapeutische Richtung wurde geprägt von ihrer persönlichen Arbeit mit Wigman

und

Laban,

der

„Begründer

der

Bewegungsanalyse“

(http://www.tanztherapie.de/index.php?menuid=31&print=ok), und orientiert sich in ihrer Arbeit an dem individualpsychologischen Ansatz von Adler (vgl. Wilke, 2007, S. 26). Die jungianisch-orientierte Tanztherapie wird von einer weiteren Pionierin der Tanztherapie, Whitehouse, determiniert. Sie initiierte den Begriff ‚movement in depth’ und arbeitet mit den tiefenpsychologischen Ansätzen Jungs (vgl. Wilke, 2007, S.26). Die ausführliche Abbildung 17 (S. 64-67) stellt nochmals die bedeutendsten BegründerInnen, sowie deren tiefenpsychologische Ansätze mit Erklärung dar:

64


Tanztherapie- Begriffsklärung

___________________________________________________________________________

JungianischTiefenpsychologische Hauptströmung:

orientiert, d. h. Arbeit

C.G. Jung

an authentischer Bewegung

Mary Wigman

Wichtige Impulse für

Lebensdaten

Tanztherapie durch

Wigmans:

Wigmans Buch “Die

1886-1973

Sprache des Tanzes“

“Mary Wigman…was, during the 1920s and ´30s, the most highly regarded modern dancer and choreographer in Central Europe and one of the principal reasons for the ascendancy there of Modern Dance over classical ballet until the

end

of

World

War

II”

(http://www.fembio.org/biographie.php/f rau/biographie/mary-wigman/).

Schülerin und später streitbare Kollegin von

65


Tanztherapie- Begriffsklärung

___________________________________________________________________________

Auswirkung auf künftige Bewegungslehren und Bewegungsdiagnostik

Rudolf von Laban

Entwickelte ein

Lebensdaten

System zur

„Alles Sein ist Bewegung. Alles Handeln ist

Labans:

Beschreibung der

Tanz. Im Sein herrscht der Rhythmus der

1879-1958

menschlichen Bewegung

natürlichen

Kräftebeziehungen.

Der

tänzerische Sinn gestattet dem Menschen den klaren

Einblick

in

die

rhythmische

Beschaffenheit des Naturgeschehens und ist das Mittel, um den natürlichen Rhythmus in künstlerisch-kulturelle Weltgeordnetheit zu verwandeln“ (Rudolf v. Laban) (http://www.tanzarchivleipzig.de/?q=de/node/399)

Sowohl Wigman als auch Laban beeinflussten

66


Tanztherapie- Begriffsklärung

___________________________________________________________________________ Tiefenpsychologische

Individualpsychologischer Ansatz von Adler

Hauptströmung:

Adler: Arbeit mit dem Körper trägt dazu bei, die ursprünglichen Gefühle von Unterlegenheit

und

Abhängigkeit

zu

überwinden

Lilian Espenak & Mary Whitehouse

Tiefenpsychologie

Verfolgten beide

C.J. Jungs

die theoretischen

(s. Wigman)

und praktischen Gedanken Labans

Idee der Polarität, zeigt sich in Emotionen und

und Wigmans

der Körperorganisation, besonders aber in Bewegung: „In the world of movement a dancer does not stop to think of curved/straight, closed/open,

narrow/wide,

up/down,

heavy/lieght- these are myriad pairs” (Wilke et al., 1999, S. 27).

Zwei weitere Pionierinnen mit Bühnenerfahrung im Tanz

67


Tanztherapie- Begriffsklärung

___________________________________________________________________________

Existentialistischphänomenologische

Eingang

in

Haltung (Betonung

Tanztherapie

die

Integrative

der Arbeit am Ausdruck)

Trudi Schoop & Marian Chace

Chace teilte

Theoretische

Gedankengut mit

Begründung der Tathe anhand etablierter,

Psychoanalytiker

psychotherapeutischer

Ferenczi

Konzepte

Tiefenpsychologische

Hauptströmung

Ferenczis:

und

Therapeut

interagieren

auf

körperlichen

Ebene.

einer Basis

Patient konkreten ist

das

empathische Verstehen des Therapeuten.

Abbildung 17: Übersicht der BegründerInnen der Tanztherapie, ihrer psychologischen Grundorientierungen und Ansätze, (Carolin Wagner, Inhalte: WILKE, E. et al. (1999). Tanztherapie. Therapie und Praxis. Ein Handbuch, S. 9-52)

68


Tanztherapie- Begriffsklärung

___________________________________________________________________________ Fakt ist, dass es, obwohl der heilende Einsatz des Tanzes auf das 18. Jahrhundert zurückgeht, noch immer an „…einer theoretischen Fundierung des therapeutischen Ansatzes“ (Wilke, 2007, S. 39) fehlt. Um, trotz wissenschaftlicher Defizite im Bereich der Tanztherapie bzw. deren Wirkung, die Themenstellung dieser Zulassungsarbeit zu legitimieren, ein Zitat Suchodoletz (2006, S. 24): „Die Wirksamkeit einer Therapie kann niemals eindeutig und endgültig bewiesen, sondern allenfalls mehr oder weniger gut durch Beobachtungen belegt werden“. Welche schriftliche Ausführung meiner Beobachtung oder Vermutung unterliegt bzw. was wissenschaftlich begründet ist, wird im Folgenden genau belegt.

4.1.2 Anwendungsbereich der Tanztherapie

Während bereits im späten 19. Jahrhundert mit psychiatrischen (Marian Chace), chronischpsychotischen (Trudi Schoop) und neurotischen, psychotischen Patienten, sowie retardierten und geistig behinderten Kindern (Lilian Espenak) in Krankenhäusern gearbeitet wurde (vgl. Wilke, 2007, S. 25-28), findet die Tanztherapie auch noch im 21. Jahrhundert vielfältige Anwendung bzw. hat sich nahezu auf das gesamte Gesundheitswesen ausgedehnt (vgl. Klein, 2007, S. 27). Behandelt werden unter anderem Psychosen, Persönlichkeits- und affektive Störungen,

posttraumatische

Belastungsstörungen,

Suchterkrankungen

sowie

psychosomatische Krankheitsbilder (vgl. http://www.kreativtherapien.lvr.de/Tanz/). Weitere- auch für den Legastheniekontext (s. Sekundärsymptomatik, Folgen)- relevante Anwendungsbereiche der Tanztherapie findet man auf der Homepage von Klein (http://www.dancetherapy.com/de_tanztherapie.htm): o Ängste o Depression o Selbstunsicherheit o Stress

69


Tanztherapie- Begriffsklärung

___________________________________________________________________________ Die Arbeit Lehmkuhles (2007) zeigt Parallelen zu Espenak, da sie unter anderem auch mit geistig behinderten Menschen arbeitet. In der Sonderausgabe zum Jubiläumskongress der DGT (Forum Tanztherapie, 2006) zeigen sich weitere Anwendungsgebiete. Tanztherapie im Umgang mit: o Wahrnehmungsgestörten Kindern (S. 224 f.) o Depressiven Patienten (S. 233 f.) o Schmerzpatienten im Rahmen der klinischen Rehabilitation (S. 235 f.) und o ADS bei Kindern (S. 237 ff.) Der Tänzer und Choreograph Chyle verweist in seiner gleichnamigen Publikation (2003) auf die ‚Anwendung von Tanztherapie im Kontext von sozialtherapeutischer Behandlung von Gewaltstraftätern’. Innerhalb der bisherigen Darstellung des Anwendungsbereichs der Tanztherapie zeigt sich, dass sie aufgrund der fehlenden Kontraindikation sowie durch die von Russner et al. bereits erkannten heilenden Wirkung des Tanzes (vgl. Klein, 2007, S. 26) vielfältig angewandt wird, wobei alle Altersgruppen und Therapieformen (allein/Gruppe, Familie/Paare, etc.) berücksichtigt werden (vgl. http://www.dancetherapy.com/de_tanztherapie.htm). Auch im Zusammenhang mit der Reformpädagogik findet das Medium ‚Tanz’ seine Anwendung. Montessori setzt laut Bergmann (2006) Tanz als „…ein körperorientiertes pädagogisches Konzept [ein], das die Entwicklung verschiedenster Kompetenzen fördert“ (Bergmann, 2006, S. 7): o Entwicklung eines gesunden Körpergefühls und Körperbewusstseins o Erlangung grob- und feinmotorischer Geschicklichkeit o Entwicklung von Emotionalität in Verbindung mit bestimmten intellektuellen Operationen

70


Tanztherapie- Begriffsklärung

___________________________________________________________________________ Da tanztherapeutische Praxis überwiegend in reine Bewegungsarbeit fließt, kann sie auch vor dem Schriftspracherwerb eingesetzt werden (vgl. Klein, 2007, S. 27). Tanz „… in seiner lebenssteigernden und ausdrucksfördernden Funktion“ (Klein, 2007, S. 27) sollte nicht erst als Intervention, sondern bereits prophylaktisch- bei Legasthenie bereits im Vorschulalter- eingesetzt werden.

4.1.3 Tanz in der Therapie in Abgrenzung zu Tanz als Kunst

Im Folgenden soll Tanz in der Therapie von dem Ausdruckstanz als Kunstform abgegrenzt werden. Die Ausführungen beziehen sich auf Wilke (vgl. 2007, S. 83 f.): Im Mittelpunkt des Ausdruckstanzes, dem Tanz als Kunst, stehen das subjektive Erleben des Tänzers gepaart mit bewegungstechnischen und choreographischen Formen. In der Tanztherapie geht es wiederum nicht um technisch versierte, einstudierte Parts, sondern um den Selbstausdruck. Die Definition zeigte bereits die Intention dieser Therapieform, nämlich den Tanz als Möglichkeit zu erachten, „… sich als Persönlichkeit zu verwirklichen und Gefühlen individuellen Ausdruck zu verleihen“ (Wilke, 2007, S.21). Der Tanz innerhalb der Therapie soll kein Kunstwerk darstellen, sondern erhält primär mediale Funktion, um das ‚Innere des Betroffenen’ durch den Tanzvorgang für ihn und den Therapeuten greifbarer bzw. sichtbarer werden zu lassen. Gemeinsam haben Tanz innerhalb der Therapie bzw. der Kunst den schöpferischen Aspekt, da sowohl Profitänzer als auch ‚Patienten’ etwas gestalten. Für Chace besteht der Unterschied des Tanzes als Kunst und in der Therapie wie folgt: „The difference is that the artist has an intentional idea to communicate whereas the patient is expressing something from within himself which is not his purposeful intention to communicate. It reaches out and does touch people but it is not with that intention” (Wilke, 2007, S. 84).

