Deutsche Oper Berlin: Tischlerei-Zeitung No. 5 (September 2015 - Februar 2016)

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SEPTEMBER 2015 — FEBRUAR 2016

tISCHLeREI-zEITUNG

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Schwerpunkt in dieser Zeitung:

MYTHOS 4 Leitartikel

Der Umgang mit dem Mythos im Musiktheater des 20. und 21. Jahrhunderts von Stefan Drees

19 Zwischen Rebellion und Das Symposion „Oper und Politik“

Repräsentation

22 LA PASSION DE SIMONE Das Oratorium für Solosopran, Chor, Orchester und Live-Elektronik der finnischen Komponistin Kaija Saariaho, inszeniert von Peter Sellars 24 Konzerte in der Tischlerei Die neue Reihe „Jazz & Lyrics“, die Tischlereikonzerte und das Landesjugendensemble Neue Musik

6 Auftrag „Odysseus“

DIE IRRFAHRTEN DES ODYSSEUS als Musiktheater für alle ab 10 Jahren

26 Vom Suchen, Finden und Weitergehen Tamara Schmidt über Neues und Altes, Fremdes und Vertrautes als neue Leiterin der Jungen Deutschen Oper

30 Wiederaufnahmen und Spielplan 10 Bewegungsmelder

Nach dem Erfolg der vergangenen Spielzeiten wieder auf dem Spielplan: GOLD und KANNST DU PFEIFEN, JOHANNA

Ein „elektrisches Musiktheater“ – die Uraufführung von SENSOR von Konrad Boehmer und Albert Ostermaier

Die Tischlerei-Zeitung der Deutschen Oper Berlin ist eine Beilage der taz.die Tageszeitung © 2015 / 2016 Herausgeber Deutsche Oper Berlin – Stiftung Oper in Berlin; Dietmar Schwarz [Intendant]; Thomas Fehrle [Geschäftsführender Direktor]; Redaktion Dramaturgie / verantwortlich Sebastian Hanusa; Gestaltung Jens Schittenhelm; Produktion HENKE PRESSEDRUCK GmbH & Co. KG; Die Rechtschreibung folgt den Vorlagen.

14 Ein Opernthriller Die Videokünstler von Collective 33 ⅓ im Interview zu ihrer Mitarbeit an der Kammeroper PRIVATE VIEW

Fotografie Studierende der OSTKREUZSCHULE für Fotografie begleiten die Vorbereitungen, Proben und Workshops der kommenden Tischlerei-Produktionen. Für dieses Heft fotografierten Henry Balaszeskul, Veit Ebbers, Heiko Huber, Schore Mehrdju, Toni Petraschk und Dorothea Zinn aus der Klasse Jonas Maron.


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3 © Stephan Bögel

Am Anfang waren nicht Philosophie oder Mathematik. Am Anfang war der Mythos. Und die ältesten Mythen kreisen um menschliche Urängste: Uranos fürchtet seine Kinder und verschlingt sie. Er wird kastriert, und aus dem Schaum seiner ins Meer geworfenen Genitalien entsteht die herrliche Aphrodite. Es sind Erzählungen vom Fressen, vom Tod und vom Entstehen. Sie spiegeln die tiefsten Schrecken des Menschen, machen sie vermittelbar und rücken sie über die Bilder und Figuren in die nötige Distanz zur Wirklichkeit. Doch des Menschen Angst – so zeigt es die Geschichte des Mythos – lässt sich nicht domestizieren. Die Geschichten lebten weiter, entwickelten sich, veränderten sich und existieren bis heute. Eine „Arbeit am Mythos“ nannte der Philosoph Hans Blumenberg dieses beständige Neuerzählen. Blumenberg wählte diesen Buchtitel bewusst programmatisch gegen die vor allem seit der Aufklärung propagierte Idee vom Gegensatzpaar „Mythos und Logos“. Der Logos löse den Mythos ab, schrieb etwa Wilhelm Nestle in seinem Buch „Vom Mythos zum Logos“: Eine aufgeklärte, rationale Weltsicht habe den unlogischen, unsystematischen Mythos überwunden. Die Vernunft habe den Mythos besiegt. Doch die mythischen Geschichten sind bekanntermaßen mit dem Aufkommen einer rationalen Kultur nicht untergegangen, im Gegenteil. Bis heute ist der Mythos in den Künsten präsent, bis heute dauert die „Arbeit am Mythos“ an. In dieser Zeitung finden Sie einige Beispiele dafür: Die uralte Geschichte von Odysseus, dem großen Suchenden der Menschheit, erzählt der junge Komponist Ole Hübner gemeinsam mit dem Regieteam Harriet Maria und Peter Meining neu als DIE IRRFAHRTEN DES ODYSSEUS, wo sich ein moderner Odysseus in Erzählweisen, Möglichkeiten der Mediennutzung und Rollenzuschreibungen verliert. Konrad Boehmers posthume Uraufführung SENSOR bewegt sich ausgehend von einem Autounfall rückwärts in ein orphisch-mythisches Dasein. Die dritte szenische Produktion LA PASSION DE SIMONE – ein Gastspiel von Peter Sellars und den Berliner Philharmonikern – bezieht sich zwar nicht auf einen antiken Mythos, doch stellt die finnische Komponistin Kaija Saariaho in diesem Werk eine politische Aktivistin ins Zentrum, die gegen jegliche Vernunft eine irrationale Entscheidung traf: Die französische Philosophin und Mystikerin Simone Weil wurde zur Märtyrerin im Kampf gegen totalitäre Regimes ihrer Zeit. Im Projekt NEULAND schließlich, das ab Herbst in Begegnungen von Berliner Jugendlichen mit jugendlichen Flüchtlingen entsteht, spielt der Mythos von der Gründung eines Utopiestaates eine große Rolle.

Dorothea Hartmann ist seit der Saison 2012 / 2013 stellvertretende Chefdramaturgin und Künstlerische Leiterin der Tischlerei an der Deutschen Oper Berlin.

TISCHLEREI-ZEITUNG

Dorothea Hartmann Künstlerische Leitung Tischlerei

© Thomas Jauk

EDITORIAL

„Es gibt kein Ende des Mythos“, schreibt Hans Blumenberg. Denn auch die rationale Kultur ist nicht im Stande, die Ängste, Schrecken und Erfahrungen von Einsamkeit zu beseitigen, in denen der Mythos seine Wurzeln hat. Das Geschichtenerzählen geht weiter. Wir laden Sie herzlich dazu ein!


„ „EINE ANDERE LOGIK""

© Privat

Zur Aktualität des Mythos im Musiktheater

Stefan Drees lehrt Musikwissenschaft an der Universität der Künste Berlin und der Folkwang Universität der Künste in Essen. Er ist zudem Redaktionsmitglied der „Neuen Zeitschrift für Musik“ sowie der Zeitschrift „Die Tonkunst“ und gibt gemeinsam mit Gordon Kampe die Zeitschrift „Seiltanz“ heraus. Seine Publikationen widmen sich mehrheitlich der Musik des 20. und 21. Jahrhunderts. Weitere Informationen unter www.stefandrees.de. „Was wäre das Musiktheater ohne die antiken Mythenstoffe?“, so fragte 2011 die Musikpublizistin Verena Großkreutz anlässlich der Uraufführung von Hans Thomallas Komposition FREMD. Die Worte zielen auf den Umstand ab, dass die bisweilen traumnahe Sphäre des Mythos auf der einen und die mit der Ratio nicht fassbare emotionale Wirkung von Musik auf der anderen Seite in der Geschichte der Gattung Oper von Anfang an eng miteinander in Beziehung standen. Dass sowohl der Kern als auch die Personenkonstellationen mythologischer Sujets durch die Jahrhunderte hindurch trotz gelegentlicher Aktualisierung weitgehend konstant geblieben sind, spricht für die Bedeutsamkeit entsprechender Inhalte – ganz im Sinne jener „Exponate unserer Kultur, die eine immerwährende Relevanz haben“, die Manfred Trojahn für seine 2011 uraufgeführte Oper OREST in Anspruch genommen hat. Was Trojahn in diesem Kommentar anklingen lässt, zielt auf das besondere Gefüge antiker Mythen: Bereits früh hat die Psychoanalyse darin Analogien zur symbolischen Sprache des Traumes entdeckt – also zu einer Sprache, die, wie Erich Fromm dies 1951 formulierte, „eine andere Logik hat als unsere Alltagssprache, eine Logik, in der nicht Zeit und Raum die dominierenden Kategorien sind, sondern Intensität und Assoziation“. Aus dieser Perspektive betrachtet, übersetzen Mythen allgemein Menschliches und gegebenenfalls auch Historisches in einen Symbolzusammenhang, der Einblicke in die psychische Innenwelt des menschlichen Kollektivs oder bestimmter kultureller Räume zulässt und dadurch beispielsweise Schlaglichter auf das Verhältnis zwischen den Geschlechtern, auf die Funktion des Erinnerns, auf den Umgang mit Unglück und Tod, auf das Verständnis von Gut und Böse oder auf die Begegnung mit dem Fremden wirft. Folgt man dem Historiker Matthias Waechter, werden solche Elemente beim Prozess der Mythenbildung aus ihrem unmittelbar zeitgebundenen Kontext herausgelöst und auf eine überzeitliche Ebene gehoben. Dabei dienen die an emotionale Seiten menschlicher Erfahrung appellierende Präsentation vorbildhafter Figuren und die sinnstiftende Deutung ihres Verhaltens als identifikatorische Momente. Diese Konstellation dürfte eine wesentliche Ursache für die Wahl mythologischer Sujets als Grundlage von künstlerischen Entwürfen sein.


Zwar ist im Umkreis der mitteleuropäischen Avantgarde nach 1950 generell ein starker Rückgang entsprechender Sujets zu verzeichnen; doch scheint gerade die Entwicklung der vergangenen drei Jahrzehnte eine erneute Hinwendung zu bekannten mythologischen Stoffen oder zu deren aktualisierender Aneignung zu signalisieren. Grob gesagt, lassen sich dabei drei Arten von Bezugnahmen unterscheiden, die –  unabhängig von den ästhetischen Ansätzen der jeweiligen Komponistinnen und Komponisten – durch unterschiedliche Grade von Nähe und Ferne zum Kern der Mythen charakterisiert sind.

