Denkzeichen für Schöneweide

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Zeichen im Raum

Denkzeichen fĂźr SchĂśneweide



Zeichen im Raum

Denkzeichen fĂźr SchĂśneweide Ein Entwurfsprojekt des Studiengangs Kommunikationsdesign




Einführung Florian Adler Honorarprofessor für Kommunikationsdesign

Die einst idyllische Wald- und Auenlandschaft am Ufer der Spree im heutigen Südosten Berlins wird seit dem 17. Jahrhundert als »Schöne Weyde« beschrieben. Heute wird der nördliche Ortsteil des Bezirks Treptow-Köpenick gelegentlich noch als »Oberschweineöde« bezeichnet. Dazwischen liegt die Entwicklung zu einem beliebten Berliner Ausflugsziel und, Ende des 19. Jahrhunderts, die rasante Industrialisierung des Gebiets. Insbesondere die Familie Rathenau prägte mit der Allgemeinen Elektricitäts-Gesellschaft (AEG) maßgeblich das Stadtbild: Schöneweide wurde zum entscheidenden Schauplatz der »Elektropolis«, der Industriemetropole Berlin. Architekten wie Peter Behrens, Ernst Zwiesel und Gottfried Klemm schufen bedeutende Werke der Industriearchitektur im typischen gelben »Schöneweider Klinker«. Die enorme Zuwanderung von Arbeitern und Angestellten führte zu umfangreichem Wohnungsbau und dem strukturellen Ausbau der Verkehrswege. Im Nationalsozialismus verlagerte sich die Industrieproduktion hin zu kriegswichtigen Gütern. Über 6000 Gefangene aus ganz Europa und KZ-Insassen wurden in den ansässigen Unternehmen zur Arbeit gezwungen und in Barackenlagern inmitten der Wohnquartiere untergebracht. 1945 sprengte die SS beim Rückzug vor der Roten Armee den Kaisersteg, eine der wichtigsten Verbindungen zwischen Ober- und Niederschöneweide. Nach dem Krieg wurde die Kabelproduktion in der DDR als Kabelwerk Oberspree (KWO) fortgeführt. Mit dem Ende der DDR endete jedoch auch Schöneweides Ära als Industriestandort, Tausende von Menschen verloren ihre Arbeit. Mit der Ansiedlung der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW) 2006 bis 2009 ist ein erster großer Schritt zur Revitalisierung des Standortes gelungen.

Einführung Florian Adler


Im Sommersemester 2011 erarbeitete eine Projektgruppe des Studiengangs Kommunikationsdesign der HTW experimentelle Gestaltungskonzepte zur Visualisierung der wechselvollen Geschichte Schöneweides im Stadtraum. In den ersten Wochen befassten sich die Studierenden des 4. Semesters fast ausschließlich mit der industriellen, sozialen und kulturellen Entwicklung des Standorts. Der Förderverein und das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit Berlin-Schöneweide, das Heimatmuseum Treptow-Köpenick und der Industriesalon Schöneweide e.V. leisteten uns dabei wertvolle Hilfe. Im Ergebnis markieren die hier vorgestellten 14 Einzel- und Gruppenarbeiten exemplarisch eine Auswahl historischer Orte der Industrie- und Sozialgeschichte, des Nationalsozialismus und des weitgehend zerstörten jüdischen Lebens. Konventionelle, verstellende Beschilderungen im Stadtbild waren ausdrücklich zu vermeiden. Stattdessen entwickelten die Studierenden überraschende gestalterische Lösungen und entdeckten Strommasten, Brückengeländer oder gar die Wasseroberfläche der Spree als Informationsträger. Unser Anliegen ist es, Passanten durch ungewöhnliche Zeichen im öffentlichen Raum neugierig zu machen, Interesse an der Geschichte Schöneweides zu wecken und nicht zuletzt Identifikationsmöglichkeiten mit dem Ort zu schaffen. Mit einer viel beachteten Ausstellung, die in Kooperation mit der Entwicklungspartnerschaft Schöneweide/BIWAQ umgesetzt wurde, und mit der vorliegenden Dokumentation stellen wir unsere Arbeiten vor, um gemeinsam mit den örtlichen Initiativen und weiteren Interessierten mögliche Wege zur Realisierung des Konzeptes oder einzelner Bausteine zu eruieren. Besonderer Dank gebührt der Historikerin Iris Helbing für ihre engagierte Begleitung im Rahmen des Projekts »Geschichtslehrpfad Schöneweide« sowie den hoch motivierten Studierenden.