71


Tanztherapie- Begriffsklärung

___________________________________________________________________________ Zusammenfassend lässt sich sagen, dass nicht jeder Tanz als Therapie verstanden werden kann, genauso liegt nicht jedes tänzerische Therapieerzeugnis im Bereich der Kunst. Allerdings ist laut Bendetti ‚Kunst’ bezogen auf den Therapiekontext vielfältig interpretierbar: „Das Bild des Patienten [kann] für den Therapeuten den Wert eines Kunstwerkes durch seine Aussagekraft, die vielleicht nur er ganz wahrnimmt, [einnehmen]“ (Wilke, 2007, S. 84). Der Übergang von Tanz als Kunstform zu Psychotherapie durch Tanz erfolgte unter anderem auch durch die in Gliederungspunkt 4.1.1 bereits erwähnte Symbiose aus Tanz und Tiefenpsychologie.

72


Tanztherapie- Methodik und Techniken

___________________________________________________________________________

4.2 Methodik und Techniken 4.2.1 Exkurs- Tanztherapie mit Kindern und Jugendlichen

Bevor näher auf die Methodik und Technik der Tanztherapie- bezogen auf ‚Patienten’ jeder Altersklasse -eingegangen wird, erfolgt an dieser Stelle ein Exkurs zur Tanztherapie mit Kindern und Jugendlichen. Dieser Gliederungspunkt erscheint mir sehr wichtig, da ich diese wissenschaftliche Arbeit im Rahmen meines Lehramtsstudienganges Grundschule schreibe. ‚Sich zur Musik’ bewegen stellt im Lehrplan für die bayerische Grundschule bereits ab der ersten Klasse ein Lernziel dar: „Die Schüler sollen über die Musik- und Bewegungserziehung hinaus tänzerische Bewegungserfahrungen sammeln…“ (Lehrplan, S. 129). Daran angrenzend stellt sich die grundlegende Frage, warum im Bereich der Primar- und Sekundarstufe überhaupt getanzt werden soll. Eine Antwort findet man in NeumannSchultheis`s Publikation (2005, S.1): „Tanz ermöglicht… o Bewegungsvielfalt o Körperwahrnehmung o Vorstellungsfähigkeit o Gestaltungsvermögen o Tanz fördert die Persönlichkeitsbildung o Durch Tanz werden soziale Kompetenzen erworben o Tanz kann anderen Unterrichtsfächern zugute kommen und fächerübergreifend wirksam sein o Tanz fördert generell die Aktivität“.

Neben Förderung der oben genannten Stichpunkte, wird die Tanztherapie, die überwiegend nonverbal verläuft, der zunehmenden Anzahl von Schülern mit Migrationshintergrund gerecht.

73


Tanztherapie- Methodik und Techniken

___________________________________________________________________________ Tanz erhält also in diesem Kontext eine integrative Funktion, was den Ansprüchen einer Schule im 21. Jahrhundert entspricht, die „den veränderten gesellschaftlichen Anforderungen in ihrem Bildungsauftrag gerecht … werden [soll]“ (DGT, 2007, S. 33). Wie bereits im dritten Gliederungspunkt erwähnt, kommen auf die Schüler fast täglich Leistungsanforderungen zu, die Stressfaktoren darstellen. „So kann das Tanzen zu einem positiven Ausgleich … führen“ (Gosny, 2007, S. 4). Zudem dient Tanz in der Schule nicht nur der Persönlichkeitsentwicklung (vgl. Gosny, 2007, S. 25), sondern deckt Defizite in dem Bewegungsverhalten auf, die Indikator für eine Beeinträchtigung bzw. ein Scheitern von schulischen Anforderungen sein können (vgl. DGT, 2007, S.19). Gerade im Kontext der Legasthenie ist dieser Hinweis relevant, da „das Erfassen von rhythmischen Abläufen … zu den Grundvoraussetzungen für das Lesen und Schreibenlernen sowie für den Erwerb von Basiskenntnissen in Mathematik (gehört)“ (DGT, 2007, S.19). Meine Erfahrung zeigt, dass der tanztherapeutische Einsatz in der Schule meist in dem Klassenverbund abläuft, da für Einzelstunden Zeit und finanzielle Mittel fehlen. Folgende Kritik könnte dagegen erhoben werden: Warum erfolgt Tanztherapie für alle, wenn nicht alle Schüler Verhaltensauffälligkeiten, Störungsbilder wie Legasthenie, etc. aufweisen? Folgende Wirkung der Tanztherapie, die Diefenhardt-Nessler (in: DGT, 2007, S. 17) beschreibt und die der möglichen Kritik entgegnet, dient jedem Schüler: „… Bewältigung von aktuellen und vorübergehenden Lebenskrisen [davon kann jeder Schüler betroffen sein], … persönliche und berufliche Supervision sowie … Unterstützung und Steigerung von Gesundheit und allgemeinem Wohlbefinden“ (DGT, 2007, S. 17).

74


Tanztherapie- Methodik und Techniken

___________________________________________________________________________ Durch die Methoden17 der Tanztherapie im Schuleinsatz, „gezielte Aktivierung einzelner Körperteile, gezielte Bewegungsschulung, Improvisation mit Medien und Materialien, Bewegungsbeobachtung „Wahrnehmungsschulung

[und]

Supervision“

[wichtig

im

(DGT,

2007,

Zuge

der

S.24),

werden

Legasthenietherapie],

Selbstentfaltungsprozesse, Ausdrucksfähigkeiten und soziale Kompetenz“ (DGT, 2007, S.32) gefördert. Folgende Zielsetzungen sollten nach Schmidtchen (in: Wilke et al., 1999, S. 359) innerhalb einer Therapiestunde realisiert werden: o Katharsisförderung, um „…die Spannungsentladung beim Individuum [zu] fördern“ (Wilke et al., 1999, S. 359) o Erlebnisaktivierung, um „…Erlebnisse und Affekte im Kind wach[zu]rufen“ (Wilke et al., 1999, S. 359) o Förderung von Selbstregulations- und Selbstentfaltungsprozessen, um „…die IchStärke des Kindes zu förden, wie z.B. das Setzen klarer Grenzen, die Vermittlung von Körperbeherrschung und tänzerischen Fähigkeiten“ (Wilke et al., 1999, S. 360) o Förderung von Bewusstmachungsprozessen, um „…psychische und soziale Konflikte aufzudecken und bewusst zu machen“ (Wilke et al., 1999, S. 360) o Förderung von Problemlösungsverhalten, um „… Strategien [zu vermitteln], die es dem Kind ermöglichen, Probleme selbständig zu lösen“ (Wilke et al., 1999, S. 360) o Förderung von Wissenserwerb -> Beispiel bei motorischen Störungen: Vermittlung von gesunder Atemtechnik, Koordinationsübungen und Entspannungstechniken (vgl. Wilke et al., 1999, S. 361) o Förderung von Sozialverhalten und sozialem Lernen, um den Kindern zu lernen, „…offener, angstfreier, weniger aggressiv und weniger entwertend miteinander umzugehen“ (Wilke et al., 1999, S. 361).

17

Anm.: Auf die Methodik innerhalb der Tanztherapie wird im folgenden Gliederungspunkt noch genauer

eingegangen 75


Tanztherapie- Methodik und Techniken

___________________________________________________________________________ Betrachtet man die bereits in dieser Arbeit dargestellten Erläuterungen zu dem Störungsbild der Legasthenie, wird deutlich, dass Schmidtchens Zielsetzungen gewinnbringend für legasthene Betroffene samt möglicher Sekundärsymptomatik sein können. Um solche Zielsetzungen im tanztherapeutischen Umgang mit ‚Patienten’ jeder Altersstufe zu erreichen, bedarf es der in dem folgenden Gliederungspunkt dargestellten, möglichen Methodik und Technik in der Tanztherapie. In dem Kontext dieser Zulassungsarbeit sollen Methoden - in Anlehnung an Wilke (2007, S. 166 ff.) - als Handlungsstrategien verstanden werden, mit denen man einerseits bestimmte Therapieziele erreichen möchte, und die andererseits von einem theoretischen Konzept (Bsp. Labansche Bewegungsstudien) ausgehen. Techniken sind ebenfalls Strategien, die konkret innerhalb der Methode das Handeln strukturieren und für die jeweilige therapeutische Situation Handlungsmuster zur Verfügung stellen.

76


Tanztherapie- Methodik und Techniken

___________________________________________________________________________

4.2.2 Methodik a) Bewegungsstudien nach Laban und Bartenieff

Während im Gliederungspunkt 4.1.1 die Anfänge der Tanztherapie mitsamt deren PionierenInnen vorgestellt wurden, gehen wir im Folgenden auf den aktuellen Stand der Tanztherapie

in

Deutschland

ein.

Wilke

(vgl.

