Nachbarn 1/2010

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Nachbarn

NR. 1/2010

Armut halbieren! Wir fordern eine Dekade der Armutsbek채mpfung.

Wir helfen Menschen.

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Inhalt

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Editorial Max Elmiger

News

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Neu eingekleidet

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Armut halbieren! Caritas fordert eine Dekade der Armutsbekämpfung 4 Für Betroffene ist Armut die alltägliche, belastende Realität. Doch Armut ist in der reichen Schweiz ein Tabu, auch politisch: Wir fordern eine nationale Politik, die vor allem eines will – Armut verhindern.

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Vier Armutsbetroffene erzählen

Eiskunstläuferin Sarah Meier in unserem Secondhandladen. Start in die Schulzeit 16 Das Projekt schulstart+ bietet Migrantenfamilien eine Einführung in unser Schulsystem – für den erfolgreichen Start. Freiwillig 17 Freiwillige Mentorinnen und Mentoren helfen jugendlichen Migrantinnen und Migranten bei der Lehrstellensuche. Ein Engagement, das beide weiterbringt.

Persönlich

Floriana Frassetto, Mitglied von Mummenschanz, beantwortet zehn Fragen.

Armut hat viele Gesichter. Wir porträtieren vier Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen von Armut betroffen sind.

Caritas Zürich Strategie zur Armutsprävention

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Wie verschiedene Bilder der Armut die Politik in unserem Kanton massgeblich beeinflussen und was wir dagegen tun.

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Caritas-Netz Drehscheibe CaritasWarenzentrale 19 Vom luzernischen Rothenburg werden die Produkte, die in den Caritas-Märkten verkauft werden, in die ganze Schweiz verteilt. News aus dem Caritas-Netz

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Collage Armut bedeutet Ausgrenzung.

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Hinweise und Veranstaltungen

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Gedankenstrich Kolumne von Charles Clerc

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Illustration Titelbild: Melk Thalmann

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Editorial

Bekämpfung der Armut oder der Armen? Liebe Leserin, lieber Leser Bei einem Vortrag ist mir ein ganz schlimmer Patzer passiert: «Liebe Anwesende, mit dieser Strategie werden wir erfolgreich die Armen bekämpfen, das verspreche ich.» Aus dem Versprechen wurde ein grosser Versprecher. Kaum gesagt, habe ich es gemerkt. Aber niemand hat reagiert. Vielleicht hatte mir keiner zugehört? Oder man hat mir ohnehin nicht geglaubt? – Ein Versprecher kann auch ein Versprechen entlarven. Die Armut zu bekämpfen, ist eine Sisyphusarbeit. Wir werden es nicht schaffen, die Armut abzuschaffen, leider.

Max Elmiger Direktor Caritas Zürich

zigartig. Den Armen gibt es nicht, schon gar nicht den typischen Armen. Und gibt es den guten Armen? In jeder Armutsbiografie stecken so viel Licht und Schatten wie in jedem Lebenslauf. L’organisation XY est certifiée Caritas Luzern ist seit par ZEWO depuis 19XX. 2004 ZEWO-zertifiziert. Gehen wir auf jeden einzelnen Menschen

«Bei der Armutsbekämpfung geht es nicht um abstrakte Zahlen, sondern um konkrete Menschen.»

Bei der Armutsbekämpfung geht es nicht um abstrakte Zahlen, sondern um konkrete Menschen. Wir arbeiten zusammen mit ihnen daran, einen Weg aus der Sackgasse zu finden, sie aus der Armutsspirale herauszubegleiten. Jedes Schicksal ist ein-

mit Toleranz und Wertschätzung ein! Das ist das Versprechen der Caritas Zürich. Menschen sind Originale und sollen nicht zu Kopien gemacht werden mit Etiketten, die ihr Einkommen deklarieren. Wenn wir uns das ehrgeizige Ziel vornehmen, die Armut zu halbieren, dann tun wir das mit grossem Respekt vor jedem Einzelnen und im Wissen um unsere eigenen Grenzen. Meine Mitarbeitenden, unsere Freiwilligen und auch Sie helfen uns dabei.

Impressum «Nachbarn» – Das Magazin der regionalen Caritas-Stellen – erscheint zweimal jährlich. Gesamtauflage: 50 000 Ex. Auflage ZH: 13 600 Ex.

Caritas Zürich ist seit 1992 ZEWO-zertifiziert.

Redaktion: Ariel Leuenberger Gestaltung und Produktion: Daniela Mathis, Urs Odermatt Druck: Stämpfli Publikationen AG, Bern Caritas Zürich | Beckenhofstrasse 16 | 8021 Zürich | Tel. 044 366 68 68 www.caritas-zuerich.ch | PC 80-12569-0

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L’organisation XY est certifiée par ZEWO depuis 19XX. CAZH.indb 3

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Armut halbieren

Wir fordern eine Dekade der Armutsbekämpfung Für Betroffene ist Armut die alltägliche, belastende Realität. Doch Armut ist in der reichen Schweiz ein Tabu, auch politisch: In der Schweiz gibt es weder eine offizielle Armutspolitik noch eine Armutsstatistik. Caritas fordert eine nationale Politik, die vor allem eines will: künftige Armut verhindern.

Nicht alle Menschen in der Schweiz tragen das gleiche Risiko, arm zu werden. Es sind vor allem vier Faktoren, die das Armutsrisiko bestimmen: das Bildungsniveau, die Zahl der Kinder, der Wohnort und die soziale Herkunft. Armutsbetroffene Menschen müssen mit knappen finanziellen Mitteln auskommen, sind oft arbeitslos oder gehen einer unsicheren Erwerbsarbeit nach. Kinder, die in solchen Haushalten aufwachsen, tragen ein grosses Risiko, als Erwachsene selber wieder zu den Armen zu gehören.

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Warum gibt es Arme in der Schweiz? Schätzungen der Caritas besagen, dass jede zehnte Person in der Schweiz in einem Haushalt lebt, der von einem Erwerbseinkommen unterhalb der Armutsgrenze leben muss. Die wichtigste Ursache dafür ist wohl der wirtschaftliche Strukturwandel: Unternehmensaktivitäten mit tiefem Anforderungsprofil werden durch Maschinen ersetzt oder in Länder mit tieferen Löhnen verlagert. Im Dienstleistungssektor müssen die Kunden vieles selber übernehmen, was früher durch Angestellte erledigt wurde, sei

dies im Detailhandel, im öffentlichen und privaten Verkehr oder im Freizeitbereich. Was tun gegen die Armut in der Schweiz? Ziel jeder Armutspolitik muss es sein, die Würde von armutsbetroffenen Menschen zu bewahren, ihnen einen Platz in der Gesellschaft bereitzuhalten, eine materielle Absicherung zu gewähren, Selbstbestimmung und Selbstverantwortung zuzugestehen und Möglichkeiten zu bieten, damit sie aus der prekären Lebenslage herausfinden. Vor allem aber muss die Armutspolitik al-

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les tun, damit weniger Menschen in Armut geraten. Darum braucht die Schweiz eine nationale Armutsstrategie, die sich an den Vorgaben der sozialen Existenzsicherung, an der sozialen und beruflichen Integration sowie an der Vermeidung von Armut orientiert. Das Ziel muss sein, die Zahl der Armen in den nächsten zehn Jahren zu halbieren und das Risiko der Vererbung von Armut markant zu verringern. Konkret fordert die Caritas, dass sich Politik und Wirtschaft an folgenden vier Leitlinien orientieren: Armut erkennen und dokumentieren Der Bund und die Kantone müssen kontinuierlich über die Wirkung ihrer Armutspolitik Bericht erstatten. Im Rahmen einer offenen Koordination muss der Bund mit den Kantonen verbindliche Ziele in der Armutspolitik aushandeln und mit Indikatoren den Zielerreichungsgrad messen und dokumentieren. Die Grundsicherung in der Sozialhilfe landesweit verbindlich regeln Der Bund muss ein Bundesrahmengesetz erarbeiten, worin Existenzsicherung und Integration verbindlich geregelt werden. Ebenso müssen die Unterstützungsbeiträge für den Grundbedarf festgeschrieben werden. Der Bund soll deshalb die Richt-

linien der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) als allgemein verbindlich erklären und die Zuständigkeiten für die soziale und berufliche Integration klar ordnen. Sozialfirmen fördern Es braucht mehr Arbeit für Menschen, die keinen Zugang zu normalen Arbeitsverhältnissen finden. Sozialfirmen können dies leisten. Der Bund und die Kantone müssen solche Sozialfirmen fördern im Rahmen der interinstitutionellen Zusammenarbeit zwischen Arbeitslosen- und Invalidenversicherung sowie der Sozialhilfe. Allen eine Ausbildung ermöglichen Der Bund muss die Ausbildung so organisieren, dass alle Menschen ohne prinzipielle Alterslimite einen Berufsabschluss machen können. Dazu müssen die entsprechenden Gesetze zur Berufsbildung und zur Arbeitslosenversicherung angepasst und die notwendigen Mittel bereitgestellt werden. In der kantonalen und kommunalen Sozialhilfe muss das Management der Übergänge von der Familie zum Kindergarten und zur Schule sowie von der Schule zur Berufsausbildung deutlich verbessert werden, damit alle jungen Erwachsenen so weit kommen, dass sie zumindest eine Lehre absolvieren können.

