Deutsche Oper Berlin: Tischlerei-Zeitung No. 2

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tISCHLeREI-zEITUNG

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März 2014 — Juni 2014


Schwerpunkt in dieser Zeitung:

Partizipation:  Die Kunst des Mitmachens 4 Leitartikel:

Partizipation im Musiktheater

Götz Friedrich-Preisträger Anselm Dalferth über die ­Chancen und ­Herausforderungen einer neuen ­Kunstform

14 Es

kommt darauf an, wie man Experiment definiert

Ein Vorstandsmitglied der Deutsche Bank Stiftung im ­Gespräch mit Regisseur Tilman Hecker Premiere LOVEAFFAIRS – 20. Juni 2014 6 Auf Leben und Tod Jugendliche über den Wunsch nach Unsterblichkeit Premiere GILGAMESH MUST DIE! – 17. März 2014

18 Tischlereikonzerte Komponist Stefan Johannes Hanke über die Arbeit an seinem neuen Stück

20 Mitmachen! Katharina Loock, Künstlerische Leitung ­Kinder & Jugend, über partizipative ­Projekte an der Deutschen Oper Berlin

0 Die Macht des Protests 1 Dramaturgin Anne ­Oppermann über die Kunst des Buhs Premiere DAS GROSSE BUH – 11. Juni 2014

Die Tischlerei-Zeitung der Deutschen Oper Berlin ist eine Beilage der taz . die tageszeitung © 2013 /2014 Herausgeber Deutsche Oper B ­ erlin – ­ Stiftung Oper in Berlin Dietmar Schwarz [Intendant] Thomas Fehrle [Geschäftsführender Direktor] Redaktion Dramaturgie / verantwortlich: ­Dorothea Hartmann Gestaltung Benjamin Rheinwald

Produktion Henke Pressedruck GmbH & Co. KG Die Rechtschreibung folgt den Vorlagen. Fotografie Vier Studierende der Berliner OSTKREUZSCHULE für Fotografie begleiteten die Vorbereitungen, Proben und Workshops der kommenden Tischlerei-­ Produktionen. Für dieses Heft fotografierten Torben Geeck, Aras Gökten, Kamil Sobolewski und Yana Wernicke aus der Klasse von Werner Mahler.


3 2 Dorothea Hartmann Künstlerische Leitung Tischlerei

TISCHLEREI-ZEITUNG

© Leo Seidel

Editorial

Experten des Alltags, partizipatives Theater, Theater der Teilhabe, eman­zipierter Zuschauer, Bürgerbühne …: Aus der deutschen Theater­ landschaft sind diese Begriffe nicht mehr wegzudenken. Das Theater ­mobilisiert sein Publikum. Es entdeckt den Zuschauer als Akteur. Es sucht sich neue Zielgruppen außerhalb der üblichen Theatergänger, verlässt den eigenen Raum und geht in unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen. Erste, medial stark beachtete Arbeiten stammen von Rimini Protokoll oder dem Choreographen Royston Maldoon [„Rhythm is it!“] und reichen über unzählige partizipative Projekte in Schauspiel, Oper und Tanz bis zu den jüngsten Institutionalisierungen von „Bürger­ bühnen“ als eigener Sparte in Dresden oder Mannheim. Arbeiten auf diesem Feld haben sich in den letzten Jahren zu einem eigenen künstlerischen Format entwickelt. Auch an der Deutschen Oper Berlin stehen nach dem großen Jugendprojekt der vergangenen Spielzeit, DER RING: NEXT GENERATION, im März wieder Kinder und Jugendliche gemeinsam mit Profis auf der Bühne. GILGAMESH MUST DIE! heißt die gemeinsam mit der Schweizer Band „The bianca Story“ entwickelte Produktion, die sich auf den Spuren des Gilgamesch-Mythos mit dem uralten menschlichen Wunsch nach Unsterblichkeit beschäftigt. Diese Premiere in der Tischlerei ist der Anlass, in dieser zweiten Ausgabe der Tischlerei-Zeitung das noch relativ junge Feld der Partizipation im Musiktheater zu diskutieren. Anselm Dalferth, Dramaturg, Regisseur und Götz Friedrich-Preisträger, setzt sich im Leitartikel mit der grundsätzlichen Schwierigkeit auseinander, das Musiktheater und die Idee des Mitmachens zusammen zu bringen. Anlässlich der Produktion LOVEAFFAIRS, einem Musiktheater von 12 jungen Künstlern, das die Deutsche Bank Stiftung gemeinsam mit der Deutschen Oper Berlin ausrichtet, sprechen wir mit einem Vertreter der Deutsche Bank Stiftung über Möglichkeiten des bürgerschaftlichen Engagements und dieser ganz anderen Form der Teilhabe an der Kunst. „Mitmachen!“ – diese Aufforderung hat im theaterpädagogischen Bereich eine lange Tradition. Die Junge Deutsche Oper lädt in zahl­ reichen Projekten und Workshops zur Beteiligung ein – in dieser Zeitung wird eine Auswahl von Projekten und Workshops vorgestellt. Schließlich widmet sich eine Produktion in den kommenden Monaten ganz explizit der potentiellen Einmischung eines jeden Bürgers: DAS GROSSE BUH geht den Möglichkeiten des Protests nach – auf der Straße und im Zuschauerraum. Und selbstverständlich laden wir Sie – liebes Publikum – ein zu partizipieren! Denn die erste und ursprünglichste Form der Teilhabe im Theater ist das aktive Hören und Sehen. Besuchen Sie an der Rückseite der Deutschen Oper Berlin die zweite Spielstätte Tischlerei – ob nun als „emanzipierte Zuschauer“, teilnehmende „Experten des Alltags“ oder einfach als neugieriges Publikum. Seien Sie herzlich willkommen!


Die Welle der Beteiligung hat die Gesellschaft auf allen Ebenen erfasst: Do it yourself – Mittendrin statt nur dabei – Mach[s] mit! Nicht nur in den Medien und auf der Straße wird vermittelt, dass wahrer Erfolg und echte Befriedigung nur aus dem Selbermachen zu gewinnen ist, auch im Theater ist Partizipation das Schlagwort der Stunde. Die theatrale Arbeit mit Bürgern – wie Laien inzwischen respektvoll genannt werden – ist das große Thema, obwohl die Möglichkeit von eigenen Spielerfahrungen für die Bürger keine neue Erfindung ist. Im Rahmen der theaterpädagogischen Arbeit haben Workshops und Vermittlungsformate schon seit langem das Angebot für alle Altersgruppen bereichert. Neu ist jedoch der Trend, dass Bürger in professionellen Produktionszeiträumen mit Profis Inszenierungen erarbeiten und in Vorstellungen auf den Bühnen der Theater einer breiten Öffentlichkeit präsentieren. Ein Seitenblick auf die Theatergeschichte zeigt, dass es sich dabei nicht [nur] um eine Maßnahme handelt, mit der neues Publikum erreicht werden soll, sondern dass es auch inhaltliche Faktoren gibt, die diese Situation als eine logische Entwicklung erscheinen lassen: Neben einem ­Theater der Zauberei und Verwandlung hat längst eine Ästhetik des direkten Tons und der Natürlichkeit Einzug gehalten, die einer Einbeziehung von nicht professionellen Darstellern den Weg ebnet. Den theatralen Triumph der Bürger haben neben dem Kinder- und Jugendtheater in den letzten Jahrzehnten vor allem freie Gruppen wie beispielsweise Rimini Protokoll, Gob Squad oder She She Pop angestoßen, indem sie immer wieder Stücke erarbeitet haben, die auf den persönlichen Erfahrungen, Lebensumständen und Expertisen der Mitwirkenden basieren. Die Lebensgeschichte der Projektteil­ nehmer [oder ein bestimmter Moment daraus] rückt in diesen Entwicklungen inhaltlich und konzeptionell ins Zentrum der prozesshaften Arbeit. Die Mitwirkenden spielen keine Figuren, sondern stehen innerhalb des Kunstrahmens des Theaters als die Spezialisten ihres eigenen Lebens auf der Bühne. Diese sogenannten „Experten des Alltags“ [Rimini Protokoll] haben inzwischen viele professionelle Erfolge gefeiert. Am Staatsschauspiel Dresden wurde im Jahr 2009 die erste Bürgerbühne gegründet, strukturell fest verankert, mit eigenem Etat und Produktionen, die regulär im Spielplan laufen. Das Modell wurde 2012 vom Nationaltheater Mannheim übernommen. Bislang sind es vor allem die verschiedenen Formen des oben umrissenen biographischen Theaters, die faszinieren, weil sie mit Material und Spielern das ­„ Authentische“ ins Theater bringen – und damit offensichtlich den „reality“-Nerv unserer Gesellschaft treffen. Während es auch im Bereich des Tanzes zahlreiche Beispiele gibt, bei denen Bürger sich jenseits austrainierter Virtuosität künstlerisch entfalten und damit ein breites Publikum erreichen konnten, tut sich die Oper schwer. Zwar gibt es unterschiedliche Versuche, Bürger in das Musiktheater zu integrieren, aber meistens kommt dabei die Auseinandersetzung mit Musik zu kurz. Die Vorstellung von laienhaftem Musizieren kollidiert wohl zu sehr mit den Ansprüchen an technische, in jahrelangem Üben gelernte Fertigkeiten im instrumentalen Spiel und Kunstgesang, zu wichtig erscheinen Künstlern und Publikum stupende Virtuosität und Makellosigkeit in der Ausführung. „Authentizität“, die Erfolgsformel des Schauspiels, ist beim Musiktheater nicht die Kategorie, die im Fokus des Interesses steht. Musik und Gesang sind eine grundlegende Umformung und Verfremdung des „Authentischen“, das echte Leben tritt im Musiktheater immer in einer vollständigen künstlerischen Übersetzung zu Tage. Was also tun? ­Partizipation überall – nur nicht im Musiktheater?

