Deutsche Oper Berlin: Sinfoniekonzert „Tage des Exils“

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Sinfoniekonzert –Tage des Exils

9. Oktober 2023, 19 Uhr

Programm

Eröffnungsansprache Joachim Gauck

Bundespräsident a. D.

Franz Schreker [1878–1934]

Vier kleine Stücke für großes Orchester

I. Timoroso: Lento

II. Violente. Vivace

III. Incalzando: Adagio

IV. Gradevole: Allegro

Arnold

Schönberg [1874 – 1952]

Kammersymphonie Nr. 2 es-Moll op. 38

I. Adagio

II. Con fuoco

Uraufführung am 15. Dezember 1940 in der Carnegie Hall, New York unter der musikalischen Leitung von Fritz Stiedry

– Pause –

Dmitri Schostakowitsch [1906–1975]

Symphonie Nr. 5 d-Moll op. 47

I. Moderato

II. Allegretto

III. Largo

IV. Allegro non troppo

Lesung Margarita Broich

Musikalische Leitung Andre Bloch

Orchester der Deutschen Oper Berlin

Grußwort André Schmitz

Vorstandsvorsitzender der Stiftung Exilmuseum Berlin

Bis aus einer Idee ein Ort wird, benötigt man viel Durchhaltevermögen und vor allem die Unterstützung vieler. Die Stiftung Exilmuseum hat sich 2017 als bürgerschaftliche Initiative zusammengetan, um eine Lücke in der Museumslandschaft und Erinnerungskultur Deutschlands zu schließen und damit drängende Fragen der Gegenwart zu verhandeln. Bereits 2011 machte die Nobelpreisträgerin für Literatur Herta Müller in einem offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel die Notwendigkeit für ein „Museum des Exils“ deutlich. Der Kunsthändler Bernd Schultz nahm sich dieser Idee beherzt an und fand rasch zahlreiche Mitstreiterinnen und Mitstreiter für diese Idee.

Heute teilt sich zu unserer großen Freude Herta Müller die Schirmherrschaft für unser Projekt mit dem Bundespräsident a.D. Joachim Gauck. Wir alle setzen uns dafür ein, dass in der Mitte Berlins ein Ort für die Erzählung von individuellen Schicksalen jener Menschen entsteht, die vor den Nationalsozialisten fliehen mussten und Zuflucht im – hoffentlich – rettenden Exil suchten. „Aber natürlich verweist diese Zeit ja auf die Flüchtlinge, die jetzt zu uns kommen“, formulierte Herta Müller. „Umso wichtiger ist es, den Inhalt des Wortes Exil zu begreifen. Es wäre Erziehung zur Anteilnahme.“

Damit diese Vision Wirklichkeit wird, engagieren sich Menschen aus allen gesellschaftlichen Bereichen. Sie alle vereint, dass sie mit ihrer Zeit, Energie, ihren ideellen oder auch finanziellen Beiträgen das Projekt vorantreiben. Ihr Einsatz stärkt uns als Stiftung in der Überzeugung, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Um das Projekt jetzt realisieren zu können, fehlt uns nur noch ein aktives Bekenntnis der Bundesregierung.

Heute danke ich allen, die im Rahmen dieses Benefizkonzerts für das Exilmuseum gespendet haben. Der Deutschen Oper Berlin, der ich seit Jahrzehnten verbunden bin, gebührt für diese Veranstaltung mein besonderer Dank. Nun dürfen wir nicht nachlassen und keine Anstrengungen scheuen; dann – so bin ich überzeugt – wird das zivilgesellschaftliche Engagement, welches uns so weit gebracht hat, auch zum Ziel führen: dem Exilmuseum am Anhalter Bahnhof.

Ich lade Sie alle herzlich ein, uns an unserem frisch eröffneten Interimsstandort, der Werkstatt Exilmuseum in der Fasanenstraße 24, gleich neben dem Literaturhaus, zu besuchen und noch mehr über dieses großartige Projekt zu erfahren. Es ist in diesen Zeiten auch deshalb von so großer Bedeutung, weil immer mehr Populisten und Extremisten am rechten Rand unserer Gesellschaft versuchen, die Geschichte umzudeuten oder gar vergessen zu machen. Indem wir an die Geschichte des Exils erinnern, wollen wir vor allem auch Impulse für Gegenwart und Zukunft geben. Danke, dass Sie uns dabei unter stützen!

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Umbrüche –Widersprüche

Die Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts ist von Umbrüchen geprägt. Als Ausdrucks kunst par excellence, die Prozesse physisch und psychisch erfahrbar macht, reagiert Musik nicht selten seismographisch auf die Umstände ihrer Entstehungszeit. Die geopolitischen Katastrophen des Jahrhunderts, der Holocaust, das Leid zweier Weltkriege, die Erfahrung von Diktatur und Verfolgung, sind zahlreichen musikalischen Werken eingeschrieben. Ob der Zeitbezug in aller Deutlichkeit hervortritt oder subkutan erfahrbar wird – an Mitteln zur nuancierten Thematisierung der eigenen Gegenwart mangelt es der Musik nicht.

Bereits im programmatischen Titel „A Survivor from Warsaw“ adressiert etwa Arnold Schönbergs Opus 46 den Schrecken des Holocausts. Während der dodekaphone Orchestersatz des 1947 in den USA komponierten Werkes die vom Sprecher vorgetragenen Erinnerungen an das Warschauer Ghetto in größtmöglicher Konturenschärfe hörbar macht, blieb Komponisten andernorts das offene Wort versagt. Mit den Repressalien der stalinistischen Diktatur sah sich beispielhaft Dmitri Schostakowitsch konfrontiert, als er im gleichen Jahr die Arbeit an seinem Ersten Violinkonzert aufnahm. Wenngleich weniger direkt und eindeutig, als es dem amerikanischen Staatsbürger Schönberg möglich war, gemahnt Schostakowitsch an das Leid stalinistischer Judenpogrome. Im zweiten Satz des Konzertes, das durch motivische Bezüge zu seiner unter Stalin verbotenen Oper LADY MACBETH VON MZENSK sowie durch die Verwendung der auf den eigenen Namen verweisenden Tonchiffre D–Es–C–H autobiographische Züge trägt, zitiert der Komponist einen jüdischen Tanz. Während in Mexiko bei der Uraufführung von Schönbergs „Survivor“ das „Shema Yisroel“ demonstrativ ertönte, war in der vom stalinistischen Antizionismus geprägten Sowjetunion schon die Aufführung eines Werkes mit versteckter projüdischer Botschaft undenkbar.