Das tut die Caritas bis 2020 Um die gesteckten Ziele zu erreichen, wird Caritas ihr Engagement in der Armutsbekämpfung in der Schweiz intensivieren. Sie will dies in vier Handlungsfeldern tun. • Armutspolitik systematisch beobachten Caritas wird die Beobachtung bzw. das Monitoring der Armutspolitik des Bundes und der Kantone systematisieren. In einem jährlichen Bericht wird sie darlegen, wo in den verschiedenen Politikbereichen Fortschritte, aber auch Rückschläge zu verzeichnen sind. • Sozialberatung verstärken Caritas erweitert die Sozialberatung und die Überbrückungshilfen für Arme in prekären Lebenssituationen substanziell. Das heutige Angebot kommt rund 15 000 Personen jährlich zugute, in Zukunft sollen dies 25 000 Personen sein.

Texte: Carlo Knöpfel; Illustration: Melk Thalmann, Bild: zvg

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• Caritas-Märkte ausbauen Das Netz der Caritas-Märkte wird markant ausgebaut. So können armutsbetroffene Menschen in der ganzen Schweiz Güter des täglichen Bedarfs zu sehr günstigen Preisen einkaufen. Konkret will die Caritas die Zahl der Caritas-Märkte von gegenwärtig 19 auf 30 erhöhen. • Arbeitsplätze in Sozialfirmen schaffen Die Caritas wird ihr bisheriges Angebot an Sozialfirmen erhöhen. Konkret will die Caritas 1000 zusätzliche Arbeitsplätze schaffen für Menschen, die im ersten Arbeitsmarkt keine Anstellung finden.

Kommentar Dr. Carlo Knöpfel, Leiter Bereich Inland und Netz der Caritas Schweiz

Jetzt sind Bund und Kantone gefordert! In der Schweiz ist zwar geregelt, wie die verschiedenen Leistungen der sozialen Sicherheit die Existenzsicherung zu garantieren haben, aber in der Sozialhilfe ergeben sich wegen des bestehenden Föderalismus sehr unterschiedliche Anwendungen. In den verschiedenen Kantonen gibt es zum Beispiel grosse Unterschiede bei der Berechnung der Durchschnittsmieten zur Festlegung des Anspruchs auf Sozialhilfebeiträge, oder der Grundbedarf der SKOS wird nicht überall in gleicher Höhe ausbezahlt. Auch die nötigen Massnahmen zur sozialen und beruflichen Integration sind nicht einheitlich geregelt. Die kantonale Zuständigkeit in der Sozialhilfe führt daher zu grossen Ermessens- und Beurteilungsspielräumen. Will man Armut in Zahlen ausdrücken, kommt man um das Festlegen einer numerisch fassbaren Armutsgrenze nicht herum. Diese Grenze zu bestimmen, ist eine politische Aufgabe, die in der Schweiz, im Gegensatz zu anderen Ländern, nie in Angriff genommen wurde. Sowohl der Blick in die Geschichte wie auch die Analyse der Gegenwart zeigen, dass eine der wichtigsten Aufgaben im Zusammenhang mit der Verminderung der Armut in einer koordinierten Armutspolitik besteht. Das Gelingen einer solchen Politik hängt nicht nur vom Willen einzelner Akteure, sondern auch von der öffentlichen Bewertung der Armutsproblematik ab.

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Armut halbieren

«Ich möchte, dass mein Sohn kein Schlüsselkind wird»

Als Alleinerziehende den Spagat zwischen Familie und Beruf zu schaffen, ist anspruchsvoll. Der 39-Jährigen ist es wichtig, dass ihr Sohn sich dennoch geborgen fühlen kann. Deshalb ermöglicht sie ihm trotz knappem Budget den Besuch des Schülerhorts. «Meine Ehe zerbrach, als mein Sohn einjährig war. Das traf mich doppelt hart, weil ich kurz zuvor die Kündigung erhalten hatte. Damals landete ich das erste Mal beim RAV. Ich liess mich davon aber nicht entmutigen, sondern holte mit finanzi-

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eller Unterstützung durch Stiftungen die Sekundarschule nach und absolvierte anschliessend noch Weiterbildungen. Dann fand ich wieder eine Stelle – aber wegen der Krise bin ich nun erneut arbeitslos. Mit dem Geld vom RAV und einem 20-Prozent-

Zwischenverdienst komme ich auf rund 3000 Franken im Monat. Mir ist wichtig, dass mein Sohn unter den knappen Verhältnissen nicht leiden muss. Ich lege regelmässig Geld auf die Seite, damit ich ihm weiterhin die Mitgliedschaft im Fussballclub finanzieren kann, und ich achte darauf, dass er gleich gekleidet ist wie seine Schulkollegen. Auf den Gameboy, den er sich sehnlichst wünscht, muss er allerdings verzichten. Ich selber träume manchmal davon, später ein kleines Nähatelier zu eröffnen und schöne Abendkleider zu kreieren.»

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«Ich möchte einen Job, bei dem ich richtig zupacken kann» Mit einer Anlehre als Automonteur und vielen Jahren als Hilfsarbeiter auf dem Bau ist es nicht einfach, den Weg aus der Arbeitslosigkeit zu finden, auch wenn der 40-Jährige bereit ist für alle möglichen Jobs. Man könne bei jeder Arbeit etwas lernen, sagt er. «Wenn ich wählen könnte, würde ich Hausabwart, denn ich bin handwerklich geschickt, kenne mich mit Reinigungsarbeiten aus und habe Freude am Gärtnern. Leider bin ich schon lange am Stempeln. Der letzte Zwischenverdienst dauerte bis

Ende 2009. Seither verbringe ich viel Zeit zuhause, setze Puzzles zusammen, mache mit Kollegen Musik – und bewerbe mich, wo ich nur kann. Ich bewohne ein Zimmer im Personalhaus eines Altersheims. Es ist sehr klein, hat aber ein eigenes WC und

eine eigene Dusche. Damit bin ich zufrieden. Denn ich weiss, wie es ist, obdachlos zu sein. Als ich meinen letzten richtigen Job verlor, kündigte man mir die Wohnung, weil ich die Miete schuldig blieb, und ich stand auf der Strasse. Nun muss ich erneut schauen, wie’s weitergeht, denn das Personalhaus wird diesen Sommer abgerissen und ich muss mir etwas Neues suchen, was nicht einfach ist ohne Arbeit. Meiner Mutter habe ich kürzlich zum Geburtstag die Küche geputzt – ein Geschenk, das nichts kostete und beiden von uns Freude machte.» 1/10 Nachbarn Caritas

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Armut halbieren

«Ich möchte wieder einmal Zeit für mich selber haben»

Mit 44 Jahren nochmals eine Ausbildung anzupacken, braucht Energie. Wenn auch noch Kinder da sind, die es ohne Partner grosszuziehen gilt, wird der Alltag erst recht zur Herausforderung. Die Mutter dreier Teenager fühlt sich oft ziemlich alleine. «Als Kind verbrachte ich viel Zeit im Spital – am Krankenbett meiner Mutter, die an Multipler Sklerose litt. Dass ich mich als junges Mädchen für den Beruf der Pflegeassistentin entschied, ist deshalb sicher kein Zufall. Nach der Heirat, als die Kin-

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der kamen, habe ich dann allerdings im Service gearbeitet und als Putzfrau. Das war hart. Als nach der ersten Ehe auch die zweite Partnerschaft scheiterte, stand ich alleine mit der Verantwortung für drei Kinder da, ohne rechten Job. Via RAV

habe ich dann einen Pflegekurs absolvieren können. Heute habe ich einen Teilzeitjob in einem Altersheim, der mir sehr gefällt. Zum Lohn kommt noch die Alimente dazu; damit kommen wir gerade so über die Runden. Ausserordentliche Ausgaben sind stets ein Problem. Einmal in der Woche besuche ich eine Abendschule, weil ich Fachfrau Gesundheit werden möchte. All das zusammen – Familie, Haushalt, Beruf, Ausbildung – ist sehr viel. Ich muss immer aufpassen, dass ich mich nicht überfordere. Freizeit habe ich so gut wie keine.»

