Nachbarn 02/2010

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Nachbarn

NR. 2/2010

Im Klartext jetzt: «Wir sind arm»

KulturLegi

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Dabei sein, auch mit wenig Geld

Wir helfen Menschen.

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Inhalt

Editorial Von Max Elmiger.

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News

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Neu eingekleidet

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KulturLegi Dabei sein, auch mit wenig Geld

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Mister Zürich Mike Leuenberger in unserem Secondhand-Laden. Ein eigenes Einkommen 16 Marie Kemadiou flickt Kleider in unserem Secondhand-Laden und verdient damit ihr eigenes Geld.

Dank der KulturLegi kann Familie Hamza-Meier eine Ausstellung im Kunsthaus, die Badi und die Kunsteisbahn besuchen. Wir begleiteten sie dabei. Wirksames Instrument zur sozialen Integration 6 Bildung, Beziehungen und Prestige sind genauso wichtig wie finanzielle Ressourcen. Soziale Integration findet auf all diesen unterschiedlichen Ebenen statt.

Caritas Zürich Im Klartext jetzt: «Wir sind arm» 10

Was bedeutet es, im reichen Kanton Zürich arm zu sein? Wer ist betroffen – und warum gehen die Probleme Einzelner uns alle etwas an?

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Kerzen für eine bessere Welt 17 Eine Million Sterne erleuchten die Schweiz jeweils in der Vorweihnachtszeit. Das Meer aus Kerzen kommt nur dank der Hilfe von Freiwilligen zustande. Persönlich Antoinette Hunziker-Ebneter, Unternehmerin aus Zürich.

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Caritas-Netz Einmaleins für Eltern 19 Das Projekt «schulstart+» bringt jungen Müttern und Vätern mit Migrationshintergrund das Schweizer Schulsystem näher und unterstützt sie mit alltagsnahen Infos bei der Erziehung. News aus dem Caritas-Netz

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Collage Dabei sein mit der KulturLegi.

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Hinweise und Veranstaltungen

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Gedankenstrich 23 Von Bundespräsidentin Doris Leuthard.

Titelbild: Urs Siegenthaler

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Editorial Editorial

Der Stern derder KuturLegi Bekämpfung Armut weist denArmen? Weg oder der Liebe Leserin, lieber Leser Liebe Leserin, lieber Leser Bald 6000 Erwachsene und Kinder im KanBei einem isteine mir ein ganz schlimton ZürichVortrag besitzen KulturLegi. Die mer Patzer passiert: «Liebe Anwesende, mit einfache und geniale Idee wurde vor 13 Jahdieser Strategie werden wir erfolgreich die ren von der IG Sozialhilfe lanciert: ArmutsArmen bekämpfen, das verspreche ich.» betroffene wünschten sich einen Ausweis, Ausdurch dem Versprechen wurde grosser der Vergünstigungen dieein Türen zu Versprecher. Kaum gesagt, habe ich es geKultur und Gesellschaft öffnet. Heute ist merkt. Aber die Karte mitniemand dem Sternhat einreagiert. Caritas-Projekt mit gesamtschweizerischer Ausstrahlung. Vielleicht hatte mir keiner zugehört? Oder Müssen denn Personen mit schmalem Budman hat mir ohnehin nicht geglaubt? get überall teilnehmen? Kultur ist Luxus,– Ein Versprecher kann«Kultur» auch einverstehen Versprekann man einwenden. chen entlarven. Die Armut zu bekämpfen, wir nicht elitär. Ursprünglich stammt «Kulist eine Sisyphusarbeit. es nicht tur» vom lateinischen Wir Verbwerden «colere» und schaffen, die Armut abzuschaffen, leider. bedeutet so viel wie «pflegen», «urbar machen», «ausbilden». Das sind bodenständige

Max Elmiger Max Elmiger Direktor Direktor Caritas Caritas Zürich Zürich

zigartig.zu Den Armen gibtaus es nicht, schon Zugang Kultur heisst: dem Schnegar nicht den typischen Armen. Und gibt es ckenhäuschen herauskommen, die Fühler den guten Armen? In jeder Armutsbiograausstrecken. Wenn ich die Isolation und die fie stecken so viel Licht und Schatten wie in eigenen alltäglichen Sorgen durchbreche, jedem Lebenslauf. dann ich Neues und schaffeXY BeL’organisation est certifiée Caritas Luzern ist entdecke seit ziehungen. Der Stern der leitet par KulturLegi ZEWO depuis 19XX. 2004 ZEWO-zertifiziert. Gehen auf jeden einzelnen Menschen aus der wir Isolation heraus, in welche die Armit Toleranz und Wertschätzung ein!dem Das mutsspirale führt. Der Ausweis mit ist das Versprechen der Caritas Zürich. Stern stigmatisiert nicht, wenn er an der Menschen sindwird. Originale undistsollen nicht Kasse gezeigt Deshalb er auch so zu Kopien gemacht werden mit Etiketten, beliebt. Und nicht zuletzt führt er zu sehr die ihr Einkommen deklarieren. Wenn vielen Bildungsangeboten. Es ist anerkannt, Bei der Armutsbekämpfung geht es nicht wir uns das ehrgeizige Ziel vornehmen, Wörter vor allem aus der Landwirtschaft. dass Bildung das beste Mittel ist, um Armut um abstrakte Zahlen, sondernMenschen um kon- zu dieverhindern. Armut zu halbieren, dann ist tunalso wireine das Caritas Zürich bietet unzähligen Die KulturLegi krete Menschen. Wir arbeiten zusammen mit grossem Respekt vor jedem Einzelnen eine praktische Möglichkeit, sich zu pfle- sehr wirksame Medizin. Der Erfolg gibt mit ihnen daran,nicht eineninWeg derdas SackundRecht. im Wissen um unsere eigenen Grengen. Dazu gehört ersteraus Linie ei- uns gasse zu finden, sie aus der Armutsspirale zen. Meine Mitarbeitenden, unsere Freiwilgene Gärtchen, sondern Beziehungspflege. herauszubegleiten. Jedes Schicksal ist ein- ligen und auch Sie helfen uns dabei.

«Bei der Armutsbekämpfung geht es «Zugang zu Kultur heisst: aus dem nicht um abstrakte Zahlen, sondern um Schneckenhäuschen herauskommen, Menschen.» diekonkrete Fühler ausstrecken.»

Impressum Impressum «Nachbarn» – Das Magazin der regionalen Caritas-Stellen – erscheint zweimal jährlich. «Nachbarn», das Magazin der regionalen Caritas-Stellen, erscheint zweimal jährlich. Gesamtauflage: 50 000 Ex. Auflage ZH: 13 600 Ex. Gesamtauflage: 39 000 Ex. Auflage ZH: 14 000 Ex. Redaktion: Ariel Leuenberger Redaktion: Ariel Leuenberger Gestaltung und Produktion: Daniela Mathis, Urs Odermatt Gestaltung und Produktion: Daniela Mathis, Urs Odermatt Druck: Stämpfli Publikationen AG, Bern Druck: Stämpfli Publikationen AG, Bern

Caritas Zürich ist seit 1992 ZEWO-zertifiziert.

Caritas Zürich | Beckenhofstrasse 16 | 8021 Zürich | Tel. 044 366 68 68 Caritas Zürich | Beckenhofstrasse 16 | 8021 Zürich | Tel. 044 366 68 68 www.caritas-zuerich.ch | PC 80-12569-0 www.caritas-zuerich.ch | PC 80-12569-0

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Dabei sein, a Begeistert steht Gabor vor einem Werk von Tony Cragg im Kunsthaus. «Mit so vielen Würfeln spielen, wie toll», strahlt er und möchte gleich beginnen. Doch hier gilt «berühren verboten» – umso mehr kann er mit seinen Eltern beim Besuch der Badi oder der Kunsteisbahn loslegen. Überall vergünstigt die KulturLegi von Caritas den Eintritt und ermöglicht so auch Leuten mit knappem Budget die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. «Der gemeinsame Besuch von Veranstaltungen und Ausstellungen ist uns wichtig, sei es als Familie oder zu zweit», betonen Si-

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mone und Ferenc Hamza Meier. Dank der KulturLegi werde vieles möglich, trotz bescheidenem Familieneinkommen. Erzählen

die gelernte Textildesignerin, der frühere Fotograf und ihr sechsjähriger Gabor, wird bald klar, dass der Ausweis eine grosse Auswahl an Freizeitvergnügen weit über «klassische» Kultur hinaus ermöglicht. «Wir waren im Zoo – bei allen Tieren», erinnert sich Gabor. Im Sommer lockte ihn die Badi. Da bleibt zwar in Zürich das Bad in See und Limmat gratis. «Mit der KulturLegi können wir aber auch ab und zu die von Max Frisch entworfene gleichnamige Badi geniessen. Es ist die schönste der Stadt», freut sich Simone Meier. Im Winter locke dann wieder die Kunsteisbahn.

