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Z체rich

Nr. 1 / 2014

Nachbarn

Trotz Arbeit kaum Perspektiven Eine Mutter erz채hlt, warum sie trotz Arbeit in Armut lebt. Sie ist eine von rund 130 000 Working Poor in der Schweiz.


Inhalt

Inhalt Editorial

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von Max Elmiger

Direktor Caritas Zürich Kurz & bündig

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News aus dem Caritas-Netz 1961

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Feierabend in der neuen Fabrik

Wie eine Faser das Arbeitsleben verändert. Persönlich

Mutter Livia arbeitet 70 Prozent. «Auch wenn Luca nun schon zwölf ist, möchte ich ihn am Abend nicht alleine daheim lassen.»

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«Auf was würden Sie verzichten, wenn Sie deutlich weniger verdienen würden?»

Sechs Antworten Schwerpunkt

Trotz Arbeit kaum Perspektiven Erwerbstätig und arm – für rund 130 000 Working Poor harte Realität. Das Budget reicht nur fürs Nötigste, bei unvorhergesehenen Kosten ist guter Rat teuer. Eine alleinerziehende Mutter und ihr Sohn geben Einblick in ihren Alltag, der von Geldknappheit, aber auch von grossen kleinen Freuden geprägt ist. Wie hilft Caritas? Direkt mit Beratung und Projekten, aber auch mit Forderungen an die Politik.

Caritas Zürich

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«Der Teig muss schlafen»

Ein Vormittag im Deutschkurs für Anfängerinnen und Anfänger.

Neu eingekleidet

Dashne und Georgina sind jung und lieben secondhand! Wir haben sie neu eingekleidet.

«Grüezi. Ich bin Fahrender.»

Was der Fachbereich Fahrende macht.

News von Caritas Zürich

20 Caritas-Märkte

Gesundes Essen darf kein Luxus sein. Eine Spenderin erzählt.

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Kiosk

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Ihre Frage an uns Gedankenstrich

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Kolumne von Paul Steinmann

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Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser Armut ist ein moralisches Minenfeld: Arme sind an der Armut selber schuld. Auch der Begriff «Working Poor», «arbeitende Arme», bewertet sie moralisch. In meinen Vorträgen über Armut darf ich feststellen, dass der Begriff «Working Poor» meistens vertraut ist. Er bewertet die «moralisch anerkannten» Armen. Sie arbeiten zwar hart wie alle anderen «Arbeit schützt Erwerbstätigen; Arbeit ist unser gevor Armut nicht.» meinsames Glück. Den Working Poor reicht der Lohn jedoch nicht bis zum Monatsende; ihr Pech. Mit dem Begriff «Working Poor» haben wir eine gesellschaftlich anerkannte Etikette für das Übel. Die eigentliche Krankheit wurde kaum angepackt. Ein Heilmittel wäre die Mindestlohninitiative, aber wegen der – angeblich schädlichen – Nebenwirkungen wird sie es schwer haben vor dem Souverän. Die Biografien der Working Poor gleichen sich: wenig Bildungschancen, prekäre Arbeitsverhältnisse, etwa im Gastro- oder Reinigungsbereich, unregelmässige Einsätze auf Abruf. Das Heilmittel wird dem Einzelnen verschrieben: «Bilde dich weiter, dann hast du Chancen!» Mit dieser Arznei lasten wir die Schuld dem Einzelnen an, wir isolieren ihn. Dabei gibt es ein strukturelles Problem: «Unqualifizierte» Arbeit ist zu wenig wert; die Löhne sind in gewissen Sektoren schlichtweg zu tief. Wie war das doch gleich mit der «selbst verschuldeten Armut»? Erinnern wir uns bitte daran, wenn wir in die Versuchung geraten, Arme moralisch zu bewerten.

Herzlich,

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Max Elmiger Direktor Caritas Zürich

«Nachbarn», das Magazin der regionalen Caritas-Stellen, erscheint zweimal jährlich. Gesamtauflage: 36 740 Ex. Auflage ZH: 14 000 Ex. Redaktion: Ariel Leuenberger, Sima Mangtshang Gestaltung und Produktion: Urs Odermatt, Milena Würth, Sima Mangtshang Druck: Stämpfli Publikationen AG, Bern Caritas Zürich Beckenhofstrasse 16 8021 Zürich Tel. 044 366 68 68 www.caritas-zuerich.ch PC 80-12569-0

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Kurz & bündig

Neue Patientenverfügung

Im Alter gut vorsorgen Caritas bietet seit vielen Jahren eine Patientenverfügung an. Nun hat sie diese neu aufgelegt und mit dem Vorsorgeauftrag ergänzt. Mit der Einführung des neuen Erwachsenenschutzgesetzes Anfang 2013 ist die Patientenverfügung rechtsverbindlich geworden. Für Caritas war dies Anlass, ihr Angebot zu überarbeiten. Gleichzeitig bietet Caritas neu einen Vorsorgeauftrag an. Denn viele Menschen wollen selber bestimmen, was mit ihnen geschieht, wenn sie nicht mehr in der Lage sind, zu entscheiden. Aus Rücksicht auf die ihnen Nahestehenden werden sie aktiv und füllen Vorsorgedokumente aus.

Die vierteilige Vorsorgemappe kostet

28 Franken

Patientenverfügung und Vorsorgeauftrag sind gute Instrumente, mit denen man sich für alle Fälle wappnen kann. Sie sind bei Caritas einzeln erhältlich, können aber auch in einer Vorsorgemappe zusammen mit einer Broschüre zur «Regelung der letzten Dinge» sowie einem Testaments-Schreibheft bezogen werden. www.caritas.ch/vorsorge

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Neues Angebot zur Schuldenprävention

Budget auf dem Handy Damit Jugendliche und junge Erwachsene ihr Budget besser im Griff haben, hat Caritas die Smartphone-App «Caritas My Money» entwickelt. Unsere Gesellschaft ist heute stärker auf Konsum ausgerichtet. Die Anforderungen an einen kompetenten Umgang mit Geld, Konsum und Schulden sind höher als früher. Dies gilt insbesondere für Jugendliche und junge Erwachsene, weil sie häufig noch wenig Erfahrungen im Umgang mit Geld haben. Mit unserer neuen App «Caritas My Money» für Smartphones haben Jugendliche und junge Erwachsene jederzeit den Überblick über ihre Finanzen und wissen, was noch möglich ist und was nicht. Eltern, Lehrpersonen, Berufsbildende, Jugend- und Sozialarbeitende sollen die jungen Leute über die App informieren. Die App wurde gemeinsam mit Personen aus den Bereichen Bildung und Schuldenprävention sowie Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Unterstützung der Julius Bär Foundation, des Vereins Plan B und der Fabware GmbH entwickelt. Seit März 2014 steht die App kostenlos zum Download bereit, für iOS und Android. www.caritas.ch/app

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Kurz & bündig

Armutsbetroffene erzählen

Wohnen ohne Geld

NEWS Mobiler Caritas-Markt in Basel

Leute, die mit wenig Geld eine Wohnung suchen, erzählten ihre eindrücklichen Geschichten in einer Schreibwerkstatt von Caritas Zürich. Alle Menschen haben ihre ganz eigenen Erfahrungen mit dem Wohnen, doch darüber schreiben tun nur wenige. Meistens sind es jene, die finanziell abgesichert sind. Die Caritas Zürich hat Anfang Jahr Armutsbetroffene eingeladen, über das Thema «Wohnen ohne Geld» zu schreiben. «Ich habe mir angewöhnt, die Enttäuschung vorwegzunehmen. Es ist dann leichter zu ertragen, wenn es wieder nichts wird mit einem Dach über dem Kopf», berichtet Anita. Und ein Zugezügelter erzählt: «In den ersten sechs Monaten hier im Kanton bin ich fünfmal umgezogen. Auch mein nächstes Zimmer ist nur für acht Wochen zur Untermiete.» Eine Zürcherin muss sich verstecken: «Für das Mietzinsdepot habe ich mich verschuldet. Mein Vermieter weiss nicht, dass ich ergänzend vom Sozialamt unterstützt werde. Meine Nachbarn auch nicht. Ich führe ein Doppelleben.» Die Geschichten, eingebettet in Hintergrundtexte zum Wohnen und zum Schreiben in schwierigen Situationen, können Sie jetzt bei uns bestellen. www.caritas-zuerich.ch/schreibwerkstatt

Mit zwei mobilen Caritas-Märkten bedient die Caritas beider Basel neu auch Armutsbetroffene auf dem Land. Die beiden rollenden Läden stehen jeweils für einen Tag in den Gemeinden rund um Basel. Das Pilotprojekt kam nur dank der Unterstützung von zahlreichen Partnern zustande und startet im Frühling in Allschwil.