Ein markanter, zur dritten Gruppe gehörender musikhistorischer Einschnitt im Umgang mit mythologischen Sujets ist Luigi Nonos PROMETEO [1984 / 85]: Die Bezeichnung des Werkes als „Hörtragödie“ und die damit verbundene vollständige Eliminierung szenischer Elemente machen darauf aufmerksam, dass die theatrale Aktion nunmehr in die Musik verlagert und ganz auf den Prozess ästhetischer Erfahrung gerichtet ist. Unter Ausnutzung feinster musikalischer Nuancen und Bewegungen der Klänge im Raum wird hier anhand divergierender Textfragmente eine geschichtlich-philosophische Reflexion über den Menschen entfaltet, die sich der Prometheusgestalt als Metapher für die Entstehung von Subjektivität bedient. Beinahe prototypisch gibt Nonos riesenhaftes Werk damit eine Möglichkeit vor, wie sich das Komponieren von der Nacherzählung des Mythos abwenden kann, um dessen Inhalt durch Bevorzugung ungewöhnlicher musikalischer Elemente ästhetisch erlebbar zu machen.

Die zweite Gruppe von Bühnenwerken weist noch Spuren eines solchen narrativen Ansatzes auf, neigt aber zu dessen Transformation, was entscheidende Konsequenzen für die musikalisch-szenischen Konzeptionen mit sich bringt. Ein Beispiel hierfür bietet Birtwistles Oper THE MASK OF ORPHEUS [1986], in welcher der bekannte Orpheus-Mythos durch Bezug auf einander widersprechende antike Überlieferungen nach unterschiedlichen Richtungen hin erkundet wird. Die Erfordernisse eines elaborierten Bühnenaufbaus, die eine Parallelführung verschiedenartiger Varianten der Geschichte erlauben, aber auch die Besetzung jedes Hauptcharakters durch ein Dreigespann aus Sänger, Schauspieler und Marionette lassen eine Erweiterung herkömmlicher szenischer Mittel erkennen, die sich auch in der musikalischen Struktur des Werkes spiegelt. In Konrad Boehmers „elektrischem Musiktheater“ SENSOR [2007], dessen Uraufführung im Januar 2016 in der Tischlerei der Deutschen Oper Berlin stattfinden wird, ist der Orpheus-Mythos in ein Geflecht aufeinander bezogener sprachlicher Topoi aufgelöst, das – drei Sprecher-Schauspielern anvertraut – in den unterschiedlichen instrumentalen und elektronischen Schichten des Werkes sowohl Widerhall als auch Kontraste und Korrespondenzen findet.

Ganz ähnlich ersetzt Thomalla im Musiktheater FREMD die stringente Handlung durch eine punktuelle Beleuchtung einzelner Motive des Argonauten-Mythos und stellt, gebunden an die Gestalt Medeas, die Frage nach der Begegnung mit dem Fremden sowie nach dessen Vereinnahmung durch die eigene Kultur und die Auswirkungen dieses Prozesses auf die Gesellschaft. Diese essentiellen Elemente des Mythos lässt Thomalla vor allem in die anspielungsreiche Verwendung von Satztechniken und Zitaten einfließen, weshalb sie ihre Funktion als Bestandteile einer Geschichte fast vollständig verlieren, während ihre musikalische Wirkung ins Zentrum rückt. Vergleichbares unternimmt auch Isabel Mundry in ihrem 2005 an der Deutschen Oper Berlin uraufgeführten Musiktheater EIN ATEMZUG – DIE ODYSSEE: Unter Bezug auf bestimmte bei Homer behandelte Ereignisse oder Gefühlszustände verlagert sie die Geschichte von Odysseus und Penelope ins Innere der Musik, indem sie die klanglich-räumlichen Strukturen des Komponierten um die Problematik des Vergessens und der Wahrnehmung kreisen lässt. Dass solche Konzeptionen lediglich mit Anspielungen auf Kernelemente der antiken Mythen auskommen, verweist auf die Robustheit der kulturellen Überlieferungen und mag zugleich einer der Gründe für die Attraktivität mythologischer Sujets sein. Der Griff zum Mythos signalisiert somit einerseits einen Bezug auf Archetypen, auf Figurenkonstellationen, deren Modellhaftigkeit es erlaubt, dem Geschehen eine überzeitliche Bedeutung zu verleihen und ihm gegebenenfalls auch politische und gesellschaftliche Relevanz durch Spiegelung an der aktuellen Gegenwart zu verleihen; andererseits erlauben die Sujets aufgrund ihres Bekanntheitsgrades aber auch eine Abkehr vom erzählenden Theater und eine Konzentration auf ästhetische Problemstellungen, wodurch die Essenz des Mythos zum Hintergrund für das Nachdenken über neue Möglichkeiten des Musiktheaters werden kann. Damit erweist sich der Mythos letzten Endes als Mittel, das es – um mit dem Philosophen Albrecht Wellmer zu sprechen – den Komponistinnen und Komponisten erlaubt, ihre Musik „zur Welt hin“ zu öffnen und „an den Erfahrungshorizont zeitgenössischer Hörer“ anzuknüpfen, „um in ihre Erfahrungen und Wahrnehmungen kritisch einzugreifen“.

Stefan Drees

LEITARTIKEL

Die erste Gruppe umfasst all jene Bühnenwerke, die sich den gewählten Stoffen auf narrative Weise annähern, sie also ganz im Sinne der älteren Operntradition mit Bezug auf antike Quellen oder deren literarische Bearbeitung in Gestalt von Handlungsopern und den Gesetzmäßigkeiten traditioneller Dramaturgien gehorchend repräsentieren. Hierzu gehören zunächst einmal Werke wie Trojahns OREST, Hans Werner Henzes VENUS UND ADONIS [1995], Aribert Reimanns TROADES [1986] und MEDEA [2006] oder Harrison Birtwistles THE MINOTAUR [2008]. Ferner lassen sich dieser Gruppe aber auch Kompositionen zuordnen, die zwar gedanklich auf antike Sujets zurückgehen, diese jedoch, wie die Oper DOCTOR ATOMIC von John Adams, zugleich auf einen zeitgeschichtlich aktualisierten Kontext projizieren – wie in diesem Fall den PrometheusMythos auf die Entwicklung der Atombombe durch Robert Oppenheimer.

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Abkehr vom Mythos als Erzählung

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Die Erzählung und ihre Transformation


URAUFFÜHRUNG

DIE IRRFAHRTEN DES ODYSSEUS 2. OKTOBER 2015


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Musiktheater für alle ab 10 Jahren von Ole Hübner, Harriet Maria Meining und Peter Meining Komposition Ole Hübner Inszenierung, Bühne Harriet Maria Meining, Peter Meining Bühne, Kostüme, Animation Konstanze Grotkopp, Juliette Collas Video, Animation, Licht, Kamera René Liebert Dramaturgie Lina Zehelein, Sebastian Hanusa Theaterpädagogik Tamara Schmidt [Deutsche Oper Berlin], Frank Röpke, Irina-Simona Barca [Theater an der Parkaue] Mit Jakob Kraze, Johannes Hendrik Langer, Tom Quaas [Schauspiel], Frauke Aulbert [Stimme]; Leif Berger [Schlagzeug], Sebastian Berweck [Tasteninstrumente], Alexander Dawo [Kontrabass], Nicola L. Hein [Gitarre], Ole Hübner [Elektronik], Ruth Velten [Saxophon] Uraufführung 2. Oktober 2015, 10.00 Uhr, Tischlerei Weitere Vorstellungen 3. Oktober 2015, 16.00 Uhr, 5., 6., 7., 8. und 9. Oktober 2015, jeweils 10.00 Uhr; 11. Oktober 2015, 16.00 Uhr; 12., 13. und 14. Oktober, jeweils 10.00 Uhr; 2., 3. und 4. Dezember 2015, jeweils 10.00 Uhr; 6. Dezember 2015, 16.00 Uhr Eine Produktion der Deutschen Oper Berlin und des Theaters an der Parkaue – Junges Staatstheater Berlin Mit freundlicher Unterstützung von

Am Anfang steht ein Auftrag. Im Angesicht der Krise sitzen die Götter Griechenlands in der Taverne „Olympos“ zusammen und suchen nach einem Projekt, welches das Image des Landes aufbessert und endlich wieder Geld in die Kasse bringt. So entsteht der Plan, möglichst einen Film, vielleicht eine spektakuläre, große Oper oder doch zumindest ein zeitgenössisches Musiktheaterwerk für Jugendliche in Auftrag zu geben. Der Stoff dazu ist schnell gefunden, in jener Epoche, die den Ruhm des Landes als Wiege der abendländischen Kultur begründet hat, in der griechischen Antike. Damals blühten Dichtung und Philosophie. Homer und Hesiod zeichneten die Mythologie des Landes auf und erschufen Texte, die bis heute nichts von der Kraft ihrer archetypischen Darstellungen der menschlichen Verfasstheit eingebüsst haben. Und auch wirtschaftlich lebten die griechischen Händler, Handwerker und Seefahrer noch im europäischen „Musterländle“.

AUFTRAG „ „ODYSSEUS�

Die Wahl der Götter fällt auf Homers „Odyssee“. Es ist der geeignete Stoff mit dem geeigneten Helden für die aktuelle Situation. Odysseus hat eine zehnjährige Irrfahrt mit zahllosen Umwegen, Abenteuern und zu lösenden Problemen hinter sich, bevor ihm die ersehnte Heimkehr gelingt. In Krisenzeiten braucht man einen langen Atem. Und zugleich ist Odysseus ein Tausendsassa. Er ist geübter Seefahrer und ein vor Troja siegreicher Kriegsheld, der Probleme oftmals mit seiner überlegenen Intelligenz zu lösen vermag. Manchmal greift er zum Schwert, genauso ist er jedoch ein Meister der Improvisation, der List, der Überredung und der Verführung. So bringt Odysseus all jene Eigenschaften mit, die nun das Team benötigt, das den Auftrag erhält, die DIE IRRFAHRTEN DES ODYSSEUS als Musiktheater für junge und jung gebliebene Menschen ab 10 Jahren auf die Bühne der Tischlerei zu bringen. Dieser Auftrag der Götter ist

