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Zürich

Nr. 1 / 2015

Nachbarn

Soziales Existenzminimum Die öffentliche Diskussion über die Sozialhilfe gibt Anlass zur Sorge. Nicht die Armut wird bekämpft, sondern die Armutsbetroffenen.


Inhalt

Inhalt Editorial

3 von Max Elmiger

Direktor Caritas Zürich Kurz & bündig

4 News aus dem Caritas-Netz Persönlich

13 «Was machen Sie mit Ihren Freunden am liebsten in der Freizeit?» Sechs Antworten Caritas Zürich Das Leben am Existenzminimum ist geprägt von Verzicht. Vierbeiner sind häufig die einzigen Seelentröster – für die, die es sich leisten können.

Schwerpunkt

Soziales Existenzminimum

14 Besser in die Schulzeit starten

Neues Angebot: Freiwillige unterstützen Eltern beim Schuleintritt ihrer Kinder.

16 KulturLegi lanciert Stadtführer mit Gratisangeboten Webseite mit kostenlosen Kultur-, Sport- und Freizeitaktivitäten.

17 Neu eingekleidet

Unsere Buchhalterin in neuem Outfit

18 Leben im Wohnwagen Die Schweizer Bundesverfassung garantiert notleidenden Menschen Hilfe und Betreuung. Doch ist die dafür zuständige Sozialhilfe in letzter Zeit politisch stark unter Druck geraten. Einsparungen durch Leistungskürzungen werden gefordert. Vergessen gehen dabei die rund eine Viertelmillion Menschen in der Schweiz, die in prekären Verhältnissen leben und deshalb Sozialhilfe beziehen. Gefangen im Strudel der Armut, droht ihnen die soziale Isolation. Drei armutsbetroffene Frauen berichten aus ihrem Alltag, der von Einschränkungen geprägt ist. Caritas nimmt eine klare Haltung ein: Bekämpft die Armut, nicht die Armutsbetroffenen!

Einblick ins Leben von Maria Mehr, einer Schweizer Fahrenden

19 News von Caritas Zürich Kiosk

22 Ihre Frage an uns Gedankenstrich

23 Existenzminimum

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Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser «Der Mensch lebt nicht vom Brot allein …» Kaum ein Bibelwort wurde derart oft zitiert und abgeändert wie dieses. Woody Allen etwa ergänzte es mit: «… nach einer Weile braucht er einen Drink.» So salopp, so richtig. Mit einem Drink möchten wir anstossen, und das geht nicht allein: Der Mensch braucht Gemeinschaft. Materielles und Soziales gehören zusammen. Das macht unser Menschsein erst aus. Brutal spüren wir es im Notfall. «Das physische Überleben ist nicht das Problem, sondern das psychische», sagte mir ein Bekannter. Er hat nach gesundheitlichen Problemen und einer Trennung alles verloren. Er hält sich materiell über Wasser, aber die Isolation erdrückt ihn. Der Gesetzgeber hat das erkannt. Gemäss Richtlinien der Schweizerischen «Materielles und Konferenz für Sozialhilfe Skos ist das Soziales gehören Ziel des sozialen Existenzminimums nicht nur die Sicherung des physizusammen.» schen Überlebens, sondern es soll auch «die Teilhabe am Sozialleben» ermöglichen. Sozialhilfebeziehende sollen nicht bloss ihre Miete bezahlen, sondern auch mal Freunde zu sich nach Hause einladen können, nicht nur die Rechnungen der Krankenkasse begleichen, sondern sich fit und gesund fühlen, um auch mal mit der Familie eine Wanderung zu unternehmen. Dieses Minimum an materiellen und sozialen Gütern ist in Gefahr. Der Abbau der Sozialhilfe nagt an der Substanz und Existenz vieler Menschen. Danke, dass Sie sich in unserem Magazin darüber informieren. Ihr Interesse motiviert uns. Denn wir leben nicht nur von der Arbeit allein, sondern auch von deren Sinn … Herzlich

Max Elmiger Direktor Caritas Zürich

«Nachbarn», das Magazin der regionalen Caritas-Stellen, erscheint zweimal jährlich. Gesamtauflage: 34 770 Ex. Auflage ZH: 12 370 Ex. Redaktion: Sima Mangtshang (regional) Bojan Josifovic (national) Gestaltung und Produktion: Urs Odermatt, Cyrille Massaux, Sima Mangtshang Druck: Stämpfli AG, Bern Caritas Zürich Beckenhofstrasse 16 8021 Zürich Tel. 044 366 68 68 www.caritas-zuerich.ch PC 80-12569-0 IBAN CH38 0900 0000 8001 2569 0

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Kurz & bündig

Berufliche Integration

Ein Lichtblick In Luzern-Littau wurde Ende März das CaritasHaus Grossmatte nach einem Umbau neu eröffnet. Unzählige Menschen gehen im Caritas-Haus ein und aus. Sie arbeiten in einem der Betriebe: Schreinerei, Malerei, Velowerkstatt, Kreativatelier, Kantine oder im Lager von Caritas Wohnen und Caritas Service. Im fünften Stock befindet sich das Personalrestaurant «Food for Workers», das auch Mitarbeitenden der umliegenden Firmen zugänglich ist. In der Schreinerei werden Büromöbel hergestellt, das beliebte Spiel «Kubb» oder – ganz trendy – der Luzerner Rodel, mit dem sich Rennen gewinnen lassen. In Bildungsprogrammen werden nicht nur Deutschkenntnisse, sondern auch berufsspezifisches Fach-

Die Caritas Luzern hat ein zweites Caritas-Haus:

G10 steht für die Adresse Grossmatte 10

wissen vermittelt. Ein individuelles Coaching unterstützt die Erwerbslosen zudem beim Wiedereintritt in den ersten Arbeitsmarkt. Sie finden im umgebauten Caritas-Haus Arbeitsbedingungen und -möglichkeiten vor, die sie auf die reale Berufswelt vorbereiten. www.caritas-luzern.ch/service

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Anerkennung für Fahrende

Taskforce des Bundesrates Caritas Zürich setzt sich zusammen mit Bundesvertretern und weiteren Organisationen für bessere Lebensbedingungen für Fahrende ein. Um den Anliegen von Fahrenden in der Öffentlichkeit eine starke Stimme zu geben, engagiert sich Caritas Zürich im Aufbau und der Pflege eines Netzwerkes aus Organisationen von Fahrenden und solchen aus den Bereichen Menschenrechte, Minderheiten und Diskriminierung. Dazu ist Caritas Zürich mit Vertretenden aus 21 Organisationen zusammengekommen, um gemeinsam Forderungen nach Respekt und Anerkennung für Jenische, Sinti und Roma zu stellen. Anlässlich des internationalen Tages der Roma wandte sich Caritas Zürich zusammen mit weiteren Vertretenden aus dem Netzwerk direkt an den Bundesrat. In einem Schreiben machten sie diesen auf die Forderungen aufmerksam. In der Folge wurde Caritas zur Mitarbeit in einer Taskforce zur Verbesserung der Lebensweise von Fahrenden eingeladen. Hier engagiert sich Caritas zusammen mit den Partnern für bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen für Fahrende sowie für zusätzliche Stand- und Durchgangsplätze in der gesamten Schweiz. Das Ziel der Arbeitsgruppe ist, bis Ende 2015 einen Aktionsplan samt Massnahmenkatalog auszuarbeiten. www.caritas-zuerich.ch/fahrende

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Kurz & bündig

Caritas beider Basel baut Angebot aus

Zusammen­arbeit mit Pastoralräumen Caritas beider Basel arbeitet stärker mit einzelnen Pastoralräumen zusammen und macht so das eigene Angebot noch mehr Personen zugänglich.

