Zirkuläre Märkte für industrielle Wertschöpfung „Made in Europe“

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FORDERUNG | PRODUKTPOLITIK | CIRCULAR ECONOMY

Zirkuläre Märkte für industrielle Wertschöpfung „Made in Europe“

Forderungen der BDI-Initiative Circular Economy für die Europawahl 2024

7 Mai 2024

1. Neuausrichtung der Rahmenbedingungen für zirkuläre Wertschöpfung

Seit 2014 ist die Fortentwicklung der Circular Economy eine politische Priorität der Europäischen Union (EU). Unter dem ersten Circular Economy Action Plan von 2015 wurden zahlreiche abfallrechtliche Richtlinien der EU novelliert (u. a. die Abfallrahmenrichtlinie, die Verpackungsrichtlinie, die Deponierichtlinie und die Richtlinie über Elektro- und Elektronikaltgeräte), sowie erstmals die Entwicklung von funktionierenden Märkten für Kunststoffe aus der Circular Economy politisch priorisiert (u. a. Richtlinie über Einwegkunststoffe, Industrie-Pledges für den Einsatz von Kunststoffrezyklaten).

Mit dem Green Deal der EU von 2019 bis 2024 wurde die zirkuläre Wertschöpfung politisch nochmals aufgewertet. Ziel ist es seither, die Bedeutung einer zirkulären Wertschöpfung als elementaren Beitrag zur sicheren Rohstoffversorgung für die Industrie in den Blickpunkt zu rücken, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, resilientere Wertschöpfungsnetzwerke aufzubauen, die Innovationskraft in Europa zu steigern und CO2 Emissionen zu reduzieren.

Der zweite Circular Economy Action Plan von 2020 rückte dazu die Anforderungen an Produkte in den Mittelpunkt. Mit der Verabschiedung einer Ökodesign-Verordnung mit breiten Anwendungsbereich und als Rahmen für zirkuläre Produkte, einer Batterieverordnung, einer Verpackungsverordnung, einer Bauproduktenverordnung, einer Verordnung zur Versorgung der EU mit kritischen Rohstoffen (sog. Critical Raw Materials Act), einer Richtline für die Ansprüche auf Reparatur bestimmter Produkte, einer noch im gesetzlichen Prozess befindlichen Richtlinie zu produktbezogenen Umweltaussagen (Green Claims) sowie einem begonnen Rechtsetzungsprozess für eine Altfahrzeugverordnung, werden sich die Rahmenbedingungen für Produktion, Produkte und Rohstoffe der Circular Economy auf dem europäischen

Dr.
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Claas Oehlmann

Binnenmarkt in den kommenden Jahren fundamental verändern. Parallel wurden zudem die Regeln für den grenzüberschreitenden Transport von Abfällen durch eine Novelle der Abfallverbringungsverordnung überarbeitet, mit der Anpassung der Abfallrahmenrichtlinie u. a. zur Verankerung der EU-Textilstrategie und Circular Economy als Grundsatzthema in die Richtlinie für die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen aufgenommen. Diese wird unter anderem eine wesentliche Rolle auch bei der Umsetzung der EU-Taxonomie spielen, die dem Ziel dient, die Finanzierungsbedingungen für nachhaltig, das heißt auch „zirkulär“ wirtschaftende Unternehmen deutlich zu verbessern.

Mit dem in vielen Bereichen vollzogenen Wandel zu einem integrierten Ansatz für die zirkuläre Wertschöpfung in Kreisläufen, inklusive des Wechsels von einer abfallzentristischen zu einer ganzheitlichen rohstoff- und produktorientierten Perspektive, ist der richtige Weg eingeschlagen. Der zudem erfolgende Wechsel von national umzusetzenden Richtlinien zu direkt wirkenden Verordnungen, ist für die Schaffung von europäischen Märkten mit gleichen Wettbewerbsbedingungen in vielen Bereichen unumgänglich.