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n, auch mit wenig Geld Fussball, Fitness, Filmvergnügen Ein Männervergnügen wird der Besuch eines Heimspiels von GC. Schliesslich tschuttet Gabor selber und hat jeden Mitt-

rich einen vergessenen Zweifränkler und konnte sich damit weitere Bilder besorgen. Übrigens, nicht nur die Fankurve für Fussballbegeisterte öffnet sich zu einem redu-

«Dank der KulturLegi können wir weiterhin am kulturellen Leben teilnehmen.» woch sein Training. Auf die Panini-Bildli für sein Fussball-WM-Buch gab es keinen Rabatt. Doch dafür hatte er manchmal Glück und konnte tauschen. Oder er fand im Schliessfach des Kunsthauses Zü-

zierten Preis, auch wer zum Beispiel lieber eine Fussreflexzonenmassage möchte, findet solche mit Rabatt – oder stellt sein Velo zum halben Preis in den bewachten Unterstand beim Bahnhof, wenn statt Fitness

der Weg zur Arbeit angesagt ist. Ebenso freuen sich Filmfreaks, wenn sie wieder einmal Filmklassiker wie «Fahrenheit 451» von François Truffaut vergünstigt zu sehen bekommen. Die Liste ist lang, und die Ermässigungen reichen von 30 bis zu 70 Prozent – und manchmal ist es dank der KulturLegi auch gratis. Dem Jüngsten der Familie, dem Ende 2009 geborenen Kornél, ist derweilen noch wichtiger, dass er zufrieden an seinem Schoppen nuckeln kann – Kultur inbegriffen. «Wir haben Musik und den Besuch von Ausstellungen bereits im Elternhaus 2/10 Nachbarn Caritas

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Ob auf die Kunsteisbahn, in die Badi oder ins Kunsthaus, die KulturLegi ermöglicht den verbilligten Eintritt bei rund 800 Institutionen und Veranstaltungen in der ganzen Schweiz. kennen gelernt. Manchmal mussten wir einfach mitgehen», erinnert sich Simone Meier. Doch so schlimm scheint das nicht gewesen zu sein, und auch Gabor lässt sich gerne ins Kunsthaus «entführen» – sogar als noch Sommer war und draussen dreissig Grad im Schatten. «Meine Mutter hat lieber beim Essen gespart, als auf ihr Saisonabonnement fürs Theater verzichtet. Als Bibliothekarin in einer Unternehmung brachte sie zudem unzählige Bücher mit heim», erinnert sich Ferenc Hamza. Alle Einnahmen und Ausgaben offenlegen Die KulturLegi hat Simone Meier dank ihrer Schwester kennen gelernt. «Die liest immer alles, wo etwas vergünstigt erhältlich ist. Selber wäre ich gar nicht auf das Angebot von Caritas gestossen. Doch jetzt können wir viel machen, das sonst nicht möglich wäre.» Als die Familie das erste Mal die Unterlagen einreichte, lag ihr frei ver-

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fügbares Einkommen noch leicht über der Grenze, die zum Bezug der KulturLegi berechtigt. Dieser wurde erst möglich, als Sohn Kornél auf die Welt kam und Simone Meier nach dem Mutterschaftsurlaub keine

Freie Wahl mit der KulturLegi Schade, wenn jemand deshalb nichts von einer für die Teilnahme am sozialen Leben wichtigen Einrichtung hört. «Viele unserer Freunde verdienen mehr», vermutet Simone

«Der gemeinsame Besuch von Veranstaltungen und Ausstellungen ist uns wichtig, sei es als Familie oder zu zweit.» neue Stelle fand. «Wir mussten detailliert unsere ganzen Einnahmen und Ausgaben offenlegen», erinnert sie sich. «Aber das ist auch richtig – und die Leute von Caritas machen es einem einfach.» Gerne möchte das Paar die KulturLegi weiterempfehlen. Doch das sei gar nicht so einfach, denn: «Erst kürzlich erfuhren wir von Nachbarn, dass sie ebenfalls in einer von der Stadt subventionierten Wohnung leben. In der Schweiz redet halt niemand gerne über seine Einkommensverhältnisse», sagt Ferenc Hamza.

Meier. Dank der KulturLegi könne sie dennoch auch einmal mit ihnen ins Kino. «Zu zweit mit meinem Mann ist es aber noch schöner.» Da setzen dann jedoch die Kosten für das Hüten von Kornél Grenzen. Umso wichtiger ist darum der Vorteil, dank der KulturLegi frei den Tag für den Besuch eines Matchs, einer Ausstellung oder einer anderen Veranstaltung wählen zu können. «Jeden Mittwoch ist der Besuch der Sammlung des Kunsthauses gratis», erinnert Björn Quellenberg, Sprecher des Kunsthauses. Doch da hat Gabor

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sein Training und die Familie müsste verzichten. Dabei war es Vater Hamza ein besonderes Anliegen, seinem Sohn die teils riesigen Fotos von Thomas Struth zu zeigen und so etwas von seiner Begeisterung fürs Fotografieren weiterzugeben. «‹Gratis› umfasst auch den Teil der Spezialausstellungen, der in den Sammlungsräumen stattfindet», unterstreicht Quellenberg. «So geben wir der Bevölkerung etwas zurück, die mit ihren Steuergeldern knapp die Hälfte der Kosten des Kunsthauses deckt.» Gratiseintritt an bestimmten Wochentagen oder am Sonntag kennen auch andere Kulturinstitutionen. Doppelter Nutzen 174 Besucherinnen und Besucher von Wechselausstellungen und 49 der allgemeinen Sammlung zückten 2009 im Kunsthaus Zürich die KulturLegi. Dieses Jahr wurden diese Zahlen schon im ersten Halbjahr übertroffen. «Wie bei der gesamten Bevölkerung fand die temporär als Gast im Kunsthaus gezeigte Sammlung Bührle auch bei dieser Zielgruppe grossen Anklang», begründet Quellenberg. Zurzeit sind in der ganzen Schweiz über 11 000 KulturLegis in Umlauf. Die kleine Karte hilft Men-

schen mit schmalem Budget, in wichtigen Bereichen ihres Lebens bei den Leuten bleiben zu können. Die Anbieter gewinnen damit begeisterte Kundinnen und Kunden, ohne dass gleich ihre Kapazitäten überlastet würden. «Ein Besuch im Schauspielhaus bleibt auch mit der KulturLegi ein kostspieliges Vergnügen», sagt Hamza. «Zum Glück habe ich mit meiner Mutter in Budapest schon alle gängigen Opern und Schauspiele gesehen.» So kann er für diese Besuche getrost auf bessere Zeiten warten. Einig ist sich das Paar auch, dass es beim Programm für die Kinder keine Abstriche geben sollte. «Es gäbe so vieles, das wir gerne noch machen würden» – doch diese nicht zu erfüllenden Wünsche kennen wir alle. Auf den vergünstigt erhältlichen «Tages-Anzeiger» verzichten die beiden: «Wir lesen zu wenig regelmässig Zeitung und kaufen nur einzelne Ausgaben.» Dankbar erinnert sich Simone Meier an Orte, wo sie die KulturLegi zückte, ohne sicher zu sein, ob sie akzeptiert würde. «Doch wie für AHV-Berechtigte, Studierende oder Soldaten gab es die Ermässigung – im sonst teuren Pflaster Zürich eine grosse Freude und Entlastung.» www.kulturlegi.ch

Gabor geniesst es, gemeinsam mit seiner Familie spannende Ausflüge zu unternehmen. Ohne KulturLegi wären diese nicht möglich.

