Europas Herausforderungen meistern – mit einer wettbewerbsfähigen Industrie

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GRUNDSATZPAPIER | EUROPAPOLITIK | 2024-2029

Europas Herausforderungen meistern – mit einer wettbewerbsfähigen Industrie BDI-Prioritäten für die europäische Legislaturperiode 2024-2029

Herbst 2023

Kernbotschaften Die EU muss sich in den nächsten fünf Jahren in einem Umfeld mit zunehmenden geopolitischen Verwerfungen und einem verschärften globalen Standortwettbewerb behaupten. Diese Herausforderungen kann Europa nur mit einer politischen Agenda meistern, die wirtschaftliche Stärke als notwendige Voraussetzung für Resilienz, Sicherheit, Digitalisierung sowie Klima- und Umweltschutz begreift. In der kommenden Legislaturperiode sollten die EU-Institutionen daher folgende Initiativen prioritär vorantreiben: Die EU muss ihre Wirtschaftsbeziehungen konsequent diversifizieren. Neben der Stärkung des regelbasierten multilateralen Handelssystems sind neue Freihandelsabkommen und andere Kooperationsformate auszubauen. Dabei gilt es, eine neue Balance zwischen Nachhaltigkeitsanforderungen und strategischen Wirtschaftsinteressen zu finden, um vor allem Entwicklungs- und Schwellenländern attraktive handels-, investitions- und rohstoffpolitische Angebote unterbreiten zu können. Europas Verteidigungsfähigkeit muss entschlossen gestärkt werden – durch mehr Geschwindigkeit bei der Produktion und eine gemeinsame Beschaffung von Verteidigungsgütern sowie einen verlässlichen Zugang zu Finanzmitteln für die Verteidigungsindustrie. Die EU muss den Europäischen Binnenmarkt im internationalen Standortwettbewerb stärken und wieder zu einer Top-Priorität machen. Neben dem Abbau nationaler Barrieren, der Umsetzung bestehender Regeln und der Verwirklichung der Banken- und Kapitalmarktunion muss insbesondere die europäische Energie- und Verkehrsinfrastruktur forciert auf- und ausgebaut werden. Ferner gilt es, den Bürokratieabbau entschlossen voranzutreiben: Die Unternehmen, insbesondere der Mittelstand, erwarten, einen Wettbewerbsfähigkeits-Check als integralen Bestandteil umfassender Folgenabschätzungen bei allen EU-Gesetzesinitiativen und eine wirksame One-in-One-out-Regel. Die EU sollte die Finanzierung strategischer Zukunftsinvestitionen für die grüne und digitale Transformation sowie Sicherheit und Verteidigung stärker unterstützen sowie Fördermaßnahmen beschleunigen und erleichtern. Um Europas Digitalisierungsrückstand aufzuholen, sollte die EU neue Technologien nicht umgehend regulatorisch adressieren, sondern dringend die gesellschaftliche Technologieoffenheit stärken, in


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Kompetenzen sowie Fachkräfteausbildung investieren, die Rahmenbedingungen für die Datennutzung in Europa verbessern und gezielt die Entwicklung neuer innovativer Technologien fördern. Die EU muss den Green Deal endlich industriepolitisch flankieren, um im globalen Wettlauf der grünen Zukunftstechnologien Anschluss zu halten. Entscheidend kommt es nun darauf an, Industrien bei der Transformation zu unterstützen, den Markthochlauf von Net-Zero-Technologien zu fördern, Genehmigungsverfahren systematisch zu beschleunigen, Zielkonflikte und regulatorische Widersprüche zu lösen und Fehlentwicklungen konsequent zu korrigieren. Ferner muss die EU international wettbewerbsfähige Strompreise gewährleisten und alles dafür tun, das Angebot auf dem Strommarkt zügig auszuweiten.

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Inhaltsverzeichnis Einleitung ............................................................................................................................................. 4 1.

Geopolitische Krisen abfedern .................................................................................................. 6

2.

EU-Binnenmarkt im verschärften globalen Standortwettbewerb stärken ........................... 12

3.

Finanzierung strategischer Zukunftsinvestitionen sicherstellen ......................................... 17

4.

Digitalisierungsrückstand aufholen und Innovationslücke schließen ................................ 20

5.

Grenzüberschreitende Gesundheitsrisiken effizient bewältigen ......................................... 24

6.

Klimawandel und Umweltrisiken mit technologischer Innovation begegnen .................... 27

7.

Energieknappheit und hohen Energiepreisen entgegentreten ............................................ 33

8.

Rohstoffabhängigkeit reduzieren – Engpässe und Preisexplosionen vermeiden ............. 36

Impressum ......................................................................................................................................... 39

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Einleitung Die Europäische Union gerät zunehmend unter Druck. Im internationalen Vergleich fällt Europa wirtschaftlich nicht nur gegenüber Wachstumsmärkten in Asien, sondern auch gegenüber den USA immer weiter zurück. Der russische Angriff auf die Ukraine hat außerdem gezeigt, dass Europa auf einen groß angelegten geopolitischen Konflikt nicht vorbereitet ist. Es bestehen erhebliche Defizite im Bereich der Sicherheit und Verteidigung und kritische Abhängigkeiten von Energie- und Rohstoffimporten aus geopolitisch risikoreichen Märkten. Doch ohne eine leistungsfähige Wirtschaft und eine verlässliche Versorgung Europas mit Energie und mineralischen Rohstoffen, welche die Industrie für zentrale Zukunftstechnologien benötigt, stehen die politischen Großprojekte – der Europäische Green Deal und die EU-Digitalstrategie – auf wackligen Füßen. Die anhaltende Wirtschaftskrise schwächt Europas politische Gestaltungskraft. Unternehmen, allen voran der Mittelstand, ächzen unter ständig wachsenden Kosten aufgrund überbordender regulatorischer Belastungen. Zudem sind infolge des russischen Überfalls auf die Ukraine die Energiekosten in Europa exorbitant gestiegen: ein signifikanter Wettbewerbsnachteil gerade für die energieintensiven Industrien, da außereuropäische Wettbewerber nicht mit vergleichbaren Kostensteigerungen konfrontiert sind. Es wächst die Gefahr, dass Investitionen am Standort Europa zurückgehen oder ganz ausbleiben und Wertschöpfungsverbünde verlorengehen, auf denen Resilienz und Wettbewerbsfähigkeit basieren. Seit 2019 verfolgt die EU mit dem Green Deal sehr ambitionierte klima-, sozial- und umweltpolitische Ziele. Wichtige wirtschaftspolitische Themen wie die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie, Freihandel, Europäischer Binnenmarkt, Bürokratieabbau, Finanzierung strategischer Zukunftsinvestitionen oder Innovation spielen hingegen nur eine untergeordnete Rolle. Zwar hat der verschärfte internationale Wettbewerb infolge des U.S. Inflation Reduction Act für eine gewisse wirtschaftspolitische Kurskorrektur in der EU gesorgt. Eine ambitionierte industriepolitische Strategie zur Flankierung des Green Deal steht jedoch weiterhin aus. Die EU-Institutionen werden von den deutschen Unternehmen zunehmend als wirtschaftsfern wahrgenommen. Es droht eine Entfremdung von Politik und Wirtschaft. Eine Abwendung der Wirtschaft von der europäischen Idee wäre jedoch fatal, denn Deutschland profitiert wie kaum ein anderes Land vom Europäischen Binnenmarkt. Zudem lassen sich die meisten großen Herausforderungen unserer Zeit – wie der systemische Wettbewerb mit Autokratien, Klimawandel oder Digitalisierung – nur europäisch, nicht nationalstaatlich und nur mit einer wettbewerbsfähigen und innovativen Industrie lösen. In der kommenden Legislaturperiode müssen die EU-Institutionen daher eine wirtschaftsfreundliche Agenda verfolgen, die Europas globale Wettbewerbsfähigkeit wieder in den Mittelpunkt der EU-Politik rückt. Denn nur mit einer Politik, die wirtschaftliche Stärke als notwendige Voraussetzung für Resilienz, Sicherheit, erfolgreiche Digitalisierung sowie Klima- und Umweltschutz begreift, kann Europa sich international behaupten und die Weltpolitik mitgestalten. In diesem Positionspapier hat der BDI acht zentrale industrierelevante Herausforderungen identifiziert, denen sich die EU in den nächsten fünf Jahren stellen muss: 1. Geopolitische Krisen abfedern 2. EU-Binnenmarkt im verschärften globalen Standortwettbewerb stärken 3. Finanzierung strategischer Zukunftsinvestitionen sicherstellen

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4. Digitalisierungsrückstand aufholen und Innovationslücke schließen 5. Grenzüberschreitende Gesundheitsrisiken effizient bewältigen 6. Klimawandel und Umweltrisiken mit technologischer Innovation begegnen 7. Energieknappheit und hohen Energiepreisen entgegentreten 8. Rohstoffabhängigkeit reduzieren – Engpässe und Preisexplosionen vermeiden Wir ziehen Bilanz der auslaufenden Legislaturperiode und geben Handlungsempfehlungen, wie die EU diese Herausforderungen erfolgreich meistern kann – mit und für eine wettbewerbsfähige Industrie.

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1. Geopolitische Krisen abfedern Die Globalisierung ist in eine neue Phase eingetreten. Diese ist gekennzeichnet von zunehmenden geopolitischen Verwerfungen und in der Folge einer noch stärkeren Lokalisierung der Produktion in allen wichtigen Märkten. Nicht nur europäische Firmen lokalisieren ihre Produktion, dies ist ein weltweiter Trend. Beschleunigt wurde diese Entwicklung durch den systemischen Wettbewerb mit China und durch die aus dem Angriff auf die Ukraine resultierenden Sanktionspakete gegen Russland. Das damit verbundene De-Risking rückt eine Diversifizierung von Wirtschaftsbeziehungen und Wertschöpfungsketten stärker in den Fokus. Die EU sollte einer Zerfaserung bewährter Bündnisse auf Basis des regelbasierten Welthandels zwischen Industriestaaten entgegenwirken. Nötig ist die Vollendung des EU-Binnenmarktes (vgl. Kapitel 2), eine aktivere EU-Nachbarschaftspolitik, ein umfassender Ausbau der Wirtschafts- und Transformationspartnerschaften mit Entwicklungs- und Schwellenländern im Nahen Osten und Afrika, den ASEAN-Ländern und anderen Regionen in Asien und Lateinamerika sowie eine engere strategische Abstimmung mit demokratischen Marktwirtschaften wie den USA, Japan, Südkorea, Australien und Kanada. Die USA bleiben dabei der wichtigste Wirtschafts- und Handelspartner der EU. Jedoch sehen die vorangegangene und auch die aktuelle US-Administration die Globalisierung der letzten Jahrzehnte kritisch und setzen zunehmend auf Industriepolitik mit Lokalisierungsanforderungen für öffentliche Aufträge, Infrastrukturprojekte oder auch Subventionen für grüne Technologien im Rahmen des Inflation Reduction Act (IRA). Zudem blockieren die USA nach wie vor die Neubenennung von Richterposten im Berufungsgremium des WTO-Streitschlichtungsmechanismus, dem Appellate Body. Die Biden-Administration strebt keine klassischen Freihandelsabkommen mit Zugeständnissen zum gegenseitigen Marktzugang an, sondern geht lediglich Verhandlungen über Frameworks wie den EU-US Trade and Technology Council (TTC, EU-US Handels- und Technologierat) ein. Ein transatlantisches Freihandelsabkommen ist in absehbarer Zeit somit nicht realistisch. Der russische Überfall auf die Ukraine hat die Grundlagen der europäischen Sicherheit radikal verändert – und er hat schonungslos offengelegt, dass Europa auf einen groß angelegten mit militärischen und nicht-militärischen Mitteln ausgetragenen Konflikt nicht vorbereitet ist. Dies gilt sowohl für die Abhängigkeit der EU von Energie- und Rohstoffimporten aus geopolitisch risikoreichen Märkten (vgl. Kapitel 7 und 8) und Europas unzureichende Cyberresilienz (vgl. Kapitel 4) als auch für die EU Defence Technological and Industrial Base (EDTIB, verteidigungsindustrielle Basis Europas), die jahrzehntelang unter der Zersplitterung der Nachfrage und unzureichenden Investitionen sowohl in Forschung und Entwicklung als auch in Beschaffungsprogramme gelitten hat. Technologische Spitzenleistungen sind vorhanden, aber nur in bestimmten Bereichen und in unterschiedlichem Maße – je nachdem wo und wie die Mitgliedstaaten und die Industrie investiert haben. Gleichzeitig hat die Planung in Friedenszeiten zu einer Verringerung der industriellen Produktionskapazitäten entlang der gesamten Lieferkette geführt und die Fähigkeit eingeschränkt, mit hohem Tempo oder in großen Mengen zu liefern. In den kommenden Jahren wird die europäische Verteidigungsindustrie demzufolge vor drei großen Herausforderungen stehen: Sie muss die Streitkräfte der Mitgliedstaaten rechtzeitig für das neue strategische Umfeld ausrüsten, die Mitgliedstaaten in die Lage versetzen, der Ukraine kontinuierliche militärische Hilfe zu leisten sowie andere strategische Partner bei Bedarf zu unterstützen, und kontinuierlich in Forschung und technologische Weiterentwicklung investieren. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat auch die strategische Bedeutung des Weltraums verdeutlicht. Raumfahrtgestützte Infrastrukturen und Anwendungen sind die Basis moderner Informationsgesellschaften. Entsprechend groß sind die Chancen, aber auch Verwundbarkeiten. Europa hat

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seinen souveränen Zugang ins All, der elementar für die außen- und sicherheitspolitische Urteils- und Handlungsfähigkeit von Regierungen ist, vorübergehend verloren. Sollte Russland europäische Satelliten hacken, stören oder gar abschießen, ist ein kurz- oder mittelfristiger Start von Ersatzsystemen nicht möglich. Aufgrund der zunehmenden Verzahnung von Raumfahrt und anderen Industriezweigen hat dies Auswirkungen auf Zukunftstechnologien wie Industrie 4.0, IoT und Autonomes Fahren.