© privat

Partizipation im Musiktheater

Anselm Dalferth

Anselm Dalferth arbeitet als Regisseur, ­Dramaturg, Musiker und musikalischer Leiter. Er studierte Violine, Germanistik und Schul­musik in Dresden, Freiburg und Paris, ab­solvierte eine Grundausbildung in der Atem- und Bewegungslehre Psychotonik und ein Aufbaustudium in Théâtre musical / Experimentelles Musiktheater in Bern. Er war an zahlreichen Uraufführungen und Stück­ entwicklungen beteiligt. Engagements führten ihn unter anderem an das Stadttheater Freiburg, das Theater Münster und zum Ensemble Modern Frankfurt. In der Spielzeit 2009 / 2010 wurde er fest ans Nationaltheater Mannheim engagiert. Seine dort entstandene Inszenierung von Mauricio Kagels DER MÜNDLICHE VERRAT wurde mit dem Studiopreis der Götz Friedrich-Stiftung für „die beste experimentelle Inszenierung 2013“ ausgezeichnet.


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von Einzelklängen werden Klangflächen und musikalische Spannungsverläufe erfunden, das gemeinsame Musizieren erfolgt ohne Noten in einem engen Kontakt der Mitwirkenden untereinander, der sich in einem intensiven Gesamteindruck widerspiegelt. Profis erleben in dieser Vision ungewohnte und befruchtende künstlerische Prozesse: Anstatt sich auf bekannte Abläufe des Opernbetriebs verlassen zu können und sich an eingeübten Hörgewohnheiten zu orientieren, geht es plötzlich darum, auf Ungewohntes zu reagieren. Diese Impulse erfordern einen innovativen und kreativen Umgang mit Musik. Die gemeinsame Suche mit den Bürgern nach neuen Klangmöglichkeiten gleicht einer Entdeckungsreise und öffnet die Ohren, auch für Musik anderer Kulturen, für andere Rhythmen und Melodien, die die Bürger mitbringen. Das über Jahre antrainierte Spezialistendasein weicht einer experimentellen Herangehensweise an Musiktheater, die im normalen Opernbetrieb nicht gefordert und gefördert wird, die aber Wachheit und Lebendigkeit hervorruft und für künstlerische Arbeit charakteristisch ist. Der Veränderungszwang, der dadurch entsteht, dass man mit Menschen zusammenarbeitet, die über keine Routine verfügen, fordert auch den Profis ab, Unsicherheit und Verletzlichkeit auszuhalten [ein Ziel, dem zahlreiche zeitgenössische Komponisten dadurch näher zu kommen hoffen, dass sie Stücke komponieren, die die Interpreten bewusst überfordern]. Nicht zuletzt haben die Proben einen entscheidenden Einfluss auf die Art und Weise des Komponierens. Für den grundlegenden schöpferischen Akt im Musiktheater kann die Arbeit im Bürgerklangmusiktheater eigentlich nur bedeuten: Dabei sein. Raus aus dem Kämmerlein und sich auseinandersetzen mit den Menschen und ihren jeweiligen Fähigkeiten. Statt daheim am Schreibtisch für Musiker mit definierten Möglichkeiten zu komponieren, können hier nur Klänge für die spezifischen Teilnehmer eines bestimmten Projekts erfunden werden. Wenn dieser ideale Entstehungsprozess schließlich in einer Aufführung mündet, profitiert das Publikum, denn es bekommt ein Musiktheater geboten, das aufregend anders ist: Bekannte Alltagshandlungen und einzelne Töne werden durch den Rahmen der öffentlichen Inszenierung in einer Weise überhöht und abstrahiert, dass sie in einem völlig neuen Licht erscheinen. Die ehrliche Begeisterung der Spieler für ihr Tun wirkt anstiftend und die Klangwelt beeindruckt, denn es erklingen Klänge, die in einem Opernhaus sonst nicht zu hören sind und von denen gar nicht bewusst war, dass sie auch Musik sein können. Szenische Aktionen ereignen sich, die im Opernbetrieb normalerweise nicht auf der Bühne passieren, weil es im Repertoirebetrieb keinen Platz für sie gibt oder weil sie aus tarifvertraglichen oder institutionellen Gründen nicht durchsetzbar sind. Auch der gemeinsame Prozess, auf den sich die Spieler eingelassen haben, obwohl manche von ihnen keine Noten lesen können, geschweige denn ein Instrument beherrsch[t]en, wird vom Publikum als eine Qualität wahrgenommen. Zukünftig wird sicher nicht jeder Abonnent auf BohEme und Co verzichten wollen, aber das muss er glücklicher­ weise auch nicht, denn an einem anderen Abend steht mit Sicherheit wieder La traviata auf dem Programm. Bleibt die Frage, worunter das Bürgerklangmusiktheater jetzt ­eigentlich läuft. Ist das ein Marketing-Coup der Theater, um neues Publikum zu gewinnen? Oder Musikvermittlung? Oder sogar Kunst?

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Die Zweifel am Sinn partizipativer Formate sind zwar berechtigt, aber auch kurzsichtig und gesteuert von einem eindimensionalen Denken darüber, was Musiktheater ist und was nicht. Natürlich werden sich bei einem Casting keine Carmen und kein Siegfried finden lassen und auch die Position des Konzertmeisters lässt sich beim nächsten Projekt nicht mit einem der engagierten Bürger besetzen. Doch die Konsequenz aus diesem Dilemma muss keine Absage an die Partizipation bedeuten, sondern kann den Blick auch weiten: Auf Klänge und Darstellungsformen jenseits des gängigen Opernrepertoires. Auf Arbeitsweisen, die eine kreative Beteiligung aller Mitwirkenden und kollektive Entscheidungsprozesse favorisieren, weil sie neue künstlerische Möglichkeiten schaffen. Auf neue Stoffe und Kompositionen, bei denen das Werk nicht mehr von der Interpretation zu trennen ist. Auf den Reichtum an musiktheatralen Positionen und Versuchen der letzten fünfzig Jahre, die sich auf den Spielplänen der Institutionen viel zu selten finden. Und auf Visionen partizipativer Formate – zum Beispiel die eines Klangmusiktheaters, das von Bürgern ohne nennenswerte musikalische Vorkenntnisse zusammen mit Profis des ­Musiktheaterbetriebs entwickelt und selbst aufgeführt wird, bei dem sich die Grenzen zwischen den Genres und Disziplinen verflüssigen, wie man es häufig im Freien Musiktheater erlebt und bei dem sich der intensive Probenprozess – das Suchen, Ausprobieren und Verändern – als eine künstlerische Qualität niederschlägt. Diese strahlende Vision eines Bürgerklangmusiktheaters mag sehr optimistisch anmuten, aber sie kann Realität werden, wenn man sich mit den offenen und vielfältigen Suchbewegungen des Musiktheaters vertraut macht. Denn in einen möglichen Probenprozess mit Bürgern können zahlreiche Denkansätze und Qualitäten aus diesem Spektrum an Möglichkeiten übernommen werden, die vor allem den Umgang mit Musik betreffen, der dann im Zentrum der partizipativen Arbeit steht. Das spielerische Ausprobieren von Klängen und Geräuschen und ihre Organisation wird in einem solchen Prozess als Möglichkeit des künstlerischen Ausdrucks ernst genommen. Verschiedenste Materialien stehen als Instrumente zur Verfügung – Alltagsgegenstände ebenso wie herkömmliches John Cage Instrumentarium oder der Gebrauch der Stimme in all ihren Facetten. Die Mitwirkenden sind zugleich Musiker, Darsteller und Sänger und sie lassen die Grenzen der Ausdrucksbereiche verschwimmen: Die Erzeugung eines Klangs wird zur szenischen Aktion oder eine Bewegung zu Musik. Dem Hören wird in der Probenarbeit besondere Aufmerksamkeit zuteil – und zwar gleich dreifach: Zunächst muss eine Klangvorstellung entwickelt werden [Voraus-Hören], dann gilt es eine Aktion auszuführen [Hin-Hören] und nach der Aktion muss man den tatsächlichen Klang mit der Vorstellung abgleichen [Nach-Hören] und gegebenenfalls die Ausführung verändern. Dieser Vorgang des Übens schärft die bewusste hörende Wahrnehmung ungemein und man muss dafür nicht Fagott oder Harfe beherrschen – ein sanfter Schlag mit dem Löffel gegen ein Glas oder das kontrollierte Schütteln eines Donnerblechs erfordern ­dieselbe konzentrierte Aufmerksamkeit auf den Klang. Darüber hinaus kann man beobachten, dass die Konzentration auf das Hören und der Vorgang der Klangerzeugung dem Klangerzeuger [Musiker] eine besondere Haltung und Körperspannung verschafft, die szenisch spannend ist und die man weiterentwickeln kann. In der Kombination

LEITARTIKEL

You must not call it music if this expression hurts you.