2007,

S.40)

spricht

von

vier

Grundorientierungen: o Jungianische Form der Tanztherapie ->“Authentic Movement“ o Psychoanalytische Tanztherapie o Abwandlungen der Laban´schen Konzepte nach Gary Rick o Integrierende Form der Tanztherapie Grundsätzlich gilt, dass sich alle vier Grundorientierungen nicht nach psychotherapeutischen Grundorientierungen trennen lassen und „die … Tanztherapie [von heute] … eine Integration von mehreren Strömen professioneller und persönlicher Entwicklung, psychotherapeutischen Theoriehintergründen und tänzerischen Ansätzen dar(stellt)“ (Wilke, 2007, S. 41). Fakt ist, es gibt nicht DIE EINE wirksame Tanztherapie, sondern jede Grundorientierung hat ihre Daseinsberechtigung. Eine Grundorientierung, im 19./20. Jahrhundert entstanden und als Grundstein für weitere Entwicklungen bzw. bis heute geltend, soll in diesem Gliederungspunkt als methodisches Handwerkszeug vorgestellt werden: Die Bewegungsanalyse nach Rudolf von Laban, die bereits 1926 von den Gymnasten und Psychologen Steger und Heyer-Grote (in: Wilke, 2007, S. 36) als reichhaltigster Ansatz und beste Grundlage für eine therapeutische Arbeit mit Menschen tituliert wurde (vgl. Wilke, 2007, S. 36). Unter ‚Methode’ versteht man eine Handlungsstrategie, mit der ein Therapieziel (vgl. z.B. Schmidtchen) erreicht wird (vgl. Wilke, 2007, S. 166 ff.). Bei Laban besteht das Ziel darin, die tänzerische Bewegung als expressiv bzw. Hinweis auf das Gefühl des Menschen zu interpretieren und daran anschließend geeignete Techniken in der jeweiligen Therapie einzusetzen. Bewegungen resultieren laut Laban also nicht nur aus dem jeweiligen 77


Tanztherapie- Methodik und Techniken

___________________________________________________________________________ Bewegungstyp, sondern auch aus den individuellen Schwierigkeiten einer Person im Umgang mit sich oder ihren Lebensbedingungen (vgl. Rollwagen, 1994, S. 2). Für ihn lässt sich jede Bewegung nach folgenden Kategorien einteilen (in: Rollwagen, o.J., S. 6): o Was bewegt sich? (Beobachtungskriterium Körper) o Wo bewegt es sich? (Beobachtungskriterium Raum) o Wie bewegt es sich? (Beobachtungskriterium Antriebsqualität) o In welcher Phrasierung bewegt es sich? (Beobachtungskriterium Formung) Die Kategorien ermöglichen ein inhaltliches und formales Beschreiben der Bewegung, sodass spezielle Bewegungscharakteristiken der zu Therapierenden festgehalten werden können. „Mit Hilfe der Laban-Bewegungsanalysen können Interaktionen zwischen PatientIN und TherapeutIN beschrieben und analysiert werden, [um anschließend Behandlungspläne bzw. individuell geeignete Techniken zu entwickeln]“ (Wilke, 2007, S. 34). Bartenieff, „… eine Schülerin Labans, spielt eine wichtige Rolle in der Entwicklung der Laban- Bewegungsanalyse … und ihrer Anwendung in der Tanztherapie“ (Wilke, 2007, S. 37). Sie erweitert die oben aufgeführten Labanschen Bewegungskategorien und differenziert sie - wie in Tabelle 6 ersichtlich - weiter aus:

78


Tanztherapie- Methodik und Techniken

___________________________________________________________________________ Kategorien

Beschreibung

Körper

o Stand: breit, normal, schmal o Gesamthaltung:

konkav,

(Unterscheidung

des

konvex

oberen

und

unteren Teils des Körpers o Räumliche

Ebenen

der

Körperhaltung: vertikal, horizontal, sagital, neutral o Frage

nach

der

Dominanz

der

Körperteile Raum

o Raumwege: gerade, rund, am Ort

Laban: Auswahl der Raumdimension und

o Allgemeine, räumliche Orientierung:

Raumebene ist unter anderem psychisch

nach vorn, zur Seite, nach unten, nach

begründet (vgl. Rollwagen, 1994, S. 2)

oben o Gebrauch der Ebenen o Menge des benutzten Raumes

Antriebsqualität

Bewegungsfaktor:

Laban: In der Antriebsqualität zeigen sich

o Leicht, kräftig

unter anderem die Intensität der Gefühle, die

o Frei fließend, gebunden/kontrolliert

Intention,

o Multifokus/indirekt, ein Fokus

die

Steuerung

der

inneren

Aufmerksamkeit… der Person, die sich

o Allmählich, plötzlich

bewegt (vgl. Rollwagen, 1994, S. 5) Tabelle 6: Übersicht der Bewegungsanalyse nach Laban und Bartenieff (Carolin Wagner, Inhalte: WILKE, E. (o.J.). Tanztherapie. Zur Verwendung des Mediums Tanz in der Psychotherapie, S. 18 f.)

In dieser tabellarischen Darstellung der Bewegungsstudien nach Laban und Bartenieff geht es nicht um eine vollständige Auflistung aller Kategorien18 bzw. deren detaillierte Beschreibung

18

„efforts“ als Bewegungsfaktoren wurden bewusst weggelassen; es sollen nur zwischen Laban und Bartenieff

übereinstimmende Kategorien gezeigt werden 79


Tanztherapie- Methodik und Techniken

___________________________________________________________________________ (z.B. was sagt ein breiter Stand des Körpers über den Patienten aus?), sondern darum, zu zeigen, dass die Kategorien eine methodische Herangehensweise innerhalb der Tanztherapie sind bzw. als Ausgangspunkt der Interaktion zwischen Therapeut und ‚Patient’ angesehen werden können. Rollwagen sieht in der Arbeit mit den Laban-Bartenieff-Bewegunsstudien die Chance, Alltagsbewegungen in ihrer Bewegungsqualität zu erfassen, durch eine anschließende Bewegungsanalyse Lernstörungen individuell spezifizieren zu können und daraus Unterstützungsmaßnahmen (siehe Techniken) zu entwickeln (vgl. Rollwagen, o.J., S. 1). Inwiefern diese Methodik in Techniken mündet, zeigt Gliederungspunkt 4.2.3. Davor werden noch alternative Bewegungsstudien aufgezeigt, die in der integrativen Tanztherapie Anwendung finden.

b) Bewegungsstudien nach Schoop und Siegel

Jeder Tanztherapeut hat gewisse Kriterien, nach denen er beobachtet und an die er seine Therapie angleicht. Für Laban und Bartenieff sind es - wie eben gezeigt - unter anderem die Kategorien Raum, Körper und Antriebsqualität. Die Schweizer Tänzerin Schoop beobachtet Atmung, Haltung, Spannung, Rhythmus und Raum (vgl. Wilke, o.J., S.18). Die folgende Darstellung Schoops methodischer Beobachtungskriterien bezieht sich auf einen Ausschnitt ihres Buches „…komm und tanz mit mir!“ (Schoop, 1974, S. 75-112): Schoop sieht die Atmung als die Instanz von der alles abhängt. Bevor man sich auf den Tanz konzentriert bzw. als Tänzer, Therapeut oder Patient zu tanzen beginnt, sollte die Atmung stimmen, denn nur mit der richtigen Atmung sind wir im Gleichgewicht. Sie schreibt dem Tanz also nicht nur eine lebenserhaltende Determinante zu: „Nicht nur geht der Atem Hand in Hand mit unseren Gefühlen und unserem Tun, er ist Ausdruck des Menschen“ (Schoop, 1974, S. 75). Eine gestörte Atemtechnik also, lässt laut Schoop darauf schließen, dass Gefühl und Ausdruck des Jeweiligen gestört sind. Daran angrenzend muss also die richtige Atemtechnik gefunden werden, um Menschen wieder in sein Gleichgewicht zu bringen. Die Körerhaltung deutet Schoop als „das Zentrum als Stabilisator für das Gleichgewicht, als Mitte der menschlichen Form, als Koordinator für Bewegungen …“ (Wilke, o.J., S.18) an. 80


Tanztherapie- Methodik und Techniken

___________________________________________________________________________

Jede Haltung, die vom idealen, aufrecht stehenden Körper differiert, kann laut Schoop Indikator für psychische Probleme des Patienten sein. Bezogen auf das Beobachtungskriterium Spannung lässt sich sagen, dass jeder Mensch seinen eigenen Spannungsgrad hat; ist dieser durchgehend, fühlen wir Einigkeit und Harmonie. Sobald sich jedoch etwas Unerwartetes einstellt, verändert sich der Spannungstonus und der Mensch gerät aus seiner inneren Harmonie. Tanz kann helfen diese Negativ-Spannung abzubauen bzw. Schoop sieht in ihm folgenden Vorteil: „Indem wir uns mit dem körperlichen Symptom befassen, behandeln wir direkt das Gefühl, von dem dieses hervorgerufen wurde“ (Schoop, 1974, S. 90). Rhythmus, der entweder nicht eingehalten oder bewusst nicht durchbrochen werden kann, zeigt laut Schoop, genauso wie die Positionierung des Körpers im Raum, mögliche seelische Missstände auf. Innerhalb einer wissenschaftlichen Arbeit wie dieser, besteht der Anspruch, die Methodik von mehreren therapeutischen Perspektiven zu betrachten. Schoop vertritt - wie bereits in Gliederungspunkt 4.1.1 erwähnt- den phänomenologischen Ansatz, d.h. die Betonung der Arbeit am Ausdruck. Ihr Ansatz ist sicherlich bedeutend, denn nicht umsonst beeinflusste er die Entwicklung der Integrativen Tanztherapie, die meine Ausbildungsstätte DGT vertritt. Dennoch, hielt ich diesen Gliederungspunkt eher kurz, da er meiner Meinung nach im Vergleich zur Bartenieff/Laban und Siegel nicht ausreichend wissenschaftlich fundiert ist. Schoop selbst verfolgte bewusst keinen wissenschaftlichen Anspruch: „Es gab eine Zeit in der ich mich bemühte, Tanztherapie ‚wissenschaftlich’, ‚klinisch’ zu betreiben. Nicht lange…“ (Schoop, 1974, S. 113). Sie behauptete, man könne Menschen im Zusammenhang mit dem Tanz nur mit künstlerischer Gestaltung und nicht mit wissenschaftlichen Ansprüchen entgegen treten (vgl. Schoop. 1974, S. 113). Dennoch hat dieser Abschnitt Daseinsberechtigung, da Schoops auf Falldarstellungen begründete Wirkweise ihrer Methode der Tanztherapie als „…entdeckungsorientierte Forschung …die erste Phase der Therapieforschung (bis etwa 1990) dar(stellt)“ (Wilke, 2007, S.60).