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«Ich möchte Koch werden wie mein Vater» Der Wechsel von der Volksschule in die Lehre ist anspruchsvoll. Beim ersten Anlauf ist der 17-Jährige nach einem Jahr wieder ausgestiegen. Nun sucht er motiviert eine neue Lehrstelle. Er weiss jetzt, dass er nicht aufgeben darf – auch bei Schwierigkeiten nicht. «Als Kind habe ich oft meinem Vater in der Küche geholfen. Das hat mir gefallen. Ich habe damals viel Zeit im Restaurant verbracht, das meine Eltern zusammen geführt haben. Die Hausaufgaben habe ich meistens bei einem Handwerker in der Texte: Ursula Binggeli; Fotos: Urs Siegenthaler

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Nachbarschaft gemacht, in dessen Werkstatt ich mich wohl fühlte. Er unterstützt mich auch jetzt noch, er hat mir zum Beispiel den Zugang zum Rudersport ermöglicht. Dieser ist mir sehr wichtig, speziell jetzt, wo ich arbeitslos bin. Meine Koch-

lehre habe ich nach dem ersten Jahr wieder abgebrochen, weil mir alles über den Kopf gewachsen ist: die Erwartungen des Lehrbetriebs, der Stoff der Berufsschule, einfach alles. Jetzt suche ich einen neuen Lehrbetrieb und hoffe, dass es klappt. Ich will es durchziehen dieses Mal, unbedingt. Schliesslich möchte ich später einmal auf eigenen Beinen stehen, und Kochen macht mir nach wie vor Spass. Essen übrigens auch! Obwohl meine Eltern beide aus dem Mittelmeerraum stammen, ist mein Lieblingsgericht ‹Ghackets mit Hörnli›.»

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Armut halbieren – Caritas Zürich

Gemeinsame Strategie zur Armutsprävention Armutsbilder sind die Leitmotive der Armutspolitik – doch sie werden der komplexen Wirklichkeit häufig nicht gerecht. Caritas Zürich will mit der neuen Kampagne «Wir sind arm» ein realistisches Bild der Armut in unserem Kanton zeigen und damit die Diskussion um eine gemeinsame Strategie zur Armutsprävention in Gang setzen.

«Wir sind arm»: Auch im reichen Kanton Zürich kommen rund 90 000 Menschen nicht ohne staatliche Hilfe über die Runden.

Die Armutspolitik im Kanton Zürich ist, wie in allen anderen Kantonen auch, weder einem Departement zugeordnet noch in einem übergeordneten Strategiepapier definiert. Vielmehr findet sie in verschiedenen Politikbereichen statt. Armutspolitisch relevante Entscheide lassen sich nicht nur innerhalb der Familien- und der Bildungspolitik, sondern auch in der Wohnungs-, der Gesundheits-, der Steuer- und der Arbeitsmarktpolitik ausmachen. Dennoch wird Armutspolitik allzu oft als reine Sozialhilfepolitik angesehen: Man versteht

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darunter eher das Verteilen von Hilfsgeldern als bildungs- oder gesundheitspolitische Debatten. Armutsbekämpfung kann aber nur erfolgreich sein, wenn alle Politikbereiche koordiniert betrachtet werden. Armutsbilder wandeln sich Eine historische Analyse der Zürcher Kantonspolitik zeigt, dass der Begriff «Armut» selten Verwendung findet. Die Mehrheit ist der festen Überzeugung, dass es Armut im reichen Zürich nicht gibt, nicht geben kann. Stellvertretend für «die

Armen» wurden in den letzten dreissig Jahren stets einzelne Betroffenengruppen aus der anonymen Masse herausgehoben und ins Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit gestellt. So gab es in den 80er-Jahren die Tendenz, Armut als Problem der psychisch Kranken zu bagatellisieren. Später dann, als die Bilder der offenen Drogenszene am Letten um die Welt gingen, prägten diese unser Verständnis von Armut und Verwahrlosung. Während der Krise der 90er-Jahre wurde unter Armut vor allem die Arbeitslosigkeit und die Situation der

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Ausgesteuerten diskutiert. In der Folge definierte man die Reintegration in den Arbeitsmarkt als oberstes Ziel und nahm dabei in Kauf, dass dies zum Teil unter prekären Arbeitsbedingungen geschah. Ende der 90er-Jahre schliesslich konnte nicht länger ausgeblendet werden, dass der tief greifende Wandel der Lebensformen auch neue Armutsgruppen geschaffen hatte. Die Alleinerziehenden – meistens Mütter – wurden neu als mehr oder weniger legitime Bezügerinnen von Unterstützungsleistungen anerkannt, die Existenznöte von Alimentenzahlenden – vor allem Vätern – jedoch erst Jahre danach öffentlich thematisiert. Spätestens seit Anfang des neuen Jahrtausends haftet dem Begriff der Armut etwas Unanständiges an. Die Schuldfrage ist allgegenwärtig. Was haben diese Leute falsch gemacht, dass sie unter das Existenz-

Die Stärke unserer Gesellschaft misst sich am Wohl der Schwachen. Das steht in der Bundesverfassung. minimum gefallen sind? Im politischen Schlagabtausch spricht daher niemand von «den Armen». Viel angenehmer ist es, von den «unteren Einkommensschichten», den «Working Poor» oder aber den «armutsbetroffenen Kindern» zu reden. Armutspolitik ist nicht koordiniert Dass die breite Öffentlichkeit kein klares Bild der aktuellen Verhältnisse hat und glaubt, in Zürich stelle Armut schlimmstenfalls ein Luxusproblem dar, ist nicht weiter verwunderlich: Die Not zeigt sich nicht, sie wird grösstenteils versteckt und verschämt. Die meisten Betroffenen sind bemüht, gegen aussen den Schein zu wahren. Die Sorge, wie sie das Geburtstagsgeschenk finanzieren, die Zahnarztrechnung bezahlen oder die Betreibung verhindern sollen, belastet hinter verschlossener Tür. Ihre Nachbarn sollen keinesfalls wissen, wie prekär die Lage ist; sie könnten urteiText: Andrea Keller; Bild: Urs Siegenthaler

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len, könnten verurteilen, und dieses Stigma der Selbstverschuldung verunmöglicht ein aufklärerisches Outing. Die Lage ist verzwickt, Aufklärung dringend notwendig. Denn Armutsbilder sind die Leitmotive der Armutspolitik, weil auch die Politik gegen Armut in der öffentlichen Diskussion vor allem von Emotionen gesteuert wird. Aber im Unterschied zu anderen Interessengruppen verfügen Armutsbetroffene nicht über eine Lobby, die sich systematisch für ihre Anliegen einsetzt. Die Koordination der Armutspolitik sowie die Entwicklung einer gemeinsamen Strategie sind daher die grössten Herausforderungen bei der Armutsbekämpfung. Dies setzt aber realitätsnahe Armutsbilder voraus. Die Realität zeigen Was also ist zu tun? Wie kann es gelingen, eine stabile Basis für eine geeinte Armutspolitik im Kanton Zürich zu schaffen? Es gilt, der breiten Öffentlichkeit aufzuzeigen, was es tatsächlich bedeutet, in unserem Kanton zu den sozial Benachteiligten zu gehören. Das bedeutet eben nicht, dass man auf Kosten des Sozialamtes ein genüssliches, gemütliches und glückliches Leben führt. Es ist auch nicht wahr, dass die Armen unter uns allesamt zu faul sind, um alleine über die Runden zu kommen. Die Ursachen für Armut, die Geschichten dahinter, sind so vielfältig wie die betroffenen Personen selbst. Natürlich gibt es Menschen, die stärker gefährdet sind als andere: Nach wie vor leben viele Alleinerziehende am Existenzminimum, und auch kinderreiche Familien, schlecht Ausgebildete und Menschen mit Migrationshintergrund. Aber grundsätzlich kann es jeden treffen. Manchmal reicht die richtige beziehungsweise eben die falsche Dosis Pech im Leben; und dagegen ist schlicht niemand gefeit. In der Folge entspricht das reelle Bild der heutigen Armut viel eher einem Mosaik, einer Gesamtheit aus verschiedenen kleinen Bildern. Was die Betroffenen eint, ist die belastende Situation. Obwohl Sozialwerke und Auffangnetze in unserem Land eine gute Arbeit leisten und das Schlimmste verhindern, bleibt