20 Jahre Caritas-Markt St. Gallen Der Caritas-Markt St. Gallen feiert dieses Jahr das 20-jährige Bestehen. Am Samstag, 10. Mai, wird deshalb ein Tag der offenen Tür mit einigen Attraktionen durchgeführt. Der Laden wird seit fünf Jahren von Karina Barp mit gegen 30 Freiwilligen geführt. Täglich kaufen durchschnittlich 160 Menschen mit wenig Einkommen ein. Etwa die Hälfte der Kunden sind Schweizer.

KulturLegi im Aargau gratis Auch im Aargau ist die KulturLegi gratis – seit dem 1. April 2014. Bis anhin war die Karte nur im ersten Jahr kostenlos. Damit mehr Menschen mit wenig Einkommen von stark vergünstigten Kultur-, Bildungsund Sportangeboten profitieren können, verzichtet Caritas Aargau auf die Erhebung einer Nutzungsgebühr. Schweizweit gibt es weit über 1 500 Angebotspartner, die Vergünstigungen gewähren.

Neu in Burgdorf und Zollikofen Auch in der Stadt Burgdorf und in der Gemeinde Zollikofen können Menschen mit wenig Geld nun die KulturLegi beantragen. Damit führen im Kanton Bern 18 Gemeinden die KulturLegi. Bis 2015 sollen mindestens zehn weitere Gemeinden dazukommen – damit möglichst viele Einwohnerinnen und Einwohner am gesellschaftlichen Leben teilhaben können.

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Rubrik

Haben das Tr채umen nicht verlernt, auch wenn sie schon lange in ihrer eigenen Welt leben: Mutter Livia mit Sohn Luca.

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Schwerpunkt

«Was wir wirklich brauchen und was nicht» Erwerbstätig und arm – für viele Alleinerziehende harte Realität. Das Budget reicht nur fürs Nötigste, bei unvorhergesehenen Kosten ist guter Rat teuer. Livia Roth* und ihr Sohn Luca* geben Einblick in ihren Alltag, der von Geldknappheit, aber auch von grossen kleinen Freuden geprägt ist. Text: Ursula Binggeli Bilder: Conradin Frei

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n Monaten, in denen sich die Geldprobleme zuspitzen, ist Livia Roth* jeweils froh, dass ihr Sohn am Schüler-Mittagstisch täglich eine warme Mahlzeit bekommt. Denn so reicht am Abend hin und wieder auch ein Teller Cornflakes. In solchen Phasen sagt sie sich jeweils: «Nichts währt ewig» – auch die harten Zeiten nicht. Selbst der schlimmste Monat hat höchstens 31 Tage, und wenn Ende Monat der Lohn eintrifft, ist der aktuelle Engpass vorbei.

Die Kunst, mit wenig Geld auszukommen Rechnen muss Livia Roth aber rund ums Jahr: Ihr monatliches Einkommen beträgt knapp 3 500 Franken. Seit zehn Jahren lebt sie mit ihrem Sohn Luca* alleine. Die 32-Jährige hat neben der Kinderbetreuung immer gearbeitet, zuerst 30 Prozent, dann mehr. Die ersten Jahre stockte die Sozialhilfe das Einkommen aufs Existenzminimum auf.

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Vor längerer Zeit hat Livia Roth, die heute 70 Prozent arbeitet, sich von der staatlichen Unterstützung ablösen können. Sie beherrscht die Kunst, mit wenig Geld auszukommen, mittlerweile so gut, dass sie ihre wirtschaftliche Situation im Alltag manchmal einfach ausblenden kann. Im Normalfall, wenn nichts Aussergewöhnliches eintrete, funktioniere ihr Budget, sagt sie. Livia Roth hat ein gutes Auge für Aktionen und Schnäppchen – sei es im Lebensmittelgeschäft oder im Kleiderladen. Und wenn sie unbedingt etwas haben möchte, das nicht wirklich notwendig ist, wartet sie mit Kaufen jeweils noch ein bisschen zu. «Denn ich habe gemerkt, dass manche Wünsche schon zwei Wochen später nicht mehr relevant sind.»

Hohes Armutsrisiko für alleinerziehende Mütter Livia Roths Einkommen bewegt sich an der vom Bundesamt für Statistik definierten Armutsgren-

ze. Damit ist sie bei weitem nicht alleine. Mehr als ein Drittel der Armutsbetroffenen in der Schweiz sind Familien, wobei Alleinerziehende überdurchschnittlich vertreten sind. Mehr als vier Fünftel von Letzteren sind Frauen. Insgesamt müssen rund 130 000 Personen in der Schweiz trotz Erwerbsarbeit mit so wenig Geld über die Runden kommen, dass sie als arm gelten. Das Bundesamt für Statistik hält auf seiner Website dazu fest: «Ein grosser Teil der Alleinerziehenden gerät in wirtschaftliche Schwierigkeiten, weil Erwerbsarbeit und Betreuung der Kinder die Kräfte und Möglichkeiten einer Person übersteigen.» Auch Livia Roth hat sich schon überlegt, ihr 70-Prozent-Pensum aufzustocken oder einen Zusatzjob zu suchen, dem sie abends nachgehen könnte. Aber: «Auch wenn Luca nun schon zwölf ist, möchte ich doch weiterhin Zeit für ihn haben und ihn am Abend nicht alleine daheim lassen. Zudem fehlt mir

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Schwerpunkt

«Es ist manchmal schon etwas doof, wenn man nicht so viel machen kann, wie man möchte», meint Luca. Er freut sich aber, dass er ab Sommer in die Kanti gehen kann.

ganz einfach die Energie, um mehr zu arbeiten als bisher, auch weil die Arbeitszeiten bei meinem aktuellen Job sehr unregelmässig sind.»

Lösungen finden Das vergangene Jahr war schwierig und zehrte an Livia Roths Kräften. Sie musste sich notfallmässig operieren lassen, und eine aufwendige zahnärztliche Behandlung liess sich nicht länger aufschieben. Aber wie diese finanzieren? Bislang hatte sie immer alle Rechnungen bezahlen können, sie lebte betreibungsund schuldenfrei. Aber nun wusste sie weder ein noch aus. Schliesslich wandte sie sich mit ihrem Problem an die Caritas, die daraufhin zwei Drittel der Zahnarztkosten übernahm – eine riesige Erleichterung für Livia Roth. Dennoch: Das letzte Jahr hinterliess Spuren. «Ich fühle mich nach wie vor reduziert. Nun suche ich meinen Weg zurück in die Normalität.»

