Streitfall Millennium - Korrekturauszug

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Zur Beantwortung dieser Fragen muss nicht nur Offenbarung 20 sorgfältig ausgelegt werden, sondern viele grundsätzliche Themen sind zu klären, wie z.B.: -

Wie legt man biblische Prophetie richtig aus? Wie sind Gottes Verheißungen an Abraham und Israel zu verstehen? Welches Grundmuster der Heilsgeschichte und Zukunft lehrt das NT? Was ist überhaupt das Reich Gottes und hat Jesus seine Herrschaft bereits angetreten? - Was ist mit Schriftstellen wie Daniel 9, Römer 11 und Matthäus 24 – und mit Trübsal und Entrückung? Der Autor erklärt diese und andere Themenbereiche biblischsystematisch und verteidigt dabei die klassische reformierte Position, den Amillennialismus. Besonders in der heutigen Zeit, wo Missverständnisse über das Reich Gottes oft zu einem fragwürdigen Christentum führen, ist diese tief gegründete biblische Lehre heilsam und wohltuend, damit Christen mit den richtigen Einstellungen und Erwartungen Gott treu dienen. „Ein Buch zu einem wichtigen Thema, das in Sachen gesunder Schriftauslegung, Verständlichkeit und einleuchtender Argumentation seinesgleichen sucht.“ – Michael Horton

Riddlebarger

Seit langem wird unter Christen heftig debattiert: Wird es ein Tausendjähriges Reich auf der Erde geben, und wenn ja, wann und wie? Und wenn nicht, wie sind die tausend Jahre aus Offenbarung 20 dann zu verstehen? Und was hat das mit dem praktischen Leben als Christ zu tun?

Streitfall Millennium

Streitfall Millennium

Kim Riddlebarger

Streitfall Millennium Wird es Gottes Reich auf Erden geben?



Kim Riddlebarger

Streitfall Millennium Wird es Gottes Reich auf Erden geben?


Bibelzitate folgen meistens der Übersetzung nach Franz Eugen Schlachter (Version 2000) oder der Elberfelder Bibel. Kim Riddlebarger, geboren 1954, ist Hauptpastor der Christ Reformed Church in Anaheim, Kalifornien und war Gastprofessor für Systematische Theologie am Westminster Theological Seminary in Kalifornien. Er ist u. a. beteiligt am Radiosender White Horse Inn und an der Zeitschrift Modern Reformation. Er hat ein weiteres Buch geschrieben: The Man of Sin, eine Untersuchung zum Thema Antichrist in der Bibel. Auf der Webseite des Autors finden sich viele weitere Ressourcen wie z. B. Dia­ gramme zu diesem Buch, eine Antwort auf John MacArthurs Verteidigung des Prämillennialismus, zahlreiche Audiovorträge zum Download u.v.m. Die Webadresse ist http://kimriddlebarger.squarespace.com oder als QR-Code:

1. Auflage 2015 © 2003 Kim Ridddlebarger Erschienen bei Baker Books, Grand Rapids, Michigan Originaltitel: A Case for Amillennialism © der deutschen Übersetzung Betanien Verlag 2015 Postfach 1457 · 33807 Oerlinghausen www.betanien.de · info@betanien.de Übersetzung: Ivo Carobbio, Dirk Noll, Hans-Werner Deppe Cover: Sara Pieper, Betanien Verlag Satz: Betanien Verlag Druck: Scandinavianbook, Arhus, DK ISBN 978-3-945716-10-6


Inhalt Einleitung 7

Teil 1: Grundlegendes

1 Definition der Begriffe 15 2 Ein Überblick über die eschatologischen Positionen 25 3 Wie legt man biblische Prophetie aus? 40 Teil 2: Themen der biblischen Theologie 4 Die Bedeutung von Bündnissen im Alten Testament 53 5 Verheißung und Erfüllung 63 6 Prinzipien alttestamentlicher Prophetie 72 7 Christus und die Erfüllung der Prophetie 90 8 Das Wesen neutestamentlicher Eschatologie 108 9 Das Reich Gottes 137 10 Die neue Schöpfung, das Israel Gottes und die leidende Gemeinde 157 11 Die glückselige Hoffnung: Die Wiederkunft Jesu Christi 180 Teil 3: Die Auslegung der entscheidenden Bibeltexte 12 Daniels Prophetie der 70 Jahrwochen 205 13 Die Ölbergrede 216


14 Rรถmer 11: Hat Israel eine Rolle in der Zukunft? 249 15 Die tausend Jahre in Offenbarung 20,1-10 273 Teil 4: Die Bewertung der Millenniumsmodelle 16 Die Auswertung 325 Anhang: Grafiken zu den zwei Zeitaltern 347


Einleitung Von frühester Jugend an lernte ich, dass eine sogenannte »geheime Entrückung« zu den Hauptlehren des christlichen Glaubens gehöre. Ich erinnere mich noch an die Familientreffen vor dem Fernsehschirm, um die Sendung World Prophetic Ministry (»Weltprophetischer Dienst«) von Howard C. Estep zu sehen. Er erklärte, wie der arabisch-israelische Konflikt die Bühne für den Antichristen vorbereite. Der Antichrist würde laut Estep die Welt mit seiner Lösung des Nahostkonflikts blenden und Israel Frieden versprechen. Die Panik, die das plötzliche Verschwinden der Christen durch die Entrückung auslösen werde, würde dazu führen, dass die Menschen diesen dämonischen Führer mit offenen Armen annehmen. Er würde die Präsidentschaft über ein Zehn-Nationen-Bündnis erringen, quasi einem auferstandenen Römischen Reich. Kurz danach würde der Staat Israel eiskalt verraten werden und eine entsetzliche Zeit von sieben Jahren hereinbrechen. Erst danach würde Jesus Christus zur Erde zurückkommen, um dem Antichrist und dem Teufel ein Ende zu bereiten. Seit damals hat mich diese Thematik der biblischen Prophetie begeistert. Als Teenager las ich fasziniert Hal Lindseys Buch Alter Planet Erde, wohin? Lindsey bot biblische Antworten auf die Tumulte und Unsicherheiten der 1960er Jahre. Ich war nicht der einzige, der von diesem Buch begeistert war. Dieses Buch wurde zum Bestseller der 1970er Jahre. Der Autor versicherte, dass der dispensationalistische Prämillennialismus1 – so die Bezeichnung für Lindseys spezielle 1 Prämillennialismus ist die Auffassung, Jesus komme wieder, um auf der Erde ein Tausendjähriges Reich aufzurichten. Der Dispensationalismus geht auf die Theologen Darby und Scofield zurück und gliedert die Welt- und Heilsgeschichte in sieben Zeitalter, wobei der Nation Israel eine herausragende Rolle besonders in der Endzeit zugesprochen wird. Diese Fachbegriffe werden in Kapitel 2 und 3 noch ausführlicher erklärt.

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Einleitung

Endzeitsicht – die Endzeitsicht der kommenden Generation Amerikas werden würde. Viele von uns dachten, die Jahrtausendwende und der Beginn eines neuen Millenniums würden die Christen dazu bringen, die landläufigen dispensationalistischen Glaubenssätze zu hinterfragen und sich kritisch mit dem Thema Endzeit zu beschäftigen. Der Erfolg der Buchserie Finale – die letzten Tage der Erde von Jerry B. Jenkins und Tim LaHaye zeigt jedoch, welch großen Einfluss und bleibende Wirkung die dispensationalistische Lehre hinterlassen hat. LaHaye und Jenkins haben nahtlos an Lindseys erstaunlichen Bucherfolg angeknüpft, wenn nicht sogar ihn übertroffen. Der Erfolg des Dispensationalismus hat dazu geführt, dass man sich kaum gefragt hat: Stimmen diese Bücher und die darin vermittelte dispensationalistische Theologie tatsächlich mit der Bibel überein und repräsentieren sie das, was die Schrift über Jesu Wiederkunft und das Millennium bzw. Tausendjährige Reich lehrt? Da ich mit dem Dispensationalismus aufgewachsen bin, kenne ich diese Autoren und ihre Leser als aufrichtige und hingegebene Christen. Doch nach einer schwierigen Reise vom Dispensationalismus zur Theologie der protestantischen Reformation glaube ich nun, dass der Dispensationalismus an vielen Stellen schwerwiegende Mängel hat. Mein Ziel mit diesem Buch ist es, einen bescheidenen Beitrag zum Aufdecken dieser Fehler zu liefern und einen meiner Ansicht nach biblischeren Weg zu zeigen, was die Bibel wirklich über Jesu Wiederkunft und das Millennium lehrt. Es ist schwierig, ein leicht verständliches Buch über ein so komplexes Thema zu schreiben. Eschatologie – die Lehre von den zukünftigen Dingen – ist in jeder Hinsicht komplex. Unter Christen gibt es sehr verschiedene Auffassungen darüber; Diskussionen über zukünftige Ereignisse tendieren naturgemäß zu Sensationsbegeisterung und Spekulation. Das habe ich bei vielen aktuellen Büchern leider feststellen müssen. Daher zunächst eine kurze Erklärung zu Art und Ziel dieses Buches. Meine Absicht ist es, das historische protestantische Verständnis des Tausendjährigen Reiches darzulegen. Diese Sichtweise wird gewöhnlich Amillennialismus genannt. Kernpunkt dieser Sicht ist die gegenwärtige Herrschaft Jesu Christi. Der Amillennialismus ba8


Einleitung

siert auf der Heilsgeschichte, also in dem geschichtlich fortlaufenden Handeln Gottes, wie es sich in der Bibel entfaltet und Gottes Plan der Errettung seines Volkes offenbart. Es wird manchmal eingewendet, der Amillennialismus leugne ein Tausendjähriges Reich in jeglichem Sinne, und auch der Ausdruck A-millennialismus kann in dieser Weise missverstanden werden. Doch das stimmt nicht. Amillennialisten glauben, dass das Millennium zwar nicht für die Zukunft zu erwarten ist (als eine Herrschaft Christi auf Erden), aber dass es in der Gegenwart real ist (als Christi Herrschaft im Himmel). Der Amillennialismus ist unter Endzeitfans zwar nicht besonders beliebt, aber ich glaube, dass diese Position der biblischen Prophetie am besten gerecht wird. Ich schreibe dieses Buch aus reformatorischer Sicht und gebe nicht vor, in der Frage nach dem Tausendjährigen Reich »neutral« zu sein. Dieses Buch wird aber das Thema Eschatologie nicht ausgiebig erschöpfen. Das ist schon an anderer Stelle getan worden.2 Im vorliegenden Buch soll es lediglich darum gehen, die drei bekannten eschatologischen Sichtweisen über das Tausendjährige Reich zu beurteilen: Amillennialismus, Postmillennialismus und Prämillennialismus. Weil das Thema so kontrovers ist, müssen wir einige biblisch-theologische und historische Grundsatzfragen näher behandeln. Auf jüngere Debatten zum Thema Endzeit können wir aus Platzgründen nur kurz eingehen.3 Der Übersicht halber gliedert sich dieses Buch in vier Teile, die jeweils einen speziellen Aspekt unseres Themas behandeln. Teil 1 erklärt die theologischen Fach- und Schlüsselbegriffe zur Zukunftslehre und Millenniumsfrage und bietet eine Übersicht über die einzelnen Sichtweisen. Darüber hinaus gehe ich auf die 2 Vgl.z. B. Anthony Hoekema, The Bible and the Future (Grand Rapids: Eerdmans, 1982), Cornelis P. Venema, The Promise of the Future (Carlisle: Banner of Truth, 2000). 3 Wie z. B. in den Büchern, die mehrere Standpunkte nebeneinander präsentieren: Robert G. Clouse (Editor), The Meaning of the Millennium: Four Views (Downers Grove: InterVarsity, 1977; auf Deutsch erschienen unter dem Titel Das Tausendjährige Reich. Bedeutung und Wirklichkeit); Darrell L. Bock (Hrsg.), Three Views on the Millennium and Beyond (Grand Rapids: Zondervan, 1999)

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Einleitung

Hermeneutik ein, auf die Lehre von der Schriftauslegung. Dabei geht es um die Frage: Wie wirken sich unsere theologischen Grund­annahmen auf unser Verständnis des Millenniums aus? Teil 2 behandelt einige biblische und theologische Themen, deren Verständnis uns befähigt, die biblischen Aussagen über das Millennium richtig zu verstehen. Hier besprechen wir auch die alttestamentliche Endzeiterwartung und deren neutestamentliche Interpretation. In diesem Teil erkläre ich kurz den Gebrauch der Begriffe dieses Zeitalter, das kommende Zeitalter sowie die damit verbundenen Begriffe schon jetzt und noch nicht, und zeige auf, wie die einzelnen Schreiber des Neuen Testaments diese Begriffe gebrauchten. Dieses sogenannte »Zwei-Zeitalter-Modell« bildet das Grundmuster für die amillennialistische Auslegung biblischer Aussagen über die Zukunft. Dieses Modell hilft uns, die eschatologische Sprache des Neuen Testaments zu verstehen, insbesondere bei Schriftstellen über die Zukunft und das Tausendjährige Reich. Ich gehe auch auf das Reich Gottes ein, auf die Auferstehung Christi, die neue Schöpfung und die neutestamentliche Identifikation der Gemeinde als das »Israel Gottes«. Dieser Teil 2 schließt mit einem Diskurs über das Herzstück neutestamentlicher Eschatologie – die Wiederkunft unseres Herrn. Teil 3 behandelt biblische Schlüsselpassagen über das Tausendjährige Reich. Die Auslegung von Daniel 9,24-27 lenkt unsere Aufmerksamkeit auf den Kontext messianischer Prophetie und beantwortet die zentrale Frage: Lehrt Daniel eine zukünftige siebenjährige Trübsalszeit? Die Endzeitrede Jesu (Matthäus 24, Markus 13) beinhaltet Jesu Lehre über die Endzeit-Zeichen und den künftigen Verlauf der Heilsgeschichte. Das Kapitel über Römer 11 ringt mit der Frage: Hat das ethnische Israel in Gottes Zukunftsplan einen ganz speziellen Platz? Am Ende von Teil 3 wird der Schlüsseltext zum Tausendjährigen Reich – Offenbarung 20,1-10 – ausgelegt und damit zusammenhängende Themen besprochen: der Gebrauch von Symbolen in der Offenbarung, die Bindung Satans, die erste Auferstehung, der Aufstand der Nationen und die Wiederkunft Jesu Christi. Teil 4 bewertet die Hauptprobleme der verschiedenen Ansichten über das Millennium. Welchen biblischen und theologischen 10


Einleitung

Fragen müssen sich Prä-, Post- und Amillennialisten stellen? Was ist mit dem Bösen während des Tausendjährigen Reiches? Sagt die Bibel dem Volk Gottes ein »goldenes Zeitalter« voraus? Lehrt die Bibel, dass das Tausendjährige Reich wieder zu alttestamentlichen »Abbildern und Schatten« zurückkehrt, wie es der Dispensationalismus gewöhnlich behauptet? Lehrt die Bibel, dass Christus bereits im Jahr 70 n. Chr. zum Gericht über Israel, Jerusalem und den Tempel wiedergekehrt ist, wie es Präteristen behaupten? Was ist mit dem Vorwurf, dass der Amillennialismus die Bibel angeblich nicht wörtlich verstehe? Was ist mit der Zukunft des nationalen Israel? Unsere Endzeitansichten haben weitreichende lehrmäßige Folgen, die wir nicht außer Acht lassen dürfen. Eine letzte Bemerkung noch: Leider kommt es bei der Behandlung eschatologischer Fragen sehr oft zu sogenannten Argumenten ad hominem, also zu persönlichen Vorwürfen und Angriffen statt sachlichen Argumenten. Zum Beispiel werfen manche Dispensationalisten den Amillennialisten vor, antisemitisch zu sein oder behaupten, sie seien liberal oder vergeistlichten die Bibel, anstatt sie wörtlich zu nehmen. Amillennialisten dagegen machen dem Dispensationalismus oft den Vorwurf, buchstabengläubig und sensationslustig zu sein. Doch auch wenn wir unterschiedlicher Meinung sind, wollen wir solche Angriffe vermeiden und immer versuchen, diese Debatte mit Güte und Respekt zu führen.

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KAPITEL 15

Die tausend Jahre in Offenbarung 20,1-10 Die strittigen Fragen Offenbarung 20 ist der wichtigste Bibelabschnitt zum Tausendjährigen Reich und ist die einzige Stelle in der Bibel, wo der Ausdruck »tausend Jahre« in diesem Sinne vorkommt. Die Verfechter aller Ansichten (A-, Prä- und Postmillennialisten) haben ihre jeweils eigene Auslegung, ohne behaupten zu können, die uneingeschränkte Akzeptanz der christlichen Mehrheit zu haben.1 Entsprechend ihrer möglichst buchstäblichen Schriftauslegung besteht für Dispensationalisten der entscheidende Punkt darin, dass die Symbole und Zahlen von Offenbarung 20 »gemäß ihrer natürlichen Bedeutung verstanden werden müssen, solange der Kontext nicht klar auf ein anderes Verständnis hindeutet.«2 Wenn der Apostel Johannes schreibt, dass Satan mit einer Kette gebunden wird, nehmen Dispensationalismus an, dass er eine echte Kette meint. Wenn Johannes sagt, dass der Teufel für tausend Jahre gebunden wird, dann glauben manche, Johannes meine buchstäbliche tausend Jahre und eine physische Bindung des Widersachers. Dispensationalisten befürchten, wenn diese Symbole nicht buchstäblich verstanden werden, dann könnten sie in jedem beliebigen Sinn gedeutet werden. Das wirft die Frage nach der literarischen Gattung auf: In welchem Stil ist das Buch verfasst und wie sollen wir die hochgradig symbolische Sprache apokalyptischer und prophetischer Literatur, wie sie beim Buch der Offenbarung vorliegt, 1 Vgl. den hilfreichen Überblick in Beale, The Book of Revelation, S. 44ff. 2 John F. Walvoord, The Revelation of Jesus Christ (Chicago: Moody Press, 1978), S. 30.

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Teil 3: Die Auslegung der entscheidenden Bibeltex te

verstehen? Wir müssen uns fragen: Beabsichtigte Johannes, dass diese Symbole buchstäblich verstanden werden? Für Prämillennialisten (also klassische und progressive Dispensationalisten sowie historische Prämillennialisten) besteht der wichtigste Punkt ihrer Auslegung darin, dass die in Offenbarung 20 beschriebenen Ereignisse noch in der Zukunft liegen und erst nach der Wiederkunft Christi und der ersten Totenauf­ erstehung eintreten werden. Für sie folgt Offenbarung 20 mit der tausendjährigen Herrschaft Christi sowohl logisch als auch chronologisch auf Offenbarung 19, wo die Wiederkunft Christi zum Gericht beschrieben wird. Da demnach Christi Wiederkunft der tausendjährigen Herrschaft vorausgeht, ist die prämillennialistische Auslegung von Offenbarung 20 die einzig biblische. Wenn das stimmt, dann ist das ein wichtiges Argument für den Prämillennialismus.3 Postmillennialisten stimmen den Prämillennialisten darin zu, dass die Ereignisse in Offenbarung 19 denen von Kapitel 20 vorausgehen. Für manche Spielarten des Postmillennialismus, die einen Großteil der Offenbarung historisierend verstehen, ist die Apokalypse eine Art theologische Landkarte, die den zukünftigen Verlauf der ganzen Kirchengeschichte abbildet. Für viele Postmillennialisten symbolisiert Offenbarung 19,11-16, wo Jesus auf einem weißen Pferd zum Gericht geritten kommt, nicht die Wiederkunft Christi am Ende des Zeitalters, sondern den Siegeszug des Evangeliums während der gesamten Kirchengeschichte und das Mittel zur Christianisierung der ganzen Welt.4 Sie begründen das mit Heb­ räer 4,12, wo das Wort Gottes beschrieben wird als »lebendig und wirksam und schärfer als jedes zweischneidige Schwert«. Wenn es in Offenbarung 19,15 heißt, »aus seinem Mund geht ein scharfes Schwert hervor, damit er die Heidenvölker mit ihm schlage«, dann verstehen die Postmillennialisten dies im Licht von Hebräer 4,12. Demnach wäre Offenbarung 19,11-16 ein Bild für die Kirchengeschichte, das sich im Laufe der Zeit erfüllt, indem sich das Evan-

3 Vgl. z. B. Ladd, Commentary on Revelation of John, S. 259-261. 4 Grenz, The Millennial Maze, S. 65-89.

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gelium mit Macht ausbreitet.5 Diese Auslegung unterscheidet sich zwar stark vom Prämillennialismus, stimmt mit ihm aber im chronologischen Verständnis von Offenbarung 19 und 20 überein. Diese Postmillennialisten sehen die Wiederkunft Christi erst in Offenbarung 20,11ff. Amillennialisten widersprechen dieser Auslegung. Um diesen Auslegungsunterschied zu erklären, müssen wir die literarische Beziehung zwischen Offenbarung 19 und 20 untersuchen. Ein noch anderes Verständnis von Offenbarung 20 vertritt der Präterismus: Er sieht die Offenbarung als prophetische Beschreibung von Gottes Gericht über Jerusalem im Jahre 70 n. Chr. Entscheidend für die Auffassung, dass sich der Großteil der Offenbarung bereits zu Lebzeiten der Apostel erfüllt hat, ist es, die Abfassung auf vor 70. n. Chr. zu datieren und »Babylon die Große« mit dem abgefallenen Israel zu identifizieren.6 In scharfem Kontrast zum Dispensationalismus, der all das für die Zukunft erwartet, datiert der Präterismus die Erfüllung in der Zeit vor dem Fall Jerusalems. Das verheerende Gericht ist für Präteristen nicht das zukünftige zweite Kommen Christi, sondern der Tod und die Auferstehung seines ersten Kommens auf die Erde. Am Kreuz hat Christus Satan besiegt. Mit dem Kommen des Königreichs hat Jesus Christus daher Satan nach und nach gebunden, indem sich das Evangelium und die Gemeinde weltweit ausbreiten. Für postmil­ lennialistische Präteristen wird sich dieser Prozess bis zur endgültigen Christianisierung der Welt fortsetzen. Offenbarung 20,7-10 zufolge wird Satan dann unmittelbar vor dem Ende während einer kurzen Zeit des Abfalls freigelassen.7 Diese Sichtweise hat Parallelen zum Amillennialismus: Satan wird durch Jesu erstes Kommen gebunden, die »erste Auferstehung« ist nicht die allgemeine leibliche Auferstehung und Offenbarung 20 beschreibt die Gegenwart. Amillennialisten verstehen jedoch im Allgemeinen »Babylon die Große« nicht als Israel und die Gerichtskatastrophen der Offenbarung nicht als die Geschehnisse 5 Vgl. David Chilton, The Days of Vengeance (Ft. Worth: Dominion, 1987), S. 485; B. B. Warfield, »The Millennium and the Apocalypse«, in Biblical Doctrines (Grand Rapids: Baker, 1981), S. 647. 6 Gentry, Before Jerusalem Fell. 7 Chilton, Days of Vengeance, S. 493ff.