Premiere

GilgamesH Must 17. März die! 2014

Konzerttheater mit der Band „The b ­ ianca Story“ sowie Berliner Kindern und Jugendlichen Musik von Fabian Chiquet, Victor Moser, Elia Rediger Regie Daniel Pfluger Bühne Flurin Borg Madsen Kostüme Janine Werthmann Dramaturgie Jörg Königsdorf Mit Natalina Muggli, Christina Sidak und Berliner Kindern und Jugendlichen Akarsan Arudchelvan, Marlon Batiste, Johanna Becker, Maduss Diane, Samantha Friedrich, Francesco Grothe, Sidney Hahn, Jeele Geróm Johannsen, Leonie Kolhoff, Mareike Matz, Julia Niemann, Max Schirrmacher, Lilith Schollmeyer, Emmi Malu von Ploetz, Liam Wustrack, Jonas Ziehfreund The bianca Story Fabian Chiquet, Lorenz Hunziker, Joel Fonsegrive, Elia Rediger, Victor Moser, Anna Waibel Premiere 17. März 2014 Weitere Vorstellungen 20., 21., 22., 25. März 2014


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Was zählt eigentlich im Leben? Was kommt nach dem Tod? Schon das Gilgamesch-Epos stellte vor über 3000 Jahren Fragen, die bis heute nichts von ihrer Dringlichkeit verloren haben. In GILGAMESH MUST DIE! ist die Geschichte von Gilgamesch, der nach dem Tod seines b ­ esten Freundes Enkidu radikal sein Leben ändert, der Ausgangspunkt für ein gemeinsames Projekt der Deutschen Oper Berlin mit der Schweizer Band „The bianca S ­ tory“, dem Regisseur Daniel Pfluger sowie 16 Berliner Kindern und Jugendlichen. Wir haben drei Mitglieder des Teams – den Musiker Victor Moser und die Jugendlichen Jeele Geróm Johannsen und Leonie Kolhoff – gefragt, was sie über Tod, Unsterblichkeit und Freundschaft denken.

Auf leben und tod

Die Porträts von Jeele Geróm Johannsen, Leonie Kolhoff und Victor Moser stammen von Torben Geeck.

Im Gilgamesch-Epos spielt die Beziehung zwischen Menschen und Göttern eine große Rolle. Bist Du selbst auch religiös? Ich bin zwar freichristlich getauft, würde mich aber als Atheist bezeichnen. Bei uns zuhaus hat Religion auch weiter keine Rolle gespielt; meine Eltern haben uns nicht bedrängt, abgesehen von einem kurzen Tisch­ gebet im Rudolf-Steiner-Stil. Ich glaube aber schon, dass es da irgendwo eine Macht gibt und dass Gilgamesch Teil am ewigen Leben hat, weil er ja auch etwas von einem Gott hat. Es gibt für mich keinen Gott, so wie er in der Bibel steht und wie ihn die meisten Religionen darstellen. Glaubst Du an ein Leben nach dem Tod? Ich habe da schöne Ideen, an die ich gerne glauben würde. Aber ich bin wohl doch eher ein materieller Typ. Ich betrauere nicht die Leute, die sterben, und glaube nicht, dass man in die Hölle kommt. Hast Du schon einmal erlebt, dass jemand gestorben ist, dem Du emotional nahe standest? Ja, meine Uroma. Eine sehr tolle Dame war das, die hat sehr intensiv gelebt und konnte stolz auf alles sein, was sie erlebt hat. Als sie gestorben ist, hat mich das mitgenommen. Aber ich glaube, ich gehe damit auf eine eher ungesunde Art um, indem ich viel verdränge. Ich hätte gerne eine Religion, um eine Grundregel und einen Halt zu haben. Um sagen zu können: Derjenige ist im Himmel, da hat er es gut. Dann könnte ich damit abschließen und weiß, wo derjenige ist. Das hilft sicher. Stellst du Dir manchmal vor, wie die Menschen wohl reagieren ­werden, wenn Du tot bist? Das tut doch jeder, oder? Man sollte das allerdings nicht machen, wenn man depressiv drauf ist. Dann schmilzt der Kreis von Leuten, von denen man glaubt, dass sie einem nachtrauern würden, nämlich ziemlich zusammen. In Gilgamesh geht es auch um Freundschaft. Hast Du eigentlich so etwas wie einen besten Freund, dem Du völlig vertraust? Ich hatte mal eine richtig gute Freundin, aber dann sind wir nach Berlin gezogen, und das hat sich verflüchtigt. So einen richtig guten Freund zu haben, das geht nicht so einfach. Aber natürlich wünsche ich mir das.

GILGAMESH MUST DIE!

Jeele Geróm Johannsen


Im Gilgamesch-Epos spielt die Beziehung zwischen Menschen und Göttern eine große Rolle. Bist Du selbst auch religiös? Ja. Ich bin mit christlicher Religion aufgewachsen und glaube auch daran. Ich bin Katholikin. Und auch wenn ich es nicht so oft in die Kirche schaffe, weil die katholischen Messen nun mal etwas länger dauern, bete ich täglich, das gehört bei mir einfach dazu. Ich glaube auch, dass ein Gebet etwas beeinflussen kann. Auch wenn es nur darum geht, dass Gott einem beim Abi helfen soll. Wie möchtest Du am liebsten in Erinnerung bleiben? Für mich hängt die Frage, wie man in Erinnerung bleiben will, sehr stark damit zusammen, was man für andere bedeutet. Wenn man jemanden stark liebt, möchte man jeden Tag an ihn denken, auch wenn er gestorben ist. So wird dieser Mensch ein Teil von einem selbst. Hast Du schon einmal erlebt, dass jemand gestorben ist, dem Du emotional nahe standest? Vor kurzem ist meine Tante gestorben und ich habe das Gefühl, dass sie noch immer da ist, dass sie bei uns ist, obwohl ihr Körper tot ist. Es fällt mir schwer, das überhaupt zu realisieren, dass jemand, mit dem man so eine enge Beziehung hatte, auf einmal nicht mehr da sein soll. Und meine Tante hat sehr intensiv gelebt und war sehr lebensfroh. Glaubst Du an ein Leben nach dem Tod? Als meine Oma gestorben ist, habe ich mir vorgestellt, dass sie von oben herabschaut. Jetzt ist es eher so, dass ich das Gefühl habe, sie ist bei mir und begleitet mich bei dem, was ich tue. In Gilgamesh geht es auch um Freundschaft. Hast Du eigentlich so etwas wie einen besten Freund, dem Du völlig vertraust? Ich habe eine richtig gute Freundin, die ich auch schon 15 Jahre kenne. Wir sehen uns zwar nicht so oft, aber das ist ein Mensch, bei dem ich das Gefühl habe: Dem kannst du alles sagen und brauchst keine Scheu zu haben.

© Gregor Braendli

Leonie Kolhoff

Die Basler Formation The bianca Story gehört zu den bekanntesten Popbands der Schweiz und hat sich mit ihren bislang drei Alben und regelmäßigen Konzertauftritten auch in Deutschland einen Namen gemacht. Das zweite Album, Coming Home, wurde in den Londoner Abbey Road Studios eingespielt und erschien im Januar 2012. Im Jahr 2013 starteten sie ihr Crowdfunding-Projekt „Bist du Kumpel?“, bei dem sie über 90.000 Euro sammelten, um ihr neustes Studioalbum DIGGER gratis veröffentlichen zu können. Ein besonderer Schwerpunkt der künstlerischen Arbeit von „The bianca Story“ liegt darin, die herkömmliche Konzertsituation mit szenischen Elementen zu einer Art Konzerttheater zu verbinden. Zuletzt kreierten sie in Zusammenarbeit mit dem Regisseur Daniel Pfluger die Produktion „M &the Acid Monks“ nach E.T.A. Hoffmann, die im März 2012 als Gastspiel auch an der Deutschen Oper Berlin gezeigt wurde.