DIE IRRFAHRTEN DES ODYSSEUS

Die Irrfahrt in der griechischen Mythologie als Chiffre für Lebensgefühl und Arbeitsweise in unserer Gegenwart


die Rahmenhandlung, die das Regieduo Peter und Harriet Maria Meining gemeinsam mit dem Komponisten Ole Hübner für „ihre“ Odyssee erfunden haben und von der aus sie den homerischen Mythos nacherzählen. Dabei arbeiten sie mit Künstlern aus verschiedenen Sparten zusammen, so wie insgesamt dieses Stück, das als Koproduktion der Deutschen Oper Berlin und des Theaters an der Parkaue entsteht, ein großes, spartenübergreifendes Projekt ist. Auf der Bühne stehen die Schauspieler Jakob Kraze, Johannes Hendrik Langer und Tom Quaas neben der Stimmkünstlerin Frauke Aulbert. Sie ist klassisch ausgebildete Sängerin mit einem Stimmumfang von vier Oktaven, beherrscht daneben aber auch experimentelle Stimmtechniken wie Ober- und Untertongesang, Mehrklänge, singt Jazz, hat indischen und indonesischen Gesang ebenso gelernt wie das Beatboxen. Der 1993 geborene Komponist Ole Hübner, derzeit das „Wunderkind“ der Avantgarde, spielt selber am Laptop live bei der Produktion mit. Mit ihm zusammen steht ein Ensemble von Musikern auf der Bühne, die in der klassischen und Neuen Musik genauso zu Hause sind, wie im Jazz und der improvisierten zeitgenössischen Musik. Denn innerhalb von Hübners auskomponierter Partitur mit ihren zweihundert Seiten finden sich zahlreiche Passagen, in denen auf den gemeinsamen Proben und auch noch in jeder Aufführung neu und immer wieder anders die Musiker als Improvisatoren gefragt sind, in denen die Musik erst im Zusammenspiel der Beteiligten entwickelt wird. Ebenfalls mit auf der Bühne ist der Videokünstler René Liebert. Er hat die zahlreichen im Stück eingesetzten Filme produziert, steuert das Live-Video und hat Trickfilme animiert, in denen Abbildungen aus der griechischen Vasenmalerei, etwa von Schiffen und Seeungeheuern, zum Leben erweckt werden. René Liebert ist ein langjähriger Weggefährte der beiden Regisseure und Textautoren Harriet Maria und Peter Meining. Die beiden haben viele Jahre unter dem Namen norton.commander.productions. gearbeitet und sich ihrerseits an verschiedenen Schnittstellen von Bildender Kunst und Installation, Theater, Performance, Kurz- und Experimentalspielfilm und Hörspiel bewegt. In Berlin waren ihre Arbeiten im HAU sowie, mit bislang drei Produktionen, am Theater an der Parkaue zu erleben [„Kleider machen Leute“, „Peter und der Wolf“ und „Robinson Crusoe“]. Filme spielen in ihren Arbeiten eine große Rolle, genauso wie ein spielerischer und ironischer Umgang mit den Mitteln ihrer Kunst. Deren Einsatz wird offengelegt und thematisiert, es wird gezeigt, wie etwas gemacht wird, wie etwas entsteht, aber auch, wie schwierig es ist, etwas entstehen zu lassen. So wird der Auftrag der Götter, ein Musiktheater auf die Bühne zu bringen, auch eine „Odyssee“ für die Mitwirkenden. Sie begeben sich auf eine Reise, auf der der Kampf mit dem Zyklopen Polyphem, die Fahrt ins Totenreich und zur Insel der Sirenen oder die Begegnung mit den Seeungeheuern Skylla und Charybdis zugleich der Kampf mit den Mitteln und Gegebenheiten des modernen Lebens wird. Dadurch bekommen die erzählten Ereignisse eine große Aktualität und Nähe zu unserer Welt, ohne Phantastik und Kraft einzubüßen. Und sie führt zu einer Auseinandersetzung mit der Frage, wie die Geschichte nun ausgehen soll. Wirklich so wie bei Homer? Mit Odysseus’ Rache an den Freiern seiner seit Jahren auf ihn wartenden Frau? Schließlich ist dies nichts anderes als ein Massaker unter den jungen Männern seines eigenen Volkes! Oder ist etwa ein anderer Schluss denkbar? Etwa ein überraschendes gutes Ende, ein „lieto fine“, bei dem mit dem Helden zugleich die Vernunft triumphiert? Wie auch immer das Stück nun ausgeht und ob das Team der IRRFAHRTEN DES ODYSSEUS ihren Auftrag zur Zufriedenheit von Zeus, Hermes und Athene erfüllt hat, bleibt offen. Die Wege der Mitwirkenden werden sich jedenfalls nach der Produktion wieder trennen. Das Leben wird sie in andere Opernhäuser, andere Jobs und andere Lebenssituationen führen, und somit geht ihre „Odyssee“ auf jeden Fall weiter. So jedenfalls die Fiktion im Textbuch von Harriet Maria und Peter Meining.

Sebastian Hanusa

Sebastian Hanusa ist seit der Saison 2014 / 2015 Dramaturg an der Deutschen Oper Berlin.


9 8 Ich habe in meiner Fotoserie versucht, die Stimmung des Unterwegsseins zu finden und fotografisch festzuhalten. Das Gefühl in diesem sonderbaren Raum zwischen Start und Ziel, in der Zeit zwischen Anfang und Ende einer Reise – einerseits undefinierbar, andererseits so vertraut.

NEUE SZENEN II

Toni Petraschk


URAUFFÜHRUNG

SENSOR 23. JANUAR 2016


Musikalische Leitung Manuel Nawri Inszenierung Verena Stoiber Bühne, Kostüme Sophia Schneider Dramaturgie Sebastian Hanusa Mit Musikern und Solisten der Deutschen Oper Berlin Uraufführung 23. Januar 2016, 20.00 Uhr, Tischlerei Weitere Vorstellungen 26., 27., 28. und 29. Januar 2016, jeweils 20.00 Uhr In Zusammenarbeit mit der Konrad Boehmer Stichting Amsterdam

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BEWEGUNGSMELDER

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Elektrisches Musiktheater von Konrad Boehmer und Albert Ostermaier

Zur Uraufführung des „elektrischen Musiktheaters“ SENSOR von Konrad Boehmer und Albert Ostermaier

ein schatten über dem ubahnschacht du bewegst dich und die stadt bewegt sich mit du läufst rennst aufzüge absperrgitter drehtüren metalldetektoren laufbänder laufen rennen stolpern am boden das kaugummipapier aufstehen gehen laufen der schweiss fliesst über deine haut saugt sich in dein hemd die ränder am rücken die schweissränder der vorstädte deine schritte schneller als dein atem warum läufst du bleib stehen alles kommt auf dich zu du musst nur stehen bleiben bleib stehen dreh dich nicht halte die luft an zähle die haare auf deinen armen wenn ich meinen arm heben könnte würde sand aus meinen ärmeln fliessen ich möchte in einem taxi übernachten

In meiner Fotostrecke vermischen sich Wirklichkeit und Gedankenwelt zu einem diffusen Licht- und Schattenspiel. Film Noir-Elemente, Landschaften und Bewegungsverläufe bilden ein Wechselspiel aus Stillstand und traumhaften Sequenzen. Heiko Huber

Der Komponist Konrad Boehmer war eine jener „mythischen“, bekannt-unbekannten Figuren der Nachkriegsavantgarde. So habe ich ihn zumindest während meines Studium der Komposition und Musikwissenschaft zwischen 2000 und 2004 in Saarbrücken kennengelernt – bevor sich dann dort der direkte, persönliche Kontakt ergab. Als Mitglied der „Kölner Schule“ in den „wilden Jahren“ der musikalischen Nachkriegsavantgarde um 1960 hat Boehmer seinen festen Platz in der Musikgeschichte: als Teilnehmer der Darmstädter Ferienkurse 1959 im zarten Alter von 18 Jahren. Als Protegé von Karlheinz Stockhausen und Schüler von Gottfried Michael Koenig, neben Stockhausen einem der wichtigsten Komponisten und Theoretiker der frühen

Sensor

[Albert Ostermaier, „Bewegungsmelder“]


elektronischen Musik. Und als Komponist, der früh seinen eigenen Weg in der Anverwandlung des Serialismus gefunden hatte und der als einer der ersten mit dem renommierten Kranichsteiner Musikpreis ausgezeichnet wurde. Doch ab Mitte der 60er Jahre verliert sich Boehmers Spur, sofern man dem Blick des Mainstreams der deutschen Musikwissenschaft folgt. Allenfalls als scharfzüngiger und witziger, dabei jedoch immer kompromisslos wahrheitsliebender und hellsichtiger Publizist war er bis zu seinem Tod 2014 in den deutschsprachigen Fachzeitschriften präsent, auch nachdem er 1966 in die Niederlande gezogen war. Dort wirkte er bis zu seinem Lebensende und war, unter anderem als Professor am Königlichen Konservatorium in Den Haag, eine wichtige, wenn auch nicht unumstrittene Persönlichkeit des Musiklebens. Als Komponist teilte er jedoch mit Kollegen wie Jean Barraqué, Jean-Pierre Guézec oder auch seinem Lehrer Koenig das Schicksal des vermeidlich Unzeitgemäßen. Als ab Mitte der 60er Jahre der Serialismus aus der Mode kam, hielten sie konsequent an einigen seiner Grundideen fest und verfolgten sie zugleich eigenständig weiter – gerieten dadurch aber auch in Konflikt mit den kulturpolitisch höchst einflussreichen „Hohepriestern“ der seriellen Schule, Karlheinz Stockhausen und Pierre Boulez. Konrad Boehmers Musik verliert sich nie in einer rein selbstbezüglichen, manieristischen Immanenz, sondern versteht sich, als Werk eines auch politisch und kulturpolitisch aktiven Künstlers, immer als Reflexion sozialer und politischer Wirklichkeit. Dies jedoch, ohne dem Traum einer unmittelbaren Wirkung von Musik auf die Welt des Politischen anzuhängen. Und sie ist bei aller Strenge der musikalischen Organisation, weitab von der Esoterik eines Karlheinz Stockhausen, immer höchstgradig expressiv. Mein erster Kontakt zu Konrad Boehmer fand in Saarbrücken statt. Die Universität des Saarlandes verlieh Gottfried Michael Koenig die Ehrendoktorwürde und Boehmer hielt die Laudatio. Mein Interesse für das Erbe eines „anderen“ Serialismus und diesen höchst lebendigen Vertreter war geweckt. In meiner Zeit als Musikdramaturg in Würzburg schrieb Boehmer das Orchesterstück „Doktor Fausti Höllenfahrt“ als Auftragswerks des Mainfranken Theaters, anknüpfend an seine große Oper DOKTOR FAUSTUS, die 1983 mit dem Rolf-Liebermann-Preis ausgezeichnet worden war. In dieser geht es um den historischen Faust und seinen unter anderem in Würzburg aktiven Gegenspieler Johannes Trithemius. Und ein Jahr später drückte er mir die Partitur seines gerade fertig gestellten, noch uraufzuführenden Musiktheaters SENSOR in die Hand.

Orpheus – Sängerdichter und Grenzgänger Entstanden ist SENSOR als die zweite Zusammenarbeit Konrad Boehmers mit Albert Ostermaier nach jener für „Orpheus Unplugged“.