Dass sich mit dem für jüdische Komponisten im Nationalsozialismus alternativlosen Exil im Gegensatz zum stets heiklen Balanceakt innerer Emigration, den manche nicht-jüdische Oppositionelle phasenweise vollführten, neben der Möglichkeit zur freien Meinungsäußerung auch die Chance auf einen künstlerischen Neubeginn verband, lässt sich exemplarisch an den Biographien zweier Komponisten ersehen, die wie Schönberg nach Hollywood emigrierten. Für die in ihrer musikästhetischen Anschauung konträren Akteure Hanns Eisler und Erich Wolfgang Korngold stellte das neue Medium des Tonfilms ein zentrales Betäti -

gungs feld während der Exilzeit dar. Machte sich Eisler daran, die bei seinem Lehrer Schönberg erlernten Kompositionstechniken im Rahmen eines von der Rockefeller-Stiftung geförderten Projektes auf die Filmmusik zu applizieren und die ästhetischen Leitlinien in Form der zusammen mit Theodor W. Adorno verfassten Schrift „Komposition für den Film“ theoretisch zu grundieren, prägte der für das Studio Warner Brothers tätige Korngold das mit, was bis heute als symphonischer Hollywood-Sound bekannt ist. Der für beide aufgrund ihrer jüdischen Herkunft einerseits schmerzlich erzwungene Weg ins Exil brachte andererseits einen Kulturtransfer mit sich, der die Geschichte der Filmmusik nachhaltig prägen sollte. In der widersprüchlich anmutenden Gleichzeitigkeit geopolitischer Katastrophen und medialer Innovationen hielt die persönliche Krise künstlerische Chancen bereit. Exil wird als dialektischer Zustand lesbar, der die Widersprüche des Jahrhunderts erhellt.

Filmmusik ohne Film

Franz Schrekers „Vier kleine Stücke für großes Orchester“

Die ambivalente Perspektive eines transatlantischen Neubeginns blieb Franz Schreker dagegen verwehrt. Als Schreker gemeinsam mit seinem Kollegen Schönberg auf Grundlage des im April 1933 verhängten „Gesetzes zur Wiederher stellung des Berufsbeamtentums“ von seiner Professur an der Preußischen Akademie der Wissenschaften enthoben wurde, blieb er anders als Schönberg zunächst in Berlin. Seine Gesuche, dauerhaft nach Wien zurückzukehren oder vermittelt durch Freunde nach Paris oder Amerika zu emigrieren, machte letztlich ein Schlaganfall zunichte, den Schreker im Dezember 1933 erlitt und von dem er sich bis zu seinem Tod im März 1934 nicht mehr erholte.

Die auf diese Weise tragisch durchkreuzten Pläne sind aus heutiger Sicht in sofern bemerkenswert, als bei diversen Kontaktaufnahmen ins Ausland die Möglichkeit, für den Film zu arbeiten, im Raum stand. Im Juni 1933 wandte sich Schreker an einen ihm gewogenen amerikanischen Kritiker mit der Schilderung seiner „alte[n] Sehnsucht […], in Amerika zu wirken“. Wenn es nicht möglich sei, seine Berliner Kompositionsklasse „nach Amerika zu verpflanzen“, so sei er „selbst verständlich bereit, jede Art von Tätigkeit anzunehmen. Ich bin als Dirigent, besonders für große Chorvereinigungen, zu verwenden, weiß auch im Tonfilm Bescheid“. Im Herbst 1933 verhandelte er, wie sein Biograph Christopher Hailey ausführt, mit einer französischen Filmfirma über sechs in Paris zu produzierende Konzertfilme. Vor allem durch sein Engagement für die Berliner Tonfilmgesellschaft Comedia, aus dem ab Oktober 1932 sechs Konzertfilme hervorgegangen waren, konnte Schreker in der Tat auf Erfahrung mit dem noch jungen Medium zurückblicken. Oblag ihm hier die filmgerechte Einrichtung der von namhaften Dirigenten wie Bruno Walter oder Erich Kleiber dirigierten Originalwerke, hatte sich ein kompositorischer Kontakt mit dem Tonfilm bereits ab Ende der 20er Jahre eingestellt. 1929 trat Schreker der „Gesellschaft der Film-Musik-Autoren Deutschlands“ bei und trug sich in den Folgejahren mit dem Gedanken sowohl einer Verfilmung seiner Opern als auch einer genuin für das Medium komponierten Filmoper – in beiden Fällen blieb es beim Gedankenspiel. Wenngleich Schreker, wie Hailey schildert, letztlich „nie Musik für einen bestimmten Film komponiert“ hat, legte er 1929 „Vier Stücke für Filmmusik“ vor, die der Verlag Heinrichshofen in Auftrag gegeben hatte und schließlich 1930 als „Vier kleine Stücke für großes Orchester“ veröffentlichte.

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Franz Schreker (1928)

Dass Schrekers Orchesterstücke nicht „für einen bestimmten Film“ vorgesehen, sondern als Repertoire zur zukünftigen Verwendung gedacht waren, entspricht der Produktionsweise des gerade aufkommenden Tonfilms, der, anknüpfend an die Aufführungspraxis von Stummfilmen, zunächst auf präexistente Musik zurückgriff, die einer Filmszene als Tonspur unterlegt wurde. Parallel zu Schreker erteilte Heinrichshofen übrigens auch Schönberg einen Kompositionsauftrag, der in dessen „Begleitungsmusik zu einer Lichtspielscene“ op. 34 mündete. Blickt man auf die Satzbezeichnungen beider Werke, so fällt auf, dass sowohl Schönberg als auch Schreker den Sätzen je einen Grundaffekt zuordnen. Wird bei Schönberg ein dreiteiliger Spannungsbogen von „Drohender Gefahr“ über „Angst“ hin zur „Katastrophe“ konstruiert, gehorcht Schrekers Werk keiner klassischen Entwicklungsdramaturgie.