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von 70 n. Chr. Diese »über-realisierte« Eschatologie (im Gegensatz zur teil-realisierten Eschatologie des Amillennialismus) lässt weder Platz für die eschatologische Spannung des schon jetzt/noch nicht noch für das neutestamentliche Verständnis vom Reich Gottes, das sowohl gegenwärtig, als auch noch unvollendet ist. Der Präterismus löst diese Spannung auf, weil er alles auf die Jahre vor den Fall Jerusalems datiert. Wie sollen wir die Symbole der Offenbarung verstehen? Die Offenbarung ähnelt den Büchern Hesekiel, Daniel und Sacharja: Sie kombiniert verschiedene Literaturgattungen, um den Verlauf der Heilsgeschichte aus der Perspektive Gottes zu beschreiben. In gewissem Sinn ist die Offenbarung der neutestamentliche Kommentar zu jenen heilsgeschichtlichen Themen, die die alttestamentlichen Propheten offen gelassen haben und die jetzt im größeren Licht der nachmessianischen Offenbarung betrachtet werden. Johannes sagt uns an manchen Stellen, dass zum richtigen Verständnis »Weisheit nötig« ist (Offb 13,18; 17,9). Gott verheißt denen großen Segen, die »die Worte dieser Weissagung« lesen, »sie hören und bewahren, was darin geschrieben steht, denn die Zeit ist nahe« (1,3). Wenn schon der Autor selbst darauf aufmerksam macht, dass dieses Buch von Dingen handelt, die schon »bald« geschehen sollen, dann sollten wir extrem futuristischen Auslegungen gegenüber sehr skeptisch sein. Die Offenbarung enthält drei unterschiedliche literarische Elemente: apokalyptische und prophetische Elemente sowie die Sendschreiben (Briefe).8 In gewissem Sinn ist die Offenbarung ein Brief des Apostels Johannes. Aber sie ist viel mehr als ein gewöhnlicher Brief. Die Definition der Gattung »apokalyptisch« ist schwierig, da es nicht nur ein spezielles Genre des alten Vorderen Orients ist, sondern von den biblischen Autoren oft im eschatologischen Sinne verwendet wird. Ein apokalyptischer Schreiber beschreibt mit Symbolen und Zahlen in bildlicher Sprache den Kampf zwischen 8 Beale, Book of Revelation

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Gut und Böse, der dem Tumult der Völker und Weltreiche zugrunde liegt. Die apokalyptische Literatur stellt das gegenwärtige Zeitalter als böse und dem Untergang geweiht dar. Diese Welt steht im starken Kontrast zur zukünftigen Welt und der Erwartung, dass Gott in die menschliche Geschichte eingreifen wird, um sein Reich in Vollendung aufzurichten.9 Der Schlüssel zum Verständnis der Geschichtsdeutung eines Autors besteht darin, seine Symbolik zu verstehen. Johannes beabsichtigte nicht, dass man seine Symbole buchstäblich versteht. Zugegeben: Das mag für heutige westliche Menschen vergleichsweise schwierig sein, da die Symbole der Offenbarung von Judenchristen des 1. Jahrhunderts wahrscheinlich auf Anhieb verstanden wurden. Sie waren mit dem Alten Testament vertrauter als wir und wussten instinktiv, wo sie »die Weisheit« zu suchen hatten, die Johannes einforderte. Als moderne Menschen, denen die damalige Welt nicht vertraut ist, sollten wir uns davor hüten, apokalyptische Literatur ohne gebührende Beachtung des historischen Kontexts zu lesen. Wenn man die Heuschrecken aus Offenbarung 9,3 für eine vorneuzeitliche Beschreibung eines Hubschraubers vom Typ Bell UH-1B Huey hält, wie es ein populärer dispensationalistischer Autor tut, 10 dann geht man mit dem Wort der Wahrheit sicherlich nicht richtig um. Wir sollten lieber einen Blick auf 2. Mose 10,1-20 und Joel 1,22,11 werfen, wenn wir Anhaltspunkte zur Auslegung der Heuschrecken in der Offenbarung suchen. In landwirtschaftlich geprägten Gesellschaften gab es nichts Zerstörerisches als Heuschrecken – sie vernichteten einfach alles. Der Leser des 1. Jahrhunderts wusste, dass Heuschrecken Gericht symbolisieren und verstand sie nicht als Bild für künftige technische Entwicklungen. Ein Prophet muss als Repräsentant Gottes verstanden werden. Wenn apokalyptische Autoren die Zukunft beschreiben, ist ihre Apokalyptik zugleich Prophetie. An dieser Stelle sollte es leicht erkennbar sein, wo die Linie zwischen Prophetie und Apokalyptik verschwimmt, besonders da diese beiden Literaturgattungen das ganze 9 Carson, Moo, and Morris, Introduction to New Testament, S. 478. 10 Hal Lindsey, There’s A New World Coming (Santa Ana: Vision House, 1973), S. 138.

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Buch der Offenbarung durchziehen.11 Da die Offenbarung apokalyptischer Natur, prophetischer Autorität und formell ein Brief ist, sind ihre Symbole nur vor dem Hintergrund des Alten Testaments verständlich. Manche Prämillennialisten meinen zwar, es sei besser, bei der Millenniumsfrage gleich bei der Offenbarung anzufangen, doch da wir verstehen müssen, wie diese Symbole in ihrem historischen Kontext gemeint sind, dürfen wir nicht außer Acht lassen, dass die Gedankenwelt des Verfassers dem Alten Testament entspringt.12 Obwohl beim Lesen der Offenbarung unser Verständnis im Alten Testament verankert sein sollte, hatte Johannes auch stets die militärische Macht, den kulturellen Einfluss und die politischen Machenschaften Roms vor Augen. Wir sollten die Offenbarung nicht so lesen, als wäre sie für Christen des 21. Jahrhunderts geschrieben, sondern müssen bedenken, was die Symbole und Zahlen für die ursprünglichen Leser bedeuteten. Deshalb schauen wir ins Alte Testament, um zu sehen, was diese Bilder dort bedeuten. Dann werden die Symbole eine konstante Bedeutung für Christen aller Zeiten haben. Sie weisen uns kontinuierlich auf Jesus Christus und sein Erlösungswerk hin. Wenn Dispensationalisten auf ein wörtliches Verständnis von Offenbarung 20 pochen, hat ihre Argumentation zweifellos einen gewissen Reiz, denn liberale Theologen haben oft die klare Lehre der Schrift durch eine eigenwillige, nichtwörtliche Hermeneutik verkannt. Alle bibeltreuen Christen nehmen den Text der Bibel ernst und sind zu Recht skeptisch gegenüber jenen, die das nicht tun. Es wird eingewendet, wenn wir die Symbole nicht wörtlich auslegen, dann könnten wir die Heilige Schrift wie eine Wachsfigur nach unserem Belieben verformen. Doch das wörtliche Verständnis eines Bibeltextes ist nicht so einfach, wie uns der Dispensationalismus glauben machen will, besonders in einem Buch wie der Offenbarung. Charles Ryrie fordert uns auf, jedem Wort die gleiche Bedeutung zu geben wie im normalen Sprachgebrauch, sei es mündlich, schriftlich oder gedanklich.13 Vern Poythress hat aber darauf hin 11 Carson, Moo, and Morris, Introduction to New Testament, S. 478. 12 R. Laird Harris, »Premillennialism« in David G. Hagopian (Hrsg.): Always Reformed (Phillipsburg, N.J.: Presbyterian and Reformed, in Vorbereitung). 13 Ryrie, Dispensationalism Today, S. 86-87.

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gewiesen, dass nur »Wörter, nicht aber Sätze eine wörtliche oder normale Bedeutung haben. Außerdem ist für Wörter wie für Sätze gleichermaßen der Kontext höchst wichtig zur Bestimmung der Bedeutung einer beliebigen Stelle der Kommunikation.«14 Der Kontext von Offenbarung 20 ist kein historischer, narrativer Bericht, sondern apokalyptische Prophetie. Sollen wir es etwa buchstäblich verstehen, wenn Johannes am Anfang des Kapitels sagt, dass er »einen Engel aus dem Himmel herabsteigen sah, der den Schlüssel des Abgrundes und eine große Kette in seiner Hand« hatte? Hält der Engel eine buchstäbliche Kette und einen buchstäblichen Schlüssel in der Hand? John Walvoord bleibt seinen dispensationalistischen Überzeugungen treu und sagt ja.15 Wenn wir die Stelle jedoch genauer untersuchen, dann wecken zwei Dinge unsere Aufmerksamkeit: die literarische Gattung des Buches und der unmittelbare Kontext sprechen dafür, dass diese Vision voll solcher Symbole ist wie Kette, Abgrund, Drache und Schlange. Johannes mag diese Dinge in seiner Vision tatsächlich gesehen haben, doch sagt uns der Kontext, dass es Symbole für etwas anderes sind.16 Bei einem Buch wie der Offenbarung, das sich durch visionäre Symbolik auszeichnet, müssen wir vier Bedeutungsebenen beachten. Die erste Ebene ist die linguistische, d. h. was die Wörter und Sätze im hellenistischen Griechisch bedeuten. Die zweite Ebene ist die visionäre: die Vision, die Johannes mittels Sprache darstellt und beschreibt. Die dritte Ebene ist die Bezugsebene: die Personen, Mächte oder historischen Ereignisse, auf die sich die Bilder, die Johannes sah, beziehen oder auf die sie verweisen. Die vierte Ebene ist die symbolische: was die visionäre Bedeutungsebene, was die Bilder, die Johannes in seinen Visionen sah, über die Bezugsebene über die symbolisierten Personen, Mächte oder Ereignisse offenbaren.17 Doch im Grunde ist 14 Vern S. Poythress, Understanding Dispensationalists (Grand Rapids: Zondervan, 1987), S. 79. 15 Walvoord, Revelation of Jesus Christ, S. 291. 16 Beale, Book of Revelation, S. 973-974. 17 Vern S. Poythress, »Genre and Hermeneutics in Rev 20,1-6«, Journal of the Evangelical Theological Society 36 (März 1993), S. 46; hier zusammengefasst nach Dennis E. Johnson: Der Triumph des Lammes. Ein Kommentar zur Offenbarung (Oerlinghausen: Betanien Verlag 2014), S. 24.

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es der Kontext selbst, nicht die Laune moderner Ausleger, der uns zu der Überzeugung bringt: Was der Engel in der Vision offenbart, symbolisiert etwas, was über den historischen Bezug hinausgeht. Manche sagen, das Problem der Dispensationalisten sei, dass sie von der sprachlichen Ebene sofort zur Bezugsebene wechseln, ohne die visionäre oder die symbolische Ebene zu berücksichtigen.18 Das ist besonders bei Offenbarung 20 problematisch, wo Literaturgattung und unmittelbarer Kontext erfordern, dass neben sprachlicher Bedeutung und der Bezugsebene auch die visionäre und die symbolische Bedeutung beachtet wird. Wenn Johannes hier zwei Mal sagt, »ich sah« (eidon), womit er in der Offenbarung stets auf symbolische Visionen hinweist (Offb 4,1; 10,1-3; 13,1-3; 14,1; 17,1-3), dann müssen wir einsehen, dass diese Vision nicht auf die sprachliche Ebene und die Bezugsebene reduziert werden kann.19 Das Bild eines Engels mit einer Kette und einem Schlüssel verweist auf etwas anderes über die Bezugsebene hinaus, auf andere biblisch-theologische Themen an anderer Stelle der Heiligen Schrift. Den Dispensationalisten ist es hoch anzuerkennen, dass sie die Inspiration und die Autorität der Bibel verteidigen. Ironischerweise wird ihnen das Verkennen einer symbolischen Kommunikations­ ebene in Offenbarung 20 zum Verhängnis, sodass sie den Abschnitt letztlich nicht so verstehen, wie der Autor ihn gemeint hast. Sie haben dem Bibeltext einen literalistischen Sinn aufgezwungen, d. h. allein die linguistische und Bezugsebene beachtet, obwohl diese Schriftstelle eine Vision mit hochgradig symbolischer Bedeutung ist. Dennoch sollten wir die Warnung vor willkürlicher »Wachsfigur-Auslegung« ernstnehmen. Wenn wir das beachten, gelangen wir zur einzig maßgeblichen und autoritativen Quelle, um diese Symbole zu deuten: zur übrigen Heiligen Schrift, insbesondere zum Alten Testament, das von der Offenbarung ausgelegt wird. Deshalb pochen reformatorische Christen nicht wie die Dispensationalisten auf eine buchstäbliche Auslegung, sondern auf das Prinzip der »Analogie des Glaubens«: Die Schrift legt die Schrift aus. 18 Poythress, »Genre and Hermeneutics«, S. 46. Vgl. die dispensationalistische Antwort von Thomas D. Ice, »Dispensational Hermeneutics« in Willis and Master (Hrsg.): Issues in Dispensationalism, S. 29-49. 19 Beale, Book of Revelation, S. 973-974.

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Rekapitulation – Das Verhältnis von Offenbarung 19 zu 20 Es ist nicht nur problematisch, die Symbole in der apokalyptischen Literatur wörtlich zu verstehen, sondern auch, das Buch der Offenbarung strikt chronologisch aufzufassen. Eine historische Erzählung liest man vom Anfang bis zum Ende. Die darin beschriebenen Ereignisse sind mehr oder weniger chronologisch, also in zeitlicher Reihenfolge angeordnet. Doch in der apokalyptischen Literatur ist das anders. Die Offenbarung enthält eine Reihe von Visionen, die wie verschiedene Kameras mit unterschiedlichen Blickwinkeln fungieren. Deshalb entspricht die Reihenfolge, mit der Johannes von diesen Visionen berichtet, nicht unbedingt der Abfolge der historischen Ereignisse, die sie symbolisieren.20 Stattdessen liefern manche Visionen eine Rekapitulation eines bereits in einer vorherigen Vision geschilderten Geschehens oder Musters, nur anders dargestellt oder ausgedrückt.21 Einfacher gesagt: Die Visionen sind nicht chronologisch, sondern thematisch geordnet. Auch wenn sich die Spirale des Gerichts mit dem Herannahen der Wiederkunft unseres Herrn immer enger zusammenzieht, kann sich Kapitel 20 schon zur gleichen Zeit in der Geschichte erfüllt haben wie andere, vorhergehende Visionen. Daher muss Kapitel 20 nicht unbedingt Ereignisse beschreiben, die zeitlich nach den Ereignissen von Kapitel 19 eintreten, sondern Kapitel 20 kann eine zeitliche Parallele bzw. Rekapitulation von Kapitel 19 sein.22 Dass die Offenbarung eine Reihe aufeinander folgender Visionen umfasst, die jeweils den Verlauf des gegenwärtigen Zeitalters aus einer anderen Perspektive darstellen (rekapitulieren), sollte uns 20 Der Vergleich mit der unterschiedlichen Kameraperspektive wird immer wieder von Dennis E. Johnson in seinem herausragenden Kommentar zur Offenbarung Der Triumph des Lammes (Oerlinghausen, Betanien Verlag 2014) aufgezeigt und auf S. 62-65 grundsätzlich erklärt. 21 R. Fowler White, »Reexamining the Evidence for Recapitulation in Rev 20:1-10«, Westminster Theological Journal 51 (Herbst 1989), S. 319. 22 Für eine Untersuchung zur Struktur des Buches und der verschiedenen Arten, in welchen die Visionen aufeinander Bezug nehmen, vgl. William Hendriksen, M­or­e Than Conquerors (Grand Rapids: Baker, 1982), S. 16-23; Johnson, Der Triumph des Lammes, S. 41-68; und Beale, Book of Revelation, S. 108-151.

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eine Warnung sein. Wir dürfen die Offenbarung nicht mit der Annahme lesen, weil etwas in einem früheren Kapitel steht, müsse es sich auch in der Geschichte zu einem früheren Zeitpunkt ereignen als Ereignisse, die in späteren Kapiteln beschrieben werden. Doch das klingt alles so theoretisch. Gibt es überzeugende Hinweise für diese Ansicht? William Hendriksen schreibt: »Ein sorgfältiges Studium von Offenbarung 20 zeigt, dass dieses Kapitel eine Ära beschreibt, die synchron zu Kapitel 12 verläuft.«23 Das kann leicht überprüft werden, wenn man Offenbarung 12,7-11 mit 20,1-6 vergleicht.24 Die offensichtliche Parallele zwischen Kapitel 12 und 20 ist aus mehreren Gründen wichtig. Erstens bedeutet das, dass beide Kapitel von der gegenwärtigen Zeit sprechen. Sie sind zwar nicht identisch, aber »sie beschreiben die gleichen Ereignisse und interpretieren sich gegenseitig.«25 Wenn das stimmt, dann ist das ein schwerer Schlag gegen den Prämillennialismus, der die in Kapitel 20 beschriebenen Ereignisse zeitlich nach der Wiederkunft Jesu Christi (Kap. 19) einordnet. Wenn Johannes mit dieser Reihe von Visionen das gegenwärtige Zeitalter aus verschiedenen Blickwinkeln beschreibt und wenn Kapitel 12 und 20 die gleichen Ereignisse aus unterschiedlicher Perspektive skizzieren, dann sind die tausend Jahre aus Offenbarung 20 eine Beschreibung des gegenwärtigen Zeitalters und kein zukünftiges irdisches Millennium. Das Hauptargument der Prämillennialisten besagt, es gäbe keine solche Rekapitulation. Nach George Ladd »ist kein solcher Hinweis [auf Rekapitulation] zu finden. Im Gegenteil scheinen die Kapitel 18-20 eine Reihe zusammenhängender Visionen zu präsentieren. Kapitel 18 berichtet von der Zerstörung Babylons, Kapitel 19 von der Vernichtung des Tieres und des falschen Propheten und Kapitel 20 fährt fort und berichtet von der Zerschlagung Satans selbst.«26 Ich bitte den Leser einfach, Ladds Behauptung im Licht der in der Tabelle aufgezeigten Parallelen zwischen Offenbarung 12 und 20 zu prüfen. 23 Hendriksen, More Than Conquerors, S. 21. 24 Beale, Book of Revelation, S. 992. 25 Ebd. 26 Ladd, Commentary on Revelation, S. 261.

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Offenbarung 12,7-11

Offenbarung 20,1-6

1.) Perspektive: im Himmel (V. 7)

1.) Perspektive: aus dem Himmel (V. 1)

2.) Schlacht der Engel gegen Satan und dessen Heer (V. 7-8)

2.) Schlacht der Engel gegen Satan wird vorausgesetzt (V. 2)

3.) Satan wird auf die Erde geworfen (V. 9)

3.) Satan wird in den Abgrund geworfen (V. 3)

4.) Satans Bezeichnung: »der große Drache … die alte Schlage, genannt der Teufel und der Satan, der den ganzen Erdkreis verführt« (V. 9)

4.) Satans Bezeichnung: »Drachen, die alte Schlange, die der Teufel und der Satan ist«; er wird daran gehindert, weiterhin »die Völker zu verführen« (V. 2-3), aber später noch einmal freigelassen, um »die Heidenvölker zu verführen, die an den vier Enden der Erde leben« (V. 3.7-8)

5.) Satan »hat … großen Zorn, da er weiß, dass er nur wenig Zeit hat« (V. 12)

5.) Satan wird nach seiner Gefangenschaft »für kurze Zeit losgelassen« (V. 3)

6.) Satans Fall führt zur Herrschaft Christi und seiner Heiligen (V. 10)

6.) Satans Fall führt zur Herrschaft Christi und seiner Heiligen (V. 10)

7.) Die Königsherrschaft der Heiligen beruht nicht nur auf dem Fall Satans und dem Sieg Christi, sondern auch auf der Treue der Heiligen, die »das Wort ihres Zeugnisses« bis zum Tod festgehalten haben (V. 11)

7.) Die Königsherrschaft der Heiligen beruht nicht nur auf dem Fall Satans, sondern auch auf ihrer Treue bis zum Tod »um des Zeugnisses Jesu und um des Wortes Gottes willen« (V. 4)

Dieser Punkt ist für Prämillennialisten dermaßen wichtig, dass sie sich gegenüber den Herausforderungen der Amillennialisten geradezu verschanzen. Stanley Grenz stimmt der Einschätzung Ladds zwar zu, verlagert die Frontlinie allerdings zur Beziehung zwischen Kapitel 19 und 20: »Ungeachtet der Parallelen, die amillennialisti283


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sche Ausleger vorgeschlagen haben, ist der Bruch zwischen Kapitel 19 und 20, den dieses eschatologische System verlangt, hochpro­ blematisch. Ein solcher Bruch scheint durch den Text nicht gerechtfertigt.«27 Craig Blaising argumentiert ähnlich: »Die Visionen in 19,11 – 21,8 sind als zusammenhängende Abfolge strukturiert. Es gibt keinen strukturellen Hinweis auf einen Bruch innerhalb der Abfolge, der Zustände aus Zeiten vor der Parusie rekapitulieren würde.«28 Wenn die Prämillennialisten Recht haben, dann schildert Offenbarung 19,11-21 eine große Schlacht bei der Wiederkunft Jesu Christi, auf die eine tausendjährige Friedenszeit folgt (Offb 20,1-6), die ihrerseits wieder mit einer großen Schlacht endet, die im Jüngsten Gericht gipfelt. Doch das entlarvt eine der größten Schwächen des Prämillennialismus: die Existenz des Bösen unter den Erlösten während des Millenniums, was letztlich zur finalen eschatologischen Schlacht führt. Tatsächlich gibt es eine Reihe von Gründen, anzunehmen, dass die in Offenbarung 19,11-21 bzw. 20,7-10 beschriebenen Schlachten ein und dasselbe Ereignis beschreiben, nur aus verschiedenen heilsgeschichtlichen Perspektiven. Die Schlacht in Kapitel 20 ist eine Wiederholung der Schlacht von Kapitel 19, und keine andere Schlacht tausend Jahre später. Es sind zwei Bilder ein- und desselben Kampfes. Wenn das überzeugend gezeigt werden kann, kommt man damit dem Amillennialismus als biblisches Verständnis der »tausend Jahre« ein bedeutendes Stück näher. Zwei Hauptargumente sprechen für eine Rekapitulation bei Offenbarung 19,11-21 und 20,7-10.29 Das erste Argument betrifft ein 27 Grenz, The Millennial Maze, S. 170. 28 Blaising, »Premillennialism«, S. 215. 29 White, »Reexamining Evidence for Recapitulation«, S. 319-344. Vgl. Beale, Book of Revelation, S. 974-983. White führt drei Argumentationslinien an, darunter das Motiv des herabsteigenden Engels, was für ihn ein Beleg, wenn nicht sogar Beweis ist (S. 336). Prämillennialistische Antworten auf Whites Essay finden sich bei Harold W. Hoehner: »Evidence from Revelation 20«, in Campbell and Townsend (Hrsg.), Case for Premillennialism, S. 235-262; Blaising, »Premillennialism«, S. 212-221. Whites Antwort darauf findet sich wiederum in R. Fowler White, »Making Sense of Revelation 20,1-10? Harold Hoehner Versus Recapitulation«, Journal of the Evangelical Theological Society 37, Nr. 4 (Dezember 1994), S. 539-551.

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Auslegungsproblem mit dem Gericht über die Nationen, das Johannes in 19,15 und 20,3 erwähnt. Das zweite Argument betrifft die Ähnlichkeit der beiden großen Schlachten. Schauen wir uns zunächst das erste Argument an. In Offenbarung 19,14-15 lesen wir: »Und die Heere im Himmel folgten ihm nach auf weißen Pferden, und sie waren bekleidet mit weißer und reiner Leinwand. Und aus seinem Mund geht ein scharfes Schwert hervor, damit er die Nationen mit ihm schlage, und er wird sie mit eisernem Stab weiden.« Das bezieht sich klar auf das Gericht über die Nationen bei der Wiederkunft unseres Herrn. Aber in Offenbarung 20,1-3 heißt es, dass Satan ausdrücklich zu dem Zweck gebunden wird, die Völker nicht weiter verführen zu können. Von welchen Völkern ist hier die Rede? Nach prämillennialistischer Auslegung sind diese Völker gerade bei der Wiederkunft Christi gerichtet worden. Was bleibt von diesen Völkern übrig, um vor der Verführung Satans beschützt werden zu müssen? Wie weitreichend dieses Problem für die Verfechter einer zeitlichen Abfolge von Offenbarung 19 und 20 ist, wird deutlich, wenn wir die Rolle der Völker in der Offenbarung untersuchen. In Kapitel 13 lesen wir, dass der Drache dem Tier seine Macht verleiht (V. 2), um jeden Stamm, jedes Volk, jede Sprache und jede Nation zu beherrschen (V. 7). Das Resultat dieser satanischen Vormachtstellung des Tieres ist, dass »alle, die auf der Erde wohnen, es anbeten werden« (V. 8), weil sie von den falschen Zeichen und Wundern verführt werden, die der falsche Prophet ihnen vorführen wird. In Kapitel 16,13-16 heißt es, dass die Könige der ganzen Erde »versammelt werden zur der Schlacht« von Harmagedon »an jenem großen Tag Gottes, des Allmächtigen« (V. 14). An diesem Tag, so berichtet Johannes, kommt Jesus wie ein Dieb zurück – zum Gericht (V. 15).30 30 Meredith Kline hat argumentiert, Harmagedon sollte nicht mit der Ebene von Meggido verwechselt werden, sondern beziehe sich auf den Berg der Versammlung. Die Schlacht von Offenbarung 16,16 findet am Ende des gegenwärtigen Zeitalters statt und ist identisch mit der Schlacht von Offenbarung 20,7-10. Kline zufolge ist Offenbarung 16,16 ein Bild des Gog-und-Magog-Antichrists aus Hesekiel 38-39, der die Heiligen kurz vor dem Ende vernichten will. Vgl. Meredith G. Kline. »Har Magedon: The End of the Millennium«, Journal of the Evangelical Theological Society 39, Nr. 2 (Juni 1996), S. 207-222.

