Es ist ein Ros entsprungen

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Es ist ein Ros entsprungen Ein WeihnachtsgruĂ&#x; mit Botschaft



Ein Ros, das springen kann? Wie wunderbar ist doch die Weihnachtszeit – gerade für Kinder! Ich erinnere mich gern, wie wir früher als Familie im Advent und zu Weihnachten gemütlich beisammen saßen und bei Kerzenschein Weihnachtslieder sangen. Eines der bekanntesten davon heißt Es ist ein Ros entsprungen. Es stammt von einem unbekannten Liederdichter aus dem 16. Jahrhundert und sein Text erscheint auf den ersten Blick rätselhaft. Das Geheimnis dieses Liedes wollen wir in diesem Heft lüften. Der Text beflügelt die Fantasie. Ein »Ros«, das springen kann! Ist es eine Rose oder doch ein galoppierendes Ross? Die zweite Zeile »… aus einer Wurzel zart« lässt eher an eine Pflanze denken. Aber was für eine Pflanze wird in diesem Lied besungen? Worum geht es eigentlich? Was meinte der Liederdichter und was hat es mit Weihnachten zu tun?


Die erste Strophe lautet so: Es ist ein Ros entsprungen aus einer Wurzel zart, wie uns die Alten sungen, von Jesse kam die Art. Und hat ein Blümlein bracht mitten im kalten Winter, wohl zu der halben Nacht. Wenn wir dem Liedtext seine Bedeutung und Weihnachtsbotschaft entlocken wollen, müssen wir die Bildersprache quasi übersetzen. Der entscheidende Schlüssel dazu ist die historische und literarische Quelle, aus der der Liederdichter geschöpft hat. Der Dichter reimte nämlich nicht aus reiner Fantasie, sondern er zitierte den Liedanfang aus einem bereits bekannten Text als Quelle, nämlich der Bibel.



Die Bibel besteht aus Altem und Neuen Testament, die wiederum viele einzelne Bibelbücher umfassen. Das Zitat des Liederdichters stammt aus dem Alten Testament aus dem Buch des Propheten Jesaja, Kapitel 11, Vers 1. Nach der Übersetzung Martin Luthers (der seine deutsche Bibelübersetzung kurz vor Entstehung dieses Liedes anfertigte) prophezeite Jesaja dort: Es wird ein Reis aufgehen von dem Stamm Isais und ein Zweig aus seiner Wurzel Frucht bringen. Auch diese Worte bleiben – isoliert betrachtet – rätselhaft, aber mit etwas Kenntnis der Bibel und des Zusammenhangs im Buch Jesaja lässt sich das schnell aufklären. Jesaja Kapitel 11,1 ca. 730 v.Chr.

Martin Luther Bibelübersetzung fertig 1534

Liederdichter Es ist ein Ros ... vor 1599



Ein Reis, ein Ros oder ein Spross? Wir haben es hier erstens mit poetischer Bildersprache zu tun und zweitens mit biblischer Prophetie. Es ist eindeutig Bildersprache und nicht buchstäblich gemeint, denn es geht im Zusammenhang um keine Pflanze, sondern um einen kommenden königlichen Herrscher. Das wird aus dem darauffolgenden Text in Jesaja 11 deutlich. Gott kündigt hier durch Jesaja das Kommen des Retters seines Volkes, des Messias bzw. Christus, an. (Eine Bibel zur Hand? Dann lesen Sie nach!) Das ist schon einmal das Wesentliche: In dem Bibel- und Liedtext geht es um das Kommen des Messias Jesus Christus. Und dessen Geburt feiern wir ja gerade zu Weihnachten, deshalb ist das Lied tatsächlich sehr passend. Nun stehen wir aber immer noch vor der Frage, was für ein Bild mit dem »Ros« aus unserem Lied und dem »Reis« (nach anderen Bibelausgaben »Spross«) aus unserem Bibelvers eigentlich gemeint ist. Auch hier hilft der



Zusammenhang im Buch Jesaja: In den vorhergehenden Versen beschreibt Jesaja, wie Gott ein Strafgericht ausübt, indem er – in Bildersprache ausgedrückt – »mit Schreckensgewalt Äste herunterhaut«. »Er schlägt das Dickicht des Waldes mit der Axt nieder« (Jesaja 10,33-34). In diesem Zusammenhang von »Gottes Baumfällertätigkeit« wird uns im nächsten Vers, unserem Lied-Quelltext Jesaja 11,1, folgendes Bild vor Augen gemalt: In einem abgeholzten Wald sprosst aus einem alten, kläglichen Baumstumpf ein neuer Zweig. Das »Ros« aus dem Lied und das »Reis« aus Luthers Bibelübersetzung meinen diesen Spross. Das »Ros« ist also keine Blume – aber es lässt Hoffnung aufkeimen wie eine Blüte »mitten im kalten Winter«. Und »entsprungen« bedeutet: Hier hüpft nichts, sondern der Schössling, der Spross – wie die meisten Bibeln übersetzen – wächst plötzlich, kräftig und entgegen aller Erwartung aus dem scheinbar toten Baumstumpf. Mit diesem Spross ist der Messias Jesus gemeint, der als zartes, schwaches Baby in einer armen, und doch königlichen Familie zur Welt kam.