NEWS Kooperation mit Dock St. Gallen Caritas St. Gallen-Appenzell und Dock St. Gallen sind auf den 1. Januar 2015 eine Kooperation eingegangen. Die Angebote Liegenschaften-Service, Bau­service und Umgebungspflege werden wirkungsvoll und kosteneffizient unter einer Trägerschaft geführt. Das Ziel bleibt, langzeitarbeitslose Menschen in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren. www.caritas-betriebe.ch Fachstelle Wohnen bei Caritas Aargau Die neue Fachstelle Wohnen der Caritas Aargau pflegt Kontakte zu Vermietern und weiteren Schlüsselpersonen im Themenfeld. Sie unterstützt Sozialarbeitende bei Fragen rund ums Wohnen und setzt für geeignete Aufgaben Freiwillige ein. Weiter entwickelt die Stelle ein Kursangebot zu «Wohnkompetenzen» und leistet Sensibilisierungsarbeit zum Thema. www.caritas-aargau.ch 10 Jahre KulturLegi Kanton Bern

Caritas beider Basel möchte die Angebote für die bereits bestehenden und neu entstandenen Pastoralräume in der Region Basel ausbauen. Dazu bietet sie Bildungsangebote im Bereich «Armut und Migration» an und arbeitet im Rahmen der Sozialberatung eng mit den einzelnen Pastoralräumen zusammen. Seit Januar 2015 führt Caritas beider Basel Sozialberatungen im Auftrag des Pastoralraums Allschwil-Schönenbuch durch. Die Gemeinde Allschwil hat eine hohe Sozialhilfequote, weshalb sich viele Personen an die Kirche wenden. Die Zusammenarbeit mit Caritas soll zu einer Entlastung der Angestellten des Pastoralraums führen, die über zu wenig Ressourcen zur Unterstützung von Personen in unterschiedlichsten Notlagen verfügen. Die Beratungen finden in der Geschäftsstelle von Caritas beider Basel in Kleinbasel statt. Das Tram Nummer 6 garantiert einen einfachen und günstigen Anreiseweg. www.caritas-beider-basel.ch

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Zum runden Geburtstag lanciert Caritas Bern die Kampagne «KulturLegi bewegt – Sport integriert». Mit der Kampagne soll die Teilnahme von Menschen mit knappem Budget an Sport- und Freizeitangeboten gefördert werden. Die 23-fache OL-Weltmeisterin Simone Niggli-Luder und der Olympia-Silbermedaillen­gewinner Markus Ryffel unterstützen die Kampagne als Botschafter. www.kulturlegi.ch/bern Lautstarke Beiträge aus Zürich Im Rahmen des Wettbewerbs «luutstarch» gestalteten 170 Jugendliche und junge Erwachsene zusammen mit Rappern und Fotografen Texte und Bilder zu Armut in der Schweiz. Entstanden sind 37 lautstarke Beiträge. Zu den Siegern des Wettbewerbs gehört das junge Berner Rap-Duo «best-elle & Gian». In ihrem Song «Zverdeckde ir Schwiz» stellt das Duo den Alltag zweier Klassenkollegen gegenüber: Die eine hat mehr als genug, dem anderen mangelt’s an allem. www.luutstarch.ch

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Rubrik

Ein Leben in Armut bringt Eltern an den Rand der Verzweiflung und lässt Kinderträume platzen.

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Schwerpunkt

«Manchmal bin ich einfach nur noch müde.» Knapp 1 000 Franken im Monat: Das erhalten Sozialhilfebeziehende vom Sozialamt zur Deckung ihres alltäglichen Bedarfs – vom Brot über die Zahnpasta bis hin zum Telefonabonnement und Kinobesuch. Drei Gespräche mit Betroffenen über ein Leben mit in vielerlei Hinsicht eingeschränkten Möglichkeiten. Text: Ursula Binggeli, Bilder: Zoe Tempest in Zusammenarbeit mit Barbara Rusterholz

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enn Marina Babic* zu erklären versucht, was Armut bedeutet, erzählt sie von jenem Abend. Sie kam damals auf dem Heimweg von der Arbeit an einem Restaurant vorbei und sah durchs Fenster die Menschen an ihren Tischen sitzen, essend, trinkend, plaudernd. Marina Babic war müde und hungrig und besass noch genau zwanzig Franken, die bis Ende Monat reichen mussten. Sie blickte auf die Gäste und fühlte eine grosse Einsamkeit in sich aufsteigen. Dann ging sie weiter, nach Hause, zu ihren beiden Kindern. Marina Babic hat ihren Mann nach Aufenthalten im Frauenhaus vor neun Jahren verlassen und ist heute geschieden. Die 35-Jährige arbeitet Teilzeit, im Stundenlohn. In guten Monaten liegt das Familieneinkommen bei 3 800, in schlechteren bei rund 3 000 Franken – Kinderrenten miteingerechnet. Davon entfallen 1 600 Franken auf die Wohnungsmiete. Die Suche nach einer günstigeren Wohnung ist schwierig, da Marina Babics Betreibungsregisterauszug zeigt, dass sie eine Zeitlang nicht allen Verpflichtungen nachkommen konnte.

Verzicht auf Sozialhilfe Armut hat viele Gesichter. In der Schweiz leben knapp 600 000 Menschen in finanziell prekären Verhältnis-

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sen; viele von ihnen sind wie Marina Babic alleinerziehend. Das monatliche Haushaltsbudget einer Person, die Sozialhilfe bezieht, beträgt (ohne Miete und Krankenkasse) 986 bzw. 33 Franken pro Tag. Dies muss für Essen, Kleidung, Hygiene, öffentlichen Verkehr, Telefon, Fernsehen und Internet reichen. Familie Babic muss an vielen Tagen mit noch weniger Geld auskommen. Marina Babic verzichtet nämlich auf Sozialhilfe, weil sie vom Migrationsamt erfahren hat, dass ein Bezug ihre Aufenthaltsbewilligung gefährden könnte. Und ihr grosses Ziel, der Erhalt einer Niederlassungsbewilligung, wäre erst recht unerreichbar. Obwohl Marina Babic bereits vor 13 Jahren aus Kroatien in die Schweiz gekommen ist, verfügt sie nach wie vor erst über eine B-Bewilligung, die jährlich erneuert werden muss. Dies verringert ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Marina Babics Alltag wird dominiert von der Frage, wie sie ihre Rechnungen bezahlen kann. Ihr Kopf sei immer gefüllt mit Zahlungsterminen, sagt sie. «Ich bin zur Ökonomin geworden. Aber manchmal bin ich einfach nur noch müde.» Immer wieder rafft sie sich auf. Denn ihre Kinder sollen möglichst wenig mitbekommen von den finanziellen Problemen.

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Schwerpunkt

Armut wirkt sich stets auf die ganze Familie aus. So liegen Musikunterricht oder Fussballtraining für das Kind häufig nicht drin.