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Die Identität dieser Völker wird in Offenbarung 19,19 klar: »Und ich sah das Tier und die Könige der Erde und ihre Heere versammelt, um Krieg zu führen mit dem, der auf dem Pferd sitzt, und mit seinem Heer.« Sie sind jene, »die das Malzeichen des Tieres annahmen und sein Bild anbeteten« (Offb 19,20) – eben die Nationen. Zu dieser Zeit werden das Tier und der falsche Prophet gefangen und »lebendig in den Feuersee geworfen, der mit Schwefel brennt« (V. 20). Dann »werden die übrigen getötet mit dem Schwert dessen, der auf dem Pferd sitzt, das aus seinem Mund hervorgeht, und alle Vögel sättigten sich von ihrem Fleisch« (V. 21). Offenbarung 13, 16 und 19 reden klar von ein und demselben Gericht. Das ist ein weiterer starker Hinweis auf das Prinzip der Rekapitulation in der Offenbarung. In Kapitel 16 und 19 wird das Gericht beschrieben, und das findet statt, wenn Jesus Christus zum Zorn wiederkommt, um die Nationen zu richten, die Toten aufzuerwecken und alle Dinge neu zu machen. Das Problem, das sich daraus für den Prämillennialismus ergibt, ist zwar schwerwiegend, wird aber von prämillennialistischen Auslegern gern übersehen.31 Wenn Christus bei seiner Wiederkunft (Offb 19,11-21) die Nationen richten wird, wie ist dann die Erwähnung der Nationen in Kapitel 20,1-3 zu verstehen? R. Fowler White sieht das Problem des Prämillennialismus darin, dass es einfach »keinen Sinn ergibt, in Offenbarung 20,1-3 von einem Schutz vor der satanischen Verführung der Nationen zu sprechen, nachdem sie zuvor von Satan verführt (16,13-16) und dann von Christus ins Verderben geschickt worden sind (19,11-21).«32 Im Licht der breiteren Eschatologie des Neuen Testamens ist die wahrscheinlichste Erklärung die, dass Offenbarung 19,11-21 vom selben Ereignis spricht wie 20,7-10. Der prämillennialistische Versuch, die Nationen in Kapitel 20,7-10 als Überlebende der großen Schlacht von Kapitel 19,11-21 zu sehen, wirkt bestenfalls konstruiert.33 31 George Ladd z. B. erwähnt diese Schwierigkeit gar nicht; Ladd, Commentary on Revelation, S. 255-256. Johnson schreibt: »Hier wird die eschatologische Wiederkunft Christi zum Gericht über die Nationen beschrieben und nicht das gesamte Zeitalter.« Alan Johnson, Revelation, The Expositor’s Bible Commentary Bd. 12; Hrsg.: Frank Gaebelein (Grand Rapids: Zondervan, 1981), S. 575. 32 White, »Reexamining Evidence for Recapitulation«, S. 321. 33 R. H. Mounce, The Book of Revelation (Grand Rapids: Eerdmans, 1977), S. 353.

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Gottes Verhinderung satanischer Verführung der Nationen (Offb 20,1-3) ermöglicht im gegenwärtigen Zeitalter die Verbreitung des Evangeliums und ist kein Hinweis auf ein zukünftiges Millennium. Es ist die Zeit des Evangeliums; Satan ist gebunden und das Evangelium wird bis an die Enden der Erde getragen, bis die »tausend Jahre« vorüber sind (Apg 17,30-31; Eph 3,4-6). Erst dann wird Satan freigelassen, so dass er die Nationen verführen kann und sie gegen die Gemeinde Christi aufbringen wird. Das ist der Gipfel aller Rebellion und führt zum Jüngsten Gericht. Das zweite Hauptargument für eine Rekapitulation von Kapitel 19,11-21 in 20,7-10 betrifft die Ähnlichkeiten zwischen den beiden Schlachten, die Johannes beschreibt. Ein Grund für diese Ähnlichkeit hat zweifellos damit zu tun, dass Johannes an beiden Stellen große Anleihen bei Hesekiel 38 und 39 macht, wo die eschatologische Niederlage des mysteriösen »Gog von Magog« beschrieben wird.34 In Hesekiel 39,17-20 schildert der Prophet ein grauenvolles Ereignis: Wilde Tiere und Vögel werden versammelt, um sich an Gottes vernichtetem Feind zu laben, an Gog, dem Fürsten von Mesech und Tubal. Die Vögel und Tiere werden »Fleisch von Helden essen und das Blut der Fürsten der Erde trinken … Sättigt euch an meinem Tisch von Pferden und Reitern, von Helden und allen Kriegsleuten! spricht Gott, der Herr« (Hes 39,18-20). In Offenbarung 19,17-18 beschreibt Johannes folgende Szene: »Und ich sah einen Engel in der Sonne stehen; und er rief mit lauter Stimme und sprach zu allen Vögeln, die inmitten des Himmels fliegen: Kommt und versammelt euch zu dem Mahl des großen Gottes, um das Fleisch der Könige zu verzehren und das Fleisch der Heerführer und das Fleisch der Starken und das Fleisch der Pferde und derer, die darauf sitzen, und das Fleisch aller, der Freien und der Knechte, sowohl der Kleinen als auch der Großen.« Die Parallelen zu Hesekiel sind offenkundig. Vögel und Tiere werden zu einem Festmahl an Gottes Feinden versammelt – der göttliche 34 Populäre dispensationalistische Autoren sehen in dieser Prophezeiung oft die Vorhersage einer russisch-arabischen Invasion, die Israel während der Trübsalszeit treffen soll. Zur Entwicklungsgeschichte der dispensationalistischen Sicht der Rolle Russlands im Endzeitgeschehen vgl. Paul Boyer, When Time Shall Be No More (Cambridge, England: Belknap, 1992), S. 152-180.

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Krieger hat sie zerschlagen. Die Vision von Johannes endet in Vers 21 mit der einfachen Erklärung: Nachdem Gottes Gericht über das Tier und den falschen Propheten hereingebrochen ist und »die Übrigen« (der Nationen) getötet worden sind, »sättigten sich alle Vögel an ihrem Fleisch«. Die Prophezeiung hat sich erfüllt. Es kann kaum Zweifel daran geben, dass die Prophezeiung von Hesekiel 38-39 mit der Wiederkunft des Herrn in Offenbarung 19,11-21 erfüllt wird.35 Doch in Offenbarung 20,7-10 werden am Ende der tausend Jahre bei der Rebellion der Nationen gegen Gottes Stadt und Volk die Rebellen ebenfalls als »Gog und Magog« bezeichnet. Zudem werden sie in so großer Zahl versammelt, dass Johannes sagt, ihre Zahl sei »wie der Sand des Meeres«.36 Dies ist ein Hinweis darauf, dass die beiden Visionen in 19,11-21 und 20,7-10 ein und dieselbe Schlacht meinen. Damit ist das Problem des erneuten Sündenfalls der Menschheit während des Tausendjährigen Reiches, den der Prämillennialismus annehmen muss, gelöst. Dieses Mal erfahren wir, dass bei Gottes Feuergericht über die rebellischen Nationen auch der Teufel selbst in den Feuersee geworfen wird, so wie das Tier und der falsche Prophet. Johannes trennt aber nicht das Gericht über das Tier und den falschen Propheten vom Gericht über den Teufel durch eine tausendjährige Herrschaft nach der Wiederkunft Christi. Vielmehr liefert er uns zwei verschiedene Perspektiven ein und desselben Geschehens. Sowohl in Kapitel 19,20 wie auch in 20,9-10 verzehrt das Feuer des Gerichtes Gottes Feinde. Die eine Vision beschreibt das Gericht über die Nationen, das Tier und den falschen Propheten. Die andere beschreibt das Gericht über die Nationen und den Satan. An beiden Stellen heißt es, dass die Feinde Gottes durch brennenden Schwefel im Feuersee den endgültigen und ewigen Zorn Gottes zu spüren bekommen. White kommt zu dem Schluss: »Hätte Johannes gewollt, dass wir die Revolten in Kapitel 19 und 20 als verschiedene Episoden der Geschichte verstehen, dann können wir wohl kaum von ihm erwarten, dass er beide mit 35 White, »Reexamining Evidence for Recapitulation«, S. 326-327. 36 Kline meint, es handele sich um die Stadt Har Magedon und verbindet die Prophezeiungen in Offenbarung 16,14-16; 19,11-21 und 20,7-10 mit dem Gog und Magog aus Hesekiel 38-39. Vgl. Kline, »Har Magedon«, S. 220.

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denselben Begriffen und Bildern einer einzigen Episode aus Hesekiel beschreibt.«37 Diese beiden schlagkräftigen Argumente verdeutlichen, dass die Schlacht von Kapitel 19,11-21 dieselbe ist wie in 20,7-10. Doch es gibt noch ein weiteres Argument für die Rekapitulation in der Offenbarung. In Kapitel 15,1.8 lesen wir von sieben Plagen, die den Zorn Gottes auf der Erde »vollenden« (etelesthe) werden.38 Bei der sechsten Zornschale versammeln der Drache, das Tier und der falsche Prophet die Könige der Erde zur finalen Schlacht (Offb 16,12-14). Das ist natürlich genau das, was in Kapitel 19,19 beschrieben wird, wo das Tier die »Könige der Erde versammelt, um Krieg zu führen«. Bei der siebten Zornschale (Offb 16,17-21) hören wir einen Engel rufen: »Es ist geschehen!« Gottes Zorn ist vollendet. Ein starkes Erdbeben, das die große Stadt in drei Teile spaltet und die Städte der Völker zerstört, ist das Resultat. »Und jede Insel entfloh, und es waren keine Berge mehr zu finden« (16,19-20). Das geschieht zur gleichen Zeit wie die Niederlage der Völker in Kapitel 19,15. Was also in Kapitel 16 aus kosmischer Perspektive beschrieben wird, ist das Mittel, wodurch dieses Gericht vollzogen wird: Das große Erdbeben wirbelt die natürliche Ordnung der Welt durcheinander. Der Punkt ist einfach der: Wenn Kapitel 19,19-21 und 20,7-10 zwei weitere, verschiedene Schlachten beschreiben, die tausend Jahre auseinander liegen, warum hat dann die siebte Zornschale Gottes Zorn gegen seine Feinde nicht vollendet? Das ist ein weiteres Problem für den Prämillennialismus, der behauptet, dass Gottes Zorn am Ende eines zukünftigen Millenniums sich erneut gegen seine Feinde ergießen werde. Hinzu kommt, dass dem Prämillennialismus zufolge der Aufstand von Offenbarung 20,7-10 auch Erlöste auf einer teilweise erlösten Erde umfasst. Das vergrößert das Problem noch weiter. Es ergibt viel mehr Sinn, wenn man diese Visionen allesamt als Beschreibung des gegenwärtigen Zeitalters versteht, das damit enden wird, dass sich Gottes Zorn über seine Feinde ergießt. 37 White, »Reexamining Evidence for Recapitulation«, S. 327. 38 Die Zornschalengerichte »vervollständigen die Schilderung des göttlichen Zorns der Siegel- und Posaunengerichte. Aufgrund dieser umfassenderen Präsentation des Zorngerichts durch die Schalen kann gesagt werden, dass Gottes Zorn vollkommen zum Ausdruck gekommen ist.« Beale, Book of Revelation, S. 788.

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Die Auslegung von Offenbarung 20,1-10 Wegen der einzigartigen literarischen Gattung der Offenbarung und ihrer vielfältigen apokalyptischen Symbolik muss Kapitel 20 stets im Licht der breiteren Eschatologie des Neuen Testaments ausgelegt werden. Einige Faktoren, die wir bereits untersucht haben, dienen als Hintergrund für die richtige Auslegung dieser Schriftstelle. Aufgrund unserer Untersuchung der zwei eschatologischen Zeitalter in Teil 2 (das Zwei-Zeitalter-Modell) ist klar, dass nach der Wiederkunft Christi nur verherrlichte Gläubige auf der neuen Erde sein können. Bevor wir ins Detail gehen, gibt es noch einige ernste Fragen zur traditionellen prämillennialistischen Interpretation dieser Stelle. Außerdem sollte klar sein, dass wir gemäß dem reformatorischen Prinzip der analogia fidei (Analogie des Glaubens) unklare Stellen immer im Licht der klareren Stellen auslegen müssen. Das gilt insbesondere für apokalyptische Literatur. Ich habe zeigen können, dass sich die leibliche Auferstehung und das Jüngste Gericht (dem Zwei-Zeitalter-Modell gemäß) bei der Wiederkunft Christi ereignen werden. Das schließt die Möglichkeit aus, dass nach der Wiederkunft Christi Menschen mit unverherrlichten, sterblichen Körpern in einem Tausendjährigen Reich leben werden (vgl. 1Kor 15,42). Das Sterbliche muss erst Unsterblichkeit anziehen, sagt Paulus (1Kor 15,53). Das bedeutet auch, dass es keine Auferstehung zu einem späteren Zeitpunkt gibt, wie der Prämillennialismus behauptet. Das dispensationalistische Verständnis der Offenbarung schafft eine Reihe von Problemen. Allein schon der Gedanke an ein tausendjähriges Zeitalter, das durch die Rückkehr zur alttestamentlichen Heilsökonomie bestimmt wird, ist problematisch.39 Während 39 Nach John Walvoord ist »das Millennium als Aspekt von Gottes theokratischem Programm … die Erfüllung der davidischen Verheißung, dass das Königtum und der Thron Israels für immer bestehen werden … Verfechter dieser Ansicht glauben: Im Millennium herrscht Christus als oberster politischer Führer und viele der alttestamentlichen Verheißungen eines Königreichs auf Erden mit einem führenden Israel und gesegneten Nationen werden sich ganz buchstäblich erfüllen.« Walvoord, Revelation of Jesus Christ, S. 283-284.

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Prämillennialisten das Millennium für ein goldenes Zeitalter auf einer teilweise erlösten Welt nach der Wiederkunft Christi halten, sieht der Postmillennialismus darin eine goldene Ära der Gemeinde noch während dieses gegenwärtigen bösen Zeitalters, wobei die Nationen christianisiert sind und der Großteil der Weltbevölkerung zum Glauben an Jesus Christus kommen wird. Beide Formen des Millennialismus eines goldenen Zeitalters gründen ihre Ansicht auf der Annahme, dass die tausend Jahre aus Offenbarung 20 identisch sind mit der Prophezeiung aus Jesaja 2, wo es heißt, dass die Nationen »ihre Schwerter zu Pflugscharen schmieden werden und ihre Speere zu Rebmessern; kein Volk wird gegen das andere das Schwert erheben, und sie werden den Krieg nicht mehr erlernen« (Jes 2,4). Der Amillennialismus hingegen sieht in den »tausend Jahren« alles andere als ein goldenes Zeitalter, in dem der Löwe friedlich beim Lamm liegt. Diese Ära ist vielmehr von Konflikten, Verfolgung und Rebellion gegen Gott gekennzeichnet. Offenbarung 20 beschreibt nicht die triumphierende, sondern die kämpfende Gemeinde. Jesaja 2,4 beschreibt aber die neue Erde und kein Tausendjähriges Reich. Was dagegen in Offenbarung 20 geschildert wird, entspricht mehr diesem gegenwärtigen bösen Zeitalter als einem zukünftigen Millennium. Trotz der unglücklichen Bezeichnung »A-millennialismus« gibt es aber tatsächlich ein Millennium. Das Millennium, in dem Christus regiert, ist keine Zukunftshoffnung, sondern eine gegenwärtige Realität. Die amillennialistischen Ausleger sehen in Offenbarung 20 das schwächste Glied in der Kette der prämillennialistischen Argumentation. Wenn die prämillennialistische Position korrekt ist, dann endet das goldene Zeitalter der Herrschaft Christi nach tausend Jahren damit, dass sich verherrlichte Menschen gegen Christi sichtbare Herrschaft auflehnen, nachdem Satan aus dem Abgrund freigelassen worden ist. Wenn man diese Vorstellung eines künftigen tausendjährigen Zeitalters auf Grundlage des Prinzips »Analogie des Glaubens« betrachtet, dann erscheint ein »zweiter Sündenfall« am Ende dieses Zeitalters dermaßen problematisch, dass der Amillennialismus alle Formen des Prämillennialismus von vornherein ausschließt. Ein Sündenfall einer verherrlichten Menschheit nach der Wiederkunft Christi bedeutet, dass die Ewigkeit nicht sicher 291


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wäre und es auch dann immer noch zu Abfall und Aufkeimen einer sündigen Natur kommen könnte. Deshalb baut die amillennialistische Auslegung von Offenbarung 20 auch auf klare Stellen in den Evangelien und den Paulusbriefen, wie z. B. auf solche, die von nur zwei Zeitaltern sprechen – diesem Zeitalter und dem zukünftigen. Der Amillennialismus interpretiert die symbolische und apokalyptische Sprache der Offenbarung im Licht dessen, wie diese Symbole an anderen Stellen der Offenbarung und in der gesamten Bibel verwendet werden. Offenbarung 20 kann in drei Abschnitte unterteilt werden.40 Die Verse 1-3 handeln von der Bindung Satans, in den Versen 4-6 geht es um den Gegensatz zwischen der ersten Auferstehung und dem zweiten Tod, und die Verse 7-10 beschreiben die Rebellion am Ende der tausend Jahre nach der Freilassung Satans. Offenbarung 20,1-3 Die Sprache von Offenbarung 20 ist hochgradig symbolisch. Hendriksen schreibt: »Johannes sieht einen Engel aus dem Himmel herabkommen. Er hat einen Schlüssel, mit dem er den Abgrund verschließen wird (vgl. 9,1.11). Dieser Abgrund ist ein tiefes Loch mit einem Schlund (9,1) und einem Verschluss. Dieser Verschluss kann geöffnet (9,2) und geschlossen (20,3), ja, sogar versiegelt werden (20,3). Man muss bedenken, dass es sich hier um Symbolik handelt.«41 Um die Symbole richtig zu verstehen, muss man die Vision in Offenbarung 20, besonders die Erwähnung von Engel und Abgrund, vor dem Hintergrund der vorhergehenden Visionen sehen, wo die gleichen Symbole auftauchen. Die erste Auslegungsfrage betrifft also die Identität der beiden zentralen Figuren: Wer ist die Schlange und wer der Engel? Die Identität der Schlange ist klar: Der Text selbst identifiziert sie als »Drache«, »Teufel« und »Satan«. Drache (drakon) stammt von ei 40 Offenbarung 20,1-3 und 4-6 beginnen beide mit der Einleitung »Ich sah« (eidon). Mit diesem Ausdruck wird in der Offenbarung stets eine symbolische Vision angekündigt. Vgl. Beale, Book of Revelation, S. 973. 41 Hendrikson, More Than Conquerors, S. 185.

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nem alttestamentlichen Ausdruck für ein böses Seeungeheuer, das die Nationen symbolisiert, die Israel terrorisieren. »Oft wird das böse Königreich Ägypten durch dieses Bild beschrieben. Gott bezwingt den Pharao, dieses Meeresungeheuer, mit dem Exodus und auch im weiteren Verlauf der Heilsgeschichte.«42 Der Drache wohnt im Meer, das man in der Antike für den Ort der Ungeheuer, des Sturmes und aller Unwetter hielt (Offb 12,15; 13,1). Daher gibt es im neuen Jerusalem auch kein Meer mehr (Offb 21,1). Der finale Verbleib des Drachens ist der Feuersee fernab vom Volk Gottes. Die Identifizierung des Engels ist schon schwieriger. Man hat oft an Christus selbst gedacht43 oder auch an den Erzengel Michael (vgl. 2Petr 2,10-12; Jud 9). Wie wir gesehen haben, liefert Offenbarung 9 den Auslegungsschlüssel. Die Identität des Engels ist eng verknüpft mit der Bedeutung der anderen Symbole in dieser Vision, besonders mit dem Abgrund und dem Schlüssel. Offenbarung 8,6 und 9,1-2 zufolge dienen die Engel als »Mittler Jesu, die seine Gewalt über dämonische Mächte ausüben.«44 Da Offenbarung 20 auf nichts anderes hinweist, dürfte es hier nicht anders sein. Doch dieser besondere Engel hat einen Schlüssel – wahrscheinlich denselben, den Christus in Kapitel 1 in seinen Händen hält: »Ich war tot, und siehe, ich lebe von Ewigkeit zu Ewigkeit, Amen! Und ich habe die Schlüssel des Totenreiches und des Todes« (V. 18). Der auferstandene Christus hält diesen Schlüssel in seinen Händen, weil allein er siegreich über Tod und Grab ist. Als dieser Engel erscheint, hat er den Schlüssel zum Abgrund. Das ist ein symbolischer Hinweis darauf, dass Christi Autorität sich auch über das Reich Satans und des Todes erstreckt.45 Der Engel dürfte allerdings nicht Christus selbst sein, sondern ein Mittler, der diese Autorität nur ausübt. Das passt auch zur Aussage von Paulus, dass ein geheimnisvoller »Zurückhalter« das Auftreten des »Gesetzlosen« noch unterbindet, bevor er kurz vor dem Jüngsten Gericht losgelassen wird (2Thes 2,6-10). 42 Beale, Book of Revelation, S. 632. Dieser Gedanke stützt sich auf Stellen wie Psalm 89,10; Jes 30,7; 51,9; Hes 29,3; 32,2-3; Hab 3,8-15. 43 Chilton, Days of Vengeance, S. 499; Kik, Eschatology of Victory, 194. 44 Beale, Book of Revelation, S. 984. 45 Ebd.

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Die eigentliche Streitfrage in der Auslegung betrifft aber das, was der Engel in Vers 2-3 tut: »Und er ergriff den Drachen, die alte Schlange, die der Teufel und der Satan ist, und band ihn für tausend Jahre und warf ihn in den Abgrund und schloss ihn ein und versiegelte über ihm, damit er die Nationen nicht mehr verführen kann, bis die tausend Jahre vollendet sind. Und nach diesem muss er für kurze Zeit losgelassen werden.« Was das bedeutet, hat zu endlosen Debatten geführt. Als erstes müssen wir die tausend Jahre klären. Dispensationalisten wie John Walvoord verstehen darunter buchstäbliche eintausend Jahre.46 Der historische Prämillennialist George Ladd behauptet hingegen, dass »es schwierig ist, die tausendjährige Gefangenschaft Satans strikt buchstäblich zu verstehen, da Zahlen in der Offenbarung offensichtlich symbolisch gebraucht werden. Tausend ist zehn hoch drei und damit eine vollkommene Zeit.«47 Obwohl der Postmillennialismus im Gegensatz zum Prämillennialismus das Millennium vor der Wiederkunft Christi erwartet, stimmt er Ladd hierin zu. Nach J. Marcellus Kik ist »der Begriff ›tausend Jahre‹ in Offenbarung 20 ein bildhafter Ausdruck, der die Zeit des messianischen Königreichs auf Erden beschreibt. Damit ist die Zeit zwischen erstem und zweitem Kommen Christi gemeint.«48 Amillennialisten stimmen mit dieser allgemein überein und verstehen die tausend Jahre als Symbol für das ganze Gemeindezeitalter. Es gibt gute Gründe dafür, die tausend Jahre nicht buchstäblich zu verstehen. Erstens werden in der Offenbarung Zahlen immer symbolisch verwendet.49 Wahrscheinlich hat Ladd Recht mit seinem Hinweis, dass zehn hoch drei, also tausend, eine vollkommene, in sich vollständige Zeitspanne symbolisiert. Außerdem sollte uns der unmittelbare Kontext und die Bildhaftigkeit vieler Begriffe wie Kette, Abgrund, Schlange, Tier usw. darauf schließen lassen, dass auch Zahlen etwas symbolisieren. Dafür gibt es gute theologische Gründe. In Offenbarung 2,10 heißt es, dass einige Christen eine Drangsal von »zehn Tagen« erdulden müssen. Dafür werden 46 Walvoord, Revelation of Jesus Christ, S. 282-295. 47 Ladd, Commentary on Revelation, S. 262. 48 Kik, Eschatology of Victory, S. 205. Vgl. Chilton, Days of Vengeance, S. 499 ff. 49 Beale, Book of Revelation, S. 58-64, S. 1017-1021.