Das erste Charakterstück „Timoroso (Zagend)“ bildet im begrenzten Rahmen von achtzehn Takten eine dreiteilige Form aus. Auf einen langsamen, von Tritonus- und Leittonspannungen geprägten ersten Teil folgt ein motorischer zweiter, ehe der Beginn rekapituliert wird. Das auf diese Weise um den wahrlich zaghaften Beginn kreisende erste steht in diametralem Gegensatz zum zweiten Stück mit dem sprechenden Titel „Violente (Heftig, ungestüm)“. Die zupackende Rhythmik, gepaart mit einer wuchtigen, bisweilen bewusst lärmenden Instrumentation lässt an die qualmenden Maschinen aus Fritz Langs Stummfilm „Metropolis“ denken. Wiederum in jähem Kontrast folgt ein Adagio, das dem Titel „Incalzando (Eindringlich)“ gemäß einer inständigen Bitte gleichkommt. Erst im Schlussakkord wendet sich die Harmonik nach E-Dur – das vorangegangene expressive Saxophonsolo mag sein Übriges zu diesem Happy End beigetragen haben. Das letzte, wie das erste, dreiteilig angelegte Stück „Gradevole (Gefällig)“ steht schließlich in beinahe ungetrübtem Dur. Im final wiederkehrenden, bewegten ersten Teil wird nur für einen kurzen Moment die Allusion zum „Violente“ gesucht, ehe sich der Mittelteil in einer an Maurice Ravel gemahnenden Klangsinnlichkeit ergeht. Konzerttauglich wird das zwar für den Film, jedoch ohne filmische Vorlage komponierte Werk von einem Akkordschlag beschlossen.

Tonalität nach der Tonalität

Arnold Schönbergs Zweite Kammersymphonie es-Moll op. 38

Die im Ausgang von Theodor W. Adorno für die Musik veranschlagte Idee des Materialfortschritts ist keine Einbahnstraße. Was heute zu den unstrittigen musikhistorischen Erkenntnissen gehört, offenbart schon das Gesamtwerk von Adornos Mentor Schönberg. Zwar ebnete Schönberg 1909 selbst den Weg zunächst in die sogenannte ‚Freie Atonalität‘, dann Mitte der 20er Jahre in die Dodekaphonie, doch widmete er sich zeitlebens auch tonalen Kompositionen. Öffentlich trat dies vor allem Mitte der 30er Jahre zu Tage, als Schönberg seine Erste Kammersymphonie op. 9 überarbeitete und ihr als op. 9b eine Fassung für großes Orchester zur Seite stellte. Die neuerliche Arbeit an jenem ursprünglich

1906 komponierten Werk für 15 Solo-Instrumente, das in der Erweiterung durmoll-tonalen Denkens durch Quartenharmonik und Ganztonrelationen eine zentrale Wegmarke in Schönbergs Œuvre darstellt, blieb kein Einzelfall. Hatte Schönberg

1906 gleich nach der Fertigstellung der Ersten die Arbeit an einer Zweiten Kammersymphonie begonnen, so provozierte nun wiederum die Überarbeitung der Ersten die erneute Beschäftigung mit der Zweiten. Wenngleich die beiden

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–Widersprüche
Umbrüche

Kammersymphonien, wie der Musikwissenschaftler Christian Martin Schmidt herausstellt, einst als „Werkpaar“ konzipiert waren, kam die Zweite binnen dreißig Jahren nicht über das Stadium einer unveröffentlichten, zudem unvollständigen Frühfassung hinaus. Grundlegend änderte sich dies erst 1939, als der ebenfalls aus Berlin emigrierte Dirigent Fritz Stiedry bei Schönberg die Fertigstellung des Werkes erbat, um es mit dem von ihm geleiteten New Friends of Music Orchestra in New York uraufzuführen.

Die Einfühlung in den seit 1908 unberührten zweisätzigen Torso, wobei der erste Satz weitgehend vollständig ausgeführt war, vom zweiten jedoch nur 86 Takte vorlagen, verlangte Schönberg einige Mühe ab. Bereits in den 10er Jahren hatte er dem Fragment einen literarischen Text mit dem Titel „Wendepunkt“ beigefügt, der mit den selbstreflexiven Worten anhebt: „Auf diesem Weg weiterzugehen war nicht möglich.“ Nun also wagte er den scheinbar unmöglichen Versuch und schrieb im Herbst 1939 an Stiedry, die „meiste Zeit verbringe“ er „damit, herauszufinden: ‚was hat der Autor hier gemeint?‘“. Die ebenso zeitliche wie biographische Distanz zum eigenen Werk führte zum kompositorischen Problem, „das[,] was ich berechtigterweise seinerzeit im Vertrauen auf mein Formgefühl, ohne vieles Nachdenken hinschrieb, nun mit meinen weitgehenden Anforderungen an ‚sichtbare Logik‘ in Einklang zu bringen“. Dass Schönberg, wie die Musikwissenschaftlerin Therese Muxeneder konstatiert, den zwischenzeitlichen Plan, einen dritten Satz zu schreiben, letztlich verwarf, den zweiten Satz stattdessen mit der eigentlich für den dritten vorgesehenen Reminiszenz an den Beginn des Werkes beschloss, mag für die Schwierigkeiten dieser kompositorischen Einfühlung sprechen. Der Komponist selbst kam jedenfalls zu dem Schluss, dass die „musikalischen und ‚psychischen‘ Probleme […] in den beiden fertigen Sätzen erschöpfend dargestellt“ seien. Blickt man auf die finale Gestalt des im Dezember 1940 unter Stiedry uraufgeführten Werkes, scheint der latente Widerspruch zwischen natürlichem „Formgefühl“ „ohne vieles Nachdenken“ und der Idee, der musikalischen Faktur eine elaborierte, „sichtbare Logik“ angedeihen zu lassen, allerdings nicht gänzlich getilgt. So folgt der zweite, größtenteils 1939 komponierte Satz einer deutlich klareren Formdramaturgie, ist er doch, im Gegensatz zum von motivischen Durchführungstechniken geprägten, formal lockerer gefügten ersten, auf die klassische Sonatenform bezogen. Der kühnen Anlage von op. 9 als einsätziges Werk mit latenter Viersätzigkeit (die Musiktheorie spricht von einer „double function form“) steht Schönbergs op. 38 schon hierdurch fern. Aus dem einstigen „Werkpaar“ sind zwei entstehungsgeschichtlich wie kompositorisch heterogene Werke geworden.

