Forsthaus Wolkenstein - Der wald brennt

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Freund Julian ohnehin nicht ausstehen. Als die

Schm i d t-Sche ll

Hajo ist sauer! Er kann Nikolas und seinen beiden ihn dann in einer Notsituation - wie er

Eine schwere Zeit für Nikolas und Julian! Ihnen geschehen merkwürdige Missgeschicke und in ihrer Klasse haben sie es als Christen immer schwerer. Und dann steht eines Nachts der Wald am Wolkenstein in Flammen ...

Kann es einen Weg geben, der aus all dem Hass, verletztem Stolz und der schweren Schuld wieder herausführt?

Eine spannende evangelistische Erzählung aus der beliebten Reihe Forsthaus Wolkenstein". " Für Jungen und Mädchen ab 9 Jahren

F or st h a u s Wo lke n ste i n

Hajos Wut und Rachsucht keine Grenzen mehr.

der Wald brennt

meint - erbarmungslos hängen lassen, kennen

Erich Schmidt-Schell

Fo r s t h a us W o lken st ein

der Wald brennt



Erich Schmidt-Schell

FOR ST H AUS WOLKEN ST E IN

der Wald brennt


1. Auflage 2015 © Erich Schmidt-Schell, 2015 Herausgeber: Betanien Verlag Postfach 1457 · 33807 Oerlinghausen www.betanien.de · info@betanien.de Lektorat: Bettina Kettschau Illustrationen: Heike Schweinberger Satz: Betanien Verlag Cover: Sara Pieper Coverfotos von Fotolia.com: ›Dmytro Titov‹ und ›toa555‹ Druck: Drusala.cz ISBN 978-3-945716-01-4


Inhalt 1 Hajo in Bedrängnis

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2 Besuch bei Hajo

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3 Ob das ein Ausweg ist?

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4 Die Heeb-Jungen machen mit

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5 Das Kleidersuchkommando

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6 Eine heiße Spur?

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7 Hält die Freundschaft das aus?

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8 Der Unruhestifter von der Birkenkuppe

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9 Wird der Gauner gefangen?

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10 Das Grillfest

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11 Ist Rache wirklich süß?

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12 Kann der Vater gerettet werden?

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13 Wird der Brandstifter ermittelt?

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14 Wie wird es mit Hajo enden?

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Hajo in Bedrängnis

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ajo, aufstehen! Hörst du? – Beeil dich, sonst kommst du zu spät zur Schule!«, klang Frau Belters Stimme drängend durch das Treppenhaus. »Jaaaa!«, kam es ungehalten zurück, und der Gerufene, ein dreizehnjähriger Junge, schälte sich langsam aus der warmen Steppdecke. Dabei brummte er: »Die geht mir auf den Senkel!« Endlich stand Hajo vor dem Bett. Er schlurfte mit nackten Füßen durch das Zimmer, das auf der Ostseite des Hauses lag, und zog die Vorhänge am Fenster zurück. In gleichen Moment war erneut die mahnende Stimme der Mutter zu hören, und Hajo wurde so böse, dass er schrie: »Mensch, mach doch nicht solch einen Terror! Die Schule läuft nicht weg! Ich werde sie noch am gleichen Platz finden, auch wenn ich mich erst heute Abend auf den Weg mache!« Frau Belter schwieg, schüttelte nur den Kopf und stieß einen tiefen Seufzer aus. Ihre Hoffnung, dass Hajo mit zunehmendem Alter vernünftiger würde,

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ging wohl nicht in Erfüllung. Das Gegenteil schien der Fall zu sein. Er wurde aufsässiger und fauler. Was war nur aus dem netten Jungen von früher geworden, der selten zu Beschwerden Anlass gegeben hatte! Während Frau Belter sich am Küchenherd mit dieser ihr unlösbar erscheinenden Frage beschäftigte, saß Hajo noch immer auf der Bettkante und döste. Doch mit einem Mal fuhr er hoch. Hatten sie heute nicht schon in der ersten Stunde Mathe? Und er hatte die Aufgaben noch nicht gelöst! »Jetzt ist der Bock fett!«, murmelte er. Sein Magen verkrampfte sich. Erst vorige Woche hatte er die Hausaufgaben vergessen! Jetzt würde der Steinacker keine Gnade mehr kennen und seine angedrohte Strafe wahrmachen! Wütend schlug Hajo mit der Faust auf den Tisch. Bei Steinackers jüngster Ermahnung hatte er sich fest vorgenommen, die Hausaufgaben nicht mehr zu verschlampen. Jetzt war es ihm doch wieder passiert! – Weshalb um alles in der Welt vergaß er auch wichtige Sachen, die er nicht vergessen wollte? »Ich habe einfach keinen Bock mehr auf die Schule«, knurrte er. »Ich würde sie am liebsten schmeißen und die Zeit lieber mit Fußballspielen oder anderen Sachen verbringen.« Das durfte er seinen Eltern aber nicht auf die Nase binden! Sie würden aus allen Wolken fallen und ein gewaltiges Donnerwetter veranstalten. Also musste er 8


sich bis zum Schulabschluss in zwei Jahren einfach so durchwursteln. Bei den meisten Lehrern und Lehrerinnen klappte das auch ganz gut. Nur bei dem Steinacker kam er damit nicht durch, der durchschaute jeden Trick und schien einen Riecher für Hajos Schwachstellen zu haben. »Dem Kerl müsste …!« Hajo vollendete den Satz nicht, weil er ihm, obwohl er gewaltige Wut auf den Lehrer hatte, doch zu gemein erschien. Allerdings konnte er es sich nicht verkneifen, erneut mit der Faust auf den Tisch zu schlagen. Diesmal haute er so kräftig zu, dass er sich ordentlich wehtat, wild zu hüpfen begann und die schmerzende Faust zwischen die Knie klemmte. Einen Moment lang schien es so, als hätte ihn der Schmerz zur Vernunft gebracht. »Es ist doch purer Quatsch, was ich mache!«, schimpfte er. »Ich brauch eine Lösung, damit mir der Steinacker nichts anhängen kann!« Hajo schaute zur Uhr und wurde nervös. Eigentlich hätte er schon auf dem Schulweg sein müssen, wenn er noch irgendwie an seine Mathehausaufgaben kommen wollte. Trotzdem beeilte er sich auch jetzt noch nicht, sondern setzte sich noch einmal auf die Bettkante, stützte die Ellenbogen auf die Knie, legte das Kinn in die Hände und überlegte. Zu seiner Erleichterung kam ihm auch bald eine gute Idee. Er rannte ins Badezimmer, führte eine 9


Schnellwäsche durch und verschwand ohne Abschied aus dem Haus. Etwa fünfzehn Minuten vor Unterrichtsbeginn erreichte er völlig außer Atem den Schulhof. Soweit war alles gutgegangen. Jetzt musste er nur noch an Nikolas Feldbusch, den Sohn des Försters vom Wolkenstein, und dessen Freund Julian Falkner, die er für Mathegenies hielt, herankommen. Beide standen wie fast jeden Tag vor Unterrichtsbeginn unter der mächtigen Linde. So unauffällig wie möglich näherte sich Hajo den beiden, in der sicheren Annahme, dass sie ihm helfen würden. Schließlich waren sie ja Christen und die »Frommen« durften in Not geratene Leute nicht einfach abweisen. Als Nikolas und Julian den Sohn des Großbauern auf sich zukommen sahen, rechneten sie damit, wie gewöhnlich von ihm angepöbelt zu werden. Doch zu ihrem Erstaunen wurden sie heute freundlich begrüßt. Hajo stellte sich sogar zu ihnen. Das war bisher noch nie geschehen. Nikolas und Julian sahen ihn groß und fragend an. Sie wussten offenbar nicht, was sie von seinem Benehmen halten sollten. Hajo sah zur Uhr. In wenigen Minuten würde die Schulglocke zum Unterrichtsbeginn läuten. Hajo begann nervös von einem Fuß auf den anderen zu treten. Plötzlich presste er hervor: »Ich hätte eine Bitte an euch.« 10