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sie »den Lohn einer tausendjährigen Herrschaft empfangen. Diese Potenzierung von zehn zu tausend sowie die Verlängerung von ›Tagen‹ zu ›Jahren‹ legt nahe, dass die gegenwärtige Bedrängnis eine ungleich größere Herrlichkeit nach sich zieht – und das sogar schon im Zwischenzustand [d. h. zwischen Tod und leiblicher Auferstehung] vor der ewigen Herrlichkeit.«50 Die tausend Jahre beginnen also mit der Bindung Satans. Aber welche Auswirkungen hat diese Bindung? Heißt das, Satan könne überhaupt nichts Böses mehr tun? Und wenn das Millennium, wie Amillennialisten behaupten, keine zukünftige, sondern gegenwärtige Wirklichkeit ist, wie kann da Satan »gebunden« sein, wo es doch so viel Böses in der Welt gibt? Auf den ersten Blick klingt das wie ein überwältigender Einwand gegen den Amillennialismus. Wenn wir uns aber genauer anschauen, was Johannes über die Bindung Satans lehrt, wird die Vorstellung vom gegenwärtig gebundenen Satan sogar noch zu einem Argument zugunsten des Amillennialismus. Die amillennialistische Deutung der Bindung Satans ist ganz einfach: Beim ersten Kommen Jesu Christi und seines Königreichs wurde der Satan in gewissem Sinne schon gebunden. Vers 3 zufolge wurde der Satan zu einem ganz bestimmten Zweck in den Abgrund geworfen, nämlich »damit51 er die Nationen nicht mehr verführen kann, bis die tausend Jahre vollendet sind. Und danach muss er für kurze Zeit losgelassen werden.« Diese Bindung Satans bedeutet, dass der Teufel nach dem Kommen des langerwarteten Messias eine gewisse Macht einbüßte, die er vor dem Leben, Tod, Auferstehung und Himmelfahrt Jesus noch besaß. Das heißt nicht, dass der Satan während des Millenniums gar nichts mehr tut, wie es viele Gegner des Amillennialismus fälschlicherweise unterstellen.52 Satans Gefangenschaft im Abgrund bedeutet nur, dass er bis 50 Ebd., S. 995. 51 Im Griechischen steht hier hina, was eindeutig »damit« bedeutet: damit er die Nationen nicht verführen kann. 52 Walvoord, Millennial Kingdom, S. 51,291-295. Vgl. ders., »Is Satan Bound?« in Zuck (Hrsg.), Vital Prophetic Issues, S. 83-95. Da Walvoord diesen Abschnitt buchstäblich auslegt, muss für ihn jegliche Gegenwart von Bösem im jetzigen Zeitalter bedeuten, dass die Bindung Satans erst in der Zukunft erfolgt, eben

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kurz vor dem Ende des Zeitalters keine Macht besitzt, die Nationen zu verführen. Wenn wir verstehen wollen, was diese Gefangenschaft Satans bedeutet, werfen wir zuerst einen Blick auf frühere Passagen der Offenbarung. In Offenbarung 9 sehen wir, dass der Abgrund symbolisch für den Tod und das Totenreich (Hades) seht. Gregory Beale erklärt, »der Abgrund ist eine von mehreren Metaphern für jenen Bereich ist, in dem der Teufel und seine Engel operieren. Kapitel 9,1-11 beschreibt ein solches Wesen (vielleicht sogar den Teufel selbst): Es öffnet mit dem Schlüssel den Schlund des Abgrunds und befreit die Dämonen, so dass sie die Ungläubigen auf Erden quälen können.«53 Wenn Christus durch seinen Tod und seine Auferstehung die Macht über diesen Bereich an sich nimmt, wie Offenbarung 1,18 besagt, dann ist die Bindung Satans »das direkte Ergebnis der Auferstehung Christi.«54 Als Jesus von den Toten auferstand, wurde der Teufel in den Abgrund verbannt, so dass er aufgrund des Triumphes Christi die Nationen nicht mehr verführen kann, bis er einst freigelassen wird. Das Bild von der Bindung Satans bedeutet, dass er das (äußere) Bundesvolk Gottes weder als Ganzes verführen noch es ungestraft angreifen kann, wie es vor dem Kommen des Messias der Fall war. Das wird bei einer allgemeinen Betrachtung der Heilsgeschichte deutlich: Satan verführte Adam im Garten Eden, was zum Sündenfall führte und den Tod über die ganze Menschheit brachte. Satan agierte mittels der heidnischen Nachbarvölker Israels, um Israel davon abzuhalten, seine vorgesehene Rolle als Licht für die Nationen im Gelobten Land auszuüben. Adam wollte sein wie Gott. Israel wollte sein wie seine heidnischen Nachbarvölker. Als Jesus sein Wirken in Galiläa antrat, heißt es: »Und Jesus durchzog ganz Galiläa, lehrte in ihren Synagogen und verkündigte das Evangeliwährend des zukünftigen Millenniums. Das beruht auf Walvoords Missachtung von Johannes’ Beschreibung der Bindung Satans, die eben nicht alles Böse unterbindet, sondern ihn davon abhält, die Nationen zu verführen. 53 Beale, Book of Revelation, S. 987-988. 54 Ebd., S. 985. Beale schreibt, dass man sich unter dem Abgrund keinen räumlichen Ort vorstellen dürfe, sondern dass er eine »geistliche Dimension nicht in oder unter der Erde darstellt, sondern bei ihr« (S. 987).

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um von dem Reich und heilte alle Krankheiten und alle Gebrechen im Volk« (Mt 4,23). Wie die Evangelien berichten, führte seine Verkündigung immer wieder zur Konfrontation mit Satan und seinen dämonischen Helfershelfern. Als Jesus aber für Sünder starb und das Totenreich besiegte, änderte sich die Situation. Von jetzt an sollten »die Pforten der Hölle die Gemeinde nicht überwältigen« (Mt 16,18). Obwohl der Satan ein grimmig wütender Feind bleibt und das Volk Gottes in abgesteckten Grenzen verfolgt, kann er nicht triumphieren, weil er im Abgrund gebunden ist – bis er am Ende des Millenniums freigelassen wird. Diese Auslegung harmoniert mit den vielen Textstellen im Neuen Testament, die Kreuz und leeres Grab Christi als Zeichen des Sieges über Satan beschreiben. In Kolosser 2,15 beschreibt Paulus diesen Triumph: »Als er so die Herrschaften und Gewalten entwaffnet hatte, stellte er sie öffentlich an den Pranger und triumphierte dort über sie am Kreuz.« Arthur Lee weist darauf hin, dass diese Bindung Satans im gesamten Wirkens des Messias gesehen werden kann: Als Jesus die Dämonen austrieb, proklamierte er damit seine Macht über Satan und das Kommen seines Reiches. Er sagte: »Wie kann jemand in das Haus des Starken hineingehen und seinen Hausrat rauben, wenn er nicht zuerst den Starken bindet?« (Mt 12,29). Als auch die Jünger erfolgreich Dämonen austrieben, rief Jesus aus: »Ich sah den Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen« (Lk 10,18). Das war eine bildliche Beschreibung dafür, dass die Macht des Teufels durch die Gesandten des Königs gebrochen worden war. Wir wissen ja, dass Satan aus der Welt »hinausgeworfen« wurde, als Christus am Kreuz erhöht wurde (Joh 12,31). Auf Golgatha wurde der eiserne Griff Satans über Menschen und Nationen zerschlagen. Die Evangelien lehren klar: Seit dem ersten Kommen Christi sind Macht und Herrschaft des Teufels über die Völker dieser Welt entscheidend geschwächt worden (vgl. Hebr 2,14).55

55 Arthur Lewis, The Dark Side of the Millenium (Grand Rapids: Baker, 1980), S. 52.

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Auch wenn Satan während dieses gegenwärtigen Zeitalters gebunden ist, heißt das nicht, dass er nicht mehr der »Gott dieser Welt« ist, der den »Sinn der Ungläubigen verblendet« (2Kor 4,4), dass er nicht mehr »der Fürst ist, der in der Luft herrscht« (Eph 2,2). Immer noch »geht er umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlingen kann« (1Petr 5,8). All das tut Satan immer noch. Die amillennialistische Auslegung von Offenbarung 20 leugnet das keineswegs! Johannes sagt uns aber, dass diese Bindung den Satan daran hindert, die Nationen zu verführen, bis er freigelassen wird (vgl. das »Zurückhalten« in 2Thes 2,1-12). Johannes’ Vision soll zeigen, dass der Engel die Aktivität Satans stark einschränkt, aber nicht gänzlich unterbindet. Auch wenn er derzeit gebunden ist und am Verführen der Völker gehindert wird, bleibt er ein gefährlicher Feind – so wie ein verwundetes Raubtier oft gefährlicher ist als ein unverletztes. Wie immer wir die Bindung Satans auch verstehen, müssen wir sorgfältig zwei verschiedene und sich ergänzende Aspekte berücksichtigen, die sich beide in der Bibel finden. Der erste Aspekt ist, dass die Bibel die entscheidende Niederlage Satans betont, die Jesus Christus errungen hat. Dadurch ist er nicht länger im Stande, die Nationen zu verführen. Diese Niederlage durch das Kreuz und Auferstehung Jesu Christi garantiert die endgültige Niederlage Satans am Ende der Zeit. Satans Bindung ist sogar ein kontinuierlicher Prozess, der durch die weltweite Verkündigung des Evangeliums weitergeht, indem in allen Nationen Jünger gemacht werden (Mt 28,19). Das Licht des Evangeliums besiegt die Finsternis der satanischen Verführung. Die Verkündigung des gekreuzigten Christus befreit die Menschen von den Machtprinzipien dieser Welt (Gal 4,9). Der zweite biblische Aspekt ist: Satan tobt auch in diesem Zeitalter gegen Christus und sein Reich. Diesem Wüten sind zwar Grenzen gesetzt, es ist aber nichtsdestoweniger furchtbar. Seine Macht ist zwar durch die Wahrheit des Evangeliums gebunden, aber seine Wut ist dennoch da. William Hendriksen vergleicht das mit einem Raubtier, das mit einer Kette angebunden ist, dass aber dennoch jedem, der in seine Reichweite kommt, großen Schaden zufügen kann.56 56 Hendriksen, More than Conquerors, S. 190.

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Und was meint Johannes mit der Freilassung Satans am Ende der tausend Jahre? Wie muss man sich diese »Freilassung« Satans für eine »kurze Zeit« vorstellen? Im amillennialistischen Modell fügt sich diese Freilassung harmonisch ein, während sie für alle Arten des Prämillennialismus ein großes Problem darstellt. Arthur Lewis schreibt: Johannes lässt in seinem letzten Buch keinen Zweifel daran, dass Satans Machtbereich eng bewacht ist und völlig unter Gottes Kontrolle steht. Die Dämonen können erst heraus, wenn der Engel mit dem Schlüssel den »Abgrund« öffnet (Offb 9,2-6). Das Tier steigt auf Gottes Anordnung aus diesem Abgrund empor (Kap. 11,7; 17,8). Dann wird ihm erlaubt, gegen die Heiligen Krieg zu führen (Kap. 13,7). All das unterstützt diesen zweiten neutestamentlichen Gedanken, dass der Satan in einem sehr realen Sinn »gebunden« ist und nicht mehr die Freiheit hat, die Nationen zu verführen, wie er es tat, bevor Christus kam.57 Mit der Freilassung Satans beginnt der Aufstand der Nationen (Offb 20,7-10) und das Tier verführt die Nationen (Offb 13). Wenn Gott das »Zurückhalten« aufhebt, tritt der »Gesetzlose« auf den Plan, begleitet von trügerischen Zeichen und Wundern (2Thes 2,1‑12). Die Bindung Satans für tausend Jahre und seine anschließende Freilassung gehören sicher in das gegenwärtige Zeitalter und nicht in eine Zeit, nachdem Christus zum Gericht über alle Menschen gekommen ist, die Toten auferweckt sind und er alle Dinge neu gemacht hat. Offenbarung 20,4-6 Wenn wir nun zum zweiten Abschnitt kommen, steht nicht mehr der im Abgrund gebundene Drache im Blickpunkt, sondern die Herrschaft der Heiligen im Himmel. Die Verse 4-6 beschreiben das Resultat der Bindung Satans von Vers 1-3 und rekapitulieren 57 Lewis, Dark Side of Millennium, S. 52-53.

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die Ereignisse von 12,7-11. Während Satan gebunden und seine Verführungsmacht begrenzt ist, triumphieren Christi Nachfolger. Der Sieg Christi über Tod und Grab gehört ihnen, denn er allein besitzt den Schlüssel des Totenreichs und des Abgrunds. Mit seiner Auferstehung ist Jesus Christus die Erstlingsfrucht jener Auferstehungsernte, bei der alle Gläubigen auferstehen. Paulus sagte: »Wenn wir mitgestorben sind, so werden wir auch mitleben; wenn wir standhaft ausharren, so werden wir auch mitherrschen« (2Tim 2,11-12). In der Szene von Offenbarung 20,4-6 ist Satan schon gerichtet und damit ist für Gottes Heilige die Herrschaft ermöglicht.58 Richard Bauckham drückt es so aus: »Wer vom Tier getötet wird, der wird wirklich leben – nämlich eschatologisch, und wer sich seiner Herrschaft widersetzt und deswegen leidet, wird am Ende genauso unumschränkt herrschen wie das Tier – nur viel länger, nämlich tausend Jahre!«59 Die himmlische Szene von der Herrschaft der Heiligen ist besonders vor dem historischen Hintergrund der Offenbarung wichtig. Als Johannes das Buch schrieb, erlitten die Christen furchtbare Verfolgung durch das heidnische Römische Reich.60 Johannes schrieb vor allem deshalb, um ihnen inmitten dieser Trübsal und der vielen Märtyrertode Hoffnung zu geben. Stephanus, Jakobus, Paulus und Petrus waren bereits den Märtyrertod gestorben. Die sieben Sendschreiben in Offenbarung 2-3 an die Gemeinden in Kleinasien beschreiben eine Situation, in der Irrlehre und Verfolgung unter den zerstreuten Christen immer bedrohlicher wurden. Die Beschreibung der Bindung Satans und der gegenwärtigen Herrschaft der Heiligen war ein großer Trost für das Volk Gottes, das schwere Angriffe von innen und von außen zu erleiden hatte. Die Verse 4-7 werfen eine Reihe von Fragen auf, die zu klären sind. Die erste betrifft den Ort, den Johannes hier schildert. Die Verse 1-3 sprechen vom Abgrund, also dem Bereich des Todes 58 Beale, Book of Revelation, S. 991-993. 59 Richard Bauckham, The Theology of the Book of Revelation (New York: Cambridge University Press, 1994), S. 107. 60 Ich bleibe trotz aller Versuche einer Datierung vor 70 n. Chr. von der Spätdatierung der Offenbarung überzeugt. Vgl. Beale, Book of Revelation, S. 4-27; Gentry, Before Jerusalem Fell.

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und des Totenreiches, doch wo findet die Szene von Vers 4-6 statt? Klar ist, dass die tausendjährige Herrschaft dort stattfindet, wo die Throne sind, denn wir lesen: »Und ich sah Throne, und sie setzten sich darauf, und das Gericht wurde ihnen übergeben« (V. 4). Die Antwort ist einfach: die Throne befinden sich im Himmel. Es wird den Leser nicht überraschen, dass Dispensationalisten diese Stelle wörtlich nehmen. Walvoord sieht in den mit Christus Herrschenden die vierundzwanzig Ältesten, von denen es heißt, dass sie auf Erden herrschen werden (Offb 5,10). Das passt auch zur Prophezeiung Christi in Lukas 22,29-30 … Das Gericht hier ist allgemein zu verstehen und umfasst verschiedene Phasen des göttlichen Gerichts während dieser Phase der Weltgeschichte … Der letzte Teil von Vers 4 besagt implizit, dass auch die auferstandenen Heiligen der Trübsalszeit gerichtet und belohnt werden. Wenn zu dieser Zeit die alttestamentlichen Heiligen auferstehen, dann könnten auch sie Empfänger des göttlichen Gerichts und Lohnes sein.61 Das ist ein weiteres Beispiel für die dispensationalistische Neigung, das Neue Testament im (schwächeren) Licht des Alten auszulegen. Erstens meint Offenbarung 5,10 die neue Schöpfung und kein irdisches Tausendjähriges Reich.62 Und anstelle der einen Auferstehung redet Walvoord von mehreren Auferstehungen.63 Walvoords Ausle 61 Walvoord, Revelation of Jesus Christ, S. 296. 62 Nichts in dem Text deutet darauf hin, dass es sich bei den mit Christus Herrschenden um die 24 Ältesten handelt, die in Offenbarung 5,10 mit der neuen Schöpfung in Verbindung gebracht werden (vgl. Beale, Book of Revelation, S. 360-364). 63 Es ist bemerkenswert, dass jemand, der stolz ist auf sein »wörtliches Verständnis« der Offenbarung, zu solchen Spekulationen gezwungen ist. Diejenigen, die mit Christus tausend Jahre herrschen, sind viel wahrscheinlicher die gestorbenen Christen, die jetzt im Himmel bei ihm sind. Vielleicht sind es die Märtyrer. Wenn die Entrückung tatsächlich sieben Jahre vor Christi Wiederkunft geschehen sollte, dann müsste es eine zweite, hier nicht erwähnte Auferstehung derer geben, die während der Trübsalszeit sterben. Die erste Auferstehung fände dann bei der Entrückung statt, eine zweite nach der Trübsalszeit – sie beträfe dann möglicherweise auch die alttestamentlichen Heiligen. Dadurch entstünde ein Rangunterschied zwischen den Verstorbenen des neuen Bundes und denen des

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gung beruht auf der vorausgesetzten dispensationalistischen Auslegung von Daniel 9,24-27, die eine siebenjährige Trübsalszeit vor der Wiederkunft Jesu und dem Millennium erwartet. Doch wie bereits gezeigt, sind Walvoords Vorannahmen nicht haltbar. Die Offenbarung besagt ausnahmslos, dass der Thron Christi und seines Volkes im Himmel ist (Offb 1,4; 3,21; 4,2ff; usw.). Dies ist ein schwerwiegender Einwand gegen die dispensationalistische Auslegung. Da die Szene im Himmel handelt, »kann man die Throne wohl kaum dahingehend verstehen, dass Menschen auf wörtlichen Möbelstücken sitzen und von dort aus regieren. Vielmehr besagt dieses Bild, dass sie über ein Reich herrschen.«64 Das wirft weitere Fragen auf: Wer sind diese Menschen? Und welches Gericht üben sie aus? Johannes erklärt uns, dass diese Menschen, die während der Bindung Satans herrschen, jene sind, die das Tier und sein Bild nicht angebetet haben (V. 4). Dazu gehören sehr wahrscheinlich auch jene, die »geschlachtet worden waren um des Wortes Gottes willen und um ihres Zeugnisses willen« (Offb 6,9), aber auch solche, die eines natürlichen Todes »im Herrn« gestorben sind (Offb 14,13).65 Johannes sagte, dass ihnen richterliche Autorität verliehen wurde, was den Gedanken vermittelt, dass Gottes Volk am himmlischen Hofstaat teilhat, wo Abertausende dem »Alten an Tagen« dienen und erwarten, dass Bücher geöffnet werden (Dan 7,9-10). Daniel berichtet, das Tier »führte Krieg gegen die Heiligen und überwand sie, bis der Hochbetagte kam und den Heiligen des Allerhöchsten das Gericht übergab und die Zeit eintrat, dass die Heiligen das Reich in Besitz nahmen« (Dan 7,21-22). Daraus wird klar: Wenn Satan gebunden ist, besitzen die Heiligen nicht nur das Königreich Christi, sondern ihretwegen kommt auch das Gericht über alten Bundes (ein rein dispensationalistisches Problem) und schließlich denen, die am Ende des Millenniums auferstehen. All das passt aber weder zum ZweiZeitalter-Modell noch zum biblischen Gebrauch der Ausdrücke »letzter Tag« (Joh 6,39.40.44.54; 11,24 sowie Joh 12,48, wo eindeutig die Auferstehung und das Gericht gleichzeitig geschehen), »letzte Posaune« (1Kor 15,52, vgl. Mt 24,31) und dem »Tag des Herrn« (2Petr 3,10). 64 Beale, Book of Revelation, S. 995-996. 65 Ebd., S. 999.

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den Feind.66 Die Herrschaft der Heiligen in Offenbarung 20,4-6 erfüllt somit Daniel 7 und währt »tausend Jahre«. Es ist auch wichtig zu beachten, dass die tausendjährige Herrschaft dort stattfindet, wo die Seelen der Märtyrer sind (im Himmel), was im Gegensatz zum Abgrund steht. Diese leiblosen Seelen herrschen während der gesamten Gefangenschaft Satans, von der Auferstehung Christi bis zum Ende der tausend Jahre, wenn Christus zum Gericht wiederkommt und die Toten auferwecken wird (Offb 20,7-10). Nach der Wiederkunft Christi ist diese Zeit der leiblosen, rein »seelischen« Herrschaft vorüber, denn dann sind Seele und Leib wiedervereint und das Verwesliche ist unverweslich geworden. Dann werden die Gläubigen nicht nur für tausend Jahre herrschen, sondern »sie herrschen von Ewigkeit zu Ewigkeit« (Offb 22,5). Das meint der Herr auch mit seiner Verheißung an Philadelphia: »Wer überwindet, dem will ich geben, mit mir auf meinem Thron zu sitzen, so wie auch ich überwunden habe und mich mit meinem Vater auf seinen Thron gesetzt habe« (Offb 3,12). Außerdem ist zu beachten: »Die tausendjährige Herrschaft findet dort statt, wo Jesus lebt, denn es heißt: ›sie lebten und herrschten mit ihm‹ … Wo lebt Jesus? Eindeutig im Himmel … Daher können wir sicher sagen, dass diese tausendjährige Herrschaft im Himmel stattfindet.«67 Das sind starke Argumente für den Amillennialismus, die zeigen: Was in Offenbarung 20,4-6 geschildert wird, ist nicht Zukunft, sondern Gegenwart. Die nächste Auslegungsfrage gehört sicherlich zu den heiß umstrittensten Fragestellungen der Bibel überhaupt und betrifft die »erste Auferstehung« in 20,4-6 und den Ausdruck ezesan (»sie wurden lebendig«) in Vers 4. George Ladd schreibt, »das ist … der wichtigste Begriff des gesamten Abschnitts. Der Ausleger muss entscheiden, welche Auferstehung hier gemeint ist; die Auslegung des ganzen Abschnitte hängt von dieser Entscheidung ab.«68 Als Prämillennialist versteht Ladd unter dieser Auferstehung die leibliche Auferstehung bei der Wiederkunft Christi, die in Offenbarung 19 66 Ebd., S. 997. 67 Hendriksen, More Than Conquerors, 191-192. 68 Ladd, Commentary on Revelation, S. 265. Blaising nennt dies die »crux interpretum« (»Premillennialism« S. 221-227).

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geschildert wird, und nicht die »geistliche Auferstehung« bei der Bekehrung oder dem Tod eines Christen. Ladd bringt es wie gewohnt gleich auf den Punkt: Im Kontext von Offenbarung 20,4-6 finden sich keine Hinweise auf andere Auslegungsvarianten. Die Sprache an dieser Stelle ist eindeutig und unmissverständlich. Hier muss man kein Wort geistlich deuten, um dem Abschnitt einen Sinn zu geben. Zu Beginn des Tausendjährigen Reiches wird ein Teil der Toten lebendig [die Märtyrer]; an dessen Ende werden die übrigen Toten lebendig. Hier gibt es kein Wortspiel. Die Stelle ist absolut sinnig, wenn man sie wörtlich versteht.69 Ladd zitiert Henry Alfords berühmte Verteidigung des Prämillennialismus: Wenn an einer Stelle, in der zwei Auferstehungen erwähnt werden, wo zuerst bestimmte »Seelen lebendig werden« [psychai ezesan] und die übrigen der »Toten nicht lebendig werden« [nek 69 Ladd, Commentary on Revelation, S. 265-266. Folgendes Argument hat mich jahrelang am Prämillennialismus festhalten lassen – Ladd schreibt: »Der Ausdruck ›sie wurden wieder lebendig‹ ist eine Übersetzung des griech. Wortes ezesan. Die Crux des gesamten Auslegungsproblems steckt in der Bedeutung dieses Wortes. Zwar stimmt es, dass dieses Wort den Eintritt in geistliches Leben meinen kann (Joh 5,25), doch wird es nie für eine geistliche Auferstehung der Seelen von Gerechten nach ihrem Tod gebraucht. Sehr wohl gebraucht wird es dagegen für die leibliche Auferstehung in Joh 11,25; Röm 14,9; Offb 1,18; 2,8; 13,14 und die meisten Ausleger geben zu, dass es auch hier in Vers 5 so verwendet wird.« Wenn Ladd jedoch mit der Ansicht Recht hat, dass diese zwei Auferstehungen beide eine wörtliche und leibliche Auferstehung meinen, dann muss stattdessen die Lehre von den zwei Zeitaltern vergeistlicht werden, die ja in den Evangelien klar die Wiederkunft Christi mit dem Gericht verbindet. Ladd berücksichtigt außerdem nicht die Einwände von Carson und Morris, auf die wir später noch eingehen werden. Sie zeigen, dass sich aus Johannes 5,24-25 sehr wohl schließen lässt, dass dort zwischen der leiblichen und geistlichen Auferstehung jedes Gläubigen unterschieden wird. Was soll ein Ausleger also tun? Entweder muss er die Evangelienberichte vergeistlichen, oder er muss eine der Auferstehungen in der Offenbarung (einem hochgradig symbolischen Buch) auf ein Ereignis deuten, das bereits stattgefunden hat. Amillennialisten wählen die zweite Option, Prämillennialisten hingegen erstere.