Dieses Stück für Klavier solo und elektronisches Zuspiel basiert auf einem gleichnamigen Gedicht Ostermaiers, das dieser im Sommer 1999 schrieb. Die Aufnahme des von Ostermaier eingesprochenen Textes bildet die Grundlage für das Zuspiel, das Konrad Boehmer in der im Juni 2000 uraufgeführten Komposition mit Field Recordings unter anderem vom Olymp, aus dem Petersdom und vom Fluss Hebros in Thrakien, wo der Sage nach Orpheus von den Mänaden zerrissen wurde, kombiniert. „Orpheus Unplugged“ ist zugleich eine Vorstudie zu SENSOR. Auch hier bewegen sich Ostermaier und Boehmer in der „Orpheus-Sphäre“, jedoch mit einem anderen inhaltlichen Schwerpunkt. In „Orpheus Unplugged“ geht es um die Erzählung von Orpheus’ gewaltsamen Tod, in SENSOR bildet Orpheus’ Gang in die Unterwelt, um seine verstorbenen Frau Eurydike in die Welt der Lebenden zurückzuholen, einen thematischen Unterstrom. Über diesen schichtet Ostermaier auf mehreren, miteinander verschränkten Ebenen weiteres Erzählmaterial. Dies kreist um Grenzgänge zwischen Leben und Tod, Identität und Auflösung, Passagen und Transiträume, die enge Verschränkung von Eros und Thanatos.

Mythos – Spur und Gegenwart Ein solcher Umgang mit den europäischen Urerzählungen der altgriechischen Mythologie findet sich in einer ganzen Reihe von Ostermaiers Texten. Auch wenn es zunächst die Welt der Gegenwart ist, aus der er für die präzisen und zugleich rauschhaften Bilderströme seiner Lyrik das Material gewinnt: Erfahrungswelten des Alltags in der Großstadt oder ein Roadtrip durch die nordamerikanische Wüste, Hotels und Flughäfen, Nachtclubs und Autobahnen. Immer wieder aber schimmert die antike Mythologie durch, als etwas, was Bildern und Figuren unterlegt ist und das mehr angedeutet als offen ausgesprochen wird. Eine Geste wird geschildert, ein Bild wird beschworen und zugleich werden emblematische, aus den antiken Erzählungen bekannte Momente assoziiert. Erweitert und übermalt um Bilder und literarische Topoi aus der abendländischen Kulturgeschichte mit ihren immer wieder neuen Adaptionen und Bearbeitungen der antiken Erzählkerne. Offen werden Mythen nie zitiert. Somit werden sie auch nicht zu einem Objekt, zu dem sich der heutige Text verhält. Vielmehr ist der Mythos dem Text immanent und steht nur an jenen Rändern des Textes über, in denen er auf seine im Bildungskanon objektivierten Wurzeln verweist. Nur am Rand geschieht in der Form der Andeutung ein Rekurs, der durch seine vage, indirekte Form jedoch immer in ein Offenes verweist. Die mythologische Erzählung bleibt etwas Unabgeschlossenes, noch nicht eindeutig Identifizierbares. Sie bleibt Teil der Gegenwart.

Freiheit und Gebundenheit Konrad Boehmer hat in SENSOR Albert Ostermaiers Text nicht vertont. Es wird nicht gesungen und die Texte sind auch nicht als rhythmisierter Sprechgesang notiert. Aber sie sind, wie die Instrumentalstimmen, in einer ganz eigenen Dialektik von Freiheit und Gebundenheit in eine musikalische Zeitstruktur eingefügt, die durch das Zuspiel vorgegeben wird. Im Abstand von jeweils einigen Sekunden sind Taktstriche gesetzt, die eine feste Gliederung des musikalischen Verlaufs vorgeben. Innerhalb dieser Takteinheiten sind Instrumentalisten wie Schauspieler frei in der zeitlichen Gestaltung des jeweils dort notierten oder zu sprechenden Text- oder Tonmaterials. Es bilden sich Eigenzeitfenster. Orientierungspunkte sind die End- und Anfangsphasen der von Boehmer gewählten Textabschnitte. Diese bilden einen formalen Kontrapunkt zur Eigenzeit und Rhythmik der Ostermaier’schen Sprache. Es entsteht ein Kontrapunkt der Form.

Sebastian Hanusa


PREMIERE

PRIVATE VIEW 29. OKTOBER 2015


Mit Asko I Schönberg Ensemble & Neue Vocalsolisten Stuttgart Uraufführung 13. Mai 2015 an der Vlaamse Opera Antwerpen Premiere 29. Oktober 2015, 20.00 Uhr, Tischlerei Weitere Vorstellungen 30. und 31. Oktober 2015, jeweils 20.00 Uhr Eine Produktion des Muziektheater Transparant in Koproduktion mit Collective 33 ⅓, Asko | Schönberg Ensemble, Operadagen Rotterdam, Concertgebouw Brugge, Deutsche Oper Berlin, Bergen National Opera und Théâtres de la Ville de Luxembourg.

EIN OPERNTHRILLER

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Musikalische Leitung Etienne Siebens Inszenierung, Dramaturgie Tom Creed Ausstattung, Video Collective 33 ⅓ Drehbuch Gaea Schoeters Dramaturgie Anne Oppermann

Inspiriert durch Alfred Hitchcocks Film „Das Fenster zum Hof“ haben Komponistin Annelies Van Parys und Librettistin Jen Hadfield eine Kammeroper geschaffen, die der Erfahrungswelt wohl jedes Großstädters entspricht: Tür an Tür mit größtenteils unbekannten Nachbarn lebend, ist man zwar Teil einer Gemeinschaft und trotzdem in Isolation gefangen. Würde das Verschwinden einer Person hier überhaupt auffallen? Und grenzt der Blick durchs Fenster der Nachbarwohnung nicht immer schon an Voyeurismus? Regisseur Tom Creed und die Videokünstler des Collective 33 ⅓ haben in PRIVATE VIEW mit der Tradition gebrochen, die Sänger in die Rollencharaktere eintauchen zu lassen. Ein auf Ausschnitten aus alten Filmen basierender Film wird stattdessen zu einem eigenständigen Protagonisten, der den Erzählstrang doppeldeutig vorantreibt. Was ist wahr, was ist subjektive Wahrnehmung?

PRIVATE VIEW

Kammeroper von Annelies Van Parys Libretto von Jen Hadfield


Dramaturgin Anne Oppermann [O] im Gespräch mit Douwe Dijkstra [D] und Coen Huisman [H] vom Collective 33 ⅓. [O] Annelies Van Parys hat mir verraten, dass sie zuerst nicht mit Video arbeiten wollte. Denn obwohl immer häufiger Video in Schauspiel oder Oper eingesetzt wird, bliebe es häufig eher illustrativ als künstlerisch. Wie habt ihr Annelies davon überzeugt, dass ihr etwas Neues beitragen könnt? [D] Das mussten wir Gott sei Dank nicht selbst tun. Annelies hat sich Arbeiten von uns angeschaut, und diese haben sie überzeugt. Wir haben erst im Nachhinein aus der Zeitung erfahren, dass sie skeptisch war. [H] Bei diesem Projekt war es neu für uns, mit einem Skript konfrontiert zu werden. Es gab darin so viel Interaktion zwischen Menschen, und es ist nicht unsere Art, etwas zu inszenieren oder mit Schauspielern nachzuspielen. Also dachten wir: „Das gab es doch alles schon. Warum also nicht Material suchen, das schon existiert und das wir benutzen dürfen?“ So dass wir einen Schritt weitergehen können, als eine Geschichte abzufilmen. [O] Wie viele Filme habt ihr euch hierfür angesehen? [H] Oh, das weiß ich nicht mehr. Wir sind ja zu dritt, und jeder hat andere gesehen. [D] Normalerweise probieren wir viele verschiedene Dinge aus. Aber dieses Mal mussten wir einen Weg finden, wie es mit der Musik und der Geschichte gut passen würde, um sozusagen eine gleiche Sprache zu finden. Aufgrund des Hitchcock-Themas beschlossen wir, mit Schwarz-WeißFilmen zu arbeiten. Man kann ganz verschiedene Dinge mit ihnen anfangen, aber auf die Weise gab es eine sehr klar umrissene Quelle von Bildern. Und dann haben wir Bilder gesamplet wie ein DJ seine Musik. Das waren zwar immer noch hunderte Stunden von Filmmaterial, aber wir konnten eine Art System entwickeln. Ein sehr simples Beispiel: Wir brauchen eine Frau, die eine Tür öffnet. Und dann sucht man danach. Erst dachten wir: „Was für eine brillante Lösung, um die Arbeitsbelastung zu reduzieren! So können wir richtig schnell arbeiten!“ Aber dann ist es immer noch so viel Arbeit, das Material zu suchen, zu kolorieren, es für die Screens auf der Bühne zu editieren. Wir haben jeden gemeinfreien Film heruntergeladen, den wir in die Finger kriegen konnten. Denn wir brauchten sehr spezielle, rechtefreie Filme. Das meiste ist aus Hollywood, Archivmaterial wie stock footage. Da gibt es sehr viel. Zum Beispiel wurde eine Straße aus einem Auto herausgefilmt, um es vielleicht einmal als Hintergrund für Menschen in einem Auto zu verwenden. [H] Sehr viele dieser Filmausschnitte waren einfach Tests. Manchmal ist das Bild zum Beispiel gar nicht richtig scharfgestellt, vielleicht weil sie nur zum ersten Mal getestet haben, abends aus einem fahrenden Auto heraus zu filmen. Da gibt es eine große Variabilität. Es gibt auch viele berühmte Schauspieler in diesem Material, die, als sie jung waren, teilweise in fürchterlichen Filmen gespielt haben, die jetzt gemeinfrei sind. Es gibt einen sehr jungen Marlon Brando oder eine Audrey Hepburn. Donald Sutherland haben wir nachträglich entdeckt …

[D] Es macht sehr viel Spaß, nach Archetypen in alten Filmen zu suchen. Die Art, wie Frauen und Männer portraitiert werden, Ehestreitigkeiten, all diese Klischees … Man kann drei Filme angucken – und die sehen eigentlich genau gleich aus! Dann kann man streitende Menschen oder traurige Menschen sammeln und dann am Ende ein Puzzle aus diesen Archetypen zusammensetzen. Das hat großen Spaß gemacht! Das ist wie Sampling in der Musik. Und es war eine tolle Erfahrung, alte Filme zu samplen. [H] Es gibt so viel Material, man kann einfach jede Geschichte zusammenschneiden aus bereits existierendem Material. [D] Wenn du einen Bösewicht brauchst, dann holst du dir einen aus dem Film und einen aus dem anderen Film … [H] … bei uns wurde der böse Typ dann zum orangefarbenen Typen, damit man ihn immer wiedererkennt. [O] Einige Bilder habt ihr aber auch neu erfunden … [H] Ja, einige sind klar erkennbar unsere Erfindung. Zum Beispiel kauften wir ein hölzernes Puppenhaus. Manchmal sieht man Details und Fragmente davon, beispielsweise wenn die Figuren Treppen hochgehen. Das wurde alles in einem Puppenhaus gedreht. [O] Und dann habt ihr anderes Filmmaterial darüber gelegt? [D] Es gab zwei Techniken: Manchmal haben wir die alten Filme in das Puppenhaus projiziert und das abgefilmt, und manchmal haben wir das Puppenhaus gefilmt und die alten Filme am Computer hinzugefügt.