Kommentar

Heinz Altorfer, Leiter Soziales, Direktion Kultur und Soziales, Migros-Genossenschafts-Bund

KulturLegi – kein Rabattkärtli Niemand wird bestreiten, dass Kultur, Weiterbildung und ein aktiver Lebensstil für alle Menschen wichtig sind – auch für armutsbetroffene. Die liberale Gesellschaft überlässt die Initiative dazu allerdings weitgehend dem Individuum. Selbstverantwortliches Handeln setzt jedoch persönliche Kompetenzen und die Integration in sozialen Netzwerken voraus. Armutsbetroffene sind dabei besonders gefordert. Die KulturLegi setzt daher am richtigen Punkt an: Sie bietet über eine rein materielle Vergünstigung hinaus Anreize zur Stärkung von Selbstkompetenz und zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Sie ist kein Rabattkärtli, sondern ein Ausweis für praktizierte Selbstverantwortung unter materiell erschwerten Bedingungen. Das macht sie so überzeugend, auch als Partner für das Migros-Kulturprozent. Dieses ist seit Gottlieb Duttweiler geprägt von der Leitidee, interessierten Menschen Zugang zu kulturellen Leistungen, zur Weiterbildung und zum gesellschaftlichen Leben zu verschaffen. Ein reiches Angebot von wirksamer Qualität und Innovation ist der stärkste Anreiz dazu. Die aktive Einladung zur Partizipation an diesen Angeboten ein weiterer. Das Migros-Kulturprozent freut sich auf die Menschen mit KulturLegi, die sich den Zugang zu den Bildungsangeboten der Klubschulen Migros und zu den kulturellen Aktivitäten verschaffen wollen. www.migros-kulturprozent.ch www.klubschule.ch

Text: Urs Walter; Fotos: Urs Siegenthaler

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Hintergrund: KulturLegi

Ein wirksames Instrument zur sozialen Integration Arm sein ist mehr als nur wenig Geld haben. Für Armutsbetroffene sind Bildung, Beziehungen und Prestige genauso wichtig wie die finanziellen Ressourcen. Soziale Integration findet auf all diesen unterschiedlichen Ebenen statt – dank der KulturLegi.

Betrachten wir alltägliche Ereignisse und zwischenmenschliche Begegnungen für einmal als Spiel. Gemäss dem Soziologen Pierre Bourdieu verfügen wir Menschen über unterschiedliche Fähigkeiten und Möglichkeiten. Diese setzen wir je nach Situation ein und passen sie gegebenenfalls an. Neben dem ökonomischen Kapital (Einkommen und Vermögen) stehen uns soziales Kapital (Beziehungen), symbolisches Kapital (Prestige) und kulturelles Kapital zur Verfügung. Letzteres meint vor allem die Bildung, die vorwiegend im Rah-

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men der Familie weitergegeben oder ermöglicht wird. Soziale Ungleichheit und der Auf- und Abstieg entstehen gemäss Bourdieu aus einem Zusammenspiel dieser verschiedenen Ressourcen. So kann zum Beispiel eine Investition in die Bildung zu einem Vorrücken auf dem Feld des ökonomischen Kapitals verhelfen. Oder der Verlust von wichtigen Beziehungen hat zur Folge, dass man beim symbolischen und ökonomischen Kapital ein paar Felder zurückgeworfen wird.

Wer nicht mithalten kann, fällt raus Das Leben ist aber kein Spiel: Armutsbetroffene Personen in der Schweiz verfügen nicht nur über weniger finanzielle Mittel, sondern auch über eingeschränkte Handlungs- und Teilnahmemöglichkeiten. Sie sind oft von Teilbereichen unserer Gesellschaft ausgeschlossen. Die soziale Integration oder eben der Erhalt und Aufbau von sozialem, symbolischem und kulturellem Kapital sind somit zentrale Funktionen in der Armutsprävention und -bekämpfung.

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Solidarische Angebotspartner Im Zentrum steht dabei die Bildung. Wer da nicht mithalten kann, fällt rasch aus dem System heraus. Fast genauso wich­ tig sind soziale Beziehungen, die man auf­ baut und pflegt, indem man zum Beispiel bei kulturellen oder sportlichen Aktivi­ täten mitmacht. Nur wer sich auf den unter­ schiedlichen Ebenen aktiv beteiligen kann, ist und bleibt integriert. Armut vermeiden Von der KulturLegi profitieren die von Armut am meisten betroffenen Gruppen: Kinder und Jugendliche, Einelternfami­ lien, Personen ohne Ausbildung oder mit Migrationshintergrund. Die vergünstigten Bildungsangebote erleichtern die Weiter­ bildung. Die ermässigten Eintritte in Kul­ turinstitutionen ermöglichen der ganzen Familie den Erwerb von Bildung im wei­ testen Sinne. Vergünstigte Sportmöglich­ keiten tragen zur Gesundheitsförderung bei – was gerade bei Armutsbetroffenen wegen des höheren Krankheitsrisikos von zentraler Bedeutung ist. Kurz: Die Kultur­ Legi hilft, soziale Isolation und Vereinsa­ mung zu vermeiden. In der Schweiz ist etwa jede zehnte Per­ son arm. Ohne Betagte und Kleinkinder, die nur bedingt eingerechnet werden kön­ nen, könnten also rund 600 000 Personen die KulturLegi beziehen und nutzen. Denn sie kann für all diese Menschen eine Unter­ stützung leisten. Die KulturLegi hat damit ein hohes Potenzial, Armut zu vermeiden und Wege aus der Armut zu erleichtern. Chancengleichheit auf allen Ebenen Die Armutsstrategie des Bundesrates, die im März 2010 veröffentlicht wurde, zeigt, dass Armutsprävention breit angegangen werden muss, damit etwas erreicht werden kann. Diesen Ansatz verfolgt Caritas schon seit langem. Wollen wir keine Zweiklassen­ gesellschaft, ist es wichtig, Chancengleich­ heit auf den verschiedensten Ebenen her­ zustellen. Nicht nur die Integration in den Arbeitsmarkt, sondern eben auch die sozia­ len Aspekte müssen gewichtet werden. Die KulturLegi leistet dazu einen wichtigen Bei­ trag. Texte: Bettina Zeugin, Irène Barmettler; Grafik: Martin Blaser

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Die KulturLegi ermöglicht es über 11 000 Nutzerinnen und Nutzern, am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können.

KulturLegi vorhanden

Einführung in Planung

Einführung im nächsten Jahr

keine KulturLegi

Bereits 1996 lancierte die IG Sozialhilfe in Zürich die Idee, mit einer KulturLegi Per­ sonen mit begrenzten finanziellen Mitteln den Zugang zu Kultur­, Bildungs­ und Sportanlässen zu ermöglichen. Diese Idee wurde von Caritas in verschiedenen Kan­ tonen weiterentwickelt: Heute hat die Kul­ turLegi über 11 000 Nutzerinnen und Nut­ zer in der ganzen Schweiz. Erhältlich ist sie bisher in Freiburg und Region, in Chur, im Kanton Bern und im Kanton Zürich so­ wie in den Zentralschweizer Kantonen Lu­ zern, Nidwalden, Obwalden, Uri, Schwyz und Zug. Mehr als 800 Angebotspartner

aus den Bereichen Sport, Bildung und Kul­ tur zeigen sich solidarisch und gewähren für Inhaberinnen und Inhaber der Kultur­ Legi grosszügige Rabatte. Die KulturLegi ist ein persönlicher, nicht übertragbarer Ausweis. Berechtigt sind alle Personen, die am oder unter dem Existenzminimum leben und zum Beispiel Sozialhilfe, Zusatzleistungen oder indivi­ duelle Krankenkassenprämienverbilligung beziehen. Gegen Vorweisen der KulturLegi erhalten sie Vergünstigungen bis zu 70 Pro­ zent.

Links und Publikationen Informationen über Standorte, Berechtigungskriterien, Bezugsmöglichkeiten und Angebote der KulturLegi finden Sie unter www.kulturlegi.ch. Zum Begriff der sozialen Integration: Rahel Strohmeier, Carlo Knöpfel: Was heisst soziale Integration? Öffentliche Sozialhilfe zwischen Anspruch und Realität, Caritas Schweiz, Luzern 2005. Pierre Bourdieu: Ökonomisches Kapital – Kulturelles Kapital – Soziales Kapital. In: Reinhard Kreckel: Soziale Ungleichheiten, Göttingen 1983, S. 183–198.

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Caritas Zürich

Im Klartext jetzt: «Wir sind arm» Was bedeutet es, im reichen Kanton Zürich arm zu sein? Wer ist betroffen – und warum gehen die Probleme Einzelner uns alle etwas an? Mit der Kampagne «Wir sind arm» hat Andrea Keller von Caritas Zürich in den vergangenen Monaten aufgedeckt und aufgeklärt. Sie gewährt Einblick in die vielseitigen Projekte und Aktionen.

Mit einer aussergewöhnlichen Kampagne sensibilisierte Andrea Keller die Bevölkerung im Kanton Zürich.