Die Zweite Kammersymphonie beginnt im Adagio. Dass das Stück nicht etwa, wie zu vermuten wäre, mit einer langsamen Einleitung beginnt, es sich hierbei vielmehr um das Haupttempo des Satzes handelt, wird daran ersichtlich, dass die Flöte sogleich ein expressives, von Pausen durchsetztes Thema exponiert, das sich im weiteren Verlauf beinahe vegetativ (Walter Frisch) entfaltet. Dem Durchführungsgestus ist die formal dreiteilige Anlage untergeordnet; um dem Musikschriftsteller August Halm eine Terminologie zu entlehnen, lässt die „Kultur des Themas“ die „Kultur der Form“ in den Hintergrund treten. Der Satz schließt, wie er begonnen hat, in es-Moll – einer Tonart, der im 18. und frühen 19. Jahrhundert eine außerordentlich düstere Charakteristik zugeschrieben wurde. In Christian Friedrich Daniel Schubarts „Ideen zu einer Ästhetik der Tonkunst“ etwa wird es-Moll mit „Empfindungen der Bangigkeit des aller tiefsten Seelendrangs; der hinbrütenden Verzweiflung; der schwärzesten Schwermuth, der düstersten Seelenverfassung“ assoziiert. Als wolle Schönberg den bangen Zustand, um den

Arnold Schönberg (1949) Dmitri Schostakowitsch (1948)

die Kammersymphonie thematisch kreist, weiter potenzieren, taucht er die als langsame Coda an den ansonsten in der Art eines Scherzos bewegten zweiten Satz angehängte Rekapitulation des es-Moll-Beginns in die unbehagliche Klangfarbe gedämpfter Hörner und Trompeten. Wie durch ein gebrochenes Spiegelglas wirft der Komponist einen Blick zurück auf den dreißig Jahre zuvor komponierten Kopfsatz – gleichsam als wolle er sagen, dass eine Fortsetzung nur auf dem Weg der Distanznahme möglich war.

Verständliche Missverständlichkeit

Dmitri Schostakowitschs Symphonie Nr. 5 d-Moll op. 47

Unter dem durch Zensur und Propaganda ausgeübten Druck diktatorischer Regime zu komponieren, konnte selbst für einen gefeierten Komponisten ein gefährliches Unterfangen sein. Als, soweit wir wissen, durchaus patriotischer Künstler wollte Dmitri Schostakowitsch trotz zwischenzeitlicher existenzbedrohender Kontroversen mit der stalinistischen Parteiführung seinem Heimatland nicht den Rücken kehren. Einen zentralen Wendepunkt in Schostakowitschs Biographie bildet das Jahr 1936. Nachdem Josef Stalin im Dezember des Vorjahres eine Aufführung der bis dato erfolgreichen Oper LADY MACBETH VON MZENSK im Moskauer Bolschoi-Theater besucht hatte, um sie, von der Darstellung von Sexualität und Gewalt auf offener Bühne erzürnt, in der Pause zu verlassen, druckte die Parteizeitung „Prawda“ im Januar 1936 einen berühmt gewordenen Verriss mit dem Titel „Chaos statt Musik“. In auffälliger verbaler Analogie zur nationalsozialistischen Propaganda jener Jahre wurde dem bislang als Hoffnungsträger des ‚Sozialistischen Realismus‘ gefeierten Schostakowitsch vorgeworfen, die „‚linke‘ Entartung in der Oper“ zu befördern. Prompt wurde die LADY MACBETH in der gesamten Sowjetunion abgesetzt und eine Pressekampagne gegen weitere Werke, darunter das Ballett „Der helle Bach“ op. 39, lanciert.

Auch jenseits von Bühnenwerken blieben die Attacken gegen Schostakowitsch nicht folgenlos. Als er im April 1936 die Arbeit an seiner Vierten Symphonie abschloss und der, vor seiner Emigration in die USA , zunächst nach Leningrad geflüchtete Fritz Stiedry mit den Uraufführungsproben begann, wurde Schostakowitsch, wie sein Freund Isaak Glikman belegt, zur öffentlichen Erklärung eines „freiwilligen“ Aufführungsverzichts gedrängt. Zwar berief man ihn à la ‚Zuckerbrot und Peitsche‘ im Frühjahr 1937 auf eine außerordentliche Professur für Komposition an das Leningrader Konservatorium, doch beendete erst die unter Jewgeni Alexandrowitsch Mrawinski realisierte Uraufführung seiner Fünften Symphonie im November desselben Jahres die Phase anhaltender öffentlicher Verfemung. Vom Komponisten selbst pressewirksam als „[s]chöpferische Antwort eines Sowjetkünstlers auf gerechte Kritik“ bezeichnet, wurde die Fünfte als Umsetzung dessen aufgefasst, was der so interpretationsbedürfte Begriff des ‚Sozialistischen Realismus‘ in den Augen der federführenden Exegeten bedeutete. So wenig es klare musikanalytische Kriterien für die Zuschreibung eines Werkes zu jener Richtung gab, so gekonnt platzierte Schostakowitsch die Uraufführung in einem Konzert, das dem 20. Jahrestag der sozialistischen Oktoberrevolution gedachte, und bediente in Selbstaussagen die ideologische Forderung nach dem Realitätsgehalt von Kunst: „Thema meiner Sinfonie ist das Werden der Persönlichkeit. In diesem durchgehend lyrischen Werk will ich den Menschen mit all seinem Erleben zeigen.“

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Umbrüche –Widersprüche

Eine Schlüsselrolle komme dabei dem Schlusssatz zu: „Im Finale versuche ich, die tragischen Motive der ersten Sätze in lebensvollen Optimismus aufzulösen. […] Wenn es mir tatsächlich gelang, in meine Musik all das hineinzulegen, was ich nach den kritischen Artikeln der Prawda durchdacht und empfunden habe, kann ich zufrieden sein.“ Was auf der politisch wirksamen Außenseite nach dem Reumut eines zum „lebensvollen Optimismus“ der sozialistischen Kunstanschauung Bekehrten klingt, tritt, gerade mit Bezug auf das Finale, völlig konträr aus privaten Dokumenten hervor. Die heute in ihrer Authentizität umstrittenen, von Solomon Wolkow herausgegebenen „Memoiren des Dmitri Schostakowitsch“ etwa stellen den Schluss folgendermaßen dar: „Was in meiner Fünften vorgeht, sollte meiner Meinung nach jedem klar sein. Der Jubel ist unter Drohungen erzwungen wie in ‚Boris Godunow‘. So, als schlage man uns mit einem Knüppel und verlange dazu: ‚Jubeln sollt ihr, jubeln sollt ihr.‘ […] Das ist doch keine Apotheose. Man muß schon ein kompletter Trottel sein, um das nicht zu hören.“