Beiträge zum weltweiten BIP-Wachstum; die EU im weltweiten Vergleich mit China und den USA Seit 1980* 1,5

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0,5

0 1980-1989

1990-1999

2000-2009 EU-27

USA

2010-2019

2020-2024

China

*Ab 2019 Prognosewert. Quelle: IWF WEO Oktober 2019; Statistisches Landesamt Baden-Württemberg.

Im Laufe der Jahre trägt die EU immer weniger zum Wirtschaftswachstum weltweit bei. Nur eine wettbewerbsfähige EU kann in Zukunft noch mit den anderen Regionen in der Welt wirtschaftlich mithalten und europäische Werte und Interessen auf der Weltbühne verteidigen. Deswegen muss die EU auf neue Partner zugehen und auch intern Reformen anstoßen.

Bilanz der Legislaturperiode 2019-2024 Positivbeispiele ▪

Die EU konnte wichtige Fortschritte bei einigen Free Trade Agreements (FTAs, Freihandelsabkommen) erzielen. Neue FTAs mit Singapur und Vietnam sind in Kraft. Weitere Verhandlungen wurden abgeschlossen (Neuseeland und Chile) beziehungsweise stehen vor dem Abschluss (Australien). Die Verhandlungen über das modernisierte EU-Mexiko-Abkommen wurden abgeschlossen und die Ratifizierung wird vorbereitet. Zudem haben sich die EU und Kenia auf ein

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Wirtschaftspartnerabkommen geeinigt. Die Verhandlungen über Handelsabkommen mit den Schwellen- und Entwicklungsländern wie Mercosur-Staaten, Indonesien oder Indien kommen hingegen aufgrund von Differenzen zu Nachhaltigkeitsfragen nicht voran. ▪

Nach Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine hat die EU insgesamt konsequent und gemeinschaftlich gehandelt. Dies bezieht sich sowohl auf die administrative, materielle und finanzielle Unterstützung der Ukraine und die Betreuung ukrainischer Flüchtlinge als auch auf die verschiedenen Sanktionspakete gegen Russland. Der Schutz des Völkerrechts gegenüber Russland sichert gleichzeitig die Grundlagen für internationale Wirtschaftsbeziehungen und ist daher prioritär für die Industrie in Europa.

Negativbeispiele ▪

Angesichts der vielfältigen geopolitischen und geoökonomischen Verwerfungen braucht Europa eine positive Handelsagenda, welche die richtige Balance aus Handelsschutzmaßnahmen und dem Öffnen neuer Bezugs- und Zielmärkte findet. Die kürzlich veröffentlichte European Economic Security Strategy (Europäische Strategie für Wirtschaftsschutz) bleibt hinter diesem Anspruch zurück. Eine zukunftsgerichtete Wirtschaftspolitik muss integraler Bestandteil der Strategie für Wirtschaftsschutz sein und Gründe für vertiefte Wirtschaftsbeziehungen mit alten und neuen Partnern liefern.

Der EU ist es bisher nicht gelungen, das Potenzial von Global Gateway als zentrales Instrument für Diversifizierung und neue strategische Partnerschaften auszuschöpfen. Zwar waren die Vorstellung erster Leuchtturm-Projekte und die Aussicht auf Garantien und Absicherungen mit einem Gesamtvolumen von bis zu 300 Milliarden Euro bis 2027 wichtige Schritte. Die Realisierung konkreter Projekte kommt jedoch kaum voran. Viel zu häufig mangelt es an der Kommunikation verfügbarer Plattformen und präzisen Projektvorgaben.

Die sicherheits- und verteidigungspolitischen Maßnahmen für eine stärkere Rolle Europas in der Welt wie die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit (SSZ) oder der Europäische Verteidigungsfonds (EVF) bleiben bisweilen hinter den Erwartungen zurück. Die Zielerreichung wird durch schwerfällige Prozesse und Entscheidungen nach politischen Opportunitäten erschwert. Diese Fehler dürfen sich bei den anstehenden Vorhaben wie dem European defence industry reinforcement through common procurement act (EDIRPA, Instrument zur Stärkung der Europäischen Verteidigungsindustrie durch Gemeinsame Beschaffung), dem Act in Support of Ammunition Production (ASAP, Verordnung zur Förderung der Munitionsproduktion) oder einem geplanten European Defence Investment Programme (EDIP, Europäisches Verteidigungsinvestitionsprogramm) nicht wiederholen.

Handlungsempfehlungen für die Legislaturperiode 2024-2029 EU-Außenwirtschaftspolitik ▪

Neue Balance zwischen Nachhaltigkeitsanforderungen und strategischen Wirtschaftsinteressen bei FTA-Verhandlungen finden: Um die Diversifizierung von Lieferketten zu unterstützen, sollte die EU mehr Impulse für dynamische Wirtschaftsbeziehungen mit Entwicklungs- und Schwellenländern auf Augenhöhe setzen. Vorrangig sollte die EU im Rahmen von FTA-Verhandlungen pragmatische und innovative Lösungen für das Erreichen ihrer hohen Ziele in Bereichen wie Umwelt, Menschenrechte und Arbeitsstandards finden. So bleibt die EU mit Partnern wie den Mercosur-Staaten, Indien oder Indonesien abschlussfähig.

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Neue Initiativen für Handel und Investitionen starten: Nachdem der regelbasierte Handel im Rahmen der WTO ins Stocken geraten ist, sollte die EU eine Führungsrolle zur Stärkung des multilateralen Handelssystems übernehmen. Der von der Gruppe der Business7 (B7) unter japanischer Präsidentschaft vorgeschlagene „Club für freien und fairen Handel und Investitionen“, in dessen Mittelpunkt die G7-Mitglieder und die EU stehen, könnte als Blaupause dienen, um einen hochrangigen Rahmen für Handel und Investitionen zu schaffen. Der „Club“ sollte allen Ländern und Regionen offenstehen, die sich verpflichten, innerhalb eines bestimmten Zeitraums bestimmte Kriterien zu erfüllen. Im Gegenzug wird jedes Clubmitglied ermutigt, den anderen Mitgliedern so weit wie möglich Inländerbehandlung zu gewähren. Das strategische Ziel eines solchen Clubs sollte sein, ein attraktives handels- und investitionspolitisches Angebot besonders an all jene Staaten zu machen, die außerhalb der G7-Gruppe wichtige Partner werden könnten. Diversifizierung und regelbasierter Handel benötigen ein kraftvolles Signal für gemeinsames, nachhaltiges und globales Wachstum. Daher ist es entscheidend, dass sich Europa mit Nachdruck um Schwellenund Entwicklungsstaaten bemüht.

Projekte im Rahmen von Global Gateway schneller umsetzen: Der angekündigte Business Advisory Council sollte sich für eine bessere finanzielle Ausstattung von Global Gateway einsetzen. Gerade im Hinblick auf Migration sollten Nordafrika und die Levante-Region viel mehr durch grüne Transformations- und Digitalisierungsprojekte wirtschaftlich gestärkt und miteinander verknüpft werden. Zudem sollten Lateinamerika und die Karibik stärker in die Vergabe von Infrastrukturprojekten einbezogen werden.

EU-US TTC gegenüber politischen Veränderungen absichern: Die EU sollte sich dafür einsetzen, dass der TTC mehr konkrete Ergebnisse erzielt, beispielsweise die Entwicklung gemeinsamer Standards für neue Technologien oder auch den Abschluss weiterer Abkommen zur gegenseitigen Anerkennung von Konformitätsbewertungen. Dies ist nicht nur wichtig, um das Interesse aller beteiligten Akteure zu wahren, sondern primär, um den TTC so weit wie möglich gegenüber politischen Veränderungen auf beiden Seiten des Atlantiks abzusichern.

Europäische Einheit zum Umgang mit China vorantreiben: Die China-Strategie der Bundesregierung hat den europäischen Konsens zur Rolle als Kooperationspartner, Wettbewerber und Systemrivale bekräftigt und bestätigt, dass für Deutschland der gemeinsame europäische Umgang mit China entscheidend ist. Die Europäische Kommission muss sich verstärkt für eine einheitliche europäische Chinapolitik und die engere Abstimmung der Mitgliedstaaten zu China-relevanten Bereichen einsetzen, um die EU zukunfts- und wettbewerbsfähig aufzustellen.

Der gestiegenen geostrategischen Bedeutung Afrikas gerecht werden: Eine enge Zusammenarbeit zwischen Europa und Afrika ist für die deutsche und europäische Industrie von strategischer Bedeutung. Es gilt, auf den globalen Märkten stark zu sein und einseitigen Abhängigkeiten durch eine breite Diversifizierung entgegenzuwirken. Die EU sollte die African Continental Free Trade Area stärken. Europa sollte zudem sehr zügig nachhaltige Rohstoffallianzen mit afrikanischen Partnern schmieden. Ferner gilt es, Afrikas große Potenziale bei der Produktion von grünem Wasserstoff auszuschöpfen – zum beiderseitigen Nutzen. Europäische Unternehmen sind als Technologieführer in etlichen Bereichen der Wasserstoff-Wertschöpfungskette gut positioniert. Afrikanische Länder können dadurch für ihre eigene Industrialisierung profitieren. Schließlich sollten Europa und Afrika Zukunftstrends in der Industrie wie die Raumfahrt für eine Entwicklungspolitik nutzen, die mehr auf Innovation und Marktwirtschaft setzt.

Führungsrolle beim Wiederaufbau der Ukraine übernehmen: Die Stabilisierung der Ukraine ist entscheidend für die Sicherheit und Glaubwürdigkeit der EU. Beim Wiederaufbau des Landes muss die EU eine klare Führungsrolle übernehmen, auch mit Blick auf mögliche politische

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Veränderungen in den USA. Gestärkt werden müssen die Rechtssicherheit im Land genauso wie Instrumente zur Einbindung und Aktivierung privaten Kapitals. Die Einrichtung eines Business Advisory Council (BAC) unter Beteiligung von europäischen Wirtschaftsverbänden und Unternehmen, über den ein strukturierter Austausch von Politik und Wirtschaft stattfinden könnte, ist entscheidend für einen erfolgreichen Wiederaufbauprozess. ▪

Weder business as usual noch alle Brücken nach Russland abreißen: An eine Normalisierung der Beziehungen zu Russland ist derzeit nicht zu denken. In Bereichen, in denen Abhängigkeiten von Russland fortbestehen, sollte die EU entschieden in alternative Bezugsquellen investieren. Gleichzeitig sollte die EU den Dialog mit der europäisch-orientierten, russischen Opposition aktiver führen und stärker kommunizieren, dass ein demokratisches Russland wieder Teil der europäischen Familie sein kann. Bestehende Kontakte insbesondere in Wirtschaftssektoren, bei denen die EU weiterhin an Kooperationen in Russland interessiert ist (z.B. Klimaschutz, Landwirtschaft), können unter Einhaltung aller Sanktionen erhalten bleiben. Eine Diskriminierung von europäischen Unternehmen, die unter Einhaltung aller bestehenden Sanktionen noch in Russland tätig sind, darf es nicht geben. Es liegt nicht im Interesse der EU, dass alle Positionen in der russischen Wirtschaft durch Investoren aus Ländern besetzt werden, welche die Werte der EU nicht teilen. Unternehmen, die sich hingegen zum Rückzug aus Russland entscheiden, sollten ohne Einschränkung Zugang zu Beratungsmöglichkeiten erhalten.

Effizientere EU-Strukturen für Sanktionen schaffen: Die EU-Sanktionspakete gegen Russland haben gezeigt, dass die EU eine effizientere Struktur ähnlich dem US-amerikanischen Office of Foreign Assets Control braucht, um die einheitliche Anwendung des EU-Sanktionsrechts und die schnelle Klärung offener Fragen zu gewährleisten.

EU-Nachbarschaftspolitik aktiver vorantreiben: Eine erfolgreiche EU-Nachbarschaftspolitik ist ein Schlüsselfaktor für Frieden und wirtschaftliche Prosperität in Europa und geopolitische Stabilität. Deshalb ist es von fundamentaler Bedeutung, dass die EU in die Beziehungen beispielsweise zu ihren östlichen Nachbarn investiert (z.B. Investitionen im Rahmen von Global Gateway) sowie die Anreize zur Übernahme von EU-Standards und der Regeln des EU-Binnenmarkts verstärkt.

EU-Sicherheits- und Verteidigungspolitik ▪

Geschwindigkeit bei der Produktion von Verteidigungsgütern steigern: Von der Planung und Beschaffung bis hin zur Produktion – die meisten Prozesse in Europa laufen weiterhin im Friedensmodus. Für alle dringend benötigten Verteidigungsgüter müssen die administrativen Prozesse auf allen Ebenen sowohl für die Vergabe als auch für die Ausführung von Aufträgen rigoros beschleunigt werden – bis hin zu Anträgen für Planung, Bau und Betrieb von Anlagen.

Zugang zu Finanzmitteln für die Verteidigungsindustrie sicherstellen: Der Zugang zu Finanzmitteln ist für den Produktionshochlauf beziehungsweise wirtschaftliche Tätigkeit allgemein unverzichtbar – insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) entlang der Lieferkette. Die Mitgliedstaaten sollten den Zugang zu Finanzmitteln für die Verteidigungsindustrie über ihre nationalen Förderbanken sicherstellen und der Europäischen Investitionsbank (EIB) die Finanzierung der wichtigsten Verteidigungsaktivitäten ermöglichen. Zudem sollte die EU eine deutliche politische Botschaft an die Finanzmarktakteure senden, dass Sicherheit – und somit auch die Verteidigungsfähigkeit – Voraussetzung für Nachhaltigkeit und damit ESG-konform ist.

Gemeinsame Beschaffung von Verteidigungsgütern im Austausch mit der Industrie anschieben: Angesichts der Unwägbarkeiten des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine und der Ausrüstungsdefizite der Mitgliedstaaten sollte zügig geprüft und entschieden werden, ob ein

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ähnlich gelagerter Ansatz wie bei der gemeinsamen Beschaffung von Munition für die Ukraine durch die EU auch für andere Verteidigungsgüter gewählt werden könnte – und wenn ja, für welche. Eine frühzeitige Ausarbeitung, Kommunikation und der Abgleich von Beschaffungsplänen sowie ein darauf basierender Austausch mit Unternehmen zu Bedarfsvorstellungen (vor Beginn der Ausschreibungsprozesse) sind unerlässlich, um die Produktionsvorlaufzeiten zu verkürzen. ▪

Bedarf an Fähigkeiten besser in Beschaffungsprojekte umsetzen: Die Koordinierung der EUInstrumente, der Fähigkeitsplanungsprozesse von EU und NATO sowie der Planungsprozesse der Mitgliedstaaten muss verbessert werden. Dies betrifft vornehmlich die Vorschläge hinsichtlich gemeinsamer Verteidigungsplanung, -programme und -beschaffung.