81


Tanztherapie- Methodik und Techniken

___________________________________________________________________________

Siegel integriert psychoanalytische Konzepte in ihre Arbeit und umgeht dadurch eine fehlende theoretische Fundierung des therapeutischen Ansatzes. Während es bei Schoop um die 5 Kategorien Atmung, Haltung, Spannung, Rhythmus und Raum geht, beobachtet Siegel muskuläre Muster, Art und Weise der Fortbewegung, Hemmungen, Atemmuster, Spannung, Raum und Zeit, etc. (vgl. Wilke, o.J., S.18). Die folgenden Stichpunkte: o Der Wiederaufbau einer harmonischen Leib-Seele-Einheit muss durch sorgfältige Bewegungsarbeit erfolgen, die neben den motorischen Fähigkeiten den Aufbau eines adäquaten Körperbildes fordert o Katharsis wird als ein Weg zur Rückerinnerung an dramatische Ereignisse verstanden o Die durch eigene Tätigkeit und Selbstbeobachtung gewonnene Ansicht muss auch verbal durchgearbeitet werden o Von den Patienten bevorzugte Bewegungsmuster werden als Ausgangspunkt für speziell choreographierte Tänze und Bewegungen benutzt o Selbständigkeit wird durch Improvisation gefördert o Muskuläre Hemmungen und Verkrampfungen werden als unbewusster Versuch angesehen, Aggressionen auszudrücken und gleichzeitig zu unterdrücken stellen Leitlinien Siegels Arbeit dar (vgl. Wilke, 2007, S. 31). Sie führt zwei Therapieformen an dem Patienten gleichzeitig durch. Zum einen die psychoanalytische Behandlung, die verbal abläuft, zum anderen die nonverbale Tanztherapie. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass alle, im Kontext dieses Gliederungspunktes erwähnten Persönlichkeiten, methodisches Handwerkszeug bzw. Beobachtungskriterien offerieren, nach deren Auswertung der Therapeut mit seinem Patienten individuell arbeiten kann. Die dabei verwendeten Techniken sind allerdings, wie 4.2.3 zeigen wird, unterschiedlich. Des Weiteren gehen Laban, Bartenieff, Schoop und Siegel vom gleichen Menschenbild aus: Störungen, psychische, verhaltensauffällige, teilleistungsbezogene, etc., haben immer Auswirkung auf den ganzen Menschen, d.h. Störungen wirken sich immer nicht 82


Tanztherapie- Methodik und Techniken

___________________________________________________________________________

nur im seelischen, sondern auch im Bewegungsapparat des Körpers aus (vgl. Heinzelmann, 2008, S. 4). Allen Methoden und Techniken ist gemeinsam, dass sie patientenorientiert ausgerichtet sind, ergo der zu Therapierende in seiner Individualität im Mittelpunkt der therapeutischen Interaktion steht. Je mehr der Therapeut über die Bedeutung der einzelnen Kategorien und ihre Zusammenhänge weiß, umso differenziertere und effektivere Arbeit kann er/sie leisten (vgl. Wilke, o.J., S.20).

4.2.3 Techniken

In diesem Gliederungspunkt werden Techniken, die man an die Beobachtungskriterien anschließen kann, vorgestellt. Dabei wird nicht der Anspruch einer möglichst vollständigen Auflistung von Techniken erhoben. Die Vollständigkeit ist hierbei nicht realisierbar, da jeder Therapeut, auch abhängig von seiner/ihrer Grundorientierung, methodisch und v. a. auch technisch anders arbeitet. Zudem hat jedes Kind/jeder Erwachsene Recht auf eine individuelle tanztherapeutische Unterstützung, sodass es nicht DIE Technik gibt. Dennoch gibt es einen idealtypischen Verlauf des tanztherapeutischen Prozesses, in dem die verschiedenen Techniken Anwendung finden können.

a) Idealtypischer Verlauf des tanztherapeutischen Prozesses

Ein tanztherapeutischer Prozess sollte idealerweise in drei Phasen vollzogen werden. Die folgende Ausführung bezieht sich auf Klein (2007, S. 205 f.) und meinen tanztherapeutischen Erfahrungen: Die erste, die Initialphase, dient der Vertrauensbildung zwischen Therapeut und Einzelperson bzw.

Gruppe

und

umfasst

die

im

vorangegangenen

Punkt

dargestellten

Beobachtungskriterien. Grundsätzlich gilt für diese Phase, Vertrauen zu fassen bzw. vorrangig zu ermitteln, ob eine Zusammenarbeit überhaupt möglich ist.

83


Tanztherapie- Methodik und Techniken

___________________________________________________________________________ Phase 2 wird als Aktionsphase bezeichnet und umfasst die drei Techniken Tanztechnik, Improvisation und Gestaltung. „Durch die Verwendung von Tanztechnik kann der Patient sein Bewegungsrepertoire erweitern“ (Heinzelmann, 2008, S. 10), mit dem Ziel, dadurch einen persönlichen Ausdruck zu ermöglichen. Es ist darauf hinzuweisen, dass hierbei keine perfekte Tanztechnik ereicht werden soll, sondern „natürliche und harmonische Bewegungen“ (Heinzelmann, 2008, S. 10). Die Arbeitsweise kann laut Heinzelmann innerhalb der Tanztechnik als übungszentriert-funktional umschrieben werden. Durch das Üben kann der Patient sein Bewegungsrepertoire erweitern und neuronale Aktivität im Gehirn anregen. Dazu ein kurzer Exkurs zu Bettina Rollwagen: Die Diplomsportwissenschaftlerin konnte neben anderen Wissenschaftlern nachweisen, dass verschiedene Teile des Gehirns mit bestimmten Bewegungsentwicklungsmustern gekoppelt sind. Diese Erkenntnis wendet Rollwagen im Kontext von Lernstörungen, beispielsweise Legasthenie, an. Sie beobachtet anhand der im vorangegangenen Gliederungspunkt deklarierten Laban-Bartenieff-Bewegungsstudie die Bewegungsmuster des/der Patienten, zieht Rückschlüsse auf neuronale Dysmechanismen im Kontext der Legasthenie und fördert anschließend spezielle Bewegungsmuster19, die mit dem jeweiligen Teil des Gehirns positiv korrelieren. Dadurch können Fortschritte innerhalb der Legasthenietherapie erzielt werden (vgl. Rollwagen, o.J., S. 2). Jene neuronale Aktivität kann bzw. sollte in der Aktionsphase mit Hilfe der entsprechenden Tanztechnik gefördert werden. Eine weitere Technik ist die Improvisation, durch die Freiraum für Gefühle, Ereignisse und Empfindungen geschaffen werden soll (vgl. Heinzelmann, 2008, S. 11). Ich erinnere nochmals an eine Zielsetzung der Tanztherapie nach Wilke:

19

Förderung spezieller Bewegungsmuster mit Hilfe von Bartenieff Fundamentals/Basic Übungen; auf diese wird

in dieser Arbeit nicht weiter eingegangen, da sie grundsätzlich nichts mit Tanz zu tun haben, sondern eher der Bewegungstherapie zuzuschreiben sind 84


Tanztherapie- Methodik und Techniken

___________________________________________________________________________ „Tanztherapie soll als Möglichkeit verstanden werden, …, sich als Persönlichkeit zu verwirklichen und Zuständen und Gefühlen individuellen Ausdruck zu verleihen“ (Wilke, 2007, S. 21). Demnach ist die persönlichkeits- und ausdrucksfördernde Improvisation von besonderer Bedeutung im tanztherapeutischen Behandlungsverlauf. Die Improvisation sollte idealerweise erlebniszentriert-stimulierend verlaufen, da „die konfliktzentrierte Arbeit … die stimulierende Erlebnisaktivierung (benötigt), um sich [dem] im [Körper gespeicherten] Material anzunähern“ (Heinzelmann, 2008, S. 11). Um die aus der Aktionsphase resultierenden Erfahrungen zu verarbeiten, bedarf es einer dritten Phase, der Integrationsphase, in der eine weitere Technik angewandt werden sollte, die Gestaltung (vgl. Klein, 2007, S. 205). Der Therapeut arbeitet konfliktzentriert-aufdeckend: „Hier werden prozessorientiert unbewusste Konflikte und psychodynamische Probleme aufgesucht, bewusst gemacht und durchgearbeitet“ (Heinzelmann, 2008, S. 11). Unter

Anwendung

dieses

idealtypischen

Therapieverlaufs

lassen

sich,

die

in

Gliederungspunkt 4.2.1 bereits vorgestellten Zielsetzungen nach Schmidtchen (in: Wilke et al. 1999, S. 359), wie in der folgenden Tabelle dargestellt, realisieren: Zielsetzungen einer Therapieeinheit nach

Phasen

Schmidtchen Katharsisförderung -> Spannungsentladung Integrationsphase beim Individuum Erlebnisaktivierung

konfliktzentriert-

aufdeckend ->

Wachrufen

Erlebnissen Förderung

->

von Aktionsphase

->

erlebniszentriert-

stimulierend von

Selbstregulations-

und Initiations-, Aktions-, und Integrationsphase

Selbstentfaltungsprozessen Förderung von Bewusstmachungsprozessen Integrationsphase -> Aufdecken von Konflikten

->

konfliktzentriert-

aufdeckend

Förderung von Problemlösungsverhalten -> Aktions- und Integrationsphase Selbständiges Lösen von Problemen

85


Tanztherapie- Methodik und Techniken

___________________________________________________________________________ Förderung von Wissenserwerb

Integrations-,

Aktions-,

und

Integrationsphase Förderung

von

Sozialverhalten

-> Aktions- und Integrationsphase

Angstfreies Umgehen mit sich selbst und Anderen Tabelle 7: Realisation der therapeutischen Zielsetzungen nach Schmidtchen in den idealtypischen Phasen einer Therapiesitzung (Carolin Wagner, Inhalte: WILKE et al. (1999). Tanztherapie. Therapie und Praxis, S. 359; Heinzelmann, I. (2008). Integrative Tanztherapie in der Psychiatrischen Tagesklinik, S. 10 f.; Klein, P. (2007). Tanztherapie. Ein Weg zum Ganzheitlichen Sein, S. 205 ff.)

Verdeutlicht werden soll nochmals, dass ein derartiger, idealtypischer Therapieverlauf jene Zielsetzungen realisieren kann, jedoch nicht muss. Meine Erfahrung zeigt, dass sich trotz eines derartigen Verlaufs bei dem Patienten kein Erfolg einstellen muss; der Erfolg ist jedoch wahrscheinlicher, wenn diese Techniken berücksichtigt werden. Inwieweit man die drei Techniken bzw. Phasen ‚inhaltlich’ füllt bzw. ausgestaltet (Beispiel: mediale Aufbereitung, Einsatz von Musik, verschiedene Tanzstile, etc.) ist patienten- und therapeutenabhängig. Ziel dieser Arbeit ist nicht, einen generell geltenden Therapieplan für Legastheniker zu entwickeln, denn diesen gibt es nicht, sondern die Wirkweise der Tanztherapie auf die Legasthenie, Sekundärsymptomatik und Folgen bis in das Erwachsenenalter zu diskutieren. Dennoch offeriert diese Zulassungsarbeit zusätzlich einen Einblick in die Techniken nach Klein, da diese mögliches ‚Handwerkszeug’ im Umgang mit Legasthenikern liefert.

b) Techniken nach Klein

In der Initiationsphase kann der Therapeut mögliche Bewegungen vortanzen, die von den Patienten aufgenommen, abgewandelt bzw. abgelehnt werden. Ein Beispiel aus meinem Vorgehen an Grundschulen - dabei betone ich, dass meine tanztherapeutische Ausbildung noch nicht abgeschlossen ist - zeigt: Schüler unterstützt bzw. ermutigt, wenn ich den Tanz beginne und sie nicht als erste zu tanzen beginnen müssen.