»Und die wäre?«, fragte Nikolas gespannt. »Könnt ihr mir helfen? Ich hab die Mathe-Aufgaben verschlampt!«, tastete Hajo sich vor. »Natürlich helfen wir dir«, versprach Nikolas. »Bis zum Unterrichtsbeginn wird es aber knapp werden. Es sind immerhin zehn Aufgaben zu lösen.« Hajo zuckte zusammen, schüttelte den Kopf und stieß gequält hervor: »Klar, erklären könnt ihr sie mir jetzt nicht mehr. Ich hatte gedacht, dass ihr mir einfach schnell die Ergebnisse sagt und ich sie hinschreibe!« Die Freunde sahen sich zweifelnd an. Das, nein, das ging nicht. »Ihr seid doch Christen, und in eurer Bibel steht, dass ihr in Not geratenen Leuten helfen müsst!«, versetzte Hajo vorwurfsvoll. Nikolas und Julian fühlten sich in der Zwickmühle. Klar, sie wollten Menschen helfen, die in Not waren. Das gebot ihnen der Herr Jesus eindeutig. Er sagte aber nichts davon, dass sie Faulpelze unterstützen oder Lehrer betrügen sollten. Hajos Not war eindeutig auf seine Faulheit zurückzuführen. Sie konnten ihm seine Bitte nicht erfüllen. »Schöne Christen seid ihr!«, fauchte Belter und blickte ganz böse. »Du hast keinen Grund, uns zu beschimpfen«, verteidigte sich Julian. »Wir haben deine Bitte um Hilfe nicht abgelehnt! Wir möchten dir gern beibringen, 11


wie du die Aufgaben rasch und richtig lösen kannst. Das ist bis zum Unterrichtsbeginn aber nicht möglich. Und wir dürfen dich nicht einfach abschreiben lassen.« »Wieso denn nicht?« Hajo wurde immer ärgerlicher. »Es wäre Betrug!«, hielt ihm Julian entgegen. »Quatsch!«, sagte Hajo. »Ich würde vielleicht betrügen, aber ihr doch nicht. Ich würde dem Steinacker zwar ein Ergebnis zeigen, das nicht von mir stammt! Aber ihr habt damit gar nichts zu tun!« »Oh doch! Wir haben dir die Lösung gegeben und uns damit an dem Schwindel beteiligt«, warf Nikolas ein und bewirkte, dass Hajo seinem Ärger nun heftig Luft machte. »Hätte ich mir ja denken können, dass ihr wie alle Frommen seid«, schimpfte er und machte eine verächtliche Handbewegung. »Ihr riskiert nur einen großen Rand, aber es steckt nichts dahinter …« Sein weiteres Gemecker ging im Läuten der Schulglocke unter. Nikolas und Julian gingen in der Klasse schweigend zu ihren Plätzen und warteten gespannt auf das Erscheinen von Lehrer Steinacker. Würde er merken, dass Hajo seine Hausaufgaben wieder nicht gemacht hatte? Und wie würde er wohl reagieren? Doch zunächst hatte es den Anschein, als würde Hajo heute gar nicht entdeckt werden. Herr Steinacker 12


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begann nämlich an der entgegengesetzten Klassenseite mit der Kontrolle der Hausaufgaben und kontrollierte sie auch nur in Stichproben. Nikolas und Julian sahen, dass Hajo erleichtert aufatmete. Doch ihr Mitschüler hatte sich zu früh gefreut. Steinacker wechselte von der linken Tischreihe plötzlich zur rechten und ging schnurstracks auf Hajo zu. Bedächtig nahm er das Arbeitsblatt von Hajos Tisch, das so blütenweiß war, wie es Hajo vor Tagen mit nach Hause genommen hatte. Doch Herr Steinacker tat so, als sei mit seiner Brille etwas nicht in Ordnung. Er setzte sie ab, putzte umständlich die Gläser, schob die Brille wieder auf die Nase und schüttelt den Kopf. »Nein«, sagte er mit gespielter Verwunderung, »an meiner Brille liegt es doch nicht! Das Blatt ist tatsächlich leer!« Dann schaute er Hajo streng an und fragte: »Wie kommt’s?« Zum Erstaunen von Nikolas und Julian wich Hajo dem Blick des Lehrers nicht aus und entgegnete selbstsicher: »Weil ich nichts draufgeschrieben habe!« Die Jungen und Mädchen hielten den Atem an. Wie würde der Lehrer auf Hajos Frechheit reagieren? Herr Steinacker schwieg einen Moment. Auf seiner Stirn erschien eine steile Falte. Schließlich sagte er streng: »Wenn bei dir alles so in Ordnung wäre wie dein Mundwerk, wärst du ein Super-Schüler. So aber hast du dir für heute im Mündlichen die Note mit 14


dem höchsten Nennwert eingehandelt, nämlich eine ›Sechs‹!« Mit festen Schritten ging Herr Steinacker zu seinem Schreibtisch, öffnete die Schublade, zog eine Mappe heraus und nahm darin einen entsprechenden Eintrag vor. Er sagte zu Hajo: »Mit diesem Eintrag hast du als notorischer Hausaufgaben-Schwänzer das Maß voll gemacht. Die Fünf in Mathe ist nicht mehr abzuwenden. Das heißt, dass deine Versetzung stark gefährdet ist! Also werden wir uns wohl im nächsten Schuljahr in dieser Jahrgangsstufe wiedersehen.« Herr Steinacker klappte die Mappe zu, verstaute sie wieder im Schreibtisch und begann mit dem Unterricht. Hajo tat so, als folge er aufmerksam den Ausführungen des Lehrers; in Wirklichkeit nahm er davon aber gar nichts wahr. Er war bis obenhin zu und erfüllt mit der Wut über die »frommen Heinis«, wie er Nikolas und Julian nannte. Am liebsten wäre er aufgesprungen und dem Förstersöhnchen samt seinem Freund an die Gurgel gegangen. »Die haben mich nicht umsonst in die Tinte geritten, das schwör ich ihnen!«, nahm sich Hajo vor und ballte die Hände zu Fäusten. »Bei nächster Gelegenheit zahlte ich es ihnen doppelt und dreifach heim! Dann können sie Sturm beten, dass ihr Gott ihnen hilft!« 15


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Besuch bei Hajo

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achdem Julian seine Schulaufgaben gemacht hatte, schwang er sich auf sein Fahrrad und radelte den Wolkenstein hinauf zum Forsthaus. Ein kurzer Blick zur Uhr zeigte ihm, dass er gut in der Zeit lag, um pünktlich bei seinem Freund Nikolas zu sein. Für heute hatten sie auch nichts Weltbewegendes geplant. Sie wollten nachsehen, ob der Kuckuck dem Buchfink einen Streich gespielt, ihm die Eier aus dem Nest geworfen und seines hineingelegt hatte. Als Julian zum Forsthaus kam, war aus dem Abstellraum neben der Garage lautes Gepolter und Rumoren zu hören. Julian schlich sich zur Garage, von hier aus in den Abstellraum und stand wenig später hinter seinem Freund. »Wer macht hier solchen Lärm?«, fragte er absichtlich sehr laut und mit hohler Stimme. Erschrocken fuhr Nikolas herum, schnappte nach Luft und stotterte: »Du Lumpensäckel!« Er boxte dem Freund sacht gegen die Brust.