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roi ezesan] bis ans Ende einer festen Zeitspanne nach der ersten Auferstehung – wenn in einer solchen Stelle die erste Auferstehung eine geistliche Auferstehung mit Christus sein soll, während mit der zweiten eine wörtliche Auferstehung aus dem Grab gemeint ist, dann ist das das Ende jeder Bedeutung von Sprache und das Ende der Bibel als feststehendes Zeugnis für überhaupt irgendetwas.70 Ladd meint, da an dieser Stelle zwei Auferstehungen erwähnt werden und die zweite davon ganz sicher im leiblichen Sinn gemeint ist, dann muss die erste auch leiblich sein. Die erste Auferstehung betrifft die Gläubigen bei der Wiederkunft Christi. Die zweite Auferstehung betrifft die Ungläubigen am Ende der tausend Jahre. Dieses Verständnis ergibt sich natürlich, wenn man Offenbarung 20 als zeitlich auf Offenbarung 19 folgend versteht. Diese Voraussetzung ist eine absolute Notwendigkeit für alle Formen des Prämillennialismus, und damit steht oder fällt der gesamte Prämillennialismus.71 Was versteht nun der Amillennialismus unter der »ersten Auferstehung«? Da für Amillennialisten klar ist, dass die Heiligen während des gegenwärtigen Zeitalters im Himmel herrschen, muss die »erste Auferstehung« bei Johannes ein Ereignis sein, das vor der Wiederkunft Christi und der leiblichen Auferstehung am Ende des Zeitalters stattfindet (vgl. 1Kor 15,35-57; 1Thes 4,13-18). Der um 70 Ebd., S. 267. 71 Grenz, The Millennial Maze, S. 128. Arthur Lewis zeigt ein bemerkenswertes Dilemma des Prämillennialismus auf. Lewis zeigt, dass der Kontext die himmlische Herrschaft der Heiligen ist und schlussfolgert dann: »Mit ihrer Identifikation der herrschenden Heiligen gehen die Prämillennialisten weit über ein wörtliches Verständnis hinaus. Die Prämillennialisten sehen sowohl jene Gläubigen im Himmel als auch jene auf der Erde als ›neues‹ Israel unter einem davidischen König vereint, was all die nationalen Verheißungen des Alten Testaments erfüllt. Sie glauben, auferstandene Gläubige werden sich im zukünftigen Königreich mit nicht-auferstandenen vermischen. Diese Ansicht gibt diese Schriftstelle aber nicht her. Wie auch immer man die ›erste Auferstehung‹ in Offenbarung 20,6 versteht, umfasst sie in jedem Fall alle, die mit Christus herrschen. Wenn sie die leibliche Auferstehung der Gläubigen sein soll, dann können aber jene Gläubigen, die die Trübsalszeit überleben, nicht mit inbegriffen sein.« Lewis, Dark Side of the Millennium, S. 57-58.

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strittene Ausdruck »sie wurden lebendig und herrschten mit Christus« ist von Amillennialisten verschiedentlich interpretiert worden: Manche verstehen sie als Bekehrung des Christen und der damit verbundenen geistlichen Herrschaft mit Christus (die Ansicht von Augustinus72 und Calvin73), andere sehen darin den Tod des Gläubigen und seinen Eingang in den Himmel, worauf die Herrschaft mit Christus folgt. Diese Ansicht vertreten u. a. Hendriksen,74 Beal­e,75 B. B. Warfield76 und Meredith Kline, dessen Ausführungen über die beiden Auferstehungen wir uns im Folgenden eingehender widmen wollen. Beide Sichtweisen sehen in der Auferstehung von Offenbarung 20,4 eine geistliche Auferstehung, die nicht nach, sondern vor der Wiederkunft Christi stattfindet. Prämillennialisten wie Ladd und Alford gehen davon aus, dass die Bedeutung des Ausdrucks »sie wurden lebendig« (ezesan) einen felsenfesten Beweis für ihre Ansicht liefere. Das (Nicht-)Lebendigwerden der übrigen Toten in Vers 5 ist angeblich leiblich gemeint, doch das ist nicht der Fall. Wenn auch das Wort für Auferstehung (anastasis) 41 Mal im Neuen Testament im Sinne einer leiblichen Auferstehung gebraucht wird, so kommt es doch in der Offenbarung nur ein einziges Mal vor, nämlich hier in 20,5.6 als Aufzählung »die erste Auferstehung«, und eine solche »erste Auferstehung« wird nur hier erwähnt. Das Verb »leben« (zao) hat aber ein breites Bedeutungsfeld. In der Offenbarung kann damit die leibliche Auf 72 Vgl. Oswald T. Allis, Prophecy and the Church (Phillipsburg, N.J.: Presbyterian and Reformed, 1947), S. 2-5; Beale, Book of Revelation, S. 1011-1012. 73 Calvin schreibt darüber: »Die Worte unseres Herrn Jesus Christus (in Joh 5,24‑25) bedeuten daher, dass wir bis zu unserer Erneuerung durch das Evangelium und durch den Glauben, der daraus folgt, wie Tote sind. Da ist kein Tropfen in uns, der den Namen Leben verdiente. Und, kurz gesagt, wir sind wie begraben im Grab und müssen notwendigerweise erst wieder dort herausgezogen werden, wodurch uns Verständnis gegeben wird, dass wir vom Reich Gottes ganz abgeschnitten sind und folglich nichts als Dreck in uns ist. Und trotz alledem gewährt Gott uns, mit ihm verbunden und vereint zu sein, indem wir auf ihn und seine Güte vertrauen. Das ist, so sage ich, unsere Wiederauferstehung.« Johannes Calvin, Sermons on Ephesians (Carlisle: Banner of Truth, 1979), S. 129. 74 »Die erste Auferstehung ist der Übergang der Seele von der sündigen Erde in den Himmel. Darauf folgt bei der Wiederkunft Christi die zweite Auferstehung, wenn auch der Leib verherrlicht wird.« Hendriksen, More than Conquerors, S. 192. 75 Beale, Book of Revelation, S. 1002-1007. 76 B. B. Warfield, »Millennium and the Apocalypse«, S. 653.

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erstehung gemeint sein (z. B. Offb 1,18), es kann sich aber auch bloß auf irgendeine Form physischer Existenz beziehen (vgl. Offb 16,3). Viel öfter aber bedeutet der Ausdruck das »geistliche Leben«, so zum Beispiel eindeutig in Offenbarung 3,1 (»du hast den Namen, dass du lebst«).77 Wenn Johannes sagt, er sah die, die »wieder lebendig wurden«, dann kann sich das sehr wohl auf das geistliche Leben beziehen, das der Bekehrung oder auch dem Tod des Gläubigen folgt. Beale schreibt dazu: »Am erstaunlichsten ist die Beobachtung, dass an anderen Stellen im Neuen Testament die Ausdrücke ana­ stasis und zao (oder das damit verwandte Nomen zoe, ›das Leben‹) und deren Synonyme innerhalb desselben Kontexts austauschbar sowohl für eine geistliche als auch eine leibliche Auferstehung verwendet werden.«78 In Römer 6,4-13 sagt Paulus, dass Christus »aus den Toten auferweckt« (anastasis) worden ist, so dass »auch wir neues Leben haben« (zoe). Der Apostel sagt, wir sind mit Christi Auferstehung vereint, so dass wir mit ihm leben werden. Daher können beide Ausdrücke Leben und Auferstehung zusammen verwendet werden, um geistliches mit physischem Leben zu vergleichen. Es gibt noch einen weiteren wichtigen exegetischen Grund zur Annahme, dass Johannes hier zwei verschiedene Arten der Auferstehung im Sinn hat, eine geistliche und eine leibliche. Johannes stellt die »erste Auferstehung« in Kontrast zum »zweiten Tod« (V. 6). Meredith Kline hat sich eingehend mit diesen Begriffen bei Johannes befasst und seine Auslegung dieses Textes ist sehr hilfreich, um das prämillennialistische Argument zu beantworten, die zwei Auferstehungen von Offenbarung 20 seien beide gleicher Art, nämlich leiblich. Kline zufolge lässt der Befund auf das Gegenteil schließen. Johannes unterschied zwischen zwei Arten der Auferstehung, der geistlichen (der ersten Auferstehung) und der leiblichen: »Die übrigen der Toten aber wurden nicht wieder lebendig, bis die tausend Jahre vollendet waren« (V. 5). Mit der »ersten Auferstehung« meint Johannes keine erste in einer Serie von Auferstehungen derselben 77 Beale, Book of Revelation, S. 1004. 78 Ebd.

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Art, sondern er betont den qualitativen Unterschied zur späteren zweiten Auferstehung. Kline schreibt: Einer der umstrittenen Punkte in der Auslegung von Offenbarung 20 ist die Interpretation des Wortes protos [»erste«] im Ausdruck »die erste Auferstehung« (V. 5). Prämillennialisten verstehen »erste« im Sinne einer Serie von gleichen Auferstehungen. Sie interpretieren sowohl die »erste Auferstehung« als auch die Auferstehung von Vers 12-13 als leibliche Auferstehungen. Die Verwendung des Begriffs protos im Kontext unterstützt jedoch eine solche Auslegung nicht, sondern weist vielmehr unbestreitbar in die Richtung der amillennialistischen Interpretation.79 Wenn es stimmt, dass protos nicht unbedingt eine numerische Reihenfolge signalisiert, dann nimmt das der prämillennialistische Behauptung, beide Auferstehungen müssten leibliche Auferstehungen sein, den Boden. Der Ausdruck protos könnte tatsächlich auf einen Unterschied in der Art hinweisen, anstatt einfach eine Reihenfolge aufzuzählen. So liefert der Nachweis, dass die erste Auferstehung von anderer Art ist als die zweite, ein überzeugendes Argument für den Amillennialismus, statt – wie Prämillennialisten behaupten – den Amillennialismus zu widerlegen. Um diesen Punkt weiter zu untermauern, sehen wir uns die Verwendung des Adjektivs protos in der Offenbarung an. Es kommt gleich wieder in Kapitel 21,1 vor und veranschaulicht dort, wie Johannes den Ausdruck in Kapitel 20 verwendet. Kline schreibt: Protos bezeichnet [in 21,1] nicht einfach die gegenwärtige Welt als erste einer Serie von Welten und schon gar nicht als erste in einer Serie von Welten gleicher Art. Im Gegenteil charakterisiert protos diese Welt als anders als die »neue« Welt. Es verdeutlicht den Unterschied zwischen der gegenwärtigen und der künftigen Welt der Vollendung, die ewig bleibt.80 79 Meredith G. Kline, »The First Resurrection«, Westminster Theological Journal 37 (1975): 366. Vgl. Beale, Book of Revelation, S. 1002-1015. 80 Ebd., S. 366-367.

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Das Wort protos bedeutet in 21,1 also gerade nicht die Nummer eins in einer Serie von gleichartigen Dingen. Vielmehr verdeutlicht es einen Unterschied – hier die erste Schöpfung, die vergeht und ersetzt wird im Gegensatz zur neuen Schöpfung. Hier werden nicht eine erste und eine zweite Welt derselben Art aufgezählt, sondern zwischen einer gefallenen Schöpfung und einer erlösten Welt unterschieden. Dieser Punkt wird noch klarer, wenn wir beachten, wie Johannes den Begriff »zweite« in Offenbarung 21 verwendet. Er fungiert dort im Sinne eines Alternativausdrucks für »neu« im selben Kapitel. Der »zweite Tod« von 21,8 wird mit dem Feuersee identifiziert, der mit Schwefel brennt; er ist das Gegenteil des Todes, der zur Ordnung des »Ersten« von 21,4 gehört und der zur ersten Auferstehung führt. Daher fungieren die Ausdrücke zweite und neue als Antithese zum »ersten« (protos). »Warum auch immer bei der Beschreibung der gegenwärtigen Welt das Wort ›erste‹ verwendet wird anstatt ›alt‹, gilt jedenfalls: Diese Verwendung von ›erste‹ führt ganz natürlicherweise dazu, dass neben dem Wort ›neu‹ nun auch der Begriff ›zweite‹ verwendet wird, um die zukünftige Welt zu beschreiben, besonders im Hinblick auf die Realität des ewigen ›zweiten‹ Todes, für den der Ausdruck ›neu‹ mit seinem positiven Beiklang des Heils unpassend erscheinen würde.«81 Der »erste« Himmel und die »erste« Erde vergehen, um von einem »zweiten« bzw. neuen Himmel und einer neuen Erde ersetzt zu werden. Die Begriffe drücken hier eindeutig keine Reihenfolge, sondern einen Unterschied aus. Welche Schwierigkeiten sich daraus für den Prämillennialismus in Bezug auf Offenbarung 20 ergeben, dürfte jetzt klar sein. Kline sagt dazu: Mit dieser antithetischen Gegenüberstellung von erstem Tod (dieser Ausdruck ist implizit in 21,4 enthalten) und »zweitem Tod« (21,8) konfrontiert uns Kapitel 21 mit demselben Ausdruck wie Kapitel 20, wo von der »ersten Auferstehung« (20,5-6) und der zweiten Auferstehung (implizit in diesem Kapitel vorhanden) 81 Ebd.

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die Rede ist. Dass das übliche Pochen der Prämillennialisten darauf, dass die »erste Auferstehung« leiblich gemeint sein muss, wenn die zweite leiblich ist, wird als willkürlich entlarvt, da die Prämillennialisten in ihrer Exegese inkonsequent einen Punkt übersehen: Der erste Tod ist der Verlust des biologischen Lebens, aber der »zweite Tod« ist ein Tod anderer Art, nämlich ein Tod in eher geistlichem als buchstäblich-biologischem Sinne.82 Prämillennialisten pochen zwar darauf, die beiden Auferstehungen als leibliche Auferstehungen zu verstehen, aber beim zweiten Tod sind sie gezwungen, ihn zu »vergeistlichen«. Der zweite Tod ist kein leiblicher Tod, sondern etwas viel Schlimmeres. An dieser Stelle kann es hilfreich sein, einige andere Abschnitte des Neuen Testaments heranzuziehen, in denen die gleichen Ausdrücke verwendet werden. Wie werden sie dort gebraucht? Im Hebräerbrief bezeichnen die Ausdrücke erste und neue den Unterschied zwischen dem mosaischen Bund und dem neuen Bund, der durch den Messias eingeweiht wurde (vgl. Hebr 8,7-8.13; 9,1.15.18; 10,9). Interessanterweise wird der neue Bund auch »das zweite« genannt (10,9). Wenn die zwei größten Heilsbündnisse – der mosaische und der neue Bund – mit den Ausdrücken protos und neu voneinander unterschieden werden, dann spricht das sicher stark dafür, dass auch Johannes diese Begriffe in Kapitel 20 und 21 in diesem Sinn verwendet, um zwei Arten der Auferstehung zu unterscheiden. In Offenbarung 20 und 21 »kommt zwar der Ausdruck ›zweite‹ neben dem Ausdruck ›neu‹ vor, doch wird der Ausdruck ›neu‹ bevorzugt, um den Gegensatz zum ›ersten‹ anzuzeigen. Dementsprechend bedeutet ›erste‹ in diesem Kontext nicht so sehr eine Position in einer Reihenfolge, sondern drückt den Gegensatz zum ›Neuen‹ aus.«83 Somit ist protos ein Synonym für alt, dem traditionellen Begriff für den mosaischen Bund, dem »alten Bund«. Es gibt noch weitere Beispiele, wo protos in diesem Sinne im Neuen Testament verwendet wird und wo nicht die erste Position in einer Reihenfolge gleicher Dinge gemeint ist, sondern der Unter 82 Ebd. 83 Ebd., S. 367-368.

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schied zwischen dem einen und dem anderen. Paulus spricht vom ersten Menschen, Adam (1Kor 15,45) und vom zweiten Adam (oder Menschen) vom Himmel. Paulus denkt beim ersten und beim zweiten Adam auch nicht an eine Reihenfolge. Mit dem »ersten« Adam ist kein Adam in einer Serie von »Adams« gemeint, genauso wenig wie mit Christus kein zweiter Christus in einer Serie von Christussen gemeint ist. Paulus wollte vielmehr den Kontrast zwischen Adam (und allen, die er repräsentiert) und Christus (und allen, die er repräsentiert) herausstellen.84 Adam war von der Erde, Christus ist vom Himmel. Adam ist das Haupt der natürlichen Menschheit, Christus ist das Haupt der erlösten Menschheit. Tod, Sünde und Schwachheit waren die Kennzeichen Adams und seiner Nachkommen, während Christus der Vorläufer derer ist, die von den Toten auferstehen.85 Nun sollte klar geworden sein: Die Begriffe erster und zweiter drücken oft den Unterschied zweier Dinge aus, speziell in Bezug auf die alte Ordnung dieser Weltzeit und die neue Ordnung des zukünftigen Zeitalters; das Erste (im Sinne von vergänglich) wird dem Zweiten oder Neuen gegenübergestellt, dem kommenden Zeitalter mit dem ewigen Auferstehungsleben.86 Richtig verstanden bedeutet das: Johannes wollte uns in Offenbarung 20 und 21 nicht zwei leibliche Auferstehungen zeigen, sondern zwei verschiedene Ordnungen oder Arten von Auferstehungen. Das führt Kline zu dem Schluss: Die »erste Auferstehung« ist daher nicht die erste in einer Reihe gleichartiger Auferstehungen und nicht die erste von zwei (oder mehreren) leiblichen Auferstehungen. Der antithetische Gebrauch des Ausdrucks protos erfordert in diesem Kontext ei 84 Ebd., S. 368-369. 85 Ebd. 86 Ergänzung des dt. Hrsg.: Das Argument der Prämillennialisten, in Offb 20 müsste es sich bei beiden Auferstehungen um leibliche Auferstehungen handeln, da die zweite eindeutig leiblich ist, wird auch durch einen Vergleich mit der Geburt entkräftet: Die Schrift kennt zwei Geburten, die natürliche und die Wiedergeburt, und beide werden zusammen in ein und demselben Kontext erwähnt und gegenübergestellt (z. B. in Joh 3).

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ne Interpretation, die diametral entgegengesetzt ist zur üblichen prämillennialistischen Annahme. Wenn die zweite Auferstehung leiblich ist, dann muss die erste Auferstehung nicht-leiblich sein … Die richtige Deutung der »ersten Auferstehung« im ineinandergreifenden Schema von erster/zweiter Auferstehung und erstem/zweitem Tod liegt nun auf der Hand. So wie die Auferstehung der Gottlosen paradoxerweise »zweiter Tod« genannt wird, so wird der Tod des Christen paradoxerweise als »die erste Auferstehung« bezeichnet (V. 4). Johannes sieht in Vers 4 die verstorbenen Christen. Die wahre Bedeutung ihres Übergangs vom irdischen Leben liegt in dem Zustand, in den sie hinübergehen. Und Johannes sieht die verstorbenen Christen mit Christus leben und herrschen (20,4.6). Dem Seher enthüllt sich das priesterlich-königliche Leben auf der himmlischen Seite des irdischen Todes des Christen. Deshalb wird die paradoxe Metapher von der »ersten Auferstehung« (V. 5ff.) für den Tod eines Gläubigen verwendet. Was für andere der erste Tod ist, ist für den Christen eine wahre Auferstehung!87 Das ist ein starkes Argument dafür, dass die erste Auferstehung von Offenbarung 20,4-6 geistlich gemeint ist, oder genauer gesagt, ist sie der Tod des Christen und sein Eintritt in den Himmel, um mit Christus zu herrschen, bis die »tausend Jahre« vollendet sind. Danach kommt Christus wieder, um die Toten aufzuwecken, die Welt zu richten und alle Dinge neu zu machen. Wenn bekehrte Gläubige den Tod schmecken, haben sie teil an der ersten Auferstehung (einer geistlichen Auferstehung), so dass am Ende des Zeitalters auch sein Leib auferweckt wird, wie Johannes sagt: »Über diese hat der zweite Tod keine Macht« (V. 6). Wenn sie sterben, regieren sie mit Christus, während sie die leibliche Auferstehung am Ende des Zeitalters erwarten. Doch wenn Ungläubige sterben (der erste Tod), werden sie auch noch den zweiten Tod erleben, wenn sie zu ewiger Strafe auferweckt werden. Der Unterschied zwischen den beiden Arten von Auferstehung ist nun klar geworden. Für den Christen bedeutet der Tod in Wirklichkeit eine Auferstehung 87 Kline, »First Resurrection«, S. 370-371.

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ins Leben. Für den Nichtchristen bedeutet der Tod eine Auferstehung zum zweiten Tod. Was machen wir aber mit den Stellen, die die erste Auferstehung offenbar mit der Bekehrung gleichsetzen? Johannes 5,24-25 ist in diesem Zusammenhang wichtig. Hier heißt es: »Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer mein Wort hört und dem glaubt, der mich gesandt hat, der hat ewiges Leben und kommt nicht ins Gericht, sondern er ist vom Tod zum Leben hinübergegangen. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Die Stunde kommt und ist schon da, wo die Toten die Stimme des Sohnes Gottes hören werden, und die sie hören, werden leben.« Johannes sagt, dass die Gläubigen schon jetzt ewiges Leben haben.88 Gläubige sind bereits vom Tod zum Leben gewechselt, daher haben sie schon zu Lebzeiten eine gewisse Auferstehung erfahren. Paulus sagt etwas ganz Ähnliches: Gläubige sind mit Christus lebendig gemacht worden, mit ihm auferweckt und gegenwärtig mit Christus in den Himmel versetzt (Eph 2,4-6; Kol 2,12). Das unterstützt die Auffassung, dass die erste Auferstehung zum Zeitpunkt der Bekehrung eines Gläubigen stattfindet. Leon Morris hat darauf hingewiesen, dass dieses Muster typisch für Johannes ist: Was es bedeutet, schon gegenwärtig ewiges Leben zu besitzen, wird an der Zusicherung deutlich, dass man dadurch »nicht ins Gericht kommt«. Das ist der übliche Gedanke bei Johannes, dass das Gericht etwas ist, was hier und jetzt stattfindet. Wer den Weg der Finsternis und des Bösen wählt, ist schon gerichtet. Sein Gericht besteht gerade in dieser Tatsache. Genauso ist es mit dem, der ewiges Leben hat: Seine Rechtfertigung ist hier und jetzt gegenwärtig. Er ist bereits aus dem Zustand des Todes entkommen und hat ewiges Leben erlangt.89 Ein zweiter Punkt bei Johannes ist: Wenn die Toten die Stimme des Sohnes Gottes hören, werden sie leben (5,25). Auch hier haben 88 Das Verb metabaino steht im Perfekt. 89 Leon Morris, The Gospel According to John, The New International Commentary on the New Testament (Grand Rapids: Eerdmans, 1984), S. 316.

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wir das Bild von Menschen, die geistlich tot sind und mittels des lebensspendenden Wortes Gottes zum Leben kommen. D. A. Carson weist darauf hin, dass Johannes hier das Bild von der Auferstehung in einem zweifachen Sinn gebraucht: Im ersten Sinne bezieht es sich auf das schon jetzt und ist damit strikt geistlich; im zweiten Sinne ist eine leibliche Auferstehung in der Zukunft (noch nicht) gemeint. Die innere Spannung der christlichen Eschatologie zwischen dem, was zum schon jetzt gehört und dem, was ins noch nicht fällt, wird in diesem und den folgenden Versen herausgestellt. Zum Ausdruck »die Stunde kommt und ist schon da« vgl. [Johannes] 4,23. In 5,28, wo die Eschatologie ausschließlich die Zukunft meint, »kommt« die »Stunde« bzw. die Zeit erst noch; Johannes sagt nicht, sie sei schon da. Hier [in 5,25] ist die Stunde aber schon da: Das Auferstehungsleben für die leiblich Verstorbenen der Endzeit manifestiert sich bereits jetzt als Leben für geistlich Tote. Es ist die Stimme des Sohnes Gottes (d. h. sein Wort, vgl. 5,24; 6,63.68; 11,43), die die Toten herausruft, und wer diese Stimme hört, wird leben. Eine solche Stimme – ein solch lebenspendendes Wort – ist nichts anderes als die Stimme Gottes (vgl. Jes 55,3), dessen belebende Macht den lebenspendenden Geist vermittelt (vgl. 3,3.5.7; 7,37-39) und der sogar trockene Knochen zum Leben erwecken kann (Hes 37).90 Das liefert eine weitere Unterstützung für Klines Argument, dass es sich bei den Auferstehungen in Offenbarung 20 um zwei verschiedene Arten handelt, von denen eine zur alten Ordnung gehört (die geistliche Auferstehung im schon jetzt) und im Gegensatz zur Auferstehung der neuen Ordnung steht (die leibliche Auferstehung im noch nicht). Johannes 5 liefert zudem den Befund, dass dies ein für Johannes typisches Schema ist, das nicht nur in der Offenbarung, sondern auch in seinem Evangelium mehrmals vorkommt. Ich schließe daraus, dass es sich bei der ersten Auferstehung um die Wiedergeburt des Gläubigen handelt. Doch wie Beale zeigt, widerspricht diese Auffassung nicht der Ansicht Klines, insbesondere 90 D. A. Carson, The Gospel According to John (Grand Rapids: Eerdmans, 1991), S. 256.

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wenn man die Wiedergeburt als Vorerfüllung der endgültigen Erfüllung bei der leiblichen Auferstehung versteht.91 Christen werden in zweierlei Weise geistlich vom Tod zum Leben auferweckt: bei der Wiedergeburt (dem Übergang vom geistlichen Tod zum geistlichen Leben) und beim Tod (dem Übergang von der Erde zum Himmel). Das eine gehört notwendigerweise zum anderen. Offenbarung 20,7-10 Wie wir schon gesehen haben, rekapitulieren die Verse 7-10 die Wiederkunft Christi zum Gericht, die bereits in Kapitel 19,11-21 beschrieben wurde. Johannes beschreibt die Zeit nach den tausend Jahren, wenn Gott den Satan wieder freilässt. In Kapitel 19 erfahren das Schicksal des Tieres und des falschen Propheten; in Kapitel 20 sehen wir das Schicksal Satans selbst. All das gehört zeitlich zum großen Abfall kurz vor Ende des Zeitalters (2Thes 2,1-12), und wenn dabei das Tier einen grausamen »Krieg gegen die Heiligen« führt (Offb 13,7), wird Christus zum Gericht wiederkommen. Die amillennialistische Auslegung dieser Stelle besagt, dass Johannes hier die Ankunft des Reich Gottes in Herrlichkeit beschreibt, wobei alle Mächte des Unglaubens ein für alle Mal niedergeworfen werden.92 Dies ist nichts Geringeres als der glorreiche Sieg der Vollendung. An diesem Tag wird es heißen: »Das Reich der Welt ist unseres Herrn und seines Christus geworden« (Offb 11,15). Das ist das Ende des Zeitalters, wenn das Vergängliche dem Ewigen weichen muss. Offenbarung 20,7-10 stellt den Prä- wie auch den Postmillennialisten vor erhebliche Probleme. Besonders problematisch ist diese Stelle jedoch für Prämillennialisten, da sie glauben, dass die satanisch inspirierte Revolte der Nationen nach der allgemeinen Auferstehung stattfindet, wo es ja auf der Erde gar keine natürlichen, nicht-auferstandenen Menschen mehr geben kann und auch keine, die nicht vor dem Jüngsten Gericht gestanden haben. Wer sind diese Menschen, die sich gegen Christus auflehnen? Wer sind die, 91 Beale, Book of Revelation, S. 1012. 92 Kline, »Har Magedon«, S. 222.