86


Tanztherapie- Methodik und Techniken

___________________________________________________________________________ Während zu diesem Zeitpunkt meist noch dicht gedrängt getanzt wird (die Dichte ermöglicht (Sicht-) Schutz), sollte der Patient/ die Patienten im nächsten Schritt ermutigt werden, auch Distanz zueinander zu erfahren. Dabei können mitgebrachte Gegenstände zum Einsatz kommen, die im Raum verteilt und umtanzt werden sollen. Ziel ist dabei, eine Richtung in die Selbst- bzw. Persönlichkeitsentfaltung zu wagen, sodass eine expansive Äußerung im Vordergrund steht. Der Patient sollte also den Raum erkunden und seinen Aktionsradius erweitern, um dem Therapeuten Einblick in die Bewegungsmuster zu gewähren (vgl. Klein, 2007, S. 179 f.). Wichtig ist laut Klein (2007, S. 182) et al., dass die Patienten Recht darauf haben, „sich abzugrenzen und eigene Wünsche und Interessen einzubringen“. Den Einsatz von Musik, Bewegungen, Lichtkonzept, etc. wähle ich als Therapeut in Abhängigkeit von der Patientengruppe. In der erlebniszentrierten Aktionsphase versuchen Klein und auch ich, immer Einblick in das Selbstkonzept des Einzelnen zu gewinnen bzw. gemeinsam mit dem Patienten dessen Selbstwert zu reflektieren. Eine Möglichkeit ist der Einsatz einer Skizzenanfertigung über sich selbst, mit der Frage „Wie sehe ich mich eigentlich?“ (vgl. Klein, 2007, S. 186). Diese Darstellung kann dann in Folge aufgenommen und tänzerisch verarbeitet werden, was in die konfliktzentrierte Integrationsphase mündet. Gerade im Legastheniekontext ist diese technische Handlungsstrategie geschickt, da man so, das meist angegriffene Selbstkonzept (siehe 2.3.3) des Betroffenen den Eltern, Lehrern, Therapeuten und natürlich dem Betroffenen selbst bewusst macht. Im Zusammenhang mit Legasthenie und der Tatsache, ‚anders’ zu sein und in dieser Andersartigkeit vielleicht nicht akzeptiert zu werden, entwickeln sich möglicherweise Aggression, Schmerz, Angst und Hilflosigkeit. Klein begegnet diesen möglichen Gefühlszuständen derart: Aggression sieht Klein als Folge von Ärger, sodass sie diesen im Tanz konstruktiv als „lebensnotwendige Kraft, die sinnvoll und schöpferisch eingesetzt werden kann“ (Klein, 2007, S. 200) aufgreift. Dabei setzt sie – den psychischen Affinitäten bestimmter Bewegungen entsprechend- kraftvolle, direkte sowie plötzliche Bewegungsmuster ein. Nicht nur die Aggression soll Bewusstsein erfahren, sondern sie soll v. a. auch neutralisiert werden. Meine Erfahrung zeigt, dass die Wirkung nach diesem tanztherapeutischen Umgang mit Aggression derart explosiv sein kann, dass laut Klein der Therapeut „…gezielt strukturierend 87


Tanztherapie- Methodik und Techniken

___________________________________________________________________________ eingreifen [muss], damit die KlientIn vor ihrem eigenen Gefühl nicht noch mehr Angst bekommt“ (Klein, 2007, S. 201). Schmerz und Traurigsein kann durch die entsprechende tänzerische Gestaltung kompensiert werden, dabei kann beispielsweise klassisch, getragene Musik diesen Gefühlsausdruck unterstützen (vgl. Klein, 2007, S. 202). Ziel ist dabei, Trauer und Schmerz zu lokalisieren, um diesen im Therapieverlauf entgegen zu wirken. Aus meiner Erfahrung mit Kindern geht deren häufiger Wunsch hervor, diesem Segment „…ein köperlich-tänzerisches Erleben von freudvoller Leichtigkeit“ (Klein, 2007, S. 204) folgen zu lassen. Dies kann durch leichte, zarte, harmonische Bewegungsabläufe erreicht werden. Es wird darauf hingewiesen, dass dieser Gliederungspunkt nicht wissenschaftlich fundiert ist, sondern auf Erfahrungen Petra Kleins und meinem tänzerischen Umgang mit Grundschülern basiert. Während der erste Hauptteil (unabhängig von Einleitung und Abschluss) dieser Arbeit Einblicke in den aktuellen Forschungsstand der Legasthenie, ihrer Ätiologie, Symptomatik und Folgen bis in das Erwachsenenalter vermittelt, verdeutlicht ein Exkurs im nächsten Teil, dass

Leistungsanforderungen

im

Schulalltag

gerade

auch

im

Legastheniekontext

entscheidende Stressoren für Kinder und Jugendliche darstellen. Bereits in diesem Abschnitt der

Zulassungsarbeit

Entspannungsübungen

geht

es

um

therapeutische

inklusive

der

Darstellung

Interventionen

deren

effektiver

in

Form

von

Wirkweise

vor

Leistungsanforderungen im Schulkontext. Im nächsten Hauptteil, Gliederungspunkt 4, wird die Idee der therapeutischen Intervention aufgegriffen bzw. erweitert, indem die Tanztherapie definiert wird. Parallel zu dem Exkurs im zweiten Teil dieser Arbeit, richtet Gliederungspunkt 4.2.1 die Perspektive erneut in Richtung Kinder und Jugendliche. Ihren Abschluss findet diese Arbeit im letzten, folgenden Teil. Dieser verbindet das Gebiet der Legasthenie mit der Tanztherapie und stellt deren Wirkweise auf die Legasthenie unter Betrachtung aktueller Forschungsergebnisse in Gliederungspunkt 5.1 dar. Daran angrenzend erfolgt ein Versuch einer Antwort auf die Fragestellung dieser Arbeit „Legasthenie und Tanz- Chance oder Irrtum?“

88


Legasthenie und Tanztherapie- Wirkung von Tanz auf Legasthenie

___________________________________________________________________________

5 LEGASTHENIE UND TANZTHERAPIE 5.1 Wirkung

von

Tanz

in

Zusammenhang

mit

Legasthenie,

ihrer

Sekundärsymptomatik und Folgen

Es besteht kein Zweifel bzw. es soll nicht innerhalb dieser Arbeit außer Acht gelassen werden, dass Tanztherapie Legasthenie nicht heilen kann, und dass wissenschaftlich empirischen Anforderungen standhaltende Wirksamkeitsnachweise der Tanztherapie, obwohl sie laut Bräuninger (2006, S. 2) unter den sechs am häufigsten genannten Therapieformen aufgezählt wird und somit in der klinischen Praxis etabliert ist, weitgehend fehlen. Dennoch gibt es einige Forschungsergebnisse, die die tanztherapeutische Wirkweise untersuchten und mit ihren Ergebnissen positiv hinsichtlich der Sekundärsymptomatik von Legasthenie sowie deren Folgen bis in das Erwachsenenalter korrelieren. Konsequenterweise erhält mein Ansatz innerhalb dieser Zulassungsarbeit nicht nur durch Suchodoletz Aussage (s. 4.1.1), sondern auch durch Folgendes Legitimation und wissenschaftliche Basis. Bevor die Wirkung des Tanzes auf das Störungsbild bezogen wird, stellt der folgende Absatz die körperliche, tanztherapeutische Wirkung für Nicht-Legastheniker, da sie an Schulen innerhalb einer Gruppentherapie auch mit dieser Therapieform konfrontiert werden können, dar. Die Ausführungen beziehen sich auf den Internetartikel ‚Gesundheit durch Tanz’ (vgl. http://www.tanzen-inrendsburg.de/unserverein/vorteileinesvereins/gesundheitdurchtanz/index.html): Durch den Tanz wird einerseits das Gehirn besser durchblutet, was zu erhöhter Wachheit und einer verbesserten Funktion des Gehirns führt. Die neuronale Aktivität wird insofern angeregt als mehr Gehirnzellen miteinander verknüpft und somit der Gedächtnisspeicher vergrößert wird. Als Folge verbessert Tanz in jedem Alter das Gedächtnis und Lernvermögen. Bezogen auf die Leistungsanforderungen in der Schule und das damit empfundene Stressempfinden wirkt Tanzen durch Ausschüttung von Endorphinen entspannend. Diese Entspannung wird auf Seiten der Muskeln verstärkt, da Tanzen eine Funktionsverbesserung der Muskelzellen bedingt.

89


Legasthenie und Tanztherapie- Wirkung von Tanz auf Legasthenie

___________________________________________________________________________ Leistungsfähigkeit und Konzentration steigen durch die Bewegung an, sodass die Wirkweise des Tanzes auf alle Tanzenden positiv ausfällt und somit ein Einsatz nur befürwortet werden kann. Während sich der eben zitierte Internetartikel ‚Gesundheit durch Tanz’ mit der dargestellten Wirkung auf alle Tanzenden bezieht, werden nun die Wirkfaktoren des Tanzes hinsichtlich Legasthenie expliziert. Dazu wiederholt der folgende Absatz erneut in einem Kurzüberblick mögliche symptomatische Begleiterscheinungen der Legasthenie sowie deren Folgen bis in das Erwachsenenalter: Die Gliederungspunkte 2.3 und 2.4 beschreiben, dass die Legasthenie häufig in Verbindung mit anderen Problemen, wie Schulangst, Unruhe, Hyperaktivität, antisozialem Verhalten, Beeinträchtigung des Selbstkonzeptes, etc. steht. In der Literatur finden sich- wie auch Esser & Schmidts und Strehlows et al. Untersuchungen zeigen- antisoziales Verhalten, Depression, Angst, sowie Suchtkrankheiten als mögliche Folgen der Legasthenie bis in das Erwachsenenalter. Modul 4 des EÖDL verdeutlicht nochmals die Notwendigkeit der im Exkurs (s. Gliederungspunkt 3) dargestellten Verfahren, da Angst die von Klasen am häufigsten beobachtete psychopathologische Erscheinung in Zusammenhang mit Leistungs- oder Prüfungsituationen bei den von ihr beobachteten legasthenen Kindern ist (vgl. EÖDL, Modul 4).