9 8 Im Gilgamesch-Epos spielt die Beziehung zwischen Menschen und Göttern eine große Rolle. Bist Du selbst auch religiös? Mittlerweile spielt Religion in meinem Leben keine Rolle mehr. Ich bin zwar in einer christlichen Tradition aufgewachsen und habe als Kind die Geschichten aus der Bibel vorgelesen bekommen, aber inzwischen bin ich konfessionslos. Ich habe zwar ein Interesse an Religionen, aber vor allem im gesellschaftlichen und kulturgeschichtlichen Sinn: daran, wie sie funktionieren und das Leben der Menschen regulieren. Also eher am kirchlichen Aspekt. Glaubst Du denn, dass es nach Deinem Tod mit Dir irgendwie weitergeht? Nein, tut mir leid: Ich glaube, dass mit dem Tod alles vorbei ist. Ende, aus. Wie möchtest Du in Erinnerung bleiben? Ich habe nicht den Anspruch, unsterblich zu werden. Wenn ich mein Ego pushen wollte, müsste ich mein Leben völlig anders gestalten. Mir ist Freundschaft wichtiger: Gemeinsam etwas zu wagen, an einem Projekt zu arbeiten und dabei Beziehungen zu anderen zu entwickeln. So wie jetzt bei Gilgamesh must die! Zwischen den Helden Gilgamesch und Enkidu kracht es ja erstmal, bevor die beiden Freunde werden. Entwickeln sich Freundschaften so? Klar kann das sein. Fabian aus der Band und ich sind zum Beispiel in der gleichen Straße aufgewachsen und hatten lange eigentlich nichts miteinander zu tun. Er war der Superfußballer und ich eher so ein Nerd, der sich hauptsächlich für Baustellen interessierte. Das war zwar kein Konflikt, aber wir lebten in zwei verschiedenen Welten. Und die Freundschaft kam dann erst mit der Musik. Hast Du einen besten Freund, dem Du rückhaltlos vertraust? Mein bester Freund ist meine Freundin. Wir sind schon zwölf Jahre zusammen zur Schule gegangen und seitdem auch ein Paar.

Daniel Pfluger wuchs in Mannheim auf und studierte Regie an der Zürcher Hochschule der Künste. Innerhalb der Ausbildung erar­ beitete er „Unvollkommen“, ein Bewegungs­ theater nach den Metamorphosen von Ovid, das mehrfach beim Schauspielschultreffen 2008 in Rostock ausgezeichnet wurde und das „Körber Studio Junge Regie“ 2009 gewann. Er inszenierte u. a. IL BAJAZET von ­Vivaldi beim „Winter in Schwetzingen“, „Früh­lings Erwachen“ am Staatstheater Schwerin, „M & The Acid Monks“ nach E.T.A. Hoffmann an der Kaserne Basel, „Strawinsky: Animated“ nach DIE GESCHICHTE VOM SOLDATEN für das Podium Festival Esslingen und „Ein Sommernachtstraum“ von Shakespeare am Badischen Staatstheater Karlsruhe. Er ist u. a. Stipendiat der Akademie Musiktheater Heute. In der Tischlerei der Deutschen Oper Berlin inzenierte Daniel Pfluger in der Saison 2012 / 2013 bereits die Uraufführung der Kinderoper OH, WIE SCHÖN IST PANAMA von Lin Wang.

GILGAMESH MUST DIE!

© privat

Victor Moser


Premiere

DAS 11. Juni GROSSE BUH 2014

Das GroSSe Buh Protesten auf der Spur: Ein Soundwalk Auftragswerk der Deutschen Oper Berlin Inszenierung Dorothea Schroeder Dramaturgie Anne Oppermann Sounddesign Studierende des Master­ studiengang Sound Studies der UdK Berlin unter Leitung von Prof. Hans Peter Kuhn Termine Premiere am 11. Juni 2014 Weitere Soundwalks am 12., 13., 14., 15. und 16. Juni 2014, jeweils 19.00


Die Macht des Protests

Anne Oppermann ist seit der Spielzeit 2012 / 2013 an der Deutschen Oper Berlin ­engagiert und begleitet als Dramaturgin den Soundwalk DAS GROSSE BUH.

11 Eisiger Wind pfeift durch die Richard-Wagner-Straße. Wie um sich zu wärmen, drängt sich eine kleine Gruppe über den Abluftschächten der Deutschen Oper Berlin zusammen. Aber nicht Wärme wird hier gesucht, sondern Klang. Die Rohre führen direkt in das Herz des Opernhauses, den Zuschauerraum. Kann man hier am warmen Luftzug spüren, ob drinnen eine Saalschlacht tobt? Muss die Klimaanlage mehr arbeiten, wenn die Emotionen hochkochen? Und dringt etwas von der Musik, dem Applaus, dem Buh nach außen? Und die wichtigste Frage: Wie könnte man diesen eigentlich so profanen Ort theatral lebendig werden lassen? Gemeinsam mit Studenten des Masterstudiengangs Sound Studies der Universität der Künste Berlin erkundet die Regisseurin Dorothea Schroeder die Deutsche Oper Berlin und ihre Umgebung. Seit Monaten schon beschäftigen sie sich mit der Historie der Oper. Das Pressearchiv wurde durchstöbert, Mitschnitte gesichtet und langjährige Besucher und Mitarbeiter des Hauses befragt. Dabei ging es um alle denkbaren Formen des Protests, die in und um die Oper herum ihren Ausdruck fanden. Eher zufällig stand die Deutsche Oper Berlin immer wieder im Mittelpunkt zeitgeschicht­ licher Umbrüche – von ihrer Wiedereröffnung, die durch den Mauerbau zu einem politischen Statement wurde, bis hin zu Benno Ohnesorgs gewaltsamen Tod und seinen weit­ reichenden Folgen. In diesen kalten Dezembertagen wirkt die Oper wie eine Trutzburg, zuverlässig schirmt die Waschbetonfassade die Besucher vom Baustellen- und Autolärm ab. Die Außenwelt verschwindet, wenn man die Oper betritt. Drinnen gilt’s nur der Kunst; so hat der Architekt es gewollt. Das Gebäude versucht, sich der Repräsentation zu verweigern; die Repräsentanten kamen trotzdem. Und die abgeschottete Anlage schirmt die Besucher vom Außen ab. Der Schah von Persien dürfte am 2. Juni 1967 DIE ZAUBERFLÖTE ungestört vom Lärm der Proteste genossen haben – während der Auf­führung wurde der Student Benno Ohnesorg unweit der Deutschen Oper Berlin erschossen. Von der 68er-Bewegung über die RAF und den Deutschen Herbst bis zur Gründung der Grünen reichen die Folgen dieser Tat in der Krumme Straße. Auch die Teilnehmer des IWF im Jahr 1988 konnten in Ruhe DIE ZAUBERFLÖTE verfolgen, geschützt durch Polizisten vor den „IWF – Mördertreff!“ skandierenden Demonstranten. Durch die seitliche Glassfassade konnte man, so man denn wollte, einen sicheren Blick auf die aufgebrachte Menge werfen. Bilder solcher Demonstrationen erscheinen heute wie aus einem anderen Land vor langer Zeit. Gespräche mit ehemaligen Aktivisten und Protest-Forschern bringen für die junge, international zusammengesetzte Sound Studies-­ Studentengruppe diese Momente wieder zum Leben. Keiner der Studenten ist überzeugter Demonstrant. Zu uneindeutig ist die Welt geworden, zu schwierig, in Schwarz und Weiß zu unterteilen. Oder ist der Glaube an die Veränderbarkeit der Verhältnisse abhanden gekommen? Oder muss es ihn privat betreffen, damit der heutige Mensch zum Wutbürger ­mutiert? Wo sind die damaligen Demonstranten heute? ­Sitzen jene, die sich 1967 mit der Polizei prügelten, heute im Parkett, wie die FAZ 2006 vermutete? Draußen vor der Oper also brüllende Autonome – drinnen hehre Stille? Keineswegs! Einzigartig vehemente Proteste finden auch in der Oper statt. Der Name des Soundwalks verrät schon, dass politische Kundgebungen nur ein Teil­ aspekt des Protests sind, mit denen sich das Team für die

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Anne Oppermann

DAS GROSSE BUH

Der Soundwalk: Man geht auf die Straße! Das Publikum erwandert mit Kopfhörern eine vorgegebene R ­ oute. V ­ irtuelle Stimmen, Musik und Sounds aus den Audio-Geräten vermischen sich mit realen ­Geräuschen und visuellen Eindrücken der Umgebung und kreieren ein neues Theater zwischen Wirklichkeit und Fiktion, Historie und Gegenwart. Auf der Suche nach unterschiedlichen Formen des Protests, die die Deutsche Oper Berlin p ­ rägten und bis heute bewegen, erobert der Soundwalk nicht nur räumlich, sondern auch inhaltlich das Gebäude und seine Umgebung.


Kamil Sobolewski fotografierte einen Workshop des Studiengangs Sound Studies.

Sound Studies befassen sich mit der modernen auditiven Kultur, einer allgegenwärtigen, doch gerne unterschätzten und vernachlässigten Dimension der modernen Wirklichkeit. Der weiterbildende Masterstudiengang Sound Studies ist ein kombinierter Studiengang, in dem die Studierenden theoretisch-wissenschaftliche und/oder künstlerisch-gestaltende Schwerpunkte wählen können. Nachdem in der Saison 2012 / 2013 die Deutsche Oper Berlin dem Studiengang die Tischlerei für eine Klanginstallation zur Verfügung gestellt hatte, kommt es nun zu einer ersten auch konzeptionell gemeinsamen Arbeit.