Tatsächlich ist die Interpretation des Werkes maßgeblich von der Deutung des Schlusssatzes abhängig. Unleugbar folgt Schostakowitschs Symphonie einer seit Beethoven für Fünfte Symphonien prototypischen „Aus der Nacht zum Licht“Dramaturgie: Auf drei Moll-Sätze folgt ein Finale, das sich von der Moll-Tonika d-Moll hin zur Dur-Tonika D-Dur wendet. Wie der Musikwissenschaftler HansJoachim Hinrichsen eingehend aufgezeigt hat, geht der finale Durchbruch nach Dur einerseits schlüssig aus der Werkkonzeption hervor. Bereits die Grundtöne der ersten drei Moll-Sätze, d, a und fis , ergeben zusammengenommen einen D-Dur-Dreiklang. Auch motivisch-thematisch erscheint die Schlusswendung folgerichtig, laufen in ihr doch die „Fäden“ eines „werkintegrierenden Motivsystems zusammen“, das auf unterschiedlichen Varianten der Kombination aufwärts gerichteter Skalen mit einem Tonpendel aus Sekundschritten und Quartsprüngen fußt. Könnten sich bis hierher all jene Besucher der Uraufführung im Recht fühlen, die das Finale als optimistische Apotheose hörten, gibt es andererseits jedoch ebenso gute Gründe für die Annahme des Gegenteils. Neben der Instrumentation des Schlusses, der mit seinen obsessiven Tonrepetitionen und hämmernden Paukenschlägen das in den Memoiren überlieferte Bild des Knüppels alles andere als abwegig erscheinen lässt, ist hier vor allem der Umstand zu nennen, dass Schostakowitsch im Laufe des Finales ein hintersinniges Selbstzitat anbringt. Es entstammt dem Puschkin-Lied „Wiedergeburt“ op. 46 Nr. 1, in dem es in der deutschen Übersetzung von Erwin Johannes Bach heißt: „Es hat ein Maler frechwillkürlich | das Werk des Meisters überschmiert“. Ohne Umschweife scheint die im Gedicht geschilderte Überpinselung eines Meisterwerkes zum „Machmerk“ auf die Entstehungsbedingungen von Musik im Stalinismus anzuspielen. In der Gleichzeitigkeit von formaler Stimmigkeit und subversivem Potential erweist sich Schostakowitschs Fünfte letztlich, wie Hinrichsen es auf den Punkt bringt, als „planvoll […] mißverständlich“. Widersprüchlichkeit wird zum ästhetischen Paradigma.

Wider das Vergessen

Paul Breisach [1896 –1952]

Paul Breisach wird am 3. Juni 1896 in Wien geboren. Er bekommt im Alter von sechs Jahren Klavierunterricht und komponiert als Zwölfjähriger Klaviermusik. Von 1913–1919 studiert er Dirigieren bei Bruno Walter und Komposition bei Franz Schreker. Seine professionelle Musikerlaufbahn beginnt er als Liedbegleiter von Lotte Lehmann und Elisabeth Schu mann. 1919–1921 ist er Assistent von Richard Strauss an der Staatsoper Wien, 1921–1924 Kapellmeister am Nationaltheater Mannheim und ab 1925 schließlich Generalmusikdirektor in Mainz. Nach einem kurzen Gast spiel 1924 bindet sich Paul Breisach 1930 fest an die Städtische Oper Berlin. Bis zu seiner Entlassung aus „rassischen Gründen“ 1933 dirigiert er unter anderem die Uraufführung von Schrekers DER SCHMIED VON GENT. Als freischaffender Dirigent ist er danach unter anderem in Wien, Budapest, Prag, Stockholm, Mailand und Leningrad tätig. Von Budapest aus flieht er schließlich Ende 1939 in die USA. Seine Frau und der 1924 geborene Sohn können ihm 1941 gerade noch rechtzeitig folgen. 1940 gibt Breisach sein US-Debüt als Dirigent des Chicago Symphony Orchestra. In den folgenden Jahren dirigiert er viele amerikanische Orchester, vor allem aber an der Metropolitan Opera in New York und der San Francisco Opera.

Fritz Stiedry [1883 –1968]

Fritz Stiedry studiert in seiner Heimatstadt Wien Jura und schließt das Studium mit einem Doktortitel ab. Gleichzeitig studiert er Komposition und Dirigieren. 1907 geht er auf Empfehlung Gustav Mahlers als Assistent Ernst von Schuchs nach Dresden und im Jahr darauf als Kapellmeister ans Deutsche Theater in Prag.

1916 wird er 1. Kapellmeister an der Hofoper Berlin. Mit der Inten danz Carl Eberts kommt er 1931 als Kapellmeis ter an die Städtische Oper Berlin und leitet unter anderem die Ur aufführung von Kurt Weills DIE BÜRGSCHAFT. Nach der Entlassung aufgrund seiner jüdischen Herkunft 1933 übernimmt er die Leitung der Leningrader Philharmoniker. 1937 wird ihm nach einem

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Dirigat im Ausland die Wiedereinreise verweigert. Er kommt zu der Erkenntnis, dass es für ihn in Europa keine Zukunft gibt, und emigriert Ende Januar 1938 in die USA. Dort tut er sich lange schwer, in der Musikszene Fuß zu fassen. 1946 gibt er sein Debüt an der Metropolitan Opera New York. In den folgenden gut 10 Jahren wird er dort mit mehr als 250 Vor stellungen, darunter viele Opern von Richard Wagner, einer der prägenden Dirigenten der Nachkriegsjahre.

Kurt Sanderling [1912 – 2011]

Im August 1931 kommt ein junger Mann an die Städtische Oper, der später zu einem der großen Dirigenten seiner Generation werden sollte: Nicht einmal 19 Jahre ist Kurt Sanderling alt, als er seine musikalische Laufbahn als Korrepetitor und Assistent des Kapellmeisters Paul Breisach beginnt. Geboren in Atys, einer Kleinstadt in Ostpreußen, wird Sanderling 1926 nach Berlin geschickt und legt dort sein Abitur am Rheingau-Gymnasium ab. Nachdem ihm 1933 aufgrund seiner jüdischen Herkunft gekündigt wird, betätigt sich Sanderling bis 1935 im „Jüdischen Kulturbund“. Nach Aberkennung der Deutschen Staatsbürgerschaft emigriert er 1936 nach Moskau, wo er eine Anstellung als Korrepetitor beim Moskauer Rundfunk findet. Nach einem Zwischenspiel als Chefdirigent in Charkiw wird er 1942 neben Jewgeni Mrawinski zweiter Dirigent der Leningrader Philharmoniker. Ab 1960 lebt Sanderling wieder in Berlin, wo er mit dem Aufbau des Berliner Sinfonie-Orchesters betraut wird, dessen Leitung er bis 1977 innehat. In dieser Zeit verbreitet sich sein Ruf als Interpret vor allem der Musik von Mahler, Schostakowitsch und Sibelius und eröffnet ihm eine glanzvolle späte Karriere, die ihn bis ins hohe Alter zu den großen Orchestern der Welt führt.