Marina Babics Tochter bestand die Aufnahmeprüfung ans Gymnasium, und auch der neunjährige Sohn ist ein guter Schüler. Darüber ist sie sehr glücklich. Gleichzeitig macht sie sich Sorgen. «Könnte es sich negativ auf ihre weiteren Chancen auswirken, dass wir so wenig Geld haben?» Als die Tochter in den ersten Tagen am Gymi eine Rechnung über mehrere hundert Franken heimbrachte für diverse Schulbücher, war Marina Babic der Verzweiflung nahe. Eine Bekannte riet ihr, sich an die Caritas zu wenden, welche die Rechnung dann bezahlte und der Familie beratend zur Seite stand.

erhält Regula Baumann ergänzende Sozialhilfe. «Wie lange das noch möglich ist, weiss ich nicht», sagt sie. «Denn eigentlich verlangt das Sozialamt von mir, dass ich mir die zweite Säule auszahlen lasse und meinen Lebensunterhalt auf diese Weise finanziere. Aber für mich kommt das nicht in Frage.» Sie fürchtet, sonst im Rentenalter in chronischer Armut leben zu müssen. Caritas unterstützt sie nun in der Auseinandersetzung mit dem Sozialamt.

Der Lohn reicht nur im Sommer Regula Baumann* ist fast 25 Jahre älter als Marina Babic. Vor neun Jahren starb ihr Partner, Kinder hat sie keine. Auch sie hat ein unregelmässiges Einkommen. Sie trägt Zeitungen aus, hilft im Gewerbebetrieb des Bruders mit und freut sich jeweils auf die Badesaison, weil sie dann zusätzlich noch im Strandbad arbeitet und damit auf einen Lohn kommt, von dem sie leben kann.

Schwierige Jahre bis zur Pensionierung Fast 20 Jahre lang hatte Regula Baumann bei einer grossen Telekommunikationsfirma gearbeitet – bis neue Kopfhörer eingeführt wurden, die bei ihr ein heftiges Ekzem an den Ohrmuscheln auslösten. Nach langer Leidenszeit verlor sie ihren Job. Eine neue Festanstellung hat sie seither trotz unzähliger Bewerbungen nicht mehr gefunden. Mit bald sechzig Jahren kommt Regula Baumann das langsam näherrückende Rentenalter wie eine Erlösung vor. «Wenn ich pensioniert bin, möchte ich als Freiwillige in Sozialbetrieben arbeiten. Zum Beispiel in einem Caritas-Laden.»

Im Winterhalbjahr beträgt ihr monatliches Einkommen oft nur 1 500 Franken, davon gehen 900 Franken für die Wohnungsmiete weg und die Krankenkassenprämie will auch noch bezahlt sein. In diesen Monaten

Vierbeinige Seelentröster Jeannine Roth* lebt ebenfalls alleine – und doch nicht ganz. Denn sie teilt ihre Zweizimmerwohnung mit fünf sehr gepflegten Katzen und vielen bunten Zier-

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Schwerpunkt

fischen. In der Stube stehen neben einem Fernseher diverse kleine Aquarien auf dem Regal. An der Wand hängen Teppiche mit Katzensujets, die Jeannine Roth in der Tagesklinik geknüpft hat, welche sie eine Zeitlang besuchte. Vor zwei Jahren hatte sie einen Nervenzusammenbruch, seither kämpft sie mit Depressionen und ist arbeitsunfähig. Nach wie vor ist sie in psychologischer Behandlung; die IV-Abklärung läuft. Zuletzt hatte sie in einem Altersheim als Pflegehelferin gearbeitet. Seit vergangenem Sommer ist Jeannine Roth ausgesteuert und lebt von der Sozialhilfe. Das Futter für ihre Katzen und die Fische muss sie von den für sie selber gedachten 900 Franken Grundbedarf bezahlen. Die Tiere seien ihr Luxus, sagt sie und lächelt. «Andere geben Geld für Zigaretten aus.» Wenn sie für sich selber Lebensmittel einkaufen geht, sucht sie konsequent nach herabgesetzter Ware. Ein Leben ohne Katzen kann sich die Mutter zweier Teenager-Töchter, die beide in Pflegefamilien aufwachsen, nicht vorstellen. «Sie sind meine Seelentröster.» Die Katzen helfen ihr, mit ihrer Lebenssituation klarzukommen. Zudem tue es ihr gut, für ihre Tiere zu sorgen, sagt Jeannine Roth. Dank dieser Aufgabe wird die viele freie Zeit, die sie zur Verfügung hat, nicht zur grossen Leere. Dass Caritas ihr gelegentlich unter die Arme greift, bedeutet ihr viel. *Namen geändert

EXISTENZSICHERUNG GENÜGT NICHT In der Schweiz gibt es einen Sozialstaat – warum braucht es Caritas? Caritas setzt sich überall dort ein, wo der Staat nicht oder kaum unterstützen kann. Sei dies mit klaren, parteinehmenden Botschaften, fundierten Positionen, gesellschaftlichen Forderungen oder ganz konkret mit wirkungsvollen Massnahmen und Einsätzen im In- und Ausland. Ohne Caritas, auch wenn sie häufig bescheiden im Hintergrund wirkt, würde der Schweiz eine parteiübergreifende und wertvolle Organisa­ tion fehlen. Reicht die Sozialhilfe aus, welche in der Schweiz ausbezahlt wird? Die Sozialhilfe zahlt ihren Klientinnen und Klienten denjenigen Betrag aus, welcher in der Schweiz als Basis der Existenzsicherung errechnet wurde. Dieser deckt Grundbedarf, Mietzinsbeiträge und Krankenkassenprämien. Dabei wurde als Bezugsgrösse der durchschnittliche Bedarf (Warenkorb) derjenigen Bevölkerungsschicht gewählt, welche zu den zehn Prozent mit dem geringsten Einkommen gehört. Damit wird deutlich, dass in erster Linie die Existenzsicherung gewährleistet wird und nur in bescheidenem Umfang die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben möglich ist. Dies entspricht dem politischen Willen und kann als gesellschaftlicher Konsens betrachtet werden.

«Die Bekämpfung der Armut ist notwendig und be­inhaltet mehr als nur die Existenzsicherung.»

In fernen Ländern verdienen Menschen einen Dollar pro Tag – ist Armut in der Schweiz ein Luxusproblem? Es ist wichtig, zwischen absoluter Armut (weniger als 1.25 US-Dollar pro Tag verfügbar) und relativer Armut (deutlich unter Einkommensdurchschnitt des Landes) zu unterscheiden. Die Schweiz ist zwar nicht von absoluter Armut betroffen, doch ist die relative Armut weit verbreitet und einschneidend. Finanzielle Not führt oft zur gesellschaftlichen Ausgrenzung oder gar zu sozialer Isolation. Armutsbekämpfung ist notwendig und sollte mehr beinhalten als die Existenzsicherung. Armutsbetroffene Menschen müssen Aussicht auf bessere Lebensumstände haben und die Chance erhalten, am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben teilzunehmen.

Nicole Wagner leitet seit vier Jahren die Sozialhilfe Basel-Stadt. Zuvor war sie Geschäftsführerin des Wohn Werk Basel.

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Schwerpunkt

Für ein soziales Existenzminimum Das soziale Existenzminimum schafft Chancengerechtigkeit und weist den Weg aus der Armut. Eine Kürzung des Grundbedarfs ist inakzeptabel. Text: Bettina Fredrich, Illustration: Achilles Greminger

n Artikel 12 garantiert die Schweizer Bundesverfassung den Menschen, die in Not geraten und nicht in der Lage sind, für sich zu sorgen, Hilfe, Betreuung und die Mittel, die für ein menschenwürdiges Dasein unerlässlich sind. Auf dieser Grundlage definiert die Sozialhilfe ein soziales Existenzminimum. Mit ihren Richtlinien sorgt die Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe (Skos) dafür, dass dieses soziale Existenzminimum in der Schweiz flächendeckend zur Anwendung kommt.