die bedrückende Tatsache: Armut macht einsam und abhängig. Armut bedroht das Selbstwertgefühl und macht krank, psychisch wie physisch. Armut setzt unter Druck und prägt den Lebensweg Betroffener. Dabei schadet Armut nicht nur der überraschend hohen Anzahl von Menschen, die auf Unterstützung angewiesen sind, sondern der Gesellschaft an sich. Damit es nicht so weit kommt, dass jemand in Armut leben muss, ist eine Strategie zur wirksamen Armutsprävention gefragt. Eine solche Strategie kann nur mit tatkräftiger Unterstützung aus den politischen Reihen sowie dem Wissen und der Teilhabe der gesamten Gesellschaft erfolgreich sein. Mit der klaren Zielsetzung, die Öffentlichkeit zu sensibilisieren, erarbeitete Caritas Zürich die Kampagne «Wir sind arm», welche im April 2010 startet und verschiedene Teilprojekte und Aktionen umfasst: von kreativ-werberischen Elementen, einer Ausstellung mit Aussagen von Betroffenen, einer Schreibwerkstatt bis hin zur interaktiven Performance. «Wir sind arm» macht deutlich, dass wir von der heutigen und hiesigen Armut allesamt betroffen sind, nämlich als Gesellschaft, deren Stärke sich am Wohl der Schwachen misst, so wie es in der Präambel unserer Verfassung geschrieben steht. Entsprechend gilt es zu handeln.

Mehr erfahren Mehr zu Armutsbildern und Armuts­ politik im Kanton Zürich erfahren Sie in unserem neuen Diskussionspapier «Armutsbekämpfung im Kanton Zü­ rich: Versagt die Politik?», zu beziehen unter: www.caritas-zuerich.ch/diskussionspapiere Mehr zu unseren Kampagnen erfahren Sie auf folgenden Webseiten: www.wir-sind-arm.ch www.armut-halbieren.ch

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Caritas Zürich

Wenn die Krankenkasse nicht mehr bezahlt Seit 2006 ist es den Krankenkassen möglich, ihre Leistungen gegenüber Versicherten zu stoppen, wenn es zu einer Betreibung der geschuldeten Prämien kommt. Für viele Leute, die knapp an der Armutsgrenze leben, ist das Risiko gross, dass sie wegen ausserordentlicher Kosten in eine solche Situation kommen. So geschehen bei der allein erziehenden Frau Reust* und ihrem zwölfjährigen Sohn. Ihr Einkommen liegt an der Armutsgrenze. Wegen der teuren Zahnkorrektur ihres Sohnes kam Frau Reust in Not und

konnte ihre Krankenkassenprämien nicht mehr bezahlen. Ein gemeinsam mit ihr zusammengestelltes Budget zeigte Caritas Zürich, wie klein ihr Spielraum war. Mit einer klaren Prioritätensetzung gelang es ihr, wenigstens die laufenden Prämien zu bezahlen. Eine langwierige Abklärung und Geltendmachung von möglichen Ansprüchen bewirkte, dass rückwirkend Prämienverbilligungen ausgelöst werden konnten, welche einige offene Prämien zu decken vermochten. Die Verlustscheine von Prämien wurden durch die Gemeinde übernommen. Am meisten Probleme bereiteten

jedoch die Verlustscheine aus Franchisen und Selbstbehalten. Dass Frau Reust eine dringend benötigte Therapie noch vor der Aufhebung der Leistungssperre beginnen konnte, war nur durch Verhandlungen mit dem Arzt und dessen Goodwill möglich. Dieses Beispiel ist eines von vielen. Oft haben wir es bei Caritas Zürich mit Leuten zu tun, deren medizinische Versorgung durch den Leistungsstopp nicht mehr gewährleistet ist. Stossend ist vor allem, dass viel Zeit vergehen kann, bis ein Verlustschein ausgestellt ist. Während dieser Zeit bleibt der Leistungsstopp wirksam. Das heisst, angefallene Kosten bei Krankheit oder Unfall werden von der Krankenkasse nicht bezahlt oder der Arzt weigert sich gar, Betroffene zu behandeln. Es ist zu hoffen, dass diese empfindliche Lücke im Gesundheitssystem, die vor allem Armutsbetroffenen zu schaffen macht, bald geschlossen werden kann.

Wenn ausserordentliche Kosten anfallen, wirds sofort eng: Frau Reust* mit ihrem Sohn, der eine Zahnkorrektur brauchte.

Mit Beratung und Bildung effizient weiterhelfen Ein fehlender Berufsabschluss ist eine häufige Ursache für Armut. Herr Werden*, ein junger Familienvater, der sich infolge finanzieller Probleme an die Sozialberatung der Caritas Zürich wandte, hat dies besonders deutlich erfahren müssen. Da er den praktischen Teil der Lehrabschlussprüfung nicht bestand, fand er nur mit Mühe eine neue Stelle – zum Praktikantenlohn von 1650 Franken. Zum Glück hatte seine Frau eine Teilzeitstelle, sodass die Familie

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ganz knapp über dem Existenzminimum leben konnte. Zu gerne wollte er die Prüfung wiederholen. Doch hatte er am Arbeitsplatz keine Gelegenheit, sich auf den praktischen Prüfungsteil vorzubereiten. Der von der Berufsschule empfohlene Kurs, Kostenpunkt 1300 Franken, konnte er sich einfach nicht leisten. Caritas Zürich war ihm behilflich bei der Abklärung allfälliger Stipendien. Leider sind kantonale Stipendien für diese Situation nicht vorgesehen.

Wir stellten deshalb ein Gesuch bei einer Stiftung. Die Kursauslagen wurden übernommen und Herr Werden hat die praktische Prüfung bestanden. Heute verfügt er über den üblichen Anfangslohn in seiner Branche: 3200 Franken. www.caritas-zuerich.ch/sozialberatung

*Zum Schutz der Betroffenen haben wir Namen und Bilder anderer Personen verwendet. Texte: Suzanne Schärli, Veronika Marmet; Bild: Andreas Schwaiger

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KulturLegi in der ganzen Schweiz Neues Design, nationale Angebote und eine neue Website: Im Jahr 2009 war die KulturLegi Kanton Zürich intensiv damit beschäftigt, nationale Neuerungen mitzugestalten und auf kantonaler Ebene umzusetzen. Damit Menschen mit knappem Budget von noch mehr Angeboten profitieren können. Die nationale Koordinationsstelle «KulturLegi Schweiz» verfolgt seit langem das Ziel, dass alle Menschen mit knappem Budget eine KulturLegi bekommen können und in der ganzen Schweiz damit Vergünsti-

gungen erhalten. Dem sind wir im letzten Jahr einen grossen Schritt näher gekommen. Seit Herbst 2009 haben alle KulturLegis von Caritas ein neues, einheitliches Erscheinungsbild, das sich auch auf der Website wiederfindet. Die rote Farbe löst das Pink ab und stellt damit einen Zusammenhang zum Auftritt der Caritas her. Der KulturLegi-Stern bleibt der wichtigste Bestandteil und wird nun neben dem Logo auch im Bildmaterial der KulturLegi eingesetzt. Dank dieser Vereinheitlichung akzeptieren mittlerweile fast alle unsere Ange-

Dabei sein, auch mit wenig Geld.

* Schmales Budget, volles Programm: Mindestens 30% Rabatt bei Bildung, Sport und Freizeit.

Das neue, bunte Erscheinungsbild aller KulturLegis der Caritas gilt auch für die KulturLegi Kanton Zürich. www.kulturlegi.ch/zuerich

botspartner die KulturLegi-Karten von Caritas. So kann nun eine Bernerin den «Landboten» abonnieren, eine Luzerner Familie den Zoo Zürich besuchen oder ein GC-Fan aus dem Kanton Zug Heimspiele des Zürcher Clubs im Letzigrund vergünstigt erleben. Die Benutzerinnen und Benutzer der KulturLegi können damit neu aus rund 600 Angeboten der Bereiche Kultur, Sport und Bildung in der ganzen Schweiz auswählen. www.kulturlegi.ch/zuerich

In den Zoo zum Preis von einem Hot Dog.

