Deutsche Oper Berlin: Magazin September 2015 – Februar 2016

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Deutsche Oper Magazin September 2015 – Februar 2016 Saison 15 / 16

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Inhalt

Das Deutsche Oper Magazin der Deutschen Oper Berlin ist eine Beilage der Tageszeitung Der Tagesspiegel Berlin © 2015 Herausgeber Deutsche Oper Berlin Vermarktungs GmbH Richard-Wagner-Straße 10 10585 Berlin Redaktion Dramaturgie / verantwortlich: Jörg Königsdorf [ Deutsche Oper Berlin ] Ulrich Amling [ Der Tagesspiegel ] Gestaltung Jens Schittenhelm Produktion Möller Druck Die Rechtschreibung folgt den Vorlagen.

4 Protest im Prunkbau Reinhold Jaretzky über Oper als politische Kunst 8 Helden für eine neue Welt Giacomo Meyerbeers VASCO DA GAMA 10 Requiem auf eine nicht mehr veränderbare Welt Benedikt von Peter über Verdis AIDA 13 Die Rollensammlerin Catherine Naglestad verkörpert Strauss’ SALOME 18 Die Götter müssen verrückt sein Harriet Maria Meining und Peter Meining erzählen DIE IRRFAHRTEN DES ODYSSEUS 22 PRIVATE VIEW Ein Opernthriller nach Hitchcock 26 Eine Frage des Tons Ein neue Reihe im Foyer präsentiert „Lieder und Dichter“ 28 Spielplantipps Tischlerei 29 Repertoire-Tipps und Service


3 2 Liebe Freundinnen und Freunde der Deutschen Oper Berlin, in diesem Magazin werden Sie Bilder finden, die Sie verstören könnten. Die Aufnahmen, die der junge Fotograf Julian Röder von Demonstranten und Polizisten, von Waffenmessen und Stacheldrahtzäunen gemacht hat, prägen in dieser Spielzeit den Auftritt der Deutschen Oper Berlin: Sie werden sie auf Plakaten, in unserer Saisonvorschau und auch am Haus selbst wiederfinden. Wir haben diese Bilder gewählt, weil sie sehr viel mit dem zu tun haben, was wir Ihnen in dieser Spielzeit vermitteln wollen. In all diesen Bildern gibt es eine Spannung zwischen schöner Oberfläche und einem beunruhigenden Inhalt, der sich manchmal erst auf den zweiten Blick erschließt. Da sehen wir zuerst ein strahlend blaues Meer und nehmen erst dann den hässlichen Zaun wahr, der in diesem Fall die Südgrenze der Europäischen Union von Afrika trennt. Da gibt es eine scheinbar beiläufige Hafenszene, aus der sich bei genauerem Hinsehen immer mehr beunruhigende martialische Details herausschälen. Und ist es in der Oper nicht oft ebenso? Werden wir nicht oft von der Schönheit und emotionalen Ausdruckskraft einer Arie mitgerissen und merken nur beim Mitlesen der Übertitel, dass hier vielleicht gerade von Eifersucht, Machtgier und Hass die Rede ist? Dass beispielsweise Vasco da Gama, der Titelheld von Giacomo Meyerbeers letzter Oper, Indien und seine faszinierenden Herrlichkeiten nicht nur bewundern, sondern auch erobern will – koste es, was es wolle? Oder dass der junge Ägypter Radames nicht nur nach Aida schmachtet, sondern auch nach dem Posten eines Feldherrn im Unterwerfungskrieg gegen die Äthiopier? Es ist nicht zuletzt diese besondere Möglichkeit, die Schicksale von Einzelnen und Völkern gleichzeitig zu zeigen, die Oper zu einer politischen Kunst macht – die Möglichkeit, Ungerechtigkeit von Herrschenden und Systemen in ihrer ganz persönlichen Auswirkung spür- und fühlbar zu machen. Und es ist kein Wunder, dass gerade Komponisten, die sehr dezidierte Ansichten zu den politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen hatten, ihre Kunst für ihre Überzeugungen eingesetzt haben. Die Opern von Giacomo Meyerbeer und Giuseppe Verdi, die wir Ihnen in dieser Spielzeit in Neuproduktionen zeigen, sind Werke, die in all ihrem melodischen Reichtum immer auch politische Botschaften präsentieren – sei es der unheilvolle Einfluss einer zu Machtzwecken missbrauchten Religion in Meyerbeers VASCO DA GAMA oder das Abbild eines totalitären Staates

© Marcus Lieberenz

Jörg Königsdorf Chefdramaturg Deutsche Oper Berlin

im alten Ägypten von Verdis AIDA. Und auch in Strauss‘ SALOME, dem drittem Werk, das wir als Neuproduktion auf der großen Bühne zeigen, lauern Willkür, Brutalität und Missbrauch ganz dicht unter der schillernden Klangoberfläche. Um das Leitthema „Oper und Politik“ wird es bei uns nicht nur auf der Bühne gehen, sondern auch bei dem gleichnamigen Symposion, das wir vor unserer AIDA-Premiere in der Tischlerei veranstalten: In Diskussionen und Vorträgen wird es dabei um Fragen wie das Selbstverständnis von Komponisten und Regisseuren als politische Künstler gehen, aber auch um politisches Musiktheater in der DDR oder im heutigen Russland. Die neue Spielzeit an der Deutschen Oper Berlin ist eine Einladung an Sie, Musiktheater als eine Kunst zu erleben, die eine politische Dimension für sich in Anspruch nimmt – als eine Kunst, die Fragen stellt, die uns alle angehen, und die es uns ermöglicht, im Schutzkonstrukt der ästhetischen Form einmal anders zu fühlen und zu denken als sonst. Ich würde mich freuen, wenn Sie diese Einladung annähmen.


Protest im Pru Ob auf dem Grünen Hügel in Bayreuth, der Mailänder Piazza della Scala oder in der Hofstallgasse in Salzburg: Zur jährlichen Saisoneröffnung dieser Hochglanz-Opernspielstätten ist der Aufmarsch der nationalen Politiker-Eliten garantiert. Es scheint bei diesen umkämpften Premieren um mehr zu gehen als um den puren Genuss der Kunst. Wenn Herrschende sich gezielt vor einer medialen Öffentlichkeit inszenieren, ist Politik im Spiel. Tatsächlich war der festliche Raum der Oper anfangs ein Ort, an dem Fürsten, Herzöge und Grafen wirkungsmächtig posierten und auf dessen Bühnen sie sich zelebrieren und glorifizieren ließen. Spätestens im 19. Jahrhundert allerdings hielt eine gegenläufige Politisierung Einzug in die Prachtbauten. Auf der Bühne wurden politische Verhältnisse infrage gestellt, im Zuschauerraum kam es zu Kulturkämpfen, manchmal nahmen politische Aufstände hier ihren Anfang. Bekanntlich führte die Brüsseler Erstaufführung von Aubers Oper DIE STUMME VON PORTICI 1830 geradewegs in die belgische Revolution und zur ersehnten Unabhängigkeit von den Niederlanden. Ein Duett, das die Neapolitaner zum Aufstand gegen die spanischen Besatzer aufruft und dabei die „Marseillaise“ zitiert, reichte aus, um den politischen Furor des belgischen Opernpublikums freizusetzen und es den Justizpalast erstürmen zu lassen. „Du magst das Universum haben, doch überlass’ Italien mir“ – 15 Mal schleudert der römische Feldherr Ezio sein patriotische Bekenntnis dem Hunnenkönig entgegen. Verdis Oper ATTILA wurde, wie zuvor schon seine Opern NABUCCO und DIE LOMBARDEN, als politischer Kommentar auf ein von Habsburgern und Bourbonen unterdrücktes Italien begrüßt. Ob es Verdi tatsächlich um ein politisches Statement ging, ist umstritten. Verdis Opern allerdings wirkten als politische Verständigungs-Events im Umfeld des italienischen Risorgimento, sie spendeten Trost und gaben der Unabhängigkeitsbewegung politische Energie. Sein NABUCCO erlebte im Jahr 1842 75 Aufführungen, sein „Va, pensiero – Flieg, Gedanke“ avancierte nach der Einigung Italiens zu einer heimlichen Nationalhymne. Verdi wusste, was er tat, wenn er mit dem Unisono des Chors und voluminösen Bläsereinsätzen effektvoll die politischen Emotionen aufpeitschte. Später spielten italienische Militärkapellen statt Märsche Verdis populäre Opernschlachtrufe. Als am 17. Februar 1859 sein MASKENBALL in Rom uraufgeführt wurde, mischten sich die Rufe „Viva Verdi!“ mit denen „Viva Vittorio Emanuele“ und schufen das berühmte Akrostichon [Viva Vittorio Emanuele Re D‘Italia]. Politisch waren Verdis Opern nicht nur Stimmungsbereiter für nationalstaatliche Fantasien, sondern auch Sprachrohr für individuelle Freiheiten, sollte doch der neue Staat den Privilegien und Wertevorstellungen der alten Ständegesellschaft eine Ordnung der Bürger- und Menschenrechte entgegensetzen. Der politische Treibstoff seiner Opern ist ein generelles Thema des 19. Jahrhunderts, die Befreiung von Fremdherrschaft und die Auflehnung gegen individuelle Unterdrückung. Verdi hatte eine Vorliebe für gesellschaftliche Außenseiter, denen er gegen den Wertekodex seiner Zeit zu Mitgefühl und gar ein wenig Emanzipation verhalf. Seine Kurtisanen-Oper LA TRAVIATA war sozialkritisch derart aufgeladen, dass eine Aufführung in zeitgenössischen Kostümen als zu riskant erschien. Violetta, eine Hure, hat bei Verdi das Zeug zu einer makellosen Heldin, mit einem engelhaft reinen musikalischen Profil ausgestattet, sie zerbricht an der sozialen Ausgrenzung und dem Liebesverbot, das die patriarchalische Gesellschaft über sie verhängt. Als anstößig galt auch Verdis Oper RIGOLETTO, deren Titelfigur ein verachteter sozialer Underdog ist und ein No-