Veit Ebbers und Henry Balaszeskul

[O] Als ihr zu diesem Projekt gestoßen seid, gab es da schon das ganze Libretto und die Partitur? Habt ihr euer Material während der Proben angepasst? [D] Nein, alles entstand, nachdem wir dazu gestoßen sind. Aber wir haben mit dem fertigen Material gearbeitet. [H] Tom Creed hatte als Regisseur natürlich auch einiges zu den Bildern zu sagen. Wir hatten viele Diskussionen mit ihm und Annelies. Für uns war es ganz neu, nur einen Teil von etwas herzustellen anstatt das Ganze.

haben das meiste Videomaterial produziert, bevor die Proben begannen. Aber als die Proben dann losgingen, haben wir die ganze Zeit im Saal mitgeprobt. Wir saßen zu dritt an unseren Computern, haben die Videos geändert, produziert, bis wirklich ganz zum Schluss. Man kann nur das richtige Video machen, wenn man das Stück sieht. Das Video ist hier wie ein Schauspieler. Und für diese Oper gab es nur drei oder vier Wochen Probenzeit. Erst nach Monaten der Vorbereitung, in denen wir schon harte Arbeit geleistet hatten, kam am Ende alles zusammen und dann mussten wir fast alles ändern.

[D] Für uns war das wirklich sehr schwierig, denn wir sind keine Theaterleute. Wir haben zwar schon MusiktheaterStücke produziert, aber da haben wir dann alles selbst gemacht. Wir machten den Film, gleichzeitig Theater, probierten die Musik aus und brachten alles zusammen. Aber bei PRIVATE VIEW musste die Herangehensweise traditioneller sein. Die Musik war bereits geschrieben, aber es gab sie nur als Partitur. Annelies ist natürlich in der Lage, das dann schon im Kopf zu hören. Wir nicht. Das erste Mal, dass die Musik erklingen sollte, war während der Proben. Aber wir wollten die Musik viel früher hören! Deswegen haben wir musikalische Proben viel früher angesetzt, damit auch wir eine Vorstellung von der Musik bekommen. So konnten wir mit der Musik arbeiten, aber das war ohne Sänger. In gewisser Weise arbeiteten wir blind. Erst ganz am Ende konnten wir das ganze Bild sehen.

[O] Es macht ja den Unterschied zu den üblichen Videoeinspielungen im Theater aus, dass der Film hier eher ein weiterer Darsteller ist. Habt ihr eine Vision, wie eine Art „Videooper“ der Zukunft aussehen könnte?

[O] Gleich zu Beginn der Oper, im Prolog, fällt auf, wie rhythmisch Musik und Video aufeinander abgestimmt sind.

[D] „Das Fenster zum Hof“ ist wichtig für PRIVATE VIEW, aber ich persönlich denke, man sollte das alles vergessen. Für uns ist das kein Stück über „Das Fenster zum Hof“ oder über Hitchcock. Es ist etwas komplett Neues.

[D] Ja, das konnten wir natürlich erst sehr spät machen. Wir

[H] Das hängt davon ab, was für eine Art Story man erzählen möchte. Und davon, ob Oper sich über Musik definiert, oder ob das Video Gleichwertigkeit erlangen kann. Ich muss in der Oper gar nicht alles neu erfinden, im Video oder in der Musik. Aber es ist wichtig, was für eine Geschichte man erzählt, dass da genügend Anknüpfungspunkte vorhanden sind. Für mich ist der Film „Das Fenster zum Hof“ ein echt zündender Film der 50er Jahre, aber wir hatten unsere eigene Idee. Wir sind Videomacher, keine Geschichtenerzähler oder Drehbuchschreiber. Es war eine sehr persönliche Entscheidung, welche Dinge wir aus dem Film benutzten.

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Frei nach Alfred Hitchcocks Klassiker „Das Fenster zum Hof“ haben wir die Arbeit umgesetzt und uns in den Abendstunden in verschiedene Berliner Wohnungen begeben. Die Fotos geben einen kurzen, zufälligen Einblick, den „Private View“, ein zuweilen geheimnisvoller und bedrohlicher Moment in scheinbaren Alltagssituationen.


[O] Wenn man einen Film macht, der als Ausgangpunkt einen Film von Hitchcock hat: War es da schwer, sich von den Hitchcock-Bildern freizumachen? [D] Wir wussten, es ist rechtlich unmöglich, seine Filme zu nutzen. Das stand außer Frage, darüber haben wir nie nachgedacht. Es ist natürlich schon schwierig, wenn man mit Video etwas auf Hitchcock Basierendes macht, dann wird man immer mit ihm verglichen werden. Die Art, wie wir die Bilder behandeln und wie wir eine Story erzählen, ist aber komplett abweichend vom traditionellen Kino und Hitchcocks Filmen. Wir erzählen viel kryptischer. Aber am Ende haben wir uns kleine Späße erlaubt und ein Bild von Hitchcock verwendet mit einem Balken über seinen Augen. Das ist sein Cameo-Auftritt …

Collective 33 ⅓ wurde 2008 mit Sitz in Zwolle, Niederlande, von Jules Van Hulst, Douwe Dijkstra und Coen Huisman gegründet. Die Künstler lernten sich an der Kunstakademie in Zwolle kennen, wo sie u. a. die Videoprojektionen für die Musiktheateradaption von „The Falls“ produzierten, einem frühen Werk von Peter Greenaway, der die Produktion selbst begleitete. Nach ihrem Studienabschluss kreierten die Künstler eine Reihe von Videoprojekten. Diese spiegeln ihre originäre Herangehensweise, mit der sie unter Verwendung von atypischen Elementen und Ready-Mades eine unkonventionelle Videoerzählweise und divergierende Realitäten schaffen – das Markenzeichen des Kollektivs. 2013 verlieh das International Theatre Institute Collective 33 ⅓ ein „Certificate of Achievement“ für ihre international hoch gelobte Produktion „Bluebeard”.

[H] Hitchcock hat so viele Dinge ausprobiert, die so noch nie vorher gemacht wurden. Er war wirklich innovativ. Das versuchen wir auch. Deswegen studiere ich auch nicht zu viel schon Gemachtes, um mich nicht in der Geschichte der bereits realisierten Dinge zu verlieren. Ich will lieber selbst ausprobieren. Manchmal ist es gut, etwas blind zu sein und nicht alles zu wissen. Einfach aus dir selbst heraus zu arbeiten mit Dingen, die du liebst und die dich inspirieren. Es geht dann nicht um eine Anhäufung von Wissen. [O] Was hat euch an dem Thema der Oper interessiert? [D] Man lebt zu Tausenden auf engem Raum und kennt seine Nachbarn nicht mehr. Das ist heute sehr relevant, weil Leute immer isolierter werden trotz oder wegen der ganzen sozialen Medien. Ich denke, dass PRIVATE VIEW das gut transportiert. Es gab tatsächlich Überlegungen, dieses Thema im Stück auch noch mehr mit sozialen Medien zu verbinden, aber ich bin doch sehr froh, dass wir es eher „old-fashioned“ erzählen. [H] Ich denke, jeder kann mit diesem Thema etwas anfangen. [D] Leider, ja.

Anne Oppermann ist seit der Saison 2012 / 2013 an der Deutschen Oper Berlin engagiert und begleitet PRIVATE VIEW in der Tischlerei als Dramaturgin.


Symposion „Oper und Politik“

Ein Symposion in der Tischlerei widmet sich dem Thema „Oper und Politik“

20. , 21. November 2015, Beginn jeweils 10.30 Uhr, 22. November 2015, Beginn 11.00 Uhr, Tischlerei

Zum Beispiel AIDA. Entstanden zur Eröffnungsfeier des Suez-Kanals, der Großbritannien für die nächsten Jahrzehnte zur mächtigsten Nation der Welt machen sollte, scheint Verdis Pharaonen-Oper auf den ersten Blick das Paradebeispiel für prunkvollrepräsentatives Musiktheater im Dienst der Macht zu sein – inklusive Siegesparade mit fanfarenschmetterndem Triumphmarsch. Und doch lässt sich AIDA auch ganz anders lesen: Als Stück eines resignierten Künstlers, der schon Jahre vorher der Politik und eigentlich auch dem Opernschreiben Adieu gesagt hatte, sobald er einsehen musste, dass auch im vereinten Italien wieder die gleichen machtpolitischen Mechanismen und Kungeleien am Werk waren wie zuvor unter den erbittert bekämpften österreichischen Fremdherrschern und Feudalfürsten. Denn AIDA ist auch ein Werk über einen gleichgeschalteten Autoritätsstaat, der jeden Versuch eines abweichenden Lebensentwurfs unnachgiebig bestraft, der sich abschottet gegenüber dem Fremden und seine Legitimation nur aus der Allianz von militärischer und religiöser Macht bezieht.

Vorträge, Gespräche und Diskussionen u. a. mit Aribert Reimann, Ole Hübner, Benedikt von Peter, Andrea Moses und Udo Bermbach. In Zusammenarbeit mit Deutschlandradio Kultur

Wie keine andere Kunstform steht Oper seit ihrer Erfindung vor 400 Jahren im Spannungsfeld dieser beiden Pole von Repräsentation und Rebellion: Sie wird von den

19 18 SYMPOSION „OPER UND POLITIK“„

ZWISCHEN REBELLION UND REPRÄSENTATION


Mächtigen genutzt und vereinnahmt, um ihrer Herrschaft Glanz zu verleihen, hat jedoch auch immer wieder denjenigen Raum gegeben, deren Stimmen sonst keine Chance gehabt hätten, gehört zu werden. Den Unterlegenen, Opfern, Rebellen – allen, die von der Geschichte der Sieger normalerweise ignoriert werden. Kein Zweifel. Oper ist Politik. Sie ist es mit Inszenierungen, die immer wieder dafür sorgen, dass die politischen Botschaften von Giuseppe Verdi und Co nicht unter dem Goldstaub festlicher Abendunterhaltung verschwinden. Sie ist es durch Komponisten, die die Opernbühne heute in der Tradition von Giuseppe Verdi bis Luigi Nono als politisches Forum begreifen. Und sie ist es natürlich auch als glänzender Rahmen, in dem sich die Elite einer Gesellschaft feiert.