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Was ist das soziale Existenz­minimum? Das soziale Existenzminimum setzt sich zusammen aus den Wohn- und Gesundheitskosten, situationsbedingten Leistungen und dem Grundbedarf. Das heisst, Mietzins im ortsüblichen Rahmen sowie obligatorische Krankenversicherungskosten sind Teil des sozialen Existenzminimums und werden von der Sozialhilfe gedeckt. Auch eingeschlossen sind situationsbedingte Leistungen, die sich aus der besonderen Lage eines Haushalts ergeben, beispielsweise Kinder-

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betreuungskosten oder benötigte Medikamente. Eine weitere Komponente des sozialen Existenzminimums bildet der Grundbedarf für den Lebensunterhalt. Er orientiert sich am Konsumverhalten der einkommensschwächsten zehn Prozent der Schweizer Bevölkerung und ist nach Anzahl Personen im Haushalt abgestuft. Eine alleinstehende Person erhält derzeit monatlich 986 Franken, Zweipersonenhaushalte, zum Beispiel eine alleinerziehende Mutter mit ihrem Kind, 1 509 Franken und eine Familie mit zwei Kindern hat Anrecht auf 2 110 Franken. Mit dem Grundbedarf müssen Ernährung, Kleidung, Energieverbrauch, laufende Haushaltsführung, Gesundheitspflege, Verkehrsauslagen, Kommunikation, Unterhaltung und Bildung, Körperpflege sowie Vereinsbeiträge bezahlt werden.

Die Armut bekämpfen, nicht die Armutsbetroffenen Insbesondere der Grundbedarf geriet in den letzten Monaten politisch stark unter Druck. Einige Kantone haben Kürzungen vollzogen, in anderen sind politische Vorstösse hängig, die auf eine Reduktion der Leistungen zielen. Kürzungen beim Grundbedarf sind aber aus mindestens zwei Gründen inakzeptabel: Erstens widerspricht eine Beschneidung des Grundbedarfs dem Bedarfsprinzip. Wenn sich der Grundbedarf nicht mehr am Bedarf der ärmsten zehn Prozent der Schweizer Bevölkerung orientiert, wird er zur willkürlichen Grösse. Zweitens ignorieren Befürworterinnen und Befürworter eines Leistungsabbaus, dass das soziale Existenzminimum für Chancengerechtigkeit und für die Bekämpfung der Armut unverzichtbar ist. Derzeit ermöglicht es eine minimale Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Ein Geschenk für einen Kindergeburtstag, die Teilnahme an einem Schulsportlager oder ein Abendessen mit Freunden sollen – wenn auch in eingeschränktem Rahmen – möglich bleiben. Kindern aus armutsbetroffenen Familien erlaubt dies einen fairen Start ins Leben. Für Erwachsene, das belegen jüngste Studien, sind soziale Netze das zentrale Puzzleteil auf dem Weg aus der Armut zurück ins Berufsleben. Das soziale Existenzminimum sichert nicht nur das Überleben, sondern ist zugleich Grundlage für Chancengerechtigkeit und Wegweiser aus der Armut. Armut kann mit einem Leistungsabbau in der Sozialhilfe nicht beseitigt werden. Im Gegenteil: Eine Beschneidung des sozialen Existenzminimums verunmöglicht den betroffenen Menschen, aus der Armut zurück in die Mitte der Gesellschaft zu finden.

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Gemeinsam Armut verhindern Am 16. Dezember 2014 veröffentlichte Caritas gemeinsam mit 20 anderen Organisationen eine Erklärung für das soziale Existenzminimum. Darin kritisiert Caritas die öffentliche Armutsdiskussion der letzten Monate und formuliert zentrale Forderungen. Dazu gehört das Festhalten am sozialen Existenzminimum. Die Schweizer Bundesverfassung schreibt vor, das Wohl der Schwächsten in unserer Gesellschaft zu achten. Menschen in der Sozialhilfe haben ein Recht, in Würde zu leben. Das soziale Existenzminimum ist für Caritas nicht verhandelbar. Gleichzeitig muss die Ursachenbekämpfung in der Armutspolitik wieder ins Zentrum rücken. Zu einer investiven Armutspolitik, welche Armut präventiv verhindert, gehören: existenzsichernde Löhne, Ergänzungsleistungen für Familien, Steuerbefreiung des sozialen Existenzminimums, Massnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie, Ausbildung und Beruf, niederschwellige Angebote in der frühen Förderung, Investitionen in Nachhol- und Weiterbildung sowie Förderung des preisgünstigen Wohnungsbaus. Caritas wird sich weiter hartnäckig dafür einsetzen. Links und Publikationen Erklärung zur Sozialhilfe «Armut bekämpfen, nicht die Armutsbetroffenen.» Caritas steht für ein soziales Existenz­ minimum ein. Mehr dazu unter: www.caritas.ch/de/was-wir-sagen/erklaerungzur-sozialhilfe Positionspapiere von Caritas Unsere Meinung zu aktuellen politischen Entwicklungen sind zu finden auf: www.caritas.ch/positionspapiere

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2 8 19 Wohnungsnot Tausende von Jugendlichen gingen 1981 in Zürich und auch in anderen Schweizer Städten auf die Strasse, um für mehr Freiräume und Autonome Jugendzentren (AJZ) zu demonstrieren. Die Forderung nach Freiräumen war auch ein Kampf um Häuser. Hausbesetzungen waren an der Tagesordnung wie hier am Stauffacher in Zürich. Foto: Klaus Rozsa / photoscene.ch.


Persönlich

«Was machen Sie mit Ihren Freunden am liebsten in der Freizeit?» Antworten von Passantinnen und Passanten aus der Deutschschweiz.

Paul Dalcher, PR-Berater, Pratteln: Mit meinen Freunden gehe ich regelmässig wandern, spiele Tennis oder wir schauen einen Fussballmatch zusammen. Auch als Trommler bei einer Basler Fasnachtsclique verbringe ich viel Zeit mit Freunden. Ich mache gerne Sachen, die einen Sinn ergeben – auch im karitativen Bereich. Kostenpunkt: 300 bis 400 Franken im Monat. Der effektive Wert ist wohl das Zehnfache.

Lucia Bertodatto, pensionierte Laborantin, Schlieren: Oft spaziere ich mit Freunden einfach an einem Fluss oder See entlang, da gibt es immer viel zu beobachten. Manchmal besuchen wir auch eine Ausstellung oder ein Museum – viele sind kostenlos. Anschliessend gehen wir noch etwas trinken. Kostenpunkt (exkl. GA): rund 100 Franken im Monat.

Linus Lippenberger, Schüler, Scherzingen: Meine Hobbys sind Fussballund Schlagzeugspielen. In meiner Freizeit besuche ich mit Freunden gern das Kino in Konstanz. Da kostet uns ein Eintritt im Durchschnitt 10 Franken. Für die kurze Busfahrt dahin nutze ich meine Jahreskarte. Das Fussballspielen im Verein sowie der Schlagzeugunterricht werden von meinen Eltern durch Jahresbeiträge bezahlt.

Babsi Gut, Kindergärtnerin, Meggen: Wir treffen uns jeden Dienstag zum Tango tanzen. Da üben wir unter Anleitung immer wieder neue Schritte. Am Samstag gehen wir dann oft zusammen an einen grösseren Anlass, manchmal auch in Zürich oder Basel. Für den Kurs zahle ich 320 Franken im Monat, dazu kommen dann noch die Ausgaben am Wochenende.