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»Was suchst du denn?«, fragte Julian, als Nikolas erneut im Abstellraum zu räumen begann. »Oder darf ich das vielleicht nicht wissen?« »Quatsch! Wenn ich etwas Geheimes fabrizieren wollte, würde ich es bestimmt nicht hier im Schuppen tun«, gab Nikolas zur Antwort. »Meine Mutter möchte was im Garten machen und hat die Harke verlegt. Nun soll ich sie suchen!« Unaufgefordert beteiligte sich Julian an der Aufgabe. Schon nach wenigen Minuten war er auf das vermisste Gartengerät gestoßen und sagte vergnügt: »Du, nimm doch diese, bis du die andere gefunden hast!« Nikolas wandte sich um und sah die Harke, die nicht einmal besonders verdeckt an der Wand lehnte. Es ärgerte ihn ein bisschen, dass er sie nicht selbst gefunden hatte. Doch er ging auf die fröhliche Bemerkung des Freundes ein und meinte: »Du bist ja gut drauf heute! Was haben sie dir denn ins Essen gegeben?« »Weiß ich nicht. Musst du meine Tante fragen, die hat bei uns gekocht, wie immer«, entgegnete Julian schlagfertig, und beide mussten grinsen. Nachdem sie Nikolas’ Mutter die Harke gebracht hatten, überlegten sie, wie sie am geschicktesten an das Buchfinkennest herankommen und hineinsehen könnten. 17


Nach einer Weile meinte Nikolas: »Ich weiß nicht, ob es gut ist, dass wir so oft beim Nest sind. Vielleicht verscheuchen wir dadurch das Vogelpärchen und es brütet weder seine eigenen Eier aus, noch das des Kuckucks, falls der überhaupt eins in dieses Nestchen legt.« Julian stimmte dem Freund zu. »Ein Ei sagst du?«, fragte er. »Wie viele Eier legt denn ein Kuckuckweibchen? Nur eins?« »Nein. Mein Vater hat gesagt, es würde zehn bis zwölf Eier legen«, klärte ihn Nikolas auf. »Und jedes in ein anderes Nest?« »Ja.« »Warum denn das?«, fragte Julian verwundert. »Weil der Kuckuck ein großer Vogel ist, und seine Eier nur in die Nester von wesentlich kleineren Singvögeln legt. Würde er zwei Eier in ein solches Nest legen, hätten seine Jungen nicht genügend Platz darin«, erklärte Nikolas. Es entstand eine Pause, in der Julian nachdachte. Dann meinte er: »Der Kuckuck ist demnach nicht nur zu faul zum Brüten, sondern obendrein auch noch sehr klug.« »Klug würde ich das nicht nennen«, hielt Nikolas dagegen. »In meinen Augen ist der Kuckuck raffiniert; er vermehrt sich doch auf Kosten der Singvögel!« »Das stimmt«, pflichtete ihm Julian bei und überlegte: »Ich versteh’ aber auch die Singvögel nicht. 18


Weshalb ziehen sie ein Vogelkind auf, das am Schluss viel größer ist als sie selbst und ihnen total über den Kopf wächst?« »Das weiß ich auch nicht«, meinte Nikolas. Die Freunde schwiegen nachdenklich. Julian meinte schließlich: »Auch das hat Gott so eingerichtet, oder? Und alles, was Gott tut, hat uns was zu sagen. Das stimmt doch?« »Ich glaube schon«, meinte Nikolas. »Auch die Sache mit dem Kuckuck?« Nikolas überlegte einen Moment. »Keine Ahnung«, sagte er. »Was soll sie uns zu sagen haben? Wie kommst du überhaupt auf diese Frage?« »Denk mal an heute Vormittag«, sagte Julian nachdenklich. »Da hatten wir es doch auch mit einem Kuckuck zu tun, oder? Der hatte zwar keine Federn und keine Flügel, aber er wollte uns ein Ei ins Nest legen. Doch im Gegensatz zu den Singvögeln in der Natur haben wir es nicht zugelassen. Jetzt sollten wir uns darum kümmern, dass dieser ›Kuckuck‹ nicht anderen Schülern ein Ei ins Nest legt, sondern einmal selbst für sich arbeitet!« »Stimmt«, meinte Nikolas. »Wir fahren jetzt nicht zum Buchfinkennest, sondern zu Hajo und versuchen mit ihm zu reden. Vielleicht kommen wir jetzt besser mit ihm klar als heute Morgen in der Schule.« Julian war damit einverstanden, und wenig später flitzten die Jungen mit ihren Rädern den Wolkenstein 19


hinunter ins Tal. Sie radelten durch das Dorf, das sich zu beiden Seiten des Baches ausdehnte. Dann hatten sie den Bauernhof von Hajos Eltern erreicht, der am gegenüberliegenden Hang lang. Die beiden Jungen stellten ihre Räder am Gartenzaun ab und gingen zur Haustür. Da tönte eine tiefe Männerstimme über den Hof: »Hallo, ihr beiden! Wen oder was sucht ihr denn?« Die Jungen drehten sich um und sahen einen kräftigen Mann vor der Hofwerkstatt stehen. »Das ist wohl der Bauer, Hajos Vater«, dachten die Freunde und grüßten freundlich. Der kräftige Mann grüßte zurück und lächelte. Nikolas und Julian fassten sofort Zutrauen zu ihm. »Womit kann ich euch dienen?«, fragte der Bauer. Er stand jetzt vor den Jungen und blickte gutmütig auf sie herab. »Sie sollen uns nicht dienen. Sie haben auf dem Hof Arbeit genug«, sagte Nikolas. »Da hast du recht. Das habe ich wirklich«, stimmte der Bauer zu, und wunderte sich über die einfühlsame Art des Jungen. »Ihr seid aber doch nicht ohne Grund hierher gekommen?« »Nein«, erklärte Nikolas, »wir wollten zu Hajo.« »Zu Hajo!?« Der Bauer freute sich sichtlich, weil sein Sohn in letzter Zeit überhaupt nur selten Besuch erhalten hatte. Und die wenigen Jungen, die gekommen waren, hatten keinen guten Einfluss auf ihn aus20


geübt. Umso glücklicher war er über das Erscheinen von Hajos netten Klassenkameraden. Er rief nach seiner Frau. Sofort erschien Frau Belter vor der Haustür und begrüßte die beiden Besucher ebenso freundlich, wie das vorher ihr Mann getan hatte. »Wo steckt denn Hajo? Die beiden Jungen wollen ihn besuchen!« Ein Schatten legte sich auf Frau Belters gutmütiges Gesicht. »Er ist auf seinem Zimmer«, flüsterte sie ihrem Mann zu. »Ruf du ihn, dann kommt er wohl eher.« Nikolas und Julian sahen sich verständnislos an. Was spielte sich hier ab? Wieso hörte Hajo nicht auf seine Mutter? Wortlos betrat Herr Belter den Flur und rief durch das Treppenhaus nach oben: »Hajo, komm mal runter! Du hast Besuch!« Frau Belter wandte sich den Jungen zu und bat sie ins Haus. Erst nach einer ganzen Weile bestätigte Hajo durch ein Brummen, dass er das Rufen seines Vaters gehört hatte. Nikolas und Julian sank der Mut. Einen Moment später waren Schritte zu hören, und Hajo tauchte auf der Treppe auf. Als er Nikolas und Julian sah, drehte er auf dem Absatz um. »Jetzt komm runter!«, befahl Herr Belter. Sein Ton ließ keinen Zweifel daran, dass es Folgen für 21