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Freuden geniessen können Zur Normalität gehört neben dem knappen Budget auch viel Schönes. Da sind Verwandte und Freundinnen, die ein tragfähiges Unterstützungsnetz bilden. «Sie greifen mir nicht finanziell unter die Arme – Geld und Freundschaft, das muss man trennen –, sondern indem sie uns regelmässig zum Essen einladen oder Kleider, aus denen ihre Kinder herausgewachsen sind, an Luca weitergeben. Auch viele unserer Möbel standen früher in den Wohnungen von Bekannten.» Freude machen Mutter und Sohn auch gemeinsame Unternehmungen. Livia Roth ist gerne in Bewegung und neugierig auf ihr unbekannte Orte und Landschaften. Luca ist jeweils gerne dabei. Auf Wanderungen machen sie beim Picknick ein Feuer und braten Würste. «Da sitzen wir dann zu zweit im Wald und sind rundum zufrieden.» Manchmal machen sie

Reisen in die nähere Umgebung. Denn: «Man kann auch mit dem Regionalbus schöne Orte erkunden.» Sie sind auch schon zwei Tage mit den Velos dem Ufer des nahen Sees entlanggefahren, verbunden mit Übernachten im Stroh.

Über Geld reden Ihrem Sohn hat Livia Roth lange nicht von der finanziellen Lage erzählt. «Mir war es wichtig, ihn nicht zu früh damit zu belasten.» Wenn er in einem Laden etwas sah, das ihm gefiel, aber zu teuer war, sagte sie nie: «Das können wir uns nicht leisten», sondern immer: «Ich möchte nicht, dass wir das kaufen.» Erst seit zwei Jahren spricht Livia Roth mit Luca über Budgetfragen, auch damit er sich erklären kann, weshalb er in materiellen Dingen nicht immer mit seinen Schulkollegen mithalten kann. Er selber sagt zum Thema Geld: «Es ist manchmal schon etwas doof, wenn man

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nicht so viel machen kann, wie man möchte. Aber meine Mutter und ich reden dann zusammen und überlegen uns, wie wir es besser machen könnten – und was wir wirklich brauchen und was nicht.» Momentan freut er sich gerade riesig, dass er ab dem neuen Schuljahr die Kanti besuchen kann. Auch für Livia Roth ist das eine grosse Genugtuung. «So ein Schulerfolg ist etwas, was die Öffentlichkeit Kindern von Alleinerziehenden oft weniger zutraut.»

Das Träumen nicht verlernen Wenn Livia Roth aufzählt, was sie sich für die Zukunft wünscht, stehen keine Konsumgüter auf der Liste. Gesundheit rangiert zuoberst, gefolgt von einer Wohnung, in der ihre beiden Katzen selbständig ein und aus gehen können. Träumen sei etwas Wichtiges, das man nicht aufgeben dürfe, sagt sie. Deshalb denkt sie manchmal auch daran, wie es wäre, wenn wieder ein Mann in ihr Leben treten würde. «Ich lebe nun schon lange mit Luca in unserer eigenen Welt und habe mit der Alltagsbewältigung so viel zu tun, dass ich gar nicht dazu komme, mich gross mit dem Thema zu beschäftigen.» Aber schön wäre es schon, wieder einen Partner zu haben. Neben den grossen gibt es jedoch auch die kleinen Träume, die sich einfacher realisieren lassen. Livia Roth, die so gerne unterwegs ist und es geniesst, Fahrtwind um die Ohren zu haben, schafft sich im Alltag bewusst immer wieder solche Momente. So fährt sie wenn immer möglich mit dem Velo zur Arbeit. Sie radelt dann frühmorgens durch die Gegend, guckt in die Welt und geniesst jede Sekunde davon. «Wenn ich dann am Arbeitsort ankomme, geht es mir immer richtig gut.» * Namen geändert

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fairE LöhNE ZahLEN Arm trotz Arbeit – warum gibt es das in der Schweiz? Noch immer haben wir in der reichen Schweiz zu viele Working Poor. Sie arbeiten, aber sie können nicht von ihrer Erwerbsarbeit leben – sie sind arm. Zusammen mit ihren Angehörigen sind 278 000 Personen betroffen. Erst seit einem Jahrzehnt ist diese Gruppe ins Zentrum von Untersuchungen gerückt. Eine Studie des Bundesamts für Statistik zeigte im Jahr 2004 deutlich auf: Als arm gelten nicht mehr nur Arbeitslose und Erwerbsunfähige. Es gibt keine Gewissheit mehr, dass Arbeit vor Armut schützt. Prekäre Arbeitsverhältnisse, befristete Verträge, Arbeit auf Abruf und Tieflöhne zwingen zu mehreren Tätigkeiten oder zum Gang aufs Sozialamt. Dies darf nicht sein. Was müsste getan werden, dass alle Menschen von ihrer Arbeit auch leben können? Auch wenn die Zahl der Working Poor gegenüber dem Jahr 2004 abgenommen hat, dürfen wir nicht auf halbem Wege stehen bleiben. Zwar haben wir heute weniger Working Poor als vor zehn Jahren, vergleicht man die letzten Jahre, so steigt die Zahl jedoch wieder. Dass dies in einer Zeit des wirtschaftlichen Wachstums geschieht, ist ein Alarmzeichen. Im Kampf gegen das Phänomen Working Poor müssen wir auf verschiedenen Ebenen ansetzen. Arbeitgeber müssen faire Arbeitsbedingungen bieten, existenzsichernde Löhne zahlen und ihren Arbeitnehmenden regelmässig Weiterbildungen gewähren. Zu den Working Poor zählen überdurchschnittlich viele Arbeitnehmende mit geringer Bildung. Dass bei den Arbeitsbedingungen zurzeit viel Spielraum besteht, haben jüngst einige Grossverteiler gezeigt, die dem Druck nach Mindestlöhnen nachgegeben und ihre Bedingungen beträchtlich verbessert haben. Damit ein existenzsicherndes Einkommen erzielt werden kann, muss das Angebot an familienexterner Betreuung weiter ausgebaut werden. Der Ausbau der frühen Förderung für die Kleinen ist ein gesetztes Steinchen auf dem weiteren Bildungsweg: Auf diese Weise sollen es die Kinder schaffen, nicht in die gleiche prekäre Situation zu geraten wie die Eltern.

«Es gibt keine Gewissheit mehr, dass Arbeit vor Armut schützt.»

Marianne Hochuli Leiterin des Bereichs Grundlagen bei Caritas Schweiz

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Schwerpunkt

Arm trotz Erwerbsarbeit Rund 130 000 Personen in der Schweiz zählen zu den Working Poor. Caritas hilft direkt und setzt sich für bessere Bedingungen ein. Text: Marianne Hochuli Illustration: Anna Sommer

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ls Working Poor gilt, wer trotz Erwerbstätigkeit seine Existenz nicht sichern kann: Menschen, die arbeiten und trotzdem unter der Armutsgrenze leben. Die Armutsgrenze orientiert sich an den Richtlinien der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe: Im gesamtschweizerischen Durchschnitt gelten Einzelpersonen als arm, wenn sie weniger als 2 450 Franken pro Monat zur Verfügung haben. Für Alleinerziehende mit einem Kind liegt die Grenze bei 3 450 und für eine Familie mit zwei Kindern bei 4 600 Franken.

Prekäre Bedingungen Wer zu den Working Poor zählt, arbeitet oft unter prekären Bedingungen. Caritas hilft betroffenen Personen direkt mit Sozial- und Schuldenberatung. Gemeinsam wird die persönliche Situation analysiert, um Wege zur Verbes-

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serung zu entwickeln. Das kann beispielsweise heissen, bestehende Schulden – teilweise über mehrere Jahre – zurückzuzahlen. Ausserdem bietet Caritas mit der KulturLegi vergünstigte Angebote im Bereich «Bildung, Kultur und Freizeit» sowie günstige Einkaufsmöglichkeiten für Lebensmittel im Caritas-Markt.