Simone Gossweiler, Praktikantin, Aarau: Ich lese gerne, gehe oft joggen und mache Pilates. Am Wochenende treffe ich mich mit Freunden. Wir gehen etwas trinken oder in einen Club. Manchmal steht auch Wandern auf dem Programm oder wir sind mit den Inlineskates unterwegs. Kostenpunkt: Für all diese Aktivitäten gebe ich pro Monat 300 bis 350 Franken aus.

Hassan Ahmad, ehem. Taxifahrer, Abtwil: Ich verbringe meine Freizeit gerne mit meiner Familie zuhause. Wenn die Kinder wollen, gehe ich aber auch mit ihnen spazieren oder mal schwimmen. Manchmal besuchen wir auch befreundete Familien; das macht uns Spass. Ein Ausflug mit der ganzen Familie kostet mich etwa 30 Franken.

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Caritas Zürich

Besser in die Schulzeit starten Copilot ist ein neues Angebot von Caritas Zürich für Eltern mit Kindern im Alter von drei bis acht Jahren. Dabei erhalten die Eltern eine freiwillige Begleitperson zur Seite gestellt, die sie auf den Schuleintritt ihrer Kinder vorbereitet und während eines Jahres begleitet. Text: Sima Mangtshang, Bilder: Conradin Frei *Namen von der Redaktion geändert

Leila* (rechts) startet bald mit der 1. Klasse. Ein grosser Schritt für sie – und auch für ihren Vater. Sébastien Bartholet* (Mitte) engagiert sich als freiwillige Begleitperson bei Copilot. Er begleitet Leilas Vater, Alejandro Perreira* (links), und steht ihm während eines Jahres zur Seite für Fragen und Anliegen rund um die Schule.

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Caritas Zürich

Alejandro Perreira und Sébastien Bartholet treffen sich zwei bis vier Mal im Monat. Sie tauschen sich über aktuelle Themen aus der Schule aus. So sprechen sie über den Elternbrief, den Tochter Leila nach Hause gebracht hat, oder über die Bedeutung des Elternbesuchstags.

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n der Schweiz sollen alle Kinder die gleichen Bildungschancen haben und ihr Potenzial nutzen und entfalten können. Doch der schulische Erfolg hängt auch von den Eltern ab: Kennen sie das Bildungssystem? Wissen sie, was die Schule von ihnen und ihren Kindern erwartet? Wie verhält es sich mit Elternabenden und der Unterstützung bei Hausaufgaben? Der Wissensstand der Eltern ist unterschiedlich. Gerade Familien mit Migrationshintergrund sind hier häufiger im Nachteil. Die Eltern sind zwar sehr am schulischen Vorankommen ihrer Kinder interessiert, doch es fehlt ihnen an Wissen über das Schweizer Schulsystem, um ihre Kinder optimal fördern und unterstützen zu können. Hier setzt Copilot, das neue Angebot von Caritas Zürich, an. Denn ein erfolgreicher Start in die schulische Karriere ist die beste Armutsprävention.

Die Idee Copilot stellt den Eltern freiwillige Begleitpersonen zur Seite, die sie auf den Schuleintritt ihrer Kinder vorbereiten und während eines Jahres begleiten. Das Ziel ist es, die Kompetenzen der Eltern zu stärken und ihnen Wissen zu vermitteln, damit sie ihre Kinder optimal durch die Schulzeit begleiten können. Die 1:1-Betreuung ermöglicht den Begleitpersonen, gezielt auf die individuellen Bedürfnisse der Eltern einzugehen.

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Die Familien Copilot ist für Eltern in der Stadt Zürich da, die ein Kind im Alter von drei bis acht Jahren haben und eine persönliche Begleitung im Schulalltag ihres Kindes wünschen. Mit Copilot finden sie den Weg durch das komplexe Schulsystem und steigern damit die Bildungschancen ihrer Kinder. Interessierte Familien können sich bei Samantha Sengupta, Leiterin von Copilot, melden. Die Freiwilligen Als Begleitpersonen im Einsatz sind Frauen und Männer, die sich mit dem Zürcher Schulsystem auskennen und über freie Zeit verfügen. Das können Väter und Mütter sein, die selbst noch schulpflichtige Kinder haben, Studierende aus sozialen, pädagogischen Hochschulen und weitere Interessierte. Den Freiwilligen bietet Copilot ein interessantes Tätigkeitsfeld: Sie lernen neue Menschen und Kulturen kennen, können durch die neuen Begegnungen ihr soziales Netz ausweiten. Zudem leisten sie direkt und persönlich einen Beitrag zur Chancengleichheit in der Bildung. Gemeinsam zum Erfolg Die Begleitung dauert ein Jahr. Vorgesehen sind monatlich zwei bis vier persönliche bzw. telefonische Kontakte zwischen Eltern und Freiwilligen. Sie unterhalten sich über Themen aus dem Schulalltag.

Die Eltern können ihre Fragen stellen und erhalten dazu Antworten und Ratschläge. Die Freiwilligen kennen auch die verschiedenen ausserschulischen Angebote. Sie informieren zum Beispiel über den Hort, den Mittagstisch, die Bibliothek, die Musikschule oder die Logopädie und wie die Eltern bzw. ihre Kinder diese Angebote nutzen können. Der Name Copilot unterstreicht die Rolle der freiwilligen Begleitpersonen. Sie stehen den «Piloten» – den Eltern – beratend und unterstützend zur Seite. Als «Copiloten» haben die Freiwilligen den «Radar» im Blickfeld und informieren, wenn sich «Turbulenzen» abzeichnen. Die «Piloten» sind es, welche die Entscheidungen fällen und die Verantwortung tragen. So arbeiten die Eltern mit der Begleitperson zusammen, um gemeinsam das Ziel zu erreichen: einen erfolgreichen Schulstart für ihr Kind. www.copilot.ch

INTERESSIERT? Wir freuen uns über Ihren Anruf oder Ihre E-Mail an: Samantha Sengupta Leiterin Copilot copilot@caritas-zuerich.ch Tel.: 044 366 68 88

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KulturLegi lanciert Stadtführer mit Gratisangeboten Der neue, interaktive Online-Stadtführer «Zürich unbezahlbar» fasst kostenlose Kultur-, Sport- und Freizeitaktivitäten in attraktiver Form zusammen. Das Kultur-, Sport- und Freizeitangebot in Zürich ist riesig. Obschon es die Preise oft auch sind, gibt es erstaunlich vieles umsonst: Schwimmbäder, Openairkonzerte, Freilichttheater, Leihfahrräder, Stadtführungen und Ausstellungen. Ab Juni 2015 bündelt der neue Online-Stadtführer «Zürich unbezahlbar» ein vielfältiges Angebot an kostenlosen Aktivitäten in der Stadt Zürich. Geordnet sind diese nach Sparten wie Sport & Freizeit, Kultur & Nachtleben oder Bildung. Der interaktive Stadtführer ermöglicht es Interessierten, ihre Lieblingsangebote zu publizieren, und macht so Menschen mit schmalem Budget – aber nicht nur sie – zu Expertinnen und Experten in Sachen «Zürich unbezahlbar». Realisiert wird der Stadtführer durch die vier jungen Designerinnen und Designer David Simon, Nora Gailer, Martin Dusek und Dominik Junker. Sie haben die Jury um den Autor und Kabarettisten Patrick Frey anlässlich der zweitägigen «Design Challenge» im Herbst 2014 mit ihren Konzeptideen überzeugt und sich gegen vier weitere Teams durchgesetzt. Bei der Umsetzung stehen ihnen die Verantwortlichen von der dreipol interaction design GmbH unterstützend zur Seite. «Zürich unbezahlbar» wird gefördert von der Projektkommission der katholischen Körperschaft im Kanton Zürich und vom Sozialdepartement der Stadt Zürich. www.kulturlegi.ch/zuerich www.zuerichunbezahlbar.ch