EU-Investitionen in Verteidigung steigern: Um zielgerichtete Investitionen in militärische und technologische Fähigkeiten zu gewährleisten, sollte die EU die Haushaltslinie für Sicherheit und Verteidigung im Mehrjährigen EU-Finanzrahmen (MFR) verstetigen – angefangen mit der laufenden MFR-Halbzeitüberprüfung. Die EU sollte auf die Förderung gemeinsamer Beschaffungen setzen, um die derzeitige Nachfrage erfolgreich zu bewältigen und die Harmonisierung der Nachfrage in Europa zu fördern.

EU-Raumfahrtpolitik ▪

EU-Raumfahrtpolitik ambitionierter, mutiger und schneller gestalten: Die EU sollte primär als Ankerkunde auftreten und direkt Aufträge an die Raumfahrtunternehmen vergeben. Dazu gehört die stärkere Einbindung der Industrie entlang der gesamten Wertschöpfungskette – von Systemhäusern, über Mid-Caps und KMU bis hin zu Start-ups. Insbesondere der Zugang von NewSpace-Unternehmen, vor allem KMU und Start-ups, zu EU-Programmen muss erleichtert werden, um Innovationen zu befördern und mehr Wettbewerb zu ermöglichen.

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2. EU-Binnenmarkt im verschärften globalen Standortwettbewerb stärken Der EU-Binnenmarkt droht im internationalen Standortwettbewerb weiter zurückzufallen. Auch drei Jahrzehnte nach seinem Inkrafttreten bleibt der Binnenmarkt ein Flickenteppich. Dies gilt sowohl für den klassischen Binnenmarkt (Waren und Dienstleistungen) als auch für andere Bereiche (z. B. Digitales (vgl. Kapitel 4) und Energie (vgl. Kapitel 7)). Unternehmen, allen voran Start-Ups, KMU und MidCap Unternehmen, können aufgrund einer Vielzahl von Barrieren nur schwer grenzüberschreitend expandieren und wachsen. Dabei stärken gerade ausdifferenzierte Branchen- und Unternehmensstrukturen die Resilienz von Deutschland und Europa im weltweiten Wettbewerb und sind ein Garant für dynamische Wettbewerbsvorteile der Industrie. Unternehmerische Ökosysteme, Cluster und Netzwerkstrukturen, die steter Überprüfung und dynamischer Veränderung standhalten, haben eine besondere Bedeutung, um Kompetenzbündel und Synergien – und damit Wettbewerbsvorsprünge – entwickeln zu können. Allerdings denken immer mehr eigentlich standorttreue Unternehmen aller Größen, Branchen und Regionen über Verlagerungen nach oder sind schon aktiv dabei. Es wächst die Gefahr, dass die wirtschaftlichen Ökosysteme und Strukturen zerfasern, dass Investitionen am Standort ausdünnen oder ganz ausbleiben und dass mit der Erosion ausdifferenzierter Unternehmensstrukturen auch leistungsfähige Wertschöpfungsverbünde verlorengehen, auf denen Resilienz und Wettbewerbsfähigkeit basiert. Ohnehin fehlt es noch viel zu häufig an einer europaweit leistungsfähigen Infrastruktur, um die flächig verteilten Wertschöpfungszentren im EU-Binnenmarkt effizient zu verbinden. Vielmehr überzieht die EU die Unternehmen mit einer Flut teilweise schlecht formulierter Rechtsvorschriften, die erhebliche administrative Belastungen mit sich bringen. Nicht zuletzt das Steuerrecht legt die Defizite des Binnenmarkts offen. In der EU operieren Unternehmen weiterhin in 27 unterschiedlichen Körperschaftsteuersystemen. Zudem sehen sie sich mit überbordendem Verwaltungsaufwand aus einem nicht mehr zu durchdringendem Dickicht aus sich überlagernden, unscharf ausgestalteten steuerrechtlichen Anti-Missbrauchsbestimmungen und Berichtspflichten konfrontiert. Schließlich kommt es im Standortwettbewerb mit den USA und China nicht nur auf ein investitionsfreundliches Steuerrecht, sondern auch auf ein zukunftsfähiges Wettbewerbsrecht an. Klare Wettbewerbsregeln und eine effektive Kontrolle durch die europäischen und nationalen Wettbewerbsbehörden sind wichtig. Gleichzeitig darf das europäische Wettbewerbsrecht nicht dazu führen, dass europäische Unternehmen im globalen Wettbewerb unverhältnismäßig benachteiligt werden. Es muss einen rechtssicheren Rahmen für die grüne und digitale Transformation vorgeben.

Wachstumspotenzial des Binnenmarkts

Quelle: Europäische Kommission.

Schätzungen der Europäischen Kommission zufolge könnte sich der finanzielle Nutzen, der mit dem Abbau nationaler Barrieren für Waren und Dienstleistungen im EU-Binnenmarkt verbunden ist, bis Ende 2029 auf 713 Milliarden Euro belaufen.

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Bilanz der Legislaturperiode 2019-2024 Positivbeispiele ▪

Die Europäische Kommission hat sinnvolle Initiativen gesetzt, um besser Recht zu setzen und regulatorische Belastungen abzubauen – u. a. die Einführung des One-in-one-out-Prinzips für alle neuen regulatorischen Initiativen, die Einführung eines Wettbewerbsfähigkeits-Checks in der Gesetzgebung oder die Ankündigung, in EU-Recht geregelte Berichtspflichten um 25 Prozent zu verringern. Konkrete Resultate lassen jedoch auf sich warten.

Die Überarbeitung der kartellrechtlichen Gruppenfreistellungsverordnungen war ein wichtiger Schritt, um das Wettbewerbsrecht zu modernisieren – u. a. in Bezug auf Vorgaben für Unternehmenskooperationen im Bereich Nachhaltigkeit. Bei der Betrachtung von Effizienz- und Verbrauchervorteilen besteht jedoch noch Rechtsunsicherheit, die einen chilling effect auf private Nachhaltigkeitsinitiativen haben könnte.

Negativbeispiele ▪

Der Europäischen Kommission ist es nicht gelungen, bedeutungsvolle Impulse für die Vertiefung des Binnenmarkts zu setzen. Folglich sind beispielsweise 60 Prozent der Barrieren für die grenzüberschreitende Erbringung von Dienstleistungen dieselben wie vor 20 Jahren: regulatorische Divergenz, hoher Verwaltungsaufwand, fehlender Zugang zu Information bis hin zu Marktabschottung.

Die EU-Institutionen haben in bisher ungekannt rascher Abfolge Richtlinien zur Bekämpfung von „schädlichem“ Steuerwettbewerb und Gewinnverlagerung in Niedrigsteuerländer verabschiedet. Es blieb keine Zeit, die einzelnen Maßnahmen einheitlich umzusetzen, wirken zu lassen und einer Evaluation zu unterziehen, bevor weitere Rechtsakte auf den Weg gebracht wurden. Hinzu kommt eine häufig nicht einheitliche nationalstaatliche Umsetzung europäischer Vorgaben im Steuerrecht. Dies führt zu steuerlichen Hemmnissen, die grenzüberschreitende Wirtschaftstätigkeit erschweren.

Handlungsempfehlungen für die Legislaturperiode 2024-2029 Europäischer Binnenmarkt ▪

Vertiefung des Binnenmarktes zur politischen Top-Priorität der EU machen: Die Vollendung des EU-Binnenmarktes in allen Bereichen muss wieder zu einem zentralen Zukunftsprojekt der EU werden. Dazu gehören auch Anpassungen in der Struktur und Arbeitsweise der Europäischen Kommission, insbesondere eine bessere Koordinierung.

EU-Gesetzgebung binnenmarktfreundlich ausrichten: In der EU-Gesetzgebung sollte als goldene Regel gelten, dass jede neue Regulierung grenzüberschreitende unternehmerische Tätigkeit befördern muss.

Nationale Märkte europäisieren: Die EU-Mitgliedstaaten müssen ihre nationalen Märkte rasch entlang der länderspezifischen Empfehlungen der Europäischen Kommission öffnen. Nationale Befindlichkeiten dürfen nicht länger als Vorwand dienen, um die Vertiefung des Binnenmarkts zu blockieren. Die EU-Mitgliedstaaten sollten EU-Recht immer 1:1 umsetzen.

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Mangelhafte Umsetzung von EU-Recht stärker ahnden: Die Europäische Kommission muss stärker gegen mangelhafte Umsetzung von EU-Recht in den EU-Mitgliedstaaten vorgehen. Politische Erwägungen sollten dabei keine Rolle spielen. Zur Bekämpfung von EU-Rechtsverstößen sollte die Europäische Kommission Vertragsverletzungsverfahren konsequenter nutzen.

Verbindungen der Industrie zur Dienstleistungswirtschaft Rechnung tragen: Die EU-Mitgliedstaaten sind aufgefordert, die EU-Dienstleistungsrichtlinie endlich vollständig umzusetzen. Ferner sollte die EU das Notifizierungsverfahren für dienstleistungsbezogene Maßnahmen reformieren und die Anwendung des Proportionalitätstests stärken. Die EU muss die grenzüberschreitende Entsendung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erleichtern.

Geltungsbereich von Binnenmarktregelungen nicht reduzieren: Teils geäußerte Forderungen nach Erhöhung der Schwellenwerte der EU-Richtlinien für öffentliche Aufträge sind abzulehnen, da sie zum Rückbau von Marktöffnung, Transparenz, und nötigem effektiven Vergaberechtsschutz führen würden. Gleiches gilt auch für Forderungen nach erweiterten Ausnahmen und Reduzierung des Vergaberechtsschutzes.

New Legislative Framework (NLF) konsistent anwenden: Dank des NLF können Produkte in ganz Europa frei vermarktet werden. Allerdings führt die mangelnde und inkonsistente Anwendung des NLF oft zu einer fehlenden Kohärenz zusammenhängender Rechtsvorschriften. Daraus ergeben sich negative Auswirkungen auf die Chancen der Industrie, Produkte auf dem Europäischen Binnenmarkt in Verkehr zu bringen und zu vermarkten. Nur eine Implementierung und konsistente Anwendung garantieren einen funktionsfähigen, modernen und wettbewerbsfähigen Binnenmarkt.

Bessere Rechtsetzung und Bürokratieabbau ▪

Evidenz-basierte Rechtsetzung sicherstellen: Jede Gesetzesinitiative muss von einer umfassenden Folgenabschätzung begleitet werden, die potenzielle wirtschaftliche, ökologische und soziale Auswirkungen gleichberechtigt untersucht und Handlungsoptionen neutral und faktenbasiert prüft.

Stakeholder-Positionen besser beachten: Relevante und repräsentative Interessengruppen müssen ausreichend Gelegenheit erhalten, sich sowohl bei der Ausarbeitung als auch bei der nachträglichen Überprüfung von Rechtsetzungsinitiativen sinnvoll einzubringen.

Wettbewerbsfähigkeits-Check einführen: Die von der Europäischen Kommission angekündigte Prüfung der Wettbewerbsfähigkeit in der EU-Gesetzgebung muss integraler Bestandteil jeder Folgenabschätzung werden. Sie muss über einzelne Legislativvorschläge hinaus auf allen Ebenen der EU-Politikgestaltung angewandt werden und die kumulativen Auswirkungen verschiedener Politiken und Regulierungsmaßnahmen auf die Wettbewerbsfähigkeit der EU erfassen.

Bessere Rechtsetzung im gesamten Politikzyklus sicherstellen: Das Europäische Parlament und der Rat sollten ergänzende Folgenabschätzungen zu ihren inhaltlichen Änderungen an Kommissionsvorschlägen durchführen. Außerdem müssen die EU-Institutionen die Transparenz bei den so genannten Trilog-Verhandlungen dringend verbessern.

Delegierte Rechtsakte stärker kontrollieren: Bei der Ausarbeitung delegierter Rechtsakte sollten die Gesetzgeber den Umfang und die Bedingungen der an die Europäische Kommission übertragenen Befugnisse im Basisrechtsakt besser definieren.

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One-in-one-out-Regel effektiv umsetzen: Die One-in-one-out-Regel (OIOO) ist ein positiver Schritt, reicht aber nicht aus, um die ständig wachsenden Kosten und Belastungen für die Unternehmen zu bewältigen. OIOO sollte nicht nur die Verwaltungskosten, sondern auch den Erfüllungsaufwand ausgleichen.

EU-Mittelstandspolitik ▪

Think Mittelstand first verankern: Mittelstand und Familienunternehmen gilt es, operativ – hinsichtlich bürokratischer Entlastung und gezielter Förderung – wieder fest auf der EU-Agenda zu verankern. Dazu gehören weniger Bürokratie sowie eine bessere Abstimmung zumindest der EUStrategien für Industrie, Außenhandel, KMU und Green Deal in der Umsetzung.

Finanzielle Förderung sichern: Der Mehrjährigen EU-Finanzrahmen (MFR) sollte auf Maßnahmen zur Stärkung der unternehmerischen Wettbewerbsfähigkeit setzen. Ein Ziel muss bleiben, dem Mittelstand bürokratiearmen Zugang zu EU-Förderprogrammen zu ermöglichen.

Zielgruppe klar adressieren: Für gezielte Politik sollten die finanziellen Schwellenwerte der KMUDefinition angesichts dramatischer Preisentwicklungen angepasst sowie „Mid-Cap“ Unternehmen als eigene Kategorie ergänzend zu KMU etabliert werden. Operativ wäre hilfreich, die Rolle des SME-envoy in der Europäischen Kommission überzeugend zu besetzen und über die Dienste hinweg wirkungsvoll einzusetzen.