* Schmales Budget, volles Programm: Mindestens 30% Rabatt bei Bildung, Sport und Freizeit.

www.kulturlegi.ch/zuerich

«Caritas Mobil» geht in die Regionen des Kantons Caritas Zürich bietet diverse Dienstleistungen für armutsbetroffene Personen im ganzen Kanton an. Besonders präsent ist Caritas Zürich in den beiden grossen Städten Winterthur und Zürich. Viele Armutsbetroffene leben jedoch ausserhalb dieser Ballungszentren. Aufgrund ihrer finanziellen Lage sind diese Personen häufig in ihrer Mobilität eingeschränkt und hatten bis anhin auch weniger Zugang zu den Dienstleistungen. Um dies zu ändern, rief Cari-

tas Zürich im Sommer 2009 das Projekt «Caritas Mobil» ins Leben. Das während zwei Jahren laufende Projekt hat zum Ziel, den Bekanntheitsgrad unserer Angebote in jenen Gemeinden zu stärken, in denen wir bis anhin noch gar nicht oder weniger stark vertreten waren. Erster Standort von «Caritas Mobil» war Wetzikon. Dort wurden im Herbst 2009 zwei Kurse von «schulstart+» und eine Geschenktauschaktion koordiniert durchgeführt. Zudem infor-

Texte: Katja Schnyder-Walser, Daniel Eberhard; Bilder: Caritas Zürich

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mierten wir die Bevölkerung an Standaktionen, an einer Medienkonferenz und mit Flyern über die bestehenden Angebote von URAT und der KulturLegi. Die vielen Rückmeldungen während der Standaktionen in Wetzikon waren für die weitere Arbeit sehr inspirierend. Der Kontakt mit der Bevölkerung ist wichtig: Aus diesem Grund freuen wir uns auch darauf, 2010 an diversen Standorten im Kanton Zürich präsent zu sein.

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«Der erste Eindruck zählt» Sarah Meier, erfolgreichste Schweizer Eiskunstläuferin, hat sich in unserem Secondhand-Laden an der Birmensdorferstrasse 53 in Zürich neu eingekleidet. Und posierte in einem Designerkleid von Stella McCartney. Das Outfit von Sarah Meier trägt wesentlich zum Gelingen ihrer Tourniere bei: «Der erste Eindruck zählt, da kommt es auf die Gesamterscheinung an», erklärt die Vize-Europameisterin. Das Kostüm entwirft sie gemeinsam mit ihrer Schneiderin. «Mir ist wichtig, dass ich mich darin wohl fühle und mich schön finde, wenn ich in den Spiegel schaue.» Privat trägt Sarah Meier meist legere, sportliche Kleider, die sie oft dann kauft, wenn sie im Ausland unterwegs ist. Da hat sie Zeit und findet Stücke, die hier niemand

trägt. Sie war erstaunt, solche besonderen Teile auch in unserem Secondhand-Laden an der Birmensdorferstrasse in Zürich zu finden. Um an noch mehr spezielle Kleidungsstücke zu gelangen, eröffnen wir unseren achten Secondhand-Laden an bester Lage – an der Asylstrasse 94 in Zürich. Hier kann unsere Kundschaft ihre schönen, intakten Kleiderspenden persönlich abgeben. Das entspricht einem Bedürfnis, denn viele haben einen engen Bezug zu ihren Kleidern und wollen sie weder in einen Sack stecken

noch kommentarlos und anonym irgendwo einwerfen. Gefragt ist Zeit für Gespräche, und diese Zeit nehmen sich die Angestellten im neuen Laden. Caritas Zürich betreibt Secondhand-Läden in Zürich, Winterthur und Uster. Sie leben von Kleiderspenden aus Privathaushalten und Boutiquen. Der Verkaufserlös kommt unseren Projekten zugute. Unsere Standorte, die Öff nungszeiten sowie weitere Bilder finden Sie online. www.caritas-zuerich.ch/secondhand

Ihre Frage an uns An dieser Stelle beantworten wir die Fragen der Leserinnen und Leser zu unserer Organisation und unserer Arbeit. Remo L. aus Küsnacht möchte von uns wissen: «Wieso bietet die Caritas Zürich Patenschaften im Kanton Zürich an? Das ist doch etwas für Entwicklungsländer!» Im Kanton Zürich sind ungefähr 20 000 Kinder von Armut betroffen. Auch sie haben ein Anrecht auf Hilfe, genauso wie die Kinder in den Entwicklungsländern. Hier bei uns leiden armutsbetroffene Kinder oft unter Ausgrenzung und sozialer Isolation. Sie können materiell weder in der Schule noch in der Freizeit mithalten, da die teuren Markenkleider oder die neusten Trainingsschuhe für sie unerschwinglich sind. Ihre Eltern können den Besuch von Text: Ariel Leuenberger; Bild: Roth und Schmid Fotografie

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Musik- oder Sportunterricht oder die Teilnahme an einem Ferienlager oft nicht bezahlen, die Kinder verbringen deshalb den grössten Teil ihrer Freizeit vor dem Fernseher oder sie treiben sich auf den Strassen herum. Für ihre Entwicklung und ihre soziale Integration ist es jedoch wichtig, dass sie neben der Schule noch eine andere Erlebniswelt haben, in der sie gefordert und gefördert werden. Mit einer Patenschaft der Caritas Zürich können armutsbetroffene Kinder ihre Freizeit sinnvoll nutzen und ihre Talente entdecken, weil wir ihnen damit über eine längere Zeit beispielsweise das Spielen eines Instrumentes oder das Fussballtraining ermöglichen.

Kinder erleben im Sport oder in der Musik Erfolge, auf die sie stolz sind. Sie können neue Freundschaften knüpfen und haben neue Bezugspersonen und Freunde, was ihr soziales Umfeld erweitert und ihnen neue Perspektiven zeigt. Ein Fussballtrainer kann so zur zentralen Figur im Leben eines Jungen werden. Unsere Patenschaften bieten Menschen, die helfen möchten, eine einfache und effiziente Art, regelmässig zu spenden und damit ganz gezielt benachteiligte Kinder hier im Kanton Zürich zu unterstützen. www.caritas-zuerich.ch/patenschaften

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Caritas Zürich

Erfolgreich in die Schulzeit starten In den Kursen von «schulstart+» lernen Migranten-Familien das Schweizer Schulsystem kennen und werden auf den Schuleintritt ihrer Kinder vorbereitet. Die Kurse leisten aber auch wichtige Integrationsarbeit und stärken das Selbstbewusstsein der Teilnehmenden. «Viele Migrantinnen und Migranten sind der Meinung, dass das Schweizer Schulsystem genau gleich funktioniert wie in ihren Heimatländern», sagt Verbena Fanti. Seit zwei Jahren leitet sie für Caritas Zürich «schulstart+»-Kurse auf Portugiesisch, die Eltern mit Migrationshintergrund auf den Eintritt ihrer Kinder ins Schweizer Schulsystem vorbereiten. «In den Heimatländern der Kursteilnehmenden bleiben die Kinder länger in den Familien und wachsen eher mit ihren Cousinen und Cousins auf, als dass sie in eine Spielgruppe gehen», meint die studierte Archäologin. Viele der Kursteilnehmenden kämen selten in Kontakt mit der Schweizer Kultur und wissen deshalb kaum, wie sie sich in neuen Situationen zu verhalten haben. «Deshalb sind viele der Teilnehmenden zu Beginn der ‹schulstart+›-Kurse etwas unsicher», meint Verbena Fanti weiter. Frau Fanti kann den Müttern nachfühlen: Auch sie wurde mit einer fremden Kultur konfrontiert, als sie vor zwanzig Jahren wegen ihres Schweizer Ehemanns aus Brasilien einwanderte. Angebote erleichtern die Integration Neben dem Zürcher Schulsystem werden den Teilnehmenden der «schulstart+»Kurse auch viele Details vermittelt, wie die Gepflogenheiten im Kindergarten oder die kulturellen Angebote in den Wohngemeinden. So besucht Verbena Fanti mit ihrer «schulstart+»-Klasse jeweils eine Bibliothek in einer der Gemeinden, in denen die Kurse stattfinden. «Durch die ‹schulstart+›Kurse lernen die Teilnehmenden die Angebote in ihren Wohnorten zu nutzen und integrieren sich so stärker», sagt Frau Fanti. So komme es häufig vor, dass sich die Eltern nach den «schulstart+»-Kursen für Deutschlektionen anmelden oder etwa beim MuKi-Turnen mitmachen. Frau Fanti hält es für wichtig, dass Migrantinnen und

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Die Kurse erklären den Eltern unser Schulsystem, während die Kinder betreut spielen können.