Wer im reichen Kanton Zürich auf die hiesige und heutige Armut aufmerksam macht, der stört. Er stört die Armutsbetroffenen, die im Grunde nicht über ihre schwierige Situation reden wollen, aus Angst vor Vorurteilen. Und er belästigt auch jenen grossen Teil der Bevölkerung, der lieber nichts von den Nöten sozial Benachteiligter hören möchte – trotzdem ist er kein Störenfried im wortwörtlichen Sinne. Denn wer aufklärt, torpediert nicht den Frieden, sondern das Verschweigen, Verschämen und Verdrängen eines Missstandes, dem es dringend zu begegnen gilt.

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Und genau das war mein Auftrag bei der Caritas Zürich: Anlässlich des «Europäischen Jahres zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung» (2010) galt es, Aktionen und Projekte zu entwickeln, die in aller Öffentlichkeit ein Tabu brechen. Das Tabu, dass Armut auch hier und heute existiert. Es galt, Bilder zu entwickeln, die in den Köpfen der Allgemeinheit fehlen. Gerade weil es schwerfällt, sich die Umstände der Betroffenen bei uns vor Augen zu führen, wählte ich für die Gesamtheit meiner Projekte und Aktionen einen Titel, der an sich schon provokativ ist: «Wir

sind arm». «Wir sind arm» ist hier nicht als Aussage der effektiv Betroffenen gedacht, sondern als gesamtgesellschaftliches, solidarisches Bekenntnis. Denn wenn sich die Stärke einer Gesellschaft am Wohl der Schwachen misst – wie es in der Präambel unserer Bundesverfassung geschrieben steht –, dann gehen die Probleme Einzelner uns alle an. «Wie würden Sie sich fühlen?» Im Rahmen von «Wir sind arm» erarbeitete ich in den vergangenen Monaten diverse Teilprojekte. So wurden im April in

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einer Kampagne Hunderte von Portemonnaies in Zürich und Winterthur verstreut, deren einziger Inhalt ein Flyer war. Dessen Hauptaussage: «In vielen Portemonnaies herrscht solche Leere.» Zusätzlich fanden Aktionen mit einem Schild, einem Kinderbuggy und einer Bettlerdecke ohne Bettler statt. Die begleitende Frage «Wie würden Sie sich fühlen?» zog sich als tragendes Element durch die unterschiedlichen Massnahmen. Die Aktionen sind durchweg gelungen, zumal diverse Zeitungen und einzelne Radiosender die Kampagne aufgegriffen haben. Parallel dazu entwickelte ich eine Ausstellung, deren Inhalt zwölf Aussagen von Armutsbetroffenen sind. «Scheisse, meine Tochter wurde schon wieder an einen Kindergeburtstag eingeladen» ist eine davon. Der Betrachter ist aufgefordert, selbst zu

Die Verrücktheit des Ganzen hatte Charme. Sie erlaubte es, auch bei einem so schweren Thema lachen zu dürfen. überlegen, welche Geschichten sich hinter den Sätzen verbergen. Dadurch entstehen Bilder unserer Armut. Und die Bilder in uns, so bin ich überzeugt, wirken am nachhaltigsten. Die Reaktionen der Leute waren sehr unterschiedlich: Betroffene bestätigten mir, dass sie sich mit den Sätzen identifizieren, Passanten liessen sich auf die Herausforderung ein, sich vorzustellen, was gemeint sein könnte. Und wieder andere fanden, dass die Ansprüche der «Armen» einfach zu hoch seien. Mit Robin Hood in der Video-Box Die Ausstellungstafeln waren zusätzlich wichtiger Bestandteil einer interaktiven Performance. Mit ihr wagte ich, zusammen mit Theaterschaffenden, einen gänzlich neuen Umgang mit dem Thema. Symbolische Figuren wie Robin Hood traten auf öffentlichen Plätzen in Aktion, waren Bestandteil einer Art Parcours. Als Passant

wurde man direkt ins Geschehen verwickelt und sass letztlich in einer Video-Box. Indem man einen der Ausstellungssätze in die Kamera sprach, verlieh man der Armut sein Gesicht und seine Stimme, stellvertretend für die, die betroffen sind und genau deshalb nichts sagen. Zusammen mit den Schauspielerinnen und Schauspielern setzte ich optisch einen starken Akzent und weckte Interesse. Letztlich haben sich überraschend viele Leute darauf eingelassen. Die Verrücktheit des Ganzen hatte Charme, sie erlaubte es dem Einzelnen, bei einem so schweren Thema auch lachen zu dürfen. Und Humor ist bekanntlich ein Türöffner. Das letzte Wort gebührt den Betroffenen Als weiteres Element stellte ich AudioBeiträge fürs Radio zusammen und regte die Medien an, über das Thema zu berichten. Doch am kraftvollsten sind immer die Worte der Betroffenen selbst. Sie sind natürlich in den unterschiedlichen redaktionellen Beiträgen enthalten, in einem weiteren Teilprojekt von «Wir sind arm» sollten sie aber mehr als Bestandteil sein: Ich wollte denen, die aus eigener Erfahrung wissen, wovon die Rede ist, direkt das Wort erteilen. Also realisierte ich mit der Schriftstellerin Tania Kummer eine Schreibwerkstatt für Armutsbetroffene. Der Kurs, in dem die Teilnehmenden eigene Texte verfassten, war sehr eindrücklich, das Resultat kann sich lesen lassen. Es entstand ein Heft, das die gesammelten Geschichten enthält und in den Cafés und Shops von Zürich und Winterthur aufliegt. Ende Oktober 2010 wird meine Arbeit für die Caritas Zürich beendet sein – und mit dem Armutsforum (siehe Kasten) schliesst für mich offiziell ab, was ungemein spannend und lehrreich war: ein Jahr ganz im Zeichen des sinnvollen «Störens». Ich habe es überaus gerne getan. Und obgleich es bei Sensibilisierungsarbeit sehr schwierig ist, den Erfolg klar zu messen, bin ich überzeugt, dass all die Aktionen wertvolle Schritte in die richtige Richtung waren. Manche Elemente wurden auch von der

Caritas Luzern und der Caritas Bern übernommen. Die Ausstellungssätze schafften es gar bis nach Deutschland. Doch trotz solcher Teilerfolge ist noch lange nicht erreicht, was den Bemühungen als eigentliches Ziel zu Grunde lag: eine gesamtgesellschaftliche Solidarisierung mit den Schwächsten unter uns – und somit eine geeignete Grundlage für eine nachhaltige Verbesserung ihrer Situation.

Kämpften gemeinsam gegen die Armut: Karl Marx, Robin Hood und Ché Guevara.

Mehr erfahren Bilder, Videos und Texte zu unseren Projekten und Aktionen finden Sie auf: www.wir-sind-arm.ch Am 5. Zürcher Armutsforum vom 28. Oktober 2010 stellt Andrea Keller ihre Kampagne vor. Weitere Referenten sind Fred Lauener (Geschäftsführer «Surprise») und Prof. Dr. Ueli Mäder (Uni Basel, FHNW). Weitere Informationen und Anmeldung unter: www.caritas-zuerich.ch/armutsforum

Text: Andrea Keller; Bilder: Andrea Keller, Daniel Eberhard 2/10 Nachbarn CAZH5.indb 11

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Kinderarmut kann man nicht sehen.

Aber f端hlen.

Kein Fussballtraining, kein Musikunterricht, kein Ferienlager: Armut kann Kindern Ihre Kindheit rauben. Entscheiden Sie sich deshalb f端r eine Patenschaft. Mit nur 40 Franken im Monat f旦rdern Sie wirkungsvoll benachteiligte Kinder im Kanton Z端rich. Und geben Kindern die Chance, ihre Talente sinnvoll auszuleben. Mehr Infos unter 044 366 68 68 oder www.caritas-zuerich.ch/patenschaften Mit Ihrer Patenschaft helfen Sie Kindern.