EU-Wettbewerbspolitik ▪

Neue geo- und handelspolitische Gegebenheiten bei Marktanalyse berücksichtigen: Die Europäische Kommission sollte bei ihrer wettbewerbsrechtlichen Marktanalyse eine vorausschauende zukunftsgerichtete Betrachtung vornehmen und die globale Wettbewerbssituation, die dynamische Marktentwicklung und den zu erwartenden potenziellen Wettbewerbseintritt anderer Unternehmen bei der Marktabgrenzung stärker einbeziehen.

Auf neue Durchsetzungsinstrumente verzichten: Es bestehen keine strukturellen Wettbewerbsprobleme oder Rechtslücken, die es rechtfertigen würden, neue Durchsetzungsinstrumente für die Europäische Kommission zu schaffen – etwa durch eine Wiederbelebung der Diskussionen zum sogenannten New Competition Tool.

Kartell- und Fusionskontrollverfahren verhältnismäßig und rechtssicher ausgestalten: Der mit einem Auskunftsverlangen der Europäischen Kommission verbundene Verwaltungsaufwand für Unternehmen in fusions- oder kartellrechtlichen Verfahren ist beträchtlich, sodass Auskunftsverlangen stets dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen sollten. Die angekündigte Überarbeitung der kartellrechtlichen Verfahrensverordnung darf nicht zu Lasten der Verteidigungsrechte der Unternehmen erfolgen. Bei geplanten Zusammenschlüssen müssen Unternehmen rechtssicher vorhersehen können, ob die Europäische Kommission den Fall prüfen wird.

International Procurement Instrument und Foreign Subsidies Instrument pragmatisch umsetzen: Die EU muss die europäische Industrie gegen Wettbewerbsverzerrungen durch Abschottungen von Vergabemärkten in Drittändern sowie durch ungerechtfertigte Subventionen von Drittländern bei Aktivitäten im Binnenmarkt schützen. Eine wichtige Rolle können insoweit neue EUInstrumente wie das International Procurement Instrument (IPI, internationales Beschaffungsinstrument) sowie das Foreign Subsidies Instrument (FSI, Instrument zur Bekämpfung wettbewerbsverzerrender Drittstaatssubventionen) spielen. Dabei muss allerdings darauf geachtet werden, dass bei der Anwendung dieser Instrumente ein zu hoher bürokratischer Aufwand vermieden wird.

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EU-Steuerpolitik ▪

Steuerliche Compliance-Pflichten evaluieren: Die EU hat zahlreiche neue steuerrechtliche Compliance-Pflichten für Unternehmen geschaffen, die zu einer enormen administrativen Belastung führen und dringend evaluiert, vereinheitlicht und abgebaut werden sollten.

Gesamtkonzept für eine wachstumsfreundliche Unternehmensbesteuerung entwickeln: Die EU sollte das Inkrafttreten der globalen Mindeststeuer ab dem 1. Januar 2024 zum Anlass nehmen, um ein Gesamtkonzept für die Unternehmensbesteuerung zu erarbeiten, bestehende AntiMissbrauchsbestimmungen zu evaluieren und unnötige Bestimmungen zu streichen. Um grenzüberschreitendes Wirtschaften zu erleichtern, müssen steuerrechtliche Vereinfachungen stärker als bisher in den Blick genommen werden. Dies gilt insbesondere auch für den am 12. September 2023 vorgelegten Richtlinienvorschlag zur Einführung eines EU-weiten, gemeinsamen Körperschaftsteuersystems (BEFIT, Business in Europe: Framework for Income Taxation). Die mit dem Vorschlag vorgesehene Möglichkeit zum grenzüberschreitenden Verlustausgleich wäre ein wichtiges Element, um Wirtschaftstätigkeit über Grenzen hinweg und damit Wachstum und Beschäftigung in Europa zu fördern. Angesichts des hochkomplexen europäischen Steuerrechts muss die BEFIT-Initiative jedoch zwingend vereinfacht und mit der globalen Mindeststeuer und nationalstaatlichen Sonderregelungen wie der deutschen Gewerbesteuer in Einklang gebracht werden, um Inkonsistenzen und neue Komplexitäten zu vermeiden. Der BDI lehnt zudem eine verbindliche Einführung von BEFIT ab.

Grenzüberschreitendes mobiles Arbeiten rechtssicher regeln: Die EU sollte im Einklang mit internationalen Partnern wie der OECD an rechtssicheren Regelungen arbeiten, um die steuerrechtlichen Fragen von mobilem Arbeiten im grenzüberschreitenden Kontext für Unternehmen und Beschäftigte zu lösen.

Verkehrsinfrastruktur ▪

KV- Richtlinie ambitioniert überarbeiten: Die EU-Institutionen sollten die Vorschriften der Richtlinie zur Förderung von Investitionen in Umschlaganlagen des Kombinierten Verkehrs (KV) klarer fassen, um nationale Sonderwege zu vermeiden. Mehr Harmonisierung darf jedoch nicht zu Lasten ambitionierter Vorschriften gehen: Die Privilegien beziehungsweise die Attraktivität des KV dürfen keinen Schaden nehmen.

Europäische Mobilitätsstrategie für die Schiene mit Leben füllen: Die Industrie unterstützt das in der europäischen Mobilitätsstrategie gesetzte Ziel der Verlagerung auf die Schiene. Um dieses Ziel zu erreichen und das für die Industrieproduktion entscheidende europäische Schienennetz zu entlasten, sind kapazitätswirksame kleinere und mittlere Maßnahmen wie z. B. zusätzliche Weichen und Gleise entscheidend. Außerdem gilt es, den Einzelwagenverkehr durch die Einführung der Digitalen Automatischen Kupplung (DAK) europaweit zu sichern und zu stärken. Hierzu braucht es neben einer Bündelung bestehender Initiativen auch eine breit angelegte, marktgerechte und auf europäischer Ebene koordinierte DAK-Investitions- und Migrationsstrategie. Des Weiteren sind zusätzliche Maßnahmen zur Optimierung des Managements und der Koordinierung der Infrastrukturkapazitäten erforderlich. Außerdem sollten die EU-Institutionen die infrastrukturellen Voraussetzungen für eine durchgängige Fahrbarkeit von 740-Meter Zügen im europäischen Schienennetz schaffen.

Optimierungspotenzial des Flugführungsmanagements nutzen: Die Umsetzung des Single European Sky (SES, Einheitlicher Europäischer Luftraum) kann nicht nur zu klimaoptimierten Flugrouten und Kraftstoffeinsparungen führen, sondern auch weitere Kapazitäten im europäischen Flugraum schaffen. Die ambitionierte Weiterentwicklung des SES muss daher Priorität bleiben.

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3. Finanzierung strategischer Zukunftsinvestitionen sicherstellen In einer Vielzahl von Feldern haben die EU-Staats- und Regierungschefs in den letzten Jahren strategische Investitionsbedarfe festgestellt, um die technologische Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie zu fördern, die strategische Resilienz zu erhöhen, vor allem riskante Abhängigkeiten von der Volksrepublik China zu reduzieren, und die ambitionierten Klimaschutzziele zu erreichen. Es ist jedoch nur in einzelnen Feldern bereits ein klares Programm entstanden. So sind mit dem Mittelfristigen EUFinanzrahmen (MFR) 2021-2027 und dem Next Generation EU-Programm (NGEU) erste Weichen für höhere öffentliche Investitionen in den Klimaschutz und die Resilienz gestellt worden. Durch die Corona-Pandemie und den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine sind zudem Ziele der strategischen Souveränität und der wirtschaftlichen Sicherheit in den Vordergrund gerückt, die durch verschiedene EU-Programme zur Energiepolitik, zur Rohstoffversorgung, zu strategischen Industrien und zur Pharmaindustrie gefördert werden sollen. Der EU fehlen bislang jedoch konsistente und umfassende Programme für die Transformation der Industrie, digitale Technologien und die Stärkung von Sicherheit und Verteidigung. Die Konsequenzen der sicherheitspolitischen Zeitenwende und der klimapolitischen Zielsetzungen müssen derzeit noch weitgehend auf dem Weg nationaler Aufbau- und Resilienzpläne mit einem Schwerpunkt bei öffentlichen Investitionen und nationaler Beihilfen bewältigt werden. Der Green Deal und die Anforderungen der digitalen Transformation, aber auch die wirtschaftlichen Umbrüche durch die Coronakrise und den Ukrainekrieg haben zu einem starken Fokus auf das Europäische Beihilferecht und zu maßgeblichen Anpassungen des beihilferechtlichen Rahmens geführt. Das Beihilferecht muss europäische Unternehmen in dieser historischen Transformation mit Blick auf ihre Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit verlässlich begleiten. Eine hohe Beihilfendisziplin auf nationaler Ebene sowie eine effektive Beihilfenkontrolle bleiben dabei für den EU-Binnenmarkt unerlässlich. Mittel- und langfristig ist die marktwirtschaftliche Tragfähigkeit eines Projektes die Bedingung für jede staatliche Flankierung und Förderung.

Bilanz der Legislaturperiode 2019-2024 Positivbeispiele ▪

Im Beihilferecht hat die Europäische Kommission mit Blick auf die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie und den Ukrainekrieg ein schnelles Handeln in Krisensituationen demonstriert und temporäre Krisenbeihilferahmen erlassen, die es den Mitgliedstaaten ermöglicht haben, schnell und flexibel große Hilfspakete für europäische Unternehmen zu schaffen. Mit dem GreenDeal-Industrieplan und dem auf zwei Jahre befristeten Beihilferahmen zur Krisenbewältigung und Gestaltung des Wandels hat die Europäische Kommission die Förderkulisse für energie- und klimabezogene Technologien ausgeweitet. Während im Green-Deal-Industrieplan keine spezifischen Fördermaßnahmen vorgesehen sind, ermöglicht der Krisenbewältigungs- und Transformationsrahmen in vielen Feldern zusätzliche Optionen.

Wesentliche beihilferechtliche Regelwerke wurden in der laufenden Legislaturperiode überarbeitet, insbesondere mit Blick auf die digitale und grüne Transformation. Hierzu zählen u.a. die Klima, Energie- und Umweltbeihilfeleitlinien oder der neue Unionsrahmen für Forschung, Entwicklung & Innovation. Entscheidend war auch die Ausweitung der Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung, die einen Großteil der durch die Mitgliedstaaten genehmigten Beihilfen von einer Notifizierung bei der Europäischen Kommission freistellt.

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Negativbeispiele ▪

Die EU-Förderung strategischer Investitionen in der EU ist trotz vieler Leitlinien des Europäischen Rats und eingehender Studien der Europäischen Kommission bislang in guten Ansätzen stecken geblieben. Die explizite Förderung strategischer Investitionen blieb weitgehend auf Important Projects of Common European Interest (IPCEI, wichtige Vorhaben von gemeinsamem europäischen Interesse) in den Feldern Mikroelektronik, Batterien, Cloud- und Kommunikationstechnologien sowie Wasserstoff beschränkt und wies im Vergleich zu den konkurrierenden Regionen Nordamerika und China vergleichsweise geringe Fördervolumina im einstelligen Milliardenbereich pro Technologiefeld auf. Streng genommen sind diese Maßnahmen auch nur nationale Beihilfen in einem EURechtsrahmen, da bislang aus dem EU-Haushalt oder seinen Satellitensystemen nahezu keine Mittel in diese Förderwege geleitet wurden – mit Ausnahme von Krediten der Europäischen Investitionsbank (EIB).

Die Vorschläge der Europäischen Kommission für einen Net-Zero Industry Act (NZIA, Netto-NullIndustrie-Verordnung) und eine Critical Raw Materials Act (CRMA, Verordnung zu kritischen Rohstoffen) enthalten ambitionierte Ziele, konkrete Vorschläge für Finanzierungsinstrumente fehlen jedoch. Für beide Vorhaben besteht ein hoher Finanzierungsbedarf und Handlungsdruck angesichts der hohen Förderung in Drittstaaten.

Im Rahmen der Halbzeitüberprüfung des MFR hat die Europäische Kommission statt eines Souveränitätsfonds mit einem dreistelligen Milliardenvolumen lediglich eine Umwidmung von anderweitig geplanten Ausgaben in Höhe von 10 Milliarden Euro zugunsten strategischer Technologievorhaben (Strategic Technologies for Europe Platform, STEP) vorgeschlagen.

Mit dem EU Chips Act (Chip-Gesetz) soll die Souveränität Europas gestärkt werden. Im Rahmen der Initiative „Chips für Europa“ sind bis 2030 öffentliche Investitionen in Höhe von 11 Milliarden Euro aus EU-Mitteln und 40 Milliarden Euro insgesamt für die Finanzierung von Forschung und Entwicklung bis 2030 vorgesehen. Dies ist im Lichte des Ziels, bis 2030 20 Prozent der Wertschöpfung in der EU anzusiedeln (derzeit ca. neun Prozent) und des erheblichen Kapitalbedarfs für die Produktion, voraussichtlich zu wenig.

Handlungsempfehlungen für die Legislaturperiode 2024 – 2029 Europäische Förderprogramme ▪

Europäische Förderung privater Investitionen stärken: Im Lichte des verschärften internationalen Wettbewerbs um die Technologieführung und Produktion in zentralen Technologien der grünen und digitalen Transformation muss die europäische Förderung privater Investitionen in diesen Feldern schneller, einfacher, flexibler und im Volumen stärker werden. Dies gilt in besonderem Maße für die Wasserstoffwirtschaft und die Batterietechnologien.

Transformation der Wirtschaft stärker in der EU-Wirtschaftspolitik verankern: Die Transformation der Wirtschaft, insbesondere einer auch zukünftig wettbewerbsfähigen Industrie, muss stärker in den wirtschaftspolitischen Maßnahmen der EU verankert werden. Dazu bedarf es entsprechender Instrumente für die Industriepolitik. Im Binnenmarkt müssen die EU-Institutionen Leitmärkte etablieren, die mit einem breiten Instrumentarium aus Standardsetzung, Binnenmarktrecht und Auftragsvergabe flankiert werden.