Hajo haben würde, falls er die Anweisung nicht befolgte. Widerwillig setzte sich Hajo in Bewegung. Er blieb aber auf der untersten Treppenstufe stehen, als Zeichen, dass er sich mit den Klassenkameraden nicht auf die gleiche Ebene begeben wollte. »Sag deinen Mitschülern guten Tag!«, mahnte der Vater, der das Schweigen seines Sohnes überheblich, ja unerträglich fand. Hajo kam dieser Aufforderung nicht nach. Anstatt zu grüßen, fragte er barsch: »Was wollt ihr denn?« Für einen Moment verschlug es Nikolas und Julian die Sprache. Sie hatten keine herzliche Begrüßung erwartet, eine solche Entgegnung aber auch nicht. Noch während sie überlegten, wie sie sich verhalten sollten, platzte Hajo giftig heraus: »Was ist? Seid ihr stumm?« Frau Belter schüttelte den Kopf und hatte mit den Tränen zu kämpfen. Ihr Mann stieß zornig hervor: »Junge!« Hajo sah, dass bei seinem Vater ein Punkt erreicht war, den er besser nicht überschreiten sollte. Es entstand ein spannungsgeladenes Schweigen. »Wir sind gekommen, um noch einmal in Ruhe mit dir zu reden, weil die Sache von heute Morgen so unbefriedigend ausgegangen ist«, sagte Nikolas schließlich. Hajo sah ihn groß an, nickte und sagte kurz: »Kommt mit!« 22


Er durchquerte mit energischen Schritten den Flur. Nikolas und Julian folgten ihm angespannt und schweigend nach draußen. Herr und Frau Belter beobachteten noch, dass sich Hajo mit seinen Besuchern auf die Bank unter dem Kastanienbaum setzte. Dann gingen sie wieder an ihre Arbeit. Hajo lehnte sich zurück, schlug die Beine übereinander und forderte seine Besucher in barschem Ton auf: »Dann schießt mal los! Ich bin gespannt!« Nikolas und Julian zögerten. Die Kaltschnäuzigkeit des Klassenkameraden irritierte sie. Schließlich fasste sich der Försterjunge ein Herz und bat: »Lass uns doch endlich mal vernünftig zusammen reden, Hajo! Kannst du nicht …« »Nein, mit euch kann und will ich nichts mehr zu tun haben!«, fiel ihm der Belter ins Wort. »Ihr habt mich heute Morgen zu tief reingeritten! Ich warte darauf, dass ihr mal einen Gedanken daran verschwendet, wie ich aus dieser Tinte wieder herauskommen soll!« Hajo redete sich so in Rage, dass sein Kopf hochrot wurde. »Das haben wir getan und sind deshalb gekommen, um mit dir darüber zu reden«, versicherte Julian. »Wir haben auch eine Lösung gefunden. Du musst nur vernünftig mit dir reden lassen.« Hajo wurde etwas ruhiger. Er hoffte, sich mit den Jungen dahingehend einigen zu können, dass sie ihn in Zukunft abschreiben ließen. 23


»Ist euch jetzt aufgegangen, dass ihr euch heute Morgen mir gegenüber sehr fies benommen habt?«, fragte er. Nikolas schüttelte den Kopf. »Von fies kann keine Rede sein! Es wäre doch gar keine Hilfe für dich gewesen, wenn wir dich hätten abschreiben lassen.« Hajo machte große Augen, schnappte nach Luft und fragte ärgerlich: »Wieso das denn nicht?« »Wir wollten dir beibringen, wie man die Aufgaben leicht lösen kann. Wenn wir dich nur abschreiben lassen, lernst du nichts und hast jedes Mal wieder Schwierigkeiten mit den Aufgaben, spätestens in der nächsten Mathearbeit.« Hajo schwieg. Er dachte nach und begriff, dass die beiden recht hatten. Er konnte in der Schule nur besser werden, wenn er seine Hobbys reduzierte und wieder mehr lernte. Doch er wollte sich nicht ändern! Wütend sprang er auf und beschimpfte die beiden Jungen aufs Übelste. Nikolas und Julian waren erschrocken. Als Hajo in seinem Geschimpfe eine Atempause einlegen musste, fragte Nikolas: »Weshalb regst du dich so auf? Wenn unser Vorschlag falsch ist, braucht er dich nicht zu kümmern. Ist er aber richtig, kannst du dich, wenn du willst, mit Gottes Hilfe verändern lassen.« »Quatsch!«, schrie Hajo mit hochrotem Kopf, drehte auf dem Absatz um und rannte in Richtung Scheune davon. 24


Nikolas und Julian sahen sich ratlos an. Was war mit Hajo los? Hatte er den Verstand verloren? War er abgehauen, weil er nicht mehr mit ihnen reden wollte? Oder würde er zurückkommen? Sie wussten es nicht und blieben ratlos auf der Bank unter dem Kastanienbaum sitzen. Nach einer Weile meinte Julian: »Also, ich möchte hier keine Wurzeln schlagen.« »Ich auch nicht«, stimmte Nikolas zu. Sie gingen ins Haus zurück, um sich von Belters zu verabschieden. »Wo ist denn Hajo?«, fragte die Hausfrau. »Wir wissen es nicht«, sagte Julian und erzählte, was vorgefallen war. »Das darf doch nicht wahr sein!«, stieß Hajos Mutter verzweifelt hervor. »Wie konnte der Junge nur so werden?« Auf diese Frage wussten Nikolas und Julian natürlich auch keine Antwort. Sie verabschiedeten sich und verließen das Haus. Schweigend stiegen sie auf ihre Räder. Als sie losfahren wollten, stellte Nikolas fest, dass sein Hinterrad platt war. Einen Moment später machte Julian die gleiche Entdeckung bei seinem Rad. Die Freunde stiegen wieder ab. Sie überlegten angestrengt, wo sie sich die Platten geholt haben könnten. Auf der Fahrt hatten sie doch nirgendwo Scherben gesehen! Und seltsam, dass die Hinterreifen an 25


beiden Fahrrädern gleichzeitig platt waren. Nein, das konnte nicht mit rechten Dingen zugehen, da hatte bestimmt jemand seine Finger im Spiel! Die Freunde überprüften die Fahrradschläuche ihrer Hinterräder und wurden bald fündig. In jedem der beiden Reifen steckten drei Nägel. Nikolas und Julian pulten sie heraus. Es handelte sich um Nägel der gleichen Größe und des gleichen Fabrikats! Die Jungen sahen sich schweigend an und jeder dachte das Gleiche. Doch keiner sprach den Namen »Hajo« aus. Während sie sich so gegenüberstanden, gesellte sich Herr Belter zu ihnen und fragte: »Gibt’s Probleme? Stimmt mit euren Rädern etwas nicht?« Nikolas und Julian streckten dem Bauer die Nägel entgegen. »Was ist damit?«, erkundigte sich Herr Belter beunruhigt. Die Freunde erzählten ihm, was sie in der letzten Viertelstunde erlebt hatten, und der Bauer ließ sich die Nägel geben. Während er sie aufmerksam betrachtete, bildete sich eine tiefe Falte auf seiner Stirn. Doch zu den Jungen blieb er freundlich und sagte: »Kommt mit, ich helfe euch beim Flicken der Reifen!« Nikolas und Julian freuten sich über die angebotene Hilfe. Herr Belter nahm sie mit in die Hofwerkstatt. Rasch hatte der Bauer das erforderliche Werk26


Bild 2 Reifen N채gel

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zeug und die entsprechenden Flicken zur Hand und ging mit geschickten Griffen ans Werk. Eine gute halbe Stunde später konnten die Freunde mit ihren reparierten Rädern den Hof verlassen und bedankten sich herzlich bei Herrn Belter. Nachdem sie das Dorf durchquert hatten und den Anstieg zum Wolkenstein hinaufstrampelten, überlegte Julian: »Du, ich habe Hajo zum Schluss gar nicht mehr gesehen.« »Stimmt! Ich auch nicht!«, erinnerte sich Nikolas. »Ob er sich vor uns versteckt hat?«, fragte Julian nachdenklich. »Kann sein. Vielleicht hat seine Tat ihm doch zu schaffen gemacht«, hoffte Nikolas. »Das wäre schön. – Aber eigentlich kann ich mir nicht vorstellen, dass sich bei Hajo in seiner jetzigen Verfassung ein schlechtes Gewissen meldet. Doch warten wir ab. Vielleicht erfahren wir morgen in der Schule mehr«, meinte Julian. Dann schwiegen beide, weil der Berg steiler wurde und sie kräftiger in die Pedalen treten mussten.