vum in der Opernliteratur darstellt. Das sei „satanisch“, denn es verwechsele „das Schöne und Ideale“ mit dem „Missgebildeten, Abstoßenden“, so die venezianische Premierenkritik. Tatsächlich ist Verdis Rigoletto-Figur ein „Freak“ mit zwei Gesichtern. Als bitterböser Narr mit heimtückischen Racheplänen ist er Inventar des moralisch zügellosen Hofes, zu Hause aber ist er der besorgte fürsorgliche Vater. In ihm spiegeln sich die zwei gesellschaftlichen Wertesysteme, die im Zeitalter der romantischen Oper immer wieder verhandelt werden. So scheitert bekanntlich die Liebe zwischen der äthiopischen Königstochter Aida und dem ägyptischen Feldherrn Radames an den Macht- und Kriegsphantasien einer Elite, die dem privaten Glück keinen Raum gibt. Im pompösen Triumphmarsch in Verdis AIDA artikuliert sich – mit über hundert Sängern, Musikern und großem Ballett – diese erdrückende Gewalt gegenüber der Zerbrechlichkeit des Einzelnen. Politisch ist Oper eben nicht nur dort, wo Machtkämpfe und Freiheitsschlachten ausgetragen werden. Sie ist politisch, indem sie das Streben nach Selbstbestimmung und privatem Glück in ein gesellschaftliches Umfeld stellt, indem sie mitreißende Geschichten von Liebenden erzählt, die, von Tyrannei, Moral oder Religion verfolgt, im Gefängnis landen oder zum Sterben verurteilt sind. So verwundert es nicht, dass die Zensurbehörden an der Geschichte der Oper eifrig mitgeschrieben haben, sie waren der allgegenwärtige Partner der Librettisten und Komponisten, die Liste ihrer Opfer ist lang. Beethovens Oper LEONORE, später FIDELIO, ist nur eines der prominentesten Beispiele. Verdi stand seit seinem Freiheitsdrama NABUCCO unter politischer Beobachtung, seine Opern RIGOLETTO und EIN MASKENBALL galten als Anstiftung zum Königsmord und mussten unter dem Druck der politischen Polizei gekürzt, umgeschrieben und entschärft werden. „Was in unsern Zeiten nicht erlaubt ist, gesagt zu werden, wird gesungen“, schreibt die Wiener Realzeitung am 11. Juli 1786. Gemeint ist die Uraufführung der Mozart-Oper DIE HOCHZEIT DES FIGARO, deren politischer Zündstoff offensichtlich war, lag ihr doch das in Wien verbotene gleichnamige Lustspiel von Beaumarchais zugrunde, das fünf Jahre vor dem Sturm auf die Bastille seine Uraufführung erlebte und über das Napoleon gesagt haben soll: „Hier war die Revolution schon in Gange.“ Nur mit der Zusicherung, politische Anspielungen auszusparen, erhielt Mozart-Librettist da Ponte die kaiserliche Erlaubnis zur – von antifeudalen Attacken gereinigten – Uraufführung. Von sozialkritischem Sprengstoff ist die Oper dennoch nicht frei. Die berühmte Figaro-Kavatine „Will der Herr Graf den Tanz mit mir wagen? So mag er’s sagen, ich spiel ihm auf …“ ist das selbstbewusste Kräftemessen eines Domestiken mit dem Grafen, hier probt der Plebejer gedanklich den Aufstand und dies drei Jahre vor der Französischen Revolution. Der eigentlich politische Motor dieser wie aller großen Mozartopern ist die Entdeckung der Empfindsamkeit, in der sich ein neues antiaristokratisches Selbstbewusstsein manifestiert. Zwei Menschen finden in absoluter Liebe zueinander, binden sich gegen alle ​ Widerstände auf ewig, institutionalisieren ihr emotionales Band in der Ehe. Es ist der innovative, auf die Psychologie des Individuums vertrauende Gegenentwurf zu den berechnenden Allianzregeln des Hofes, wo Eheentscheidungen von Machterhalt, Besitzwahrung und Familientradition bestimmt sind und wo Liebe nach den Regeln der Galanterie gelebt wird. So hebt Mozart in DIE HOCHZEIT DES FIGARO die echte Liebe


Symposion: Oper und Politik

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unkbau

Opernpublikum auf Patrice Chéreaus Bayreuther „Jahrhundert-Ring“ von 1976, dem man linkes Revoluzzertum vorwarf, weil er in dieser Tetralogie die Schrecken des Kapitalismus freilegte. Auch anderswo gerieten Opernliebhaber in Wut, wenn Inszenierungen sich von historischer Kostümierung verabschiedeten und das Geschehen in der politischen Gegenwart ansiedelten, was nicht aufzuhalten war. Die Oper verabschiedete sich vom ästhetischen Reinheitsgebot und besann sich darauf, dass ihr Anliegen immer auch ein gesellschaftliches war. So fanden Nazivergangenheit, Kriegsszenarien der Gegenwart, sexuelle Revolution und weibliche Emanzipation Eingang in die Neuinterpretation der Spielplanklassiker. Und es entstanden zeitgenössische Opern mit dezidiert politischem auf den Thron, gegen die herrischen Besitzansprüche und zügellose Anspruch. Bis heute findet man Luigi Nonos Bühnenwerke INTOLLibertinage des Grafen, der aber selbst von der neuen Gefühlskultur anLERANZA und AL GRAN SOLE CARICO D’AMORE auf den Spielplänen, gesteckt ist, wenn er am Ende seine Gattin zärtlich um Verzeihung bittet. Stücke, die die sozialistische Utopie einer herrschaftsfreien Welt, aber Mozarts große Opern sind ein Forum schwärmerischer, beschwörender auch die Blutspur des Scheiterns dieser historischen Projekte thematisieLiebesbekundungen, in denen echte Empfindungen ausgedrückt werden. ren. Und die auf einer komplexen, expressiven Musiksprache beharren, Immer wieder siegt die „politisch korrekte“ neue Moral über die Zügellodie sich von propagandistischen Vereinfachungen fernhält. Gerade ihr hosigkeit des Hofes. Der empfindsame Don Ottavio ist der vorbildhafte Geher Grad an ästhetischer Verdichtung macht sie für das heutige Musikwinner über den lüsternen Wüstling Don Giovanni. Und das Fest der theater ungebrochen interessant. Liebe in DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL wird am Ende hymnisch Der bewusstseinsverändernde Impetus gefeiert. Dieser Oper lässt sich noch eine und die humanistische Vision eines politiandere, eine politisch-multikulturelle Botschen Musiktheaters sind seit der letzten schaft entlocken: die Versöhnung von oriJahrhundertwende allerdings sehr viel entalischer und europäischer Religion und schwerer vermittelbar, seitdem die groKultur in der aufgeklärten Figur des Basßen gesellschaftlichen Utopien ad acta sa Selim. Verdammt wird die Hässlichkeit gelegt wurden, seitdem die alten Ideale der Rache, bejubelt dagegen Güte und von Gleichheit und Gerechtigkeit als Verständigung, eine gesungene Variante unrealistisch gelten und gar bespöttelt der Lessing’schen „Ringparabel“. werden, seitdem die globale ÖkonomisieBekanntlich wollte Lessing die Menschen rung ihren Durchmarsch durch die Geveredeln, indem er sie mit seinen Dramen sellschaft angetreten hat. Dennoch mitleidsfähig machte. Der Ehrenbürger scheint sich die Ansicht bewahrt zu hades revolutionären Frankreichs, Friedrich 20. – 22. November 2015 ben, dass Oper mit ihren tödlichen und Schiller, ging mit der Umwandlung der in der Tischlerei der Deutschen Oper Berlin heiteren Konflikten, ihren traurigen und Bühne in eine moralische Anstalt noch heroischen Helden stets von sozialen einen Schritt weiter: Ästhetisch konditioVorträge, Gespräche und Diskussionen u. a. mit Verhältnissen erzählt und damit a priori nierte Bürger wollte er heranziehen, die Aribert Reimann, Ole Hübner, Benedikt von Peter, politisch ist. Es sind jüngere Regisseure als Kollektiv einen ästhetischen, harmoniAndrea Moses und Udo Bermbach. wie Sebastian Baumgarten und Benedikt schen, demokratischen Staat garantieren In Zusammenarbeit mit Deutschlandradio Kultur von Peter, die – unberührt von der Altsollten. Die politische Idee hat die Kunst 68er Vergangenheit – auf eigene, neue seit jeher umgetrieben. Der Anarcho-SymWeitere Informationen unter Weise aus den Opernklassikern politipathisant Richard Wagner setzte seine www.deutscheoperberlin.de sche Funken schlagen, die aufklärerisch Hoffnungen auf die „erhabene Göttin der wirken, ohne sich dafür entschuldigen zu Revolution“, die, da war er sich sicher, von wollen. Für den bereits als Star-Regisden „Jubelgesängen der Menschheit“ beseur titulierten Stefan Herheim ist Oper grüßt würde. Sein RING DES NIBELUNgenuin politisch. „Ich wüsste nicht, wie Oper unpolitisch sein sollte“, sagt GEN gilt als Kapitalismuskritik und verweist, wie Thomas Mann analysierer und schwärmt von ihrem vielversprechenden Wirkungspotentzial. Oper te, auf eine von „Machtwahn und Geldherrschaft befreite, auf könne „tiefgehend stimulieren, wachrütteln, aufklären und somit eben Halt Gerechtigkeit und Liebe gegründete brüderliche Menschenwelt“. Sein musikdramatisches Gesamtkunstwerk war ihm darüber hinaus das Modell geben“. Stefan Herheim wird 2020 an der Deutschen Oper Berlin Wagners RING neu inszenieren. So hat er die Chance, den alten Mytheneiner neuen utopischen Vergemeinschaftung, die reale Politik nicht zu leisten im Stande war. Nicht ganz freiwillig konterkarierten die Bayreuther schmied aus Bayreuth im politisch wieder unruhigen 21. Jahrhundert, in der historischen Metropole Berlin, sein aufrührerisches Handwerk fortErben Wagners politisches Programm, als sie den Festspielen in den führen zu lassen. 50er Jahren ein Politikverbot auferlegten. Auf Plakaten forderten sie „im Interesse einer reibungslosen Durchführung der Festspiele von Gesprächen und Debatten politischer Art auf dem Festspielhügel“ abzusehen Reinhold Jaretzky und gaben die Enthaltsamkeitsparole aus: „Hier gilt´s der Kunst!“ Es war nach den hitlertreuen Bayreuth-Jahren der erste Anlauf einer Rehabilitation, und er entsprach dem konservativen Konsens an westdeutschen Opernhäusern, die mit einem Politik-Tabu die nationalsozialistische KontaReinhold Jaretzky, Buchautor, TV-Journalist minierung der Musiktheater zu „bewältigen“ glaubten. Entsprechend groß und Autor von Musik-Dokumentarfilmen, war die Empörung, als der 68er-Aufbruch gegen diesen Opern-Konservazuletzt „Branford Marsalis. Die Liebe zu New Orleans“, arte 2013; „Richard Strauss. Das tivismus rebellierte. Mit Flugblattaktionen, Unterschriften, Trillerpfeifenumstrittene Musikgenie“, arte 2014. „Valery konzerten und Schlägereien reagierte das ansonsten wohlerzogene Gergiev. Der wilde Mann der Musik“, 3sat 2015


Werde dir Frieden?