Ich kenne Dirk seit einem Jahr. Die Dramatik, die sich in seinem Leben abspielt und die ich fotografiert habe, scheint wie die Überspitzung alltäglicher Probleme eines jeden. Seine Welt, für Andere vielleicht trivial, findet ihre Bühne in den Krankenhäusern, Parkplätzen, Spätis und Sozialbauten Berlins. Dorothea Zinn

Kaum ein Opernhaus ist in diesem Sinne politischer als die Deutsche Oper Berlin. Von den demokratischen Idealen, die schon bei der Gründung 1912 durch musikbegeisterte Bürger maßgeblich waren, über die Instrumentalisierung als „Deutsches Opernhaus“ durch das Propagandaministerium der Nationalsozialisten bis hin zur kulturpolitischen Leuchtturmstellung, die das Haus im Westberlin des Kalten Krieges innehatte. Das Symposion „Oper und Politik“ macht das komplexe Verhältnis von Musiktheater zwischen Fest und Protest zum Thema: Wie sehr vertrauen Komponisten und Regisseure heute auf die politische Wirksamkeit von Oper? Wo liegen für den hoch subventionierten Apparat Oper die Grenzen der Glaubwürdigkeit? Wie aktuell kann und soll Oper überhaupt auf politische Entwicklungen reagieren? Wie sieht politisches Musiktheater in Ländern wie den USA und Russland aus? Ist die politische Sichtweise von Opernklassikern am Ende nur ein obsoletes Erbe der DDR? Drei Tage lang wird in der Tischlerei referiert und debattiert, kommen Regisseure, Opernfachleute, Wissenschaftler und Journalisten zu Wort: um Fragen zu stellen und Antworten zu suchen. Ganz wie es die Oper selbst tut – seit 400 Jahren.

Jörg Königsdorf

Jörg Königsdorf ist seit der Saison 2012 / 2013 Chefdramaturg der Deutschen Oper Berlin.


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LA PASSION DE SIMONE

Oratorium für Solosopran, Chor, Orchester und Live-Elektronik von Kaija Saariaho Libretto von Amin Maalouf Musikalische Leitung Duncan Ward Inszenierung Peter Sellars Gesang Julia Bullock Vokalquartett Mitglieder des Rundfunkchors Berlin Mit Musiker der Orchester-Akademie der Berliner Philharmoniker Vorstellungen 25. und 26. November 2015, jeweils 20.00 Uhr, Tischlerei Eine Kooperation der Berliner Philharmoniker mit der Deutschen Oper Berlin

Ein „diskretes, aber kraftvolles Zeichen in unserer fehlgeleiteten Welt“ Kaija Saariahos Oratorium LA PASSION DE SIMONE


Kaija Saariaho, deren musikalisches Schaffen sich durch raffinierte Farbkombinationen, traumhaft-schwebende Stimmungsbilder und räumliche Klangvisionen auszeichnet, widmete der französisch-jüdischen Mathematikerin, Philosophin und Mystikerin Simone Weil ihr Oratorium LA PASSION DE SIMONE, das im November 2006 in Wien uraufgeführt wurde. Die finnische Komponistin konzipierte das Werk für Solosopran, Chor, Orchester und Live-Elektronik gemeinsam mit Amin Maalouf und dem amerikanischen Regisseur Peter Sellars; beide hatten zuvor schon an Saariahos erfolgreichen Opern L’AMOUR DE LOIN [2000] und ADRIANA MATER [2006] mitgearbeitet.

Peter Sellars begann seine Zusammenarbeit mit den Berliner Philharmonikern 2010 mit der Matthäus-Passion, die von der Presse als das „ergreifendste Musikereignis der Saison“ bejubelt wurde. Nun wird der amerikanische Regisseur, der dem Orchester in der Spielzeit 2015 / 2016 als Artist in Residence verbunden ist, in Kooperation mit der Deutschen Oper Berlin Kaija Saariahos LA PASSION DE SIMONE in Szene setzen: ein Werk, das wie ein Kreuzweg in 15 „Stationen“ gegliedert ist und eine kontemplative Abfolge statischer Bilder ausbreitet: „Die 15 Sätze sind in Charakter und Struktur sehr unterschiedlich; sie beleuchten verschiedene Momente in Simone Weils Leben und interpretieren einige ihrer Ideen. Der Sopranistin kommt die zentrale Rolle des Erzählers zu“, so die Komponistin. Nur an der achten Station identifiziert sich die Solistin mit Weil und singt eine Textpassage aus ihren Schriften: „Gott zieht sich aus der Welt zurück, um nicht so geliebt zu werden, wie ein Geiziger einen Schatz liebt.“ Dabei entwirft Saariahos Musik raffiniert ausgesponnene musikalische Netzwerke, in denen in sich changierende Klangflächen und ihre live-elektronische Manipulation zu packenden Klanggemälden von irisierender Schönheit werden. Beteiligt an der szenischen Aufführung in der Tischlerei der Deutschen Oper Berlin sind die junge Sopranistin Julia Bullock und Mitglieder des Rundfunkchors Berlin; es spielt die von Duncan Ward dirigierte OrchesterAkademie der Berliner Philharmoniker.

Harald Hodeige studierte Deutsche Philologie und Musikwissenschaft; 2003 Promotion, 2004 Buchveröffentlichung „Komponierte Klangräume in den Symphonien Gustav Mahlers“; freie journalistische Tätigkeit für Konzerthäuser, Musikfestivals und Rundfunkanstalten; seit 2005 Programmheftredakteur beim NDR; seit 2012 fester freier Mitarbeiter der Stiftung Berliner Philharmoniker; Lehraufträge an der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin.

La PASSION DE SIMONE

Harald Hodeige

© Privat

Das von mittelalterlichen Passionsspielen inspirierte Oratorium beleuchtet verschiedene Momente und Aspekte des Lebens und Denkens von Simone Weil, die an Entkräftung starb, weil sie sich weigerte, mehr zu essen, als den Häftlingen in deutschen Konzentrationslagern zur Verfügung stand. „Die finnische Übersetzung ihres Buches ‚Schwerkraft und Gnade‘“, so Kaija Saariaho, „gehörte zu den wenigen Sachen, die ich in den Koffer gepackt habe, als ich nach Deutschland kam, um meine Kompositionsstudien fortzusetzen. Später las ich ihre Bücher im französischen Original und erfuhr auch mehr über ihr Leben.“ Dabei faszinierte die Komponistin die „Kombination aus strenger Askese und leidenschaftlicher Suche nach Wahrheit“, wohingegen Peter Sellars vornehmlich die politischen Aktivitäten und das ausgeprägte soziale Bewusstsein der Philosophin interessierte: Simone Weil teilte ihr Gehalt, das sie als Gymnasiallehrerin verdiente,

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mit Arbeitslosen, arbeitete in Fabriken, da sie es unerträglich fand, dass Intellektuelle über die Arbeit theoretisierten, ohne sie praktisch zu kennen, und kämpfte im Spanischen Bürgerkrieg. Maalouf wiederum legte den Fokus auf das Spannungsfeld zwischen Weils Philosophie und ihrem Leben – auf das Schicksal eines verletzlichen Menschen inmitten der eigenen Ideale und visionären Ideen: „Nichts, das existiert, ist der Liebe würdig“, lässt er Simone Weil sagen. „So müssen wir lieben, was es nicht gibt.“

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„Im Alter von 34 Jahren“, schreibt der aus dem Libanon stammende französische Schriftsteller und Librettist Amin Maalouf, „beschloss eine junge Frau, diese Welt zu verlassen. Es war im August 1943, als die Menschheit gerade einen Gipfel der Barbarei erreicht hatte. Simone Weil starb wie bei einem stillen Protest ohne Geräusch – in der Anonymität eines kleinen englischen Krankenhauses. […] Ihre Passion setzt ein diskretes, aber kraftvolles Zeichen in unserer fehlgeleiteten Welt.“


TISCHLEREIKONZERTE

JAZZ LYRICS

Auch in der neuen Saison haben sich die Musiker aus dem Orchester der Deutschen Oper Berlin Gäste zu ihren Tischlereikonzerten eingeladen. Im Programm „Paris!“ singt Sopranistin Siobhan Stagg Kompositionen von Claude Debussy und Ernest Chausson. Tänzer Oren Lazovski gestaltet gemeinsam mit den Musikern den Richard Strauss-Abend „Eulenspiegeleien“. Und für die „Spotlights“ haben diese ihren eigenen Chef eingeladen: Generalmusikdirektor Donald Runnicles, der als Pianist in Leoš Janáčeks Capriccio für Klavier linke Hand und Bläserensemble zu erleben sein wird.

Im September startet mit „Jazz & Lyrics“ eine neue Reihe in der Tischlerei. Präsentiert von der BigBand der Deutschen Oper Berlin spielen deren Mitglieder zusammen mit Gästen in kleineren Formationen in der Saison 2015 / 2016 fünf Jazz-Konzerte. Die Konzerte widmen sich einem bestimmten Thema oder einem bestimmten Komponisten und verbinden die Musik auf unterschiedlichste Art und Weise mit Lyrik. Texte, Biografisches und Poesie – oder, wie im Eröffnungskonzert der Reihe, ein Stummfilm mit live gespielter Filmmusik, machen diese Konzerte zu jeweils einzigartigen Veranstaltugnen.

PARIS!

MOVIE-JAZZ

21. September 2015, 20.00 Uhr

18. Oktober 2015, 20.30 Uhr

Ein französischer Abend

Der Jazz im Kino

Werke von Claude Debussy, Darius Milhaud, Ernest Chausson und Maurice Ravel Gast: Siobhan Stagg [Sopran]

Die Movie-Jazzband mit Marc Secara [voc]
 Stummfilm „Liberty“ Musik: Wolfgang Köhler

SPOTLIGHTS

SWANEE RIVER

9. November 2015, 20.00 Uhr

31. Januar 2016, 18.00 Uhr

Musiker spielen ihre Lieblingsstücke Komponierende Freimaurer

Another Kind of Jazz-History

Werke von Leoš Janáček, Max Reger, Michael Haydn und
Ruud Wiener Gast: Donald Runnicles [Klavier]

The Original Swanee River Jazz Band
 Ein vergnüglicher Streifzug durch die Geschichte des Jazz
Arrangement Moderation: Felix Janosa

EULENSPIEGELEIEN

JAZZ IN THE CITY

12. Januar 2015, 20.00 Uhr

28. Februar 2016, 20.30 Uhr

Ein Strauss-Abend

Die Stadt und der Jazz

Werke von Richard Strauss Gast: Oren Lazovski [Tanz]

Urban-Jazz mit der Cityjazzband und Maria Baptist
 Texte von und mit John von Düffel


25 24 14. November 2015, 20.00 Uhr Konzert des Landesjugendensembles Neue Musik Berlin Programm Matthias Kaul, Auftragswerk [UA, 2015] Steve Reich, „Tehillim“ [1981] Jonas Kämper, „the conclusion came late“ [UA, 2015] Georg Katzer, „La scuola dell'ascolto 2“ [2014] Leitung: Jobst Liebrecht, Gerhard Scherer Landesjugendensemble Neue Musik Berlin