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Ob das eine Lösung ist?

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ur gleichen Zeit ließ sich Hajo wieder auf dem elterlichen Hof blicken. Er holte sein Gokart aus der Garage und übte sich im Kurvenfahren. Doch im selben Moment stand sein Vater neben ihm und fragte ernst: »Wo hast du die ganze Zeit gesteckt?« »Bei Heebs«, nuschelte Hajo und versuchte weiter seine Runden zu drehen. Herr Belter hielt Hajo energisch fest und sagte ärgerlich: »Soo, du warst bei Heebs, während du Besuch hattest! Ist das neuerdings so üblich, dass man vor dem eigenen Besuch abhaut und selbst einen Besuch bei anderen macht? Meinst du nicht, dass Nikolas und Julian sehr enttäuscht über dein Verhalten waren?« »Pah, die interessieren mich nicht!«, stieß Hajo hervor und machte eine wegwerfende Handbewegung. »Der Umgang mit dem Försterjungen und seinem Freund wären deiner Mutter und mir aber hundertmal lieber als der mit den Heeb-Jungen. Von Nikolas 29


und Julian könntest du etwas Vernünftiges lernen!«, ereiferte sich der Vater. Hajo gab keine Antwort. Er versuchte sich aus dem Griff seines Vaters zu befreien, doch dieser hielt ihn eisern fest und fragte: »Ich möchte noch etwas von dir wissen: Warst du während der letzten Stunde nur bei den Heebs?« »Natürlich! Hab ich dir doch gesagt!«, stieß Hajo hervor. Aber es klang nicht sehr überzeugend und er konnte dem Vater nicht in die Augen sehen. Ihm war, als fragte sein Vater etwas, das er schon wüsste. »Soso«, sagte Herr Belter gedehnt und machte eine Pause, während der er den Jungen nicht aus den Augen ließ. Schließlich wurde es Hajo unbehaglich, doch er rückte noch immer nicht mit der Sprache heraus. »Dann komm mal mit«, verlangte sein Vater. »Ich möchte dir etwas zeigen! Bin mal gespannt, welche Erklärung du dafür hast.« Wortlos stieg Hajo vom Gokart und folgte dem Vater in die Werkstatt. Der nahm sechs bereitliegende Nägel von der Werkbank, zeigte sie seinem Sohn und fragte: »Kommen sie dir bekannt vor?« »Ja. Die sind aus der Dose dort drüben, wenn ich mich nicht täusche«, sagte Hajo, während er zum Regal über der Werkbank zeigte. Er hatte Mühe seiner Stimme einen festen Ton zu geben und dem Blick des Vaters standzuhalten. 30


»Du hast recht«, sagte Herr Belter eigenartig ruhig. »Kannst du mir vielleicht erklären, wie sie aus der Dose in die Hinterreifen von Nikolas’ und Julians Rädern kamen?« Plötzlich klang die Stimme des Vaters drohend. Hajo überlegte fieberhaft: »Wenn ich jetzt die Wahrheit sage, komme ich vielleicht ohne oder zumindest mit einer milden Strafe davon.« Doch er brachte es nicht fertig ehrlich zu sein. »Nein, ich hab keine Ahnung, wie die Nägel aus der Dose in die Fahrradreifen kamen«, behauptete er. Der Vater schwieg und sah seinen Sohn ernst an. Sein Blick verriet, dass er Bescheid wusste und sehr traurig war, von Hajo so angelogen zu werden. Es schmerzte Herrn Belter, dass Hajo nicht zu seiner Tat stand und keinerlei Einsicht zeigte. Ohne genau zu wissen, was in seinem Vater gerade vorging, stand für Hajo plötzlich fest: Papa leidet! Ihn überkam eine gewisse Reue und er überlegte, ob er nicht seine Schuld zugeben und um Verzeihung bitten sollte. Doch er brachte es nicht fertig, weil er noch eine Stunde zuvor bei den Heebs auf den Putz geklopft und den Helden gespielt hatte. »Ich werde es allen zeigen, die mich jetzt in den Dreck treten! Sie werden es alle noch bitter bereuen, dass sie mich so behandeln!«, hatte er vor den Heeb-Brüdern getönt. Und dann hatte er das Brüderpaar zu dem 31


Versprechen gedrängt, mit ihm eine Gang zu gründen und auf Biegen und Brechen zu ihm zu stehen! Nein, da konnte er jetzt unmöglich klein beigeben, auch bei seinem Vater nicht! Was sollten die Heebs dann von ihm denken? Bestimmt wäre er dann bei ihnen unten durch! Er musste die Sache nun bis zum bitteren Ende durchziehen. Vater und Mutter mussten sich daran gewöhnen, dass er nicht mehr der kleine Junge war, der nur das tat, was sie wollten! »Willst du nicht mehr mit mir reden?«, fragte Herr Belter. Hajo schwieg weiter; aber es arbeitete in ihm und schließlich kam es ihm leise über die Lippen: »Ich will schon noch mit dir reden, aber nicht über diese Sache.« Herrn Belter verschlug es für einen Moment die Sprache. Dann entschied er: »Wie du willst! Bis auf Weiteres wirst du nach der Schule den Hof nicht mehr verlassen!« Herr Belter konnte nicht verbergen, dass es ihn schmerzte, zu dieser Maßnahme greifen zu müssen und er fuhr fort: »Du wirst nach dem Unterricht deine Hausaufgaben machen und mir anschließend bei der Arbeit helfen. Ich hoffe, dass wir uns verstanden haben!« Hajos Vater wandte sich um und verließ die Werkstatt. Hajo blieb allein zurück. Einen Moment lang wusste er nicht, wie er sich jetzt verhalten sollte. 32