Möbel spenden Unsere Secondhand-Läden verkaufen neu auch Möbel – dank Ihrer Spenden. Neu verkaufen wir in unseren Secondhand-Läden auch grössere Möbelstücke und Einrichtungsgegenstände. Möchten Sie uns Ihre schönen Möbel spenden? Wir freuen uns über jedes gut erhaltene Stück, das wir abholen dürfen. Der Erlös kommt unseren sozialen Projekten zugute. Kontakt: Anita Senn, Ladenleiterin Concept Store und Spendenkoordinatorin, a.senn@caritas-zuerich.ch, Telefon 044 366 68 49. www.caritas-secondhand.ch

Neu eingekleidet Clarisa Berger (23) arbeitet bei Caritas Zürich in der Buchhaltung. Für die letzte Modeschau im Secondhand-Laden an der Asylstrasse in Zürich durften wir sie neu einkleiden und stylen. Das Resultat: ein Outfit für den nächsten Ausgang. Foto: Susi Bodmer www.caritas-secondhand.ch Kreative am Werk: Im Rahmen einer «Design Challenge» entwickelten fünf Teams Skizzen für die technische und visuelle Umsetzung des interaktiven Stadtführers.

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Clarisa Berger


Zusammenleben in der Gemeinde funktioniert wunderbar, berichtet sie. Sie wünscht sich dieselbe Offenheit auch von anderen Gemeinden. Denn Stand- und Durchgangsplätze sind in der Schweiz rar. Doch braucht es diese, damit Fahrende mit Handel, Handwerk und dem Angebot von Dienstleistungen die Existenz für sich und ihre Familien sichern können.

Maria Mehr ist eine Schweizer Fahrende. Ihr Wohnwagen ist ihr Daheim, das ganze Jahr.

Leben im Wohnwagen Einblick in das Leben von Maria Mehr, einer Schweizer Fahrenden. Text und Bild: Sima Mangtshang

Am glücklichsten ist Maria Mehr auf der Reise. Noch heute freue sie sich wie ein kleines Kind, wenn sie im März aufbricht – und quer durch die Schweiz reist. Das Leben auf Rädern ist ihre Leidenschaft. «In einer Wohnung leben könnte ich nie. Da wäre ich unglücklich.» Jenische in der Schweiz Von den 35 000 Jenischen in der Schweiz lebt heute die Mehrheit in Wohnungen und Häusern. Nur noch 2 000 bis 3 000 Personen sind aktiv fahrend. Zu ihnen gehört Maria Mehr. Sie ist 72 Jahre alt und lebt schon ihr ganzes Leben im Wohnwagen. Die Wintermonate verbringt sie auf dem Standplatz in Adliswil. Innerhalb der Gemeinde ist sie gut vernetzt und pflegt den Kontakt zur Nachbarschaft. «Fast jeder im Dorf kennt mich.» Auch deshalb, weil Maria Mehr der Gemeinde jeweils ihr grosses Festzelt für das Kulturfests in Adliswil zur Verfügung stellt. Mit ihren Leuten übernimmt sie dann den Auf- und Abbau des Zeltes und ist für die

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Festwirtschaft verantwortlich. Damals und heute Ihr Mann und sie lebten früher hauptsächlich vom Messer- und Scherenschleifen und vom Handel. Sie reparierte zudem kaputte Schirme und brachte alte Tessinerstühle wieder auf Vordermann. Dieses Handwerk beherrschte sie besonders gut. Ihr Talent sprach sich herum, und so reiste auch Kundschaft aus Bern oder Genf eigens nach Adliswil, um die Stühle von ihr restaurieren zu lassen. Vor vier Jahren verstarb ihr Ehemann. Kinder hatten sie keine. Doch alleine ist sie nicht. Im Gegenteil. «In der jenischen Gemeinschaft sind wir wie eine grosse Familie. Wir helfen uns gegenseitig.»

Leben auf Plätzen Maria Mehr lebt gerne auf dem Standplatz in Adliswil, umgeben von der Sihl, dem Wald, einem Asylzentrum sowie einer RudolfSteiner-Schule. Den Platz gibt es seit bald dreissig Jahren. Und das

Ins Gespräch kommen Langweilig wird es Maria Mehr nicht. Sie engagiert sich als Vermittlerin zwischen den Kulturen und hat mit ihrem Mann 1985 das Zigeuner-Kultur-Zentrum gegründet, das sie noch heute präsidiert. Regelmässig empfängt sie Schulklassen, Studierende oder Medienschaffende, die mehr über die Geschichte und Kultur der Fahrenden erfahren möchten. Diese «Aufklärungsarbeit» liegt ihr am Herzen. Sie nimmt sich Zeit und beantwortet die Fragen. Durch den persönlichen Kontakt würden Vorurteile abgebaut. «Und Aussenstehende merken schnell, dass wir ganz normale Menschen sind. Mit dem kleinen Unterschied, dass wir in Wohnwagen oder Mobilheimen leben.» Erfahren Sie mehr über Maria Mehr und die Fahrenden in der Schweiz in unserem Blog: blog.caritas-zuerich.ch «Zigeunerkulturwoche»: 8. bis 12. Juli 2015 Auch eine Gelegenheit, mehr über Fahrende zu erfahren, bietet die «Zigeunerkulturwoche». Für vier Tage verwandelt sich das SchützeAreal in Zürich in einen bunten Rummelplatz mit Flohmarkt, Festzelt, Musik und Kinderprogramm. Fahrende führen ihre traditionellen Handwerke vor. Podiumsgespräche, Filmvorführungen und Vorträge runden das vielseitige Programm ab. Auch Maria Mehr wird dort sein und den Interessierten Tarotkarten legen. www.zigeunerkultur.ch

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Caritas Zürich

Problematik: Sozialhilfe und Schulden Wer von Sozialhilfe lebt, kann keine Schulden abzahlen. Der Fachbereich Schulden von Caritas Zürich lädt Betroffene zum Infoanlass ein.

NEWS Hilfe bei der Wohnungssuche für Working-Poor-Familien Armutsbetroffene im Kanton Zürich wohnen oft in prekären Wohnverhältnissen. Betroffene suchen über Jahre hinweg eine neue Bleibe – ohne Erfolg. Caritas Zürich startet deshalb im April 2015 ein Pilotprojekt, bei dem Freiwillige Betroffene bei der Wohnungssuche unterstützen. Möchten Sie als Freiwillige mitwirken oder haben Sie eine günstige Wohnung zu vergeben? Kontaktieren Sie uns: Anna-Katharina Thürer, 044 366 68 68, a.thuerer@caritas-zuerich.ch

Schreibwerkstatt «Leben am Existenzminimum», 11. Juni bis 9. Juli 2015 Wer Sozialhilfe bezieht, lebt mit einem stark eingeschränkten Budget und ist bis auf Weiteres nicht in der Lage, seine Schulden abzuzahlen. Der Fachbereich Schulden von Caritas Zürich kennt viele solcher Fälle und hat deshalb den Infoanlass «Schulden und Sozialhilfe – Möglichkeiten und Grenzen» entwickelt, um genau auf diese Situation einzugehen. Während zweier Stunden erklären Fachpersonen, wie Betroffene mit verschiedenen Gläubigern wie Steuer- und Betreibungsamt, Inkassobüros usw. umgehen können, welche Möglichkeiten sie haben und wo die Grenzen liegen.