Dass, neben diesen Verfahren, sich die Tanztherapie signifikant positiv auf den

Legastheniekontext auswirken kann, zeigt folgender Abschnitt: Laub schreibt in ihrer Diplomarbeit, „…dass jede Art von körperlicher Aktivität die motorischen Hirnfunktionen und damit auch die kognitiven Fähigkeiten verbessern kann“ (Laub, o.J., S. 7). Sie gleicht in diesem Ansatz Rollwagen und erinnert dabei an Piaget, der den Begriff der ‚sensomotorischen Intelligenz’ und damit den Gedanken der untrennbaren Verbindung zwischen Kognition und Motorik (vgl. Laub, o.J., S. 5) prägte. Burger (vgl. 2009, S.2) geht weiter, indem sie Ergebnisse der Hirnforscher Brown und Martinez zitiert und Laubs Thesen spezifiziert. Tanzen aktiviere das Broca-Areal, das unter anderem bestimmend für den Schriftspracherwerb sei (vgl. Gliederungspunkt 2.2.2) und fördere geometrisches und räumliches Denken, das häufig aufgrund von Wahrnehmungsdefiziten bei Legasthenikern defizitär ausfällt. 90


Legasthenie und Tanztherapie- Wirkung von Tanz auf Legasthenie

___________________________________________________________________________ Meine Erfahrung mit legasthenen Nachhilfeschülern, die auch in der Literatur bestätigt wird, zeigt, dass Betroffene häufig unkonzentriert erscheinen. Kopp-Duller sieht den Grund dafür in den differenten Sinneswahrnehmungen, die „eine zeitweilige Unaufmerksamkeit beim Schreiben, Lesen oder Rechnen …hervorrufen“ (Kopp-Duller, 2008, S.23). Die bereits erwähnten Hirnforscher Brown und Martinez konnten diesbezüglich eine signifikante Verbesserung der Konzentrationsfähigkeit durch rhythmische Bewegung feststellen (vgl. Burger, 2009, S. 1). Eine Studie zur Wirksamkeit von ambulanten Körperpsychotherapien (diese beinhaltet unter anderem die Tanztherapie) unter Koemeda-Lutz et al. (o.J., vgl. S. 9 ff.), in der 157 über 2 Jahre mit Hilfe von Fragebögen Symptom- und Befindlichkeitsverlauf getestet werden, weist Angstreduktion, ein Abfall der Depressivität, sowie der körperlichen und interpersonalen Probleme (Stärken des Selbstwertgefühls) nach. Der Philologe, Tanz- und Bewegungstherapeut Prof. Dr. Hölter untersuchte 1994 die Wirkfaktoren der Tanz- und Bewegungstherapie an 155 Patienten und lieferte damit einen der wenigen Nachweise, die wissenschaftlich empirischen Anforderungen Genüge tragen. Tabelle 8 zeigt Hölters empirische Studie im Überblick: Systematische Untersuchung nach Gerd Hölter: Wirkfaktoren der Bewegungs- und Tanztherapie Versuchspersonen

N=155

Patienten

an

5

Kliniken

für

Psychiatrie/Suchtbehandlung in Hessen Untersuchungsmethoden

PatientInnenbefragung: o Anamnestische Daten o Einschätzung

der

Wirkungsweise

nach Q-Sort TherapeutInnenbefragung (n=6): o Anamnestische Daten (Ausbildung, Beschäftigungsdauer, usw.)

91


Legasthenie und Tanztherapie- Wirkung von Tanz auf Legasthenie

___________________________________________________________________________ Intervention

In

der

Regel

Bewegungstherapie

zweimal in

wöchentlich

Kombination

mit

Tanztherapie Therapiedauer

In der Regel 8-12 Wochen

Tabelle 8: Wirkfaktoren der Bewegungs- und Tanztherapie- eine empirische Studie im Überblick (HÖLTER, G. (1994). Wirkfaktoren der Tanz- und Bewegungstherapie. Empirische Studien im klinischen Bereich. In: Nervenklinik Spandau (Hrsg.). 1. Internationaler Kongress Klinischer Tanztherapie Berlin, 106-113), modifiziert durch Carolin Wagner

81 der getesteten Personen waren Patienten der Psychiatrie, der Rest ließ sich in Suchtverhalten behandeln. Es ist klar, dass Legasthenie vordergründig weder in die Sparte der Psychiatrie, noch in die der Suchtkrankheiten gehört. Da laut Strehlow et al. (1992, S. 261 f.) aber dissoziale Störungen in Form von Alkohol-, Haschisch- und Drogenmissbrauch mögliche Folgen der Legasthenie sein können, korrelieren die in der Studie ermittelten Wirkweisen der Tanztherapie auch positiv mit Legasthenie bzw. ihrer Sekundärsymptomatik. Konsequenterweise ist eine Präsentation Hölters Studie in diesem Kontext nicht unbegründet.

92


Legasthenie und Tanztherapie- Wirkung von Tanz auf Legasthenie

___________________________________________________________________________

Grafik 4: Darstellung der relativen Wichtigkeit von 5 Wirkfaktoren der Tanztherapie bezogen auf Psychiatrie und Suchtbehandlung (HĂ–LTER, G. (1994). Wirkfaktoren der Tanz- und Bewegungstherapie. Empirische Studien im klinischen Bereich. In: Nervenklinik Spandau (Hrsg.). 1. Internationaler Kongress Klinischer Tanztherapie Berlin. S. 111)

93


Legasthenie und Tanztherapie- Wirkung von Tanz auf Legasthenie

___________________________________________________________________________

Grafik 5: Darstellung der relativen Wichtigkeit von 5 Wirkfaktoren der Tanztherapie bei weiblichen und männlichen Patienten (HÖLTER, G. (1994). Wirkfaktoren der Tanz- und Bewegungstherapie. Empirische Studien im klinischen Bereich. In: Nervenklinik Spandau (Hrsg.). 1. Internationaler Kongress Klinischer Tanztherapie Berlin. S. 112)

Neben Verhaltensregulation, die auch im Kontext der Legasthenie bei delinquenten, dissozialen bzw. aggressiven Verhalten relevant ist, Lernen von und durch andere (durch Gruppenkohäsion), zunehmendes Problembewusstsein, etc. ist es nach Angabe der 155 Patienten hauptsächlich das Wohlbefinden, das sich durch die Tanztherapie einstellte und damit den signifikant positivsten Wirkfaktor, sowohl innerhalb der Psychiatrie als auch der Suchtbehandlung/ bei männlichen und weiblichen Patienten, darstellte (vgl. Hölter, 1994, S. 109; vgl. Grafik 3 + 4). Wohlbefinden kann sich in einem stärkeren Selbstwertgefühl kompensieren, wovon sich häufig negativ attribuierende Legastheniker hinsichtlich ihres Selbstkonzepts profitieren können.

94


Legasthenie und Tanztherapie- Wirkung von Tanz auf Legasthenie

___________________________________________________________________________ Iris Bräuninger untersuchte im Rahmen ihrer Promotion die Wirkung der Tanztherapie hinsichtlich Lebensqualität, Symptom- und Stressbelastung. Bevor der methodische Forschungsbereich ihrer Untersuchung beschrieben wird, weitere von ihr dargestellte Forschungsergebnisse der Gruppentanztherapie anderer Wissenschaftler: Dosomantes-Alperson und Merrill20 untersuchten 1980 in ihrer Kontrollstudie mit Messwiederholungsdesign den Effekt der Tanztherapie auf die Persönlichkeitsentwicklung und kamen zu dem Ergebnis, dass Tanz positiv mit Zufriedenheit, Selbstakzeptanz und Kontaktfähigkeit korreliert (vgl. Bräuninger, 2006, S. 21). Bezüglich des Störungsbildes der Legasthenie, das laut Modul 4 (EÖDL, 2009) in Kontaktscheue und aufgrund häufigen schulischen Versagens in Selbstzweifel resultiert, stellen die Forschungsergebnisse von 1980 wirksame Faktoren dar. Die Heidelberger Katamnesestudie nach Strehlow et al. (vgl. Gliederungspunkt 2.4.1) zeigt, dass Betroffene als Folge der Legasthenie im Erwachsenenalter depressiv sein können und möglicherweise unter Angst- und Aggressionsstörungen leiden. Die Pilotstudie von Brooks und Stark aus dem Jahr 1989 weist diesbezüglich eine erneut positive Wirkung der Tanztherapie nach, da sie laut Forschungsergebnis von 1989 Depression, Angst und Feindseligkeit verbessert (vgl. Bräuninger, 2006, S. 23). Leistungsanforderung kann (vgl. Gliederungspunkt 3.1) ein möglicher schulspezifischer Stressor im Kindes- und Jugendalter sein. Vor allem für Legastheniker stellen, wie meine eigene

Erfahrung

im

Umgang

mit

legasthenen

Nachhilfeschülern

zeigt,

Leistungsanforderungen in Form von Proben und die damit verbundene Lese- und Schreibarbeit eine scheinbar unüberwindbare Hürde dar. Prüfungsangst ist die Folge. In diesem Fall kann Tanz, wie Erwin-Grabner et al. 1999 feststellten, moderierend wirken: „Es zeigt sich, dass eine kurze Intervention in Gruppentanztherapie die Prüfungsangst insgesamt signifikant zu reduzieren vermag“ (Bräuninger, 2006, S. 22).

20

Anm.: Die Autorennamen beziehen sich nicht auf deren Originalliteratur, sondern auf die zitierten Seiten

Bräuningers Promotion 95


Legasthenie und Tanztherapie- Wirkung von Tanz auf Legasthenie

___________________________________________________________________________ Rossberg-Gempton et al. konnten in ihrer Studie von 1999 belegen, dass sich die Zusammenarbeit, Kommunikation und das Gefühl der Zusammengehörigkeit maßgeblich verbesserten

(vgl.

Bräuninger,

2006,

S.

22

f.).