Giuseppe Verdi, Aida, Vierter Aufzug [Zitat] Julian Rรถder, World of Warfare, UAE, 2011 [Foto]


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Vasco da Gama Giacomo Meyerbeer [1791 – 1864]

Premiere:

4. Okt 2015 Weitere Vorstellungen: 7., 11., 15., 18., 24. Oktober

Musikalische Leitung Enrique Mazzola Inszenierung Vera Nemirova Regie-Mitarbeit Sonja Nemirova Bühne Jens Kilian Kostüme Marie-Thérèse Jossen Video Marcus Richardt Choreografie Bharti Ramdhoni Chöre William Spaulding Dramaturgie Jörg Königsdorf Mit Roberto Alagna, Sophie Koch, Nino Machaidze, Markus Brück, Seth Carico, Albert Pesendorfer u. a. Chor und Orchester der Deutschen Oper Berlin Mit freundlicher Unterstützung der


9 Zurück bleiben am Ende die Frauen, während die Helden tot am Boden liegen oder, wie im Fall von Aeneas und Vasco, längst weiteren Ruhmestaten entgegeneilen. Im VASCO gehört die letzte halbe Stunde allein der verlassenen Selica, die, nicht anders als Dido in DIE TROJANER und Brünnhilde im RING, für diejenigen steht, die beim Rennen um die Weltherrschaft auf der Strecke bleiben. In einem Jahrhundert, das im öffentlichen Leben die Frau zu einer beispiellosen Passivität verurteilt hatte, verleihen Meyerbeer, Berlioz und Wagner ihr eine Stimme. Diese Opernfrauen sind nicht nur die Sympathieträgerinnen und durch ihre Finalszenen die dominierenden Figuren, sondern repräsentieren ebenfalls einen Frauentyp neuen Zuschnitts. In der Utopie Brünnhildes wie im Scheitern von Dido und Selica, die ja beide als Herrscherinnen untergehender Völker auftreten, wird eine Alternative zum imperialistischen Eroberungsdrang der männerdominierten Gesellschaft beschworen. Eine Welt, in der Völker einander nicht unterwerfen, sondern gemeinsam an einer besseren Zukunft bauen. Und das ist immer noch fast zu schön, um wahr zu sein.

Helden für eine neue Welt

Jörg Königsdorf

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Vor diesem Helden kann einem angst und bange werden: Einen ganzen Subkontinent will der portugiesische Abenteurer Vasco da Gama erobern – und das gar nicht einmal für sich selbst, sondern vor allem zur höheren Ehre seines Vaterlands. Während die Tenorhelden älterer Opern in der Regel damit zufrieden waren, ihre Angebetete vor den Traualtar führen zu können, gilt die Liebe des Titelhelden von Giacomo Meyerbeers letzter Oper dem Ruhm, der sich durch große heroische Taten erringen lässt. „O doux climat“ staunt Vasco, als er endlich den Boden Indiens betreten darf, und offenbart die Triebfeder seines Begehrens: Die Schönheiten, die in dieser lange unter dem Titel „O Paradis“ berühmten Tenorarie beschrieben werden, gelten keiner Frau, sondern einem Land. Ziel ist nicht mehr die Vereinigung zweier Herzen, sondern der Akt der Eroberung fremder Reiche. Und anders als die Heroen älterer Prägung, deren Tatendrang durch einen glücklichen Opernschluss befriedigt wurde, wissen wir im Falle Vascos, dass sein Endecker- und Eroberer-Elan unstillbar ist und dieser Held nicht eher ruhen wird, bis er seinem Vaterland den gesamten Erdkreis unterworfen hat. Damit steht Meyerbeers Vasco für einen Opernhelden neuen Typs, der genau zu dem Zeitpunkt die Opernbühne betritt, in dem die Welt erstmalig als beherrschbares Ganzes bewusst wird. Zwar hatten die großen europäischen Mächte schon Jahrhunderte vorher – in der Ära von Vasco da Gama, Kolumbus und Magellan – begonnen, sich andere Erdteile zu unterwerfen. Doch hatte erst die industrielle Revolution des 19. Jahrhunderts die Distanzen soweit minimiert und die technischen Möglichkeiten von Kontrolle und Ausbeutung soweit verbessert, dass diese Kolonien mitsamt ihren Ressourcen als echte Teile der jeweiligen Imperien gelten konnten. Es ist sicher kein Zufall, dass die Oper auf diese neue weltpolitische Situation, in der das Wettrennen um globale Expansion zum Hauptschauplatz der Rivalität europäischen Großmachtstrebens wurde, nicht nur mit neuen Opernstoffen, sondern auch mit neuen Helden antwortet. Denn Meyerbeers Vasco ist 1865, mitten in der Hochphase des Second Empire und seiner weltpolitischen Ambitionen, zwar der erste Welteroberer, der das Licht der Opernwelt erblickt, doch auch Hector Berlioz und Richard Wagner haben zu diesem Zeitpunkt bereits solche Opernhelden neuen Zuschnitts konzipiert. Auch der Aeneas in Berlioz’ DIE TROJANER wird durch die Vision angetrieben, ein Weltreich zu begründen, auch der unstillbare Tatendrang Siegfrieds ist im RING DES NIBELUNGEN in die Frage der Weltherrschaft eingespannt. Für alle diese Helden ist hingegen die sexuelle Vereinigung mit einer Frau nur eine Durchgangsstation, die offenbar keine andauernde Erfüllung bietet, sondern im Gegenteil den Eroberern ihre eigentliche Bestimmung „zu neuen Taten“ erst bewusst macht. Die erotischen Anziehungskräfte von Meyerbeers Inderkönigin Selica, Berlioz’ Dido und Wagners Brünnhilde erlöschen mit dem körperlichen Vollzug. Die Strategie, den Helden sinnlich und emotional zu binden, funktioniert nicht mehr, da Sendungsbewusstsein und Vaterlandsliebe das Ideal einer glücklich-privaten Zweisamkeit ersetzt haben.


Aida

Giuseppe Verdi [1813 – 1901]

Premiere:

22. Nov 2015 Weitere Vorstellungen: 25., 28. November; 3., 6., 10. Dezember 2015

Musikalische Leitung Andrea Battistoni Inszenierung Benedikt von Peter Bühne Katrin Wittig Kostüme Lene Schwind Video Bert Zander Chöre William Spaulding Dramaturgie Dorothea Hartmann Mit Tatiana Serjan, Anna Smirnova; Alfred Kim, Markus Brück, Simon Lim / Alexei Botnarciuc, Ante Jerkunica / Tobias Kehrer Chor und Orchester der Deutschen Oper Berlin


Zunächst suchen wir als Team nach einer Architektur für die jeweilige Oper, statt sie bloß äußerlich zu bebildern. Wir suchen nach dem spezifischen Klang des Werks und wollen ihn dann so umsetzen, dass er das Publikum auch räumlich berührt und unmittelbar erfahrbar wird. Oper ist nicht bloß der Text, sondern auch vor allem Musik. Musik wiederum ist immer dreidimensional, besteht auch aus den Kategorien Raum und Körper. Wenn ich eine neue Raumarchitektur finde, wird automatisch auch das Publikum zum Thema der Aufführung. Die Frage, warum wir uns zum soundsovielten Mal mit AIDA beschäftigen, wird dadurch deutlicher gestellt. In diesem konkreten Fall kann der kriegerische Gesellschaftsaufbau eine größere Dringlichkeit erlangen. Worum geht es in Ihrem Verständnis in Giuseppe Verdis Oper AIDA?

Ursprünglicher Anlass für den Kompositionsauftrag war die Eröffnung des Suezkanals. Eine derartige „Festoper“ feiert selbstverständlich das Bestehende. Zum Schluss feiert die Oper auch das Weinen über die traurigen persönlichen Zustände, ruft aber ganz bestimmt nicht zur Veränderung auf. Da muss man als Regisseur vorsichtig sein und die Figur des Radames auch als das nehmen, was sie ist. Nämlich eine narzisstisch verklärte, literarische Figur, die allerdings für etwas anderes steht. Wir haben Amneris, die für die Realpolitik steht, eine sehr handfeste und bis zum Schluss anwesende Figur, die eine praktische Alternative aufweist: Mit ihr könnte Radames ein Eigenheim bauen und dort als Ehepaar leben. Und dann gibt es Aida mit ihrer Todessehnsucht, die sozusagen in jeder Szene stirbt. Sie ist eine Projektionsfigur für Radames, aber auch für das Publikum. Die Exotin, die Fremde, die den Mann erlösen soll. Sie trägt den Schmerz der Opfer in sich. Mit ihr zusammen hofft Radames, die Welt erlösen zu können. Gemeinsam mit Amneris könnte ein König Radames tatsächlich etwas verändern. Mit Aida wäre er allenfalls Herrscher über ein Fantasie-Äthiopien, in dem die Wälder grün und die Täler kühl sind, wie es im Libretto heißt. Wir möchten zeigen, wie Radames zwischen diesen Möglichkeiten hin und her taumelt, ohne sich entscheiden zu können. Wenn Sie mich fragen, steht Amneris mit ihrer zupackenden Art für das richtige Prinzip. Den Sieg des passiven Weltschmerzes halte ich für ein höchst problematisches Ende dieser Oper.

Requiem für eine nicht mehr veränderbare Welt

Es geht um den Aufsteiger Radames, der ein Rädchen im System ist. Die Großmacht Ägypten befindet sich im Krieg gegen Äthiopien, das in der Oper irgendwo zwischen Dritte-Welt-Land und utopischem Sehnsuchtsort changiert. Radames soll von der Staatsführung zum Helden und zur Identifikationsfigur aufgebaut werden, hat sich aber ausgerechnet in eine äthiopische Sklavin verliebt. Radames hofft, dass er nach einem Sieg gegen die Äthiopier auch seine Liebe zu Aida ausleben kann, und dass dann vielleicht die Welt im Allgemeinen besser wird. Amneris liebt wiederum Radames, wird aber von ihm zurückgewiesen. Zwischen diesen drei Figuren spielt sich das unausweichliche Drama ab. Anders als in DON CARLO zeigt Verdi diesmal keinen möglichen Ausweg. Hier gibt es keinen individuellen Großinquisitor mehr, sondern nur noch die anonyme Gruppe der Priester, gegen die ein Individuum wie Radames keine Chance mehr hat. Die Machtstrukturen sind nicht mehr durchschaubar, der Einzelne kann nichts mehr bewirken. Das halte ich für eine sehr prekäre Aussage dieser Oper. Dadurch haftet dem Werk eine gewisse Larmoyanz an. Der alte Verdi kann so etwas sagen, ich persönlich finde diese Aussage nicht gut. Am Ende von AIDA steht das Requiem für eine nicht mehr veränderbare Welt. Auf den ersten Blick wirkt das ganz ähnlich wie Wagners Liebestode, aber es stirbt nur Aida. Radames bleibt am Ende der Oper allein im Grab, man weiß auch nicht, woran Aida genau stirbt. Sie entseelt sich in seinen Armen und Radames, den man auch als Künstlerselbstporträt Verdis deuten könnte, bleibt zurück mit seinem Weltschmerz und ist unfähig zur Veränderung.