Zielgruppe und Termine Der Anlass richtet sich explizit an Sozialhilfebeziehende, die im Kanton Zürich wohnhaft sind und Schulden haben, die sie kurzbis mittelfristig nicht zurückzahlen können. Die Teilnahme ist kostenlos. Die nächsten Termine: • Donnerstag, 23. April 2015, 13.30–15.30 Uhr • Dienstag, 19. Mai 2015, 09.00–11.00 Uhr • Mittwoch, 24. Juni 2015, 16.00–18.00 Uhr • Dienstag, 25. August 2015, 18.00–20.00 Uhr Der Anlass findet bei Caritas Zürich, Beckenhofstrasse 16, 8006 Zürich statt und wird ab vier Teilnehmenden durchgeführt. Anmeldung Sie können sich bis eine Woche vor dem Termin unter der Telefonnummer 044 366 68 68 oder online anmelden. Ihre Anmeldung ist verbindlich. www.caritas-zuerich.ch/events

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Bereits zum dritten Mal organisiert Caritas Zürich eine Schreibwerkstatt und lädt Menschen mit knappem Budget ein, über ihre persönlichen Erfahrungen zu schreiben: Wie lebt es sich mit wenig Geld in der reichen Schweiz? Was bedeutet es, im Kanton Zürich am Existenzminimum zu leben? Weitere Informationen und Anmeldung unter: www.caritas-zuerich.ch/schreibwerkstatt

«Sozialer Stadtrundgang» durch Zürich Erleben Sie Zürich aus einer neuen Persp­ektive! Armutsbetroffene, Ausgesteuerte und Obdachlose erzählen aus ihrem Alltag und zeigen Ihnen Orte, an denen man sonst einfach vorbeigeht. In Zusammenarbeit mit über 20 sozialen Zürcher Einrichtungen organisiert der Verein Surprise den «Sozialen Stadtrundgang». Eine der fünf Touren macht auch Halt bei uns an der Reitergasse, wo sich Secondhand-Laden, Caritas-Markt und KulturLegi-Büro befinden. www.vereinsurprise.ch/stadtrundgang

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Unbeschwerte Augenblicke ermöglichen Das Patenschaftsprojekt «mit mir» stellt Kindern aus belasteten Familien freiwillige Paten zur Seite. Die Gotten und Göttis hören zu, machen Ausflüge und schenken den Kindern schöne Momente in ihrem oft schwierigen Alltag. Unterstützen auch Sie das Projekt mit Ihrer Spende. 20

www.caritas-zuerich.ch/spenden Nachbarn 1 / 15


Caritas Zürich

«Meine Kinder sollen es besser haben» Vor drei Jahren veränderten zwei Todesfälle das Leben der alleinerziehenden Micaela P. und ihrer Kinder Janis (6)* und Rena (8)* auf einen Schlag: Zuerst starb die Grossmutter von Micaela*, kurz darauf ihre Mutter. Letzteres erlebte sie als besonders traumatisierend, weil sie es war, welche die Mutter tot in der Küche auffand. Text: Caty Kopp

«Ich wusste nicht mehr, wo mir der Kopf stand», erzählt Micaela P. Ihre Mutter und ihre Grossmutter waren es, die sie in schwierigen Situationen immer wieder unterstützt hatten – wenn ihr wieder einmal die Kraft fehlte, sich um die Kinder und den Haushalt zu kümmern. Ein Leben ohne sie war für Micaela P. nur schwer vorstellbar.

Bezugsperson für die Kinder Auch Janis und Rena vermissen ihre beiden «Grossmütter» und leiden bis heute unter dem Verlust. Zum Glück hat Micaela P. für Janis und Rena dank dem Projekt «mit mir» von Caritas Zürich eine Patin und einen Paten gefunden. Sie können die grosse Lücke natürlich nicht füllen, aber sie schenken den Kindern ihre Zeit und Aufmerksamkeit und wurden so zu wichtigen Bezugspersonen. Bis zu drei Mal pro Monat treffen sie sich und unternehmen gemeinsame Spaziergänge, gehen ins Kino, zum Schwimmen oder machen einen Besuch im Zoo. Die Patin und der Pate bereichern das oft eintönige und einsame Leben der Kinder mit fröhlichen Erlebnissen und neuen Erfahrungen. Dank ihnen können sie heute wieder unbeschwerte Augenblicke erleben. Die Kinder fassten schnell Vertrauen in ihre Paten, und sie freuen sich immer auf die gemeinsamen Treffen. Entlastung für die Mutter «Ich bin froh und dankbar, gibt es das Projekt ‹mit mir›. Ich möchte, dass es meinen Kindern gut geht. Sie sollen ein besseres Leben haben als ich», meint Micaela P. Ihre eigene Kindheit war geprägt von psychischer und physischer Gewalt. Ihr Stiefvater, ein Alkoholiker, schlug und missbrauchte sie. Ab dem 11. Lebensjahr lebte sie bei Pflegeeltern. Sie begann eine Ausbildung als Malerin, die sie kurz vor der Abschlussprüfung abbrechen musste – der Druck war zu gross für sie. Auch der Versuch, eine Ausbildung als Krankenschwester abzuschliessen, scheiterte. Micaela P. verbrachte von

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da an ihre Zeit mit Musikauflegen in verschiedenen Clubs in Zürich und begann, Drogen zu konsumieren. Während ihrer Abhängigkeit nahm sie immer wieder den Kampf gegen die Drogen auf. Vor sechs Jahren schaffte sie es schliesslich und kam von ihnen los. Der langjährige Raubbau an ihrem Körper hat aber Spuren hinterlassen: Micaela P. muss oft ins Spital und ist nur noch sehr reduziert erwerbsfähig. Sie findet auch keinen Hortplatz für die beiden Kinder. «Es tut mir leid, aber wenn Sie nicht arbeiten, können wir Ihnen keinen Hortplatz anbieten», hört sie immer wieder. Ein Teufelskreis, denn ohne Hortplatz findet sie auch keine Arbeit. Nur dank der Unterstützung des Sozialamts überlebt die Familie. Das Budget reicht nur für das Nötigste, weshalb Micaela P. Janis und Rena nicht das bieten kann, was sie sich wünschen würde. Sie ist froh, dass sie dank Caritas zwei «mit mir»-Paten für ihre Kinder gefunden hat: «Sie geben meinen Kindern einen Einblick in eine andere Welt, die nicht von Sorgen und Nöten geprägt ist.» *Namen geändert

SPENDEN SIE JETZT! Rena und Janis haben in ihren ersten Lebensjahren schon viel Belastendes erfahren. Doch wenn die beiden und ihre alleinerziehende Mutter von den Paten erzählen, strahlen alle drei. Ihre Besuche und die gemeinsamen Aktivitäten bieten ruhige, friedliche Inseln im oftmals angespannten Alltag. Ihre Spende ermöglicht unbeschwerte Augenblicke! Bitte verwenden Sie den Einzahlungsschein oder spenden Sie online: www.caritas-zuerich.ch/spenden. Herzlichen Dank für Ihre Solidarität!