Im Entstehen: Das Exilmuseum Berlin

Das Exilmuseum Berlin wird in den nächsten Jahren am Anhalter Bahnhof Berlin entstehen. Im Fokus des Museums steht das deutschsprachige Exil 1933–1945. Während dieser Zeit flüchtete etwa eine halbe Million Menschen vor den Nationalsozialisten ins Ausland. Vielen von ihnen gelang der Weg ins – hoffentlich rettende – Exil vom zentralen Anhalter Bahnhof Berlin aus. Immer aber war es ein Aufbruch ins Ungewisse, der manchmal ein Leben lang von Fremdheit, Angst und Heimweh begleitet wurde.

Von den Menschen, denen dieses Schicksal widerfuhr, möchte das Exilmuseum Berlin erzählen – und dabei auch die Gegenwart einbeziehen: Wie wurden Flucht und Entwurzelung zu zentralen Erfahrungen unserer Zeit? Was verbindet Menschen im Exil damals und heute? Und was können wir aus der Geschichte für das Einwanderungsland Deutschland lernen?

Den Entwurf für das Exilmuseum schuf die dänische Architektin Dorte Mandrup. Besonderes Merkmal des geplanten Neubaus ist die geschwungene Fassade, die die Portalruine als historischen „Zeitzeugen“ schützend zu umfangen scheint. Mit dieser Gebäudeform gewann Dorte Mandrup den Architekturwettbewerb, den die Stiftung Exilmuseum im Jahr 2020 unter Beteiligung der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen sowie dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg ausrichtete.

Die Ausstellung wird mithilfe von medialen und raumgestalterischen Mitteln Lebensgeschichten von Menschen im Exil erzählen. Eine Wechselausstellungsfläche ermöglicht die Vertiefung bestimmter Themen; ein museumspädagogischer Bereich und ein Veranstaltungsraum schaffen einen Ort des Austauschs und der Be geg nung. Zugleich versteht sich das Exilmuseum als Plattform und Schaufenster für andere Initiativen und Institutionen zum Thema Exil und geht dafür Partner schaften weltweit ein.

Bis zur Eröffnung können Interessierte sich in der „Werkstatt Exilmuseum“ in der Berliner Fasanenstraße über das Projekt informieren. In einer Mischung aus Labor, Ausstellung und Forum lädt die Werkstatt zur partizipativen Mitgestaltung, zu Workshops und Veranstaltungen ein.

Mehr Informationen unter www.stiftung-exilmuseum.berlin

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Entwurf für das Exilmuseum am Anhalter Bahnhof von der dänischen Architektin Dorte Mandrup
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Biografien

Alexandre Bloch

Der gebürtige Franzose Alexandre Bloch übernahm mit Beginn der Saison 2016/17 die Position des Musikdirektors des Orchestre National de Lille. Von 2015 bis 2021 war er auch Erster Gastdirigent der Düsseldorfer Symphoniker. In seiner letzten Saison als Musikdirektor in Lille begeisterte er mit einem kompletten SibeliusSinfoniezyklus, konzertanten Aufführungen von George Benjamins WRITTEN ON SKIN und der Zusammenarbeit mit international gefeierten Solistinnen wie Patricia Kopatchinskaja und Alice Sara Ott. Er wird seine Amtszeit mit einem Auftritt im Amsterdamer Concertgebouw abschließen. Zu den Gastdirigaten in der Saison 2023/24 gehören Auftritte mit der Geroge Enescu Philharmonie, eine Rückkehr zur Israelischen Philharmonie sowie Debüts mit dem City of Birmingham Symphony, dem Australian Youth Orchestra und dem European Union Youth Orchestra. An der Deutschen Oper Berlin gibt er sein Debüt als Dirigent des Abschlusskonzertes der Tage des Exils am 9. Oktober 2023 mit Werken von Franz Schreker, Arnold Schönberg und Dmitri Schostakowitsch.

Zu den jüngsten Höhepunkten zählen gefeierte Debüts bei der Dresdner Philharmonie, den Hamburger Philharmonikern, dem Utah Symphony Orchestra, dem Israel Philharmonic Orchestra, der Bayerischen Staatsoper, dem Berner Symphonieorchester, dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin (Konzerte und Aufnahmen mit Daniel Müller-Schott), dem Orchester des Tiroler Landestheaters Innsbruck, dem Gürzenich-Orchester Köln und sein umjubeltes Debüt an der Opéra de Lyon mit George Benjamins LESSONS IN LOVE AND VIOLENCE. Für LE NOZZE DI FIGARO kehrte er 2023 nach Lyon zurück. Mit dem Orchestre National de Lille realisierte er zahlreiche symphonische Programme, einen von der Kritik gefeierten Mahler-Zyklus, Auftritte beim Festival de St. Denis und in der Philharmonie de Paris, Strawinskys große Ballettmusiken und diverse Einspielungen. Frühere Spielzeiten führten ihn zum Orchestre de la Suisse Romande, dem Orchestra of the National Centre for Performing Arts Beijing und dem Vancouver Symphony Orchestra, dem Musikkollegium Winterthur, der Royal Northern Sinfonia, dem BBC National Orchestra of Wales und auf eine Tournee mit dem London Symphony Orchestra nach Kuwait. Als Gastdirigent arbeitete er u. a. mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen, dem Orchestre Philharmonique de Radio France, dem Orchestre National d'Ile-de-France, dem Orchestre National du Capitole de Toulouse, dem Orchestre National de Lyon, dem Orchestre National de France, dem Nash Ensemble, dem Scottish Chamber Orchestra, dem Royal Liverpool Philharmonic Orchestra, dem Orchestra of Opera North, dem Norwegian Radio Orchestra, dem Oslo Philharmonic, dem Danish National Chamber Orchestra, dem Los Angeles Chamber Orchestra, dem Orchestre Métropolitain (Montréal), dem Brussels Philharmonic, dem Ulster Orchestra, der Nordwestdeutschen Philharmonie, der Filharmonia Poznanska, dem Vancouver Symphony Orchestra, dem Seoul Philharmonic Orchestra, dem Royal Concertgebouw Orchestra, dem Adelaide Symphony Orchestra und dem Australian Youth Orchestra. Mit dem Orchestre National de Lille dirigierte er konzertante Opernaufführungen, darunter

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Bizets LES PÊCHEURS DE PERLES (Lille und Paris, Théâtre des ChampsElysées), Bernsteins MASS und Bizets CARMEN. Zu den Opernhighlights zählen auch Donizettis L'ELISIR D'AMORE an der Deutschen Oper am Rhein und TOSCA an der Opéra de Lille.