Woher stammt der Messias? Jetzt wollen wir aber auch verstehen, was dieses Bild von der »zarten Wurzel« und dem »Stamm Isais« bedeutet. Der wichtigste Anhaltspunkt dafür ist der Name »Jesse« im Lied, beziehungsweise »Isai« im Bibeltext. Isai war der Vater Davids, des wohl ruhmreichsten Königs Israels. David war so legendär, dass er zum Sinnbild und Prototyp des herrlichen und souveränen Königs Israels wurde, den das Volk Israel sich immer wünschte. Wenn ein Retter des Volkes kommen würde, dann würde er ein neuer, ein wahrer David sein. (Sicher kennen Sie die erste Geschichte in der Bibel über David: Als Jugendlicher tötete er den Kampfriesen Goliath mithilfe einer Steinschleuder!) Davids Sohn, der ihm auf den Königsthron folgte, war der fast ebenso berühmte Salomo – der den Tempel von Jerusalem erbaute und als weisester Mensch der Welt bekannt wurde. Generationen von Königen folgten in dieser Dynastie, der Abstammungslinie Davids.



Aber zur Zeit Jesajas, etwa 250 Jahre nach David, stand Unheil bevor. Das Volk Israel war stur im Ungehorsam gegenüber Gott verharrt und sollte deshalb von den Babyloniern unterworfen und in Gefangenschaft nach Babylon geführt werden. Jesaja kündigt das immer wieder als Vorwarnung an. Auch die Dynastie Davids wäre dann am Ende – abgehauen wie ein Baum, von dem nur noch der Stumpf blieb. Und wer war nochmal die Baumwurzel, aus der das Königshaus Davids gewachsen war? Ach ja, Davids Vater Isai, oder wie der Liederdichter sagt: Jesse. Und aus dem Stammbaum mit dieser Wurzel, aus diesem Baumstumpf, sollte also nach Israels Absturz neue Hoffnung und Rettung aufkeimen: Ein Nachkomme Davids und seines Vaters Isais (»Von Jesse kam die Art«).

Isai um 1040 v.Chr.

König David um 1000 v.Chr.

(Jesaja) (um 730 v.Chr.)

(Babylon) (605-536 v.Chr.)

Jesus Christus um 0



Der übrig gebliebene Baumstumpf bedeutet, dass Gott das ungehorsame Volk nicht gänzlich ausradierte, sondern einen Rest übrig ließ, aus dem wieder neues Leben wachsen konnte. Nach 70 Jahren Exil in Babylon kehrten wieder etliche Juden ins verwüstete Land Israel zurück. Sie waren ein kleines, schwaches Volk angesichts ihrer umgebenden Feinde und aufstrebenden Weltreiche wie Persien und später Griechenland und Rom. Dieser alte Stumpf war eine »Wurzel zart«, wie es der Liederdichter in Anlehnung an Jesaja 11,1 ausdrückt. Die Juden bauten in bescheidener Form Jerursalem, den Tempel und ein Gemeinwesen wieder auf. Diese Heimkehrer bildeten den Grundstock für den Fortbestand des Volkes der Juden – bis heute! Das Volk Israel musste nach Gottes Prophezeiungen auch fortbestehen, denn aus diesem Volk sollte der Retter kommen – nicht nur der Retter der Juden, sondern ein Retter für alle Nationen. So war es dem Stammvater Israels, Abraham, versprochen worden (1. Mose 22,18). Und dieser Messias sollte nicht nur ein Nachkomme Abrahams sein, sondern aus dem Stamm Juda



