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„Wo der Verzicht auf mein eigenes Wohlbefinden anfängt, hört der Genuss auf“

Junge Schauspielerinnen und Schauspieler genießen es, ihr Publikum von der Bühne aus in eine Phantasiewelt mitzunehmen. Wie viel Verzicht damit verbunden ist, zeigen sie nicht.

TEXT: LAURA TEIWES

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Spielen bedeutet für mich, den Moment zu genießen. Sich eine Phantasiewelt zu erschaffen und in ihr zu handeln, so wie früher als Kind, als ich mich stundenlang in ein und dasselbe Spiel vertiefen konnte und jegliches Zeitgefühl verlor. Nichts war dann wichtiger als das, was ich im Spiel erlebte, für und mit meinen Freunden erlebbar machen konnte.

Das ist nicht anders, wenn ich heute auf der Bühne stehe. Der Beruf des Schauspielers ist der, einem Publikum Geschichten zu erzählen und es, in welcher Form auch immer, auf eine Reise durch eine Phantasiewelt mitzunehmen, die mit unterschiedlichsten (Theater-) Mitteln kreiert wird. Wenn ich etwas beim Publikum ausgelöst habe, sei es Schmerz, Wut, Freude oder Scham, habe ich meinen Job eigentlich schon getan. Ich glaube allerdings, dass es nicht möglich ist, eine Verbindung zum Publikum herzustellen, ohne selbst auch in irgendeiner Form zu genießen.

Und dabei ist es völlig egal, ob es sich um eine Komödie oder Tragödie handelt, denn mir geht es hier um den Genuss im Sinne von „Sich-der-Situation-hingeben“, und auch dem Rausch. Wobei das Loslassen für mich das Schwerste überhaupt an dem Beruf ist.

Wenn ich Schauspielerinnen und Schauspieler, oder generell Künstler auf der Bühne sehe, die etwas in mir auslösen, von denen ich mehr wissen und sehen möchte, und ich mich im Nachhinein frage, was dieses Etwas war, das mich so angezogen hat, dann komme ich eigentlich immer zu dem Schluss, dass diese Künstler Genuss empfunden haben, als sie auf der Bühne standen. Denn Spielen und Genuss gehören für mich unmittelbar zusammen, sind kaum voneinander trennbar. Würde ich meine Spiellust verlieren und die Momente auf der Bühne nicht mehr genießen können, gäbe es keinen Grund mehr für mich, weiter Schauspielerin zu sein und mich immer wieder Extremsituationen auszusetzen. Dafür ist einfach der Verzicht, der mit diesem Beruf einhergeht, zu groß.

Man opfert viel für seine Leidenschaft, in erster Linie Sicherheit. Ganz konkret heißt das für mich kurz vor den Absolventenvorspielen: Wo bin ich in einem Jahr? An welchem Theater werde ich spielen? Oder drehe ich dann vielleicht gerade einen Film oder nehme ein Hörbuch auf? Habe ich vielleicht gar kein Engagement und auch keine Projekte, in denen ich mitwirke, weil ich einfach Pech hatte und nicht zum Vorsprechen eingeladen wurde?

Laura Teiwes

Laura Teiwes

Foto: Sandra Then

Keine Ahnung, man weiß es nicht. Wissentlich weiß man nichts und begibt sich trotzdem in die Situation der Unsicherheit. Dazu kommen nicht geregelte Arbeitszeiten, wenig Freizeit, wenig Geld, wenig Zeit für Freunde und Familie, überhaupt für ein Privatleben, denn, dass Texte vor und nach der Probe gelernt werden, und zu Hause und im Alltag weiter recherchiert und beobachtet wird, ist allen klar, das wird vorausgesetzt. Es ist nun mal ein „Vierundzwanzigstundenjob“, man macht ihn ganz oder gar nicht. „Ich konnte mich nicht vorbereiten aus diesen und jenen Gründen“ gibt es nicht, denn es ist an jeder Produktion ein ganzes Team beteiligt.

Was ich während des Studiojahres am Schauspiel Frankfurt besonders gelernt habe, ist, auf mich selbst aufzupassen. Ich habe mit Grippe gespielt und mit gebrochenem Arm, weil ich niemanden hängen lassen oder enttäuschen wollte, weil mir in dem Moment alles wichtiger vorkam, als meine eigene Gesundheit. Mittlerweile habe ich für mich eine klare Grenze gezogen: Da, wo der Verzicht auf mein eigenes Wohlbefinden anfängt, hört der Genuss auf. Und dafür bin ich selbst verantwortlich, diese Grenze zu ziehen.

„Mein größtes Hindernis ist mein eigener Kopf, der so viel denkt und blockiert und jeden Tag von neuem nicht genießen will, weil ich unbewusst oft funktionieren und erfüllen will, anstatt mein Bedürfnis auszuleben“

Trotz all dieser Gedanken, die man sich rund um die Uhr macht, über alles, was hinter der Bühne passiert, was privat los ist und wie man die Rolle geprobt hat, besteht die Kunst des Schauspielens darin, im Moment des Spielens dem Körper zu vertrauen, sich zu spüren und zu handeln.

Mein größtes Hindernis ist mein eigener Kopf, der so viel denkt und blockiert und jeden Tag von neuem nicht genießen will, weil ich unbewusst oft funktionieren und erfüllen will, anstatt mein Bedürfnis auszuleben. Wenn ich mich allerdings vor Proben und Vorstellungen bewusst daran erinnere, dass es mein Beruf ist, den Moment zu genießen, verschwinden viele Probleme von ganz alleine. Denn mein Beruf ist es, zu spielen – und das ist doch wunderbar!

→ Laura Teiwes hat schon im Alter von acht Jahren Schauspiel- und Musicalkurse am Jungen Theater Bonn besucht, jetzt steht sie kurz vor dem Abschluss ihres Schauspielstudiums an der HfMDK. Zuletzt war sie u.a. in Falk Richters Stück „Rausch“ im Bockenheimer Depot in Frankfurt zu sehen – im Rahmen des Studiojahres Schauspiel 2018/19.