Kurz nach seinem Erfolg beim Donatella-Flick-Wettbewerb gab er sein Debüt beim Royal Concertgebouw Orchestra, wo er kurzfristig für Mariss Jansons einsprang und drei Aufführungen eines anspruchsvollen Programms dirigierte, darunter Richard Strauss’ „Tod und Verklärung“ und eine Auftragskomposition von Jörg Widmann für großes Orchester. Er wurde von der ADAMI (Französische Gesellschaft für Aufführungsrecht) zu einem der „Talente des Jahres 2012“ ernannt und war 2012 und 2013 Dirigier-Stipendiat beim Tanglewood Music Center Festival. Auch Dirigenten wie Mariss Jansons, Charles Dutoit, Pierre Boulez, Bernard Haitink, Sir Mark Elder und Esa-Pekka Salonen sind auf ihn aufmerksam geworden. Unter Alexandre Blochs Leitung wurde das Orchestre National de Lille zum Finalisten für den Gramophone Orchestra of the Year Award 2020 ernannt. Der 1985 geborene Alexandre Bloch erwarb zunächst Diplome für Cello, Harmonielehre und Dirigieren in Tours, Orléans und Lille. Danach trat er in das Conservatoire National Supérieur de Musique et de Danse in Paris ein, um seine Studien in Komposition und Dirigieren zu vertiefen. Im Jahr 2012 schloss er seinen Master in Dirigieren im Studio von Zsolt Nagy ab, bevor er ein Diplom und das Sir John Zochonis Junior Fellowship (Saison 2012/13) am Royal Northern College of Music erhielt. Er wird für seine Musikalität, seinen Enthusiasmus und seine Energie bewundert. Sein erster Preis beim Donatella-Flick- LSO -Dirigierwettbewerb 2012 erregte internationale Aufmerksamkeit.

Margarita Broich

Margarita Broich studierte Fotodesign in Dortmund und arbeitete als Theaterfotografin bei Claus Peymann in Bochum. Von 1984 bis 1987 absolvierte sie ihre Schauspielausbildung an der Hochschule der Künste Berlin.Im Anschluss war sie mehrere Jahre Ensemblemitglied am Frankfurter Schauspielhaus. 1989 war sie am Deutschen Theater die Ophelia an der Seite von Ulrich Mühe als Hamlet in der Inszenierung von Heiner Müller. Sie arbeitete mehrfach mit Regisseuren wie George Tabori und Robert Wilson zusammen. 1986 wirkte sie in Luigi Nonos Oper PROMETEO an der Mailänder Scala unter der Leitung von Claudio Abbado mit. In der Rolle von Doris Schröder-Köpf sorgte sie in Christoph Schlingensiefs Inszenierung "Rosebud" an der Volksbühne für Aufregung. Von 1991 bis 2002 war sie festes Mitglied des Berliner Ensembles. Am Maxim-Gorki-Theater spielte sie in „Damen der Gesellschaft“ und den Luca in Gorkis „Nachtasyl“ in der Inszenierung von Alexander Lang. Darüber hinaus stand sie u. a. auf der Bühne der Bar jeder Vernunft, des Theaters Basel und der Salzburger Festspiele. Seit 1995 ist Broich am Berliner Ensemble in Heiner Müllers Inszenierung von „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ an der Seite von Martin Wuttke zu sehen. Daneben verkörpert sie zahlreich größere Rollen in Film und Fernsehen, darunter seit 2015 die Frankfurter „Tatort"-Kommissarin Anna Janneke. Die Fotoarbeiten von ihr wurden im Martin- Gropius-Bau, im Landesmuseum Salzburg und in anderen Museen und Galerien gezeigt. Unter den Titeln „Ende der Vorstellung“, „Wenn der Vorhang fällt“ und „Alles Theater“ wurden ihre Fotografien auch in Buchform veröffentlicht.

Das Orchester der Deutschen Oper Berlin

Im Jahr 2012 feierte die Deutsche Oper Berlin und mit ihr das Orchester des Hauses den 100. Geburtstag. Die wechselvolle Geschichte des Orchesters ist eng mit der der Stadt Berlin verknüpft. Es war fast eine kleine Kulturrevolution, die Berlins Bürger wagten, als sie vor mehr als hundert Jahren ein eigenes Opernhaus gründeten, das mit seinem Verzicht auf Logen das Ideal eines „demokratischen“ Opernhauses verkörperte und von allen Plätzen die volle Sicht auf die Bühne bot. In den 1920er Jahren arbeiteten berühmte Gastdirigenten wie Wilhelm Furtwängler und Bruno Walter regelmäßig an der Deutschen Oper, und es entstanden damals schon die ersten Schallplatteneinspielungen. Nach der Zerstörung des Hauses im Zweiten Weltkrieg musste sich die Deutsche Oper lange mit Ausweichquartieren arrangieren. 1961 wurde schließlich das Opernhaus in der Bismarckstraße eröffnet, in dem sie bis heute residiert. Seitdem ist die Deutsche Oper Berlin mit ihren 1860 Plätzen nicht nur das größte Opernhaus Berlins mit hervorragenden Sicht- und Akustikverhältnissen, sondern auch eine erste Adresse in der internationalen Opernwelt.

Die Reihe der Dirigenten, die als Gast oder als Chefdirigent am Pult des Orchesters der Deutschen Oper Berlin standen, ist beeindruckend und reicht von Lorin Maazel und Herbert von Karajan bis zu Giuseppe Sinopoli und Christian Thielemann, der von 1997 bis 2004 als Generalmusikdirektor der Deutschen Oper amtierte. Seit 2009 hat das Orchester der Deutschen Oper Berlin mit Sir Donald Runnicles einen international renommierten Dirigenten als Generalmusikdirektor. Die herausragende Zusammenarbeit zwischen dem Orchester und seinem Chefdirigenten wird bis zum Jahr 2026 fortgesetzt.