Die Politik ist gefordert Doch um das Problem prekärer Lebenslagen wirkungsvoll angehen zu können, braucht es neben existenzsichernden Löhnen auch arbeitsmarktpolitische sowie familien- und gleichstellungspolitische Massnahmen. Dazu zählen ein besserer Schutz vor Arbeit auf Abruf, die Steuerbefreiung des Existenzminimums oder Familienergänzungsleistungen. Auch dafür setzt sich Caritas ein.

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Schwerpunkt

Zahlen und Entwicklungen Seit wenigen Jahren erst publiziert das Bundesamt für Statistik die SILC-Statistik («Statistics on income and living conditions»). Diese beinhaltet auch Analysen zur Situation der Working Poor. Gemäss neusten Zahlen waren im Jahr 2011 3,7 Prozent der Erwerbsbevölkerung oder rund 130 000 Personen in der Schweiz von Armut betroffen. Das ist fast ein Viertel der insgesamt 580 000 Armutsbetroffenen. Besonders gefährdet sind Erwerbstätige ohne nachobligatorische Ausbildung, Alleinerziehende, nicht ganzjährig Erwerbstätige sowie Personen, die im Gastgewerbe arbeiten. Keine Entwarnung Zwischen 2007 und 2010 ist die Zahl der Working Poor stetig gesunken – wegen der guten Wirtschaftslage, Erfolgen der Gewerkschaften bei der Festlegung von Mindestlöhnen sowie Massnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Die neuste Statistik zeigt allerdings wieder einen Anstieg. Verantwortlich hierfür sind unter anderem Kostensteigerungen beim Wohnen, bei der Mobilität und der Gesundheit. Die nach wie vor hohe Quote von Working Poor ist auch deshalb so beunruhigend, weil viele nicht nur zu Tieflöhnen arbeiten, sondern auch in prekären Arbeitsbedingungen angestellt sind. Arbeit auf Abruf und befristete Arbeitsverhältnisse sind im Tieflohnbereich keine Seltenheit. Von Entwarnung kann deshalb keine Rede sein.

Links und Publikationen Sozialalmanach 2014: «Unter einem Dach» Der Sozialalmanach nimmt jährlich die soziale und wirtschaftliche Entwicklung in der Schweiz unter die Lupe. Der Schwerpunktteil «Unter einem Dach» widmet sich in der neuesten Ausgabe der schweizerischen Raum- und Wohnpolitik. Die Beiträge in diesem Teil beleuchten die Mechanismen des Immobilienmarktes und analysieren sie darauf hin, inwiefern sie die soziale Gerechtigkeit untergraben. www.caritas.ch/sozialalmanach

Neues Handbuch «Armut in der Schweiz»: Anfang Sommer 2014 veröffentlicht Caritas Schweiz das neue Handbuch «Armut in der Schweiz». Dieses gibt einen aktuellen Gesamtüberblick über die Armut in der Schweiz: aktuelle Zahlen sowie neue Entwicklungen wie das nationale Programm zur Prävention und Bekämpfung von Armut oder die Diskussionen um ein Rahmengesetz zur Sozialhilfe. www.caritas.ch/handbuch-armut

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Armutsquote Gesamtbevölkerung

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Armutsquoten in Prozent der Gesamtbevölkerung, Quelle: Bundesamt für Statistik (BFS).

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Feierabend in der neuen Fabrik In den 50er-Jahren entstand in Emmenbrücke eine neue Fabrik für Nylon. Die Produktion der neuen Faser revolutionierte die Textilbranche; sie war sauber und verlangte andere Arbeitsabläufe, aber immer noch viele arbeitende Hände. An den Maschinen der Textilfabrik standen auch viele Frauen. Nach Betriebsschluss freuen sie sich auf den Feierabend, die neuen Hemden waren schliesslich bügelfrei und erschwinglich. Bild: Staatsarchiv Luzern, Rhodia


Persönlich

«Auf was könnten Sie verzichten, wenn Sie deutlich weniger verdienen würden?» Antworten von Passantinnen und Passanten aus der Deutschschweiz.

Anja Eggenberger, Praktikantin, Oberriet: Ich muss mit meinem Praktikantinnenlohn schon einteilen und kann mir nicht sehr viel leisten. Mein Glück ist, dass ich noch zuhause wohnen kann und nichts abgeben muss. Wenn ich auf die Hälfte meines Lohns verzichten müsste, lägen Kleider, Ausgang und sonstiges nicht mehr drin.

Josef Kamber, Physiotherapeut, Ennetbürgen: Als Erstes würde ich mein Motorrad verkaufen. Weiter könnte ich Ferien kürzen oder gar streichen, ganz besonders die Skiferien. Bedenkt man, wie viel so ein Skitag kostet mit Ausrüstung, Billett und Verpflegung. Wenn es dann immer noch nicht reicht, könnte ich auch aufs Auto verzichten. Das wäre aber eine ziemlich grosse Umstellung.

Katarzyna Landis, Molekularbiologin, Aarau: Ich habe jetzt weniger Geld zur Verfügung als vorher. Darum spare ich beim Kleiderkauf. Die Einkaufsbummel mit einer Freundin machten zwar Spass, gingen aber auch schnell ins Geld. Ich habe gemerkt, dass mir nichts fehlt, wenn ich die Kleider länger trage. Worauf ich nicht verzichten möchte, sind gute, gesunde Lebensmittel, am liebsten in Bio-Qualität. Die sind mir wichtig.

Hanuar Lopez, Sportlehrer, Zürich: «Ich wohne mit meiner Familie in der Stadt. Das könnte ich mir wohl nicht mehr leisten, denn die Mieten hier sind hoch. Auch die jährliche Reise zu meinen Verwandten in Costa Rica würde nicht mehr drinliegen. Meine Kindheit war geprägt von der Sorge ums Geld, denn meine Eltern sind arm. Darum würde ich bei meinen Kindern sicher nicht sparen.»

Linus Murbach, Primarlehrer, Kreuzlingen: Ich bin erst vor kurzem ins Berufsleben eingestiegen und lebte bis dahin nur mit einem Bruchteil meines jetzigen Gehalts. Um die Frage umzudrehen: Wofür ich jetzt mehr Geld ausgebe – das sind Kleinigkeiten und Servicedienstleistungen, ein Brezel am Bahnhof, ein feines Mittagessen im Restaurant. Auch geniesse ich die Freiheit, vor einem grösseren Einkauf nicht zuerst meinen Kontostand abfragen zu müssen. Das würde sich wieder ändern, wenn ich weniger Geld hätte.

Verena Steiner, pensionierte Sozialarbeiterin, Ittigen: Ich würde eine kleinere und billigere Wohnung suchen. Auch würde ich auf einige meiner Hobbys verzichten wie teure Tai-ChiSeminare. Ferner würde ich von Theaterbesuchen absehen und nur noch die allernötigsten Kleider kaufen. Im Garten würde ich die Bäume und Sträucher selber schneiden, um die Kosten des Gärtners einzusparen.