Nach nun mehr zehn Jahren der intensiven Arbeit an Veränderungen des regulatorischen Rahmens gilt es in den Jahren 2024 bis 2029:

▪ Unternehmen in die Lage zu versetzen, zirkuläre Strategien auch als Geschäftsmodelle auf dem europäischen Binnenmarkt zu realisieren,

▪ die beschlossenen Rahmenregulierungen so auszugestalten, dass Vorgaben partizipativ und transparent erarbeitet werden und diese für Unternehmen planbar, umsetzbar und messbar sind,

▪ den gewünschten Produkt- und Materialkreisläufen auch einen kohärenten Rechtsrahmen zur Seite zu stellen, der zum einen widerspruchsfreie Definitionen und Vorgaben macht und zum anderen die Schnittstellen zwischen Produkt-, Abfall- und Stoffrecht so definiert, dass Kreisläufe ermöglicht und nicht verhindert werden,

▪ das europäische Modell einer ganzheitlichen Circular Economy im Rahmen der internationalen Handels- und Klimaschutzpolitik zu gestalten und die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen zu stärken.

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2. Handlungsfelder

2.1 Harmonisierte Anforderungen an zirkuläre Produkte

Zukünftig soll insbesondere im Rahmen der Umsetzung der EU-Ökodesign-Verordnung das Produktdesign auch an Kriterien wie Langlebigkeit, Wiederverwendbarkeit, Reparierbarkeit, Recyclingfähigkeit und am Einsatz von Rohstoffen der Circular Economy ausgerichtet werden. Die Erfüllung solcher Kriterien soll dann auch darüber entscheiden, ob Produkte auf dem europäischen Binnenmarkt in Verkehr gebracht werden dürfen. Sie wirken somit für in der EU hergestellte als auch für importiere Produkte. Die vorgesehenen Anforderungen sollen in den kommenden Jahren durch die Entwicklung von einer Vielzahl delegierter und Durchführungsrechtsakte, sowie durch die Erarbeitung von Normen und Standards geschaffen werden. Für Unternehmen ist dabei von zentraler Bedeutung, dass diese Kriterien nachvollziehbar, verlässlich, umsetzbar, transparent und auf das jeweilige Produkt bezogen entwickelt werden. Nur so wird es gelingen, einen marktgetriebenen Wettbewerb um die besten zirkulären Produktionsprozesse, Produkte und Dienstleistungen anzustoßen und Investitionssicherheit zu schaffen. Zudem muss zwingend die richtige Balance zwischen sinnvoller Rahmensetzung und Freiheitsgraden für Unternehmen gefunden werden, damit sich die Kreativität und Innovationskraft von Unternehmen im gesamten Wertschöpfungskreislauf entfalten kann.

2.2 Funktionierende Märkte für Rohstoffe der Circular Economy

Neben dem Einsatz von heimischen und importieren Primärrohstoffen soll die Nutzung von Rohstoffen der Circular Economy generell und materialübergreifend verbessert werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das zur Verfügung stehende Potenzial der in Kreisläufen geführten Rohstoffe von der Menge der im Markt befindlichen und nutzbaren Primärrohstoffen determiniert wird. Es wird in der EU darauf ankommen, Investitionen in neue und flächendeckende Sammel-, Sortier- und Verwertungsstrukturen im Einklang mit der Abfallhierarchie (mechanisch, chemisch und thermisch) auszulösen und abzusichern und gleichzeitig die vorhandene Infrastruktur fortzuentwickeln. Dabei müssen die Potenziale, Ziele und Maßnahmen zur Steigerung der Nutzung von zirkulären Rohstoffen auch weiterhin materialspezifisch betrachtet werden. Instrumente, die zur Förderung des Einsatzes von Rohstoffen der Circular Economy rechtlich verankert werden (“Push”- und “Pull”-Maßnahmen), müssen im Vorfeld zumindest im Hinblick auf die Kriterien „Auswirkungen auf die Quantität – Verfügbarkeit und Nachfrage“ - (1), „Sicherstellung der am Markt erforderlichen Qualität“ (2) und „erwartete

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Preisentwicklung“ (3) abgewogen werden. Nur so kann die jeweils intendierte Lenkungswirkung sichergestellt werden.