Benedikt von Peter im Gespräch mit Uwe Friedrich

© Bernd Georg

Gerade die italienische Oper des 19. Jahrhunderts endet häufig in einer affirmativen Resignation. An den Umständen können wir sowieso nichts ändern, also richten wir uns tränenreich darin ein, denn früher war ohnehin alles besser. Was haben Sie gegen diesen Fluchtreflex?

Diese Opern führen vom Leben weg, sie führen vom Diesseits weg. Das darf Kunst nicht machen, sie muss zum Leben und zur Veränderung hinführen. Der Kontakt zu einer realen Figur, sozusagen einer echten Amneris, mit der sich konkrete Möglichkeiten ergeben, ist mehr wert als eine Mater-Dolorosa-Utopie, in der man es sich wunderbar bequem einrichten kann. Damit plädiere ich nicht für plumpes Agitprop-Theater, in dem ganz

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AIDA entstand als große Repräsentationsoper, da ist kaum verwunderlich, dass Verdi nicht zur Revolution aufruft…

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Wer eine Karte für die AIDA-Premiere an der Deutschen Oper Berlin buchen möchte, findet auf der Website den Hinweis auf einen „veränderten Saalplan [Platzierung von Chor und Orchester u. a. im Zuschauerbereich]!“ Das ist inzwischen fast ein Markenzeichen Ihrer Inszenierungen. Was bezwecken Sie damit?


naiv zur revolutionären Tat aufgerufen wird. In Opern geht es sehr häufig um inszenierte Kontaktarmut. Der Urmythos der Oper ist die Geschichte von Orpheus. Er lässt seine Frau in der Hölle zurück und schreibt ein Gedicht drüber. Der Kontakt wird vermieden und in Kunst transzendiert. Auch das ist sehr ambivalent. Auch Orpheus ist keine durch und durch positive Figur. Mit Amneris würde für Radames nicht schlagartig alles einfach und gut. Sie ist eine karrierelüsterne Figur, sehr diesseitig, sehr verstehbar und ebenso angreifbar. Selbstverständlich gehört unsere Sympathie auch dem naiven Idealisten Radames. Die Figuren in AIDA sind vielfach zersplittert, auch weil Verdi kein Theoretiker und stringent denkender Dramaturg war. Darin liegt wiederum die Herausforderung für jeden Regisseur. Das von Ihnen angestrebte Raumtheater mit seinen überraschenden Wirkungen kann ein großer Gewinn sein für eine Inszenierung, mitunter handeln Regisseur und Musiker sich dadurch aber vor allem große akustische Probleme ein. Deshalb sind gerade Opernsänger oft wenig begeistert, wenn sie den klassischen Bühnenraum verlassen sollen. Wie überzeugen Sie die Künstler, auf deren Wohlwollen Sie angewiesen sind? Es ist ein langer Prozess. Das Schöne daran ist, dass der Dirigent von Anfang an dabei sein muss. Dann kommt man zwangsläufig zu dem Moment, an dem Dirigent und Regisseur gemeinsam Theater machen. Das ist im heutigen Opernbetrieb leider die Ausnahme, aber in meinen Arbeiten geht es gar nicht anders. Für eine gelungene Opernaufführung müssen sich aber alle gemeinsam auf die Suche nach dem richtigen Klang für das Werk machen. Das ist ein toller Prozess. Am Anfang gibt es häufig Widerstände, aber irgendwann kommt der Moment, an dem das alle spüren, und das hat dann eine große Kraft. Im Idealfall werden alle daran erinnert, was Oper leisten kann und warum wir das überhaupt machen. Es fegt die Routine weg, auch für das Publikum, das mit etwas Neuem konfrontiert wird. Dafür braucht man Kraft, Ruhe und Vertrauen. Meine Erfahrung mit Sängern ist in der Regel, dass sie sehr gut damit umgehen und klar kommen, weil sie einen ganz direkten Kontakt zum Publikum haben dürfen, den sie auch sehr genießen. Sie können feiner, leiser und mit anderen Farben arbeiten als sonst. Das ist einer der vielen Vorteile einer solchen Konstellation, dass die Musik nicht nur mit dem dicken Pinsel gemacht werden kann. Viele Sänger haben auch eine große Sehnsucht danach, wieder künstlerisch subtiler zu gestalten. Im Opernalltag hat man viel zu selten die Gelegenheit wirklich etwas auszuprobieren und nicht nur auf Kraftentfaltung zu setzen. In meinen Inszenierungen wird ein neuer Zugang zu sich selbst, zum eigenen Musizieren und dadurch auch zu den Partien gefordert. Das macht den Sängern in der Regel sehr viel Spaß. Dadurch dass sie beim Herstellen der Musik aus der Nähe zuschauen können, entsteht auch eine starke Bindung der Zuschauer an die Künstler. Die Sänger spüren wiederum, dass die Zuschauer auch ein großes Interesse daran haben zu erleben, was Operngesang ganz praktisch aus der Nähe bedeutet. Für viele Zuschauer ist es auch sehr überraschend, wie laut ein Opernsänger sein kann, wenn man direkt daneben steht… Na klar. Da entsteht eine ungeheure Energie, die durch die Entfernung über den Orchestergraben bereits stark gedämpft wird. Wenn der Lautstärkepegel höher ist, weil man direkt neben dem Sänger steht, entsteht auch im Körper des Zuhörers etwas Neues. In AIDA wird die Brutalität des Machtapparats physisch erfahrbar, wenn der Klang unmittelbar neben den Zuschauern erzeugt wird. Gerade bei politischen Opern wie dieser entsteht eine Dringlichkeit und Glaubwürdigkeit, die man sonst nur schwer erreichen kann. Gerade die Kernwerke des großen Opernrepertoires werden häufig so inszeniert, dass auch reisende Gesangsstars sich problemlos

zurechtfinden können. Das geht in Ihren Arbeiten nicht, stattdessen wächst das Risiko für ein Opernhaus: Wenn ein Darsteller erkrankt, muss die Aufführung ausfallen, weil so schnell kein Ersatz gefunden werden kann. Ich arbeite sehr genau an den akustischen Details meiner Inszenierungen. Vieles davon kann man gar nicht aufschreiben, damit andere Sänger das in späteren Aufführungen übernehmen, wie das in gewöhnlichen Inszenierungen gemacht wird. Bei meinen Inszenierungen ist jede Umbesetzung ein Problem, auch ohne kurzfristige Störungen oder krankheitsbedingte Katastrophen. Es ist auch immer ein sehr enges Wechselspiel aus musikalischer und szenischer Gestaltung. Deshalb studiere ich die Wiederaufnahmen meistens selbst ein, weil ich das nicht meinen Assistenten überlassen möchte. Sie gehen mit Opern anders um als das Publikum es gewohnt ist, zweifellos auch anders als die Komponisten sich das vorgestellt haben. Vielen Verfechtern „werkgetreuer“ Inszenierungen geht das zu weit. Welche Freiheiten darf ein Regisseur sich Ihrer Meinung nach gegenüber dem Werk, im Genre Oper also gegenüber der Partitur, herausnehmen? Ich versuche immer, die zentrale Energie eines Werks zu erwischen. Das ist nicht unbedingt der zentrale Handlungsstrang. Das heißt auch nicht, dass ich ein Werk unbedingt in eine heutige Handlungslogik übersetzen will. Wenn ich glaube, diese zentrale Energie gefunden zu haben, dann suche ich nach einer Architektur für das Werk. Für AIDA heißt das, hier gibt es extreme Tableaus, hier gibt es Anklänge an die Grand opéra, hier gibt es Volksbewegungen, das alles sind Momente von extremer Härte. Eine zentrale Szene ist das Finale im Mausoleum, in dem Aida und Radames lebendig eingemauert wurden. Hier sehen wir die Hauptfigur in ihrer Unerlöstheit, er hält die tote Utopie in seinen Armen und ist eingeschlossen im Mausoleum seiner Kunst. Das kann man sehr gut auf Verdi beziehen, denn auch das Opernhaus ist ein Mausoleum. Jemand singt im Betonbau und beweint die Unmöglichkeit der politischen Veränderung. Verdi verhält sich da durchaus ambivalent. Er beklagt resignativ die Machtlosigkeit seiner Kunst, schreibt bei dieser Gelegenheit aber eine seiner erfolgreichsten Opern. Da kann man sich mit guten Gründen fragen, wie ernsthaft Verdi seine politischen Absichten verfolgt hat. Verdi hat übrigens auch sehr ernsthaft über sein Publikum nachgedacht und wie er es mit seiner Musik erreichen kann. Der Ausgangspunkt für meine Umsetzung ist dann immer die Partitur. Ich schaue ganz genau nach, wie sich die Konstellationen in den einzelnen Szenen ändern. Wann singt der Chor und in welcher Funktion? Geht es um akustische Effekte oder um eine konkrete Aussage? Das ganz Große und das ganz Intime steht sich in dieser Oper ebenso gegenüber wie das extrem Zarte und das extrem Laute. Die Solisten sind eingespannt in den Machtapparat, und das möchte ich zeigen. Wenn mir der Grundaufbau klar ist, arbeite ich an der praktischen Umsetzung für jeden einzelnen Moment der Oper. Das kann ein gutes Jahr dauern. Ich spreche mit dem Dirigenten, mit dem Intendanten, mit dem Chordirektor, mit den einzelnen Werkstätten. Auch hier geht es immer wieder um Details. Das ist sehr anstrengend, aber dadurch lernt man das ganze Haus kennen und kann es schaffen, dass alle hinter der Produktion stehen. Ich freue mich immer wahnsinnig, wenn dieser Moment bei der Arbeit erreicht wird, dass alle merken: Hier entsteht jetzt etwas ganz Besonderes, und wir sind alle Teil einer Idee! Uwe Friedrich studierte Theaterwissenschaft, Musikwissenschaft und Germanistik an der Freien Universität Berlin. Nach seiner journalistischen Ausbildung beim Bayerischen Rundfunk arbeitete er als Opernredakteur für den Saarländischen Rundfunk. Er ist als Musikjournalist und Moderator für verschiedene ARD-Radiosender, den Deutschlandfunk und Deutschlandradio Kultur tätig.