«Das Fundament für die Lehrstellensuche» Jacqueline Schneider unterrichtet im Zürcher Kreis 5. Viele von ihren Schülerinnen und Schülern haben einen Migrationshintergrund. «Bei der Lehrstellensuche erhalten die meisten nur wenig Unterstützung von ihren Eltern», sagt die Oberstufenlehrerin. Wenn ihre Klassen vor dem Sek-Abschluss stehen, hilft die Lehrerin den Jugendlichen bei der Lehrstellensuche, wo sie kann. «Alle einzeln betreuen können wir aber nicht – ‹incluso› entlastet uns darum sehr.» Das Mentoringprogramm vermittelt

Jugendlichen ausländischer Herkunft freiwillige Mentorinnen oder Mentoren, die sie während eines Schuljahres begleiten und bei der Lehrstellensuche unterstützen. «Durch ‹incluso› werden enge Beziehungen geknüpft. Bei der Lehrstellensuche ersetzen die arbeitstätigen Mentorinnen und Mentoren die Eltern oder die grosse Schwester», meint Jacqueline Schneider. Durch die Mentorinnen und Mentoren lernen die Lehrstellensuchenden beispielsweise, was einen guten Lebenslauf ausmacht und auf was sie bei einem Bewerbungsgespräch achten müssen. «Sie nehmen sich

sehr viel Zeit – dadurch lernen die Jugendlichen die Arbeitswelt kennen und wissen, worauf es ankommt.» Jacqueline Schneider findet, dass ihre Schülerinnen und Schüler für eine Teilnahme bei «incluso» auch Mut brauchen, denn sie müssen während einer langen Zeit sehr eng mit ihren Mentorinnen und Mentoren zusammenarbeiten. Meist ist dies aber eine gute Erfahrung: «Das Selbstbewusstsein der Jugendlichen wird massiv gestärkt, wenn ihnen gesagt wird, dass man an sie glaubt.» www.caritas-zuerich.ch/incluso

Andere Welten kennen lernen: Im «incluso»Programm unterstützen Mentorinnen und Mentoren Jugendliche mit Migrationshintergrund bei der Lehrstellensuche.

Unser SOS-Aufruf wurde gehört! Im Jahr 2009 musste Caritas Zürich auf die Sparbremse drücken. Eine der Konsequenzen war die geplante Schliessung des Patenschaftsprojektes «mit mir». Die Reaktionen waren überwältigend. Ein Komitee aus Patinnen und Paten war behilflich, einen SOS-Aufruf zu lancieren. Die Vorgabe für den Rettungsplan war, eine 100-prozentige Finanzierung durch Dritte für die Jahre 2011 und 2012 zu finden, damit das «mit mir» bei Caritas

Texte: Daniel Eberhard, Max Elmiger; Bild: Urs Siegenthaler

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Zürich bleiben könnte. Dazu braucht es jährlich 200 000 Franken. Die katholische Kirche des Kantons Zürich leistet daran über die so genannten Bereitstellungskosten jeweils 28 000 Franken. Heute sind wir sicher, dass wir die beiden Jahre 2011 und 2012 finanzieren können. Unter anderem dank einem Betrag von 100 000 Franken, der aus einem Legat abgegrenzt wird, das uns von einem «mit mir»Paten vermittelt wurde.

Darüber und über alle anderen grösseren und kleineren Beträge sind wir unendlich dankbar. Das «mit mir» ist ein attraktives Projekt. Mit Ihrer Hilfe wird es eine Zukunft haben. Ich danke Ihnen für Ihre Unterstützung und Ihr Vertrauen. Herzlichst Max Elmiger, Direktor

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«Mein Stylingtipp: Altes und Neues kombinieren» Mike Leuenberger, der amtierende Mister Züri und somit offiziell schönste Zürcher, hat sich in unserem SecondhandLaden an der Asylstrasse 94 in Zürich-Hottingen neu eingekleidet. Und präsentierte unser Outfit für die Herbsttage. Als Mister Züri und Model ist Mike Leuenberger schon oft eingekleidet worden. Das Outfit, das ihm unsere Stylistinnen aus dem Secondhand-Laden zusammengestellt haben, gefiel ihm so gut, dass er die Kleider gleich mit nach Hause nahm. Für ihn hat seine persönliche Kleidung viel mit Kreativität zu tun: «Ich kombiniere gerne Altes und Neues, verschiedene Modestile und dazu ausgefallene Accessoires, wie die Stücke, die ich jetzt gerade trage.» Eines seiner Lieblingskleidungsstücke sind seine Cowboy-Boots. Seine gebrauchten Kleider gibt Mike Leuenberger jeweils seinem bes-

ten Freund mit für dessen Verwandte in Sri Lanka. Sollten diese aber mal keinen Bedarf mehr haben, würde er seine Kleider gerne in die Caritas Secondhand-Läden bringen: «Ich kannte die Läden vorher nicht und bin ganz überrascht, wie durchgestylt sie sind.» Im September hat ein weiterer Laden seine Tore geöff net. Im Viadukt im trendigen Zürcher Kreis 5 (im Bogen C) finden sich tolle Kleider zu günstigen Preisen für «fashion victims» und Modebewusste, die auf der Suche nach speziellen Teilen sind, aber auch für Menschen mit schmalem Budget.

Caritas Zürich betreibt insgesamt neun Secondhand-Läden in Zürich, Winterthur und Uster, welche auf Ihre Kleiderspenden angewiesen sind. Der Verkaufserlös kommt den Projekten der Caritas Zürich zugute. Bilder von weiteren prominenten Persönlichkeiten, die sich bei uns eingekleidet haben, sowie unsere Standorte im Kanton Zürich und deren Öffnungszeiten finden Sie auf der Webseite. www.caritas-zuerich.ch/secondhand

Ihre Frage an uns An dieser Stelle beantworten wir die Fragen der Leserinnen und Leser zu unserer Organisation und unserer Arbeit. Regine D. aus Adliswil möchte von uns wissen: «Wieso braucht es die Caritas Zürich? In der Schweiz werden doch alle Armen von der Sozialhilfe unterstützt?» Im Kanton Zürich sind rund 100 000 Menschen auf Unterstützungsleistungen angewiesen. Diese finanziellen Leistungen erhalten sie zum Beispiel in Form von Zusatzleistungen zur AHV/IV, Krankenkassenprämienverbilligung oder Sozialhilfe. Ergänzend zu den finanziellen Leistungen der Behörden bietet Caritas Zürich Beratung, Bildung und einmalige kleinere finanzielle Überbrückungshilfen an.

Unsere Angebote zielen darauf ab, wo immer möglich zu verhindern, dass jemand die Sozialhilfe in Anspruch nehmen muss. Konkret bieten wir Budgetberatungen und Schuldensanierungen an und unterstützen mittels psychosozialer Beratungen unsere Klientinnen und Klienten in diversen Lebensbereichen. Und mit unseren verschiedenen Projekten bieten wir ganz spezifische Hilfe an, welche der Staat nicht leisten kann: Zum Beispiel bereichern freiwillige Patinnen und Paten das Leben von benachteiligten Kindern, oder unsere KulturLegi vergünstigt für Armutsbetroffene die Teilhabe am gesellschaft lichen

Text: Sima Mangtshang, Ariel Leuenberger; Bild: Roth und Schmid Fotografie

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Leben und ermöglicht ihnen, günstig in einem unserer Caritas-Markt-Läden einzukaufen. Und wir tun noch vieles mehr, damit ein kleines Budget nicht Ausgrenzung bedeuten muss. In diesem Sinne ergänzen wir die staatlichen Unterstützungsleistungen. Die ganze Palette unserer Angebote stellen wir auf unserer Webseite vor. Alle diese Leistungen können wir nur dank der Unterstützung von Freiwilligen, Spenderinnen und Spendern, Stiftungen und Unternehmen bieten. www.caritas-zuerich.ch/hilfe

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Caritas Zürich

«Mein Traumberuf ist Modedesignerin» Die von Freiwilligen geleiteten Flickstuben des Integrationsund Bildungsprojektes URAT bieten auch Marie Kemadiou die Möglichkeit, die Menschen im Quartier kennen zu lernen und Berufserfahrung zu sammeln. Marie Kemadiou war in der URATFlickstube in Zürich-Seebach tätig während drei Jahren. Gelernt hat die gebürtige Kamerunerin ihr Handwerk in Deutschland, wo sie an einer Fachschule eine dreijährige Lehre zur Damenschneiderin absolvierte. Marie Kemadiou hat erreicht, wovon viele träumen. Sie hat den Sprung in die Selbständigkeit geschafft und führt jetzt auf eigene Rechnung im neuen SecondhandLaden der Caritas Zürich an der Zürcher Asylstrasse 94 Änderungswünsche der Kundinnen und Kunden aus. Wie muss man sich Ihre Arbeit vorstellen? «Ich mache eigentlich alles, was mit dem Flicken von Kleidern zu tun hat: Ich ersetze Reissverschlüsse, kürze Hosen oder ersetze das Futter von Jacken. Manchmal erhalte ich auch Spezialaufträge, wenn ich zum Beispiel einen Kissenanzug anfertigen soll.» Was lieben Sie an Ihrer Arbeit? «Besondere Freude bereitet mir der Kundenkontakt – es herrscht wirklich eine gute Atmosphäre hier. Wenn die Kunden kommen, bespreche ich mit ihnen ihr Anliegen, berate sie und führe dann die Arbeiten aus. Häufig kommen Personen mit ihren geliebten Kleidungsstücken, die eigentlich kaputt und nicht mehr zu flicken sind. Trotzdem wollen sie die Stücke behalten. Diese Kleider zu flicken ist eine Herausforderung, doch ich finde immer eine Lösung.» Marie Kemadiou musste nach eigenen Aussagen immer kämpfen. Nach Deutschland kam sie erst mit 14 Jahren, wo ihr Vater bereits arbeitete und noch immer lebt. Dort einen Ausbildungsplatz zu finden sei nicht einfach gewesen, doch sie hatte Erfolg. Nach ihrer abgeschlossenen Ausbil-