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die vom Feuer verzehrt werden? Sind das Menschen mit nichtauf­ erweckten Leibern? Wenn ja, wo kommen sie her? Wie können sie oder ihre Vorfahren das Gericht zu Beginn des Millenniums überlebt haben? Sind es die Erlösten? Das ist undenkbar. Die Gegenwart des Bösen im Millennium ist ein Problem, um das der Prämillennialismus nicht herumkommt. Für den Postmillennialismus ist Offenbarung 20 ebenso problematisch. Meredith Kline zeigt auf: »Offenbarung 20,7-10 selbst widerlegt die postmillennialistischen Hoffnungen, denn hier wird sehr deutlich, dass die Nationen der Welt während des Millenniums keineswegs christianisierte Institutionen geworden sind.«93 Wie kann das sein, wenn das Königreich Christi die Politik, Kultur und Wirtschaft aller Länder so tiefgreifend transformiert haben soll? Diese globale Revolte entlarvt die postmillennialistische Behauptung, die Nationen der Erde würden christianisiert werden, als Irrtum. Das Ausmaß des Bösen, das hier beschrieben wird, bedeutet: Welche »christliche Transformation« der Nationen auch immer stattgefunden haben mag, sie kann nur oberflächlich und nicht tiefgreifend gewesen sein. In Vers 7 lesen wir, dass nach den »tausend Jahren« Satan aus dem Abgrund entlassen wird, aus dem Reich des Todes und des Hades, wo er während der Ära des Evangeliums gefangen gehalten wurde.94 Jetzt erfüllt sich, was Johannes in 20,1-3 prophezeit hat. Jetzt wird die göttliche Fessel, die bisher Satans Fähigkeit unterband, die Nationen zu verführen, gelöst und Satan geht aus bis an die Enden der Erde, um die Nationen aufzuwiegeln und sie zur Schlacht zu versammeln (V. 8). Die Truppenstärke ist groß, zahlreich wie der Sand am Meer. Das ist die Erfüllung der Prophezeiung von Gog und Magog in Hesekiel 38-39. In Hesekiel ist »Gog und Magog« Israels größter Feind aus dem Norden, doch in Offenbarung 20,7-10 repräsentieren sie die Völker von allen »vier Enden der Erde«. Das ist ein semitischer Ausdruck für die ganze Welt. Sa 93 Ebd., S. 221. 94 Der erste Satzteil von 20,7a (»wenn die tausend Jahre vollendet sind«) ist ein unbestimmter Temporalsatz im Futur, was eine symbolische und nicht buchstäbliche Auslegung der »tausend Jahre« unterstützt. Vgl. Beale, Book of Revelation, S. 1021.

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tan hat sie verführt und jetzt versammeln sie sich zum Krieg gegen Gottes Volk.95 Johannes erwähnt hier zum dritten Mal in der Offenbarung Hesekiels Prophezeiung von Gog und Magog (16,14-16; 19,1721), diesmal mit einem Fokus auf die Niederlage Satans selbst. In Vers 9 werden die Anspielungen auf Hesekiel fortgesetzt. Hesekiel beschrieb, wie Gottes Feinde ins Land einfallen und dort durch Gottes Gericht eine verheerende Niederlage erleiden (Hes 39,11-20). Johannes erweitert die Prophezeiung Hesekiels auf eine weltweite Bedeutung und beschreibt, wie die Horden der Ungläubigen gegen »das Heerlager der Heiligen« heraufziehen. Das ist eine klare Anspielung auf das Lager der Israeliten in der Wüste Sinai während des Exodus. Das Lager der Heiligen ist der gleiche Ort wie die von Gott geliebte Stadt. Es ist die Gemeinde, das wahre Israel.96 Bevor aber die Rebellen Gottes Volk schlagen können, wird Gott eingreifen und die Rebellen verheeren. Johannes sagt: »Und es fiel Feuer von Gott aus dem Himmel herab und verzehrte sie« (V. 9). So wie Gott einst Elia mit Feuer vom Himmel vor dem bösen König Ahasja beschützte (2Kö 1,10-14), so wird Gott auch sein Volk vor Gog und Magog retten, indem er Gog und Magog mit Feuer vom Himmel verzehrt. Das ist das Schicksal, das den Drachen – die alte Schlange, den Teufel und Erzfeind Christi – und dessen Volk erwartet. Johannes sagt: »Und der Teufel, der sie verführt hatte, wurde in den Feuer- und Schwefelsee geworfen, wo das Tier ist und der falsche Prophet« (20,10). Im Gegensatz zu den tausend Jahren – jener begrenzten Zeitspanne zwischen dem ersten und zweiten Kommen Christi – nimmt die Qual des Teufels kein Ende und geht bis in alle Ewigkeit weiter. Jetzt sollte klar sein: Johannes spricht hier von der Vollendung, und dieses Ereignis geschieht bei der Wiederkunft Christi (Röm 16,20; 2Thes 2,8), wenn das Tier und der falsche Prophet gerichtet werden (Offb 19,20). Hier gibt es zwischen dem Gericht des Tieres und des falschen Propheten und dem Gericht über Satan keine Lücke von eintausend Jahren, wie es der Prämillennialismus lehrt. 95 Beale, Book of Revelation, S. 1022-1023; Kline, »Har Magedon«, S. 218-222. 96 Beale, Book of Revelation, S. 1027.

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Johannes beschrieb dasselbe Ereignis quasi aus verschiedenen Kameraperspektiven. In Kapitel 19,20 fokussiert seine »Kamera« das Gericht über das Tier und den falschen Propheten, während sie sich in 20,7-10 auf Gottes Gericht über Satan ausrichtet. Es ist ein und dasselbe Ereignis; beides findet zur selben Zeit statt. Der Prämillennialismus geht einen ganz anderen Weg. Er sieht den Aufstand von 20,7-10 als Indiz für eine latente menschliche Neigung zur Sünde, die auch noch nach der Wiederkunft Christi und unter bestmöglichen Bedingungen im Menschen schlummert. George Ladd sagt, die Verse 7-8 liefern einen Grund für die zeitlich begrenzte Herrschaft Christi im Millennium. Die Gerechtigkeit Gottes im Gericht und in der Verdammnis ist eine brennende theologische Frage … In [Offenbarung 20,7-8] stößt der nunmehr freigelassene Verführer – selbst nach der tausendjährigen Herrschaft Christi – immer noch auf Herzen, die empfänglich sind für seine Verführungen. Daraus wird klar, dass die tiefste Wurzel der Sünde nicht in Armut oder unzumutbaren sozialen oder umweltmäßigen Bedingungen oder ungünstigen Umständen liegt, sondern in der Rebellionsliebe des menschlichen Herzens. Das Millennium und die darauffolgende Rebellion des Menschen beweisen, dass der Mensch die Schuld für seine Sündigkeit nicht auf ungünstige Umstände schieben kann. Im Endgericht werden sich die Ratschlüsse Gottes als gerecht und angemessen erweisen.97 Ladd gibt offen zu, dass die prämillennialistische Sichtweise eine satanisch inspirierte Rebellion gegen Christus nach seiner tausendjährigen Herrschaft erfordert. Doch scheint er nicht zu merken, was für ein schwerwiegendes Problem das mit sich bringt: Wer sind dann diese aufständischen Menschen? Wie kann es nach dem Gericht auf der Erde Menschen in natürlichen Leibern geben?98 Was 97 Ladd ist sich des Problems des Bösen im Millennium bewusst, behauptet aber dennoch weiter, dass Menschen in verherrlichten Leibern immer noch in der Lage sind, Satan zu folgen, obwohl Christus in ihrer Mitte regiert. Ladd, Commentary on Revelation, S. 269. 98 Jeffrey Townsend versucht in seiner Antwort auf das Buch von Arthur Lewis The

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ist mit der prämillennialistischen Behauptung, eine teilweise erneuerte Erde sei gleichzeitig Heimat Erlöster und Nichterlöster?99 Um darauf eine Antwort zu bieten, muss man wie Ladd eine tausendjährige Lücke zwischen der Wiederkunft Christi und dem Gericht einfügen – und das obwohl derselbe Prämillennialismus lehrt, der Schlüssel zur Auslegung von Offenbarung 20,1-10 sei ein buchstäbliches Verständnis der ersten Auferstehung. Doch wenn Gerichtstag und Wiederkunft Christi zeitlich zusammen gehören, stürzen sämtliche Formen des Prämillennialismus in sich zusammen. Die dispensationalistische Interpretation fügt der traditionellen prämillennialistischen Sicht noch einige Punkte hinzu und modifiziert sie dadurch grundlegend. So sagt Walvoord: Ein kurzer Überblick über die Bibel zum hier beschriebenen Tausendjährigen Reich … genügt, um die buchstäbliche Auslegung der tausend Jahre zu rechtfertigen. Johannes hält sich bei seiner Vision über dieses Reich nicht mit Details auf, sondern erklärt nur dessen Existenz und Dauer. Wie diese Herrschaft Christi auf Erden sein wird und aussieht, wird an zahlreichen Stellen des Alten Testaments beschrieben, z. B. Jes 2,2-4; 11,4‑9; Psalm 72 und vielen anderen. Aus diesen Stellen geht auch klar hervor, dass Jerusalem die Hauptstadt des Tausendjährigen Reichs sein wird (Jes 2,3) und dass es keinen Krieg mehr geben Dark Side of the Millennium, dem Problem des Bösen im Millennium auszuweichen und schreibt: »Zu Beginn des Millenniums werden alle gottlosen Überlebenden der Trübsal getötet, sodass nur Erlöste ins Tausendjährige Reich eingehen. Während des Millenniums werden deren Nachkommen gerettet oder gehen verloren, je nach ihrer Reaktion auf Jesus.« Das beantwortet Lewis’ Einwand aber nur unter dispensationalistischen Vorannahmen. Das Problem ist, dass die allgemeine Eschatologie des Neuen Testaments ausdrücklich lehrt, dass das »zukünftige Zeitalter« bei der Wiederkunft Jesu Christi beginnt und dass sie dann »weder heiraten noch sich heiraten lassen, denn sie können nicht mehr sterben; denn sie sind den Engeln gleich und Söhne Gottes, da sie Söhne der Auferstehung sind« (Lk 20,35-36). Vgl. Jeffrey Townsend, »Is the Present Age the Millennium?« Zuck (Hrsg.), Vital Prophetic Issues, S. 70. 99 Robert Saucy zufolge »ist das Millennium nur die letzte Übergangsphase zur Ewigkeit«. Wie kann es nach der Vollendung noch eine Übergangsphase geben? Noch fraglicher wird das, wenn es dabei Erlöste und Unerlöste geben soll sowie eine Wiederzuwendung zum Bösen. (Vgl. Saucy, The Case for Progressive Dispensationalism, S. 288).

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wird (Jes 2,4) … Das Alte Testament weist an vielen Stellen auf die Vorrangstellung Israels im Millennium hin … Israel wird wieder mit seinem Gott vereint, ausgedrückt durch das Bild des Heiratens, und transformiert werden von einer untreuen Frau zu einer Gattin, die die Liebe Jahwes erwidert. Heiden, die an den Segnungen des Königreichs teilhaben, werden beispiellose geistliche und wirtschaftliche Vorzüge erleben, und die tausendjährige Herrschaft Christi wird für die ganze Erde eine Zeit der Freude, des Friedens und des Segens sein.100 Walvoord fährt dann mit einer Beschreibung der Schlacht von »Gog und Magog« fort, wobei er abstreitet, dass diese Bezeichnungen irgendetwas mit Hesekiel 38-39 zu tun hätten, weil dann die sogenannte russische Invasion (die dispensationalistische Interpretation von Hes 38-39) in Israel ins Tausendjährige Reich fallen müsste. Daran wird erneut deutlich, wie sehr die dispensationalistischen Auffassungen ein bestimmtes Ergebnis erfordern, das schon vor der Auswertung des biblischen Befundes vorausgesetzt wird. »Hesekiels Schlacht findet wahrscheinlich schon vor dem Millennium statt; wohingegen diese Schlacht erst nach den tausend Jahren ausgetragen wird. Die Zahl der Rebellen … wird als unzählbar ›wie der Sand am Meer‹ beschrieben. So kommt es zum letzten gigantischen Aufstand des Menschen gegen Gottes souveräne Herrschaft, wobei die Bösen ihr Waterloo erleben.«101 Wie Ladd ordnet 100 Walvoord, Revelation of Jesus Christ, S. 301-302. Walvoords Kommentare machen deutlich: 1.) Johannes sagt wenig über die Bedingungen auf der Erde während dieser Zeit. Warum? Weil die Herrschaft Christi zu dieser Zeit im Himmel stattfindet und nicht auf der Erde. Die alttestamentlichen Stellen, die Walvoord anführt, passen besser zum endgültigen Zustand in Offenbarung 21-22 als zu einer Zeit, während der Christus im Himmel herrscht und während der Gläubige als Märtyrer sterben 2.) Walvoord gibt sich damit zufrieden, Israel als »Braut Christi« zu sehen. Was aber ist mit der Gemeinde? Das Bild der Braut ergibt nur dann Sinn, wenn die Gemeinde das wahre Israel des Neuen Testaments ist 3.) Wenn Christus im Himmel herrscht und die Trübsalszeit immer wieder ihre Märtyrer fordert, dann kann das keine Zeit des Friedens auf Erden sein. Das ganze Buch der Offenbarung ist zum Trost für jene geschrieben, die unter der Verfolgung durch das Römische Reich zu leiden hatten. Die bedrängten Christen sollten wissen: Wenn sie sterben, werden sie leben und mit Christus im Himmel herrschen. 101 Walvoord, Revelation of Jesus Christ, S. 303-304. Walvoords Verständnis des Mil-

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auch Walvoord das Verderben Satans am Ende des Millenniums ein, tausend Jahre nach dem Verderben des Tieres und des falschen Propheten (Offb 19,20). Für Walvoord beschreibt der Rest von Kapitel 20 das »große weiße Throngericht«, die zweite Auferstehung der verstorbenen Ungläubigen, den zweiten Tod und anschließend die Schaffung von neuen Himmeln und einer neuen Erde. Ich frage schlicht: Ist es das, was Johannes sagt? Und wenn nicht, was sagt er dann? Ich gebe mich damit zufrieden, dass nur die amillennialistische Auslegung von Offenbarung 20,1-10 Johannes ganz im Licht seiner eigenen Gedankenwelt sprechen lässt, und die entspringt dem Alten Testament, das sich in Jesus Christus erfüllt hat. Johannes beschreibt zunächst absolut nichts, was auf der Erde stattfindet, sondern den Abgrund (V. 1-3) und den Himmel (V. 4-6). Erst dann, »wenn tausend Jahre vollendet sind«, kommt er auf die Erde zu sprechen (V. 7-10). Johannes schildert keine Zeit des weltweiten Friedens und der Brüderlichkeit, sondern eine Zeit, während der Satan davon abgehalten wird, die Nationen zu verführen. Und Johannes beschreibt die gegenwärtige Herrschaft der Erlösten Jesu Christi und anschließend die endgültige Vollendung aller Dinge, wenn Satan – der größte Feind Christi und seines Volkes – all das empfangen wird, was er verdient hat.

lenniums hat nicht das enorme Problem der Existenz des Bösen im Millennium, wie es beim historischen Prämillennialismus der Fall ist. Weil nach dispensationalistischer Ansicht nicht-auferstandene Menschen ins Millennium eingehen, überrascht eine satanische Verführung nicht. Hier sind es die Überlebenden der Trübsalszeit, die in nichtauferstandenen Leibern ins Tausendjährige Reich gehen und an dessen Ende Satan folgen. Das Problem hier besteht allerdings darin, dass das biblische Modell der zwei Zeitalter die Möglichkeit ausschließt, dass es nach der Wiederkunft Christi zum Gericht noch unverherrlichte Menschen gibt.

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TEIL 4

DIE BEWERTUNG DER MILLENNIUMSMODELLE



K APITEL 16

Die Auswertung In Teil 1 haben wir einen Überblick über die verschiedenen Positionen zum Tausendjährigen Reich bekommen und uns die hermeneutischen Grundlagen der unterschiedlichen Sichtweisen angeschaut. In Teil 2 haben wir einen umfassenden biblisch-theologischen Hintergrund entwickelt, um die biblische Lehre vom Millennium besser verstehen zu können. In Teil 3 haben wir die entscheidenden Schriftabschnitte für unser Thema betrachtet. Jetzt sind wir in der Lage, kurz die wichtigsten Auslegungsprobleme aller drei Modelle zusammenzufassen. Vor welchen Herausforderungen stehen Prä-, Post- und Amillennialimus? In diesem Buch habe ich stets die amillennialistische Sichtweise des Millenniums und der damit verwandten Themen verteidigt. Der aufmerksame Leser wird sich nun sicher fragen: Wenn die Sache so klar für den Amillennialismus spricht, warum sind dann nicht alle Christen überzeugte Amillennialisten? Dafür gibt es eine ganze Reihe von Gründen. Ein Grund für die nicht umfassende Akzeptanz dieser Sichtweise liegt ganz einfach darin, dass der Amillennialismus aktuelles Zeitgeschehen nicht auf bestimmte Bibelstellen bezieht. Die amillennialistische Sichtweise entspringt vielmehr einer klaren und umfassenden reformierten Theologie. Deshalb wird der Amillennialismus nie mit einem so verlockenden System aufwarten wie der Dispensationalismus. Sprachgewandte Autoren wie Tim LaHaye und Jerry Jenkins, John Hagee, Jack Van Impe, Dave Hunt und Hal Lindsey haben es daher leicht, ihr dispensationalistisches Verständnis biblischer Texte auf alle möglichen geopolitischen Krisen anzuwenden, die gerade in den Abendnachrichten auftauchen. Wenn diese Autoren Recht haben, kann die geheime Entrückung jederzeit passieren. Schon bald könnte der Antichrist offenbar werden und die Weltbühne betreten. Das erzeugt eine faszinierende Endzeitstimmung, die theologisch fun325


Teil 4: Die Bewertung der Millenniumsmodelle

diertere Lehrsysteme wie den Amillennialismus uninteressant erscheinen lässt. Die Lösung für dieses Dilemma besteht darin, dass Amillennialisten besser kommunizieren müssen, dass die nah bevorstehende Wiederkunft Jesu Christi mit Weltgericht, Auferstehung der Toten und Neuschöpfung aller Dinge das Herzstück ihrer Eschatologie ist. Jesus mahnte uns: »Darum wacht! Denn ihr wisst weder den Tag noch die Stunde, in welcher der Sohn des Menschen kommen wird« (Mt 25,13). Wir gehorchen dieser Ermahnung, indem wir u. a. die Unmittelbarkeit der glückseligen Hoffnung betonen: die Wiederkunft unseres Herrn für die Seinen. Das ist ein zentraler Grundsatz des Amillennialismus und der christlichen Eschatologie überhaupt. Amillennialisten erwarten die Wiederkunft des Herrn genauso sehr wie Dispensationalisten! Ein weiterer Grund, warum der Amillennialismus im Westen nicht so weit akzeptiert ist, liegt ganz einfach in der Tatsache, dass viele den Amillennialismus einfach ungeprüft verwerfen. Das liegt zum Teil daran, dass viele beliebte Autoren, Redner und Prophetie-Experten behaupten, der Amillennialismus nehme es mit der biblischen Prophetie nicht so genau. Der Amillennialismus hat sich sogar den Vorwurf des Antisemitismus gefallen lassen müssen, weil er angeblich Israel durch die Gemeinde ersetzt. So hat er viel »schlechte Presse« einstecken müssen, und das zum großen Teil ungerechtfertigt. Mit diesem schlechten Ruf unter Endzeit-interessierten Christen ist es schließlich kein Wunder, wenn der Amillennialismus als ernstzunehmende Alternative von vornherein ausgeschlossen wird. Das ist eine beklagenswerte Situation. Nach langjähriger Lehr- und Vortragstätigkeit in christlichen Kreisen weiß ich davon ein Lied zu singen. Doch sollte uns das nicht überraschen, denn die Beschäftigung mit einer unbekannten und kontroversen eschatologischen Sichtweise birgt immer ein gewisses Risiko. Sehr oft geben sich die Leute mit ihrer liebgewordenen Endzeit-Ansicht zufrieden – üblicherweise die Positionen, die sie bereits mit ihrer geistlichen Muttermilch aufgesogen haben –, und wenn diese Sichtweise einmal herausgefordert wird, dann beharren sie einfach auf ihrem Standpunkt. Diese Neigung gehört zur gefallenen Natur des Menschen. Wir tun 326


Kapitel 16: Die Auswertung

uns einfach schwer, vorurteilslos, nüchtern und objektiv Themen zu überdenken, von denen wir eine feste Vorstellung haben. Ob ich Sie nun überzeugen konnte oder nicht, hoffe ich jedenfalls, dass Sie den Amillennialismus unvoreingenommen und aufgeschlossen im Licht des dargelegten biblischen Befundes prüfen. Außerdem wünsche ich mir, dass Sie die Probleme beachten, die ich bei den anderen Sichtweisen aufgezeigt habe und die wir nun kurz zusammenfassen. Gibt es Böses im Millennium? Das Problem des Prämillennialismus

Zweifellos liegt die große Stärke des Prämillennialismus darin, dass er Offenbarung 20 zeitlich auf Kapitel 19 folgen lässt. Wenn Johannes die Wiederkunft Christi in Kapitel 19 schildert und dann in Kapitel 20 die tausendjährige Herrschaft Christi beschreibt, dann begründet das bereits eine Form von Prämillennialismus. Dem ersten Anschein nach ist dies ein starkes Argument für den Prämillennialismus. Sobald aber der Amillennialismus diesen Punkt herausfordert und darauf hinweist, dass Kapitel 20 zu einer anderen Vision gehört und die Ereignisse von Kapitel 19 rekapituliert, holen wir uns schnurstracks den Vorwurf ab: Der Amillennialismus vergeistlicht die Bibel! Man wirft uns vor, wir nähmen Offenbarung 20 nicht ernst, denn Johannes spreche in Verbindung mit der Wiederkunft Christi von wörtlichen tausend Jahren und von einer leiblichen Auferstehung (der ersten Auferstehung). Ein wörtliches Verständnis des Bibeltextes ergibt für Christen viel mehr Sinn, und sie sind zu Recht argwöhnisch gegenüber denen, die Bibeltexte nach Belieben verdrehen. Das komplizierte Argument, apokalyptische Literatur sei vom Wesen her symbolisch zu verstehen, hat schon von vornherein einen schweren Stand gegen diese Sichtweise. Das macht es Prämillennialisten allzu leicht, den Amillennialismus als mögliche Alternative zu verwerfen, da er offensichtlich dem klaren Sinn der Schriftstelle über das Tausendjährige Reich widerspricht. Die prämillennialistische Auslegung wirft aber mehr und schwerwiegendere theologische Probleme auf, als sie löst. Diese Pro327