Bei Instrumenten, die in verschiedenen Rechtsakten zur Anwendung kommen sollen und die identische Materialströme betreffen und somit eine Wirkung auf den gleichen Gesamtmarkt entfalten, muss eine übergreifende Folgenabschätzung durchgeführt werden. Es wird insgesamt darauf ankommen, die Akzeptanz des Einsatzes von Rohstoffen der Circular Economy zu erhöhen, eine verbesserte Datenlage und Messbarkeit für ein besseres Monitoring der Stoffströme zu erreichen, einen risikobasierten Umgang mit den in Materialien enthaltenen Stoffen im Kreislauf zu etablieren und sowohl Quantität als auch Qualität auf den Märkten für zirkuläre Rohstoffe deutlich zu verbessern. Ein entsprechend praxisnah und effizient konzipierter Digitaler Produktpass (siehe auch Abschnitt 2.4) kann hierzu einen entscheidenden Beitrag leisten.

2.3 Circular Economy als Voraussetzung für mehr Klimaschutz

Die Etablierung einer zirkulären Wirtschaft bietet die Chance, einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Die Verlängerung der Nutzungsdauer von Produkten und Materialien und der Einsatz von in Kreisläufen geführten Rohstoffen wie recycelte Rohstoffe oder Nebenprodukte leistet schon heute einen Beitrag zur Verringerung der Treibhausgasemissionen. Gleiches gilt für Rohstoffe aus Biomasse und perspektivisch auch für die Nutzung von weiteren alternativen Rohstoffen wie CO2. Maßnahmen zur zirkulären Wertschöpfung greifen dabei auf unterschiedlichen Stufen von Verarbeitungs-, Produktions-, Distributions-, Nutzungsund Verwertungsprozessen. So entfalten beispielsweise Wiederverwendung, Reparatur und Recycling jeweils Effekte zur Verringerung von Treibhausgasemissionen an verschiedenen Stellen des Wertschöpfungskreislaufs. Ein international einheitliches Verständnis dazu, wie solche Maßnahmen und Auswirkungen systematisch in die Klimabilanzen von Staaten und Unternehmen integriert werden können, besteht bisher allerdings nicht. Zudem werden in vielen Mitgliedstaaten der EU immer noch große Mengen an Siedlungsabfällen deponiert, die zuvor weder stofflich noch energetisch genutzt wurden. Damit bestehen weiterhin große Potenziale zur Einsparung von Treibhausgasemissionen durch die Abfallbehandlung gemäß der Abfallhierarchie und die Verringerung der Methan-Emissionen. Durch ein Ende der Deponierung von organischen Abfällen können gleichzeitig mehr Rohstoffe für den Kreislauf zurückgewonnen werden und mit der Nutzung des Energiegehaltes von nicht mehr recyclingfähigen Abfällen ein Baustein der lokalen Energieversorgung hinzugefügt werden.

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2.4 Zirkuläre Wertschöpfung im digitalen Wandel

Die digitale Durchdringung von Produktion, Produkten, und Dienstleistungen vollzieht sich weltweit. Die positive Verbindung von digitalen Technologien und die Nutzung von Daten mit der Fortentwicklung des zirkulären Wirtschaftens ist daher zwangsläufig, wenn der Industriestandort Europa im globalen Wettbewerb bestehen soll. Digitalisierung darf dabei nicht als parallele Entwicklung und Zusatz zur Circular Economy verstanden werden, sondern als deren integraler Bestandteil in allen Wertschöpfungsphasen. Damit ist neben der Dekarbonisierung auch die zweite große Transformationsaufgabe, die Digitalisierung, eng mit der Kreislaufwirtschaft verbunden.

In der europäischen Industrie gibt es noch viele „blind spots“:

▪ Was passiert mit einem Produkt über den gesamten Lebenszyklus?

▪ Wie sind Material- und Abfallströme zusammengesetzt?

▪ Welche Akteure außerhalb der vertikalen Integration sind potenzielle Handelspartner unter der neuen Art des Wirtschaftens?

▪ Wie viele Unternehmen – insbesondere KMU – brauchen noch Unterstützung bei der Digitalisierung ihrer produktbezogenen Daten?

▪ Wie kann die digitale Infrastruktur bei Behörden für einen verbesserten Vollzug aussehen?

Das sind grundlegende Fragen, für die digitale Technologien Lösungsgeber sind:

• Digitale Zwillinge, die Abfallströme mess- und steuerbar machen, und damit neue Möglichkeiten der Sortierung und des Recyclings schaffen.

• Handelsplattformen und AI gestützte Datenbanken, die Angebot und Nachfrage nach Produkten, Produktkomponenten und Rohstoffen der Circular Economy zusammenführen.