Richard Strauss [1864 – 1949]

Premiere:

24. Jan 2016 Weitere Vorstellungen: 29. Januar; 3., 6. Februar; 2., 6. April 2016

Musikalische Leitung Alain Altinoglu Inszenierung Claus Guth Bühne, Kostüme Muriel Gerstner Licht Gérard Cleven Dramaturgie Yvonne Gebauer, Curt A. Roesler Mit Catherine Naglestad, Burkhard Ulrich / Thomas Blondelle, Jeanne-Michèle Charbonnet, Michael Volle, Thomas Blondelle / Attilio Glaser u. a.

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Salome


„Meine Salome an der Deutschen Oper macht Berlin einzigartig.“ Sagt Catherine Naglestad und lacht. Wie das? Was mag so besonders an dieser Premiere sein, in der die US-amerikanische Sopranistin die Titelpartie singt? Ganz einfach: Es ist zwar erst ihre dritte Rolle an diesem Haus, dafür aber spannt sie damit einen Bogen, mit dem kein anderes Opernhaus in Konkurrenz treten kann. Am Anfang stand an der Bismarckstraße die Konstanze in Mozarts DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL, eine lyrische Sopranpartie mit reichlich Koloraturen, später kam Puccinis Tosca hinzu, die einen jugendlich-dramatischen Sopran italienischer Schule benötigt. Nun also die Salome, eine Partie aus dem dramatischen deutschen Fach, bei der sich die Stimme in großen Höhenflügen über das riesig besetzte Orchester aufschwingt. Diese drei so gegensätzlichen Partien nacheinander über mehrere Jahre hinweg an einem Opernhaus – das gab es für Catherine Naglestad bisher noch nie.

Catherine Naglestad singt die Titelheldin in Richard Strauss’ SALOME

Die Rollensammlerin

Dabei scheint die Sängerin prädestiniert zu sein für derlei „Extratouren“. Denn ihr Repertoire ist nicht nur groß, sondern auch ungewöhnlich vielseitig. Extra für diesen Artikel hat sie ihre vielen Rollen zusammengezählt – und kam auf nicht weniger als 48. „Aber nur etwa 18 davon gehören derzeit wirklich zu meinem aktiven Repertoire“, schränkt Catherine Naglestad sofort ein. Das Beispiel Giuseppe Verdi steht für diese kleine, aber feine Unterscheidung: Die Violetta aus LA TRAVIATA hat sie ebenso im Repertoire wie die Aida, die beiden Leonoren in DER TROUBADOUR und DIE MACHT DES SCHICKSALS, außerdem Elisabetta im DON CARLO und Amelia in EIN MASKENBALL. Aber der Einwand ist typisch für die selbstkritische Haltung der Sängerin: „Alle diese Rollen könnte ich noch singen, aber soll man das wirklich?“ Nach ihren eigenen strengen Kriterien sollte man das lieber nicht – also bleiben nur drei „aktive“ Verdi-Rollen übrig: die Leonora aus DIE MACHT DES SCHICKSALS, die Elisabetta und die Amelia.

Bei Puccini dagegen gehören fast alle großen Frauengestalten zu ihrem aktiven Repertoire: die Manon Lescaut, die Cio-Cio San in MADAMA BUTTERFLY, die Minnie im MÄDCHEN AUS DEM GOLDENEN WESTEN – und natürlich die Tosca, die man als ihre Leib- und Magenpartie bezeichnen könnte. „Bei 200 Mal habe ich aufgehört zu zählen“, erzählt die Sopranistin. An der Covent Garden Opera in London und in München hat sie die Rolle der kapriziösen wie opferbereiten Sängerin Floria Tosca genauso brillant gesungen wie an der Wiener Staatsoper und im antiken Freilufttheater von Orange. Und nicht zuletzt in Philipp Himmelmanns spektakulärer Produktion für die Seebühne in Bregenz. „Normalerweise wartet man als Tosca im 3. Akt hinter der Bühne auf seinen Auftritt, während der Tenor seine wunderbare Arie ,E lucevan le stelle’ singt“, erinnert

sich Catherine Naglestad. „In Bregenz stand ich ganz oben auf der riesigen Bühnenkonstruktion, den Sternenhimmel über mir – unglaublich!“ In letzter Zeit mehren sich die Auftritte in Wagner-Partien: zuerst die Senta in Amsterdam, dann die Elsa in Madrid, zuletzt die Brünnhilde an der Bayerischen Staatsoper. Wie schafft die Sängerin den stimmlichen Spagat zwischen deutschem und italienischem Fach? Da fährt sie doppelgleisig. Zum einen verlässt sie sich auf das Urteil ihres Mannes, des Baritons Michael Ebbecke. „Man braucht als Sängerin jemanden im Zuschauerraum, der nur auf dich schaut“, beschreibt die Sopranistin die Situation. „Der Dirigent hat auf viel zu viel anderes zu achten.“ Andererseits vertraut sie nach wie vor auf ihre Gesangslehrerin Judith Natalucci – wenn auch indirekt. Denn ihre damaligen Gesangsstunden in New York sind in einer reichen Sammlung an Mini-Discs dokumentiert, die Catherine Naglestad zu Hause hütet und bis heute bei Bedarf zu Rate zieht: „Es gibt so viele Ausnahmesituationen bei Sängern: Mal ist man müde, mal kratzt es im Hals, mal hat man eine Ohrenentzündung …“ Mrs. Natalucci hatte für alles den passenden Ratschlag! Seit langem lebt die Sängerin mit ihrem Mann in Stuttgart, doch die typisch amerikanische Offenheit und Herzlichkeit ist ihr geblieben – mit „Frau Kammersängerin“, zu der sie 2006 feierlich ernannt wurde, möchte man sie partout nicht anreden. Und auch der schwäbische Akzent ihrer Wahlheimat hat keinerlei Spuren in ihrem perfekten Deutsch


Nun also Salome an der Deutschen Oper Berlin. Mit dem Regisseur der Produktion, Claus Guth, hat sich die Sopranistin bisher einmal getroffen; erst bei der Probenarbeit wird dann die Rolle ihr genaues Profil bekommen. Aber Catherine Naglestad ist gut gerüstet; inzwischen hat sie die schwierige Partie bereits mehrere Dutzend Mal – ohne zu zählen wie bei der Tosca! – an diversen Opernhäusern gesungen, zuletzt an der Wiener Staatsoper in einer Uralt-Inszenierung von Margarethe Wallmann, bei der sie sich unter den vielen Kostümen ihrer berühmten Vorgängerinnen das für sie passende aussuchen musste. Ihre erste Salome brachte sie 2006 auf die Bühne der Pariser Bastille-Oper; der Dirigent Hartmut Haenchen trug sie bei ihrer Premiere wie auf Händen, wie sie noch heute schwärmt. Und dennoch: „Ich werde nie wieder in meinem Leben so nervös sein wie damals“, erinnert sich die Sängerin. „Alles war neu: zum ersten Mal die Salome, zum ersten Mal tanzen – und zum ersten Mal nackt!“ Immerhin gab es in Paris einen Choreografen, der mit ihr Salomes „Tanz der sieben Schleier“ einstudierte. Davon profitiert die Sängerin bis heute, denn einer Profitänzerin will sie diesen Part keineswegs überlassen. Plötzlich für zehn Minuten von der Bühne zu verschwinden, sagt sie, bringe sie völlig aus der Rolle heraus. Genau diese permanente Zentrierung macht die Partie der Salome für Catherine Naglestad so interessant: „Man muss von Anfang bis Ende präsent sein und große Emotionen zeigen. Und dabei geht man durch ein ganzes Spektrum von verschiedensten Stimmungen.“ Allzu positiv sieht die Sängerin Salomes Charakter nicht: „Sie hat ein klares Ziel, also den Kopf des Jochanaan, und um dahin zu gelangen, missbraucht sie ihre Macht.“

Eine besondere Freude war auch die Arbeit mit dem Berliner Regisseur Nikolaus Lehnhoff in dessen außergewöhnlich spannender Inszenierung von Puccinis TOSCA 2007 am Festspielhaus Baden-Baden: „Manche Regisseure verzichten einfach auf bewährte gute Ideen, ohne stattdessen irgendetwas anderes zu bieten. Lehnhoff dagegen fällt immer noch etwas Besseres ein.“ Und noch zwei prominente Namen gehören in Catherine Naglestads Regisseursammlung: In Andreas Kriegenburgs RING-Inszenierung am Münchner Nationaltheater feierte sie einen großen Erfolg als Brünnhilde, und last but not least war sie die Leonora in DIE MACHT DES SCHICKSALS im belgischen Gent mit Michael Thalheimer als Regisseur. Die Zusammenarbeit mit solchen Regiegrößen sieht die Sängerin sehr pragmatisch, harmoniesüchtig ist sie nicht: „Unterschiedliche Meinungen gibt es immer.“ Allerdings dürfe das nicht, wie es öfter bei Schauspielproduktionen zu erleben ist, zu einer Dauerfehde führen: „Wir als Sänger brauchen einen Schutz, eine Sicherheit, um unsere volle Leistung bringen zu können.“ Die Erfolge, die Catherine Naglestad seit Jahren auf allen großen Bühnen der Welt feiert, beweist, dass sie es immer wieder schafft, volle Leistung zu bringen.

Michael Horst

Mit dem angeblichen Alter der Judäerprinzessin hat Catherine Naglestad keinerlei Probleme. „Einerseits war sie bestimmt kein 17-jähriger Teenager wie heute, man könnte sie sich etwa auch als eine Tempelpriesterin vorstellen. Und zum anderen will ich sie auch gar nicht als Kind-Frau darstellen. Ich muss auf der Bühne ehrlich bleiben, sonst funktioniert meine Interpretation einfach nicht.“ Eine Kostprobe ihrer sängerischen Qualitäten als Salome erhielten im Januar des vergangenen Jahres überraschend die Besucher eines Konzerts mit dem Deutschen Symphonie-Orchester in der Berliner Philharmonie, wo Catherine Naglestad kurzfristig für die erkrankte Evelyn Herlitzius einsprang. Frappierend war seinerzeit nicht nur der strahlende Fluss ihrer Stimme, mit der sie souverän auf den Klangwogen des Orchesters segelte, sondern auch die für eine Sopranistin ungewöhnliche Textverständlichkeit. Ein Zufall ist das nicht: „Ich will unbedingt verstanden werden“, konstatiert die Sängerin. Und sie hat viel an ihrer Technik gearbeitet, um auch gut verstanden zu werden! Die Zusammenarbeit mit dem genauen Regie-Analytiker Claus Guth dürfte für die Sopranistin kein Problem sein; auch sie macht sich viele Gedanken über ihre Rollen, bevor sie damit in die Proben und an die Öffentlichkeit geht. Außerdem hat sie in den vergangenen Jahren reichlich

Michael Horst arbeitet als Musikjournalist und Autor für Radio und Printmedien in Berlin. 2012 erschien in der Reihe „Opernführer kompakt“ des HenschelVerlags, Leipzig, sein Band über Puccinis TOSCA; im März 2015 folgte in derselben Reihe ein Band über ­Puccinis TURANDOT.