Unter

Betrachtung

der

Legastheniesymptomatik könnte diese Verbesserung der sozialen Kompetenzen zu weniger Kontaktscheue,

Verminderung

des

Aggressionspotenzials

und

einem

besseren

Selbstwertgefühl durch Akzeptanz innerhalb der Therapiegruppe führen. Bräuninger gehört wie Hölter zu einer der wenigen, die empirische Befunde zu der Wirkung von Tanztherapie liefern. Ihre Studie mit Messwiederholungsdesign21 umfasst eine Stichprobe von 162 Personen, die anhand von standardisierten Fragebögen, der Münchner Lebensqualitätsdimensionsliste, dem Stressverarbeitungsfragenbogen 120 und der Generellen Selbstwirksamkeitsskala (vgl. Bräuninger, 2006, S. 57-61), Angaben zu den Variablen Lebensqualität, Symptom- und Stressbelastung, die alle im Kontext der Legasthenie relevant sind, während/nach dem Einsatz der Tanztherapie lieferten. Unter Lebensqualität soll laut Bräuninger (2006, S. 25) „…die individuelle Wahrnehmung der eigenen Lebenssituation im Kontext der jeweiligen Kultur und des jeweiligen Wertesystems in Bezug auf die eigenen Ziele, Erwartungen, Beurteilungsmaßstäbe und Interessen“ verstanden werden. Bereits 2000 untersuchten Mannheim et al. (in: Bräuninger, 2006, S. 26) Krebspatienten hinsichtlich der Wirkweise des Tanzes auf ‚Lebensqualität’ mit dem Ergebnis, dass Tanztherapie signifikante Verbesserung der Lebensqualität bewirkt. Hanna (in: Bräuninger, 2006, S. 38) fand 1988 heraus, dass Tanz dem Mensch das Gefühl von psychischer Selbstbestimmung vermittelt, was sich in einem verbesserten Selbstkonzept und einer verminderten Stressbelastung auswirkt (vgl. Bräuninger, 2006, S. 38 f.). Diese Ergebnisse konnte Bräuninger22 2006 erneut nachweisen; ihre Annahme, dass sich in der Behandlungsgruppe gegenüber einer Wartegruppe (dient der Kontrolle bzw. dem Ergebnisvergleich) unter Einsatz der Tanztherapie die Lebensqualität verbessern und die

21

Anm.: Mehr Informationen zu dem methodischen Forschungsrahmen dieser Wirksamkeitsstudie in

Bräuninger, 2006, S. 43-68 22

Anm.: von Bräuninger wurden mehrere Items getestet; im Folgenden werden allerdings nur jene vorgestellt,

die für im Rahmen der Legasthenie relevant sind

96


Legasthenie und Tanztherapie- Wirkung von Tanz auf Legasthenie

___________________________________________________________________________ Stress- und Symptombelastung reduzieren lässt (vgl. Bräuninger, 2006, S.3), bestätigt sich, da die

„…Verbesserung

der

Lebensqualität

und

die

Reduktion

der

psychischen

Belastungssymptomatik als vollumfänglich erwiesen erachtet werden (kann)“ (Bräuninger, 2006, S. 151). Folgende Grafiken zeigen Ergebnisse bzw. signifikant positive Wirkfaktoren der Tanztherapie unter anderem in Hinblick auf die bereits diskutierte mögliche Sekundärsymptomatik bzw. den Folgen der Legasthenie bis in das Erwachsenenalter: Aggression, Sozialverhalten, Depression, Angst und Feindseligkeit (Dissoziales Verhalten).

Grafik 6: Wirksamkeit der Tanztherapie im Subtest Aggressionen (BRÄUNINGER, I. (2006). Tanztherapie. Verbesserung der Lebensqualität und Stressbewältigung, S. 101)

Grafik 6 zeigt einen signifikanten23 Haupteffekt zwischen dem ersten Testzeitpunkt und den zwei weiteren. Tanztherapie wirkt also auf Aggression, eine mögliche Folge der Legasthenie,

23

Alle statistischen Tests zur Messung der Effektivität der Tanztherapie werden mit einem Signifikanzniveau bei

p< .10 =signifikant (*) und p <.05 =hochsignifikant (**) durchgeführt (Bräuninger, 2006, S. 62). Im Fließtext dieser Arbeit wird nicht zwischen signifikant und hochsignifikant unterschieden 97


Legasthenie und Tanztherapie- Wirkung von Tanz auf Legasthenie

___________________________________________________________________________ ausgleichend, was sicherlich auch mit dem verbesserten Sozialverhalten der getesteten Personen zusammenhängt (siehe Grafik 7).

Grafik 7: Wirksamkeit der Tanztherapie im Subtest Sozialverhalten (BRÄUNINGER, I. (2006). Tanztherapie. Verbesserung der Lebensqualität und Stressbewältigung, S. 87)

Laut Klicpera et al. (vgl. 2007, S. 193)

ziehen sich Betroffene häufig aus sozialen

Beziehungen zurück, zeigen depressive Verstimmungen und/oder entwickeln Störungen des Selbstwertgefühls. Neben der Tatsache, dass sich durch Tanztherapie das Sozialverhalten verbessern kann, ist v. a. die kurz- und langfristige Effektivität der Tanztherapie auf die Depression signifikant bei allen drei Messzeitpunkten (vgl. Grafik 8), „somit kann die Hypothese, dass Tanztherapie kurz- und langfristig wirksam … ist, als angenommen erachtet werden (Bräuninger, 2006, S. 87). Die bei Schulkindern durch Leistungsanforderungen häufig entstehende Prüfungsangst kann durch Tanztherapie gemindert werden, da sich laut Bräuninger Tanztherapie hinsichtlich Ängstlichkeit signifikant positiv auswirkt (vgl. Grafik 9).

98


Legasthenie und Tanztherapie- Wirkung von Tanz auf Legasthenie

___________________________________________________________________________

Grafik 8: Wirksamkeit der Tanztherapie im Subtest Depression (BRÄUNINGER, I. (2006). Tanztherapie. Verbesserung der Lebensqualität und Stressbewältigung, S. 88)

Grafik 9: Wirksamkeit der Tanztherapie im Subtest Ängstlichkeit (BRÄUNINGER, I. (2006). Tanztherapie. Verbesserung der Lebensqualität und Stressbewältigung, S. 88)

99


Legasthenie und Tanztherapie- Wirkung von Tanz auf Legasthenie

___________________________________________________________________________ Tanztherapie kann - wie Grafik 10 zeigt - Feindseligkeiten mindern, was mit der durch Bräuninger nachgewiesenen, entspannenden Wirkung der Tanztherapie zusammenhängen und in dem Ergebnis des Subtests zur Aggression resultieren kann. Die durch Tanztherapie einsetzende Entspannung auf die Behandlungsgruppe (s. Grafik 11) befürwortet erneut den schulischen Einsatz dieser Therapieform, dessen Notwendigkeit bereits in dem Exkurs zu den Entspannungsverfahren innerhalb des dritten Gliederungspunktes erläutert wurde.

Grafik 10: Wirksamkeit der Tanztherapie im Subtest Feindseligkeit (BRÄUNINGER, I. (2006). Tanztherapie. Verbesserung der Lebensqualität und Stressbewältigung, S. 89)

100


Legasthenie und Tanztherapie- Wirkung von Tanz auf Legasthenie

___________________________________________________________________________

Grafik 11: Wirksamkeit der Tanztherapie im Subtest Entspannung (BRÄUNINGER, I. (2006). Tanztherapie. Verbesserung der Lebensqualität und Stressbewältigung, S. 102)

Die in Gliederungspunkt 5.1 dargestellten Forschungsergebnisse der Wirkweise der Tanztherapie sprechen eindeutig für einen Einsatz dieser Therapieform in dem Kontext einer Legasthenie. Es wird jedoch nochmals verdeutlicht, dass Tanz eine Möglichkeit innerhalb der multimodalen Therapie für Legasthenie darstellt und nicht als alleiniges Heilmittel angesehen werden kann, denn dieses gibt es bezogen auf die Legasthenie nicht. Die jüngsten Teilnehmer Bräuningers Stichprobe waren 16 Jahre, sodass ein empirischer Nachweis der Wirkweise der Tanztherapie im Grundschulalter fehlt. Dufhues konnte anhand ihrer Studie 2007 nachweisen, dass Schulsport bzw. allgemeine Bewegung im Gegensatz zu Ruhephasen bei Grundschülern eine größere Verbesserung der exekutiven Funktionen evoziert (vgl. Dufhues, 2007, S. 109 f.). Zu den exekutiven Funktionen, die literaturabhängig unterschiedlich definiert werden, zählt sie folgende, auch legastheniewichtige Fähigkeiten: Problemlösekompetenz, Motivation und Aufmerksamkeit (vgl. Dufhues, 2007, S. 27). Die folgenden Punkte thematisieren- ausgehend von der bisherigen Erarbeitung- Probleme bzw. Chancen der Symbiose aus Legasthenie und Tanztherapie und beinhalten konsequenterweise eine mögliche Antwort auf die im Zulassungsarbeitstitel enthaltene Fragestellung. 101


Legasthenie und Tanztherapie- Probleme

___________________________________________________________________________

5.2 Legasthenie und Tanztherapie- Probleme

Halprin (2000, S.1) schreibt über Bewegung und Tanz: „Bewegung birgt die Möglichkeit, uns in das Heim der Seele zu befördern, in die Welt in unserem Inneren, für die wir keinen Namen haben. …Wenn Tanz aus unserem Inneren kommt … verfügt er über eine tiefgründige Macht, Körper, Seele und Geist zu heilen…“. Das Wort ‚Wenn’ impliziert bereits ein grundlegendes Problem: Viele Kinder, Jugendliche und Erwachsene wollen bzw. können sich dem Tanz nicht öffnen. Meine Erfahrung mit Tanz zeigt, dass v. a. männliche (Nicht-) Legastheniker Probleme haben, sich auf den Tanz einzulassen. Grundsätzlich kann aber auch bereits die Legastheniepräsenz bzw. -diagnose zu Problemen führen, da Eltern, Lehrer, Betroffene, etc. keine Therapie zulassen. „Mein Kind ist doch nicht krank“, „Ich schaff das auch ohne Hilfe“ oder „Soll er halt mehr lernen“ sind häufige Aussagen von Eltern, Betroffenen und Lehrern, die sich gegen eine Legasthenietherapie aussprechen. Die im zweiten Gliederungspunkt dieser Arbeit thematisierten Gliederungspunkte, Ätiologie und Symptomatik, zeigen, dass Legasthenie sehr heterogen und ihre Ursachen, Symptome und Folgen multifaktoral beeinflusst werden. Konsequenterweise muss der Therapeut meiner Meinung nach ausreichende Kenntnisse haben, um mit Betroffenen sowie deren ‚individueller’ Legasthenie zu arbeiten. Meine Meinung wird durch Eberhard (2005, S.1) fachkundig belegt: „Wer mit ….Menschen [tanztherapeutisch] arbeiten möchte, sollte …nicht die Lernmethode ‚Learning by doing’ für sich in Anspruch nehmen, sondern Fortbildungen aufsuchen“. Problem dabei können fehlende finanzielle Mittel sein: Das