Migranten die Schweizer Kultur verstehen und dass die hier geltenden Regeln akzeptiert werden. «Es ist jedoch ebenso wichtig, dass die Kursteilnehmenden ihre eigene Kultur nicht verlieren», sagt sie. Ein Vorteil der «schulstart+»-Kurse sei, dass sie das Knüpfen von Kontakten zwischen den Migrantenfamilien ermöglichen. In den Kursen würden die Familien auch erkennen, dass sie mit ihren Problemen nicht allein sind und dass sie lernen können, diese zu lösen. «Viele der Familien sind vom öffentlichen Leben isoliert. In den ‹schulstart+›-Kursen können die Teilnehmenden in ihrer Muttersprache Erfahrungen austauschen und Freundschaften schliessen.» Nachhaltige Hilfe Verbena Fanti bleibt mit den Eltern oft auch nach dem Ende der Kurse in Kontakt und hilft bei kleineren und grösseren Alltagsfragen, z.B. bei der Korrespondenz

mit den Behörden. «Das Allerschönste an meiner Aufgabe ist, wenn ich eine Mutter auf der Strasse treffe und diese mir erzählt, dass es ihrem Kind in der Schule gut gehe.» www.caritas-zuerich.ch/schulstart

Helfen Sie mit! Die Kurse von «schulstart+» finden im ganzen Kanton Zürich in verschie­ denen Sprachen statt, unter anderem in Deutsch, Albanisch, Türkisch oder Tamilisch. Helfen Sie mit, dieses ein­ malige Projekt auch in Zukunft zu er­ halten. Unterstützen Sie die Kurse von «schulstart+» mit dem beiliegenden Einzahlungsschein. Herzlichen Dank! PC 80-12569-0

Text: Daniel Eberhald; Bild: Reto Klink

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«Ein Lächeln aufs Gesicht zaubern» Als Mentorin unterstützt Christiane Sittauer eine junge Migrantin bei der Suche nach einer Lehrstelle. Im Interview erzählt sie von den Einblicken in andere Lebensverhältnisse, die ihr durch das Engagement bei incluso gewährt werden. Zeit. Auch die fehlenden Sprachkenntnisse sind ein Handicap. Darum ist meine «Mentee» so froh darüber, dass ich ihr helfe. Das Schönste für mich sind die positiven Feedbacks – wenn ich es schaffe, ihr ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern. Zum Beispiel, als wir zusammen Passfotos machten, die Mappen für die Bewerbung kauften und dann alles zusammengestellt haben. Da war sie zu Recht richtig stolz und hat gestrahlt.

Einblick in das Leben einer jungen Migrantin – und die Schwierigkeiten bei der Lehrstellensuche.*

Was hat Sie zu Ihrem Engagement bei incluso bewogen? Da ich selbst keine Kinder habe, hatte ich das Bedürfnis, mich in meiner freien Zeit sozial zu engagieren. Ich habe lange überlegt, was zu mir passen könnte, und bin schliesslich im Internet auf incluso gestossen. Jungen Leuten bei der Stellensuche zu helfen, das kann ich leisten, da ich bei meiner beruflichen Tätigkeit viele Menschen einstelle und weiss, was dabei von Bedeutung ist. Ich betreue nun seit acht Monaten eine 15-jährige Brasilianerin, sie ist meine «Mentee». Wie sieht diese Betreuung konkret aus? Im Vordergrund steht die Hilfe bei der Zusammenstellung der Bewerbungsunterlagen, das gemeinsame Aufsetzen eines Lebenslaufs, das Korrigieren von Bewerbungsschreiben und so weiter. Das Herausfinden,

welche Ausbildung überhaupt die richtige ist, war ein weiteres wichtiges Thema bei unseren Treffen. Anfangs traten auch kulturelle Unterschiede zwischen uns zu Tage. Zum Beispiel bezüglich der Pünktlichkeit mussten wir uns erstmal finden. In Brasilien trifft man sich, wenn man dazu bereit ist, hier bei uns ist man vergleichsweise sehr pünktlich. Dementsprechend musste ich häufig nachfragen, erinnern und sie motivieren. Das erforderte viel Vorsicht, denn ich wollte sie weder überfordern noch bemuttern. Welche Einblicke erhalten Sie in das Leben der jungen Migrantin? Durch unsere Treffen habe ich ganz neue Einblicke in andere Lebensverhältnisse erhalten. Sie erzählte auch von ihrer Familie und dass deren Möglichkeiten, sie zu unterstützen, eingeschränkt sind. Ihre Eltern fördern sie zwar, haben aber nur wenig

*Zum Schutz der Betroffenen haben wir ein Bild anderer Personen verwendet. Text: Ariel Leuenberger; Bild: Urs Siegenthaler

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Wie werden Sie bei der Arbeit mit Ihrer «Mentee» unterstützt? Die Leute von incluso haben immer ein offenes Ohr. Ich bin froh, wenn ich zu gewissen Vorgehensweisen jeweils noch die Meinung der Profis einholen kann. Zum Beispiel war meine «Mentee» zwei Tage lang schnuppern, und die dort Verantwortlichen konnten ihr anschliessend kein richtiges Feedback geben. Ich war unsicher, ob ich nun aktiv werden sollte und was das Beste sei, und hielt Rücksprache mit meiner Ansprechpartnerin bei incluso. Ich fühle mich vom incluso-Team gut beraten und kann ein solches Engagement jedem empfehlen, der bereit ist, seine Zeit und seine Gedanken zu investieren. www.caritas-zuerich.ch/incluso

Engagieren Sie sich! Möchten Sie jungen Migrantinnen oder Migranten bei der Suche nach einer Lehrstelle helfen? Melden Sie sich bei Monika Litscher, Leiterin incluso: Telefon 044 366 68 68 E-Mail incluso@caritas-zuerich.ch

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Persönlich

Floriana Frassetto Die gebürtige Italienerin studierte an der Theater-Akademie in Rom. Als sie Andrès Bossard und Bernie Schürch kennenlernte, gründete sie mit ihnen 1972 die Theatergruppe Mummenschanz. Seither hat sie das weltweit erfolgreiche Repertoire von Mummenschanz miterfunden, mitgestaltet und in allen Produktionen mitgespielt.

«Wir Menschen fühlen gleich, unabhängig von Nationalitäten» Floriana Frassetto ist Gründungsmitglied der Theatergruppe Mummenschanz. Für Caritas beantwortet sie zehn Fragen.

Was würden Ihre Nachbarn über Sie sagen? Man sieht sie wenig. Sie ist auf der

Warum braucht es Caritas? Um Spenden zu organisieren und damit Menschen in Not helfen zu können.

Wann sind Sie glücklich? Wenn ich je-

Wofür lohnt es sich, zu streiten? Für Toleranz und gegenseitiges Verständnis.

ganzen Welt zuhause.

weils meine Familie wiedersehe und wenn ich aus dem Publikum ein spontanes, herzliches Lachen höre, das übrigens auf allen Kontinenten gleich tönt. Das zeigt mir, dass wir Menschen unabhängig von Nationalitäten gleich fühlen. Wie haben Sie das letzte Mal jemandem geholfen? Ich führe nicht Buch da-

rüber, aber ich helfe gerne, wann immer ich kann. Welches Erlebnis hat Sie besonders geprägt? Die Krebserkrankung meines

Lebenspartners.

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Welche Sünde begehen Sie mit Freude? Rauchen.

Was stimmt Sie zuversichtlich? Das

zunehmende Bewusstsein, dass wir unserer Natur Sorge tragen und mit unseren Ressourcen verantwortungsvoll umgehen müssen. Eine für Sie bedeutende Person in Ihrem Umfeld? Bertrand Piccard. Woher stammen Ihre Werte? Aus meiner Erziehung, der Religion, der Literatur und der Kunst.

Informationen zur Theatergruppe unter www.mummenschanz.com Bild: zvg

12.3.2010 10:59:09 Uhr


Caritas-Netz

«Wir brauchen noch mehr Ware» Drehscheibe Caritas-Warenzentrale: Im luzernischen Rothenburg werden die Produkte, die in den Caritas-Märkten verkauft werden, akquiriert, bestellt, gelagert und in Zusammenarbeit mit einem Transportunternehmen in die ganze Schweiz verteilt.

Die Warenzentrale des Caritas-Markts beliefert 19 Caritas-Märkte in der ganzen Schweiz.