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Finanzierung sicherheitspolitischer und strategisch wichtiger Projekte gewährleisten: Für sicherheitspolitisch und strategisch wichtige Projekte müssen die EU-Institutionen politische Leitlinien für die wirtschaftliche Sicherheit festlegen, eine systematische Bedarfsanalyse entwickeln, geeignete Maßnahmenpakete zur Erreichung dieser Ziele beschließen und insbesondere Anreize für private Investitionen in die Resilienz dort setzen, wo sie im Markt nicht eigenständig zustande kommen können. Dazu müssen bestehende Finanzierungsinstrumente aufgestockt oder neue geschaffen werden. Mit dem Vorschlag zur wirtschaftlichen Sicherheit hat die Europäische Kommission einen entsprechenden Prüfungsprozess zumindest teilweise angestoßen. Ein entsprechendes Programm wird umfassend erst in einem neuen Mittelfristigen EU-Finanzrahmen verankert werden können. Es kann jedenfalls nicht befriedigend aus bestehenden Kohäsions-, Innovationsoder Binnenmarktansätzen heraus geleistet werden.

Haushaltsfinanzierte EU-Programme stärken: Kreditfinanzierte Übergangslösungen wie das NGEU sollten durch haushaltsfinanzierte Programme abgelöst werden. Es muss sehr klar dargelegt werden, dass diese öffentlichen Aufgaben besser und effizienter auf europäischer Ebene adressiert werden können. Dann sollte auch die Frage ihrer Finanzierung offensiv angegangen werden. Dabei sind naturgemäß nicht nur der EU-Haushalt, sondern alle Finanzierungswege der EU (und ihrer Mitgliedstaaten) einzubeziehen, u.a. die EIB, InvestEU und der Innovationsfonds.

Integration der Finanzmärkte beschleunigen: Die EU-Institutionen sollten endlich die grundlegende Vertiefung der Integration auf den Finanzmärkten im Zuge einer Verwirklichung der Bankenund Kapitalmarktunion entschlossen voranbringen. Inhaltlich könnte und sollte mittelfristig mit der Einführung eines digitalen Euro der Weg für eine höhere Effizienz im Zahlungsverkehr auch von Unternehmen geebnet werden.

EU-Beihilferecht ▪

IPCEI-Verfahren verbessern: IPCEI stellen ein wesentliches Instrument zur Sicherung europäischer Wettbewerbsfähigkeit und technologischer Souveränität sowie zur Förderung von marktnahen Innovationen dar. Die Genehmigungsverfahren müssen jedoch vereinfacht und beschleunigt werden. Die Europäische Kommission sollte hierfür ausreichende Kapazitäten zur Verfügung stellen. Die IPCEI-Prozesse in den einzelnen Mitgliedstaaten sind derzeit zeitlich nicht aufeinander abgestimmt und erfolgen teilweise in mehreren Wellen. Hier ist eine bessere Koordinierung sowie eine angemessene Abstimmung auch schon in der Voranmelde- und Notifizierungsphase dringend erforderlich.

Temporäre Beihilferegelungen regelmäßig überprüfen: Die im Befristeten Rahmen zur Krisenbewältigung und zur Gestaltung des Wandels vorgesehenen Maßnahmen müssen regelmäßig auf ihre Aktualität und Erforderlichkeit hin überprüft werden. Je nach wirtschaftlicher Entwicklung sowie Höhe der Strom- und Gaspreise sind hier weitere Anpassungen nötig.

Beihilfeverfahren beschleunigen: Deutschland gehört international zu den innovations- und forschungsstärksten Standorten. Doch der globale Wettbewerb um innovative Verfahren und Produkte wird intensiver, die Zeitspanne von der Forschung bis zur Markteinführung bei vielen Produkten immer kürzer. Zeit ist ein wichtiger Faktor, um einen Wettbewerbsvorsprung aufbauen beziehungsweise halten zu können. Beihilfeprüfverfahren sollten daher zügig durchgeführt werden, da dies die Markteinführungszeit von Forschungs- und Innovationsprojekten unmittelbar beeinflusst. Hierzu gehören eine schnellere Antragsbearbeitung, digitalisierte nutzerfreundliche Prozesse sowie die Fähigkeit, schnell passende Förderprogramme für neue Technologien zu prüfen.

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4. Digitalisierungsrückstand aufholen und Innovationslücke schließen Der Digitalisierungsgrad europäischer Unternehmen bewegt sich auf einem anhaltend niedrigen Niveau. In Deutschland gelten nur 28 Prozent der Unternehmen als stark digitalisiert, während 72 Prozent als weniger digitalisiert eingestuft werden. Insbesondere rechtliche Grauzonen in der Datennutzung, der akute Fachkräftemangel, fehlende Datenräume sowie fehlende Standards hemmen die digitale Transformation der Unternehmen. Zwischen der EU und ihren internationalen Wettbewerbern klafft eine wachsende Innovationslücke. Auch die Innovationsfähigkeit Deutschlands stagniert – im BDI-Innovationsindikator belegt Deutschland 2023 erneut nur den 10. Platz im Vergleich von 34 Industrie- und Schwellenländern. Der Abstand zur Weltspitze ist deutlich. Deutschlands Abgeschlagenheit in der Innovation lässt sich u. a. auf Probleme beim Innovationstransfer, den Fachkräftemangel, geringe Risikokapital-Investitionen und die geringe Anzahl an Unternehmen, die Grundlagenforschung betreiben, zurückführen. Das Innovationssystem Deutschlands ist noch stabil, aber wenig dynamisch. Erschwert wird der Transformationsprozess in der Industrie durch die Fülle an europäischer Digitalund Innovationsregulierung, die Unternehmen implementieren müssen, sowie das Fehlen einer auf die digitale Souveränität Europas ausgerichteten Innovationsförderung. In der aktuellen Legislaturperiode wurde mit dem Artificial Intelligence Act (AI Act, Gesetz über künstliche Intelligenz), dem Data Act (Datengesetz), dem Chips Act (Chip-Gesetz), der NIS2 Directive (überarbeitete Cybersecurity-Richtlinie NIS), dem Cyber Resilience Act (Gesetz über Cyberresilienz), dem Digital Services Act (DAS, Gesetz über digitale Dienste), dem Data Governance Act (Daten-Governance-Gesetz), dem Gigabit Infrastructure Act (Gigabit-Infrastrukturgesetz), der 5G Toolbox und dem Digital Markets Act (DMA, Gesetz über digitale Märkte) ein umfangreiches Regulierungswerk im Digitalbereich entwickelt. Dieser regulatorische Rahmen hat weitreichende Implikationen für unternehmensinterne Prozesse sowie die Entwicklung neuer digitaler Geschäftsmodelle. Zwar wurden viele der genannten Legislativmaßnahmen erst kürzlich verabschiedet oder befinden sich aktuell noch im Trilog, sodass ihre konkreten Auswirkungen noch nicht abschließend beurteilt werden können. Gleichwohl sehen sich Unternehmen durch die schiere Regulierungsfülle mit einem erheblichen Mehraufwand konfrontiert. Um die Compliance mit den neuen Anforderungen zu gewährleisten, müssen Unternehmen spezialisiertes Personal einstellen, was im Kontext des akuten Fachkräftemangels die Unternehmen vor zusätzliche Herausforderungen stellt.

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Unternehmen, die eine KI-Technologie einsetzen (% der Unternehmen) Stand 2021 30

25

20

15

10

5

0 DK PT FI LU NL SI DE BE MT SE HR AT ES IE EU FR IT SK CZ EL LV LT BG CY HU PL RO Quelle: Eurostat, Umfrage der EU über die IKT-Nutzung und den elektronischen Handel in Unternehmen.

Auch beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz ist Europa noch weit von den selbstgesteckten Zielen entfernt – während die Europäische Kommission forciert, dass 2030 drei von vier Unternehmen Künstliche Intelligenz einsetzen, liegt der Wert aktuell europaweit bei acht Prozent (bei Großunternehmen: 29%; bei KMU: 7%). Fehlende Fachkräfte sowie konkrete Usecases aber auch unzureichendes Datenmanagement und Datenqualität sowie Rechtsunsicherheiten bei der Nutzung von Daten sind zentrale Hindernisse.

Bilanz der Legislaturperiode 2019-2024 Positivbeispiel ▪

Die deutsche Industrie erachtet digital- und innovationspolitische Regulierungen und Förderinitiativen grundsätzlich als probates Mittel, um den Digitalen Binnenmarkt regelbasiert zu vertiefen. Beispielsweise leistet der Chips Act einen notwendigen Beitrag zur Wahrung der Zukunftsfähigkeit von Europa als Halbleiterproduktionsstandort. Auch die Einführung horizontaler Cybersicherheitsanforderungen für alle Produkte mit digitalen Elementen über den Cyber Resilience Act ist ein entscheidender Schritt, um die Cyberresilienz Europas zu stärken und Unternehmen bei der Umsetzung ihrer Verpflichtungen aus der NIS 2-Richtlinie zu unterstützen.

Negativbeispiele ▪

Die EU hat viel zu zögerlich in die digitale Souveränität Europas investiert. Zwar kündigte die Europäische Kommission immer wieder neue Maßnahmen an, unterlegte diese jedoch nicht mit ausreichend „frischem“ Geld. Die Finanzierung erfolgte jeweils über Umschichtungen aus bereits bestehenden Innovationsbudgets wie beispielsweise von Horizon Europe (EU-Rahmenprogramm für Forschung und Innovation) hin zu den Maßnahmen des EU Chips Acts.

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Eine Vielzahl der beschlossenen digitalpolitischen Maßnahmen trägt unzureichend zur Stärkung von Europas Resilienz und Zukunftsfähigkeit bei. Der EU Data Act befördert die ohnehin schon bestehende Rechtsunsicherheit bei der Verarbeitung von Daten und droht den Geschäftsgeheimnisschutz auszuhöhlen, ohne dass die innovationspolitischen Mehrwerte zum Tragen kommen. Statt eines undifferenzierten Einheitsansatzes hätte es einer sektorspezifischen Betrachtung im Umgang mit Daten bedurft, die den Besonderheiten einzelner Branchen Rechnung trägt. Durch die überbordenden Meldepflichten wird die NIS 2-Richtlinie, die ohnehin begrenzt verfügbaren Cybersicherheitskräfte unnötig binden, ohne die Cyberresilienz von Unternehmen zu stärken. Die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) erschwert es Unternehmen, an verschiedenen Standorten personenbezogene Daten zu nutzen oder auszutauschen, wenn die implementierten Schutzmaßnahmen von den jeweils zuständigen Datenschutzbehörden unterschiedlich beurteilt werden. Auch die Bilanz des bisherigen Verhandlungsprozesses des AI Act zeigt, dass beispielsweise bei Generativer KI vielmehr die Risiken als die Chancen dieser Technologie berücksichtigt werden.

Handlungsempfehlungen für die Legislaturperiode 2024-2029 ▪

Digitalpolitische Regulierung auf das Notwendige begrenzen: Statt neue Technologien umgehend regulatorisch zu adressieren, muss die EU zur Wahrung ihrer Zukunftsfähigkeit dringend die gesellschaftliche Technologieoffenheit stärken, in Kompetenzen und die Fachkräfteausbildung investieren und gezielt die Entwicklung neuer innovativer Technologien fördern. Die Europäische Kommission sollte die zahlreichen beschlossenen digitalpolitischen Maßnahmen nun wirken lassen und unbürokratische sowie an die industrielle Praxis angepasste Implementierungskonzepte im Rahmen von Durchführungsrechtsakten entwickeln – unter enger Beteiligung der Industrie.

Bessere Datennutzung in Europa ermöglichen: Die EU sollte den Aufbau von EU-Datenräumen vorantreiben. Insbesondere sollten keine zusätzlichen Regulierungsvorhaben eingeführt, sondern stattdessen die letzten EU-Legislativakte kritisch evaluiert und angepasst werden.

Datenschutz auf rechtssichere Grundlage stellen: Das Beratungsangebot der europäischen Datenschutzbehörden für Unternehmen sollte verbessert und mehr Hilfestellungen für die praktische Umsetzbarkeit bereitgestellt werden. Vor allem aber ist eine möglichst europaweit einheitliche Auslegung der DSGVO anzustreben. Für den transatlantischen Datenaustausch ist dringend ein dauerhaft rechtssicher wirkender Angemessenheitsbeschluss mit Blick auf den Transfer personenbezogener Daten notwendig. Auch für den Transfer in andere Drittstaaten sollten weitere Angemessenheitsbeschlüsse verabschiedet werden.

Innovation im Bereich Künstliche Intelligenz stärken: Der Fokus sollte auf innovationsfördernden Maßnahmen wie beispielsweise Reallaboren liegen. Ferner sollten Compliancepflichten für Hochrisikoanwendungen für KMUs und Start-ups schnell, kostengünstig und unbürokratisch umsetzbar gestaltet werden.

Umsetzung des EU Chips Act vorantreiben: Notwendig ist ein transparenter und für Unternehmen jeder Größe praktikabler Prozess für den Erhalt von Subventionen. Governance-seitig muss das EU Semiconductor Board als Beratungsgremium arbeitsfähig und für – an einer Mitarbeit interessierte – Unternehmen zugänglich gemacht werden. Daneben muss der Prozess zur strategischen und technologischen Souveränität und der Adressierung des 20%-Ziels der EU über den EU Chips Act hinaus weiterverfolgt werden, d.h. Fachkräftelücke schließen und beim Important Project of Common European Interest (IPCEI, wichtige Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse) Mikroelektronik II endlich mit dem Maßnahmenbeginn starten.

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Auf innovationshemmende Regulierung des industriellen Metaverse verzichten: Die Anwendungsfälle des industriellen Metaverse befinden sich noch in einem frühen Entwicklungsstadium. Derzeit investieren europäische Unternehmen umfangreich in Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten, um bestehende Technologien zu einem vollständig ausgereiften industriellen Metaverse zu vereinen. Aus diesem Grund sollte in diesem Stadium auf Regulierung verzichtet werden, um Innovation nicht im Keim zu ersticken.

DMA umsetzen und wirken lassen: Ein Fokus sollte auf klaren Vorgaben und Verfahrensschritten für die Unternehmen und auf einer effektiven Durchsetzung liegen. Weitere Regulierungsvorhaben in der Plattformwirtschaft über den DMA hinaus sind zurzeit nicht erforderlich, zumal der DMA erst seit dem 2. Mai 2023 verbindliche Anwendung findet.