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Hat dank URAT ein eigenes Einkommen: Marie Kemadiou an ihrem Arbeitsplatz.

dung arbeitete sie in einem Werkstattatelier, wo sie Massanfertigungen vornahm. Gibt es eine Tätigkeit im SecondhandLaden, die Ihnen besonders gefällt? «Ich mache eigentlich alles gerne, solange ich mit der Nähmaschine, Schere, Nadel und Faden arbeiten kann. Auch in meiner Freizeit nähe ich oft. Am liebsten wäre ich Modedesignerin und hätte mein eigenes Geschäft, wo ich meine Kreationen entwerfen und schneidern könnte.» Das Projekt URAT ebnet Migrantenfrauen den Weg in die berufliche und soziale Integration. Das Angebot baut auf das Engagement von Freiwilligen, die die Migrantinnen begleiten und coachen. Dabei erweist sich das Konzept der Flickstuben als erfolgreiches Lernumfeld. Insbesondere Migrantinnen mit geringen Chan-

cen auf dem Arbeitsmarkt profitieren vom Projekt. Die Teilnehmerinnen erwerben im Programm Fachkompetenzen, verbessern ihre Deutschkenntnisse, bauen Kontakte zur Bevölkerung auf und gewinnen dadurch an Selbstvertrauen. Durch die Mitarbeit in der Flickstube erlangen die Frauen auch ihre erste Referenz für die Arbeitssuche. www.caritas-zuerich.ch/urat

Helfen Sie mit! URAT-Flickstuben gibt es in Bülach, Wetzikon, Winterthur und Zürich. Unterstützen Sie die Flickstuben: mit dem beiliegenden Einzahlungsschein oder indem Sie Ihre Kleider zum Flicken vorbei bringen. Herzlichen Dank! PC 80-12569-0

Text und Bild: Daniel Eberhard

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Kerzen für eine bessere Welt Als Freiwillige setzten Sabine Maurer Sabbat und ihre Tochter an der Aktion «Eine Million Sterne» ein Zeichen für Solidarität und Gerechtigkeit. Das Meer aus Kerzen in der Vorweihnachtszeit beeindruckte sie sehr.

Ein Zeichen der Verbundenheit und des sozialen Zusammenhaltes: Sabine Maurer Sabbat zündet gemeinsam mit ihrer Tochter Ayana Kerzen an.

«Solidarität bedeutet für mich, anderen Menschen bei etwas zu helfen, das sie selber nicht so gut können», sagt Sabine Maurer Sabbat. Als Freiwillige engagierte sie sich letzten Dezember für die CaritasAktion «Eine Million Sterne». Kern der Aktion sind die Aufsehen erregenden Illuminationen auf markanten Plätzen an über 150 Orten in der ganzen Schweiz. Zehntausende von Kerzen setzen so ein Zeichen der Verbundenheit und des sozialen Zusammenhalts. «Kurz vor Weihnachten im Dunkeln all die Kerzen zu sehen – das war schon sehr eindrücklich.» Voller Einsatz im Schnee Sabine Maurer Sabbat lebt mit ihrer Familie im Stadtzürcher Kreis 11. An der Aktion «Eine Million Sterne» auf dem Hechtplatz in Zürich nahm sie zum ersten Mal teil. Gemeinsam mit ihrer Tochter Ayana zündete sie bei frostigen Temperaturen Text: Daniel Eberhard; Bild: Luca Zanetti

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unzählige Kerzen an. «Viele wurden vom Wind immer wieder ausgeblasen und wir mussten sie neu anzünden – aber so ist die Natur», sagt sie lachend. «Durch meine Tätigkeit kam ich in Kontakt mit vielen Passanten. Das hat mir am meisten Freude bereitet.» Besonders interessant fand sie den Austausch mit jenen Personen, die aus dem Ausland stammen. Obwohl ihre Tochter erst sechs Jahre alt ist, spricht Frau Maurer häufig mit ihr über Armut und Solidarität. Ihr Mann stammt aus Haiti und sie kennen die Verhältnisse auf der Karibikinsel. Vielseitige Unterstützung Die während «Eine Million Sterne» gesammelten Mittel gehen je zur Hälfte an ein Caritas-Projekt im In- und Ausland. Alleine auf dem Zürcher Hechtplatz halfen siebzehn Freiwillige bei der Kerzen-Aktion mit. Unterstützung erhielt Caritas auch von prominenten Botschafterinnen und

Botschaftern: Auf dem Hechtplatz zündeten unter anderem Ex-Tagesschausprecher Charles Clerc und Miss Earth Graziella Rogers Kerzen als Zeichen der Solidarität mit den Schwächeren an. Dies beeindruckte auch Sabine Maurer Sabbat: «All die Prominenten so nah zu erleben war schon speziell. Normalerweise sieht man sie ja nur im Fernsehen.»

Engagieren Sie sich! Möchten Sie bei unserer diesjährigen Illumination am 18. Dezember mithelfen? Oder möchten Sie eine eigene Illumination in Ihrer Gemeinde organisieren? Melden Sie sich bei Sima Mangtshang, Telefon 044 366 68 68, s.mangtshang@caritas-zuerich.ch.

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Persönlich

Antoinette Hunziker-Ebneter ist Geschäftsführerin und Gründungspartnerin der Forma Futura Invest AG, einer unabhängigen Vermögensverwaltungsgesellschaft mit Fokus auf Anlagen, die eine nachhaltige Lebensqualität fördern. Zuvor war sie in verschiedenen Finanzinstituten tätig, unter anderem als Vorsitzende der Schweizer Börse.

«Mit unseren Ressourcen verantwortungsbewusst umgehen» Was würden Ihre Nachbarn über Sie sagen? Ich habe meine Nachbarin direkt

gefragt und sie meinte, ich sei offen, liebenswürdig und habe keinen Gesellschaftsdünkel, da ich den Kontakt mit Menschen unterschiedlicher Herkunft suche und schätze. Das stimmt wohl. Wann sind Sie glücklich? Wenn ich

zum Glück meines Sohnes, meines Lebenspartners, meiner Mitarbeitenden und Geschäftspartner beitragen kann. Und wenn ich mir gesetzte Ziele erreichen kann, die einen Beitrag für eine bessere Lebensqualität leisten. Wie haben Sie das letzte Mal jemandem geholfen? Neulich mit einer Ein-

zahlung für die notleidenden Menschen in Pakistan. Es tut mir weh, diese Bilder zu sehen, und ich danke dem Herrgott, dass wir es hier so gut haben. Das sollten wir zu schätzen wissen.

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Warum braucht es Caritas? Caritas hilft

unbürokratisch und effizient im Ausland, aber auch im Inland. Das finde ich wichtig, denn wir haben auch in der Schweiz immer mehr Familien, die in der aktuellen wirtschaft lichen Lage in eine Notsituation rutschen, und hier kann Caritas Unterstützung leisten. Wofür lohnt es sich, zu streiten? Für

ein funktionierendes, friedliches Zusammenleben aller Menschen im Einklang mit der Natur.

träger Muhammad Yunus, und sich seit vielen Jahren für die Gleichberechtigung einsetzt. Sie hat als Erste im Rahmen von «Women’s World Banking» Mikrokredite an Frauen vergeben, die ein Geschäft aufbauen wollten. Somit werden die Frauen unabhängiger und bezahlen mit dem selbst verdienten Geld den Unterhalt der Familie und die Ausbildung der Kinder. Rosmarie Michel hat ihre Lebensaufgabe gefunden und setzt sie konsequent um, basierend auf ihren Werten. Das versuche ich auch.

immer mehr Menschen mit unseren Ressourcen, auch den finanziellen, verantwortungsbewusst umgehen wollen. Hier einen kleinen Beitrag leisten zu können, ist für mich eine Lebensaufgabe.

Von meinem Elternhaus. Ich habe mich mit 45 entschieden, diese Werte noch viel konsequenter zu leben, beruflich und privat, und habe darum «Forma Futura Invest» gegründet zusammen mit Partnern, welche die gleiche Wertebasis haben.