Rund 700 000 Liter Milch, gegen 240 000 Kilogramm Mehl, etwa 100 000 Kilogramm Teigwaren, rund eine Million Joghurts – in diesen Dimensionen bewegt sich der jährliche Bedarf der 19 Caritas-Märkte in der Schweiz. In diesen Märkten können Armutsbetroffene Lebensmittel und andere wichtige Produkte zu einem besonders günstigen Preis einkaufen.

möglichst günstige oder kostenlose Ware beschaffen.» Dabei handelt es sich etwa um Produkte mit Fehlverpackung, Ware, von der zu viel produziert wurde, oder Lebensmittel mit kurzem Ablaufdatum. Im Moment beschäftigt sich Maurer zum Beispiel mit 240 Kilogramm Hefe, die ihm ein Lieferant gratis angeboten hat, weil sie ihr Ablaufdatum in

«Früher waren 70 Prozent unseres Angebotes Gratisware, heute sind es nur noch 40 Prozent.» Um solche Mengen zu bewältigen, braucht es eine Drehscheibe: die CaritasWarenzentrale in Rothenburg. Hier arbeitet, gemeinsam mit rund zehn Personen, Rolf Maurer, Geschäftsleiter der Genossenschaft Caritas-Markt. Der langjährige Coop-Kadermann kennt die Branche: «Die Caritas-Warenzentrale funktioniert eigentlich genau gleich wie diejenige eines normalen Detailhändlers. Wir müssen jedoch nicht Margen erwirtschaften, sondern Text: Bettina Büsser; Bild: Heinz Dahinden

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drei Wochen erreichen wird: «Wir können ihm sicher nicht die ganze Menge abnehmen und müssen sehr schnell handeln, damit die Hefe, wie alle Angebote in den Caritas-Läden, noch verkaufsfrisch ist.» Die Zusammenarbeit zwischen Lieferanten und Caritas-Warenzentrale hat sich über die Jahre eingespielt. Heute werden die Caritas-Märkte von Detailhändlern und Produzenten nicht mehr als potenzielle Konkurrenten betrachtet: «Geben

sie uns ihre Produkte, helfen sie Armutsbetroffenen, die sich diese in einem anderen Laden sowieso nicht leisten könnten. Ausserdem spart sich der Lieferant die Entsorgung der Ware, die er nicht mehr verkaufen kann – pro Palette kostet sie 300 bis 500 Franken», erzählt Maurer. Um bei potenziellen Lieferanten nicht in Vergessenheit zu geraten, setzt die Warenzentrale einen Mitarbeiter ein, der sie laut Maurer «aktiv bearbeitet». Er hat auch diejenigen Unternehmen im Auge, die nach wie vor Lebensmittel wegwerfen, die für die Caritas-Märkte geeignet wären: «Eigentlich eine Schande», sagt Maurer, «aber wir dürfen sie nicht anprangern, sondern müssen sie überzeugen. Wir brauchen noch mehr Ware.» Denn die Nachfrage nach den Angeboten der Caritas-Märkte steigt: 2008 erreichten sie einen Umsatz von 6,5 Millionen Franken, 2009 waren es bereits 7,2 Millionen Franken. Und für 2010 rechnet Maurer mit einer weiteren Zunahme. Er befürchtet, dass sich 2010 die Krise weiter auswirkt, «wenn diejenigen, die ihre Arbeit verloren haben, beim Sozialamt landen». Mit dem steigenden Bedarf in den Märkten wurde das Prinzip, nur Ware zu verkaufen, welche die Warenzentrale gratis erhalten hat, aufgegeben. «Vor etwas mehr als zwei Jahren waren 70 Prozent unseres Angebots Gratisware, heute sind es nur noch 40 Prozent», weiss Maurer. Deshalb kauft die Warenzentrale heute beispielsweise Grundnahrungsmittel möglichst günstig ein – verkauft werden sie dann unter dem Einstandspreis. Damit das möglich ist, hat man neben den Lieferanten von Gratisware auch Firmen gesucht, die Produkte sehr billig abgeben oder den Einkauf sponsern. «Wir mussten und müssen neue Wege suchen», sagt Maurer.

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Caritas-Netz

«Restau-Verso» – Restaurant und Sozialfirma

Als Haushaltsfee im Einsatz

Mit der Gründung von Sozialfirmen soll die Armut in der Schweiz wirksam bekämpft werden. Ein Beispiel ist «Restau-Verso» im jurassischen Délemont.

Eine Arbeitsmöglichkeit für Menschen in prekären Verhältnissen

Vorbereitungsarbeiten in der Küche des Restau-Verso. Bald treffen die ersten Gäste ein.

Im September 2009 öffnete «Restau-Verso» in der Industriezone des Kantonshauptortes seine Tore. Neben dem einladenden Restaurant gehören ein Self-Service, ein Take-away und ein Traiteur zum Angebot. Mit der kostenlosen Ausleihe von Velos an Kunden wird zusätzlich die gesunde Mobilität gefördert. Die von Caritas Jura ins Leben gerufene Sozialfirma (siehe Kasten) eröffnet 16 IV-Bezügern und 3 Küchenprofis mit Führungskompetenzen neue berufliche Perspektiven. Sechs Monate nach der Eröffnung hat sich das «Restau-Verso» mit rund 70 Mahlzeiten pro Tag bereits eine treue Kundschaft geschaffen. Mitarbeitende aus den Betrieben in der Umgebung, aber auch aus der Stadt selber nutzen diese Angebote gerne. Ein Beweis dafür, dass sich wirtschaftliche und soziale Ansätze durchaus ergänzen können. Weitere Informationen unter www.restau-verso.ch

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Was ist eine Sozialfirma? Eine Sozialfirma ist ein Unternehmen mit doppelter Zielsetzung: Es schafft erstens Arbeit für Personen mit Behinderungen oder Benachteiligungen auf dem Arbeitsmarkt. Zweitens stellt das Unternehmen marktgerechte Produkte und Dienstleistungen her und deckt so nach der Aufbauphase mindestens 50 Prozent seiner Ausgaben durch Einnahmen aus dem Verkauf dieser Produkte. Mindestens 30 Prozent der Belegschaft sind Personen mit Behinderungen oder Benachteiligungen. Alle Arbeitnehmerinnen und Angestellten haben einen unbefristeten Arbeitsvertrag und erhalten in der Regel einen Lohn nach orts- und branchenüblichen Ansätzen. Weitere Informationen bei der Arbeitsgemeinschaft Schweizer Sozialfirmen (ASSOF): www.swisssocialfirms.ch

Ausgesteuert und auf Sozialhilfe angewiesen zu sein heisst, in äusserst prekären Verhältnissen zu leben, oft über Jahre hinweg. Der Integrationsbetrieb «Haushalts-Fee» der Caritas Thurgau bietet Menschen in solchen Verhältnissen eine Beschäftigung und dadurch Stabilität. In der Küche wird eifrig der Glaskeramikherd geputzt und hinten im Bad rauscht die Duschbrause. Ein angenehmer Geruch von Sauberkeit zieht durch die MaisonetteWohnung. Meistens ist niemand zuhause, wenn geputzt wird. Das kommt den beiden Mitarbeitenden nicht ungelegen, denn Anonymität ist ihnen wegen ihrer desolaten Situation wichtig. «Ich gehe an jeden Einsatz mit, leite an und kontrolliere am Schluss die Arbeit», sagt die Einsatzleiterin und lässt ihren Blick prüfend über die Abzugshaube gleiten. Sie führt auch die Kundengespräche und erstellt die Einsatzpläne. Das Coaching der Mitarbeitenden wird durch einen Sozialarbeiter gewährleistet, der mit den zuweisenden Gemeinden den Kontakt pflegt. www.caritas-thurgau.ch/Haushalts-Fee

Texte: Adrian Wismann; Bilder: Restau-Verso, Caritas Thurgau; Collage rechts: Martin Blaser

12.3.2010 16:35:25 Uhr


Armut bedeutet Ausgrenzung und soziale Isolation

Collage: Martin Blaser

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Hinweise

Gutes tun – auch nach dem Tod Hinterlassen Sie etwas Gutes, das über ihr Leben hinaus Bestand hat. Die Armut der Eltern vererbt sich in den meisten Fällen an die Kinder weiter. Helfen Sie uns, dies zu verhindern, und berücksichtigen Sie Caritas Zürich mit einem Legat oder einer Schenkung. Denn Kinder tragen unser Erbe weiter, auch wenn wir einmal nicht mehr sind. Ein Legat an Caritas Zürich sichert einen wichtigen Teil der Finanzierung unserer Projekte. Es kann die Lebensperspektive einer von Armut betroffenen Familie grundlegend verändern und hilft so, über das Leben hinaus Gutes zu tun. Bestimmen Sie noch zu Lebzeiten selber, wem Ihr Vermächtnis zugute kommt. Nur so können Sie sicher sein, dass Ihr Geld im gewünschten Sinne eingesetzt wird. Beim Regeln des Nachlasses steht Ihnen der ehemalige Direktor der Caritas Zürich, Herr Guido Biberstein, gerne zur Verfügung. Kompetent und diskret beantwortet er Ihre Fragen und unterstützt Sie beim Aufsetzen Ihres Testaments. Guido Biberstein Ehem. Direktor Caritas Zürich Telefon 044 713 27 56 g.biberstein@bluewin.ch