Horizon Europe stärken: Die EU sollte Horizon Europe mit ausreichend neuen finanziellen Mitteln ausstatten, um eine nachhaltige Unterstützung für innovative Forschungsprojekte zu gewährleisten. Zusätzliche finanzielle Ressourcen sind erforderlich, um den wissenschaftlichen Fortschritt voranzutreiben und die Innovationskraft der Industrie zu unterstützen. Es bedarf einer missionsorientierten und evaluierten Projektförderung, um alle Akteure der Gesellschaft unter einem übergeordneten Ziel zu vereinen.

Cybersicherheit wirtschaftsfreundlich implementieren: Die Europäische Kommission muss zwingend eine EU-weit einheitliche Implementierung der NIS 2-Richtlinie sicherstellen und dafür Sorge tragen, dass europaweit aktive Unternehmen Vorfallsmeldungen nur einmal absetzen müssen. Ferner muss die Europäische Kommission die Industrie bei der Umsetzung des Cyber Resilience Act durch die zeitnahe Veröffentlichung der notwendigen Standardisierungsmandate unterstützen.

Keine weiteren Cybersicherheitszertifizierungsschemata nach dem Cybersecurity Act erarbeiten: Mit dem Cyber Resilience Act werden zukünftig alle Produkte mit digitalen Elementen risikoadäquate Cybersicherheitsanforderungen erfüllen müssen. Die Entwicklung von Cybersicherheitsanforderungen für einzelne Produktgruppen im Rahmen des Cybersecurtiy Act (CSA, Cybersicherheitsgesetz) ist folglich nicht mehr notwendig und sollte im Sinne der Normklarheit ausgesetzt werden. Bei schon laufenden Erarbeitungsprozessen sollten ausschließlich technische Sicherheitsanforderungen definiert und die Industrie eng einbezogen werden.

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5. Grenzüberschreitende Gesundheitsrisiken effizient bewältigen Die Corona-Pandemie hat deutlich gezeigt, wie gravierend sich Gesundheitskrisen auf die Wirtschaft auswirken. Die Pandemie zog eine tiefe Rezession in vielen europäischen Ländern nach sich. Lockdown-Maßnahmen und Handelsstörungen führten zu einem erheblichen Rückgang der Wirtschaftsaktivität. Viele Unternehmen mussten schließen oder ihre Aktivitäten einschränken; Stellenabbau und Insolvenzen folgten; Investitionen wurden angesichts unsicherer Bedingungen zurückgehalten. Die Verbraucherausgaben gingen aufgrund von Unsicherheiten und Einschränkungen zurück. Zudem führte die Pandemie zu massiven Beeinträchtigungen der internationalen Handelsbeziehungen. Globale Lieferketten wurden gestört; Reisebeschränkungen und Schließungen erschwerten die Exportund Importaktivitäten.

Wertschöpfungsverluste durch Pandemie und Krieg in Deutschland Jährliche und vierteljährliche Einbußen beim realen Bruttoinlandsprodukt 1 in Milliarden Euro

1Verlauf des realen BIP: Vergleich zu einem Verlauf ohne Pandemie und Krieg; gerundete Werte.

Quelle: Michael Grömmling, 2022, Ökonomische Verluste in Deutschland durch Pandemie und Krieg, IW-Kurzbericht. Nr. 91.

Infolge der unmittelbaren Pandemielasten und ihrer Folgewirkungen haben sich hohe wirtschaftliche Kosten in Europa aufgebaut. Allein in Deutschland wäre die Wertschöpfung ohne diese Beeinträchtigungen laut Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft von 2020 bis 2021 um insgesamt 300 Milliarden Euro höher ausgefallen. In 2022 geriet die Wirtschaft infolge des Krieges in der Ukraine zusätzlich unter Druck, aber auch die Einbußen durch die Corona-Pandemie sind weiterhin spürbar.

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Bilanz der Legislaturperiode 2019-2024 Positivbeispiele ▪

Um künftige Gesundheitskrisen besser zu bewältigen, hat die EU verschiedene Initiativen ergriffen. Dazu gehört die Schaffung einer Europäischen Gesundheitsunion und die Strategie zur globalen Gesundheit 2022-2030, um die Koordinierung und Zusammenarbeit im Bereich der öffentlichen Gesundheit zu stärken. Dies schließt die Verbesserung der Frühwarnsysteme, die Bereitstellung von Informationen und bewährten Verfahren sowie den Austausch von Gesundheitsdaten ein.

Daneben hat die EU angekündigt, die Investitionen in den Gesundheitssektor zu erhöhen, um die Gesundheitssysteme widerstandsfähiger zu machen und die Vorbereitung auf künftige Krisen zu verbessern. Davon umfasst sind Investitionen in medizinische Forschung, die Entwicklung von Impfstoffen und Therapien, die Stärkung der Gesundheitsinfrastruktur und die Ausbildung von medizinischem Personal. Den Ankündigungen müssen nun Taten folgen.

Negativbeispiele ▪

Die EU hat Regulierungen auf den Weg gebracht, welche die Gesundheitsindustrie belasten und ihre Fähigkeiten schwächen, mit innovativen medizinischen Lösungen zur Verhinderung und Eindämmung von Gesundheitskrisen beizutragen. So leidet die Medizintechnikbranche unter den Auswirkungen der EU Medical Device Regulation (MDR, EU-Medizinprodukte-Verordnung) und der EU-Verordnung über In-vitro-Diagnostika (IVDR). Langjährig bewährte Produkte werden aus dem Sortiment genommen und es fehlen Anreize, Nischenprodukte zu entwickeln. Innovationen werden ausgebremst. Unternehmen wandern in die USA oder nach Asien ab, bevor sie überhaupt überlegen, ob sie Produkte in Europa auf den Markt bringen. Gleichzeitig hemmt das neue EUPharma-Paket Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit der Arzneimittelhersteller. Im Fokus steht besonders die Frage nach der Länge der Marktexklusivität. Eine Verkürzung des Schutzes auf innovative Arzneimittel bedeutet eine Verschlechterung des Status-Quo und bedroht künftige Investitionen und Innovationen in Europa.

Die Zielsetzung des Kommissionsvorschlags für ein Single Market Emergency Instrument (SMEI, Notfallinstrument für den Binnenmarkt), einen funktionierenden Binnenmarkt auch im Krisenfall zu gewährleisten, ist im Grundsatz zu begrüßen. Allerdings ist der Vorschlag teils zu weit gefasst und enthält etliche erheblich zu weitgehende Eingriffsbefugnisse, die im weiteren Gesetzgebungsverfahren gestrichen werden müssen. Das gilt vor allem für die vorgesehenen, unter Umständen zwingend zu beachtenden Auskunftsersuchen der Europäischen Kommission gegenüber Unternehmen und Unternehmensverbänden.

Handlungsempfehlungen für die Legislaturperiode 2024-2029 EU-Gesundheitspolitik ▪

Wettbewerbsfähigkeit der industriellen Gesundheitswirtschaft stärken: Die Unternehmen der industriellen Gesundheitswirtschaft benötigen für Investitionsentscheidungen – nicht nur in Krisenzeiten – Planungs- und Rechtssicherheit sowie günstige Rahmenbedingungen. Die europäischen Gesetzgeber müssen ein regulatorisches System schaffen, das die besondere Branchenstruktur berücksichtigt und den Gesundheitsstandort wettbewerbsfähig und zukunftssicher macht. Notwendig sind eine Stärkung der Resilienz und der Lieferketten, Anreize für Innovationen und Digitalisierung, Entbürokratisierung sowie vereinfachte Anerkennungsverfahren für benötigte Fachkräfte.

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MDR nachbessern: Die Verschiebung der Übergangsfrist der MDR war sinnvoll und notwendig, hinterlässt in der Praxis aber weiter ungeklärte Fragen. Auch die inhaltlichen Probleme im Zusammenhang mit der MDR müssen gelöst und Anforderungen, Interpretationen und Prozesse weiter angepasst werden. Die MDR selbst sieht eine Evaluierung 2027 vor. Diese Evaluierung sollte unbedingt früher stattfinden.

EU-Pharma-Paket als Chance im globalen Innovations- und Investitionswettbewerb nutzen: Die Europäische Kommission muss dringend beim EU-Pharma-Paket nachbessern, um einen Rechtsrahmen zu schaffen, der Forschung, Entwicklung und Produktion für die großen, aber auch die klein- und mittelständisch geprägten Unternehmen wirtschaftlich leistbar macht. Langfristige Anreize, schnellere Genehmigungsverfahren oder gezielte staatliche Fördermaßnahmen und -mittel sind bei der Standortfrage im globalen Wettbewerb entscheidend. Ausufernde Bevorratungs-, Melde- oder Transparenzpflichten wirken dagegen eher abschreckend.

EU-Binnenmarkt ▪

EU-Binnenmarkt krisenfest machen: Einige nationale Abschottungsmaßnahmen innerhalb der EU während der COVID-19-Pandemie haben gezeigt: Die EU muss für künftige Krisen sicherstellen, dass die Binnenmarktfreiheiten grundsätzlich auch während eines Not- oder Krisenfalls gelten.

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6. Klimawandel und Umweltrisiken mit technologischer Innovation begegnen Europa steht vor der Aufgabe, seine Zukunft auf nachhaltige Weise zu sichern. Es gilt, bis Mitte des Jahrhunderts klimaneutral zu werden, die natürliche Umwelt zu bewahren und die Ressourcen durch eine effiziente Kreislaufwirtschaft zu sichern. Diese Herausforderungen stellen die Unternehmen vor große Aufgaben. Industrieanlagen müssen auf eine klimaneutrale und emissionsarme Produktion umgestellt, Chemikalien sicher verwendet werden. Unternehmensstandorte sollen die Natur und die biologische Vielfalt möglichst wenig beeinträchtigen und dabei weiterhin multimodal mit allen Transport- und Reiseketten innerhalb des europäischen Binnenmarkts sowie weltweit vernetzt bleiben. Schließlich müssen Unternehmen Ressourcen effektiv einsetzen, in dem sie ihre Produkte nachhaltig gestalten, Recyclingstoffe einsetzen und Abfälle vermeiden beziehungsweise vermindern. Zugleich bieten Unternehmen für alle diese Herausforderungen auch technische Lösungen an. Technologische Innovationen sind die Grundlage auf dem Weg zu einer nachhaltigen Wirtschaft und Gesellschaft. Die Europäische Kommission hat mit dem European Green Deal Ende 2019 das ehrgeizigste Nachhaltigkeitsprogramm der Welt vorgelegt. Auf dieser Grundlage hat die EU in den letzten Jahren zahlreiche neue klima-, umwelt- und verkehrspolitische Vorschriften verabschiedet, die den Transformationsdruck auf die Industrie enorm erhöhen, ohne den Unternehmen eine überzeugende Perspektive für wettbewerbsfähige Produktion am Standort Europa aufzuzeigen. Wie unter einem Brennglas verdeutlicht die EU-Klimapolitik, dass industrielle Wettbewerbsfähigkeit bei der Umsetzung des Green Deal bisher deutlich zu kurz gekommen ist. Während die USA mit dem Inflation Reduction Act (IRA) Klima- und Industriepolitik zusammendenken und massiv in technologische Innovationen investieren, versucht die EU die Transformation des Industriesektors vor allem über einen steigenden CO2-Preis zu steuern. Infolge zahlreicher EU-Initiativen wird der CO2-Preis im bestehenden EU-Emissionshandelssystem für Industrie- und Energieanlagen sowie den Luft- und Seeverkehr (Emission Trading System, ETS1) in den nächsten Jahren von heute knapp unter 100 Euro pro Tonne sehr deutlich anziehen. Klar ist bereits, dass dies zu einseitigen Mehrbelastungen, beispielsweise für europäische Fluggesellschaften und Reeder sowie Flug- und Seehäfen, im internationalen Wettbewerb führt, welche durch neue, verpflichtende Quoten für den Einsatz von nachhaltigen Kraftstoffen im Luft- und Seeverkehr weiter verschärft werden. Laut Europäischer Kommission soll der neu geschaffene Carbon Boarder Adjustment Mechanism (CBAM, CO2-Grenzausgleichsmechanismus) Carbon Leakage genauso gut verhindern wie die bisherige freie Zuteilung von Emissionshandelszertifikaten – allerdings gibt es noch keinerlei Erfahrungen mit diesem völlig neuen Instrument. Welche Auswirkungen das neue Emissionshandelssystem für Brenn- und Heizstoffe (ETS2; ab 2027) auf das bestehende ETS1 sowie auf die Transformation der neu einzubeziehenden Sektoren Gebäude und Straßenverkehr haben wird, ist ebenfalls völlig offen. Insgesamt nimmt die Unsicherheit für Betreiber massiv zu, die in neue Anlagen und Verfahren investieren wollen oder müssen. Im Hinblick auf den Mobilitätssektor setzt die EU vor allem auf eine ambitionierte Produktregulierung durch CO2-Flottengrenzwerte ohne technologieoffenen Ansatz und ohne ausreichende Flankierung durch Lade- und Tankinfrastrukturen. Klimaneutrale Kraftstoffe, die zur Dekarbonisierung des Verkehrs unverzichtbar sind, stehen daher auch perspektivisch nur in geringem Umfang und im internationalen Luft- und Seeverkehr zu nicht wettbewerbsfähigen Preisen zur Verfügung. Wenn Europa Wettbewerbsfähigkeit nicht endlich als notwendige Voraussetzung der grünen Transformation begreift, droht die EU im globalen Wettlauf der Klima-, Umwelt-, Antriebs-, Kraftstoff- und

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Brennstofftechnologien zurückzufallen – dringend benötigte Zukunftsinvestitionen fließen in Wachstumsmärkte wie die USA oder China ab. Es besteht die Gefahr, dass Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen in Zukunft durch industrielle und technologische Abhängigkeit ersetzt wird.

Historische Trends und künftige Prognosen für Treibhausgasemissionen Millionen Tonnen CO2-Äquivalent (Mt CO2e) 1990-2020 im Durchschnitt pro Jahr: -52 Mt CO2e oder -1,1% (= -1.560 Mt)

2021-2030 um -55% Ziel zu erreichen im Durchschnitt pro Jahr: -134 Mt CO2e oder -4,0% (= -1.340 Mt)

2020 Emissions-Ziel

2030 Emissions-Ziel

Historische Treibhausgasemissionen ohne Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft (LULUCF) Projektionen mit bestehenden Maßnahmen (WEM) mit LULUCF

Quelle: Europäische Umweltagentur.