hervorgehen. Das prophezeite Jakob am Ende seines Lebens (1. Mose 49,8-12). Und er sollte ein Thronerbe Davids und damit Nachkomme Isais sein. Seine Mutter Maria und sein Ziehvater Josef waren beide Nachkommen Davids! Noch viele weitere Prophezeiungen aus dem Alten Testament erfüllten sich, als etwa 530 Jahre nach der Rückkehr der Juden aus Babylon Jesus geboren wurde. Als Geburtsort des Messias war Bethlehem (die Heimatstadt Davids) vorausgesagt worden (Micha 5,2), ebenso die Flucht mit seinen Eltern vor Herodes nach Ägypten (Hosea 11,1). Er wuchs in Nazareth auf, was ebenfalls eine Prophezeiung erfüllte (Matthäus 2,23). Daher wurde er auch »Nazaräer« genannt, was im Hebräischen so viel wie »Spross« bedeutet. Das wiederum spielte auf zahlreiche Prophezeiungen an, die den Messias als »Spross« bezeichnen (außer Jesaja 11,1 z. B. noch Jeremia 23,5, Sacharja 6,12 u.v.a). Der »Stammbaum« Jesu Christi (stark vereinfacht): Abraham Isaak Jakob (zwölf Söhne/Stämme)

Juda

Isai

David

JESUS



Anderen Prophezeiungen gemäß war er arm und verachtet (Jesaja 53,2-3), wirkte viele Wunderheilungen (Jesaja 35,5-6) und – das Wichtigste – trug er bei seiner Kreuzigung stellvertretend die Todesstrafe für die Seinen (Jesaja 53,5), damit ihre Sünden bezahlt und vergeben werden können (Jesaja 53,11) – und zu ihrer Rechtfertigung erstand er von den Toten (Psalm 16,10) und fuhr in den Himmel auf, um sich dort auf den Thron Davids zu setzen (Psalm 68,18; Apostelgeschichte 2,29-35), bis er wiederkommt. Mehrere hundert Prophezeiungen aus dem Alten Testament haben sich in Jesus erfüllt (nachzulesen z. B. in: Der verheißene Erlöser von Roger Liebi). Der Messias, Retter und König Jesus kam, wie Gott es verheißen hatte, aus dem jüdischen Überrest, dem »Stumpf Isais«, zu dem Maria und Josef gehörten, als Spross und Hoffnungsbringer in diese dunkle, kalte Welt. Der Liederdichter drückte das sehr frei und poetisch aus: »… mitten im kalten Winter, wohl zu der halben Nacht«. Die Hoffnung, die durch Jesus Christus zu Sündern kam, kann auch in Ihrem Leben aufkeimen und blühen!



Was lernen wir daraus? Wenn wir den Sinn hinter dem Lied Es ist ein Ros entsprungen verstehen, können wir erkennen, welche Hoffnung Gott uns bietet. Fassen wir zuammen: • Gott erfüllt seine Prophezeiungen über sein Strafgericht und seinen Retter. • Der Retter ist nötig, weil Gott Gericht über die Sünde übt (das Bild des Baumfällers) – nicht nur über Israel damals, sondern über jeden Sünder. • Gott lässt in einem desolaten Zustand (das Bild vom abgeholzten Wald) Hoffnung aufkeimen, weil er für Rettung sorgt (Baumstumpf mit Spross). • Unsere Sünden bringen uns in einen solchen desolaten Zustand. • Gott wurde Mensch, ein zarter Spross, ein Baby – scheinbar schwach. • Aber dieses Baby – oft verniedlicht und verharmlost – wuchs zum Retter Israels und der Welt heran und zu einem mächtigeren König als David. • Er regiert auf dem Thron des Universums, bis ihm alle Feinde zu Füßen gelegt sind. Wer an ihn glaubt, gehört zu seinem ewigen Reich.


Wegweisung fürs Leben Wenn Sie sich mehr für diese Hoffnung interessieren, empfehle ich Ihnen insbesondere diesen Bibelabschnitt: Apostelgeschichte 2,21-39. Dort erklärt Petrus, was es mit David und Jesus Christus auf sich hat, und er sagt auch, wie wir darauf reagieren sollen.

Bildnachweise S. 2, 23: © ultramarin, Fotolia.com S. 5: © small_frog, istockphoto.com Alle anderen: © 18prozent.de Covergestaltung: 18prozent.de

Impressum Autor: Hans-Werner Deppe, © 2014 Herausgeber: Betanien Verlag, Oerlinghausen info@betanien.de · www.betanien.de ISBN 978-3-935558-36-5


Frohe Weihnachten! Kennen Sie das Weihnachtslied Es ist ein Ros entsprungen? Sein Text klingt r채tselhaft, hat aber eine wunderbare Bedeutung. Dieses Heft bietet eine sehr aufschlussreiche Erkl채rung aus der Bibel 체ber das Weihnachtsfest und zeigt, wie neue Hoffnung in unserem Leben aufkeimen kann.

ISBN 978-3-935558-36-5

9 783935 558365


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