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«Der Teig muss schlafen» Wöchentlich büffeln 220 Frauen und Männer in einem der 29 URAT-Deutschkurse im Kanton Zürich. Ein Besuch im Kurs für Anfängerinnen und Anfänger bei der freiwilligen Kursleiterin Barbara Oehler. Text: Sima Mangtshang Bilder: Urs Siegenthaler, Christoph Wider

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thiopien, Afghanistan, Indien, Iran, Italien, Libanon und Nepal: Aus diesen sieben Ländern stammen die Frauen und Männer, die derzeit gemeinsam den URAT-Deutschkurs in Zürich besuchen. Der Jüngste in der Gruppe ist Amon, 18, aus Afghanistan. Vor ein paar Monaten kam er als Flüchtling in die Schweiz. Seine Familie musste er zurücklassen. Die einzelnen Schicksale berühren. Jeder hier hat seine eigene Geschichte, die im Heimatland beginnt und jetzt in der Schweiz ein neues Kapitel erhält. Dazu gehört auch der URAT-Deutschkurs,

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den die Teilnehmenden einmal die Woche besuchen. Der Älteste ist Mehrzad, zirka 60 Jahre alt. Er weiss es selber nicht so genau – oder möchte es mir vielleicht auch nicht verraten. Mehrzad kommt aus dem Iran, seine Muttersprache ist Persisch, und er lernt nun Deutsch. Und das tut er sehr motiviert. Er ist ein aufgestellter älterer Herr, das Haar ganz weiss, und bringt die Jüngeren in der Gruppe immer wieder zum Lachen. Auch er ist in die Schweiz geflüchtet. So unterschiedlich wie Herkunft und Alter der Teilnehmenden ist auch ihr Bildungsstand. Omid, 30, aus

dem Libanon, ist verheiratet mit einer Schweizerin. Er verfügt über einen Master in Medizin. Er lernt sehr rasch und wird bald mit einem Deutsch-Intensivkurs starten können. Sein Ziel ist es, bald eine gute Arbeitsstelle zu finden.

«Woher kommen Sie?» Bei der ersten Übung lernen die Teilnehmenden, sich mit Vornamen, Namen, Alter, Wohnort, Nationalität etc. vorzustellen. Diese Übung machen sie häufig zum Einstieg. «Bis es richtig sitzt», lächelt mich die Kursleiterin an. «Woher kommen Sie?», fragt sie denn auch

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freundlich jeden in der Runde. Für mich sind die Antworten der Teilnehmenden besonders spannend, da ich zum ersten Mal in diesem Kurs auf Besuch bin. Auch ich stelle mich kurz vor. Freiwillige im Einsatz Geleitet werden die Kurse von Freiwilligen. Barbara Oehler ist eine von ihnen. Sie unterrichtet seit vier Jahren. Mit grossem persönlichem Engagement, Humor und Geduld. Heute sehe eine Lektion bei ihr ganz anders aus als noch zu Beginn ihres Einsatzes. Den Unterricht ergänzt sie gerne mit praktischen Übungen und Spielen. «Das Lernen der neuen Sprache soll Spass machen.» Die grösste Herausforderung als Lehrperson ist, dass die Teilnehmenden ganz unterschiedliche Vorkenntnisse mitbringen. Manche haben studiert, andere haben einen Berufsabschluss, viele nicht einmal einen Schulabschluss. Für sie ist es besonders schwer, Deutsch zu lernen. Hinzu kommen die verschiedenen Kulturen und die persönliche Geschichte, die jeder mit sich trägt.

Mehr als ein Sprachkurs In den URAT-Deutschkursen lernen die Teilnehmenden nicht «nur» Deutsch, sondern auch die Schweizer Kultur und Bräuche kennen. Zudem gibt die Kursleiterin prak-

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tische Tipps für den Alltag und das Berufsleben mit auf den Weg. Beispielsweise, Termine in einer Agenda zu verwalten oder wichtige Dokumente in einem Ordner aufzubewahren. Etwa 15 Minuten verspätet betritt Anna Sofia, 45, aus Italien, den Kursraum. Ihre Verspätung hat sie zuvor per SMS angekündigt. So, wie es die Kursleiterin – und ebenso ein eventueller Arbeitgeber – erwartet: Abwesenheiten und Verspätungen sind mitzuteilen.

Reife Brombeeren Für die nächste Übung verteilt die Kursleiterin Kärtchen. Ähnlich wie beim Memory-Spiel ist jeweils ein Gegenstand oder ein Tier darauf abgebildet. Unter dem Bild steht das Wort mit dazugehörigem Artikel. Jeder darf mehrmals ein Kärtchen ziehen und das Wort laut vorsagen. Für die nächste Übung brauchen sie Stift und Papier. Sie schreiben ein Diktat. «Die dunkelblaue Brombeere ist reif im Sommer.» Amon aus Afghanistan liest den Satz, laut und langsam. Die anderen schreiben. Nochmal: «Die dunkelblaue Brombeere ist reif im Sommer.» Laila, 26, ist aus Äthiopien, sie trägt ein seidenes Kopftuch mit bunten Blumen, streckt die Hand auf und fragt, was eine Brombeere ist. Die Kursleiterin erklärt den Begriff und fügt an: «Denkt dran,

den ersten Buchstaben eines Satzes schreibt man immer gross und am Ende steht ein Punkt.» Kaminfeger, Hufeisen und Co. Mehrzad aus dem Iran diktiert den nächsten Satz, zwei Mal nacheinander, laut und langsam: «Das vierblättrige Kleeblatt bringt Glück.» Dieser Satz hat's in sich. Gleich drei schwierige Wörter inklusive Umlauten. Zudem die inhaltliche Bedeutung des Satzes, dass ein vierblättriges Kleeblatt in der Schweiz, im Westen ein Glückssymbol ist. Weiter geht es mit Zahlen und Zählen. Wie schwierig Deutsch für Anderssprachige sein kann, wird mir richtig bewusst, als Kumar, 24, aus Indien, Informatiker, die Zahlen 99 und 990 verwechselt und ihm die korrekte Aussprache schwerfällt. «Neunundneunzig» und «Neunhundertneunzig», tönt ja schliesslich auch fast gleich. Oder ein anderes Beispiel. Kürzlich habe ich mit tibetischen Flüchtlingen für ein Fest gekocht. Wir haben mehrere hundert Momos (Teigtaschen mit Rindsfüllung) geformt, als mir eine Frau nach dem Kneten des Teigs erklärte: «Der Teig muss jetzt schlafen.» Und damit natürlich meinte, dass der Teig nun ruhen müsse. Ich habe ihr dann den Unterschied der beiden Wörter erklärt. Wir lachten beide und formten weiter Momos. Zurück zum URAT-Deutschkurs. Vor und nach der Lektion, die 90 Minuten dauert, nimmt sich die Kursleiterin Zeit für individuelle Fragen der Teilnehmenden. Sie korrigiert Hausaufgaben und übersetzt auch mal einen Brief, den jemand mitbringt. Der URAT-Deutschkurs ist definitiv mehr als eine Sprachschule. Er hilft Frauen und Männern aus fernen Ländern, sich im Schweizer Alltag zurechtzufinden. Und dies zum Preis von lediglich 20 Franken pro Quartal. www.caritas-zuerich.ch/urat