Teil 4: Die Bewertung der Millenniumsmodelle

bleme werden oft einfach übersehen. Rein theoretisch angenommen, wir würden die prämillennialistische Sichtweise vom Millennium als biblisch richtig anerkennen. Welche Konsequenzen hätte diese prämillennialistische Auslegung von Offenbarung 20,1-10? Wenn der Prämillennialismus richtig ist, dann kommt Jesus Christus in Offenbarung 19 zum Weltgericht wieder und richtet dann in Offenbarung 20 seine tausendjährige Herrschaft auf. Was geschieht aber am Ende von Christi Herrschaft über die Erde? Laut Offenbarung 20,7-10 wird der Satan aus dem Abgrund befreit und zieht sofort aus, um die Nationen an den vier Enden der Erde zu verführen (das sind dieselben Nationen, die in Kapitel 19,15 gerichtet wurden). Satan versammelt sie zur Schlacht gegen das Heerlager des Gottesvolkes und gegen die geliebte Stadt Jerusalem. Am Ende fällt aber Feuer vom Himmel und verzehrt die Rebellen zusammen mit dem Satan. Doch es bleibt die Frage: Wer sind diese Menschen, die Satan verführt, sich gegen Gott aufzulehnen, um durch Feuer vom Himmel verzehrt zu werden? Dem Prämillennialismus zufolge konstituieren die Erlösten einen Teil der Menschheit im Millennium. Niemand glaubt jedoch, dass es solchen verherrlichten und auferstandenen Erlösten möglich ist, an einem derartigen Aufstand teilzunehmen, wie er in Kapitel 20 beschrieben wird. Deshalb müssen die Rebellen des Millenniums Menschen sein, die entweder nicht von den Toten auferstanden sind oder die nicht in das Gericht gekommen sind, das bei Christi Wiederkunft zu Beginn des Millenniums stattgefunden hat. Dispensationalisten glauben, dass es Menschen sind, die sich nach der Entrückung bekehrt haben und die die Trübsalszeit und den Zorn des Antichristen überlebt haben. Der historische Prämillennialismus hingegen glaubt, es handele sich um Menschen, die schon zur Zeit der Wiederkunft des Herrn gelebt haben und weder auferstanden sind noch gerichtet wurden und die Erde während des Millenniums neu bevölkern. Diese Ansicht ist allerdings hoch problematisch, auch wenn hierbei Offenbarung 20 wörtlich verstanden werden soll. Im Prämillennialismus koexistieren während des Millenniums auferstandene Menschen mit ihren Auferstehungsleibern auf der Erde mit nichtauferstandenen Menschen in natürlichen Leibern. Wie 328


Kapitel 16: Die Auswertung

kann das sein? Wo lehrt die Schrift eine solche Vermischung Auferstandener und Nichtauferstandener? Wie wir gesehen haben, erwarten alle neutestamentlichen Autoren die Vollendung bei der Wiederkunft Christi. Von einem Zwischenschritt auf dem Weg zur Vollendung in Form eines irdischen Millenniums wissen sie nichts. In diesem Zusammenhang scheint ein anderes Problem noch schwerwiegender zu sein: Unter welchen Umständen können Menschen, die bei der Wiederkunft Christi auf Erden leben, dem Gericht entkommen? Die Schrift sagt klar, dass Christus wiederkehrt, um die Welt zu richten, die Toten aufzuerwecken und alle Dinge neu zu machen. Die dann noch lebenden Gläubigen werden entrückt, um ihrem Herrn in der Luft zu begegnen. Auch die verstorbenen Gläubigen werden auferstehen und dabei sein (1Thes 4,15-17). Die aber, die nicht zu Christus gehören, werden seinen Zorn zu spüren bekommen und vor das Jüngste Gericht gestellt werden (Mt 24,37-41). Das gilt für alle Ungläubigen, die bei der Wiederkunft unseres Herrn noch am Leben sind. Deshalb müssen Prämillennialisten erklären, wer diese Menschen sind, die in natürlichen Leibern während des Millenniums die Erde bevölkern. Wie sind solche Menschen zu erklären, die bei der Wiederkunft des Herrn nicht gerichtet oder auferweckt werden? Das ist besonders problematisch, weil Jesus selbst sagt, dass alle, die der zukünftigen Welt angehören, »Söhne der Auferstehung« sind (Lk 20,34-38). Außerdem sagt Paulus, dass »Fleisch und Blut das Reich Gottes nicht ererben können« (1Kor 15,50). Wenn das Zeitliche vergangen ist, können Menschen in natürlichen Leibern nicht die Erde nach der Wiederkunft Christi bevölkern. Um das Problem des Bösen und der letzten Abtrünnigkeit im Millennium zu umgehen, behaupten Prämillennialisten, das Jüngste Gericht würde erst nach dem Tausendjährigen Reich stattfinden. Bei solchen Stellen wie Matthäus 25,31-46, die ausdrücklich lehren, dass das Jüngste Gericht bei der Wiederkunft unseres Herrn stattfindet, postulieren Prämillennialisten stattdessen eine Lücke von tausend Jahren zwischen der Wiederkunft und dem Jüngsten Gericht. Dennoch pochen Prämillennialisten darauf, dass ihre Auslegung auf einer buchstäblichen Hermeneutik beruht sowie auf 329


Teil 4: Die Bewertung der Millenniumsmodelle

dem Widerstreben, prophetische Bibelstellen zu vergeistlichen. Wir müssen unseren prämillennialistischen Freunden also die unausweichliche Frage stellen: Wo in der Bibel wird diese tausendjährige Lücke zwischen Wiederkunft Christi und Jüngstem Gericht gelehrt? Die Antwort ist: nirgends. Diese Lücke muss in den Text hineingelesen werden, auch wenn das sowohl dem klaren Sinn des Bibeltextes als auch der buchstäblichen Hermeneutik des Prämillennialismus widerspricht. So wird die scheinbar größte Stärke des Prämillennialismus zu seiner größten Schwäche. Wenn Prämillennialisten Offenbarung 20 richtig verstehen, dann hätten wir während des Tausendjährigen Reiches eine Mischbevölkerung aus Erlösten und Nichterlösten unter der Regentschaft Jesu. Die Herrschaft unseres Herrn würde nach Ablauf der tausend Jahre mit einer massiven satanischen Verführung der Nationen und ihrer Auflehnung gegen Christus und seine Gemeinde enden, nachdem sie tausend Jahre auf Erden geherrscht haben. Wenn das zutrifft, dann ist ein solcher Aufstand nichts Geringeres als ein zweiter Sündenfall. Nicht einmal auferstandene und verherrlichte Heilige wären sicher vor der künftigen Wut Satans und den Horden der Ungläubigen. Wenn es auch auf dem ersten Blick so scheint, als haben die Prämillennialisten den klaren Sinn von Offenbarung 20 erfasst, können die problematischen Konsequenzen einer solchen Auslegung nicht von der Hand gewiesen werden. Wir sind schon in Teil 3 genauer darauf eingegangen, dass die prämillennialistische Lesart von Offenbarung 20 nicht den besten Sinn ergibt. Man muss diese Schriftstelle genauer betrachten und dabei besonders die apokalyptische Literaturgattung berücksichtigen. Tatsächlich liefert Kapitel 20 eine Rekapitulation von Kapitel 19 und ist als solche eine neue und eigenständige Vision. Die Sprache von Kapitel 20 ist hochgradig symbolisch und beschreibt keinen zukünftigen Zustand, sondern den gegenwärtigen Sieg Christi, der seinem Volk zusichert, dass es trotz Verfolgung und Märtyrertum mit ihm leben und herrschen wird. Das Neue Testament spricht an anderen Stellen von einem Abfall am Ende des Zeitalters (2Thes 2,1-12). Johannes beschreibt in Offenbarung 20,7-10 wahrscheinlich dasselbe Geschehen aus anderer Perspektive. 330


Kapitel 16: Die Auswertung

Es ist klar, vor welchen Optionen der Ausleger steht. Entweder ist das Millennium von Offenbarung 20 die gegenwärtige Herrschaft Christi und der Triumph der Gläubigen über ihre Verfolger und Feinde (Amillennialismus), oder Kapitel 20 beschreibt eine Zeit von tausend Jahren nach Christi Wiederkunft, wobei Auferstandene und Nichtauferstandene koexistieren und es am Ende zu einem satanischen Abfall und Aufstand kommt. Dieses Szenario endet dann mit Feuer vom Himmel, das jene Aufständischen verzehrt, die zuvor unter der Herrschaft Christi gelebt haben, aber letztlich der Verführung Satans zum Opfer gefallen sind (Prämillennialismus). Die Existenz des Bösen und die Vermischung von Erlösten mit Unerlösten im irdischen Millennium machen die prämillennialistische Auslegung völlig unhaltbar. Gibt es im Millennium eine Rückkehr zu alttestamentlichen Abbildern und Schatten? Das Problem der dispensationalistischen Auslegung des Millenniums

Dispensationalisten stehen nicht nur vor dem Problem des Bösen und des Abfalls im Millennium, sondern haben noch weitere Schwierigkeiten, die durch ihre Modifikation des historischen Prämillennialismus entstehen. Das Problem der dispensationalistischen Interpretation des Millenniums hat mit dem dispensationalistischen Verständnis der Heilsgeschichte zu tun. Im ganzen Alten Testament sagten die Propheten Israels das Kommen des messianischen Zeitalters voraus, und zwar in Begriffen ihrer jeweiligen Zeit und Situation in der Heilsgeschichte, besonders in Form von Bildern (Typen) und Schatten, die die messianische Erwartung ausdrückten. Doch diese alttestamentlichen Typen und Schatten werden im Neuen Testament dann im helleren Licht des ersten Kommens Jesu Christi neu interpretiert. Was im Alten Testament verheißen war, erfüllte sich in Jesus Christus. Deshalb erwarten die neutestamentlichen Autoren die letzte Vollendung bei der Wiederkunft Jesu Christi – und keine irdische Herrschaft Jesu unter den alttestamentlichen Um331


Teil 4: Die Bewertung der Millenniumsmodelle

ständen von Abbildern und Schatten, die nun der Vergangenheit angehörten. Sprachen die Propheten des Alten Testaments zum Beispiel von der Wiederherstellung Israels, dann sieht das Neue Testament diese Verheißung als erfüllt an: im wahren Israel, nämlich Jesus Christus. Sprachen die Propheten vom Land Kanaan, der Stadt Jerusalem und dem Berg des Herrn, dann zeigen die neutestamentlichen Schreiber, dass all dies in Jesus Christus und seiner Gemeinde erfüllt ist. Dabei schreiben sie dies oft zur Widerlegung von Juden, die Jesus nicht als Israels Messias akzeptierten. Das Neue Testament selbst liefert die sinngemäße (also literale bzw. wörtliche) Interpretation solcher alttestamentlichen Schriftstellen. Die alttestamentliche eschatologische Erwartung darf daher niemals als Verständnisbasis der neutestamentlichen Eschatologie dienen! Wenn wir die biblische Lehre über das Millennium richtig verstehen wollen, müssen wir untersuchen, wie das Neue Testament die messianische Typologie auf Jesus Christus anwendet und wie er die alttestamentlichen Erwartungen erfüllt hat und so seine Wiederkunft und die Vollendung garantiert. Besonders problematisch am dispensationalistischen Verständnis des Millenniums ist die Rückkehr zu den alttestamentlichen Abbildern und Schatten. Wenn die prophetischen Erwartungen in Jesus Christus erfüllt sind, wie können Dispensationalisten dann eine solche Rückkehr zur alttestamentlichen Heilsökonomie während des Tausendjährigen Reiches rechtfertigen? Diese vormessianische alttestamentliche Erwartung eines irdischen Reiches mit wiederhergestelltem Tempeldienst samt Tieropfern wäre eine 180°-Wendung in der Heilsgeschichte. Dispensationalisten sagen, die Typen und Schatten haben sich in Jesus Christus erfüllt, doch im Millennium würde er angeblich dieselben nunmehr überholten Typen und Schatten wieder neu einsetzen. Das ist äußerst problematisch und tut dem großen Bogen und dem Ziel der Heilsgeschichte Gewalt an. Diese Eigenart des Dispensationalismus hat zum Aufkommen des progressiven Dispensationalismus geführt, der versucht, diesen Aspekt des klassischen Dispensationalismus zu umgehen. Die angebliche Rückkehr zu den Abbildern und Schatten während des Tausendjährigen Reiches wird deutlich, wenn man das 332


Kapitel 16: Die Auswertung

dispensationalistische Verständnis des abrahamitischen und des davidischen Bundes betrachtet. Wenn Dispensationalisten behaupten, die Landverheißung des Abrahamsbundes habe sich erst mit der Staatsgründung Israels 1948 in Palästina erfüllt (und vorher nicht), dann widersprechen sie damit Paulus, der lehrt, dass der Abrahamsbund in Jesus Christus erfüllt ist. Auch Heiden, die an den Messias glauben, sind Teilhaber dieses Bundes (Röm 4,1-25; Gal 3,15-29). Paulus selbst hat die palästinische Landverheißung vergeistlicht, die ursprünglich das Land vom Nil in Ägypten bis an den Euphrat betraf (1Mo 15,18), unter Josua erfüllt wurde (Jos 21,43) und die nun die ganze Welt umfasst (Röm 4,13). Dass Dispensationalisten gern übersehen, wie das Neue Testament alttestamentliche Messiaserwartungen auf Christus anwendet, wird auch darin deutlich, dass sie abstreiten, dass Christus den Davidbund von 2. Samuel 7 erfüllt hat. Das werde sich erst dann erfüllen, wenn Jesus Christus im irdischen Tausendjährigen Reich auf dem Thron Davids in Jerusalem sitzt, um von dort die Erde zu regieren. Doch das Neue Testament lehrt klar, dass sich diese Prophezeiung mit der Himmelfahrt Jesu erfüllt hat, denn Gott hat ihn von den Toten auferweckt und ihn zu seiner Rechten auf seinen Thron erhöht. Damit ist, so sagt Petrus, die messianische Verheißung an David erfüllt, dass einer seiner Nachkommen auf seinem Thron sitzt (Apg 2,30-35). Und eben weil sich diese Verheißung in Jesus erfüllt hat, drängte Petrus seine Volksgenossen an jenem Pfingsttag dazu, Buße zu tun und sich taufen zu lassen (V. 38). Und schließlich hängt das dispensationalistische Verständnis der Heilsgeschichte von einer speziellen Auslegung der großartigen messianischen Prophezeiung in Daniel 9,24-27 ab, bei der die 70. Jahrwoche Daniels erst noch in der Zukunft erwartet wird. Wie wir aber in Kapitel 12 gesehen haben, hat sich diese Prophezeiung Daniels auf herrliche Weise in Jesus Christus erfüllt, der mit seinem aktiven und passiven Leidensgehorsam der »Übertretung ein Ende gemacht, die Sünden abgetan, die Missetat gesühnt, eine ewige Gerechtigkeit gebracht, Gesicht und Weissagung vollendet und einen allerheiligsten Ort gesalbt hat« (Dan 9,24). Da der Messias in der Mitte der siebzigsten Jahrwoche ermordet wurde und mit seinem Volk aber einen Bund gemacht hat (9,26-27), hat er 333


Teil 4: Die Bewertung der Millenniumsmodelle

die Prophezeiung der siebzig Jahrwochen bei seinem ersten Kommen erfüllt. Daher gibt es weder eine solche siebenjährige Trübsalszeit, wie sie der Dispensationalismus lehrt, noch erwartet die Bibel einen Friedensvertrag bzw. -bund zwischen dem Antichristen und der Nation Israel. Beide Punkte sind wesentliche Inhalte der dispensationalistischen Zukunftserwartung. Aus diesen Gründen glauben Amillennialisten, dass das dispensationalistische Verständnis der Heilsgeschichte im Allgemeinen und des Millenniums im Besonderen falsch ist. Die Bibel beschreibt das Millennium nicht als Rückkehr zu den alttestamentlichen Abbildern und Schatten mit Tempeldienst und den Tieropfern, während Jesus von Davids Thron in Jerusalem aus über die Welt regiert. Vielmehr deutet der biblische Befund darauf hin, dass das Millennium das gegenwärtige Zeitalter ist, wo Jesus Christus die Erde vom Himmel aus regiert und seine Erlösten, die weder das Tier noch dessen Bild angebetet haben, auch im Tod noch triumphieren und lebendig werden, um mit Christus tausend Jahre zu herrschen. Diese tausendjährige Herrschaft Christi ist gegenwärtige Wirklichkeit! Erwartet das Neue Testament ein Goldenes Zeitalter der Gemeinde? Das Problem des Postmillennialismus

Da Postmillennialisten glauben, dass Jesus Christus nach dem Millennium wiederkommt, sind sie nicht von den ersten Problemen des Prämillennialismus betroffen – die Existenz des Bösen während des Millenniums und die Koexistenz Auferstandener mit Sterblichen nach der Wiederkunft Christi. In dieser Hinsicht hat der Postmillennialismus mit dem Amillennialismus einiges gemeinsam. Doch es bleiben einige wichtige Unterschiede bestehen. Das schwerwiegendste Auslegungsproblem des Postmillennialismus betrifft die Art der neutestamentlichen Zukunftserwartung. Erwartet das Neue Testament ein goldenes Zeitalter des Reiches Christi, bei dem die Nationen praktisch christianisiert sind, was zu einem noch nie dagewesenen Aufblühen von Wirtschaft, Kultur 334


Kapitel 16: Die Auswertung

und Religion führt? Oder dreht sich die allgemeine eschatologische Erwartung des Neuen Testaments eher um ein Wiederkommen und direktes Eingreifen Christi in eine gottlose und ungläubige Welt wie zu Zeiten Noahs (Mt 24,37-38)? Die Postmillennialisten erwarten Ersteres, während Amillennialisten vom Letzteren ausgehen. Diese Debatte wird oft mit zwei Polen skizziert: dem postmillennialistischen Optimismus im Gegensatz zum amillennialistischen Pessimismus. Dabei schneiden Postmillennialisten mit ihrer Kritik und starken Rhetorik meist besser ab, besonders unter den optimistischen Amerikanern. Aber in ihrer Kritik übersehen sie leicht, dass auch die Amillennialisten optimistisch in Bezug auf das Reich Gottes sind. Es ist das Reich dieser Welt, das Amillennialisten nachdenklich stimmt. Wenn man diese Debatte allerdings auf die Richtigkeit von Optimismus oder Pessimismus beschränkt, dann verkennt man die Komplexität der Auslegungsfragen wie auch das Wesen der neutestamentlichen Eschatologie. Wie wir schon gesehen haben, erwarten die Autoren des Neuen Testaments kein Millennium, das auf der Erde anbricht, sondern ein zukünftiges eschatologisches Zeitalter, bei dem das Zeitliche dem Ewigen weichen muss, wie das sündige Fleisch dem Auferstehungsleben Platz machen muss. Obwohl das Reich Gottes durch die Herrschaft Christi und die Ausgießung des Heiligen Geistes schon jetzt Realität ist, ist die volle Verwirklichung der Segnungen des zukünftigen Zeitalters kein schrittweiser Weg oder allmählich fortschreitender Prozess. Die volle Verwirklichung dieser Segnungen wird durch Jesus Christus bei seiner Wiederkunft kommen – und nicht durch einen allmählichen Abbau und Untergang des Bösen und des Unglaubens. Ja, Satan ist während des gegenwärtigen Zeitalters durch die Verkündigung des Evangeliums »gebunden«. Und ja, das Reich Christi breitet sich aus, wenn Männer und Frauen in das Bild Christi verwandelt und zu Salz und Licht werden, da sie dadurch ihr Umfeld im Sinne Christi beeinflussen. Aber für eine Christianisierung der ganzen Welt gibt es keinen Hinweis in der Bibel. Sie lehrt sogar das Gegenteil! Bedenken wir die Klage unseres Herrn: »Doch wenn der Sohn des Menschen kommt, wird er auch den Glauben finden auf Erden?« (Lk 18,8). Die Bibel lehrt, wenn Christus zum Gericht über 335


Teil 4: Die Bewertung der Millenniumsmodelle

die Nationen wiederkommt, wird er sie für ihren Unglauben und ihre Feindschaft richten (Mt 25,31-32; Offb 19,15; 20,11-12). Dieser bedauernswerte Zustand lässt sich nur schwerlich auf eine kurze Zeit des Abfalls reduzieren, der eintritt, nachdem Christus und seine Erlösten mit ihm tausend Jahre über diese Nationen geherrscht haben und diese Nationen nach postmillennialistischer Erwartung christianisiert worden sind. Deshalb harmonieren die postmillennialistischen Erwartungen nicht mit der neutestamentlichen Betonung der Wiederkunft unseres Herrn zum Gericht über eine ungläubige Welt. Doch der Postmillennialismus muss sich noch anderen Problemen stellen. Erstens, wann soll denn das Millennium beginnen, wenn der Postmillennialismus recht hat? Denkt man sich den Beginn des Millenniums bei der Bekehrung Israels mit anschließender Christianisierung der Nationen durch die Bindung Satans, dann ist klar: Bisher hat sich weder Israel bekehrt, noch ist etwas von einer Christianisierung der Nationen zu sehen – da kann das Millennium zumindest bis jetzt noch nicht angebrochen sein. Vielmehr bleibt die drängende Frage: Wenn Postmillennialisten mit ihrer Erwartung Recht haben, was sagt das dann über den bisherigen Fortschritt des Königreichs Christi aus? Müssen wir etwa die Kirchengeschichte als klägliches Versagen einstufen, obwohl ein goldenes Zeitalter noch kommen wird? Natürlich nicht. Aber in genau diese Richtung weist uns der Postmillennialismus. Eine zweite wichtige Sache im ganzen Neuen Testament ist die Erwartung – ja, die Warnung –, dass die Gemeinde Jesu stets eine leidende Gemeinde ist, denn von innen wird sie von Abfall und Irrlehre bedroht und von außen durch die Feinde Christi, die sie verfolgen. Das Neue Testament ist voller Warnungen vor falschen Evangelien (Gal 1,6-9) und falschen Aposteln (2Kor 11,13-15). Wir werden vor gefährlichen Zeiten gewarnt, denn die »letzten Tage« sind davon geprägt, dass die Menschen Geld, Macht und Vergnügen mehr lieben als den Erlöser (2Tim 3,1ff.). Lehrt das Neue Testament, dass diese Dinge mit Beginn des Millenniums aufhören? Oder lehrt es, dass Christen während dieses ganzen Zeitalters bis zu Christi Wiederkunft mit solchen Dingen zu kämpfen haben? Auch hier glauben die Postmillennialisten Erstes, die Amillennialisten Letzteres. 336


Kapitel 16: Die Auswertung

Und drittens: Was ist mit dem großen theologischen Paradox, dass nach dem Neuen Testament gerade in unserem Leiden und unserer Schwachheit die Gnade und Kraft Jesu Christi verherrlicht wird? Gerade in unserer fraglichen Bibelstelle Offenbarung 20 spricht Johannes genau das an. Während das Tier Krieg gegen die Heiligen führt und sie scheinbar besiegt (Offb 13,7), werden die treuen Gläubigen, die die Anbetung des Tieres ablehnen und deshalb sterben müssen, wegen ihres Zeugnisses für Jesus »lebendig und regieren 1000 Jahre mit Christus« (Offb 20,4). Satan kann nicht gewinnen. Wenn er Krieg gegen die Erlösten führt und sie zu besiegen scheint, ist er in Wirklichkeit selbst schon besiegt. Johannes verdeutlicht uns: Wer von teuflischer Macht getötet wird, der wird mit Jesus leben und herrschen. Deshalb hat der Postmillennialismus zwar Recht mit seinem Optimismus in Bezug auf den Triumph des Reiches Gottes und einem Einfluss des Evangeliums auf die Welt, doch er irrt, wenn er diesen Triumph als soziokulturellen, wirtschaftlichen und religiösen Fortschritt versteht, der sich in einem irdischen Tausendjährigen Reich verwirklicht. Das Reich Christi ist nicht von dieser Welt. Doch eines Tages, so sagt Johannes, werden die »Königreiche der Welt unserem Herrn und seinem Gesalbten zuteilwerden« (Offb 11,15). Dieser Tag wird erst mit der Wiederkunft unseres Herrn anbrechen, und keinen Tag früher. Ist Christus im Jahr 70 n. Chr. wiedergekommen? Das Problem des (vollen und partiellen) Präterismus

Paulus warnt vor zwei Männern, Hymenäus und Philetus, deren falsche Lehren sich in der Gemeinde ausbreiteten wie ein Geschwür. Was lehrten diese Männer? Paulus zufolge »behaupten sie, die Auferstehung sei schon geschehen« (2Tim 2,17-18). Damit erklärten sie, dass es nur eine geistliche, aber keine leibliche Auferstehung gäbe. Paulus lehrt aber überaus klar, dass die Auferstehung der Gläubigen exakt eine solche leibliche Auferstehung ist wie die Auferstehung Christi selbst (vgl. 1Kor 6,14; 15,35-49; Phil 3,20-21). Aufgrund dieser Aussagen von Paulus scheidet der »volle« Präteris337


Teil 4: Die Bewertung der Millenniumsmodelle

mus als eschatologische Alternative für Christen aus, denn er lehrt genau das: Die Auferstehung (in rein geistlichem Sinne) sei bereits geschehen. Wenn man wie der volle Präterismus lehrt, dass Christus bereits wiedergekommen sei und die Auferstehung bei der Zerstörung Jerusalems 70 n. Chr. stattgefunden habe, dann ist man Paulus zufolge ein Irrlehrer!1 Gemäßigte (»partielle«) Präteristen glauben zwar nicht, Wiederkunft und Auferstehung hätten sich 70 n. Chr. ereignet, aber sie sind der Ansicht, dass Christus zum Gericht über Israel schon wiedergekommen sei (als Parusie), um das Ende der jüdischen Ära (»dieses Zeitalters«) zu besiegeln und das kommende Zeitalter einzuleiten. Nach Ansicht vieler gemäßigter Präteristen erklärt diese Sichtweise die neutestamentliche Spannung zwischen einerseits den Texten, die eine Naherwartung der Wiederkunft zu Lebzeiten der Apostel lehren und andererseits den Schriftstellen, die von der Wiederkunft Jesu zu Weltgericht, Totenauferstehung und Neuschöpfung sprechen. Die Lehre, dass Jesus bereits 70 n. Chr. zum Gericht erschienen sei, aber am Ende der Zeit noch einmal kommen werde, führt zu ernsthaften Auslegungsproblemen. Ein Problem der gemäßigten Präteristen ist der Glaube an eine zweifache Wiederkunft Jesu – einmal zum Gericht über Israel (also lokal begrenzt) und noch einmal zur Totenauferweckung und zum Weltgericht (universal und weltweit). Diese Sichtweise lehrt nicht nur mehrere Kommen des Herrn, sondern passt auch nicht zur Lehre Jesu und der Apostel über die zwei Zeitalter. Tatsächlich stellt uns das Neue Testament vor eine ausgesprochene Spannung zwischen Dingen, die in Jesus Christus schon erfüllt sind und solchen, die noch ausstehen wie die leibliche Auferstehung. Wie wir in Kapitel 13 bei der Betrachtung der Ölbergrede gesehen haben, lehrt Jesus, dass seine Wiederkunft sowohl nahe ist (»dieses Geschlecht wird nicht vergehen, bis dies alles geschehen ist«), sie sich aber auch noch hinauszögern kann (das Gleichnis von den zehn Jungfrauen). Er lehrt, dass seiner Wiederkunft bestimmte 1 Keith A. Mathison (Hrsg.), Hyper-Preterism: A Reformed Critique (Phillipsburg, N.J.: Presbyterian and Reformed Publishing, in Vorbereitung).