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Erfahrung mit namhaften Regisseuren sammeln können, die – jeder auf seine eigene Art – ihren Beitrag zum Thema Regietheater geleistet haben. Die Liste liest sich wie ein Who’s Who: Da war zuerst Hans Neuenfels, mit dem sie 1998 die berühmte Stuttgarter ENTFÜHRUNG erarbeitete, aber auch Jossi Wieler, mit dessen Unterstützung sie sich 2001 ebenfalls in Stuttgart an ihre erste NORMA herantraute. Ursel und Karl-Ernst Herrmann waren das Regie-Duo bei Mozarts LA CLEMENZA DI TITO, während Martin Kusej in Stuttgart mit der Sängerin Purcells KING ARTHUR und in Amsterdam Wagners FLIEGENDEN HOLLÄNDER – „auf diese Produktion bin ich besonders stolz“ – produzierte.

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hinterlassen. Geboren in Kalifornien, wollte Catherine Naglestad eigentlich ihren Weg als Musical-Sängerin gehen. Doch niemand geringeres als Plácido Domingo spielte dann zweimal Schicksal für die junge Sängerin: Zuerst sah sie ihn in der Zeffirelli-Verfilmung von Verdis LA TRAVIATA – und wurde plötzlich vom Opernfieber gepackt. Gerade hatte sie ernsthaft ihr Opernstudium in Angriff genommen, da setzte sie eine Lungenentzündung volle zwei Jahre außer Gefecht. Schließlich landete Ms. Naglestad im Chor der Los Angeles Opera, wo Plácido Domingo persönlich bei einer CARMEN-Produktion ihre Stimme entdeckte und sie zur Solokarriere ermunterte. Er nahm sie nicht nur unter seine Fittiche, sondern vermittelte ihr auch wichtige Kontakte nach Europa. So kam Catherine Naglestad 1997 an die Stuttgarter Oper und blieb dort für fünf Jahre im festen Engagement, bevor sie den Weg der künstlerischen Freiheit wählte, um die ständig wachsenden Anfragen anderer Häuser nicht immer ausschlagen zu müssen.


Sind alle, alle gleich? Giacomo Meyerbeer, Vasco da Gama, 5. Akt [Zitat] Julian Rรถder, Border Fortification Facilities, Melilla, 2012 [Foto]


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Die Irrfahrten des Odysseus Ole Hübner [*1993]

Premiere:

2. Okt 2015 Weitere Vorstellungen: 3., 5. – 9., 11. – 14. Oktober; 2. – 4. und 6. Dezember [Tischlerei]

Inszenierung, Bühne Harriet Maria Meining und Peter Meining Ausstattung, Kostüme Konstanze Grotkopp, Juliette Collas Video René Liebert Dramaturgie Lina Zehelein, Sebastian Hanusa Theaterpädagogik Tamara Schmidt, Frank Röpke Eine Produktion der Deutschen Oper Berlin und des Theater an der Parkaue Mit freundlicher Unterstützung der


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Harriet Maria Meining und Peter Meining folgen den Spuren von Homers Helden

Die Götter müssen verrückt sein

Wobei die unverblümte OdysseusAversion – auch wenn es paradox klingen mag – die beste Voraussetzung für ihre aktuelle Arbeit ist. Harriet Maria und Peter Meining, die sich im Theater unter dem Label norton.commonander.productions einen Namen gemacht haben, laufen verlässlich zu Hochform auf, wenn sie einen Stoff umkrempeln oder gegen den Strich lesen können.Am Theater an der Parkaue, das auch Koproduzent ihrer IRRFAHRTEN DES ODYSSEUS in der Tischlerei der Deutschen Oper Berlin ist, haben sie auf diese Weise schon Klassiker wie „Peter und der Wolf“ als staunenswerte Comic-Extravaganz, oder „Robinson Crusoe“ als wilden Ritt durch die Rezeptionsgeschichte des Insel-Abenteuers auf die Bühne gebracht. Überbordend fantasievoll, aber nie über die Köpfe des jungen Publikums hinweg erzählt. Ob sie für Kinder oder für Erwachsene inszenieren, ist dem Regie-Paar ohnehin einerlei. Oberstes Gebot bleibt: nicht mit Gewohntem, Erwartbarem oder sonstwie Abgeschmacktem langweilen.

Was die Meinings durchaus auch auf sich selbst beziehen. Deswegen begeben sie sich, im Verbund mit dem Komponisten Ole Hübner, jetzt ja auch freudig aufs unerprobte Terrain der Neuen Musik. Nicht, dass die beiden Opern-Banausen wären. „Mein Vater war Opernsänger“, erzählt Harriet Maria Meining, klassische Musik habe zu Hause zum Alltag gehört. „Aber eine Wagnerianerin ist aus mir trotzdem nicht geworden“, lacht sie. Und Peter Meining entstammt einer Familie mit langer Tradition in Sachen Orchestermusik – nicht zuletzt, weil es in der DDR einer der

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Und dieser Typ soll ein Held sein? Unentwegt prahlt Odysseus damit, „was für ein toller Hecht er ist“, schüttelt Peter Meining den Kopf. „Und zwar nur, um noch mehr Geschenke zu bekommen“, erklärt Harriet Maria Meining. Ein kapitalistischer Angeber also. Und ein Jammerlappen sei der antike Irrfahrer obendrein, finden die beiden. Ließe sich auf sonnigen Inseln von schönen Frauen einölen, aber beklage sich unentwegt. Pure Dekadenz. Das schlimmste an Homers berühmtem Versepos, darin sind sich die Meinings einig, sei jedoch die Moral von der Geschicht’. Während seiner mehrjährigen Abwesenheit haben sich bei Odysseus daheim die Freier breitgemacht, haben sein Wildschwein gegessen und seinen Wein getrunken. Weswegen er die Schmarotzer nach seiner Rückkehr kurzerhand alle niedermetzelt. Im Namen der Götter, versteht sich. Die Mägde müssen die Leichen wegräumen, dann werden sie selbst am Türrahmen aufgeknöpft. „Ein richtiges Massaker“, stöhnt Harriet Maria Meining. „Ein einziges Schlachtengemälde“, bestätigt Peter Meining. Nichts jedenfalls, was die Regisseure Menschen ab zehn Jahren im Musiktheater vorsetzen wollen.


wenigen Berufe mit Reiseerlaubnis auch über die Grenzen des Sozialismus hinaus war. Großmutter und Mutter waren Klavierlehrerinnen, ein älterer Bruder ist Geiger, der andere Pianist geworden. „Die eigene Orchesterkarriere habe ich allerdings mit 9 Jahren eigenmächtig abgebrochen“, erzählt Meining. Trotzdem, oder gerade deswegen, haben die beiden nicht gezögert, als der Parkaue-Intendant Kay Wuschek mit dem Vorschlag an sie herantrat, an der Deutschen Oper Berlin zu arbeiten. Und gleich den Stoff vorschlug, den Odysseus, ein Herzensprojekt von ihm. Nun werden die Götter in einer „ranzigen griechischen Taverne“ sitzen, wie Peter Meining beschreibt, und beratschlagen, was sie zur Aufbesserung ihres Images unternehmen könnten. Schließlich liege der Kassenschlager „Troja“ mit Brad Pitt auch schon über zehn Jahre zurück. „Weil die Kassen aber leer sind, beschließen sie, ein modernes Musiktheater aufzuziehen“, führt Harriet Maria Meining fort, „schließlich kostet das wenig, weil da nur unbekannte Leute am Werk sind.“ Falls es noch nicht erwähnt wurde: Selbstironische Reflexionen ihres Schaffens und der eigenen Rolle im Kunstbetrieb sind bei den Meinings ebenso Standard wie bestürmend-verspielte visuelle Welten und erzählerische Volten. Jedenfalls wird in ihrer „Odysseus“-Deutung ein Casting für die Götter veranstaltet, zu dem sich lauter Mimen mit zweifelhafter Erfolgsbiografie bemühen. Einer hat im Anschluss an das Antiken-Projekt eine Rolle als Weihnachtsmann im Einkaufszentrum, ein anderer geht als Alleinunterhalter auf eine Bohrinsel. Kein Wunder bei dieser traurigen Truppe, dass der erste, der im fröhlichen Rollen-Reigen den Odysseus verkörpern darf, in einer Ritterrüstung angescheppert kommt, weil er im Kostüm-Fundus nichts Besseres gefunden hat. Überhaupt hängt über dem Unternehmen Irrfahrt permanent das Damokles-Schwert des Scheiterns. „Zwischendrin“, beschreibt Regisseurin Meining vergnügt, „wird das gesamte System auch mal lahmgelegt.“ Von einem – logisch – Trojaner. Das Reisen wie das Scheitern in Musik zu übersetzen, ist Aufgabe des Komponisten Ole Hübner, Jahrgang 1993. Der ist ein Hochbegabter seines Fachs und schon mit 14 Jahren als Jungstudent an der Musikhochschule in Hannover aufgenommen worden. Mittlerweile studiert er Komposition in Köln. Hübner nennt als prägende Einflüsse im Bereich der Neuen Musik Martin Schüttler, Johannes Kreidler, den Dänen Simon Sten Anderson oder seinen Professor in Köln, Michael Beil. „Alles Komponisten, die den Elfenbeinturm verlassen haben, in dem die Neue Musik in vielerlei Hinsicht noch immer steckt.“ Eine Gegenwartsabgewandtheit des Genres, die Hübner in der schönen Frage zuspitzt: „Es heißt zwar Neue Musik – aber wo sind die Neuerungen?“Er selbst schaut sich auf der Suche nach Inspiration jedenfalls eher im popkulturellen Bereich oder in der Performance um, als im traditionellen Fach. Schwärmt für das innovative Potenzial der Musikvideokunst und arbeitet in Köln schon lange auch mit professionellen Filmschaffenden zusammen. Ein „fetter SynthieBass“, bringt der junge Komponist sein Sound-Credo auf den Punkt, sei ihm im Zweifelsfall immer lieber „als eine Flöte mit Luftgeräusch“.