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Caritas Zürich

Drei Angebote unter einem Dach Ab Juni 2014 hat Caritas Zürich einen weiteren Standort in Zürich. Um Armut zu bekämpfen, müssen wir Menschen in Not und die Unterstützungsangebote zusammenbringen und vernetzen – idealerweise an zentraler Lage. So hielt Caritas Zürich auch seit längerer Zeit Ausschau nach geeigneten Räumlichkeiten für einen weiteren Standort in Zürich – und wurde endlich fündig. Zwei Minuten vom HB entfernt Es ist ein Glücksfall, dass wir ab Juni 2014 im Zürcher Kreis 4, an der Reitergasse 1, ein «Caritas-Haus» eröffnen können. Nach und nach entstehen unter dem gleichen Dach die Geschäftsstelle der KulturLegi sowie je ein weiterer Caritas-Markt und Secondhand-Laden. Durch die zentrale Lage der neuen Räume, unweit vom Zürcher Hauptbahnhof, der Europaallee und der Langstrasse, erreichen wir die Zielgruppen der drei Angebote noch besser. Die bereits vorhandene Infrastruktur an der Reitergasse 1 sowie die modulare Raumaufteilung mit separaten Eingängen sind für unsere Bedürfnisse ideal. Sie bieten die Möglichkeit, die Eigenständigkeit der drei Angebote zu wahren und gleichzeitig Synergien zu nutzen. Neue Kontakte An der Reitergasse 1 schaffen wir vielfältige Vernetzungsmöglichkeiten: Es werden sich KulturLegi-Nutzende austauschen mit den Kundinnen und Kunden des Caritas-Marktes. Studierende und Dozierende der umliegenden Hochschulen schmökern im Secondhand-Laden, bringen vielleicht gleich auch Kleiderspenden. Der neue Standort bedeutet auch weitere Arbeitsplätze. Und schlussendlich wird die Caritas-Arbeit an einer zentralen Lage für viele Passantinnen und Passanten sicht- und spürbar. Wir freuen uns auf die Eröffnung und die Arbeit nahe bei den Leuten. www.caritas-zuerich.ch/news

Schreibwerkstatt Wie wohnen ohne Geld? Betroffene erzählen – und wollen gehört werden. Die Suche nach geeignetem Wohnraum wird im Kanton Zürich zunehmend schwieriger – besonders für Menschen mit knappem Budget. «Wie wohnen ohne Geld?» war somit die Frage, die Caritas Zürich Anfang des Jahres im Rahmen einer Schreibwerkstatt stellte. Teilgenommen haben Frauen und Männer, die ihren Alltag mit wenig Geld meistern. Unter kundiger Anleitung von Schriftstellerin Tanja Kummer und Journalistin Andrea Keller fanden die teils sehr schwierigen Erfahrungen etwas leichter ihren Weg aufs Papier. Entstanden sind beeindruckende und berührende Texte über prekäre Wohnverhältnisse im Kanton Zürich, die Ende April als Broschüre veröffentlicht werden. Zu bestellen unter: www.caritas-zuerich.ch/publikationen Lesetour Damit die Geschichten und Anliegen der Betroffenen Gehör finden, veranstalten wir eine Lesetour. Die Vernissage findet am Donnerstag, 15. Mai, 18.30 Uhr, im SecondhandLaden im Viadukt statt. Weitere Daten und Orte finden Sie unter: www.caritas-zuerich.ch/events

Neu eingekleidet Dashne Ali (24) ist seit August 2013 unsere Lernende im Viadukt. Georgina Macmillen (16) kauft da oft ein und hilft in ihrer Freizeit als Freiwillige beim Sortieren der gespendeten Kleider mit. Wir haben die beiden neu eingekleidet und auf dem Labitzke-Areal in Zürich fotografiert. Foto: Roth & Schmid Auf einer Fläche von 250m2 entstehen hier im Erdgeschoss je ein weiterer Caritas-Markt und Secondhand-Laden und das KulturLegi-Büro.

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Georgina Macmillen & Dashne Ali


«Grüezi. Ich bin Fahrender.» Fahrende tragen zur kulturellen Vielfalt in der Schweiz bei. Bernhard Jurman, Sozialarbeiter bei Caritas Zürich, berät Fahrende und gibt Einblick in seine Arbeit. «Grüezi. Ich bin Fahrender. Sind Sie der zuständige Berater für Fahrende?» Ja, das bin ich. Seit etwas mehr als drei Jahren bin ich bei Caritas Zürich für den Fachbereich Fahrende zuständig. Rufen Fahrende an, so machen sie gleich zu Beginn des Gesprächs klar, dass sie Fahrende sind. Fahrende sind in der Schweiz seit 1998 als nationale Minderheit anerkannt. Etwa 2 000 bis 3 000 Personen in der Schweiz sind aktiv fahrend. Das bedeutet, dass sie jeweils von Frühling bis Herbst auf Reise gehen. Ein Grossteil von ihnen gehört der Volksgruppe der Jenischen an, ein kleiner Teil der Volksgruppe der Sinti. Die Beratung von hilfesuchenden Fahrenden erfordert entsprechendes Wissen über ihre geschichtlichen Hintergründe, die Kultur und die Lebensbedingungen von Fahrenden. Caritas Zürich hat langjährige Erfahrung in der Beratung von Fahrenden. Kulturelle Vielfalt Fahrende, die unser Beratungsangebot nutzen, gehören der Volksgruppen der Jenischen oder der Sinti an. Sie sind in der Schweiz als nationale Minderheit anerkannt. Zum Grossteil leben sie in Wohnwagen und/oder mobilen Häusern. Die Personen, die unsere Beratung aufsuchen, sind vor allem zwischen 21 und 30 sowie zwischen 41 und 50 Jahre alt und Schweizerinnen und

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Schweizer. Mehr als die Hälfte sind selbstständig erwerbend. «Ich bin in einer schwierigen Situation. Kann ich bei Ihnen vorbeikommen?» Während des Telefonats konkretisiert sich das Anliegen des Anrufers und wir vereinbaren ein Beratungsgespräch. Fahrende, die ihren Lebensunterhalt als selbstständige Handelstreibende und Dienstleistungsanbietende verdienen, sind bei Krankheit mit einem Erwerbsausfall konfrontiert. Haben sie keine Taggeldversicherung abgeschlossen – was häufig der Fall ist –, bedeutet dies einen finanziellen Engpass. Dann können beispielsweise die Leasingrate für den Wohnwagen der Familie oder die Gebühren für den Platz nicht mehr fristgerecht bezahlt werden. Und es kommt zu Rückständen bei den Zahlungsverpflichtungen. Existenz der Familie sichern Im Gespräch analysiere ich gemeinsam mit der Familie die finanzielle Situation und erstelle ein Budget. Wir stellen die Einnahmen der Familien den Ausgaben gegenüber. Oft zeigt sich bei der Budgeterstellung, dass keine Prämienverbilligung für die Krankenversicherung bezogen wird. Wurde keine Steuererklärung eingereicht, kann auch keine Prämienverbilligung beantragt werden. Wir bieten deshalb Unterstützung beim Ausfüllen der Steuererklärung und

informieren über den Anspruch auf Prämienverbilligung. Das entlastet das Budget der Familie nachhaltig und längerfristig. (Arbeits-)Plätze schaffen Ein ausreichendes Platzangebot ist die Grundlage, damit Fahrende mit Handel, Handwerk und dem Angebot von Dienstleistungen die Existenz für sich und ihre Familien sichern können. Es braucht konkret genügend Stand- und Durchgangsplätze für Schweizer Fahrende. Caritas Zürich sensibilisiert mit gezielter Öffentlichkeitsarbeit für die fahrende Lebensweise und leistet damit einen nachhaltigen Beitrag zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen von Schweizer Fahrenden. www.caritas-zuerich.ch/beratung