Bereits zum dritten Mal präsentiert das erst 2013 gegründete Landesjugendensemble Neue Musik Berlin sein Herbstprojekt in der Tischlerei der Deutschen Oper Berlin. Die beiden Initiatoren, die Komponisten und Performer Jobst Liebrecht und Gerhard Scherer, erarbeiten auch dieses Jahr mit den jugendlichen Instrumentalisten ein ungewöhnliches Programm, das zwei Uraufführungen enthält. Matthias Kaul, der für die Junge Deutsche Oper bereits ein Mobiles Musiktheater mit dem Titel KUCKUCK IM KOFFER geschrieben hat, komponiert im Auftrag des Ensembles ein neues kammermusikalisches Werk, in dem das Horn eine große Rolle spielt. Von Jonas Kämper, Schüler des Gymnasiums Steglitz, kommt ein Werk zur Uraufführung, das bereits einen Preis gewonnen hat, „the conclusion came late“. Damit errang der Komponist den ersten Preis in der Kategorie der 16- bis 19-Jährigen beim luxemburgischen Wettbewerb „Artistes en Herbe“. Diesen Uraufführungen stehen zwei Kompositionen gegenüber, die von zwei knapp 80-jährigen Komponisten stammen, die gegensätzlicher nicht sein könnten: Steve Reich [*1936] ist einer der profiliertesten amerikanischen Komponisten, denen das Label „minimalism“ zugeschrieben wurde. Vom Free Jazz der 50er Jahre inspiriert, kreierten diese Musiker einen neuen Klassikstil, der wesentlich auf Wiederholung und Variation

kleinster musikalischer Motive basiert. Von Steve Reich wird „Tehillim“ aufgeführt, ein vokalkammermusikalisches Werk, in dem Reich 1981 mit Psalmtexten jüdische Überlieferung reflektierte. Stilistisch ganz anders verortet ist Georg Katzer [*1935], dessen Oper ANTIGONE, ODER DIE STADT 1989 an der Komischen Oper Berlin uraufgeführt wurde. Er gehört zur musikalischen „Avantgarde“, zu den Komponisten, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Deutschland wesentlich das bestimmten, was „Neue Musik“ genannt wurde. „La scuola dell‘ascolto 2“ [„Die Schule des Hörens“] spielt im Titel auf den Spätstil von Luigi Nono an, der sein letztes großen dramatisches Werk, PROMETEO, mit dem Untertitel „Tragedia dell’ascolto“ [„Tragödie des Hörens“ oder „Tragödie zum Hören“] versah.

Curt A. Roesler

Curt A. Roesler ist seit der Saison 1982 / 1983 Dramaturg der Deutschen Oper Berlin.

Konzerte

KONZERTE

Landesjugendensemble Neue Musik Berlin


JUNGE DEUTSCHE OPER


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VOM SUCHEN, FINDEN UND WEITERGEHEN

Für die Fotoserie habe ich mich auf eine Reise durch mystische Landschaften hinein in das Treppenhaus der Deutschen Oper Berlin begeben. Eine Reise beginnend mit der Suche nach dem Unbekannten, fragend, irrend, findend, bis hin zur stillen Ankunft. Schore Mehrdju

Tamara Schmidt, neue Leiterin der Jungen Deutschen Oper, über die bevorstehende Reise in Neues und Altes, Fremdes und Vertrautes in der Saison 2015 / 2016.

„Tamara Schmidt, Leitung Junge Deutsche Oper“ steht auf meinem Theaterausweis, den ich überreicht bekomme – nach fünf aufregenden und sehr schönen Jahren an der Staatsoper Hannover in selber Position war es Zeit, auf Reisen zu gehen. „Wohin gehst du?“ werde ich vom Pförtner gefragt, und ich muss schmunzeln, weil es nicht nur die gleiche Frage ist, die mir viele Hannoveraner in den letzten Wochen gestellt haben, sondern auch die, die ich mit Jugendlichen zwischen neun und 15 Jahren im Winterferienlabor im Februar bearbeiten möchte. Dort geht es allerdings nicht nur um Häuser, Straßen oder Abteilungen im Opernhaus, sondern auch um Orte in unseren Träumen und Gedanken, um das innere Unterwegssein. Wohin geht die eigene Fantasie? Und wie klingt das? Wenn wir unsere Ergebnisse am 7. Februar 2016 in der Tischlerei präsentieren, werde ich wohl inzwischen auch wissen, wie ich dorthin komme. Jetzt stehe ich aber erst einmal ziemlich verwirrt in einem Treppenhaus, in dem Alt- und Neubau so seltsam miteinander verbunden sind, dass sich die Stockwerke nie treffen und es immer zwei gibt: zwei erste, zwei zweite, zwei dritte. Im Fahrstuhl gibt es dafür keine zweite Etage – auf die erste folgt die dritte. Auf den ersten Blick ist das Treppenhaus eine Fehlkonstruktion, auf den zweiten merkt man, dass man ja doch immer ankommt, vom Alten ins Neue und umgekehrt, und so scheint mir dieses Treppen-Delta plötzlich ganz richtig hier, an einem Ort, wo Neuinszenierungen auf der großen Bühne und Experimente in der Tischlerei auf Klassiker, die ganze Generationen von Operngängern geprägt haben, stoßen und sich zu etwas Neuem verbinden.

Das Neue, das nicht nur von den großen Stars der Opernszene geschaffen wird, sondern auch von den vielen jungen Menschen, welche die Deutsche Oper Berlin in verschiedenen Projekten als ein Haus mit offenen Türen kennenlernen werden, in das sie eingeladen sind, Musiktheater mit zu gestalten. Ab dieser Spielzeit gibt es neben den Opernmäusen [6-10 Jahre] und dem Jugendclub [13-18 Jahre] auch einen Kinderclub für 8- bis 12-Jährige, in dem Kinder unter professioneller Anleitung ihre ganz eigene Reise in die Welt der Oper unternehmen und in Form eines eigenen Musiktheaters im Sommer präsentieren. Aber es geht auch in die andere Richtung: Mit den Opernguides werden wir viele kleine Botschaften der Deutschen Oper Berlin in der ganzen Stadt verteilen. Hier können alle ab 13 Jahren gemeinsam zu ermäßigten Preisen in die Oper gehen, sich regelmäßig treffen, bei Sonderveranstaltungen mithelfen und das gesammelte Insiderwissen als Ansprechpartner an der eigenen Schule weitertragen. Und zum Paket gehören natürlich Treffen mit den Künstlern und Stars der Oper. Ich bekomme immer mehr Lust, nicht nur das Haus zu erkunden, sondern die ganze große Stadt Berlin, die wie ein nie schlafendes Meer unsere musikalische Insel umschwappt und immer neue faszinierende Kostbarkeiten ans Land spült: Kooperationspartner wie das Haus der Jugend oder das Theater in der Parkaue, Menschen aller Nationalitäten und Kulturen, Neuankömmlinge und Alteingesessene aus Ost und West, Nord und Süd. Wie der Held Odysseus hatte ich mich bei meiner Anfahrt schon gefühlt – aber was sind die antiken Stürme gegen das Berliner S-Bahn-Netz? Noch unwissend, wie es zu bezwingen ist, war ich auf dem Weg eine Station zu früh ausgestiegen und in die Schillerstraße eingebogen. So war ich auf eine Außenstation unserer kommenden Arbeit getroffen: Schillerstraße 29, ehemals Krumme Straße 66 / 67. Hier wurde Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967 erschossen. In Kooperation mit dem Kulturzentrum Spirale

Junge Deutsche Oper

Es ist irgendwann im April 2015, als ich das erste Mal vor der Deutschen Oper in Berlin stehe, mit meinem Rucksack voller Unterlagen, Anziehsachen, Erinnerungen und Ideen auf dem Rücken. Die Reise von Hannover nach Berlin war zwar gar nicht lang, dafür die Fahrt vom Berliner Hauptbahnhof nach Charlottenburg. Und jetzt, wo ich scheinbar angekommen bin, wird mir klar, dass der längste Teil meines Abenteuers ohnehin noch vor mir liegt: hier, in der Bismarckstraße.


werden wir im Projekt „Spurensuche Benno Ohnesorg“ den Umständen seiner Ermordung nachgehen und uns dem Menschen Ohnesorg nähern. Bis heute ist trotz zweier Strafverfahren gegen den Todesschützen nicht abschließend geklärt, was an diesem Tag geschah, nur 300 Meter von der Oper entfernt, in der sich der Schah von Persien auf Staatsbesuch wärenddessen eine Aufführung der ZAUBERFLÖTE ansah. Wo damals Hochkultur und politische Realitäten streng getrennt waren, reißen die Odysseuse der Neuzeit, Schüler ab 15 Jahren, diese Mauern ein, gehen auf Spurensuche, befragen Zeitzeugen, drehen Videos und entwickeln einen musiktheatralen Videowalk, der den Tatort und die Deutsche Oper Berlin verbindet. Verbinden, das ist ohnehin das wohl wichtigste Wort für die Arbeit an der Jungen Deutschen Oper, ob im Treppenhaus, beim Videowalk oder im klassischen Vorstellungsbesuch. Wir verstehen uns als Vermittler – zwischen jung und alt, zwischen Pop-Kultur und Klassik, zwischen Bühne und echtem Leben, zwischen Kunstprodukt und Zielgruppen. Vermittlung, präziser: Kulturvermittlung, ist nie eine Einbahnstraße, der Austausch geht immer in beide Richtungen. Junge Menschen lernen nicht nur uns und unsere Traditionen kennen, sondern bringen auch neue Perspektiven mit, die uns Erkenntnisse bringen und unsere Arbeit und die aller Kollegen beeinflussen. Kunst speist sich aus dem Leben und umgekehrt – die Schwelle zu überwinden, die ein beeindruckendes, edles Gebäude wie die Deutsche Oper Berlin automatisch aufbaut, die Hemmungen abzubauen, die ein langsames Genre in einer hektischen Zeit ganz natürlich evoziert, die Erklärungen zu liefern, die fremdsprachig gesungene Rätsel zu unmittelbaren Opernabenden machen, das alles sind nur die ersten Aufgaben, der Ausgangspunkt. Wenn die Demonstranten einmal in die großen Foyers gestürmt sind, ist dann nicht auch DIE ZAUBERFLÖTE auf der Bühne eine ganz andere? Ganz andere Schwellen erleben täglich junge Männer, mit denen wir im Projekt „Gegen das System“ zusammen arbeiten werden. In Kooperation mit der Jugendstrafanstalt Berlin und no boundaries e.V. entwickeln wir, ausgehend von der Oper SALOME, einen eigenen Umgang mit Freiheit und Gefangensein, dessen Ergebnisse wir im Januar präsentieren: Wie weit darf, wie weit muss die Freiheit innerhalb eines Systems gehen? Kann man als Teil eines Systems nur nach dessen Regeln