Im Jahr 2020 waren die Treibhausgasemissionen der EU gut 34% niedriger als 1990. Die Europäischen Emissionen wurden innerhalb von 30 Jahren (1990-2020) um etwa 1,5 Milliarden Tonnen reduziert. In den kommenden zehn Jahren (2021-2030) müssen jedoch weitere 1,3 Milliarden Tonnen verringert werden. Dies stellt eine große Herausforderung dar, insbesondere ohne den Import russischen Gases.

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Bilanz der Legislaturperiode 2019-2024 Positivbeispiel ▪

Mit der Strategie zur Schaffung einer europäischen Kreislaufwirtschaft hat die EU wichtige Impulse gesetzt. Initiativen wie die Verordnung für nachhaltige Produkte gehen in die richtige Richtung. Allerdings ist der Aufwand für alle Beteiligten erheblich. Der Erfolg dieser Initiativen hängt von der Wahl der richtigen Instrumente ab.

Negativbeispiele ▪

Die rechtlich verbindlichen EU-Klimaschutzvorgaben belasten europäische Industrien über Gebühr. Ihre Wettbewerbsfähigkeit ist ernsthaft in Gefahr, da die EU mit dem Green Deal die Transformation über einen vergleichsweise kurzen Zeitraum erzwingen will. Eine übergeordnete und übergreifende Industriestrategie fehlt weiter – daran wird wohl auch der Net Zero Industry Act (NZIA, Netto-Null-Industrie-Verordnung) nichts ändern.

Der EU ist es nicht gelungen, die verschiedenen Ziele des Green Deal effektiv aufeinander abzustimmen. Die fehlende Setzung von Prioritäten gefährdet den Gesamterfolg. Vor allem die Revision der Industrieemissionsrichtlinie und der Luftqualitätsrichtlinie wird mehr Bürokratie sowie umfangreichere und langwierigere Genehmigungsverfahren zur Umstellung von Industrieanlagen zur Folge haben. Dies gefährdet die rechtzeitige Erreichung von Klimazielen.

Die EU hat es verpasst, die erforderlichen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Transformation der Mobilität durch einen kohärenten Gesamtansatz zu schaffen. Problematisch sind insbesondere das unzureichende Ambitionsniveau beim Ausbau der Tank- und Ladeinfrastrukturen als notwendige Voraussetzung für den Antriebswechsel, eine unzureichende Harmonisierung der Gesetzgebung hinsichtlich grüner Kraftstoffe und einer CO2-Bepreisung des Straßenverkehrs sowie fehlende Maßnahmen zur Wahrung der Wettbewerbsfähigkeit für internationale Verkehrsträger.

Handlungsempfehlungen für die Legislaturperiode 2024-2029 ▪

Produktion europäischer Net-Zero-Technologien stärken: Die EU sollte den NZIA zu einer industriepolitischen Strategie weiterentwickeln, die wirksame Anreize und Rahmenbedingungen für den Markhochlauf von Net-Zero-Technologien schafft und so die ambitionierten Ziele des Green Deal flankiert. Investments in europäische Projekte müssen in einem technologieoffenen Ansatz durch schnellere Verfahren, vorteilhaftere Standortkosten und regulatorische Verlässlichkeit attraktiver werden. Den sektorspezifischen Herausforderungen muss mit einem technologieoffenen Ansatz begegnet werden, der neben einer Stromwende auch die Molekülwende (grüner Wasserstoff, usw.) forciert.

Genehmigungsverfahren für Industrieanlagen beschleunigen: Der vorgeschlagene NZIA erfasst lediglich eine eng begrenzte Gruppe von Schlüsseltechnologien. Über diese Technologien hinaus muss die EU eine Initiative ergreifen, um allgemein Genehmigungsverfahren von Industrieanlagen systematisch zu beschleunigen, damit die Transformation gelingt und somit die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie gewährleistet wird.

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EU-Umweltpolitik ▪

European Green Deal hinsichtlich seiner Wirkungen auf den Wirtschaftsstandort überprüfen: Die EU muss die einzelnen Elemente des Green Deal auf ihre Kohärenz hin prüfen. Gerade im Hinblick auf die drängenden Herausforderungen der Klimatransformation kommt es darauf an, klare Prioritäten zu setzen und so die vielfach bestehenden Zielkonflikte zwischen Einzelmaßnahmen zu lösen. Dies bedeutet gegebenenfalls auch, vorgeschlagene Maßnahmen wie die Industrieemissionsrichtlinie und die Luftqualitätsrichtlinie zu überarbeiten oder zurückzuziehen.

Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft der Industrie in Europa stärken: Die EU muss dringend eine Strategie entwickeln, um Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft der Industrie in Europa zu stärken – gerade um die Ziele des Green Deal doch noch zu erreichen. Dafür braucht es auch eine sichere stoffliche Basis. Regulierungen wie der Vorschlag zur Beschränkung von perund polyfluorierten Alkylsubstanzen (PFAS) stehen dem diametral entgegen.

Grenzwerte für Luftschadstoffe auf Klimatransformationsmaßnahmen abstimmen: Die in der Luftqualitätsrichtlinie festgelegten Minderungsziele müssen auf ihre Erreichbarkeit im Hinblick auf die zwischenzeitlich festgelegten Klimatransformationsmaßnahmen fortlaufend überprüft und hinsichtlich ihres Zeithorizonts angepasst werden.

Wertschöpfung in der EU bei REACH-Revision gewährleisten: Die mögliche Überarbeitung der REACH-Verordnung muss mit Augenmaß erfolgen. Regulatorische Optionen zur Erreichung ambitionierter Ziele müssen so gestaltet werden, dass die Wertschöpfung in der EU erhalten bleibt. Um innovative Technologien voranzutreiben, muss es auch zukünftig noch möglich sein, chemische Substanzen zu verwenden, wenn hiervon kein Risiko ausgeht, beziehungsweise, wenn dieses angemessen beherrscht werden kann.

Beitrag der Unternehmen zum Erhalt der Biodiversität berücksichtigen: Die Europäische Kommission sollte eine Initiative ergreifen, in der die von Unternehmen geleisteten Maßnahmen zum Schutz der Natur und zur Stärkung der Biodiversität systematisch erfasst werden. Diese Maßnahmen sollten von den Mitgliedstaaten im Rahmen der Verordnung zur Wiederherstellung der Natur verpflichtend berücksichtigt werden.

Gewässernutzung im Rahmen wirtschaftlicher und industrieller Tätigkeiten gewährleisten: Die Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) sollte einer grundlegenden Revision unterzogen werden. Wirtschaftliche und industrielle Tätigkeiten, die Gewässer nutzen, müssen erleichtert werden. Da viele Wasserkörper die Ziele der WRRL in dem vorgegebenen zeitlichen Rahmen verfehlen werden, sollten außerdem zumindest weitere drei Bewirtschaftungszyklen eingeführt werden, um diese Ziele zu erreichen und für die Betroffenen mehr Rechtssicherheit zu gewährleisten.

Kreisläufe schließen und Innovationen in der Circular Economy stärken: Das regulatorische Umfeld der Circular Economy in der EU hat sich durch die Rechtssetzung zwischen 2019 und 2024 fundamental verändert (z.B. EU-BatterieVO, EU-ÖkodesignVO, EU-AbfallverbringungsVO, EUVerpackungsVO). Damit diese Rechtsakte den Wettbewerb für Innovationen in der Circular Economy stärken, müssen zwischen 2024 und 2029 unzählige konkretisierende Rechtsakte (Durchführungs- und delegierte Rechtsakte) erarbeitet und verabschiedet werden. Es ist von größter Wichtigkeit, dass diese Rechtsakte in Koordination mit den relevanten Wirtschaftsakteuren und unter Einbeziehung der Expertise von Unternehmen entwickelt werden und dass kohärente Begriffsbestimmungen verwendet werden. Dies gilt insbesondere für die Umsetzung der neuen Ökodesign Verordnung.

Circluar Economy relevante Rechtsbereiche verstärkt aufeinander abstimmen: Damit Unternehmen in Kreisläufen denken und planen können, müssen die relevanten Rechtsbereiche aufeinander abgestimmt werden. Die Schnittstellen von Abfall-, Produkt- und Stoffrecht sind nach wie

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vor nicht konsequent im Sinne einer Circular Economy ausgerichtet. Produktbezogene Doppelregulierungen sollten überdies unbedingt vermieden werden. EU-Klimapolitik ▪

Industrien bei der Transformation unterstützen: Nur auf hohe CO2-Preise im EU ETS zu setzen, wirkt wie eine Strafe für Produktionsanlagen, wenn entscheidende Infrastrukturen fehlen. Carbon Contracts for Difference, Leitmärkte für grüne Grundstoffe und Green Public Procurement können dagegen entscheidend helfen, stabile Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Transformation zu schaffen.

Zugang zu Unterstützungsmaßnahmen vereinfachen: Die Förder- und Unterstützungslandschaften für Unternehmen in der EU und den Mitgliedstaaten sollten zusammenführt und wesentlich übersichtlicher gestaltet werden.

Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft unterstützen: Die EU sollte widersprüchliche Regelungen wie die Renewable Energy Directive III (RED III, Erneuerbare-Energien Richtlinie), die EU-Taxonomie oder das EU-Gaspaket so anpassen, dass sich Investitionen in H2-Technologien lohnen.

CBAM auf den Prüfstand stellen: Die EU sollte CBAM so korrigieren, dass Exporte von CBAMGütern nicht durch den Verlust der feien Zuteilung unmöglich gemacht werden. Sollte sich zeigen, dass CBAM nicht geeignet ist, Carbon Leakage zu verhindern, muss die EU den Mechanismus wieder abschaffen.

H2-, CO2- und Erneuerbaren-Infrastrukturen grenzüberschreitend ausbauen: Wichtige Klimaschutztechnologien wie Carbon Capture and Storage- (CCS) und insbesondere Carbon Capture and Utilization (CCU)-Technologien sind energieintensiv und erfordern daher ausreichend verfügbare Mengen erneuerbarer Energie zu wettbewerbsfähigen Preisen.

Bedeutung innovativer Technologien für Klimaschutz ehrlich kommunizieren: Damit die Klimaziele überhaupt erreicht werden können, bedarf es der Anwendung innovativer Technologien, die nicht zuletzt mit der gesellschaftlichen Akzeptanz steht und fällt.

EU-Verkehrspolitik ▪

Fehlentwicklungen konsequent korrigieren: Die Europäische Kommission ist aufgefordert, die ihr in den Überprüfungsklauseln, insbesondere bei der Alternative Fuels Infrastructure Regulation (AFIR, Verordnung über den Aufbau der Infrastruktur für alternative Kraftstoffe), der CO2-Flottenregulierung für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge sowie ReFuelEU Aviation (Verordnung über nachhaltige Flugzeugstreibstoffe), zugeschriebenen Korrekturmöglichkeiten zu nutzen.

Hochlauf alternativer Antriebe und grüner Kraftstoffe flankieren: Die EU sollte die Lade- und Tankinfrastruktur – für alle Verkehrsträger sowie alle Antriebe und Kraftstoffe – rasch bedarfsgerecht, flächendeckend und vorauslaufend aufbauen sowie klare CO2-Preissignale für den Straßenverkehr über das ETS und die Energiebesteuerung von Kraftstoffen setzen.

Zusammenarbeit mit Erzeugerländern von Power-to-Liquid (PtL) stärken: Um ausreichende Mengen an PtL-Kraftstoffen bereits vor 2030 verfügbar zu machen, sind internationale Standards für Nachhaltigkeits- und Qualitätskriterien, ein internationaler Zertifikatehandel (Book & Claim-Verfahren) sowie internationale Vorgaben für die Anrechnung nachhaltiger Kraftstoffe erforderlich.

Carbon Leakage im Luft- und Seeverkehr verhindern: Die EU sollte europäisch und national einseitige Mehrkosten grüner Kraftstoffe gegenüber fossilen Alternativen in der EU für den internationalen Luft- und Seeverkehr ausgleichen. Eine Finanzierungmöglichkeit stellt die Umwandlung der nationalen Luftverkehrssteuern in eine europäische, endzielbezogene und zweckgebundene

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Klimaabgabe dar. Europäische Maßnahmen müssen fortlaufend durch Initiativen zur internationalen Harmonisierung der Klimaschutzambitionen flankiert werden. ▪

Verhältnismäßigkeit und Kohärenz bei offenen Dossiers sicherstellen: Die EU-Institutionen sollten die laufenden Gesetzgebungsprozesse zu Euro 7 oder CO2-Flottenregulierung für schwere Nutzfahrzeuge ambitioniert, aber realistisch sowie aufeinander abgestimmt umsetzen und dabei den Hochlauf von Lade- und Tankinfrastruktur fest im Blick behalten.

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7. Energieknappheit und hohen Energiepreisen entgegentreten Der russische Angriffskrieg in der Ukraine hat den Energiemärkten einen externen Schock zugefügt. Energiekosten stiegen exorbitant, insbesondere die Kosten für Erdgas und Strom. Diese Entwicklung ist nicht als Marktversagen einzuordnen. Denn die außerordentlichen Ausschläge am Strommarkt waren Folge enormer Preissteigerungen der Primärenergieträger – allen voran Erdgas – die sich vornehmlich auf politische Faktoren wie das Aussetzen von Gaslieferungen durch Russland als geopolitische Waffe, die Sprengung der Nordstream Pipelines und den politisch getriebenen Einkauf von Erdgas zurückführen lassen. Inzwischen haben sich die Energiemärkte beruhigt; die Preise verbleiben aber hoch. Die aktuelle Markterwartung deutet – zumindest mittelfristig für die kommenden Jahre – auf ein im historischen Vergleich äußerst hohes Preisniveau sowohl für Strom als auch für Erdgas hin. Strom und Erdgas sind in modernen Gesellschaften essenzielle Güter, die zu keiner Zeit ausgehen dürfen und für alle Teile der Gesellschaft und Wirtschaft bezahlbar bleiben müssen. Für die deutsche Industrie sind Erdgas und Strom die beiden wichtigsten Energieträger – noch vor Kohle und Mineralöl beziehungsweise Mineralölprodukten. Die Effekte der enormen Preissteigerungen haben daher Auswirkungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette und über alle Industrien hinweg. Insbesondere die energieintensiven Industrien sind unmittelbar von den Preissteigerungen betroffen. Sie formen häufig den Beginn der Wertschöpfungskette und produzieren Vorleistungsgüter, die von vielen weiteren Branchen, insbesondere dem Maschinenbau und der Automobilindustrie und damit Schlüsselbranchen der deutschen Volkswirtschaft, weiterverarbeitet werden. Durch die beschriebenen Kostensteigerungen besteht für viele Industrien ein signifikanter Wettbewerbsnachteil, da außereuropäische Wettbewerber nicht mit vergleichbaren Kostensteigerungen konfrontiert sind. So beträgt z. B. der aktuelle (Sommer 2023) Großhandelspreis für Erdgas in den USA nur rund ¼ des europäischen Großhandelspreises.