Bernhard Jurman Sozialarbeiter, Fachbereich Fahrende

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Caritas Zürich

Lautstarker Abschluss Vom «goldenen Vorhang» bis zur deutlichen Botschaft an die Politik: Die Gewinner des Jugendwettbewerbs «Luutstarch» nahmen an der Preisverleihung kein Blatt vor den Mund. Beim Wettbewerb «Luutstarch» der Caritas Zürich redeten Jugendliche über das Tabuthema «Armut in der Schweiz». Mit eigenen Reimen, Songs und Fotos beleuchteten sie Armut und soziale Ausgrenzung, hinterfragten die Konsumgesellschaft und definierten Reichtum für sich neu. Über 200 Jugendliche haben mitgemacht und 47 lautstarke Beiträge eingereicht. Am 14. März wurden die Sieger erkoren. An die Preisverleihung im Viadukt in Zürich kamen über 100 Jugendliche, teilweise zusammen mit ihren Eltern. So zum Beispiel die zwei Gewinner in der Kategorie Musik B (20–26 Jahre), «Limmit featuring Rush» aus Urdorf. «Klatscht mal alle in die Hände für meine Mutter, die heute auch da ist», verlangte der eine Rapper stolz vom Publikum, ehe er zum Siegersong «Goldige Vorhang» einstimmte. «I de Schwiiz isch nid alles nume Schoggi», heisst es da. Der Blick hinter den «goldenen Vorhang» zeigt: Armut, Drogen und Stress existieren auch hier. Ein weiterer Siegersong, derjenige der Kategorie A (13–19 Jahre), heisst «Gsänds i» und kommt vom 17-jährigen «J» aus Luzern. Die Botschaft an alle Politiker und Journalisten: Der Mehrheit gehe es gut, doch viele Arme müssten leiden, denn bei uns könne man nur gratis verzweifeln. Die starken Statements machen klar, dass die Teilnehmenden sich intensiv mit Armut in der Schweiz auseinandergesetzt haben. Trotzdem war der Anlass ein fröhlicher, denn es gab fünfzehn Gewinner in fünf Kategorien zu feiern. Alle Beiträge, Songs und Bilder finden Sie auf der Website. www.luutstarch.ch

NEWS Projekt «Stützpunkt Zürich-Nord» Caritas Zürich hat 2013 ein zweckgebundenes Legat erhalten. Der Nachlass soll für bedürftige Menschen in Zürich-Nord eingesetzt werden. Im Februar dieses Jahres konnten wir im Familienzentrum «Krokodil» in Schwamendingen eine weitere Caritas-Flickstube eröffnen und einen PC-Kurs für Anfänger starten. Ab April finden nun Gespräche mit der Bevölkerung sowie den sozialen Stellen in den Stadtkreisen 11 und 12 statt, um den Bedarf an Unterstützungsangeboten vor Ort abzuklären. Haben Sie Fragen oder Ideen für Projekte? Kontaktieren Sie Michèle Deubelbeiss, Tel. 044 366 68 87, m.deubelbeiss@caritas-zuerich.ch

«schulstart+» – Chancengleichheit verwirklichen Mit Hilfe der Eltern sollen Kinder in sozial benachteiligten Lebenslagen erfolgreich in die Schulzeit starten können. In Zusammenarbeit mit Lehr- und Fachpersonen werden Eltern mit Migrationshintergrund auf den Kindergarten- und Schuleintritt ihrer Kinder vorbereitet. Die «schulstart+»-Kurse werden in verschiedenen Gemeinden im Kanton Zürich angeboten – auch auf Anfrage. Weitere Infos hier: www.schulstartplus.ch

Freiwillige für PC-Kurse gesucht «Compirat» vermittelt PC-Wissen und ermöglicht Armutsbetroffenen den Zugang zu Computer und Internet. Für unsere Anfängerkurse in Zürich, Wetzikon und Bülach suchen wir Freiwillige als Kursleitende oder Begleitpersonen im Internettreff. Haben Sie gute PC-Anwenderkenntnisse und möchten diese weitergeben? Kontaktieren Sie Thomas Bär, Leiter Compirat, Tel. 044 366 68 83, t.baer@@caritas-zuerich.ch www.caritas-zuerich.ch/compirat Der 17-jährige Rapper «J» aus Luzern rüttelt mit seinem Song «Gsähnds i» die Jury des Wettbewerbs und das Publikum im «jenseits im Viadukt» auf.

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Hörnli oder Brot? Erbsli oder Rüebli? Caritas-Markt für günstiges Einkaufen Die Caritas-Märkte ermöglichen armutsbetroffenen Menschen aus der Region Zürich günstiges und gesundes Einkaufen. Das entlastet ihr Budget und unterstützt sie bei der sozialen Integration. «Nachbarn» hat sich mit Frau A. Steiger, 67 Jahre, Zürich, unterhalten; sie unterstützt mit ihren Spenden den Caritas-Markt. Frau Steiger, Sie unterstützen die Caritas seit Jahren. Warum? Mir geht es gut. Ich bin dankbar dafür. Ich möchte anderen Menschen helfen, kann das aber direkt nicht selber. Wenn ich Caritas Zürich unterstütze, helfe ich anderen Menschen, die es nötig haben. Wo hilft Caritas Ihrer Meinung nach am besten? Spontan fällt mir der Caritas-Markt in Oerlikon ein. Dort können armutsbetroffene Menschen günstig und gesund einkaufen. Das finde ich eine tolle Sache. Einerseits kön-

nen Menschen mit kleinem Budget gesund einkaufen und zweitens können Nahrungsmittel verwendet werden, die sonst im Müll landen würden. Und ich weiss, dass mehrere Menschen ohne Erwerbsarbeit dort Arbeitseinsätze leisten können, damit sie Praxis erhalten. In der Caritas-Zeitung stand, dass zwei Personen, welche über lange Zeit arbeitslos waren, dank der Anstellung im Caritas-Markt den Wiedereinstieg in den ersten Arbeitsmarkt fanden.

Wissen Sie, woher die Produkte kommen?

Ja, zum Teil. Die Lebensmittel kommen aus Überproduktionen oder Liquidationen. Und aus Überschüssen aus der Landwirtschaft. (Anmerkung der Redaktion: Die Produkte in den Caritas-Märkten stammen mehrheitlich aus Überproduktionen, schadhaften Serien, Falschlieferungen oder Liquidationen. Die im Lebensmittelhandel unvermeidlichen Überschüsse und Fehlproduktionen werden so sinnvoll verwendet. Die Qualität der Waren Sie auch schon Lebensmittel ist einwandfrei und unin einem Caritas-Markt? terliegt den strengen Bestimmungen Nein. Ich kann ohne KulturLegi oder des Lebensmittelgesetzes.) Einkaufskarte dort nicht einkaufen. Der Caritas-Markt ist nur für Men- Weshalb ist frisches schen, die armutsbetroffen sind. Und Gemüse und Obst so wichtig? ich finde das auch gut so. Eine BeEs ist wichtig, dass sich auch armutskannte hat ein halbes Jahr im Caritasbetroffene Menschen gesund und ausMarkt gearbeitet. Es hat ihr sehr gegewogen ernähren können. Frisches fallen. Sie hat sonst eher Mühe, Leute Gemüse und Obst ist für sie aber oft kennenzulernen. Die Arbeit dort hat zu teuer. Im Caritas-Markt können ihr viel Spass gemacht. Und sie hat erMenschen gesund und günstig einzählt, dass der Caritas-Markt eine Art kaufen. Treffpunkt ist. Niemand muss sich verstecken oder gar schämen. Man Unterstützen auch Sie den Caritaskennt sich.

Markt mit Ihrer Spende!

Gesundes Essen darf kein Luxus sein. Schon mit 80 Franken ermöglichen Sie einer alleinerziehenden Mutter und zwei Kindern eine Woche lang frische Lebensmittel. Für Ihre Spende verwenden Sie bitte den beiliegenden Einzahlungsschein. Herzlichen Dank. Weitere Informationen über den Caritas-Markt finden Sie hier: www.caritas-zuerich.ch/markt Haben Sie Fragen? Kontaktieren Sie uns. Telefon: 044 366 68 68, E-Mail: info@caritas-zuerich.ch

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Kiosk

Ihre Frage an uns

AGENDA

Armut in der Schweiz – ist das nicht einfach nur Jammern auf hohem Niveau?