Vorbereitung von DAS GROSSE BUH auseinandergesetzt hat. Von Wutgeheul, Buhorkanen und allgemeinen Gebrüll berichten Premierenkritiken und dies mitnichten erst in jüngerer Zeit. Im Gegenteil: „Früher war mehr Buh!“ meint – in Anlehnung an Loriot – Dramaturg Curt A. Roesler, der der Deutschen Oper Berlin schon langjährig verbunden ist. Legendär sind die „Wir wollen Lohengrin“-Sprechchöre, von denen 1956 die Uraufführung von Hans Werner Henzes KÖNIG HIRSCH begleitet wurde. Gegner zeitgenössischer Musik vereinigten sich in ihrer Ablehnung des Stücks mit jungen Berlinern, für die Henze damit die Avantgarde verraten hatte. Und wer kann sich heute angesichts des stets ausverkaufen RING DES NIBELUNGEN von Götz Friedrich vorstellen, dass die Premiere der WALKÜRE 1984 fast wegen heftiger Proteste abgebrochen werden musste? Dabei ist das Buhen keineswegs unumstritten. Die Meinungen gehen weit darüber auseinander, ob es eine respekt­ lose Form der Missfallensbekundung oder eine gewünschte Partizipation des Publikums ist. „Das Buhen hat sich eingebürgert und hat sein Recht im Theaterbetrieb erzwungen; aber manche Male hat man den Eindruck, dass damit nichts weiter als fröhlicher Unfug getrieben wird“, schrieb die B ­ erliner Rundschau 1978. Das Buh wird somit zu einer ­konventionellen, gewohnheitsmäßigen Protestform. Und reicht daher manchmal nicht mehr aus, es musste lauter werden: Trillerpfeifen und Hausschlüssel, auf denen man pfeifen konnte, waren früher häufig dabei. Ein verloren gegangener Klang. Und auch verbal ist das Buh steigerbar: „Scheiße, ­Affentheater, Irrenhaus, Gotteslästerung“ hörte man laut Spiegel bei der Premiere von Hans Neuenfels’ DIE MACHT DES SCHICKSALS. Doch als eindrücklichster Protest erschien den meisten Befragten das Verhalten des


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Publikums bei der Premiere von PIQUE DAME 1978. Ruhig wie in einem Leichenhaus sei es gewesen und innerhalb ­kürzester Zeit war der Zuschauerraum leer. So zeigt sich, was in einer immer lauter werdenden Zeit manchmal der fühlbarste Protest ist: Stille. Außerhalb von Opernhäusern ist das Buh in der Kunst kaum anzutreffen, zumindest nicht in dieser heftigen Emotionalität. Hängt das mit der Wirkung der Musik zusammen? Auch das eine Frage, der die Sound Studies Studierenden nach­gehen: Wie verändern sich die Herztöne von Opern­ besuchern während der Vorstellung? So entsteht Material für eine Herzschlagkomposition. Der Ort und seine Geschichte bilden zwar den Ausgangspunkt, trotzdem wird der Soundwalk keine Abhandlung über die Historie der Deutschen Oper Berlin, sondern eine künstlerische Auseinandersetzung mit dem Phänomen Protest, die durchaus Gegenwart und Zukunft mit einschließt. „Was war an diesem Ort und was könnte da jetzt sein?“ fragt sich Dorothea Schroeder. „Natürlich geht es um die Gesellschaftsrelevanz von Protest und von Kunst – aber in einer leichten Form. Im Archiv haben wir absurd lustige Funde gemacht. Und diesen Spaß, den wir bei der Recherche hatten, möchte ich mit dem Publikum teilen.“ Die Tour um die Oper hat viele, leicht übersehbare Orte in die Wahrnehmung gerückt. Welche davon genutzt werden, ist offen. Eins steht aber schon fest: Die Teilnehmer des Soundwalks werden das Haus, seine Geschichte und auf jeden Fall den Klang anders wahrnehmen als vorher.

Dorothea Schroeder arbeitet nach einem Regiestudium in München als freie Regisseurin im Schauspiel und Musiktheater unter anderem in Hannover, Mannheim, Düsseldorf, St. Gallen, Heidelberg, Jena und Belgrad. Im Frühjahr 2003 absolvierte sie ein Gaststudium am Theaterinstitut GITIS in Moskau. Dorothea Schroeder realisiert regelmäßig soziokulturelle Stadtprojekte.


Loveaffairs Uraufführung 20. Juni 2014

LoveAffairs Liebesszenarien mit Musik von Birke ­Jasmin Bertelsmeier und Dariusz Przybylski Auftragswerke der Deutschen Oper Berlin und der Deutsche Bank Stiftung Musikalische Leitung Martin Nagashima Toft Bühne Lars Unger Kostüme Belén Montoliú García Kinderchor Christian Lindhorst Produktionsleitung Nele Kathlen Tippelmann 1. Die Nachtigall und die Rose Libretto Nina Dudek, Birke Jasmin Bertelsmeier Musik Birke Jasmin Bertelsmeier Regie Nina Dudek Dramaturgie Curt A. Roesler Mit Gideon Poppe, Ronnita Miller, Katarina Bradić, Dana Beth Miller, Jörg Schörner 2. Musical-Land Libretto Amy Stebbins, Felix Seiler Musik Dariusz Przybylski Regie Felix Seiler Dramaturgie Amy Stebbins Mit Dana Beth Miller, Alexandra Hutton, ­Christina Sidak, Jörg Schörner 3. Querelle Libretto Katinka Deecke Musik Birke Jasmin Bertelsmeier Regie Tilman Hecker Dramaturgie Katinka Deecke Mit Ronnita Miller, Alexandra Hutton, Christina Sidak, Katarina Bradić, Dana Beth Miller 4. Fall Libretto Margo Zālīte Musik Dariusz Przybylski Regie Margo Zālīte Dramaturgie Curt A. Roesler Mit Martina Welschenbach, Jörg Schörner Uraufführung 20. Juni 2014, 20.00 Uhr, Tischlerei Weitere Vorstellungen 21., 24., 25., 26., 27. Juni 2014, jeweils 20.00 Uhr Ein Kooperationsprojekt der Deutschen Oper Berlin und der Deutsche Bank Stiftung

Die Liebe als Klischee, die Liebe in der Fantasie, die Liebe als Zufallsprodukt: Um das ältes­ te aller Opernthemen gruppiert sich dieser experimentelle Abend, bei dem die ge­samte ­Tischlerei zur Bühne wird. Die dafür entwickelten Ideen reichen vom intimen Monolog bis zur Multimedia-Performance mit Simultan-Szenen auf zwei Leinwänden. Zwölf junge ­ Theatermacher konzipieren diese LOVEAFFAIRS, allesamt sind sie Stipendiaten der ­„ Akademie Musiktheater heute“ der Deutsche Bank Stiftung: Komponisten, Regisseure, Dramaturgen, Dirigenten, Bühnenbildner und Kulturmanager.


R: Herr Münch, was ist Kunst? M: Kunst, oder auch Kultur ist das, was über die Dinge hinausgeht, die uns permanent und andauernd fordern und beschäftigen. Kunst ist das, was eine Gesellschaft zusammenhält, was eine Gesellschaft stark macht, kreativ macht und uns allen auch einen geistigen Mehrwert schafft. R: Eine sehr schöne Definition von Kunst. – Stimmt dem der Künstler zu? Ist Kunst etwas Zusätzliches? Ist Kunst nicht etwas, was wir wirklich brauchen? H: Etwas Zusätzliches ist es für mich nicht, für mich ist Kunst eine Sprache. Eine Sprache, in der wir uns mit der Umwelt, der Gesellschaft, mit der Welt unterhalten. Kunst ist eine erweiterte Kommunikationsform. R: Ich muss genauer nachhaken: Es hörte sich fast so an, als wäre Kunst etwas, worauf man auch verzichten könnte. H: Das kann man nicht, nein. M: Definitiv nicht. Wir alle brauchen Kunst – jedes Individuum braucht Kunst. R: Sie sagen also beide, Kunst ist unverzichtbar. Also kommt die Frage: Wie finanziert man Kunst und wie soll sie finanziert werden? M: Kunst muss von allen finanziert und idealer Weise auch gewollt werden. Es gibt einen breiten Konsens darüber, dass die Grundversorgung für Kultur durch staatliche Mittel sichergestellt werden muss. Aber auch Private sind aufgefordert, ihren Beitrag zu leisten. Allerdings nicht in der Vehemenz wie in Amerika, wo vorwiegend die rein private Förderung von Kultur praktiziert wird. H: Beides hat Vor- und Nachteile. Die subventionierte Kunst läuft Gefahr, bequem zu werden. Im Gegensatz zu der Kunst, die sich ihren Platz ­erkämpfen muss. M: Gibt es denn nicht-subventionierte Kunst, die sich selbst trägt? H: In anderen Formen vielleicht. Die Oper ist eine der aufwändigsten Kunstformen. Ein Schriftsteller kann, sehr lapidar gesagt, irgendeinen Brotjob haben und trotzdem schreiben. Ähnlich wie in der Malerei, der Fotografie. Doch eine Oper aufzuführen, involviert bereits eine Vielzahl von Menschen, die davon leben müssen. R: Film kann sich finanzieren … M: Ja, der bekannte Maler kann davon leben, dass er seine Malerei verkauft. Aber bis er dahin kommt, braucht er Ausstellungsförderungen oder Stipendien. Die arrivierte Kunst hat es leichter, sich zu finanzieren, aber der Start ist meines Erachtens ohne Drittmittel schwer zu stemmen. R: Für wen ist die Kunst, von der wir sprechen? Herr Münch, Sie haben vorhin gesagt, Kunst ist für alle. Herr Hecker, sagt das auch der Künstler? H: Kunst kann kein Monolog sein, jedenfalls nicht für mich. Sie ist eine Sprache, die ein Gegenüber hat. Das können alle sein, das kann aber auch eine ganz spezifische Person sein. Es gibt Kunst, die nicht für alle gemacht ist. M: Es sollte allen möglich sein, daran teilzuhaben. Dass nicht jede Kunst alle erreicht ist klar, aber es sollte niemand durch Eintrittspreise oder andere Zugangsbarrieren grundsätzlich ausgeschlossen sein. R: Kommen wir zum Auftraggeber. Der ist ja nicht direkt das ­Publikum, das angesprochen werden soll. Sondern der Staat, die Stiftung. Wie nimmt der Auftraggeber durch den Auftrag, den er gibt, Einfluss auf die Kunst? H: Idealerweise nimmt er den nicht, weil wir ein freies Kunstwerk schaffen wollen. M: Der Auftraggeber hat keinen Einfluss zu nehmen! H: Da gibt es viele Gegenbeispiele in der Geschichte … M: Ich spreche jetzt für unser Haus. Wenn wir im Rahmen unseres Stipendiatenprogramms „Akademie Musiktheater heute“ Projekte wie LOVE­ AFFAIRS unterstützen, dann werden Sie nicht erleben, dass wir die Inszenierung bestimmen. Wir lassen den Stipendiaten künstlerischen Freiraum.