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Liebe Caritas, wer bezieht eigentlich Sozialhilfe? Rund 235 000 Personen beziehen in der Schweiz Sozialhilfe. Diese knappe Viertelmillion Menschen weisen sehr unterschiedliche Profile und Lebensläufe auf. Grundsätzlich kann es jede und jeden treffen. Ein unerwarteter Schicksalsschlag wie der plötzliche Stellenverlust, eine Scheidung oder eine Krankheit können stabile materielle Verhältnisse erschüttern und Menschen in die Armut treiben. Statistiken belegen aber, dass es Risikofaktoren gibt, die finanzielle Knappheit und damit den Gang zum Sozialamt wahrscheinlicher machen. Gefährdet ist, wer ein niedriges Bildungsniveau besitzt oder eine nichtanerkannte ausländische Ausbildung absolviert hat, wer mehrere Kinder hat, erst recht, wer sie allein erzieht und darum keine Zeit für Weiterbildungen aufbringen kann, wer an gesundheitlichen Problemen leidet, wer jung oder über 46 Jahre alt ist oder wer eine IV-Teilrente bezieht. Ein Drittel der Sozialhilfebeziehenden sind Kinder und Jugendliche. Häufig geht zudem vergessen, dass ein gewichtiger Teil der Sozialhilfeempfänger/ innen arbeitet – rund ein Drittel der Personen im erwerbsfähigen Alter. Deren Einkommen reicht allerdings nicht aus, um die Lebenskosten zu decken. Die Wege, die in die Armut und damit zum Sozialamt führen, sind verschieden. Caritas setzt sich für eine nachhaltige Armutspolitik ein. Diese definiert Massnahmen, um Armut zu verhindern, und hilft Menschen, die in Not geraten, sich aus ihrer prekären Lage zu befreien. Haben Sie eine Frage an uns? Senden Sie diese per E-Mail an nachbarn@caritas-zuerich.ch. Gerne beantworten wir diese in der nächsten Ausgabe von «Nachbarn».

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AGENDA Kreislauf 4+5: Shopping und Design Siehe unter: www.caritas-secondhand.ch Fr bis So, 29. – 31. 5. 2015, Zürich

Mitgliederversammlung 2015 Vorstand und Geschäftsleitung von Caritas Zürich berichten über das Geschäftsjahr 2014. Eingeladen sind alle Vereinsmitglieder sowie weitere Interessierte. Programm und Anmeldung unter: www.caritas-zuerich.ch/events Mittwoch, 27. 5. 2015, 17.30 Uhr Freie Kath. Schule, Sumatrastr. 31, Zürich

«La Poesia» – Kleinkunst im Labor «La Poesia», die neue Veranstaltungsreihe der KulturLegi Kanton Zürich, lässt Künstlerinnen und Künstler diverser Sparten gemeinsam und mit viel Nähe zum Publikum ihre Geschichten erzählen. Programm und Billette unter: www.lapoesia.ch Montag, 1. 6. 2015, 20.15 Uhr Labor Bar, Schiffbaustrasse 3, Zürich

Modeschau «Garden Party» Unsere Models präsentieren eine Auswahl der schönsten Stücke aus dem Fundus der Secondhand-Läden. Sommerliche, luftige, elegante Outfits für sie und ihn – auch für Kids – für die nächste Garden Party, das Picknick am See oder den Cocktailempfang. Mit Apéro und DJ. Freitag, 3. 7. 2015, 19 Uhr Secondhand, Im Viadukt, Bogen C, Zürich

Hinterlassen Sie Hoffnung und Perspektiven

Armutsforum 2015

Mit einem Legat an Caritas Zürich können Sie die Lebensperspektiven armutsbetroffener Familien im Kanton Zürich grundlegend verändern und tun über das Leben hinaus Gutes. Bestimmen Sie noch zu Lebzeiten, wem Ihr Vermächtnis zugutekommt. Gerne berät Sie Guido Biberstein, ehemaliger Direktor der Caritas Zürich, unverbindlich in einem persönlichen Gespräch, Tel.: 044 713 27 56. www.caritas-zuerich.ch/legate

Seit Monaten ist die Sozialhilfe unter Beschuss. Wie viel Geld braucht es, um an unserer Gesellschaft teilhaben zu können? Und wann reicht es bloss zum Überleben? Diesen Fragen widmen wir uns am diesjährigen Armutsforum. Donnerstag, 29. 10. 2015, 13 Uhr Volkshaus, Zürich

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Gedankenstrich

Existenzminimum Existenzminimum, das ist so ein Wort. Das ist so ein Wort, das mich bereits bedrückt, bevor ich verstanden habe, was alles damit verbunden ist, was es für die­jenigen bedeutet, auf die es angewendet wird. Zum Teil liegt es an der Existenz. Wieso Existenz und nicht Leben, frage ich mich. Wer würde denn bloss existieren, bloss eine Existenz haben wollen? Und wann sonst ist von Existenz die Rede? Fragt vielleicht jemand: «Wie viele Menschen existieren in Ihrem Haushalt?» oder «Wo ist Ihr Existenzmittelpunkt?» Geht vielleicht eine Frau in den Coop oder die Migros (eher zu Lidl oder Aldi, wenn man am Existenzminimum lebt), um Existenzmittel zu kaufen? Schreibt sie einen Existenzlauf, um sich zu bewerben und endlich wieder einen Job zu finden? Existiert etwa ein Mann mit seiner Existenzgefährtin bis an sein Existenzende in einer 1,5-Zimmer-Wohnung, weil sie sich mehr Existenzraum nicht leisten können oder dürfen? Und was unterscheidet die Existenz vom Leben? Ist nicht das eine weniger als das andere? Ich benutze das Wort so gut wie nie. Vielleicht habe ich schon mal von einem unglücklich Verliebten gesprochen und gesagt: «Ich glaube, sie weiss nicht mal, dass er existiert.» Weil es doch bei Existenz um das Vorhandensein geht, um ein Ja oder Nein, nicht um weniger oder mehr. (existiert der Yeti? Existiert das Nichts?) Aber wieso dann das Minimum? Das Mini-

mum der Existenz? Das Minimum an Existenz? Gibt es auch ein Existenzmaximum? Könnte man sagen: «Jetzt reichts aber, Sie existieren definitiv zu sehr, zu viel. Machen Sie mal halblang?» Und wenn ich aber am Minimum bin, am Existenzminimum, existiere ich dann weniger als die anderen (von leben ganz zu schweigen), existiere ich dann so wenig, wie es nur geht? Existenzminimum, das ist doch ein Begriff, der schon bedrückt, bevor man noch verstanden hat, was er bedeutet. Bevor ich noch verstehe, wer definiert, was unerlässlich ist für die Existenz, und wie es möglich sein soll, ein Minimum noch zu kürzen. Wie soll das möglich sein?

Ulrike Ulrich lebt als freie Schriftstellerin in Zürich. Nach den beiden Romanen «fern bleiben» und «Hinter den Augen» erscheint in diesem Sommer ihr erster Erzählband im Wiener Luftschacht-Verlag. Sie engagiert sich in einer Arbeits­gruppe des Deutschschweizer PEN für Schriftsteller/innen, die staatlichen Repressionen ausgesetzt sind. www.ulrikeulrich.ch

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Dabei sein, auch mit wenig Geld.

* Schmales Budget, volles Programm: Mit der KulturLegi erhalten Menschen mit tiefem Einkommen Preisreduktionen für Angebote aus Kultur,Sport, Bildung und Freizeit.

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