Eine für Sie bedeutende Person in Ihrem Umfeld? Die Zürcher Unterneh-

Welche Sünde begehen Sie mit Freude? Zu viele Süssigkeiten essen.

Was stimmt Sie zuversichtlich? Dass

merin Rosmarie Michel, die «Mikrofinanz» erfunden hat, noch vor dem Nobelpreis-

Woher stammen Ihre Werte?

Bild: zvg

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Caritas-Netz

«schulstart+»: Einmaleins für Eltern Das Caritas-Projekt «schulstart+» bringt jungen Müttern und Vätern mit Migrationshintergrund das Schweizer Schulsystem näher und unterstützt sie mit alltagsnahen Infos bei der Erziehung und Förderung ihrer Kleinkinder. Ein Integrationsprojekt mit Langzeitwirkung. tur – so, wie es die Eltern aus ihrer eigenen Kindheit oft gut kennen – viel mehr profitieren können. Nicht alle Schweizer Gepflogenheiten sind nachahmenswert.

Auch in der Schweiz erfolgreich in die Schulzeit starten ist für Migrantenfamilien besonders wichtig..

Ein Znüni? Nein, das kennt man in Eritrea nicht. Das Zvieri hingegen gibt’s auch im ostafrikanischen Vielvölkerstaat: meistens ein Stück Brot und eine Tasse Tee. Die Frauenrunde – eritreische Mütter, die eritreische Übersetzerin, die schweizerische Kursleiterin – lacht belustigt. Immer wieder finden sich Berührungspunkte zwischen dem Alltag in der Schweiz und dem Leben in Eritrea, und immer wieder finden sich Unterschiede. Wie Himmel und Erde sei das manchmal, sagt eine der Mütter auf Tigrinya, eine der Sprachen Eritreas. Wie Tag und Nacht, übersetzt die Dolmetscherin. Allseitiges Kopfnicken. Ein Elternbildungsprojekt Unterschiede benennen, Gemeinsamkeiten erkennen, Ressourcen stärken, Wissenslücken füllen, Wege aufzeigen, Fragen beantworten – um all das geht es in den zwischen vier und acht Nachmittage dauernden Kursen des Caritas-Projekts «schulstart+», das sich an Migrationsfamilien mit Kleinkindern wendet. «schulstart+» ist ein Text: Ursula Binggeli; Bild: Jiri Vurma

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Elternbildungs- und Frühförderungsprojekt; die drei im Zentrum stehenden Themenbereiche Familie, Freizeit/Gesellschaft und Schule decken ein breites Spektrum von Fragen ab, die sich jungen, mit der Schweiz noch nicht vertrauten Eltern stellen können. Ziel ist eine gute Vorbereitung auf den Kindergarten und die Schule – Kinder aus Migrationsfamilien sollen dieselben Chancen haben wie ihre einheimischen Kameraden. Alltagsnahe Wissensvermittlung In den Kursen von «schulstart+» geht es zum Teil um grosse Dinge wie die Struktur des Schulwesens, aber oft stehen ganz praktische Fragen im Zentrum. Zu wissen, dass das Kind ein Znüni in den Kindergarten mitnehmen soll und welche Nahrungsmittel in die Znünitasche gehören und welche nicht, ist wichtig. Genauso wichtig wie etwa das Wissen, dass der hierzulande verbreitete, ausgedehnte Fernsehkonsum nicht erstrebenswert ist für Kinder, sondern dass diese vom Herumtollen in der freien Na-

Das Beispiel Aargau Das Caritas-Projekt «schulstart+» gibt es bis jetzt in vier Kantonen: Freiburg, Graubünden, Zürich und Aargau. Im Aargau läuft es seit Anfang 2009; finanziell unterstützt wird es durch Swisslos Kanton Aargau, das Migrationsamt, die Fachstelle Integration und Beratung Kanton Aargau, das Bundesamt für Migration (BFM) und Schulen oder Integrationsorganisationen vor Ort. Bis jetzt sind Kurse mit albanischen, türkischen, tamilischen und eritreischen Eltern realisiert worden. Für die mit der Durchführung von «schulstart+» betrauten Mitarbeiterinnen Karin Knobel und Rebekka Wieland ist klar, dass das Verteilen von Flyern allein nicht ausreicht, um Mütter und Väter zu einer Kursteilnahme zu motivieren. Es braucht den persönlichen Kontakt – Telefonate, Mundpropaganda –, damit sich Eltern auf das Projekt einlassen. Karin Knobel und Rebekka Wieland ziehen eine positive Bilanz der ersten anderthalb Jahre. Eine der schönsten Rückmeldungen gab es von einer Schulleitung: Eine eritreische Familie habe sich noch vor Schuleintritt des Kindes im Schulhaus gemeldet und den Kontakt zum Team gesucht. Karin Knobel: «Mit ‹schulstart+› wollen wir Eltern unter anderem ermutigen, sich aktiv mit Kindergarten und Schule auseinanderzusetzen. Feedbacks dieser Art zeigen uns, dass wir auf dem richtigen Weg sind.» Informationen: www.caritas-fr.ch www.caritasgr.ch www.caritas-zuerich.ch/schulstart www.caritas-aargau.ch

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Caritas-Netz

«Meine Einstellung zum Tod hat sich geändert»

«Caritas-Markt – gesund!»

Caritas bildet Menschen aus, die Schwerkranke und Sterbende in der letzten Lebensphase begleiten. Wir sprachen mit Diana Cadruvi, die einen Kurs in Ilanz besucht hat.

In der reichen Schweiz haben nicht alle Menschen gleiche Chancen auf ein gesundes und langes Leben. Gerade im Bereich «Ernährung und Bewegung» zeigt sich: Armut macht krank.

Der Grundkurs «Sterben und Trauern» lehrt den Umgang mit dem Tod.

«Nachbarn»: Sie begleiten Menschen in sehr intimen Momenten. Was beschäftigt Sie dabei? Diana Cadruvi: Bis jetzt habe ich nur schöne Erlebnisse gehabt. Das tönt vielleicht etwas komisch. Aber die Menschen, die ich begleite, sind oft schwer krank und wünschen sich nichts anderes, als zuhause im Kreise ihrer Liebsten sterben zu können. Sie gehen gerne und strahlen eine tiefe Ruhe aus. Zum Beispiel der alte Mann, der schon tagelang nichts mehr zu sich genommen hatte, und mich noch um einen letzten Kafi-Schnaps bat. Er genoss ein paar Löffel davon. Am nächsten Tag ist er gestorben. Das nimmt einen natürlich mit, man muss sich abgrenzen können. Aber meine Einstellung zum Tod hat sich geändert: Die Angst ist weg. Warum haben Sie den Grundkurs «Begleitung in der letzten Lebensphase» besucht? Ich arbeite für die Spitex und komme dabei oft mit Menschen in Kontakt, die im

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Sterben liegen. Ihre Angehörigen kommen jeweils mit vielen Fragen auf mich zu. Ich wollte lernen, diesen Fragen professionell zu begegnen. Die Beispiele der anderen Kursteilnehmenden und die Erfahrung der Leiterin haben mir dabei geholfen. Welche Fragen beschäftigen die Angehörigen, wenn jemand im Sterben liegt? Oft habe ich das Gefühl, dass die Sterbenden spüren, wann es so weit ist. Sie essen und trinken nicht mehr. Die Angehörigen wollen dann wissen, wie lange es noch geht. Oder wie sie nun die Medikamente weiterhin verabreichen können. Manche Fragen können beantwortet werden, andere nicht. Ich versuche, für die Angehörigen ein offenes Ohr zu haben und sie da zu unterstützen, wo es mir möglich ist.

Über ein Drittel der Erwachsenen und ein Viertel der Kinder und Jugendlichen in der Schweiz sind übergewichtig – Personen mit tiefer Schulbildung rund dreimal so häufig wie Personen mit einem Hochschulabschluss. Denn bei knappem Budget fehlt oft das Geld für gesundes Essen: Nahrungsmittel mit hohem Fett- und Zuckergehalt sind billiger als Obst und Gemüse. Mit dem Projekt «Caritas-Markt – gesund!» leistet Caritas in Zusammenarbeit mit Gesundheitsförderung Schweiz einen innovativen Beitrag zur gesundheitlichen Chancengleichheit. In den Caritas-Märkten können Armutsbetroffene frisches Obst und Gemüse besonders günstig kaufen. Zusätzlich bietet der Caritas-Markt Informationen und preisgünstige Produkte an, um gesunde Ernährung und Bewegung im Alltag zu verankern. Das mehrjährige Projekt wird wissenschaft lich begleitet durch die Universität Bern. www.caritas-markt.ch www.gesundheitsfoerderung.ch

Das Kurs-Angebot finden Sie auf Seite 22 und auf www.caritas-zuerich.ch/fst.