15 14 LOVEAFFAIRS

Es kommt darauf an, wie man Experiment definiert

Anlässlich der Uraufführung LoveAffairs des Stipendienprogramms „Akademie Musiktheater heute“ [AMH] der Deutsche Bank Stiftung trafen sich Dramaturg Curt A. Roesler [R], ­Michael Münch [M], Vorstand der Deutsche Bank Stiftung, und Tilman ­Hecker [H], Stipendiat 2011 – 2013 der AMH zum Gespräch. Dabei stellte sich heraus, dass nicht nur der Dramaturg Fragen hatte.


H: Freiraum in gewissen Grenzen. Wir könnten uns nicht alles erlauben. M: Was meinen Sie mit „alles“? H: Wenn jetzt zum Beispiel ein sehr bankenkritisches Werk entstehen würde … M: Ich glaube, damit hätten wir weniger Probleme, als wenn Sie jetzt, überspitzt ausgedrückt, etwas Minderheitendiskriminierendes oder ­Pornografie thematisieren würden. Dann würden wir sicherlich das ­Gespräch mit Ihnen suchen. H: Oh je, Pornografie ist durchaus ein Thema bei LOVEAFFAIRS … M: Wir legen Wert darauf, keinen Einfluss auf konkrete Darstellungs­ formen oder Inhalte zu nehmen. Es sei denn, es handelt sich um beispielsweise die Dauer des Stücks: Eine fünfstündige Aufführung würde aus unserer Sicht den Rahmen sprengen. H: Ich glaube, wir meinen das Gleiche. Es gibt sicher Grenzen in unserer Freiheit. R: Das wäre dann ja auch unsere Aufgabe als Veranstalter, auf die Dauer des Werks zu achten. H: Es gab doch einen Moment der Grenzensetzung während des Projekts, als die Ideen aufkamen, bei einem freien Festival mitzuarbeiten oder ein Festival zu gründen. M: Das betraf aber auch wieder mehr die Rahmenbedingungen. Das Abschlussprojekt sollte ein Format haben, das wir an einer Reihe von Häusern etablieren können. Damit verfolgen wir auch das Ziel, dass sich unsere Stipendiaten mit den Strukturen eines Stadttheaters auseinandersetzen. Schließlich ist es für viele später die Wirkungsstätte. Deshalb würden wir uns mit einem Festival als alleinigem Premierenort etwas schwer tun. R: Damit Oper, oder auch ganz allgemein Kunst, stattfindet, braucht es die Künstler auf der einen Seite, auf und hinter der Bühne, und es braucht auf der anderen Seite das Publikum. Und dann gibt es noch eine dritte Gruppe, diejenigen, die das wie Sie finanzieren. Auf welcher Seite sind Sie? Bei den Künstlern oder beim Publikum? M: Ich sehe uns in der von Ihnen angesprochenen dritten Gruppe. Wir als Stiftung sehen uns dabei als Mediator, der beides zusammenbringt und den Fortbestand dieser Kunstform ermöglichen will. Dies ist eine anspruchsvolle und damit auch sehr kostenintensive Form. Zugleich wollen wir auch dem Publikum etwas bieten. R: Das ist eine sehr schöne Antwort, aber nicht das, was ich wissen wollte. Ich wollte wissen, ob Sie an dieser Kunst, die hier entsteht, teilnehmen, oder ob Sie sie nur rezipieren. M: Wir wollen teilnehmen, indem wir einen Freiraum zum Experimentieren ermöglichen. Wir möchten nicht bloß zwei, drei Inszenierungen an einem deutschen Stadttheater finanzieren, sondern wir wollen anders ansetzen. Wir wollen einen Rahmen schaffen, der dem Erhalt des Genres dienen soll. R: Wie ist es zu LOVEAFFAIRS gekommen? H: Wir haben mit diesem Projekt vom Anfang des Stipendiums an viele Etappen durchlaufen. Wir sind in unzähligen Brainstorming-Runden verschiedenen Projekt-Ideen nachgegangen. Ein großes Thema in unseren Vorgesprächen war der Zufall. Gemeinsam unzusammenhängende ­Situationen und Szenen zu schaffen und diese zu verbinden, ist allerdings zu kompliziert geworden. Daraus hat sich dann eine Oper entwickelt, die nicht aus zwanzig kleinen, sondern aus vier großen Szenen besteht, die sich alle mit jeweils verschiedenen Formen der Liebe auseinandersetzen. R: In den ersten Jahren der „Akademie Musiktheater heute“ gab es noch kein Abschluss-Projekt wie jetzt dieses. M: Nein, es gab nur einen Abend, der zu einer Abfolge von Auftritten geriet. Aus dieser Erfahrung ist dann die Idee eines gemeinsamen Abschlussprojekts entstanden. Mit den Stipendiaten der Bielefelder Produktion Orlando im letzten Jahr fand eine Nachbesprechung statt, die nochmals die Frage aufgriff, inwieweit dieses Format sinnvoll ist und ob man nicht lieber den Laborcharakter herausstellen sollte. R: Also ein Projekt, wo kein Endergebnis gefordert ist? M: Zumindest kein abendfüllendes Ergebnis aus einem Guss. Es wäre beispielsweise zu überlegen, ob man kleinere Gruppen bildet, die kleine Formate entwickeln. Da befinden wir uns auch im Stiftungsvorstand in der Diskussion über eine mögliche Weiterentwicklung. H: Ein Experiment mit offenem Ausgang hat es vermutlich noch nie gegeben? M: Nein.

Aras Gökten fotografierte bei den ­Video-Aufnahmen für QUERELLE.


17 16 LOVEAFFAIRS

R: Da kommt es aber auch darauf an, wie man Experiment definiert. M: Was würden Sie denn von der Idee halten, Herr Hecker, wenn wir sagen, der Jahrgang wird von einem Haus über die zwei Jahre begleitet. Und innerhalb des Jahrgangs können sich ganz unterschiedliche Formationen bilden, die sich experimentell ausprobieren. Ob das dann in einen gemeinsamen Abend eingebunden werden kann, ist dann eine andere Frage. Also es müsste kein geschlossenes Werk entstehen, sondern sollte eher eine Art Werkstatt sein. H: Es klingt so, als müsste man ja sagen. Doch letztendlich sind bei jeder Projektform die Künstler gefragt – an ihnen liegt es, was dabei entsteht. R: Ich denke das Problem wäre vor allem logistischer Art. Das würde nämlich bedeuten, dass die Gruppe jeweils über längere Zeiträume­ beieinander bleibt. Und das ist schwierig, da es sich ja um ein ­studien- und berufsbegleitendes Bildungsangebot handelt. Fast alle Teilnehmer sind beruflich schon sehr eingespannt. M: Ja, das ist klar, eine größere zeitliche Inanspruchnahme der Teilnehmer ist nicht möglich. R: Deswegen meine ich auch, dass ein solches Experimentieren ein Stadium vor dem Stipendium sein müsste. M: Auch jetzt ist es ja so, dass sich die Stipendiaten auch außerhalb unseres Programms treffen, um die Abschlussarbeit vorzubereiten. Und da zeigt sich, dass es einfacher ist, kleinere Gruppen terminlich zusammenzubringen. Wenn es drei Mal fünf Stipendiaten oder vier Mal vier Stipendiaten sind, die zusammenkommen, lässt sich das leichter organisieren. Die Frage ist aber auch an Sie, Herr Roesler, wie schwer tut sich denn ein Haus wie die Deutsche Oper Berlin in der Zusammenarbeit mit den Stipendiaten? R: Klar ist: Ein solcher Abend ist auch für die Deutsche Oper Berlin ein Experiment. Die Tischlerei ist aber auch der Ort für Experimente. Wir haben schon viel damit zu tun, die Kommunikation frisch zu erhalten mit einer so großen Anzahl von Künstlern. Es ist auch eine logistische Aufgabe, die alle unter ein Dach zu bringen. Es zeigt sich, auch die Kunst ist eine Sprache, in der kommuniziert wird, aber nicht jeder spricht die gleiche Sprache, und man muss sehen, wie man zusammenkommt. Das ist ein Abenteuer, worauf ich mich auch ganz besonders freue.