Ein künstlerischer Schwerpunkt der Deutschen Oper Berlin liegt in der Pflege der Werke von Richard Wagner und Richard Strauss. Die besondere Wagnertradition des Orchesters schlägt sich auch darin nieder, dass viele seiner Mitglieder im Orchester der Bayreuther Festspiele musizieren. Ein weiteres wichtiges Element im künstlerischen Profil des Orchesters der Deutschen Oper Berlin ist die kontinuierliche Auseinandersetzung mit der Musik der Gegenwart. Zahlreiche Komponisten arbeiteten eng und produktiv mit dem Orchester zusammen, so kam es 2017 mit der Premiere der Oper L‘INVISIBLE zu einer neuerlichen Zusammenarbeit mit Aribert Reimann, den bereits eine längere Uraufführungsgeschichte mit dem Orchester des Hauses verbindet. Detlev

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Glanerts 2019 entstandene Oper OCEANE wurde mit einem International Opera Award für die „Beste Uraufführung des Jahres“ ausgezeichnet, kurz darauf erlebte Chaya Czernowins HEART CHAMBER die erste Aufführung. 2023 folgte Giorgio Battistellis IL TEOREMA DI PASOLINI

Neben den Opernvorstellungen gibt das Orchester der Deutschen Oper Berlin regelmäßig Sinfoniekonzerte mit führenden Solist*innen und ist dabei sowohl im Haus in der Bismarckstraße wie in der Berliner Philharmonie zu erleben. Zudem bereichern zahlreiche von Mitgliedern des Orchesters gebildete Ensembles – vom Streichquartett bis zur Bigband – mit ihren Konzerten den Spielplan der Deutschen Oper. Die Diskografie des Orchesters umfasst mehr als 200 Titel, zu denen zahlreiche herausragende Einspielungen gehören. Die Aufnahme mit Jonas Kaufmanns Wagner-Recital wurde vielfach ausgezeichnet, u.a. erhielt der Sänger für diese Aufnahme den „Echo Klassik“. Die DVD von Leoš Janáceks JENUFA mit dem Orchester und Chor der Deutschen Oper Berlin unter Sir Donald Runnicles erhielt 2015 eine Grammy-Nominierung in der Kategorie „Best Opera Recording“. Der Aufnahme von Aribert Reimanns L’INVISIBLE folgte Erich Wolfgang Korngolds

DAS WUNDER DER HELIANE und Alexander von Zemlinskys DER ZWERG , 2020 ebenso für einen Grammy nominiert.

1. Violine

Ying Zhang, Ulrike Petersen, Tina Kim, Claudia Schönemann, Dietmar Häring, Piotr Prysiaznik, Martina Klar, Franziska Genetzke, Keiko Kido-Lerch, Céline Corbach, Elisa Turri-Tischlinger, Magdalena

Heinz, André Robles Field, Charlotte Veihelmann, Francesca Temporin, Tomasz Kobel

2. Violine

Monia Rizkallah, Daniel Draganov, Aaron Biebuyck, Magdalena

Makowska, Kai Franzke, Rainer Döll, Kaja Beringer, Iris Menzel, Chié Peters, Onyou Kim, Peter Fritz, Yukino Takehara, Kyrill Tkachenko, Hyojeong Kim

Bratsche

Susanne Roehrig, Kangryun Nam, Yi-Te Yang, Irmgard Donderer-Simon, Lothar Weiche, Liviu Condriuc, Juan-Lucas Aisemberg, Alexander Mey, Manon Gerhardt, Mariana Vozovik, Seo Hyeun Lee, Arnold Stieve

Cello

Arthur Hornig, Johannes Mirow, Johannes Petersen, Georg Roither, Ulrike Seifert, Claudio Corbach, Margarethe Niebuhr, Stephan Buchmiller, Emilija Mladenovic, Xiaotang Xu

Kontrabass

Christoph Langhammer, Florian Heidenreich, Bernd Terver, Sebastian Molsen, Martin Schaal, Theo J. W. Lee, Johannes Ragg, Emre Ersahin

Flöte

Robert Lerch, Tina Bäcker, Ruth Pereira Medina

Oboe

Juan Pechuan Ramirez, Iveta Hylasova-Bachmannova, Chloé Payot

Klarinette

Markus Krusche, Anton Samuel Baumgärtel, Dieter Velte

Fagott

Paul-Gregor Straka, Isabella Homann, Vedat Okulmus, Berenike Mosler

Horn

Pierre Azzuro, Margherita Lulli, David Brox, Hirotatsu Ishikawa

Trompete

Martin Wagemann, Thomas Schleicher, Yael Fiuza Souto, Oliver Christian

Posaune

Jamie Williams, Rafael Mósca Mota da Costa, Thomas Leyendecker

Tuba

Vikentios Gionanidis

Pauke / Schlagzeug

Benedikt Leithner, Ralf Gröling, Björn Matthiessen, Rüdiger Ruppert, Thomas Döringer, Lukas Zeuner, Jonas Neumann, Leonard Weiss, Dirk Wucherpfennig

Harfe

Virginie Gout-Zschäbitz, Noelia Cotuna

Saxophon

Taewook Ahn

Klavier und Celesta

John Parr

23 22 Das Orchester

Wider das Vergessen

Die Konzertreihe „Wider das Vergessen“ schildert den Lebensweg von Menschen, die an der Städtischen Oper Berlin, der Vorgängerinstitution der Deutschen Oper Berlin, gearbeitet haben und 1933 von den Nazis aus „rassischen“ oder politischen Gründen entlassen worden sind. In Wort, Bild und Ton wird das Schicksal dieser Menschen sichtbar gemacht.

Das nächste Konzert findet in der Saison 2024/25 in der Tischlerei der Deutschen Oper Berlin statt.

Impressum

Copyright Stiftung Oper in Berlin

Deutsche Oper Berlin, Bismarckstraße 35, 10627 Berlin

Intendant Dietmar Schwarz; Geschaftsführender Direktor Thomas Fehrle; Spielzeit 2023/24; Redaktion Konstantin Parnian; Gestaltung Uwe Langner; Druck: trigger.medien gmbh, Berlin

Textnachweise

Die abgedruckten Texte sind Originalbeiträge für dieses Heft. Die gelesenen Dokumente stammen aus dem Bundesarchiv, dem Arnold Schönberg Center, dem Korngold Estate, von der Entschädigungsbehörde Opfer des Nationalsozialismus aus der New York Times, dem Tagesspiegel und der Publikation „Andere machten Geschichte, ich machte Musik. Die Lebensgeschichte des Dirigenten Kurt Sanderling in Gesprächen und Dokumenten“ von Ulrich Roloff-Momin.

Bildnachweise

S. 6: Porträt Franz Schreker: akg-images / TT News Agency / SVT

S. 9: Porträt Arnold Schönberg: akg-images / picture-alliance [© Fred Stein / VG Bild-Kunst]

S. 10: Porträt Dmitri Schostakowitsch: akg-images / Tony Vaccaro

S. 12/13 sowie Projektionen: Archiv der Akademie der Künste / Bundesarchiv / Archiv Deutsche Oper Berlin / Arnold Schönberg Center / Archiv New York Met

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