Urplötzlich war eine vollkommen neue Situation in seinem Elternhaus entstanden. Das hatte er nicht gewollt! Wütend und verzweifelt stampfte er mit dem Fuß auf und stieß einen lauten Fluch aus, der von den Betonwänden widerhallte. »Wenn ich Feldbusch und Falkner, diese frommen Heinis, doch nie getroffen hätte!«, schimpfte er weiter. »Die Sache mit diesem Jesus ist keine Friedensbotschaft! Wo diese Kerle mit ihrem frommen Geschwafel auftauchen, schaffen sie nur Durcheinander. Man sollte sie aus dem Verkehr ziehen. Und genau darum werde ich mich jetzt kümmern! Sie dürfen …« Plötzlich brach Hajo ab, weil ein Schatten in die Werkstatt fiel. Er wandte sich um und sah seine Mutter in der Tür stehen. Offensichtlich erwartete sie eine Erklärung für seinen lautstarken Wutausbruch. Doch Hajo schwieg verstockt. »Willst du mir nicht sagen, was du hast? Wenn wir in Frieden zusammenleben wollen, müssen wir miteinander reden.« Hajo hielt dem traurigen Blick seiner Mutter stand und schleuderte ihr wütend entgegen: »Was hat denn Vater mit mir gemacht! Zu euch hab ich kein Vertrauen mehr. Ihr habt euch ganz auf die Seite der Frommen gestellt. Euch bedeuten fremde Kerle mehr als euer eigenes Kind!« »Hajo!«, entfuhr es der Mutter erschrocken. »Was redest du da? Das ist doch dummes Zeug! Du bist 33


und bleibst unser Sohn! Aber du hast einen gefährlichen Weg beschritten, und wir möchten so sehr, dass du davon umkehrst! Wir haben dich lieb! Aber dein Verhalten können wir nicht gutheißen, weil es nicht gut ist. Verstehst du das nicht?« Doch, Hajo verstand seine Mutter sehr gut. Aber er ließ sich von ihr nicht umstimmen, weil er befürchtete, die Heeb-Jungen, Bastian und Robin, könnten ihn für einen Feigling und Schwächling halten. Das wollte er unter allen Umständen verhindern, weil es ihn einiges gekostet hatte, dass sie ihn bewunderten und als tollen Typen ansahen. Frau Belter redete weiter ruhig auf ihn ein. Hajo gab ihr keine Antwort. »Nun gut«, sagte seine Mutter. »Dann geh jetzt an die Arbeit. Bei den Kaninchen ist schon einige Zeit nicht mehr ausgemistet worden, das kannst du jetzt tun.« Hajo war nicht gerade begeistert. Missmutig und ärgerlich stampfte er aus der Werkstatt, holte im Geräteschuppen eine Karre, eine Zinkenharke und schlenderte zu den Hasenställen. Es kam ihm so vor, als ließen sich die Kästen wesentlich leichter ausmisten als je zuvor. »Bin ich stärker geworden oder verleiht mir die Wut zusätzliche Kräfte?«, fragte er sich. Ärgerlich füllte er Schubkarre um Schubkarre. Sollte das in Zukunft nun so weitergehen, dass er auf dem Hof Bauer spielen musste, während das Förster34


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söhnchen und sein Freund sich schöne Nachmittage machten? Je länger Hajo darüber nachdachte, umso wütender wurde er und hatte den lebhaften Wunsch, Nikolas und seinem Freund tüchtig eins auszuwischen. Nur – wie konnte er trotz seines Hofarrests den beiden das Leben schwer machen? Als er die Hasenställe gesäubert hatte und die letzte Karre am Misthaufen ablud, hörte er einen scharfen Pfiff. Hajo wandte sich um und sah seine Freunde, Bastian und Robin Heeb, auf der Straße angeradelt kommen. Da durchzuckte ihn der Gedanke: Die beiden konnten ihm doch helfen und Nikolas und Julian eins auswischen! »Hey, kommt mal rüber!«, rief Hajo und winkte den Brüdern zu. Die zwei kamen sofort und hielten neben Hajo an. »Was gibt’s?«, fragte Bastian gespannt. Er wusste schon: Wenn Hajo rief, gab es etwas auszuhecken. Hajo tat nun auch recht geheimnisvoll. Er stellte sich dicht vor die Brüder hin, sah sich prüfend nach allen Seiten um, dass auch kein Lauscher in der Nähe war, und sagte: »Ich brauche dringend eure Hilfe!« Bastian und Robin waren sofort ganz Ohr. Sie fühlten sich geehrt, dass der Sohn des Großbauern ihre Unterstützung brauchte. »Wir sind immer für dich da!«, versicherte Robin rasch. 36


»Okay, dann passt mal auf«, sagte Hajo leise. »Ihr wisst ja, wie übel mir Nikolas und Julian mitgespielt haben.« Wütend berichtete er dann von dem Hofarrest, den er wegen der frommen Heinis erhalten hatte und meinte: »Dafür müssen die beiden Spinner doch bestraft werden, oder was meint ihr?« »Natürlich!«, stimmten die Heebs-Jungen wie aus einem Mund zu. »Ich kann das wegen des blöden Hofarrestes aber nicht tun, zumindest im Moment nicht«, sagte Hajo mit Trauermiene. »Könntet ihr nicht für mich einspringen?« Ohne lange zu überlegen willigten die Heeb-Jungen ein, weil auch sie Nikolas und Julian nicht leiden konnten. »An was hast du gedacht?«, erkundigte sich Robin. Hajo sah nachdenklich zum blauen Himmel auf, an dem kleine Wolken wie weiße Boote dahinzogen, die aber keine Idee für ihn an Bord hatten. Nach einer Weile zuckte er die Achseln und gestand: »Ich hab noch keinen konkreten Plan. Wenn mir eine Idee kommt, sag ich euch Bescheid.« »Okay!«, sagte Bastian. Die beiden Jungen schwangen sich auf ihre Räder und fuhren davon. Nachdem Hajo die Schubkarre gereinigt hatte, stellte er sie wieder in den Geräteschuppen und ver37


zog sich in den hintersten Winkel der Scheune, weil er hier am besten ungestört nachdenken konnte. Wie lange Hajo hier gesessen hatte, war ihm nicht bewusst. Er sah auf die Uhr und erschrak. Eineinhalb Stunden hockte er nun schon in seinem Versteck und grübelte. Trotzdem war ihm nichts Brauchbares eingefallen. War sein Hirn schon eingetrocknet? Mit hängendem Kopf schlurfte Hajo aus der Scheune, ging ins Haus und wusch sich. Dann nahm er sich die Schulaufgaben vor.

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Die Heeb-Jungen machen mit

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uch am nächsten Nachmittag war Hajo noch kein brauchbarer Plan eingefallen. Ärgerlich über sich selbst marschierte er auf dem Hof auf und ab. Zur selben Zeit hatten sich vier Kilometer vom Belter-Hof entfernt Nikolas und Christina Feldbusch, Julian Falkner und andere Kinder aus den umliegenden Dörfern zur wöchentlichen Jugendstunde in Oma Wasners Wohnzimmer eingefunden. Wie schon in der Vergangenheit erzählte Frau Wasner Geschichten aus dem Leben des Herrn Jesus. Sie tat das so lebendig, dass die Jungen und Mädchen Jesus Christus als Retter und Sünderheiland von Herzen lieb gewannen. Gegen Ende der Stunde fragte sie in die Runde: »Hat jemand von euch ein Anliegen, für das wir gemeinsam beten sollten?« Nach kurzem Überlegen meldete sich Christina Feldbusch. »Mein Bruder Nikolas und sein Freund Julian haben mit ihrem Klassenkameraden, Hajo 39


Belter, großen Ärger. Wollen wir dafür beten, dass Hajo sein Unrecht einsieht und von seinem Weg umkehrt?« Christinas Vorschlag wurde angenommen, und die Kinder beteten mit Ernst und großer Freude, weil es für sie immer etwas Besonderes war, dass sie persönlich mit dem himmlischen Vater reden durften. Etwa zwei Wochen später zeigte sich Hajo während der Pause auf dem Schulhof außergewöhnlich gut gelaunt. Er marschierte zu den Heeb-Brüdern und sagte großspurig: »Kommt heute Nachmittag zu mir. Ich hab was Wichtiges mit euch zu bereden.« Bastian und Robin sagten zu. Sie hielten noch am gleichen Tag Wort. Hajo führte sie zu einem versteckten Winkel hinter der Scheune und eröffnete ihnen: »Stellt euch vor, ich hab jetzt einen super Plan. Er ist hundertprozentig wasserdicht, ihr könnt euch darauf verlassen …« »Und wie sieht er aus?«, fragte Robin gespannt und ein wenig ängstlich. »Jetzt bei dem schönen Wetter gehen der Feldbusch und der Falkner fast jeden Tag zum Schwimmen. Ich habe das gründlich beobachtet. Sie fahren aber nicht ins Schwimmbad, sondern baden in dem Waldsee im Hohwald beim Wolkenstein.« »Ein klasse Plätzchen!«, meinte Robin. 40