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Industrieproduktion: In energieintensiven Branchen stark gesunken in Deutschland, Jahresbeginn 2015 = 100

Energieintensive Branchen: u.a. Chemieindustrie, Metallerzeugung, Papierindustrie. Quelle: Statistisches Bundesamt, Institut der deutschen Wirtschaft © 2023 IW Medien / iwd.

Ende 2022 lag die Produktion der energieintensiven Industrie in Deutschland durchschnittlich um fast 20 Prozent unter dem Vorjahresniveau.

Bilanz der Legislaturperiode 2019-2024 Positivbeispiele ▪

Die EU hat insgesamt geschlossen auf die Energiekrise reagiert. Nicht zuletzt mit dem Notfallplan Gas hat sie gemeinsame koordinierende Maßnahmen und Vorbereitungen getroffen.

Als Reaktion auf die Energiekrise hat die Europäische Kommission mit dem Temporary Crisis Framework (TCF, befristeter Rahmen zur Krisenbewältigung) den Mitgliedsstaaten einen erweiterten Instrumentenkasten zur Krisenbewältigung und Transformation zur Verfügung gestellt. Dies war in der akuten Notlage ein wichtiger Schritt, um die negativen Auswirkungen der Energiekrise auf die Wirtschaft und private Verbraucherinnen und Verbraucher abzufedern.

Negativbeispiele ▪

Der Wirksamkeit der deutschen Energiepreisbremsen wurde durch die Europäische Kommission harte Riegel vorgeschoben. Viele Unternehmen konnten die in Aussicht gestellten Unterstützungen nur zu einem Bruchteil in Anspruch nehmen – u. a. da sie nicht abschätzen können, wie sich ihr EBITDA entwickelt, und somit unklar ist, ob sie den strengen EBITDA Kriterien zur Inanspruchnahme der Entlastungen gerecht werden.

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Aufgrund von Vorbehalten der Europäischen Kommission konnte die Bundesregierung die angekündigte Kraftwerksstrategie nicht wie geplant im ersten Halbjahr 2023 vorlegen. Zur Wahrung der Versorgungssicherheit im Zuge des Kernenergie- und Kohleausstiegs müssen in Deutschland wasserstofffähige Gaskraftwerke in erheblichem Umfang und innerhalb kürzester Zeit zugebaut werden.

Handlungsempfehlungen für die Legislaturperiode 2024-2029 ▪

Bewährtes Strommarktdesign erhalten: Trotz exorbitanter Energiekosten als Folge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine kam es zu keinem Marktversagen. Das bewährte europäische Strommarktdesign sollte daher nicht aus dem Krisenmodus heraus ausgehebelt werden. Es sollte weiterhin auf dem energiepolitischen Zieldreieck und dem marktwirtschaftlich effizienten Merit-Order-Prinzip als Grundlagen beruhen. Contracts for Difference sollten nicht verpflichtend, sondern weiter als freiwillige Marktdesignoption für Mitgliedstaaten zur Verfügung stehen.

International wettbewerbsfähige Stromkosten gewährleisten: Die aktuellen Spot- und Terminpreise ermöglichen keine international wettbewerbsfähige stromintensive Produktion in Europa. Die EU muss daher alles tun, um das Angebot auf dem Strommarkt auszuweiten. Zum schnelleren Ausbau der erneuerbaren Energien sollten Planungs- und Genehmigungsverfahren weiter beschleunigt werden. Für den raschen Ausbau von Back-up Kapazitäten sollten erzeugungsunabhängige Erlösströme ermöglicht werden.

Energiebinnenmarkt vertiefen: Die EU sollte den europäischen Energiebinnenmarkt weiter vorantreiben und die dafür notwendige Infrastruktur unterschiedlicher Energieträger (neben Strom und Gas auch Wasserstoff und CO2) eng miteinander verzahnen. Für den weiteren Auf- und Ausbau dieser europäische Energieinfrastruktur braucht es bei der Infrastrukturplanung mehr Koordination, Dialog und Konsultationsprozesse mit den Stakeholdern.

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8. Rohstoffabhängigkeit reduzieren – Engpässe und Preisexplosionen vermeiden Die hohe Importabhängigkeit der europäischen Industrie bei kritischen Rohstoffen aus hoch konzentrierten und geopolitisch risikoreichen Märkten stellt ein Risiko für die Versorgungssicherheit des Standorts Europa dar. Die Abhängigkeit Europas von vielen mineralischen Rohstoffen wie Seltenen Erden aus China ist dabei bereits heute größer, als es jene bei Erdöl und Erdgas aus Russland war. Klassische Marktmechanismen verlieren global bei mineralischen Rohstoffen seit Jahren an Bedeutung. Risiken bestehen dabei sowohl mit Blick auf die Rohstoffpreise und deren Volatilitäten als auch hinsichtlich möglicher Knappheiten oder sogar Nicht-Verfügbarkeiten. Mineralische Rohstoffe sind für die Industrie unverzichtbar. Die Unternehmen brauchen sie für wichtige Zukunftstechnologien auf dem Weg zur klimaneutralen Transformation. Ohne beispielsweise Lithium und Seltene Erden wird es keine Energiewende (z. B. Windkraftanlagen), keine E-Mobilität (z. B. Batterie-Akkus), keine Digitalisierung (z. B. Halbleiter), keine Industrie 4.0 geben – aber auch keinen Infrastrukturausbau und keine schlagkräftige Verteidigungsindustrie. Die technologische Entwicklung lässt den Bedarf an mineralischen Rohstoffen signifikant ansteigen. Der steigende Bedarf und weltweite Wettlauf um kritische Rohstoffe im Zuge der grünen und digitalen Transformation steht strukturellen Angebotsdefiziten in etlichen Metallmärkten gegenüber. Zudem behindern protektionistische Maßnahmen verschiedener Staaten den Handel mit Rohstoffen. Zu befürchten ist folglich ein Mismatch von Angebot und Nachfrage. Beim Wettlauf um diese strategisch wichtigen Rohstoffe droht Europa, im Wettbewerb mit anderen Ländern wichtige Rohstoffquellen zu verlieren. Die Folge: Abhängigkeiten und Versorgungsrisiken vergrößern sich.

Verfügbarkeitsrisiko von Rohmaterialen nach Technologie und Sektoren

Quelle: Europäische Kommission.

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Bilanz der Legislaturperiode 2019-2024 Positivbeispiel ▪

Der EU-Aktionsplan zu kritischen Rohstoffen mit dem Ziel, Verwundbarkeiten in der Rohstoffversorgung zu verringern, war ein richtiger Schritt. Dies betrifft auch die von der EU gegründete European Raw Materials Alliance (ERMA, Europäische Rohstoffallianz), die seitdem an der Entwicklung einer Investitions-Pipeline für eine europäische Wertschöpfungskette beispielsweise für Seltene Erden und Permanentmagneten für E-Autos arbeitet. Allerdings sollte es erst der Angriff Russlands auf die Ukraine sein, welcher den späten Impetus für den sich derzeit noch in Verhandlung befindlichen wichtigen Critical Raw Materials Act (CRMA, Verordnung zu kritischen Rohstoffen) lieferte.

Negativbeispiele ▪

Die internationalen Aktivitäten der EU im Rohstoffbereich wie die Strategischen Partnerschaften mit Kanada, der Ukraine, Kasachstan und Namibia, die Teilnahme an der US-geführten Minerals Security Partnership sowie die Global Gateway-Initiative zeigen bislang wenig konkreten Output. Sie sollten konsequent um Anreize für beziehungsweise Flankierung von Unternehmens-Deals ergänzt werden.

EU-Initiativen in anderen Politikbereichen drohen den Zugang der Industrie zu kritischen Rohstoffen zusätzlich zu erschweren. Der Vorschlag der Europäischen Kommission für ein EU-Lieferkettengesetz beispielsweise gefährdet den Aufbau alternativer Wertschöpfungsketten und damit die Versorgungssicherheit von Wirtschaft und Gesellschaft. Für viele Unternehmen dürfte gerade das Geschäft in den häufig ebenso risiko- wie rohstoffreichen Ländern Afrikas aufgrund überbordender Bürokratie und signifikanter Haftungsrisiken nicht mehr wettbewerbsfähig sein. Selbstverständlich sind Menschenrechte und der Schutz der Umwelt Anliegen, die Politik und Wirtschaft teilen. Anstatt die Verantwortung hierfür jedoch allein auf die Unternehmen abzuwälzen, sollte die EU Lieferanten aus Partnerländern über entwicklungspolitische Maßnahmen zum Menschenrechts- und Umweltschutz befähigen.

Handlungsempfehlungen für die Legislaturperiode 2024-2029 ▪

Umsetzung des CRMA sichern: Die Strategischen Projekte zur Förderung, Weiterverarbeitung und zum Recycling strategischer Rohstoffe müssen zügig auf den Weg gebracht werden. Erneut verzögerte Planungs- und Genehmigungsverfahren sind zu vermeiden. Bisher ist der CRMA nicht ausreichend mit anderen Gesetzgebungen und Verordnungen wie der Taxonomie, dem Chemikalienrecht, der Ökodesignverordnung oder den Lieferkettensorgfaltspflichten abgestimmt. Die Europäische Kommission muss Zielkonflikte gemeinsam mit den Mitgliedstaaten zu Gunsten von mehr Versorgungssicherheit auflösen.

CRMA-Umsetzung über Regulierungsebenen hinweg gemeinsam vorantreiben: Der Erfolg des CRMA entscheidet sich v. a. in den Mitgliedstaaten. Deren Kommunen sind es, welche die Projekte vor Ort umsetzen und für gesellschaftliche Akzeptanz sorgen. Dazu ist ein enger Kontakt zwischen europäischer, nationaler und kommunaler Ebene nötig. Standortpolitische Antworten braucht es auch hinsichtlich der Energie- und Stromkosten sowie ausreichender Fachkräfte für die Förderung, Weiterverarbeitung und das Recycling strategischer Rohstoffe.

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Investitionen und Finanzierung im Bereich kritischer Rohstoffe sicherstellen: Die EU braucht ein eigenes IPCEI zu kritischen Rohstoffen, das entlang der IPCEI-Kriterien auszugestalten ist. Der mehrjährige EU-Finanzrahmen sollte regelmäßig überprüft und bei Bedarf notwendige Gelder für strategische Projekte bereitgestellt werden. Die Nutzung existierender und neuer EU-Fonds sowie der Programme von Europäischer Investitionsbank (EIB) und European Bank for Reconstruction and Development (EBRD, Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung) für Rohstoffprojekte ist auch von einer neuen Europäischen Kommission zu prüfen. Im Rahmen der EU-Taxonomie muss verhindert werden, dass der Bergbau als nicht nachhaltig eingestuft und entsprechend Investitionen in Explorations- und Abbauprojekte erschwert werden.

Existierende EU-Rohstoffpartnerschaften mit Leben füllen und weitere Bezugsmärkte erschließen: Die EU sollte weitere Rohstoffallianzen mit afrikanischen, lateinamerikanischen und asiatischen Partnern schmieden. Es gilt dabei, privatwirtschaftliches Engagement politisch zu flankieren. Regierungsbehörden und lokale Unternehmen vor Ort sind durch Instrumente der Entwicklungszusammenarbeit zu unterstützen und das Engagement europäischer Unternehmen ist mit Finanzierungsinstrumenten wie Garantien konkret anzureizen. Diversifizierung mit relevanten Drittmärkten muss zudem durch einen Abbau handelspolitischer Hürden gefördert werden. Die europäischen Rohstoffinteressen müssen sich folglich weiterhin in der EU-Handelspolitik sowie der (Energie- / Industrie-)Außenpolitik – gerade auch mit gleichgesinnten Partnern wie den USA und Japan – wiederfinden.

Überregulierung, Inkohärenzen und Überwachungspflichten durch die EU vermeiden: Die politischen Aktivitäten der EU und ihrer Mitgliedstaaten sollten Unternehmen bei den Themen Diversifizierung, Rohstoffmonitoring für kritische Rohstoffe sowie Lagerhaltung (z. B. durch steuerliche Incentivierung) unterstützen und marktwirtschaftliche Anreize für Ressourceneffizienz und Kreislaufwirtschaft setzen.

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Impressum Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI) Breite Straße 29, 10178 Berlin www.bdi.eu T: +49 30 2028-0 Lobbyregisternummer: R000534

Redaktion Dr. Heiko Willems BDI/BDA The German Business Representation T: +32 27921002 | E: h.willems@bdi.eu

Dr. Klaus Günter Deutsch Research, Industrie- und Wirtschaftspolitik T: +49 3020281591 | E: k.deutsch@bdi.eu

Joscha Ritz BDI/BDA The German Business Representation T: +32 27921003 | E: j.ritz@bdi.eu

Céline Rosskamp BDI/BDA The German Business Representation T: +32 27921006 | E: c.rosskamp@bdi.eu

Michael Harms Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft e.V. T: +49 30206167133 | E: m.harms@oa-ev.de

Uta Maria Pfeiffer Mobilität und Logistik T: +49 3020281436 | E: u.pfeiffer@bdi.eu

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Dr. Monika Wünnemann Steuern und Finanzpolitik T: +49 3020281507 | E: m.wuennemann@bdi.eu

BDI Dokumentennummer: D 1843

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