Genau diese Offenheit hat die Meinings für Hübner eingenommen, als sie sich auf die Suche nach einem passenden Komponisten begaben. Das immer noch verbreitete Handwerkertum der Orchestermusik, wo viele nur vom Blatt spielen könnten, habe Hübner schon mit der Besetzung seines siebenköpfigen Ensembles erfrischend aufgebrochen, findet Peter Meining: „Er bringt vorwiegend Musiker mit, die an der Schnittstelle zur Neuen Musik im Jazz- oder Freejazzbereich unterwegs sind und entsprechendes Improvisationstalent besitzen.“ Was auch Harriet Maria Meining gefällt, die als eigene musikalische Prägung aus jazzaffinen Jugendtagen einen Exzentriker wie den Schweden Sven-Åke Johansson benennt. Der heute über 70-Jährige sei im Kopf stets frisch geblieben – und spiele beispielsweise mit Gurken Schlagzeug. Verzehr inbegriffen. Geistige Beweglichkeit der unkonventionellen Art bringt auch Ole Hübner zweifellos mit. Muss er auch. Schließlich gilt es nicht nur, musikalische Übersetzungen für das ziemlich krude Figuren-Ensemble zu finden, mit dem Homer seine Fabel bevölkert hat, darunter Riesen, Zyklopen und Meeresungeheuer. Sondern auch das von den Meinings angesteuerte Untergangs-Moment irgendwie in Klang zu bringen. „Sobald man ein Scheitern auskomponiert, wird es Behauptung“, gibt Hübner zu bedenken. „Wenn es sich aus dem Moment ergibt, ist es authentischer.“ Gut also, sich auf die Impro-Fähigkeit der Band verlassen zu können. Gewiss ist bei dieser Irrfahrt nur eins: So hat man die Geschichte des „Odysseus“ noch nicht gesehen. Oder gehört. Die Geschichte, die im Original mit Hang zur Rückblende strapaziert, wird zwar im Sinne der besseren Allgemeinverständlichkeit chronologisch erzählt, als Stationendrama


Harriet Maria Meining und Peter Meining

„Sobald man ein Scheitern auskomponiert, wird es Behauptung.“ Ole Hübner

Die künstlerische Frischblut-Infusion durch die Oper kam jedenfalls genau zur richtigen Zeit. Wobei es ja eine wechselseitige Bereicherung ist. Auch zwischen Komponist Ole Hübner und den Meinings. Ein Abend wie „Tanz den Tod!“ in Dresden – Abschluss einer dreijährigen Beschäftigung von norton.commander mit den Zehn Geboten – sei in seiner multimedialen Herangehensweise „genau die Richtung, die mich interessiert“, beschreibt der Komponist. Beim Odysseus-Projekt gebe es, das betonen alle drei, fernab von Höflichkeitsfloskeln, „eine tolle gemeinsame Basis“. Die braucht es natürlich auch, um aus einem Unsympathen wie Odysseus einen Helden zu machen, mit dem man mitfühlen kann. Und um eine moralisch fragwürdige, weil blutrünstige Botschaft in eine Message zu verwandeln, die man Kindern guten Gewissens mit auf die Reise geben kann und die Peter Meining ganz unpathetisch zusammenfasst: „Das Leben ist wie eine Odyssee. Es nimmt keinen geraden Weg, aber man kann es meistern.“

Patrick Wildermann

Patrick Wildermann, geboren 1974 in Münster, lebt als freier Kultur­journalist in Berlin. Er schreibt unter anderem für den Tagesspiegel, das tip-Magazin und die Zürcher SonntagsZeitung. Die Schwerpunkte liegen auf Theaterkritiken, Portraits und kulturpolitischen Berichten.

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„Wenn die ‚Odyssee’ ein reines Theaterprojekt gewesen wäre, hätten wir sie nicht gemacht“, stellt Harriet Maria Meining dazu klar. Denn die Theaterarbeit will das Paar – das mittlerweile sein Label norton.commander. productions abgelegt hat – zugunsten der bildenden Kunst, beziehungsweise von Filmvorhaben in Zukunft hintanstellen. Raus aus der Tretmühle des Betriebs, weg von den leidigen Projektanträgen, die einem aufnötigen zu wissen, „was man im kommenden Jahr denken wird“, so Meining.

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mit klarem Anfang und Ende. Aber dazwischen ist die einzige Grenze das technisch Machbare. Das Regieteam mit Heimatbasis in Dresden-Hellerau findet seine Ideen dazu an den entlegensten Orten. Das kann auch eine Flughafenhalle in Asien sein, durch die ein Kind mit Schuhen stapft, die ein absurdes, elektronisch erzeugtes Quietschgeräusch bei jedem Schritt machen. Oder, auf der visuellen Ebene, die App mit Strudelund Zerr-Effekten, die standardmäßig auf dem iPad installiert ist. Und für die „Digital Natives“Jugend von heute andockfähig. Ohne zuviel verraten zu wollen: Ein Skype-Gespräch mit Menelaos, der in der tristen Plattensiedlung in Marzahn mit seiner abgehalfterten Helena hockt, ist im Kosmos der Meinings eher Selbstverständlichkeit als ausgefallene Idee. Und dass die im Text erwähnten Rinder des Helios auf einer pinkfarbenen Wiese vor gelbem Himmel grasen, sollte auch nicht zu übermäßig verwundertem Augenreiben führen. Bei diesem Spiel-im-Spiel ist alles möglich. Und die Tischlerei der Deutschen Oper Berlin beweist einmal mehr, dass ihr Anspruch, Experimentierraum zu sein, nicht bloß Behauptung ist.


Private View Annelies Van Parys [*1975]

Premiere:

29. Okt 2015 Weitere Vorstellungen: 30., 31. Oktober 2015 [Tischlerei]

Musikalische Leitung Etienne Siebens Inszenierung und Dramaturgie Tom Creed Ausstattung und Video Collective 33 ⅓ Drehbuch Gaea Schoeters Mit Asko I Schönberg Ensemble & Neue Vocalsolisten Stuttgart Eine Produktion des Muziektheater Transparant in Koproduktion mit Collective 33 ⅓, Asko | Schönberg Ensemble, Operadagen Rotterdam, Concertgebouw Brugge, Deutsche Oper Berlin, Bergen National Opera and Théâtres de la Ville de Luxembourg


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Ein Schrei aus der Nachbarwohnung … Fernsehen? Sex? Mord? Was war das? Annelies Van Parys‘ Kammeroper PRIVATE VIEW entspricht wohl der Erfahrungswelt jedes Großstädters: Tür an Tür mit größtenteils unbekannten Nachbarn lebend, ist man zwar Teil einer Gemeinschaft und trotzdem in Isolation gefangen. Würde ein Mord hier überhaupt auffallen? Und grenzt der Blick durchs Fenster der Nachbarwohnung nicht immer schon an Voyeurismus? Regisseur Tom Creed und die Videokünstler Collective 33 ⅓ erzählen diesen von Hitchcock inspirierten Opernthriller auf gänzlich unkonventionelle Weise durch ein verunsicherndes Spiel mit Seh- und Wahrnehmungsgewohnheiten. Die Sänger der Neuen Vocalsolisten Stuttgart leihen ihre Stimmen mehreren Hausbewohnern, der eigentliche Hauptdarsteller aber ist ein auf alten Schwarz-Weiß-Filmen basierendes Video. „Das Faszinierende an der Arbeit von Collective 33 ⅓ ist, dass das Bild genauso ein Protagonist ist wie ein Sänger; in dieser Produktion ist sogar eher das Video der Darsteller, und der Sänger verkörpert ‚nur‘ die Stimme verschiedener Rollen“, so Tom Creed. „Im Film agieren die Schauspieler überaus emotional, deswegen ist es nicht nötig, dass die Sänger das duplizieren. Zwei Dinge können sich so zu etwas Neuem verbinden, statt sich zu doppeln. Im ersten Teil der Oper versuchen wir dem Publikum beizubringen, wie die Kombination von Bild und Stimme funktioniert. Wenn das Stück dann an Fahrt gewinnt und immer mehr passiert, hat das Publikum hoffentlich schon gelernt, den Codes durch den ganzen Abend zu folgen.“


What city is this sickening under streetlights – smog, cicadas, gossiping tracks and tar?

Who’s got the morning after pill? Who hasn’t been sleeping well? What was that sound? Love scream or war cry? Who wakes from their jealous dream to their wives smile? © Koen Broos


People do a lot of things in private that they couldn’t explain in public.

Are you enjoying the parade of people? What you should do is stand outside your own house once in a while and look in.


Lieder und Dichter Liederabend I [Werke von Berg, Strauss und Wolf] 19. Oktober 2015 [Foyer] Solisten Heidi Melton, Marko Mimica Lesung Christian Filips Klavier John Parr Liederabend II [Schubert „Die Winterreise”] 18. Januar 2016 [Foyer] Solist Markus Brück Lesung Norbert Hummelt Klavier John Parr In Zusammenarbeit mit der Literaturwerkstatt Berlin

In „Lieder und Dichter“ trifft klassisches Liedgut auf moderne Lyrik. An jedem der vier Abende der neuen Reihe stellt im Foyer der Deutschen Oper Berlin ein Autor eigene Werke vor, die in inhaltlichem Zusammenhang mit Werken des klassischen Liedrepertoires stehen. Den Anfang macht am 19. Oktober der Berliner Dichter Christian Filips. Herr Filips, Sie haben in den vergangenen 15 Jahren eine stattliche Anzahl von Gedichten geschrieben. Sind Ihre Werke auch schon vertont worden? Ich hadere mit dem Begriff der „Vertonung“. Als ob ein Gedicht nicht selbst schon einen Ton hätte. Ein gutes Gedicht scheint mir seine eigene Partitur, seine eigene Lese- und Sprechanweisung. Das heißt natürlich nicht, dass man musikalisch nichts mit dem Material anstellen darf. Es gibt aber durchaus Gedichte, die kann man eigentlich nicht vortragen – geschweige denn singen –, ohne dabei entweder die Verse oder sich selbst zu vernichten. Ich muss da an die amerikanische Lyrikerin Laura Riding denken: „Wäre es möglich, ein Gedicht vor Publikum wiederzugeben, würde daraus die Zerstörung des Publikums resultieren.“ Haben Sie da ein Beispiel? Versuchen Sie mal, Goethes viel zitiertes Gedicht „Wanderers Nachtlied“ aufzusagen: „Über allen Gipfeln ist Ruh…“ Wie soll man diesen Ton treffen? Aus welcher Ruhe heraus? Wo müsste man stehen, um das sagen oder singen zu können? Taubstumm könnte man’s versuchen. Aber das wäre auch etwas prätentios. Ein Lachanfall könnte helfen. Aber wer könn-