reagieren oder kann man sich aus seinen Verhältnissen befreien? Ich bin inzwischen in der Tischlerei angekommen. Es war nicht nur ein verschlungener Weg, der meine Odyssee durch Berlin fortsetzte, er war manchmal auch beklemmend, wenn ich mich durch die Sicherheitstüren im Haus, die sich nur mit entsprechenden Ausweisen öffnen lassen, ganz leibhaftig an ein Gefängnis erinnert fühlte. Von diesem Gefühl ist jetzt, in der weiten Tischlerei, diesem großen, hellen Raum, nichts mehr zu spüren. Gerade, wenn die Zuschauertribüne nicht aufgebaut ist, sehe ich die Off-Spielstätte der Deutschen Oper Berlin, die nur darauf wartet, von den vielen Künstlern und Theaterpädagogen, Musikern und vor allem jungen Menschen mit Leben, Ideen und Kunst gefüllt zu werden. Und es ist für alle etwas dabei: vom Kleinkind in den beliebten Babykonzerten [wieder ab 20. / 21. Oktober] oder Knirpskonzerten, über die Opernreporter bis hin zu Familien in unserem Adventssingen [5. / 19. Dezember]. Im April 2016, wenn ich mich schon lange angekommen und wahrscheinlich zu Hause fühlen werde, wird hier ein eigener Staat entstehen, das NEULAND. Geflüchtete und Jugendliche aus Berlin bauen eine Utopiegesellschaft – das Casting dafür findet am 14. November 2015 statt. Dann werde ich auch wieder hier sitzen, genau auf diesem Stuhl, auf dem ich mich heute noch fremd fühle, meinen Rucksack voller Unterlagen, Anziehsachen, Erinnerungen und Ideen inzwischen ausgepackt, und ich werde mich wieder fremd fühlen, obwohl ich dann bereits hundert Mal auf diesem Stuhl gesessen haben werde und ihn eigentlich kennen müsste. Und genau darauf freue ich mich. Denn sich fremd fühlen und ankommen, sich vertraut machen und weiterreisen, Neues entdecken und Altes behalten, eine Odyssee anzutreten im Jahr 2015 – das kann man wohl von keinem Ort der Welt aus so gut wie hier im Musiktheater. Ich freue mich auf die Reise in und mit der Deutschen Oper Berlin.

Tamara Schmidt

Tamara Schmidt ist seit der Saison 2015 / 2016 als Leiterin der Jungen Deutschen Oper an der Deutschen Oper Berlin engagiert.


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Veranstaltungen der Jungen Deutsche Oper Casting für NEULAND Gemeinsam ein Stück entwickeln, mit Gleichgesinnten proben, von Theaterprofis angeleitet werden und am Ende in der Tischlerei einen eigenen Utopiestaat gründen: Für die Jugendproduktion NEULAND suchen wir Jugendliche ab 15 Jahren. Casting: 14. November 2015 Anmeldung bis 31. Oktober 2015 unter schmidt@deutscheoperberlin.de

Kinderclub / Jugendclub Unter professioneller Anleitung wird einmal pro Woche [Kinderclub] oder in den Schulferien [Jugendclub] improvisiert, experimentiert, getextet und geprobt. Im Juli 2016 zeigt jeder Club seine Ergebnisse in einer Werkschau in der Tischlerei! Anmeldung ab September 2015

Für Kinder, Jugend, Familie, Kita und Schule

Opernguides Wer mit dem Opernvirus infiziert ist, steckt andere an. Jugendliche ab 13 Jahren werden in regelmäßigen Treffen zu Insidern der Deutschen Oper Berlin, berichten ihren Freunden oder der Familie und erhalten dafür ermäßigte Karten! Anmeldung ab September 2015

Jetzt kostenlos Saisonvorschau 2015 / 2016 der Jungen Deutschen Oper und Jugend-Newsletter ­ anfordern und gleich für die nächste Saison registrieren!

Winterferien-Musiklabor „Wohin gehst Du?“ Gemeinsam mit Künstlern und Musikern gehen Teilnehmer zwischen 9 und 15 Jahren in den Winterferien in verschiedenen Klang-Workshops dieser Frage nach. Die Ergebnisse werden zum Abschluss in der Tischlerei präsentiert. Workshops: 1. bis 7. Februar 2016 Präsentation: 7. Februar 2016

marketing@deutscheoperberlin.de www.deutscheoperberlin.de

Babykonzert Inmitten einer Kissenlandschaft sind Babys zwischen 0 und 2 Jahren herzlich eingeladen zu lauschen, neue Klangwelten zu erleben, sich zu bewegen und von der Musik verzaubern zu lassen. 20. und 21. Oktober 2015, jeweils 10.30, 15.00 und 17.00 Uhr

KUCKUCK IM KOFFER Unsere neue mobile Produktion besucht Bildungseinrichtungen in und um Berlin. Kinder ab 3 Jahren erleben ihr erstes Musiktheater in der gewohnten Umgebung. Buchen Sie uns!

© Stephan Bögel


WIEDERAUFNAHMEN GOLD Musiktheater für alle ab 4 Jahren von Leonard Evers Libretto von Flora Verbrugge nach dem Grimm’schen Märchen „Vom Fischer und seiner Frau“; Übersetzung Barbara Buri Premiere am 5. Dezember 2014 in der Tischlerei der Deutschen Oper Berlin Komposition Leonard Evers Inszenierung Annechien Koerselman Bühne, Kostüme Dieuwecke van Reij Mit Christina Sidak [Jakob], Lukas Böhm [Schlagzeug] Wiederaufnahme 6. November 2015, 11 Uhr Weitere Vorstellungen 10., 11., 12., 13., 16., 17., 18. November 2015, jeweils 11.00 Uhr Koproduktion der Deutschen Oper Berlin mit dem Theater Sonnevanck, Enschede

© Marcus Lieberenz

KANNST DU PFEIFEN, JOHANNA Musiktheater für alle ab 6 Jahren von Gordon Kampe Libretto von Dorothea Hartmann nach dem gleichnamigen Kinderbuch von Ulf Stark; Auftragswerk der Deutschen Oper Berlin und des Saarländischen Staatstheaters; Uraufführung am 30. November 2013 in der Tischlerei der Deutschen Oper Berlin Komposition Gordon Kampe Musikalische Leitung Kevin McCutcheon Inszenierung Annechien Koerselman Bühne, Kostüme Claus Stump Mit Stephen Bronk [Nils], Martin Gerke [Ulf], Paul Kaufmann [Berra], Sandrine Albrecht [Klarinette/ Bassklarinette], Wolfgang Wiest [Posaune], Ludwig Schwark [Kontrabass], Thomas Döringer [Schlagzeug], Jenny S. Kim [Klavier] Wiederaufnahme 13. Februar 2016, 16.00 Uhr Weitere Vorstellungen 14. Februar 2016, 16.00 Uhr, 15. Februar 2016, 11 Uhr, 20., 21. Februar, jeweils 16.00 Uhr gefördert von der Ernst von Siemens-Musikstiftung

© Leo Seidel


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September 2015 – Februar 2016 21 Mo 1. Tischlereikonzert – Paris!

Januar

20.00

Oktober

2 3 5 6 7 8 9 11 12 13 14 18 20

21

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Fr DIE IRRFAHRTEN DES ODYSSEUS * 10.00 Sa DIE IRRFAHRTEN DES ODYSSEUS 16.00 Mo DIE IRRFAHRTEN DES ODYSSEUS 10.00 Di DIE IRRFAHRTEN DES ODYSSEUS 10.00 Mi DIE IRRFAHRTEN DES ODYSSEUS 10.00 Do DIE IRRFAHRTEN DES ODYSSEUS 10.00 Fr DIE IRRFAHRTEN DES ODYSSEUS 10.00 So DIE IRRFAHRTEN DES ODYSSEUS 16.00 Mo DIE IRRFAHRTEN DES ODYSSEUS 10.00 Di DIE IRRFAHRTEN DES ODYSSEUS 10.00 Mi DIE IRRFAHRTEN DES ODYSSEUS 10.00 So Jazz & Lyrics – Movie-Jazz 20.30 Di Babykonzert 10.30 Babykonzert 15.00 Babykonzert 17.00 Mi Babykonzert 10.30 Babykonzert 15.00 Babykonzert 17.00 Do PRIVATE VIEW 20.00 Fr PRIVATE VIEW 20.00 Sa PRIVATE VIEW 20.00

6 Fr GOLD 9 Mo 2. Tischlereikonzert – Spotlights 10 Di GOLD 11 Mi GOLD 12 Do GOLD 13 Fr GOLD 14 Sa Konzert des Landesjugendensembles Neue Musik Berlin 16 Mo GOLD 17 Di GOLD 18 Mi GOLD 20 Fr Symposion: Oper und Politik 21 Sa Symposion: Oper und Politik 22 So Symposion: Oper und Politik 25 Mi LA PASSION DE SIMONE ** 26 Do LA PASSION DE SIMONE **

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Mi Do Fr So

DIE IRRFAHRTEN DES ODYSSEUS DIE IRRFAHRTEN DES ODYSSEUS DIE IRRFAHRTEN DES ODYSSEUS DIE IRRFAHRTEN DES ODYSSEUS

Februar

7 13 14 15 18

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20 21 28

So IMMER UNTERWEGS 16.00 Sa KANNST DU PFEIFEN, JOHANNA 16.00 So KANNST DU PFEIFEN, JOHANNA 16.00 Mo KANNST DU PFEIFEN, JOHANNA 11.00 Do Babykonzert 10.30 Babykonzert 15.00 Babykonzert 17.00 Fr Babykonzert 10.30 Babykonzert 15.00 Babykonzert 17.00 Sa KANNST DU PFEIFEN, JOHANNA 16.00 So KANNST DU PFEIFEN, JOHANNA 16.00 So Jazz & Lyrics – Jazz in the City 20.30

11.00 20.00 11.00 11.00 11.00 11.00 20.00 11.00 11.00 11.00 10.30 10.30 11.00 20.00 20.00

Dezember

20.00 20.00 20.00 20.00 20.00 20.00 18.00

* Premiere ** Gastspiel

November

12 Di 3. Tischlereikonzert – Eulenspiegeleien 23 Sa SENSOR * 26 Di SENSOR 27 Mi SENSOR 28 Do SENSOR 29 Fr SENSOR 31 So Jazz & Lyrics – Swanee River

10.00 10.00 10.00 16.00

TISCHLEREI

KONZERTE

September


Deutsche Oper Berlin Bismarckstraße 35 10627 Berlin Tischlerei Richard-Wagner-Straße / Ecke Zillestraße 10585 Berlin Karten und Infos +49 [30]-343 84 343 www.deutscheoperberlin.de Immer gut informiert:


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