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Kapitel 16: Die Auswertung

Zeichen vorausgehen, aber zugleich auch, dass seine Wiederkunft gerade dann geschehen wird, wenn wir es am wenigsten erwarten, also nach einer unbestimmten Verzögerung. Diese Spannung zwischen vorausgehenden Zeichen und plötzlicher Wiederkunft schützt vor zwei potentiellen Gefahren: dem Versuch, ein Datum zu berechnen und vor untätiger Trägheit. Christen müssen auf die Zeichen der Zeit achten, während sie in ihrem Kampf nicht müde werden, wenn unser Herr noch nicht kommt. Jesus ermahnte uns zur Wachsamkeit und warnte vor Schläfrigkeit. In den Paulusbriefen finden wir die gleiche Spannung zwischen dem schon jetzt und dem noch nicht (Röm 8,23-25). Wir haben schon jetzt Segnungen Christi erlangt, aber noch nicht in Vollendung. Paulus sagt zum Beispiel, wer durch den Glauben in Christus ist, der ist schon jetzt auferstanden und mit Christus in den Himmel versetzt (Eph 2,6), auch wenn die Erlösung unseres Leibes (die Auferstehung) noch aussteht. Nach der Auferstehung allerdings werden wir verherrlichte materielle Leiber haben, so wie Jesus Christus selbst (vgl. Lk 24,38-39; Phil 3,20-21). Die Spannung zwischen schon jetzt und noch nicht ist zwar ein zentrales Merkmal neutestamentlicher Eschatologie, doch wirft dieses Prinzip einige schwierige Auslegungsfragen auf. Präteristen versuchen, dieses Problem dadurch zu lösen, dass sie betonen, »dieses Zeitalter« sei bereits 70 n. Chr. geendet. Christus sei schon zum Gericht über Israel gekommen und habe damit das neue Zeitalter eingeleitet. Die Spannung des schon jetzt/noch nicht wird aufgelöst, indem man betont, alle eschatologischen Verheißungen Christi hätten sich zu Lebzeiten der Jünger erfüllt. Volle Präteristen räumen der Eschatologie überhaupt keinen Platz mehr ein, gemäßigte Präteristen nur wenig Platz. Außerdem eröffnet das die Möglichkeit, Schriftstellen über neue Himmel und die neue Erde (z. B. Jes 2,2-4) auf das gegenwärtige Zeitalter zu deuten. Das passt sehr gut zur postmillennialistischen Erwartung eines Goldenen Zeitalters vor der Wiederkunft des Herrn. Das erklärt, warum Postmillennialisten oft eine gemäßigte präteristische Interpretation der Wiederkunft des Herrn und des Millenniums vertreten. Doch Präteristen sind nicht allein mit ihrem Unbehagen über die eschatologische Spannung des Neuen Testaments. Auch 339


Teil 4: Die Bewertung der Millenniumsmodelle

Dispensationalisten versuchen, den Einfluss der schon jetzt/noch nicht-Spannung auf die Eschatologie zu reduzieren, gehen dabei allerdings in genau die entgegengesetzte Richtung. Futuristen betonen, Jesu Verheißungen an seine Jünger würden sich am Ende des Zeitalters kurz vor der Wiederkunft des Herrn und im anschließenden Tausendjährigen Reich erfüllen. Dabei übersehen sie aber, was Jesus in Matthäus 24,34 sagt: »Dieses Geschlecht wird nicht vergehen, bis dies alles geschehen ist«. Und auch Johannes sagt: »Die Zeit ist nahe« (Offb 1,3). Die Spannung des schon jetzt/noch nicht ist ein wichtiges Element der neutestamentlichen Eschatologie, und wir sollten nicht versuchen, sie aufzulösen. Stattdessen sollten wir uns ein Verständnis des Millenniums aneignen, das dieser Spannung gerecht wird. Hier liegt eine der großen Stärken des Amillennialismus: Er leistet genau das und hat nicht nur die stimmigste Eschatologie aufgrund der biblischen Lehre von den zwei Zeitaltern, sondern belässt auch die Spannung des schon jetzt/noch nicht-Prinzips in der jeweils richtigen Perspektive. Gemäßigte Präteristen sehen sich dem Problem gegenüber, dass das Neue Testament an keiner Stelle von einer lokal begrenzten Wiederkunft Jesu zum Gericht über Jerusalem 70 n. Chr. spricht. In der Ölbergrede beschreibt Jesus sein Kommen als sichtbar: »Wie der Blitz vom Osten ausfährt und bis zum Westen scheint …«, und mit kosmischen Begriffen: »Die Sonne wird verfinstert werden und der Mond wird seinen Schein nicht geben und die Sterne werden vom Himmel fallen und die Kräfte des Himmels erschüttert werden« (Mt 24,24.27). Israel ist 70 n. Chr. zwar verwüstet worden, aber die Bibel lehrt an keiner Stelle, dass mit dem sichtbaren Gericht Jesu Christi die Ereignisse von 70 n. Chr. gemeint sind. Jesus wird zum Gericht über die Nationen wiederkommen, und dann werden die Bewohner der Erde sich vor Angst verkriechen wollen (Offb 6,15-17). Das vielleicht schwerwiegendste Problem der vollen wie gemäßigten Präteristen ist, dass sie nicht einsehen, dass es sich beim Ende dieses Zeitalters und der Vollendung des neuen Zeitalters nicht nur um Meilensteine der Heilsgeschichte handelt, sondern um deren Ende. Zweifellos haben die Ereignisse von 70 n. Chr. teilweise 340


Kapitel 16: Die Auswertung

das erfüllt, was unser Herr seinen Aposteln in Bezug auf das bevorstehende Gericht über Israel vorausgesagt hat. Doch nicht die Zerstörung Jerusalems und des Tempels markieren das Ende des Zeitalters, sondern dieses Ende kommt beim Weltgericht bei der »Vollendung des Zeitalters« (Mt 13,40). Die Ereignisse von 70 n. Chr. markieren nicht den Anbruch des zukünftigen Zeitalters, sondern es bricht mit der Vollendung an (Lk 20,35). Wenn auch die Ereignisse um 70 n. Chr. von großer heilsgeschichtlicher Bedeutung sind, so sind sie doch nicht mit der Wiederkunft unseres Herrn zum Gericht gleichzusetzen. Der Gegensatz zwischen diesem jetzigen und dem zukünftigen Zeitalter ist ein Gegensatz von zeitlichen und ewigen Dingen. Dieser Gegensatz bereitet präteristischen Auslegern erhebliche Probleme, da sie versuchen, diesen Bruch auf die Zerstörung Jerusalems zu begrenzen. Die beiden Zeitalter sind nicht einfach zwei Phasen der Heilsgeschichte, sondern zwei separate eschatologische Epochen, wobei das künftige Zeitalter erst mit der Wiederkunft unseres Herrn in Vollendung verwirklicht wird. Was ist mit dem »Vergeistlichen« von Prophetie, der Bindung Satans und der Nation Israel? Potentielle Probleme des Amillennialismus

Auch wenn ich glaube, dass der Amillennialismus das biblische Verständnis des Tausendjährigen Reiches ist, müssen sich auch Amillennialisten den logischen Konsequenzen ihrer Interpretationen stellen. Vertreter anderer Auffassungen haben eine ganze Reihe potentieller Probleme des Amillennialismus aufgezeigt. Wenn z. B. Dispensationalisten den Vorwurf erheben, dass Amillennialisten prophetische Schriftstellen vergeistlichen, haben wir bereits gesehen, dass es vielmehr die Dispensationalisten sind, die die Bibel nicht korrekt lesen (nämlich »literalistisch« bzw. überbuchstäblich). Wenn Amillennialisten die alttestamentlichen Reichgottes-Erwartungen vom Neuen Testament interpretieren lassen, stellt sich ironischerweise heraus, dass sie die betreffenden neutestamentlichen Stellen wörtlicher nehmen als die Dispensationalisten. Während Prämillennialisten darauf beharren, dass ihr 341


Teil 4: Die Bewertung der Millenniumsmodelle

Verständnis von Offenbarung 19 und 20 dem klaren Sinn des Bibeltextes entspricht, haben wir gesehen, dass Offenbarung 20 in Wirklichkeit eine Rekapitulation von Offenbarung 19 ist. Hat der Prämillennialismus Recht, dann steht er vor einem viel größeren Problem: Wie kommt das Böse ins Tausendjährige Reich, nachdem Christus wiedergekommen ist und die Welt gerichtet hat? Ein weiterer häufiger Einwand gegen den Amillennialismus besteht darin, dass Amillennialisten lehren, dass Satan gegenwärtig gebunden ist, wo doch das Neue Testament lehrt, dass Satan der »Gott dieser Welt« ist, der den »Sinn der Ungläubigen verblendet hat« (2Kor 4,4) und der »umhergeht wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlingen kann« (1Petr 5,8). Wie kann das sein? Wenn man die große Bosheit dieser Welt bedenkt, wie können Amillennialisten da sagen, dass der Satan gebunden sei und erwarten, dass irgendjemand das ernstnimmt? Der Apostel Johannes erklärt uns in Offenbarung 20, was die Bindung Satans tatsächlich bedeutet. Eingesperrt im Abgrund ist der Teufel nicht mehr in der Lage, die Nationen zu verführen, bis er kurz vor dem Ende der Welt wieder freigelassen wird (20,3). Das heißt nicht, dass dadurch jegliche Aktivität Satans unterbunden wird. Gerade weil er aus dem Himmel geworfen wurde und im Abgrund gefangen ist, ist er so wütend, sagt Johannes, und weiß, dass ihm nur noch »kurze Zeit« bleibt. Jesus Christus hat der Schlange den Kopf zertreten. Der Erlöser hat ihn auf Golgatha »öffentlich zur Schau gestellt« (Kol 2,15). Der Teufel ist besiegt und erniedrigt. Deshalb ist er voller Wut und verhält sich wie ein verwundetes Tier, das sich wild gegen seine Fessel sträubt. Doch die unaufhörlichen Versuche Satans, die Nationen gemeinsam gegen Christus und sein Reich aufzubringen, werden solange unterbunden, bis er freigelassen wird. Erst dann ist er in der Lage, die Nationen in eine organisierte finale Revolte gegen Christus zu führen und den großen Abfall auszulösen, den Johannes und Paulus vorausgesagt haben. Eine weitere möglicherweise problematische Konsequenz der amillennialistischen Interpretation ist die Tatsache der neuerlichen Existenz Israels in Palästina. Zwar besteht nicht unbedingt eine Verbindung zwischen der Staatsgründung Israels und der Bestätigung oder Widerlegung des Amillennialismus – und Amillennialis342


Kapitel 16: Die Auswertung

ten sind tatsächlich uneins in der Frage nach einer etwaigen künftigen Rolle Israels –, doch viele Gegner des Amillennialismus sehen in der Staatsgründung Israels ein starkes Gegenargument. Das liegt zum Teil daran, dass zwei führende Vertreter der sogenannten »niederländischen Schule« des Amillennialismus (Louis Berkhof und Herman Bavinck) in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg gesagt haben, der Dispensationalismus sei allein deshalb falsch, weil er behauptet, Israel würde wieder zu einer Nation werden.2 Als Louis Berkhof 1939 sein bedeutendes Werk Systematic Theology fertigstellte, war eine Staatsgründung Israels noch undenkbar. Berkhof konnte nicht ahnen, was der Zweite Weltkrieg mit sich bringen würde: den Holocaust und die Neugründung Israels 1948. Er hat sich in seiner Argumentation einfach zu weit aus dem Fenster gelehnt. Der Dispensationalismus sieht in der Rückkehr der Juden in ihre alte Heimat freilich eine Bestätigung seiner Lesart biblischer Prophetie sowie einen Gegenbeweis zur amillennialistischen Sicht, dass sich der Abrahamsbund in Jesus Christus erfüllt hat. In unserer Auslegung von Römer 11 (Kapitel 14) habe ich gezeigt, dass auch manche Amillennialisten an keine zukünftige Rolle des Volkes Israel glauben. Sie meinen, »ganz Israel« (Röm 11,26) beziehe sich auf die Vollzahl der Erwählten oder auf die Gesamtheit des gläubigen Überrests aller Zeiten. Andere Amillennialisten glauben an eine jüdische Massenbekehrung vor der Wiederkunft unseres Herrn, wenn die Vollzahl der Heiden eingegangen sein wird. Unabhängig davon glauben Amillennialisten jedenfalls, dass die Staatsgründung Israels nicht mit der Erfüllung des Abrahamsbundes zusammenhängt, sondern vielmehr mit Gottes unergründlicher Vorsehung in der Weltgeschichte. Amillennialisten glauben auch nicht, dass Paulus in Römer 11 irgendetwas von einem irdischen Millennium sagt, und das ist immerhin die einzige Stelle im Neuen Testament, wo Paulus das Thema von einer möglichen zukünftigen Rolle Israels in der Heilsgeschichte behandelt. Doch auch wenn die Landverheißung des Abrahambundes sich bereits erfüllt hat, ist die kollektive Rückkehr der Juden in ihr altes 2 Berkhof, Systematic Theology, S. 698ff.; Herman Bavinck, The Last Things, (Grand Rapids: Baker, 1996), S. 107.

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Teil 4: Die Bewertung der Millenniumsmodelle

Heimatland fraglos bemerkenswert. Diese Tatsache kann der Amillennialismus nicht einfach von der Hand weisen. Israel ist wieder eine Nation. Die Juden sind als Volk zum großen Teil wieder an einem Ort versammelt. Der Amillennialismus wird sich um eine stichhaltige Erklärung für diese erstaunliche historische Entwicklung kümmern müssen, doch er wird sich davor zu hüten haben, seine Bibelauslegung vom Weltgeschehen bestimmen zu lassen. Die Antwort auf diesen Einwand hat Paulus in Römer 11 gegeben. Paulus lehrt in Römer 11 nicht, dass die Gründung des modernen Staates Israel den Abrahamsbund erfüllt oder mit einem irdischen Tausendjährigen Reich zu tun hat. Vielmehr muss die Staatsgründung Israels in Verbindung mit etwas anderem gesehen werden: Paulus erwartete, dass sich der Großteil Israels unmittelbar vor der Wiederkunft Jesu Christi zum Glauben an Jesus Christus bekehren wird. Israels Versöhnung mit Gott ist nach Paulus nichts weniger als eine wahrhaftige »Auferstehung aus den Toten« (Röm 11,15). Zwar ist Israel gestrauchelt, sagt Paulus, doch nicht so, dass es außerhalb der Möglichkeit einer Wiederherstellung gefallen wäre (11,11). Wenn Gott sündige Heiden durch deren Glauben an Jesus Christus rechtfertigen kann, so kann er dasselbe auch mit jenen Juden tun, wenn sie den Messias im Glauben annehmen (11,17-24). Das bedeutet, die Neugründung Israels ist so gut wie sicher mit dem sehnlichen Wunsch von Paulus verbunden: die Rettung seines Volkes (Röm 10,1). Wenn man das im Auge behält, kann es keinen Zweifel daran geben, dass eine zukünftige Massenbekehrung Israels (der ethnischen Juden) durch die Existenz des Staates Israel und der Rückkehr eines Großteils der Juden in ihr Land sehr erleichtert werden wird. Das ist zwar keine Verbindung zum abrahamitischen Bund, gehört aber ganz sicher zur unergründlichen Vorsehung Gottes. Was es damit allerdings genauer auf sich hat, wird man der zukünftigen Entwicklung des Heilsgeschehens überlassen müssen. Abschließende Gedanken Als jemand, der im Dispensationalismus aufgewachsen ist, habe ich eine lange und schwierige »Bekehrung« zum Amillennialismus 344


Kapitel 16: Die Auswertung

hinter mir. Ich weiß aus erster Hand, dass der Kampf mit dieser Thematik nicht leicht ist. Aber nachdem ich die Beweislast für den Amillennialismus abgewogen hatte, befand ich die Argumente als überzeugend und sogar überwältigend. Der Amillennialismus erklärt nicht nur die eschatologische Erwartung der neutestamentlichen Autoren am schlüssigsten, sondern löst auch die Schwierigkeiten, die ich schon immer mit dem Dispensationalismus und dem Prämillennialismus gehabt habe. Weshalb sollte ein Tausendjähriges Reich von einer Rückkehr zu den alten Abbildern und Schatten geprägt sein? Wenn Jesus der wahre Tempel ist, warum sollte dann der Tempel im Millennium wieder aufgebaut werden? Wozu all die Tieropfer, wenn der Tod Christi am Kreuz sie beendet hat? Wie kann es nach der Wiederkunft Christi noch Menschen mit natürlichen Leibern auf der Erde geben? Warum müssen die Verfechter buchstäblicher Auslegung von Prophetie in Daniels siebzig Jahrwochen und in Jesu Lehre vom Gericht bei seiner Wiederkunft große Zeiträume einfügen? All das hat mich eine Zeitlang sehr beschäftigt, und je mehr Prediger und Bibellehrer ich dazu befragte, desto verstörendere Antworten bekam ich. Während meines Studiums am Seminar überraschte es mich zu entdecken, dass die Amillennialisten prophetische Stellen durchaus wörtlich nahmen, während mich meine dispensationalistische Hermeneutik zu überbuchstäblichen Interpretationen alttestamentlicher Stellen verleitete, die im Neuen Testament ganz anders gedeutet werden. Eine Zeitlang liebäugelte ich mit dem Postmillennialismus, weil der am Amillennialismus bemängelte, das Millennium auf eine Zeit der Niederlage für die Gemeinde Christi zu reduzieren und Christen dazu zu bringen, ihren soziokulturellen Auftrag zu vernachlässigen. Letzten Endes kam ich aber zu der Überzeugung, dass der Postmillennialismus sein Herzstück, ein künftiges irdisches Goldenes Zeitalter mit einer christianisierten Welt, nicht aufrecht halten kann. Wenn einige Amillennialisten sich zu wenig um ihre Aufgaben in Staat und Gesellschaft kümmern, ist das kein biblisches Argument gegen den Amillennialismus. Vielmehr ist es eine beschämende Erinnerung daran, dass wir alle Sünder sind und viele von uns hinter ihren eigenen theologischen Ansprüchen zurückbleiben. Die Geschichte der westlichen Zivilisation hat gezeigt, dass der 345


Teil 4: Die Bewertung der Millenniumsmodelle

christliche Einfluss auf die Gesellschaft zeitweise überbetont wird und zeitweise vernachlässigt wird. Aber diese Polarität finden wir schon im Neuen Testament, besonders in der Spannung zwischen dem schon jetzt und dem noch nicht. Das Wachstum des Reiches Gottes zieht zweierlei Auswirkungen nach sich: Einerseits macht sich der christliche Einfluss in Kultur und Gesellschaft deutlich bemerkbar, andererseits schlägt der Gemeinde satanischer Widerstand entgegen, der zur Verfolgung des Volkes Gottes führt und die Verbreitung des Evangeliums verhindern will, aber nicht kann. Das Neue Testament lehrt jedoch, dass Gott den Satan kurz vor dem Ende freilassen wird, und dann wird das Böse massiv hereinbrechen. Nach der Drangsal jener Tage wird Jesus die Toten auferwecken und die Welt richten, und dann wird er alle Dinge neu machen. Das ist nicht nur das Herzstück der biblischen Lehre von der Zukunft, sondern auch das Herzstück der amillennialistischen Zukunftserwartung. Die Meinungsunterschiede in Sachen Tausendjähriges Reich sind zwar nicht heilsentscheidend, doch diese Unterschiede haben großen Einfluss darauf, wie wir große Teile der Bibel verstehen und in welcher Zukunftserwartung wir leben. Auch wenn einige Christen es ablehnen, überhaupt eine Meinung zum Millennium zu haben und daher »Panmillennialisten« sind, die alles (pan) für möglich halten und einfach abwarten, ist die Endzeit nicht nur eine Streitfrage, sondern ein zentrales biblisches Thema, das es wert ist, gründlich im Licht der Heiligen Schrift studiert zu werden. Trotz unserer vielen Differenzen und manchmal auch hitzigen Diskussionen sollten wir das Wichtigste nicht aus den Augen verlieren: Alle Christen, ob Prä-, Post- oder Amillennialisten, sehnen sich nach jenem Tag, an dem unser Herr Jesus Christus für sein Volk wiederkommt und der Sünde und dem Leiden ein Ende bereitet. Das ist die glückselige Hoffnung – an jenem Tage werden wir sein wie er. Kein Fluch wird mehr sein und alles wird neu. Der passende Abschluss dieses Abhandlung ist daher das gemeinsame Einstimmen in das Gebet von Paulus in 1. Korinther 16,22: »Maranatha! Komm, o Herr!«

346


ANHANG

Grafiken zu den zwei Zeitaltern 1

Himmelfahrt

Schöpfung und Sündenfall

Wiederkunft

Dieses Zeitalter (in seinen letzten Tagen) - die Herrscher dieser Weltzeit vergehen - die Welt vergeht - die Finsternis vergeht - Christus erschien am Ende der Zeitalter - die Christen sind diejenigen, »über die das Ende der Zeitalter gekommen ist« - usw.: Jak 5,3; Hebr 1,2; 1Petr 1,20; 2Tim 3,1.5 u.a. Neue Schöpfung und Reich Gottes Neue Schöpfung und Reich Gottes

Alte Schöpfung und Herrschaftsbereich Satans Alte Schöpfung und Herrschaftsbereich Satans

Das kommende Zeitalter

Das kommende Zeitalter Das kommende Zeitalter

Dieses Zeitalter Dieses Zeitalter

1 Vom deutschen Hrsg. hinzugefügt, entnommen aus Samuel Waldron: Endzeit? Eigentlich ganz einfach! (Oerlinghausen: Betanien Verlag, 2013), S. 52-58 und 119.

347


Anhang: Grafiken zu den zwei Zeitaltern Vorhergehende Seite: Oben: »Dieses Zeitalter«, die »letzten Tage« und das zukünftige Zeitalter, unterteilt durch die zwei Kommen Jesu Christi. Unten: Das sich daraus ergebende Überlappen der zwei Zeitalter.

Das kommende Zeitalter

Neue Schöpfung und Reich Gottes

Ewiges Leben Sohnschaft Erlösung Rechtfertigung Alte Schöpfung und Herrschaftsbereich Satans

Ewiges Leben Sohnschaft Erlösung Rechtfertigung

Dieses Zeitalter

Oben: Die überlappenden zwei Zeitalter mit Aspekten der Erlösung, die »schon jetzt« da sind, aber »noch nicht« in Vollendung. Unten: Die sich daraus ergebende Spannung im Leben des Christen. Gerechtigkeit Freude Leben Licht Neue Schöpfung und Reich Gottes

Das kommende Zeitalter

der Christ

Alte Schöpfung und Herrschaftsbereich Satans

Dieses Zeitalter Sünde Elend Tod Finsternis

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Anhang: Grafiken zu den zwei Zeitaltern Wachstum Segen Triumph Neue Schöpfung und Reich Gottes

Das kommende Zeitalter

die Gemeinde

Alte Schöpfung und Herrschaftsbereich Satans

Dieses Zeitalter Bedrängnis Verfolgung Abfall

Oben: Die sich aus dem Überlappen der Zeitalter ergebende Spannung für die Gemeinde. Unten: Die Einordnung des Millenniums aus Offenbarung 20 in das heilsgeschichtliche Schema.

Das Millennium im Himmel Mit Christus herrschen (V. 4-6)

Das Millennium auf Erden Satan gebunden und losgelassen (V. 1-3 und 7-10)

Wiederkunft

Himmelfahrt

Das kommende Zeitalter

Dieses Zeitalter

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