TischlereiKonzerte

Vielen Besuchern der Tischlerei ist Stefan Johannes Hanke kein Unbekannter mehr: 2012 gehörte er zu den drei Preisträgern des Kompositionswettbewerbs NEUE SZENEN der Deutschen Oper Berlin und seine Kammer­ oper it will be rain tonight wurde im März 2013 in der Tischlerei uraufgeführt. Diese ­Beziehung wollte das Orchester der Deutschen Oper Berlin fortsetzen und gab bei Hanke ein Kammermusikwerk für die Akademisten des Orchesters in Auftrag, Uraufführung am 7. April im Rahmen des Konzerts „Jugendliche Meisterwerke“. Für die Tischlerei-Zeitung hat Stefan Johannes Hanke einige Gedanken aufgeschrieben, die ihm bei der Komposition des Stücks durch den Kopf gingen.

5. Tischlereikonzert „Jugendliche Meisterwerke“ Die Akademisten des Orchesters stellen sich vor Werke von Bruch, Rossini, Mendelssohn Bartholdy und Stefan Johannes Hanke 7. April 2014 Mit Unterstützung des Förderkreises der Deutschen Oper Berlin e. V. und der Berliner Bank 6. Tischlereikonzert „Britten tanzt“ Ein englischer Abend mit Werken von Henry Purcell, Benjamin Britten und Frank Bridge Tenor Gideon Poppe 5. Mai 2014

Stefan Johannes Hanke Man mag vom Gang der Musikgeschichte im 20. Jahrhundert halten, was man will, geht es um Grenzerforschungen und das Betreten unbekannten Terrains, so kann man den Komponisten an der Schwelle zu unserem Millennium mit Sicherheit keine Untätigkeit vorwerfen. Da walzt Gustav Mahlers „Sinfonie der Tausend“, die Konzerthäuser und Trommelfelle gleichermaßen bis zum Zerreißen spannend, mit bislang ungeahnten Klangmassen einher, da wuselt György Ligetis Mikropolyphonie, die Vielstimmigkeit in den Raum des Undurchhörbaren erweiternd, da wabern, Stress bereitend, Brian Ferneyhoughs unspielbare Rhythmen, da wünscht sich Georg Friedrich Haas 17. Partialtöne intonierende Musiker, da wird in Giacinto Scelsis Musik der einzelne Ton akribisch durchleuchtet, da winkt John Cage mit der Spielanweisung „as slow as possible“ nichts Geringerem als der Ewigkeit zu. Lädt auch manches zu Spott ein, so war es eine enorme Experimentierfreude, die in unermüdlichen Expeditionen die ehemals weißgefleckte klangliche Landschaft in ein bestens kartographiertes, überall und jederzeit verfügbares Gebiet verwandelt hat, dessen Besuch für den Reisenden immer noch interessant sein kann, mit abenteuerlichem Entdecken aber in etwa soviel zu tun hat wie eine geführte Gruppenreise durch Vietnam. Entfernte klangliche Winkel, deren Betreten vor einigen Jahrzehnten noch Wage­ mut erforderte, haben sich zu einer alles ermöglichenden Komfortzone mit Wohlfühlatmosphäre gewandelt, veredelt durch die Überzeugung, das Richtige zu tun. Fairtrade-Cappuccino mit Sojamilch und vegane Muffins lassen grüßen. Legt ein ganzes Streichorchester die Bögen weg, um die Instrumente nur mehr trommelnd zu bearbeiten, oder zückt ein Chor leere Bierflaschen und veranstaltet ein Pfeifkonzert, so ist niemand, minimale Erfahrungen mit der Neuen Musik vorausgesetzt, überrascht, oder gar provoziert. Was ehemals Grenzüberschreitung war, ist längst zur Regel, und damit vorhersehbar und langweilig geworden. Gibt es also nichts mehr zu erforschen, keine Gratwanderungen mehr, die man unternehmen könnte? Mitnichten. Fragen über Fragen häufen sich, da sie aber subtiler geworden sind, fallen auch Antwortversuche notwendigerweise weniger spektakulär und marktschreierisch aus. Warum wird Klangschönheit zu Kitsch? Was unterscheidet Personalstil und Masche? Wo verläuft die Trennlinie zwischen technischer Perfektion und Glätte? Wann geht die Vermischung verschiedener stilistischer ­Elemente in Beliebigkeit über? Was verwandelt intime Emotionalität in klebrige Nabelschau? Wie lässt sich Bildhaftes von Plakativem scheiden? Wo wird Einfachheit zur Banalität? All diese Fragen beschäftigen mich ständig, besonders letzterer kommt in der neuen Arbeit für die Deutsche Oper Berlin eine hervorgehobene Stellung zu. Soll das Stück wie geplant ohne Dirigent spielbar sein, ist ein großes Maß an Klarheit und Stabilität im musikalischen Satz zwingend e ­ rforderlich. Zahlreiche Orientierungspunkte und unverwechselbar Wiedererkennbares müssen dem immerhin neunköpfigen Ensemble helfen, den Überblick zu bewahren, ein deutlicher Puls die ordnenden Schlagfiguren des Dirigenten ersetzen. Selbstredend kann das Ergebnis kein läppisches Liedchen zum sofortigen Nachpfeifen werden, sondern muss Schlichtheit und Substanz miteinander vereinen. Eine spannende Reise, eine Suche mit offenem Ausgang.


Wieder Da! 16., 17. April 2014

HOFFMANN

„Jakop Ahlbom ist Performer, Zauberer, Inszenator. Auf der kleinen Bühne funkelt seine eher düstere Traumwelt bestens. Hingehen!“

Foto © Thomas Aurin

Volker Blech [Morgenpost 20. September 2013]


Mitmachen!


Gefühle und Moleküle In einer Workshop-Woche experimentieren Schüler der Moser-Schule gemeinsam mit Mitgliedern der Compagnie „Irina’s Dream ­Theatre“ zum Thema „Liebe und Zauber­ tränke“. Irina Brook, Leiterin der Compagnie, wird anschließend Donizettis DER LIEBES­ TRANK auf der großen Bühne inszenieren.

21 20

Partizipative Projekte März bis Juni 2014

Am Anfang war der Traum Unsere TUSCH-Partnerschaft mit der Peter-Ustinov-Schule widmet sich in diesem Jahr dem Thema „Träume“. SchülerInnen der 8. Klasse präsentieren am 3. April 2014 [19.00] ihre Traumvisionen in der Tischlerei. Eintritt frei. Zählkarten an der Tageskasse.

Partizipative Projekte der Jungen Deutschen Oper Der Einzug der kulturellen Bildung in die Stadt- und Staatstheater, in Opern- und ­Konzerthäuser ist in den letzten Jahren mit beeindruckendem Tempo geschehen: Mittler­ weile gibt es kaum ein Theater, das keine pädagogische Abteilung führt oder nicht zumindest eine / n Pädagogen / in ­beschäftigt. Das Repertoire an Angeboten, mit dem die Vermittlungsexperten mittler­weile dienen, ist vielfältig: F ­ ührungen durch das Haus, stückbegleitende Workshops, Vor- oder Nach­ gespräche mit E ­ xperten einer Produktion, Probenbesuche, Material­mappen, stück­ bezogene Lehrerfort­bildungen und Info­veran­ staltungen, Paten­klassen. All diese Ansätze drehen sich darum, das bestehende Repertoire einem jungen Publikum n ­ ahezubringen. ­Doch ist das etablierte Modell der Kanonpflege in einer zunehmend komplexen, multi­kulturellen und schnelllebigen gesellschaftlichen Realität noch ausreichend, um Kinder und Jugendliche für das Musiktheater zu begeistern?

Wir protestieren! Schüler der 11. Klasse der Marcel-Breuer-­ Schule setzen sich mit verschiedensten Protestformen auseinander und entwickeln schließlich eigene Protestaktionen, die im Rahmen des Soundwalks DAS GROSSE BUH zum Einsatz kommen. Premiere am 11. Juni 2014 Song in a Bottle Die Teilnehmer des Jugendclub „on stage“ versenden musikalische Grüße – und nehmen das Publikum mit auf eine Reise in verschiedene musikalische Welten und Zeiten. Zu sehen und hören am 29. und 30. April 2014 [jeweils 19.00]. Eintritt: € 5,– / erm. 3,– TUKI – Karneval der Tiere Die Kita Regenbogen in Staaken und die Deutsche Oper Berlin sind im Rahmen des Projekts „Theater und Kita“ [TUKI] eine Partnerschaft eingegangen. Am 4. März 2014 feiert die Kita ein großes Faschingsfest zum Thema „Karneval der Tiere“ – gemeinsam mit Musikern des Opernhauses.