Übernehmen Sie eine Patenschaft Mit einer Patenschaft von Caritas Zürich helfen Sie ganz gezielt armutsbetroffenen Kindern im Kanton Zürich. Unsere Patenschaften ermöglichen armutsbetroffenen Kindern den Besuch von Sport- oder Musikunterricht und helfen ihnen damit, sich aus der sozialen Isolation zu befreien, welche die Armut mit sich bringt. Die Patenschaften bieten Menschen, die helfen möchten, eine einfache und effiziente Art, regelmässig zu spenden und damit ganz gezielt benachteiligte Kinder hier im Kanton Zürich zu unterstützen. www.caritas-zuerich.ch/patenschaften

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Veranstaltungen Tag der Armut Wer wissen möchte, wie es sich anfühlt, hier und heute zu den sozial Benach­ teiligten zu gehören, findet am CaritasTag der Armut vom 24. April eine Ant­ wort auf dem Hirschenplatz. Im Zürcher Niederdorf präsentieren wir ein Infor­ mations- und Unterhaltungsprogramm rund um die lokale Armut. Bestandteile davon sind Teilprojekte der Kampagne «Wir sind arm»: Mit einer Performance professioneller Theaterschaffender und gesammelten Aussagen von Betrof­ fenen wird der Öffentlichkeit zugäng­ lich gemacht, was meist verschwie­ gen und verborgen bleibt: die Notlage unserer Mitmenschen mit zu knap­ pem Budget. Es geht um Mädchen, die ohne Geschenk an den Kindergeburts­ tag müssen, um Ferien, die zwischen Supermarktregalen verbracht werden, und um Singles, die allein bleiben, weil sie glauben, einem Partner nichts bie­ ten zu können. Samstag, 24. April 2010 10 bis 16 Uhr Hirschenplatz, Zürich www.wir-sind-arm.ch

«Luutstarch» am Openair Landesmuseum «Luutstarch» ist ein lautes und starkes Zeichen gegen Ausgrenzung und für Perspektiven. Damit engagiert sich Ca­ ritas Zürich für Jugendliche, zusammen mit anderen Organisationen. Besuchen Sie unsere Bühne am Openair Landes­ museum oder unsere Solidaritätsparty im Jugendkulturhaus Dynamo. Wir bie­ ten Musik, Ateliers, Informationen und Aktionen gegen Ausgrenzung und für Perspektiven. Samstag, 19. Juni 2010 12 bis 02 Uhr, Innenhof des Landesmuseums und Jugendkulturhaus Dynamo, Zürich www.luutstar.ch

Grundkurs zur Sterbebegleitung Grundkurs für alle, die sich mit dem Thema «Sterben und Trauern» ausein­ andersetzen möchten oder jemanden in der letzten Lebensphase begleiten. Kurs in Zusammenarbeit mit der Paulus-Akademie. 26. Mai bis 8. September 2010 www.paulus-akademie.ch

Generalversammlung Caritas Zürich Zu unserer Generalversammlung sind alle Interessierten herzlich eingeladen. Bitte melden Sie sich telefonisch (044 366 68 68) oder online via CaritasZürich-Website an. Dienstag, 15. Juni 2010, ab 18 Uhr Sumatra-Saal, Freie Kath. Schule, Sumatrastrasse 31, Zürich www.caritas-zuerich.ch/events

Caritas Zürich in Effretikon Caritas Zürich präsentiert Ende Mai mit der kath. Pfarrei St. Martin die Ausstel­ lung «Wir sind arm» in Effretikon und in­ formiert mit einer grossen Standaktion zum Thema Armut. 22.–28. April 2010 Kath. Kirchgemeindehaus Samstag, 29. April 2010 Standaktion auf Märtplatz www.caritas-zuerich.ch/events

«Armut-bei-uns»-Woche in Dietikon Mit der kath. Pfarrei St. Agatha veran­ stalten wir diverse Anlässe zum Thema Armut. Auftakt ist die Vernissage der Ausstellung «Wir sind arm». 9.–17. Juli 2010, Foyer Stadthaus Samstag, 17. Juli 2010 Kirchplatz, Dietikon www.caritas-zuerich.ch/events

Texte: Caritas Zürich

12.3.2010 10:59:41 Uhr


Gedankenstrich

Charles Clerc.

Armut halbieren Nein, ich bin nicht arm. Ich esse gut und gern (und zu viel), wohne behaglich, kleide mich anständig (lieber Schurwolle als Polyester); es reicht für Theater und Konzert, für Griechenlandferien und Reisen nach Afrika; für Kino, Bücher und CDs. Die Steuern sind bezahlt und die Krankenkassenprämien gehen jeden Monat automatisch vom Konto ab. Sogar die, obwohl von Räubern abgekartet, vermögen nicht, mich in grosse Not zu stürzen. Mir geht’s gut. Vergleiche ich mich allerdings mit denen, die am Monatsende nicht nur gutes Geld bekommen, sondern auch noch Boni, bin ich wohl ziemlich arm dran. Also alles nur relativ? Ist arm, wer sich nicht so viel leisten kann wie andere? Etwas komplizierter ist das schon – und doch wieder ganz einfach: Wer Monat für Monat die Miete mühsam zusammenkratzen muss, sich viermal überlegen muss, ob es für eine neue Hose reicht, von Ferien zwar träumen darf, aber zuhause bleiben muss, wem Kino, Bücher, Theater unerschwinglich sind und wen die Krankenkassenprämien in den Ruin stürzen, kurz, wer es mit knapp mehr als 2000 Franken

Illustration: Melk Thalmann; Bild: zvg

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machen muss, ist arm, kann nicht am heutigen Leben teilnehmen, wird an den Rand gedrängt, fällt raus. 700 000 bis 900 000 sollen es in der Schweiz sein. Immerhin ungefähr ein Zehntel! Und diese Zahl will Caritas bis 2020 halbieren. Halbieren hat mit teilen zu tun. Dass, wer hat, teilen sollte mit denen, die da nicht haben, ist in jeder halbwegs anständigen Zivilisation guter Brauch. Nur, barmherzig teilen, wie einst St. Martin seinen Mantel, ist recht und gut, aber in heutigem Sinn nicht wirklich gerecht. Wirklich gerecht teilen heisst Regeln aufstellen, die das Recht an der Teilhabe sichern. Man (das heisst die Politik, letztlich wir alle) sollte sich mal richtig drum kümmern. Auch das ist einfach – eigentlich. Natürlich kostet es etwas: «Vo nüüt chunnt nüüt.» Aber leisten könnten wir es uns allemal. Drum gibt es eigentlich keinen Grund, nicht zu probieren, die Armut zu halbieren. Wir sollten es tun. Tun wir es?

Charles Clerc, ehemaliger Redaktor und Moderator Tagesschau 16 Jahre war Charles Clerc als Redaktor und Moderator der Tagesschau beim Schweizer Fernsehen tätig. Sein Markenzeichen war jeweils sein Schlusssatz «Und zum Schluss noch dies ...».

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12.3.2010 10:59:45 Uhr


Nationaler Aktionstag am 24. April 2010 Armut in der reichen Schweiz ist ein Tabu. Doch sie kann jeden und jede treffen: Von Armut bedroht ist, wer arbeitslos oder krank wird, wer ungenügend ausgebildet ist, wer drei oder mehr Kinder hat, wer eine Scheidung durchmacht, alleinerziehend ist oder einfach nur Pech hat. Vier Bereiche sind im Kampf gegen die Armut zentral: • Armut erkennen und dokumentieren, sensibilisieren; • die Grundsicherung in der Sozialhilfe landesweit verbindlich regeln; • Sozialfirmen fördern; • allen eine Ausbildung ermöglichen. Am 24. April macht Caritas in der ganzen Schweiz auf diese Anliegen aufmerksam. Erfahren Sie mehr über die Aktionen in unserer Region auf Seite 22 oder unter www.wir-sind-arm.ch.

Samstag, 24. April 2010

Zürich, Hirschenplatz Detailliertes Programm unter: www.wir-sind-arm.ch CAZH.indb 24

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