Hajo beugte sich geheimnisvoll vor und erläuterte ihnen im Flüsterton seinen Plan. Die Heeb-Brüder waren beeindruckt. Hajo hatte wirklich alles bedacht! Sie versprachen, die Sache schon am folgenden Nachmittag in Angriff zu nehmen. Zur Verwunderung ihrer Mutter hatten Bastian und Robin Heeb am folgenden Mittag ihre Teller innerhalb kürzester Zeit leergelöffelt. Dann schwangen sie sich auf ihre Fahrräder. Um nicht gesehen zu werden, fuhren sie auf einem Umweg zum Waldsee am Wolkenstein. Trotzdem kamen sie so zeitig an, dass sie sich noch ein gutgeschütztes Versteck suchen konnten. Dann gingen sie in Deckung und warteten. Doch Nikolas und sein Freund ließen sich nicht blicken. Hin und wieder sahen die Brüder auf die Uhr. Wie langsam die Zeit verging! »Vielleicht haben wir nicht genau hingehört, als Hajo uns die Zeit genannt hat!«, sagte Bastian schließlich voller Ungeduld. »Wir haben uns nicht verhört!«, behauptete Robin und warf Bastian einen ärgerlichen Blick zu. Die Minuten dehnten sich für die Heeb-Brüder wie Ewigkeiten. Doch dann plötzlich hörten sie ein Geräusch. Sie hoben die Köpfe, reckten die Hälse und spähten angestrengt. Tatsächlich, auf dem Weg, der zwischen den Buchenstämmen entlang führte, 41


kamen zwei Radfahrer näher, die sich angeregt unterhielten. »Los, jetzt wird es Zeit, dass wir unsere Masken über die Gesichter ziehen!«, ordnete Robin aufgeregt an. Bastian gehorchte. Dann duckten sie sich wieder in ihre Deckung und warteten. Inzwischen waren Nikolas und Julian am Bootshäuschen angekommen. Sie stellten ihre Fahrräder ab, schlossen das Häuschen auf und verschwanden darin. Wenig später kamen sie in Badehosen wieder heraus und gingen gleich ins Wasser. Zur Freude der Brüder hatten sie das Bootshaus nicht abgeschlossen! »Super!«, wisperte Robin. »Komm, wir holen uns ihre Klamotten!« »Du bist wohl bescheuert! Bleib bloß hier!«, fauchte Bastian. »Lass die Heinis doch erst ein bisschen planschen. Wenn sie dann weiter in den See hinausgeschwommen sind, können sie nicht so schnell wieder ans Ufer kommen, wenn sie uns entdecken!« Robin nickte. Manchmal dachte sein älterer Bruder doch ein bisschen weiter als er. – Na ja, das war ja auch gut so. Endlich gab Bastian das ersehnte Kommando: »Los, jetzt! Schnell!« Schon hatten sie das freie Rasenstück erreicht und rannten zur Hütte. Mit einem Ruck rissen sie die Tür auf, schnappten sich die Klamotten von Julian und Nikolas und flitzten davon. 42


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Kurz bevor sie im Gebüsch verschwinden konnten, wurden sie von Nikolas und Julian entdeckt. Nach einer Schrecksekunde schrieen die beiden so laut sie konnten: »Hilfe! Diebe! Hilfe! Diebe!« Doch ihr Schreien war vergeblich. Der See lag zu tief im Wald, als dass ihr Rufen bis aufs freie Feld hinausgedrungen wäre, wo Leute bei der Arbeit waren. »Wir müssen die Kleiderdiebe verfolgen!«, rief Julian verzweifelt. »Los, schnell zum Ufer!« Doch als sie den Rand des Sees erreichten und eilig aus dem Wasser stiegen, war von den Dieben nichts mehr zu sehen. Sie rannten ein Stück in die Richtung, in der sich die Gauner entfernt hatten, erkannten aber schnell die Aussichtslosigkeit ihres Unterfangens und blieben außer Atem stehen. »Wer waren die beiden?«, fragte Nikolas, als er sich etwas erholt hatte. Julian schüttelte ratlos den Kopf. »Konnte ich nicht erkennen«, antwortete er. »Sie hatten Masken auf. Die hatten das richtig geplant.« Nikolas nickte. »Was meinst du, war einer von ihnen Hajo?« »Vielleicht«, meinte Julian nach kurzem Überlegen. »Und der Zweite, wer könnte denn das gewesen sein?« »Ein Freund von ihm. Hajo hatte ihn bestimmt angeheuert, weil er zu feige war, die Sache allein durch44


zuziehen«, überlegte Nikolas. »Wir fahren nachher zu Belters und fragen, ob Hajo am Nachmittag zu Hause gewesen ist. War er weg, können wir weiter nachforschen.« »Los, dann lass uns nach Hause fahren«, drängte Julian. Sie schwangen sich in ihren nassen Badehosen auf die Räder und fuhren los. Am Forsthaus wurden sie von Frau Feldbusch empfangen, die gerade aus dem Gemüsegarten kam. Beim Anblick der Jungen schlug sie die Hände über dem Kopf zusammen und sagte aufgeregt: »Was fällt euch denn ein, dass ihr in den nassen Badehosen nach Hause kommt? Das möchte ich nicht wieder erleben!« »Wir auch nicht«, versicherte Nikolas. »Wir konnten uns nicht umziehen, weil uns die Klamotten gestohlen wurden, während wir im Wasser waren.« Frau Feldbusch dachte zunächst an einen schlechten Scherz. Doch die Jungen versicherten: »Unsere Sachen sind wirklich weg!« Und sie erzählten ausführlich, was geschehen war. »Ob Hajo dahinter steckt? Vielleicht war er einer der beiden Jungen, die ihr gesehen habt.« Nikolas und Julian teilten ihre Ansicht. »Wir fahren jetzt gleich zu Belters«, sagten sie. Frau Feldbusch hatte nichts dagegen, bestand aber 45


darauf, dass die Jungen zunächst duschten und ordentliche Kleidung anzogen. Auf dem Belter-Hof begegnete ihnen Hajos Vater, der gerade aus der Werkstatt kam. Er begrüßte sie auch diesmal sehr freundlich mit der altbekannten Frage: »Womit kann ich euch dienen?« »Wir würden Sie gern etwas fragen«, erwiderte Nikolas höflich. Herr Belter lächelte. »Bitte, fragt nur!« Julian kam seinem Freund zuvor: »War Hajo heute den ganzen Nachmittag hier auf dem Hof?«, platzte er heraus. »Ja, er hat schon seit Tagen Arrest«, entgegnete Herr Belter. Sein Gesicht wurde ernst und er erkundigte sich besorgt: »Ist wieder etwas passiert?« Nikolas und Julian warfen sich unsichere Blicke zu, was Herrn Belter nicht entging. »Nur heraus mit der Sprache!«, ermutigte er sie. Da fassten sich die Jungen ein Herz und erzählten von ihrem Bad im Waldsee und den gestohlenen Kleidungsstücken. Herr Belter hörte aufmerksam und nachdenklich zu. Als Nikolas und Julian geendet hatten, meinte er: »Ich möchte dazu nicht viel sagen, aber fragt mal bei den Heebs nach. Vielleicht kommt ihr da ein Stückchen weiter.« Die Freunde bedankten sich für die Auskunft und verabschiedeten sich. 46