• Digitale Produktpässe (DPP), die Daten für die zirkuläre Wertschöpfung transparent und interoperabel machen und eine Vernetzung der am Kreislauf beteiligten Akteure (Unternehmen, Behörden, KonsumentInnen) ermöglichen.

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Im Rahmen des Green Deal wurde in zahlreichen kreislaufwirtschaftspolitischen Rechtsakten die Grundlagen zur Schaffung von DPPs gelegt. Als Rahmen gilt hierbei die Verankerung des DPP in der Ökodesign-Verordnung. Auf dieser Grundlage sollen zunächst eine technische Infrastruktur für DPPs entwickelt und dann produkt- bzw. materialspezifische Anforderungen zur dezentralen Speicherung von Informationen zu zirkulären Eigenschaften (Wiederverwendbarkeit, Reparierbarkeit, Recyclingfähigkeit etc.) erarbeitet werden. Die Arbeiten hierzu wurden im Rahmen der europäischen Normung (für die technische Infrastruktur) als auch zur Entwicklung inhaltlicher Anforderungen (z. B. für Batterien gemäß Batterieverordnung) bereits begonnen. In den kommenden Jahren wird es darauf ankommen, branchenübergreifend kompatible Infrastrukturen zum Datenaustausch zu etablieren und zielgerichtete Informationen auf Material- bzw. Produktebene zu aggregieren, die darüber hinaus anschlussfähig an Industrie 4.0 Applikationen sind. Neben allgemeinen regulatorischen Anforderungen zur Datentransparenz sollten ebenfalls Anreize geschaffen werden, neue und datengetriebenen Geschäftsmodelle in der EU zu entwickeln. Datenkreisläufe sollten stets so etabliert werden, dass sie für nachhaltige Wertschöpfung einsetzbar, Unternehmen gleichzeitig in sensiblen Bereichen geschützt werden und eine horizontale, d.h. industrieübergreifende und Unternehmensgrößen unabhängige Einbindung ermöglicht wird.

2.5 Governance und Stakeholdereinbindung für gute Regelsetzung

Die neue Rahmengesetzgebung für zirkuläre Wertschöpfung adressieren vornehmlich Produkteigenschaften und damit mittelbar auch die Produktion. Dabei rückt das Erfordernis in den Mittelpunkt, zukünftig einheitliche technische Kriterien für Produktgruppen bzw. Produkte zu definieren, deren Einhaltung dann über die Möglichkeit des Inverkehrbringens auf dem europäischen Binnenmarkt entscheiden. Damit einher geht die Erkenntnis, dass für zirkuläre Märkte ein gemeinsames Verständnis und Definitionen u.a. zur Berechnung von Recyclingfähigkeit und der Messbarkeit von Rezyklatanteilen, der Bilanzierung von Effekten für den Klimaschutz, zur digitalen Architektur und den Datentransfer für digitale Produktpässe oder die Berichterstattung von Kennzahlen zur zirkulären Performance von Unternehmen erforderlich ist.

Um diese marktbestimmenden Regeln zu definieren, sind in der Rahmengesetzgebung die Schaffung einer Vielzahl von delegierten- und Durchführungsrechtsakten angelegt. Zudem sollen über Normungsaufträge auf EU-Ebene Standardisierungen vorgenommen werden. Die Bewältigung dieser Aufgaben erscheint angesichts ihrer großen Bedeutung für das Gelingen der zirkulären Wertschöpfung, knapper personeller Ressourcen und der benötigten

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technischen Expertise zentral. Die Einbindung der betroffenen Stakeholder über transparente und schlanke Prozesse in die Gestaltung der Marktbedingungen für zirkuläre Produktion, Produkte und Dienstleistungen wird von 2024 bis 2029 darüber entscheiden, ob die mit der Transformation zur Circular Economy verbundenen Ziele der EU realisierbar sind. Gesetzgebung, Normung und Standardisierung müssen so ineinandergreifen, dass für Unternehmen Rechtssicherheit entsteht und gleichzeitig ausreichend Raum für die Entstehung und Gestaltung neuer Märkte gewährleistet wird.

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Impressum

Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI)

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T: +49 30 2028-0

Lobbyregisternummer: R000534

Redaktion

Dr. Claas Oehlmann

Geschäftsführer Circular Economy Initiative

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BDI Dokumentennummer: D1918

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