Grundkurs Sterbebegleitung

Bettina Fredrich, Leiterin Fachstelle Sozialpolitik bei Caritas Schweiz: «Armut hat überall ein anderes Gesicht, mit unterschiedlichen Auswirkungen. In der Schweiz ist arm, wessen Lohn nicht ausreicht, um den Lebensunterhalt zu bewältigen: wer sich weder Krankenkasse noch angemessenen Wohnraum leisten kann, für wen Zahnarztbesuch und Ferien unerschwinglich sind. Rund 600 000 Menschen sind in der Schweiz von Armut betroffen. Konkret bedeutet dies für eine Einzelperson, dass sie mit 30 Franken täglich über die Runden kommen muss. Das Budget ist knapp und ermöglicht nur eine minimale Teilhabe an der Gesellschaft. Mangelnde Kontakte zu anderen, der Ausschluss aus der Gesellschaft und Perspektivenlosigkeit sind Auswirkungen von Armut in der Schweiz. Insbesondere für Familien und Alleinerziehende ist die Lage prekär. Die jüngsten kantonalen Sparmassnahmen betreffend Sozialhilfe und Krankenkassenprämienverbilligungen sind besonders hart. Caritas setzt sich dafür ein, dass Armut auf der politischen Agenda bleibt und dass Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger die Situation der Betroffenen berücksichtigen. Die Schweiz darf sich keine Armut leisten.»

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Haben Sie auch eine Frage an uns? Gerne beantworten wir diese in der nächsten Ausgabe von «Nachbarn». Senden Sie Ihre Frage per E-Mail an nachbarn@caritas-zuerich.ch.

Der Grundkurs richtet sich an Frauen und Männer, die Angehörige oder Bekannte in der letzten Lebensphase begleiten. Nächste Kurse: 8 Kurstage, 7. 5. bis 2. 7. 2014 Paulus-Akademie, Carl-Spitteler-Str. 38, Zürich 8 Kurstage, 2. 9. bis 28. 10. 2014 Caritas Zürich, Beckenhofstr. 16, Zürich

Schmuckverkauf Grosse Auswahl an antikem und modernem Schmuck und Accessoires. Samstag, 10. 5. 2014, 9–16 Uhr Secondhand-Laden, Steinberggasse 54, Winterthur

«Wie wohnen ohne Geld?» – Lesetour Persönliche Geschichten übers Wohnen und Leben mit wenig Geld, geschrieben und gelesen von Betroffenen. Wir laden Sie ein zur Vernissage am: Donnerstag, 15. 5. 2014, 18.30 Uhr Secondhand-Laden, Im Viadukt, Zürich, oder zu einem der anderen Termine: • Dienstag, 27. 5. 2014, 19 Uhr Stadtbibliothek, Bülach • Dienstag, 10. 6. 2014, 19 Uhr Scala, Wetzikon • Donnerstag, 26. 6. 2014, 19 Uhr Alte Kaserne, Winterthur

Mitgliederversammlung Caritas Zürich

Hinterlassen Sie Hoffnung und Perspektiven Ein Legat an Caritas Zürich sichert einen wichtigen Teil der Finanzierung unserer Projekte. Es kann die Lebensperspektive einer von Armut betroffenen Familie grundlegend verändern und hilft so, über das Leben hinaus Gutes zu tun. Bestimmen Sie noch zu Lebzeiten selber, wem Ihr Vermächtnis zugutekommt. Beim Regeln des Nachlasses steht Ihnen der ehemalige Direktor von Caritas Zürich, Guido Biberstein, Tel. 044 713 27 56, gerne zur Verfügung. www.caritas-zuerich.ch/legate

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Wir berichten über unsere Tätigkeiten und Herausforderungen im vergangenen Geschäftsjahr und freuen uns, mit Ihnen ins Gespräch zu kommen. Eingeladen sind Mitarbeitende, Mitglieder, Freiwillige sowie alle weiteren Interessierten. Programm und Anmeldung hier: www.caritas-zuerich.ch/events Dienstag, 17. 6. 2014, 17.30 Uhr Freie Kath. Schule, Sumatrastr. 31, Zürich

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Das Geschäft

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paren! Wie oft hatte Gabriela dieses Wort gehört und gedacht, wie oft gelesen und wie oft war es ihr an den Kopf geworfen worden: «Du musst halt sparen!» Wo sollte sie noch sparen? Sie musste wohnen, essen, brauchte Kleider, Geld für die Bahn, den Kinderhort, die Krankenkasse. Immer und immer wieder drehten dieselben Gedanken in ihrem Kopf. Warum hatte sie so wenig Geld, obwohl sie genauso hart arbeitete wie andere? Gabriela sass in der frühlingsmilden Mittagssonne und überlegte, wie sie zu Geld kommen könnte. Sollte sie wieder einmal ein Los kaufen und auf einen «lucky punch» hoffen? Wieder einmal auf das Sozialamt gehen, wo man ihr zwar freundlich, aber auch mit leicht vorwurfsvollen Blicken begegnete? Sollte sie eine Bank ausrauben? Sie hatte schon daran gedacht, ihre Fantasie zu nutzen und ein Buch zu schreiben, und dann geträumt, dass sich ihr Buch tausendfach verkaufen würde. Dann hatte sie gelesen, dass die wenigsten Schriftstellerinnen von ihrem Schreiben gut leben konnten. Gabriela musste weiter. Die Wohnung, die sie putzte, gab noch Arbeit bis um fünf. Dann musste sie ihre Töchter abholen, dann stand noch ein Gespräch mit der Lehrerin an. Eliane, ihre ältere Tochter, verhielt sich in der Klasse offensichtlich daneben.

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Gabriela stand auf. Und im selben Moment kamen die Zahnschmerzen wieder. Sie waren diesmal noch etwas heftiger als am Wochenende. Aber Gabriela hatte keine Zeit, zum Zahnarzt zu gehen, und auch kein Geld, eine Behandlung zu bezahlen. Mit der Zunge versuchte sie die schmerzende Stelle im Mund zu beruhigen. Als sie den kranken Zahn berührte, schoss eine neue Welle von Schmerz durch ihren Kopf. Tränen traten ihr in die Augen. Gabriela setzte sich noch einmal auf die Bank. Sie versuchte sich zu beruhigen und suchte ein Taschentuch. Als sie es nicht fand, überkam sie ein so heftiges Gefühl von Einsamkeit und Verlorenheit, dass sie haltlos zu weinen begann. Gabriela hörte den Satz «Kann ich dir helfen!» erst beim zweiten Mal. Der Mann streckte ihr ein Taschentuch entgegen. Er lächelte Gabriela an, als sie es nahm und sich damit das nasse Gesicht trocknete. Sie be-

dankte sich. «Liebeskummer?», fragte der Mann. Gabriela schüttelte den Kopf. «Dann sind es Geldsorgen!», sagte der Mann bestimmt. «Ja», flüsterte Gabriela. «Ich kann dir helfen!» Der Mann blickte sie mit kühlen Augen an. Sein Lächeln war verschwunden. Gabriela kannte diesen Blick. Der Mann witterte ein Geschäft.

Paul Steinmann wohnt in Rikon. Nach einem Theologiestudium ist er im Theater tätig, zuerst als Schauspieler, dann als Regisseur und jetzt vor allem als Autor. Er pendelt zwischen Freilichttheater und Kabarett, Musical und Kinderstücken. Aktuelles unter www.paulsteinmann.ch Illustration: Anna Sommer

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Lara lacht wieder – dank Ihrer Spende

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