Etwa fünfzehn Minuten später standen sie vor dem Heebschen Anwesen und sahen sich um. Alles wirkte vernachlässigt, die Hauswände hatten schon lange keine Farbe mehr gesehen, die Dachrinne war an einigen Stellen verbeult und auf dem Hof lag überall Dreck herum. Von den Hausbewohnern war niemand zu sehen. »Wir müssen wohl ins Haus gehen«, meinte Nikolas, obwohl er keine Lust dazu verspürte. Julian erging es ebenso. Während sie noch berieten, wurde die Haustür geöffnet und vor ihnen stand eine Frau und betrachtete sie misstrauisch. Für sie war es wohl eine Selbstverständlichkeit, dass Besucher nur mit unguten Absichten kamen. »Was wollt ihr denn?«, fragte sie barsch. Nikolas und Julian brachten keinen Ton hervor und hätten am liebsten den Rückzug angetreten. Nur der Gedanke, dass sie ihre Sachen dann wohl nie wieder sahen, hielt sie hier fest. »Wenn ihr mir keine Antwort geben wollt, dann verschwindet!«, fauchte die verbitterte Frau und unterstrich ihre Forderung mit einer entsprechenden Handbewegung. Nikolas raffte allen Mut zusammen und fragte: »Wissen Sie, wo ihre Söhne heute Nachmittag waren?« Die Frau machte einen Schritt auf den Försterjungen zu und schimpfte: »Da hätte ich viel zu tun, wenn 47


ich wissen wollte, wo die den ganzen Tag herumstrolchen.« »Wissen Sie vielleicht, ob Ihre Jungen fremde Kleidungsstücke mit nach Hause gebracht haben?«, fragte Julian und konnte seine Aufregung kaum verbergen. Das war zu viel für Frau Heeb. Sie lief rot an und schrie: »Was fällt dir ein? So nötig haben wir es nun nicht, dass meine Kinder die Sachen anderer Leute klauen müssten! Macht schnell, dass ihr vom Hof kommt, sonst …!« Wütend verschwand die Frau im Flur und knallte die Haustür so heftig hinter sich zu, dass die Jungen fürchteten, sie würde aus den Angeln fliegen. Die Jungen rannten zu ihren Fahrrädern, schwangen sich mit einem Satz hinauf und rasten davon. Das Erlebte hatte die Freunde so geschockt, dass sie eine ganze Weile schweigend nebeneinander her radelten. Julian, der sich als Erster etwas beruhigt hatte, meinte: »Es ist schon schlimm, dass man von Leuten, denen man gar nichts getan hat, so behandelt wird.« Nikolas stimmte ihm zu. »Ich bin sicher, dass die Heebs unsere Sachen nicht haben. Zumindest nicht zu Hause«, sagte er dann unvermittelt. »Wie kommst du darauf?«, fragte Julian überrascht. »Die Frau sah zwar schlampig aus, aber sie machte auf mich irgendwie nicht den Eindruck, als dass 48


sie eiskalt lügen würde«, meinte Nikolas. »Ich denke, dass sie vielleicht nur durch schlimme Erlebnisse so wurde, wie wir sie erlebt haben.« »Möglich.« Julian nickte nachdenklich. Als sie zum Forsthaus kamen, erblickten sie Frau Feldbusch im Garten. Sie hatte in den Beeten das Unkraut gejätet und sah den Jungen nun gespannt entgegen. »Habt ihr eure Sachen wieder? Oder habt ihr erfahren, wo sie sind?«, fragte sie. Julian schüttelte den Kopf, und Nikolas erklärte niedergeschlagen: »Nein, wir haben nichts herausbekommen. Hajo war den ganzen Nachmittag auf dem Hof und Frau Heeb hat uns rausgeschmissen, als wir sie fragten, wo Robin und Bastian waren und ob sie fremde Kleidung mitgebracht hätten.« Frau Feldbusch seufzte. »Dass Frau Heeb wütend geworden ist, kann ich ein bisschen verstehen.« Julian nickte. »Wir hätten vielleicht etwas vorsichtiger fragen sollen«, meinte er niedergeschlagen. Nikolas Mutter legte ihre Harke zur Seite und kam zu den Jungen heran. »Jetzt seid mal nicht so deprimiert«, meinte sie aufmunternd. »Vielleicht wissen die Heebs wirklich nicht, wo eure Kleider sind. Ihre Kinder müssen ja nicht die Diebe gewesen sein. Vielleicht war es wirklich nur ein Schabernack von irgendwelchen Jungen aus dem Dorf, die eure Kleider irgendwo im Feld versteckt haben. Geht doch morgen mal in der Umgebung vom Waldsee auf die Suche.« 49


Dieser Vorschlag leuchtete den Jungen ein. »Das ist eine gute Idee«, meinte Nikolas zufrieden. »Vielleicht kommt deine Schwester auch mit. Je mehr Leute suchen, desto besser«, ergänzte Julian.

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Das Kleidersuchkommando

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m folgenden Tag machten sich Nikolas, Christina und Julian gleich nach dem Mittagessen vom Forsthaus Wolkenstein auf den Weg zum Hohwald. Voller Zuversicht nahmen sie die Suche in der Nähe des Sees auf. Sie sahen hinter alle Sträucher, die zwischen den Bäumen wuchsen und durchsuchten jede verdächtige Laubanhäufung. Sie stießen dabei auf manchen Abfall, der nicht hierher gehörte, nur von den gestohlenen Kleidungsstücken war nicht das Geringste zu sehen. Schließlich fragte Christina nachdenklich: »Habt ihr nicht erzählt, dass die Diebe mit euren Sachen so schnell fortgerannt sind, dass ihr sie schon gar nicht mehr gesehen habt, als ihr aus dem Wasser kamt?« Die Jungen nickten. »Dann suchen wir hier vergebens!«, erklärte Christina. »Ich bin sicher, dass die Gauner eure Kleider außerhalb des Waldes versteckt haben.« »Wie kommst du darauf?«, erkundigte sich ihr Bruder. 51


»Weil die Diebe sich dort sicherer fühlten. Sie hatten freien Blick nach allen Seiten. Niemand konnte sich an sie heranschleichen, weil sie jeden Verfolger sofort gesehen hätten«, erklärte Christina selbstsicher. Die Jungen schwiegen eine Weile, dann nickten sie, und Julian meinte anerkennend zu Nikolas: »Deine Schwester hat was auf dem Kasten! Sie ist schon fast eine richtige Kriminalbeamtin!« »Ja, manchmal hat sie einen guten Gedanken. Aber lob sie mal nicht zu sehr! Damit tust du ihr keinen Gefallen. Man sagt nicht umsonst: Wer hoch steht, kann tief fallen. Und wer tief fällt, der schlägt hart auf«, gab Nikolas altklug zu bedenken. »Mensch, jetzt hört auf, wir sind nicht zum Philosophieren hier, sondern um eure Klamotten zu suchen«, maulte Christina. Die drei wanderten zum Waldrand und von dort aufs freie Feld hinaus. Sie suchten nun jeden Heckenrain ab und durchstreiften alle Getreidefelder in der Nähe des Waldes, die noch nicht abgeerntet waren. Sie gingen sehr vorsichtig zu Werk, um keine Schäden anzurichten. Doch ihre Suche blieb auch hier vergeblich. »Die Diebe haben anscheinend ein richtig gutes Versteck gefunden«, meinte Julian entmutigt. Doch sie suchten weiter. Erst als die Sonne schon dicht über dem westlichen Horizont stand und das Firmament in ein tiefes Rot tauchte, das an den Rändern in ein zartes Lila 52


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