Ausbildungsangebot

des

DGT

zum

Tanztherapeut

umfasst

4

Module

+

theoriespezifischer Seminare, die Kosten von min. 6.000€ mit sich bringen. Schulen, so sagt Birgit Mayer (Tanztherapeutin DGT Erlangen) in einem persönlichen Gespräch mit mir, verfügen meist nicht über entsprechende finanzielle Mittel, um Lehrer ausbilden zu lassen bzw. bereits ausgebildete Therapeuten einzustellen. Auch in Privathaushalten kann es an monetären Mitteln, um Therapiesitzungen zu besuchen, fehlen. 102


Legasthenie und Tanztherapie- Probleme

___________________________________________________________________________ Des Weiteren klagen erwachsene Legastheniker meist über Zeitmangel, da die Tanztherapie innerhalb einer notwendigen multimodalen Therapie nicht nur geld- sondern auch zeitaufwendig ist. Hauptproblem ist, dass sowohl der Forschungsstand der Legasthenie trotz 120-jähriger Recherche defizitär als auch die Wirkung der Tanztherapie bis auf die in dieser Arbeit aufgezeigten Untersuchungsergebnisse weitgehend unerforscht ist. Exkurs- Persönliche Erfahrung: Als ich Bekannten, Verwandten, Lehrern, etc. von der Idee zu dieser Arbeit erzählte, bedauerten mich die meisten aufgrund der Forschungslücke, auf diesem Gebiet wissenschaftlich arbeiten zu wollen. Viele sahen keine Chance, die zwei Bereiche Legasthenie und Tanz in Beziehung zu bringen. Neben dem Forschungsstand hinsichtlich der Wirkweise des Tanzes, den ich in Gliederungspunkt 5.1 darlegte, überzeugte v. a die ausführliche laut Wilke „wissenschaftliche Prosa“, an diesem Thema festzuhalten. Methodenbeschreibungen und Falldarstellungen (wissenschaftliche Prosa) als erste Phase der Therapieforschung legen den Grundstein für weiterführende Arbeiten, sodass es Arbeiten wie diese Zulassungsarbeit geben muss, um Grundsteine weiter auszubauen. Da die Legasthenie nicht nur gravierende Auswirkung auf die Schulleistung, sondern auch auf die Persönlichkeitsentwicklung hat, steht nicht nur die Verbesserung der Lese- und Rechtschreibleistung, sondern v. a. auch eine Erhöhung des Selbstwertgefühls und emotionaler Stabilität im Mittelpunkt einer Therapie (vgl. Suchodoletz, 2006, S. 296). Hölter und Bräuninger konnten mit Hilfe ihrer Studien nachweisen, dass diese Therapieziele mit Hilfe des Tanzes realisiert werden können, sodass der nächste Gliederungspunkt, in Anlehnung an 5.1, Chancen hinsichtlich des Tanzes in Verbindung mit Legasthenie erörtert.

103


Legasthenie und Tanztherapie- Chancen

___________________________________________________________________________

5.3 Legasthenie und Tanztherapie- Chancen

“… es gibt einfach keine Worte, um das Gefühl der Freude, das Entzücken über sich selbst, die Lust am Dasein zu beschreiben, die den tanzenden Menschen umgibt.“ (T. Schoop) Die Legasthenietherapie erfordert eine enge Kooperation von Schule, Elternhaus und außerschulischer Behandlung. Während Eltern und Schule, indem sie möglicherweise Teilbereiche der Förderung übernehmen, die Entwicklung des Kindes in betroffenen Bereichen des Unterrichts unterstützen, ist eine zusätzliche (außer-)schulische Behandlung, die die Sekundärsymptomatik berücksichtigt, nötig (vgl. Suchodoletz, 2006, S. 296 f.). Die Folgen der Legasthenie bis in das Erwachsenenalter, wie sie bereits im Gliederungspunkt 2.4 beschrieben wurden, deuten darauf hin, dass z.B. Kossows, Mannhaupts, Schulte-Körnes Fördermaßnahmen innerhalb des Eltern- und Schulbereichs eine Verbesserung der Lese- und Rechtschreibleistung zur Folge haben können, jedoch weitere Probleme in Form von Verhaltensauffälligkeiten unberücksichtigt bleiben. Tanz setzt aufgrund seiner empirisch begründeten Wirkweise genau hier an. Laut Aissen-Crewett (vgl. 2000, S. 23) ist die tänzerische Darstellung, bei der der Tanzende sich selbst, seine Fähigkeiten und Grenzen, Gefühle und Gedanken kennen lernt, die Präsentation des Ichs. Tanz fördert einerseits die Fähigkeit, „…zu beachten, zu erkennen, zu untersuchen“ (Aissen-Crewett, 2000, S. 24), sodass sich der Betroffene seiner Sekundärsymptomatik erstmalig bewusst werden und daran angrenzend ein Verständnis für sein Störungsbild inklusive dessen Umgang entwickeln kann. Da Tanz (-therapie) zudem ausgleichend auf Aggression, Sozialverhalten, Depression, Angst und Feinseligkeit wirkt, können sich andererseits die mit dem Störungsbild als Ursache oder Folge korrelierenden Verhaltsauffälligkeiten der Legasthenie verbessern.

104


Legasthenie und Tanztherapie- Chancen

___________________________________________________________________________ Durch seine, wie es Bräuningers und Hölters Studien ergaben,

signifikant positiv

entspannende, Lebensqualität und Wohlbefinden fördernde Wirkweise, kann Tanz weitere Folgen von Legasthenie wie Stressempfinden, Verschlechterung des Selbstkonzepts, etc. reduzieren bzw. positiv beeinflussen. Der schulische Einsatz der Tanztherapie ermöglicht durch gezielte Beobachtungsstudien (vgl. Laban, Bartenieff) ein tieferes Verständnis für das einzelne Kind bzw. seiner Individualität (vgl. DGT, 2007, S. 33). Konsequenterweise wird der Bildungsauftrag der Schule, „alle Schüler in ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu unterstützen“ (Lehrplan, S.7) realisiert. Aber auch im Einsatz mit Erwachsenen kann der Therapeut der Heterogenität seiner Patienten durch die individuelle Beobachtungsweise gerecht werden. Bestimmte Inhalte und Methoden der Tanztherapie können die Körperkoordination, das Körperschema, die Raum-Lage-Orientierung schulen (vgl. DGT, 2007, S.33) sowie die Wahrnehmung, die im Kontext der Legasthenie laut Kopp-Duller differenziert ist und somit zu Problemen im Schriftspracherwerb führen kann, sensibilisieren. Derartige mögliche Erfolge decken sich mit den Ansprüchen eines Legasthenietrainings, wie es beispielsweise im von dem EÖDL entwickelten Easy Training Set ersichtlich wird. Laut Eichstetter (in: DGT, 2007, S. 42 f.) unterstützt die Tanztherapie Selbst- und Fremdwahrnehmung, verankert das Selbstvertrauen, erweitert soziale Fertigkeiten und vertieft positive Lernvariablen wie Durchhaltevermögen, Motivation und Konzentration, was im Kontext der Legasthenie effektiv sein kann. Klar bleibt, dass durch Tanztherapie Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten nicht eliminiert, aber die den Bereich der Sekundärsymptomatik betreffenden Auffälligkeiten, sowie die Folgen der Legasthenie bis in das Erwachsenalter positiv beeinflusst.

105


Legasthenie und Tanztherapie- Chancen

___________________________________________________________________________ Die Frage in der Themenstellung dieser Arbeit „Legasthenie und Tanz-Chance oder Irrtum?“ wird durch die vorangegangenen Gliederungspunkte inklusive der wissenschaftlich begründeten Wirkweise der Tanztherapie beantwortet: Tanz innerhalb einer multimodalen Legasthenietherapie ist eine Chance und sicherlich, trotz bereits diskutierter Probleme, unter anderem auch aufgrund seiner fehlenden Kontraindikation, aber v. a. aufgrund der empirisch begründeten Wirkweise in dem Kontext der Legasthenie, kein Irrtum.

106


6 ABSCHLUSS

Diese Zulassungsarbeit findet - ausgehend von der Themenfrage - ihren Abschluss innerhalb des vorangegangenen Gliederungspunktes in einer theoretischen Begründung für den tanztherapeutischen Umgang mit Legasthenikern. Wie bereits in der Einleitung erwähnt, soll eine neue Perspektive im Diskussionsstand um dieses Störungsbild eröffnet werden. Um es nicht bei diesem theoretischem Fundament zu belassen bzw. da eine Studie, die die Wirkweise der Tanztherapie speziell auf Legasthenie untersucht, bis dato fehlt, ist eine praktische Weiterführung dieser Arbeit geplant. In Zusammenarbeit mit der Erlanger Psychologin Alexandra Schwarz (Mail s. Anhang) soll, nachdem passende Erhebungsinstrumente gefunden wurden, die Wirkweise der Tanztherapie mit legasthenen Kindern in einer Studie geprüft werden, um anschließend wissenschaftliche Erkenntnisse zu gewinnen.

107


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ANHANG


Anhang A Kopie der Zusammenfassung der Studie unter Monigl et al.: Die Wirkung von Entspannungsverfahren (Gliederungspunkt 3)

auf

das

Abschneiden

von

Sch端lern

bei

Leistungstests


Anhang B Kontakt (Gliederungspunkt 6)


Anhang C Bescheinigungen (Fernstudium zur Legasthenietrainerin (EÖDL), Einführungsseminar Tanztherapie)

„Alles Sein ist Bewegung. Alles Handeln ist Tanz. Im Sein herrscht der Rhythmus der natürlichen Kräftebeziehungen. (...) Der tänzerische Sinn gestattet dem Menschen den klaren Einblick in die rhythmische Beschaffenheit des Naturgeschehens und ist das Mittel, um den natürlichen Rhythmus in künstlerisch-kulturelle Wohlgeordnetheit zu verwandeln.“ (Rudolf von Laban) (http://www.tanzarchileipzig.de/?q=de/node/399)


RECHTLICHE ERKLÄRUNG

Erklärung: Hiermit versichere ich, dass ich die Arbeit selbständig verfasst und keine anderen als die angegebenen Hilfsmittel benutzt habe. Diese Versicherung gilt auch für die beigefügten Zeichnungen (Kartenskizzen, bildlichen Darstellungen, o. Ä.).

Uttenreuth,den 20.09.2013


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