te den Vers angemessen schön lachen? Volker Spengler vielleicht. Mit seiner Heiterkeit, in der Nähe einer Todesstunde. Sie glauben also nicht an das Prinzip der Vertonung? Die übliche Reihenfolge lautet ja: Erst das Gedicht als Text, dann seine Vertonung. Diese Reihenfolge scheint mir zweifelhaft. Es ist mir völlig recht, wenn die Texte fragmentiert oder als Materialsteinbruch benutzt werden. Wenn gut geklaut oder zerhauen wird, ist Klauen oder Zerhauen bei mir erlaubt. Im besten Fall entsteht eine ganz neue, unverhoffte Tonlage. Man muss wirklich alle möglichen Fehler begehen, alle möglichen Reihenfolgen der Produktion wagen, damit zufälligerweise etwas entstehen kann, das sein musste. Wenn Sie sagen: alle Reihenfolgen, dann würde das auch den Fall umfassen, dass Sie einen Text auf bereits vorhandene Musik schreiben. Ja, auch das Verfahren ist mir vertraut, allerdings eher aus meiner Arbeit als Dramaturg der Sing-Akademie. Dort haben wir beispielsweise Kantaten von Telemann mit neuen Texten versehen. Diese Reihenfolge ist ja gar nicht so ungewöhnlich, wie es scheinen mag: Das Pasticcio-Verfahren, das vor allem in der Oper bis zum Ende des 18. Jahrhunderts üblich war, hat genau so funktioniert. Es gab da einen fröhlichen, beneidenswerten Pragmatismus, eine unverschämte Freiheit! „Blühet, ihr Linden in Sachsen, wie Zedern!“ wurde zu „Jauchzet, frohlocket! auf, preiset die Tage!“ Hauptsache, das Metrum stimmt.


Alban Bergs „Sieben frühe Lieder“ gehören zu den frühesten Liedschöpfungen, die ich kennen gelernt habe – zusammen mit Schönbergs „Buch der Hängenden Gärten“. Das war Musik, die mich in ihrer Mischung aus Parfüm und Analyse aus den geistig armen Verhältnissen, in denen ich damals steckte, herauskatapultiert hat. Besonders freue ich mich aber auf die „Michelangelo-Lieder“ von Wolf: Im Gegensatz zu den melodiösen Renaissance-Lyrikern wie Petrarca besitzt Michelangelos Italienisch eine anmutige Klumpigkeit, voller metrischer Ballungen und konsonantischer Härten, eine Sprache mit geradezu bildhauerischen Qualitäten. Auch der Musik, die Wolf für diese Gedichte gefunden hat, eignet etwas Klumpendes, Stauendes, nachgerade Megalomanisches. Da muss man tüchtig springen, klopfen, hauen, um mit- und zwischenreden zu können. Das ist eine schöne Herausforderung!

Komplexe Persönlichkeiten hat man ja früher mal Dichter genannt. Warum nicht einfach dabei bleiben? Ich würde also sagen: Ich bin Dichter. Das ist natürlich kein Beruf, der sich ins Schema einer immer abrufbaren handwerklichen Struktur einpassen lässt. Vielleicht bin ich deshalb auch so schlecht bei Auftragsarbeiten.

©Privat

Fragen: Jörg Königsdorf

Eine Frage des Tons Christian Filips wurde 1981 in Osthofen bei Worms geboren. Für seinen ersten Gedichtband „Schluck auf Stein“ erhielt er 2001 den Rimbaud-Preis des Österreichischen Rundfunks. 2003 wechselte Filips an die Freie Universität Berlin, an der er 2008 seine Studien mit einer Arbeit zu Hölderlins spätesten Gedichten abschloss. Heute lebt er als freier Autor, Musikdramaturg, zuweilen auch als Performer und Regisseur, in Berlin. Er inszenierte Theaterabende und Musiktheaterstücke [mit großen Laienchorgruppen, Musikern, Schauspielern], die u. a. am Haus der Berliner Festspiele, am Berliner Ensemble und am MaximGorki-Theater zu sehen waren. Eine enge Zusammenarbeit verbindet Filips mit der Sing-Akademie zu Berlin, für die er seit 2006 als Programmleiter verantwortlich ist.

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Wenn man Ihren Lebenslauf liest, stechen einem mehrere Berufsbezeichnungen entgegen. Künstler, Dramaturg, Autor … Welche davon ist für Sie die eigentliche, zentrale?

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Bei „Lieder und Dichter“ geht es allerdings etwas gediegener zu: Ihre Gedichte stehen in einem Zusammenhang mit Liedern von Strauss, Berg und Wolf. Wie reagieren Sie auf diese Klassiker?


DIE IRRFAHRTEN DES ODYSSEUS PRIVATE VIEW SENSOR EIN STÜCK VOM HIMMEL NEULAND 2. Oktober 2015, Musiktheater von Harriet Maria Meining und Peter Meining [ab 10 Jahren]

29. Oktober 2015, Kammeroper von Annelies Van Parys

23. Januar 2016, Elektrisches Musiktheater von Konrad Boehmer und Albert Ostermaier

19. März 2016, Musiktheater von Ania Michaelis [2 – 4 Jahre]

16. April 2016, Musiktheaterprojekt mit jugendlichen Flüchtlingen und Berlinern [in Planung]

CHEMO BROTHER

30. April 2016, Musiktheater von Mehdi Moradpour, Marielle Sterra und Eleftherios Veniadis [ab 14 Jahren]

MIDNIGHT

16. Juni 2016, Musiktheater von Hugo Morales und Deville Cohen

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TISCHLEREI

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PREMIEREN


PELLEAS UND MELISANDE – Claude Debussy 9., 17., 19. September 2015

DER LIEBESTRANK – Gaetano Donizetti 18., 22. Dezember 2015 Musikalische Leitung: Nicholas Carter Inszenierung: Irina Brook Mit Seth Carico, Thomas Lehman, Paolo Fanale, Erika Grimaldi, Alexandra Hutton u. a.

©Bettina Stöß

©Monika Rittershaus

©Bettina Stöß

Musikalische Leitung: Donald Runnicles Inszenierung, Bühne, Licht: Marco Arturo Marelli Mit Stephen Bronk, Ronnita Miller, Thomas Blondelle, Josef Wagner, Jana Kurucová, Alexandra Hutton, Thomas Lehman u. a .

LUCIA DI LAMMERMOOR – Gaetano Donizetti 16., 21. Oktober 2015

CAVALLERIA RUSTICANA / DER BAJAZZO – Pietro Mascagni / Ruggero Leoncavallo 13., 18. September 2015

Musikalische Leitung: Daniel Cohen Inszenierung: Filippo Sanjust Mit Marco Caria, Pretty Yende, Yosep Kang, Attilio Glaser, Marko Mimica, Irene Roberts u. a.

Musikalische Leitung: Ivan Repušić; Inszenierung: David Pountney Mit Daniela Barcellona, Russell Thomas, Ronnita Miller, Samuel Youn, Irene Roberts, Vladimir Galouzine, Guanqun Yu, Álvaro Zambrano, John Chest u. a.

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©Bernd Uhlig

Opern-Tipps


©Bettina Stöß

©Marcus Lieberenz

DIE HOCHZEIT DES FIGARO – Wolfgang Amadeus Mozart 8., 10., 30. Oktober 2015

DON GIOVANNI – Wolfgang Amadeus Mozart 28. Oktober; 1., 12. November 2015

DIE ZAUBERFLÖTE – Wolfgang Amadeus Mozart 26. September; 25. Oktober; 13. November; 12., 29. Dezember 2015; 2. Januar 2016 Musikalische Leitung: Nicholas Carter /  Moritz Gnann / Donald Runnicles Inszenierung: Günter Krämer Mit Ensemblemitgliedern u. a.

Musikalische Leitung: Yves Abel Inszenierung: Götz Friedrich Mit John Chest, Olga Bezsmertna, Elena Tsallagova, Irene Roberts, Marko Mimica, Burkhard Ulrich, Gideon Poppe, Stephen Bronk u. a. ©Bernd Uhlig

©Bettina Stöß

©Bettina Stöß

Musikalische Leitung: Daniel Cohen Inszenierung: Roland Schwab Mit Davide Luciano, Aurelia Florian, Matthew Newlin, Tobias Kehrer, Jana Kurucová, Seth Carico, Andrew Harris, Alexandra Hutton u. a.

LA BOHEME – Giacomo Puccini 4., 9., 11., 13., 28., 31. Dezember 2015

MANON LESCAUT – Giacomo Puccini 5., 14. November 2015

Musikalische Leitung: Andrea Battistoni /  Nicholas Carter  / William Spaulding Inszenierung: Götz Friedrich Mit Teodor Ilincai / Yosep Kang / Giorgio Berrugi / Atalla Ayan, Martina Welschenbach /  Guanqun Yu / Carmen Giannattasio /  Norah Amsellem u. a.

Musikalische Leitung: Donald Runnicles Inszenierung: Gilbert Deflo Mit Sondra Radvanovsky, Davide Luciano, Stefano La Colla, Stephen Bronk, Gideon Poppe u. a.


Tischlerei [Eingang: Richard-Wagner-Straße / Ecke ­Zillestraße] Einlass ab 30 Minuten vor Beginn Kasse mit Abo-Service [Eingang: Götz-Friedrich-Platz oder Bismarckstraße 35] Mo bis Sa 11.00 Uhr bis 1,5 Stunden vor der Vorstellung; an freien Tagen bis 19.00 Uhr; So 10.00 – 14.00 Uhr Abendkasse ohne Abo-Service [Bismarckstraße 35] 1 Stunde vor Beginn NABUCCO – Giuseppe Verdi 14., 17. Oktober 2015; 7., 23., 30. Januar 2016

Anfahrt U-Bahn: U12 Deutsche Oper / U7 Bismarckstraße Buslinien: 101 und M49

Musikalische Leitung: Ivan Repušić / Francesco Ivan Ciampa Inszenierung: Keith Warner Mit Dalibor Jenis / Luca Salsi, Attilio Glaser, Liang Li / Günther Groissböck, Francesca Mondanaro / Ekaterina Metlova, Ronnita Miller / Irene Roberts u. a.

Restaurant Deutsche Oper Reservierung / Pausenbewirtung: Tel 030-343 84 670 oder www.rdo-berlin.de

Parkhaus Deutsche Oper Einfahrt Zillestraße Operntarif € 3,– [ab 2 Stunden vor Beginn bis 2.00 Uhr]

Auch auf:

L & P Opernshop im Foyer Tel 030-880 430 43 oder www.lpclassics.de

Bestellcoupon Per Post Deutsche Oper Berlin, Vertrieb und Marketing Richard-Wagner-Straße 10, 10585 Berlin Per E-Mail info@deutscheoperberlin.de Per Fax 030-343 84 683

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