Texte: Ariel Leuenberger, Adrian Wismann; Bilder: Urs Siegenthaler, Andreas Schwaiger; Collage rechts: Martin Blaser

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Schmales Budget, volles Programm dank der KulturLegi

Collage: Martin Blaser

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Hinweise

Gutes tun – auch nach dem Tod Hinterlassen Sie etwas Gutes, das über Ihr Leben hinaus Bestand hat. Die Armut der Eltern vererbt sich in den meisten Fällen an die Kinder weiter. Helfen Sie uns, dies zu verhindern, und berücksichtigen Sie Caritas Zürich mit einem Legat oder einer Schenkung. Denn Kinder tragen unser Erbe weiter, auch wenn wir einmal nicht mehr sind. Ein Legat an Caritas Zürich sichert einen wichtigen Teil der Finanzierung unserer Projekte. Es kann die Lebensperspektive einer von Armut betroffenen Familie grundlegend verändern und hilft so, über das Leben hinaus Gutes zu tun. Bestimmen Sie noch zu Lebzeiten selber, wem Ihr Vermächtnis zugute kommt. Nur so können Sie sicher sein, dass Ihr Geld im gewünschten Sinne eingesetzt wird. Beim Regeln des Nachlasses steht Ihnen der ehemalige Direktor der Caritas Zürich, Herr Guido Biberstein, gerne zur Verfügung. Kompetent und diskret beantwortet er Ihre Fragen und unterstützt Sie beim Aufsetzen Ihres Testaments. Guido Biberstein Ehem. Direktor Caritas Zürich Telefon 044 713 27 56 g.biberstein@bluewin.ch

State Street Foundation unterstützt Caritas-Markt Bereits zum vierten Mal hat die State Street Foundation den Caritas-Markt Oerlikon mit einem namhaften Betrag unterstützt. Anlässlich der Checkübergabe im August 2010 liessen sich eine Vertreterin und ein Vertreter der Stiftung direkt im Caritas-Markt zeigen, wie ihre Mittel verwendet werden. Dabei zeigten sie sich insbesondere von der Fachkompetenz des Ladenleiters und der attraktiven Gestaltung der Verkaufsräume beeindruckt. Caritas Zürich ist für die Ausübung ihrer Tätigkeit auf Beiträge von privaten Institutionen angewiesen. Diese beliefen sich im Jahr 2009 auf rund 5 Prozent der Gesamterträge.

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Veranstaltungen 5. Zürcher Armutsforum

«Eine Million Sterne»

«versteckt, verschämt, verdrängt – Selbstwertgefühl und Armutsbetroffenheit im reichen Zürich»

Ein Licht anzünden – ein Zeichen setzen. Unter diesem Motto organisiert Caritas jeweils im Dezember die Aktion «Eine Million Sterne». Überall in der Schweiz werden öffentliche Plätze, Treppen, Brücken etc. mit Kerzen illuminiert. Besuchen Sie uns! Samstag, 18. Dezember 2010 16.00 bis ca. 20.30 Uhr Zürich und Region www.caritas-zuerich.ch/ems

Wie sieht Armut bei uns aus? Was bedeutet sie für die Betroffenen? Wie können wir dazu beitragen, dass Arme ihr Selbstwertgefühl nicht ganz verlieren, und wie geben wir der sozialen Integration eine starke Stimme im Kanton? Unsere Sensibilisierungskampagne «Wir sind arm» zeigt die Armut im Kanton Zürich, Prof. Dr. Ueli Mäder spricht über den Einfluss von Armut auf das Selbstbewusstsein, und schliesslich stellen wir Ihnen unsere Ideen für eine «Plattform soziale Integration» vor. Weitere Informationen und Anmeldung auf unserer Webseite. Donnerstag, 28. Oktober 2010 8.30 bis 13.30 Uhr Technopark, Zürich www.caritas-zuerich.ch/armutsforum

«Armut bei uns» in Uster

Geschenk-Tausch-Aktion Alle Kinder zwischen drei und zehn Jahren sind eingeladen, an verschiedenen Sammelorten zwei gebrauchte, noch gut erhaltene Spielzeuge abzugeben. Jedes Kind erhält dafür einen Bon für ein anderes Spielzeug. Weil so jeweils ein Spielzeug übrig bleibt, erhalten Kinder aus armutsbetroffenen Familien einen Bon, auch wenn sie kein Spielzeug abgeben. Mitte Dezember findet dann in den Pfarreien vor Ort je ein grosser Geschenk-Tausch-Tag statt. Jedes Kind kann dann seinen Bon gegen ein «neues» Spielzeug eintauschen. 10. Nov. bis 15. Dez. 2010 Zürich, Embrach und Turbenthal www.geschenktauschaktion.ch

Mit der kath. Pfarrei St. Andreas veranstaltet Caritas Zürich vom 3. bis 10. Oktober 2010 unter dem Titel «Armut bei uns – sieben Tage, ein Thema» diverse Anlässe zum Thema Armut. Zudem wird in der Pfarrei St. Andreas eine Ausstellung zum Thema zu besichtigen sein. Weitere Informationen auf der Webseite. 19. bis 26. November 2010, Uster www.caritas-zuerich.ch/armutbeiuns

Grundkurs zur Sterbebegleitung Grundkurs für alle, die sich mit dem Thema «Sterben und Trauern» auseinandersetzen möchten oder jemanden in der letzten Lebensphase begleiten. Kurs in Zusammenarbeit mit der Paulus-Akademie. 26. Mai bis 8. September 2010 www.paulus-akademie.ch

Forum 2011: Ist Alterspflege Privatsache? Das Caritas-Forum 2011 nimmt die Lebensbedingungen der Menschen im vierten Lebensalter unter die Lupe und stellt Strategien für eine sozial gerechte Alterspflege vor. Freitag, 14. Januar 2011, 9.30 bis 14.30 Uhr, Kultur-Casino Bern. Anmeldung und Detailprogramm: www.caritas.ch

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Gedankenstrich

Doris Leuthard

Menschen brauchen Perspektiven. Armut stigmatisiert und grenzt aus; Armut kann Individuen, Familien und damit letztlich die Gesellschaft schwer beeinträchtigen: Deshalb sind wir verpflichtet, alles daran zu setzen, damit auch in einem reichen Land wie der Schweiz alle Menschen ein ihren Fähigkeiten, ihren Möglichkeiten und ihrem Einsatz entsprechendes Auskommen finden. Wir alle müssen uns – und zwar nicht nur im «Europäischen Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung» – darum bemühen, dass durch eine gute Grund- und Ausbildung der Weg für ein würdiges Leben eröff net wird. Menschen brauchen Perspektiven und Orientierung. Die spontane Spende und der freiwillige Dienst sind zwar ganz wichtig, aber sie reichen nicht aus. Wir müssen den Menschen vor allem die Fähigkeit und die Mittel geben, aus eigener Kraft Armut zu vermeiden oder sie selber zu überwinden. Die Grundlage dafür sind Bildung und Arbeit. Mit seiner Strategie zur Armutsbekämpfung will der Bundesrat darum die Chancengleichheit im Bildungsbereich fördern, die Massnahmen zur Reintegration in den Arbeitsmarkt verbessern und die Familienarmut bekämpfen. «Die Stärke des Volkes misst sich am Wohle der Schwachen», so steht es in unserer Verfassung. Das soll unsere Leitschnur im Kampf gegen die Armut sein. Doris Leuthard, Bundespräsidentin Ende März 2010 hat der Bundesrat einen Armutsbericht präsentiert. Damit bekennt er sich zu seiner Aufgabe, Armut und soziale Ausgrenzung zu bekämpfen. Zu finden ist der Bericht unter www.news.admin.ch/message/index. html?lang=de&msg-id=32457 Anlässlich des «Europäischen Jahrs zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung 2010» hat Caritas die Kampagne «Armut halbieren» gestartet: www.armut-halbieren.ch

Bild: zvg

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Besuchen Sie am 18. Dezember 2010 «Eine Million Sterne» in Zürich und Region. Alle Veranstaltungsorte unter www.caritas-zuerich.ch

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Diese Sterne bringen Licht in die Herzen. Mit dem Kauf der Caritas-Glassterne unterstützen Sie Menschen in Not und werden Teil der Solidaritätsaktion «Eine Million Sterne».

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Erhältlich unter www.caritas.ch/shop oder bei Ihrer Regionalen Caritasstelle.

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