Zur Autorin: Katharina Loock ist seit der ­Spielzeit 2012 / 2013 Künstlerische Leiterin Kinder & Jugend der Deutschen Oper Berlin.

MITMACHEN!

Yana Wernicke fotografierte einen Workshop der TUSCH-Klasse in der Tischlerei.

Sind wir unsterblich? Gilgamesch, der König von Babylon, will unsterblich sein. Doch was bedeutet das überhaupt? 120 Schüler finden in verschiedenen künstlerischen Workshops ihre eigenen Antworten. Beim Unsterblichkeits-Festival am 21. und 22. März 2014 [17.00 – 19.30] werden sie im Haus der Jugend Charlottenburg in der Zillestraße präsentiert. Eintritt frei. Eine Kooperation mit der Jugendkunstschule Pankow, der Paula-Fürst-Gemeinschaftsschule und dem Haus der Jugend Charlottenburg.


Als wir im Jahr 2012 mit Beginn der Intendanz von Dietmar Schwarz die Junge Deutsche Oper gegründet haben, wollten wir neben den etablierten Angeboten neue Wege der Vermittlung beschreiten. Folgende Fragen beschäftigen uns seitdem: Sind die Themen, die in den Werken des Repertoirespielplans verhandelt werden, auch für Kinder und Jugendliche relevant und wichtig? Können Jugendliche ohne Vorerfahrung einen Zugang zur Oper, der wahrscheinlich künstlichsten Form der Künste, bekommen? Was, oder vielmehr wie, muss Musiktheater von heute für Kinder und Jugendliche sein? Wir haben uns entschieden, die Antwort nicht allein zu suchen, sondern Berliner Kinder und Jugendliche einzuladen, sich einzumischen und aktiv an diesem Rechercheprozess teilzunehmen. Seither sind wir gemeinsam auf einer Entdeckungsreise und noch längst nicht angekommen. Was für eine Energie und Wucht von Jugendlichen ausgehen kann, wenn man sie in künstlerische Produktionsprozesse einbezieht und ihnen die große Bühne anvertraut, zeigte unser Jugendprojekt DER RING: NEXT GENERATION, das im März 2013 seine Uraufführung feierte. 60 Jugendliche waren auf und hinter der Bühne beteiligt: als Darsteller / Tänzer, Instrumentalisten, Sänger, Jungdramaturgen, Regieund Kostümassistenten und im Video-Team. In einer intensiven Workshopphase arbeiteten sich die Jugendlichen mittels einer Graphic Novel in die Handlung von Wagners Ring-Tetralogie ein und diskutierten anschließend in fünf sogenannten Konferenzen medizinethische und philosophische Fragen zur Zukunft von Mensch und Gesellschaft. Parallel dazu entwickelte eine Gruppe junger Instrumentalisten gemeinsam mit der Komponistin Alexandra Holtsch auf der Grundlage von Wagners Ringmotiven ihre eigenen musikalischen Ideen. Die Ergebnisse des sechsmonatigen Experimentierens mündeten in eine Bühnenproduktion, bei der neben den jungen Akteuren auch Opernsänger des Ensembles, ein DJ und das Orchester der Deutschen Oper Berlin beteiligt waren. Dass ein solches Projekt die jahrzehntelang etablierten Strukturen eines Opern-Repertoirebetriebes

gründlich durcheinanderwirbelt und für allerlei Konflikt­ potenzial sorgt, leuchtet ein. Doch dies ist Teil eines Vermittlungsprozesses, der sich auch nach innen richtet im Sinne einer Selbstbefragung der Kulturinstitution: Wie müssen wir uns verändern, damit die Jugend gern zu uns kommt? Auch deshalb möchten wir in Zukunft weitere partizipative Projekte gemeinsam mit jungen Menschen umsetzen [siehe GILGAMESH MUST DIE! – S. 6 – 9]. Neben diesen partizipativen Bühnenproduktionen nimmt die Kooperation mit Schulen und anderen Bildungsinstitutionen einen Schwerpunkt unserer Arbeit ein. In kleinen und großen Projekten setzen wir uns gemeinsam mit Kindern und ­Jugendlichen kreativ mit verschiedenen Themen auseinander. Die Themen haben in den meisten Fällen einen Bezug zu Werken des Spielplans, die Auseinandersetzung ist jedoch weniger am „Originalwerk“ als an den Ideen der Teilnehmer ausgerichtet. Beim Projekt „Schreibt auf unsere Haut“ entwickelten 15 Schüler eines Musik-Leistungskurses ausgehend von Helmut Lachenmanns Das Mädchen mit den Schwefelhölzern eine Klanginstallation für das Foyer. Grundschulkinder setzten sich in „Mein Panama“ mit dem Land ihrer Träume auseinander und begaben sich z. B. auf musikalisch-szenische Reisen in Länder mit sprechenden Bäumen und Zäunen und ins schwerelose Weltall, ins Land der Süßigkeiten und ins Reichland, in dem man ohne Führerschein in einem goldenen Auto fahren kann. Beim Projekt „Lieblingslieder“, an dem drei Grundschulklassen und drei Seniorenheime beteiligt waren, stand die Begegnung zwischen den Generationen durch das gemeinsame Singen im Vordergrund. Auch in den kommenden Monaten wird es weitere Kooperationsprojekte geben, in denen wir gemeinsam mit Schülern und Lehrern unsere Entdeckungsreise fortsetzen: „Sind wir unsterblich?“, „Gefühle & Moleküle“, die TUSCH-Präsentation „Am Anfang war der Traum …“ und „Wir protestieren!“. Kooperationen zwischen Opernhaus und Bildungsinstitutionen stellen in vielfacher Hinsicht immer wieder eine Herausforderung für beide Seiten dar: Hier prallen zwei Systeme aufeinander, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Arbeitsstrukturen, Kommunikationswege und Produktionsabläufe sind gänzlich verschieden. Wenn dann auf der ­Mikro-Ebene Projektleiter, Lehrer, freischaffende Künstler / Pädagogen und SchülerInnen zusammenkommen, die jeder ganz eigene Erfahrungen, Ideen und Wertvorstellungen mitbringen, läuft die Zusammenarbeit nicht immer konfliktfrei. Und doch machen diese Projekte manchmal das Unmögliche möglich und setzen besondere Erfahrungsräume und Ressourcen frei, die auf keinem anderen Weg entstanden wären. Die anfangs gestellten Fragen können wir noch nicht beantworten. Im Gegenteil haben wir nun mehr Fragen als vorher: Wie kann das Musiktheater, das verglichen mit dem Sprech­ theater viel komplexere Anforderungen an den Produktionsprozess stellt und eine andere Schwerpunktsetzung verfolgt, partizipativer werden? Wie lassen sich Leute in künstlerische Produktionsprozesse einbeziehen, die über keinerlei instrumentale oder gesangliche Vorbildung verfügen? Welche Anforderungen stellt dieser Veränderungsprozess an die­ jenigen, die in diesem Betrieb arbeiten: Welche Konsequenzen ergeben sich daraus, z.B. für die Arbeitsstrukturen und Produktionsabläufe innerhalb des Hauses sowie für die Ausbildung von Künstlern und die Ausstattung der Musiktheater­ pädagogik? Wie vermitteln wir dem Publikum und unserer Institution nach innen den Prozesscharakter mancher Projekte, bei denen es nicht um das Endergebnis, sondern um den Erfahrungszuwachs und den Austausch geht? Wie sehr sind wir als Kunstinstitution bereit, uns zu verändern und wo ist die Grenze zwischen Kunst und Sozialarbeit?


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März – Juni 2014 in der Tischlerei Mo Do Fr Sa Di Sa So Do Do Mo Mi Do Di Mi Mo Mi Do Fr Sa So Mo Fr Sa Mo Di Mi Do Fr

17. März 20. März 21. März 22. März 25. März 29. März 30. März 3. April 3. April 7. April 16. April 17. April 29. April 30. April 5. Mai 11. Juni 12. Juni 13. Juni 14. Juni 15. Juni 16. Juni 20. Juni 21. Juni 23. Juni 24. Juni 25. Juni 26. Juni 27. Juni

GILGAMESH MUST DIE! GILGAMESH MUST DIE! GILGAMESH MUST DIE! GILGAMESH MUST DIE! GILGAMESH MUST DIE! Piff, paff, bumm [Kinderkonzert] Piff, paff, bumm [Kinderkonzert] Am Anfang war der Traum Am Anfang war der Traum 5. Tischlereikonzert HOFFMANN HOFFMANN Song in a bottle Song in a bottle 6. Tischlereikonzert DAS GROSSE BUH DAS GROSSE BUH DAS GROSSE BUH DAS GROSSE BUH DAS GROSSE BUH DAS GROSSE BUH LOVEAFFAIRS LOVEAFFAIRS Meisterklasse Christa Ludwig LOVEAFFAIRS LOVEAFFAIRS LOVEAFFAIRS LOVEAFFAIRS

20.00 20.00 20.00 20.00 20.00 11.00 11.00 10.00 19.00 20.00 20.00 20.00 19.00 19.00 20.00 19.00 19.00 19.00 19.00 19.00 19.00 20.00 20.00 20.00 20.00 20.00 20.00 20.00


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