Einführung Florian Adler

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Schöneweide entdecken

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Villa Offensiv

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Martha Ruben Wolf

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Villa Lehmann/Hasselwerder Villa

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Kaisersteg

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Entwicklung Schöneweide

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Der Bulle

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Zeiträume

Susanne Chmela, Maria Ernicke, Nadine Hädrich

Natalie Rauch, Nora Römer

Natalie Rauch, Nora Römer

Claudine Palm, Julia Längert

Maria Stier

Maria Ernicke

Alexander Köpke

Caroline Viola von Zadow

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Wilhelm Firl Caroline Viola von Zadow

Sozialgeschichte Tim de Gruisbourne

Elektropolis Tim de Gruisbourne

Treskowbrücke Tim de Gruisbourne

Denkzeichen NS-Zwangsarbeit Tim de Gruisbourne, Ove Numrich

Der letzte Schatten Susanne Chmela

Projektgruppe Impressum



Schöneweide entdecken Susanne Chmela, Maria Ernicke, Nadine Hädrich

»Schöneweide entdecken« stellt das verbindende Modul des Gesamtprojektes dar und ist gleichzeitig sein kleinster Baustein. Die Idee: verteilt über ganz Schöneweide sind auf Gehwegen und Plätzen zunächst rätselhafte Begriffe auf dem Boden zu finden. Sie thematisieren am jeweiligen Ort einen Aspekt der Geschichte Schöneweides und bilden die Verbindung zwischen den weiteren Denkzeichen. Die Begriffe sind mit einem gekennzeichnet, welcher die Besucher auffordert, die dazugehörigen Erklärungen – gewissermaßen die »Fußnoten der Geschichte« – in der näheren Umgebung zu entdecken und damit etwas über die Besonderheit dieses Ortes zu erfahren. Die zurückhaltende Gestaltung integriert sich unaufdringlich ins Stadtbild und die Liste der geschichtsträchtigen Orte kann ohne großen Aufwand sukzessive erweitert werden. Damit möchten wir Bewohner und Besucher dazu animieren, sich flanierend mit Schöneweide auseinander zu setzen. Das zufällige Entdecken macht neugierig auf mehr.

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Schöneweide entdecken Susanne Chmela, Maria Ernicke, Nadine Hädrich



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SchÜneweide entdecken Susanne Chmela, Maria Ernicke, Nadine Hädrich


Die Bodenbeschriftung wird in einer Schabloniertechnik umgesetzt. Jedoch erfolgt, bis auf den blauen Stern, kein Farbauftrag, sondern es wird mittels eines Hochdruckreinigers innerhalb der einzelnen Buchstabenformen der Schmutz aus den Bodenplatten gereinigt. Dadurch werden die Begriffe als hellere Flächen sichtbar gemacht. Anschließend werden die gereinigten Flächen mit einer Nano-Imprägnierung versiegelt. Diese zieht in den Stein ein, ist abriebfest, schmutz- und wasserabweisend und verhindert somit die erneute Verschmutzung der Schriftzeichen. Als Schrift kommt die für das Schablonierverfahren prädestinierte »DIN Stencil« zum Einsatz. Die Schriftgröße wird entsprechend dem Untergrund und der Umgebung angepasst, ist jedoch bereits aus weiterer Entfernung lesbar.


K.K.K.K.: Mit der Eröffnung des Kinos »Weltbiographen-Theater« am Marktplatz, kurz »WBT« hatten unsere die Schöneweider damals ihre gewünschten vier großen »Ks« am Marktplatz zusammen: Kirche, Kneipe, Klo und Kino.

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Schwindsucht: Die von der AEG 1898 errichtete Fußgängerbrücke Kaisersteg wurde im Volksmund als »Schwindsuchtbrücke« bezeichnet. Wenn man im Gleichschritt über die Brücke ging schwankte sie auf jeder Seite einen halben Meter, sodass man sich leicht die »Schwindsucht« holen konnte.

Schöneweide entdecken Susanne Chmela, Maria Ernicke, Nadine Hädrich


Die Erläuterungstexte zu den jeweiligen Bodenbeschriftungen werden mittels Schablone und Farbe auf Wände, Mauern, Geländer oder andere geeignete Informationsträger gebracht. Dabei variiert die Versalhöhe der Schrift je nach Umgebung und Lesebedingungen von 10 bis 40 mm. Entsprechend den Vorgaben der DIN-Norm 1450 zur Leserlichkeit von Schriften wird gewährleistet, dass der Erläuterungstext immer gut lesbar ist.


Neben der Möglichkeit, Erläuterungen in Schriftform zu platzieren, bieten sich optional auch Audio-Informationen an. Diese könnten beispielsweise über Klingelanlagen an den Wohnhäusern historischer Persönlichkeiten in Schöneweide abgerufen werden.

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Schöneweide entdecken Susanne Chmela, Maria Ernicke, Nadine Hädrich


»1933 wurde Fritz Kirsch von der SA verhaftet und sollte zugeben, dass er »Pflaume« sei. Pflaume war jedoch der Deckname seines Bruders Otto Kirsch, dem Leiter des Widerstand leistenden kommunistischen Jugendverbandes. Um seinen Bruder zu schützen, bestätigte Fritz »Pflaume« zu sein und wurde dafür drei Monate in einem Konzentrationslager inhaftiert. 1939 wurde er erneut verhaftet und ins KZ Sachsenhausen deportiert, wo er umkam.«


Villa Offensiv Hasselwerder Straße 40 Natalie Rauch, Nora Römer

Die »Villa Offensiv« wurde 1890 errichtet und ab Juli 1945 durch den sowjetischen Geheimdienst NKWD für Gefangennahmen, Verhöre und Folterungen genutzt. Gefangene wurden in der Villa zusammengetrieben, geschlagen und anderweitig gequält. Dies geschah rund um die Uhr und die Schreie der Gepeinigten drangen bis auf die Straße hinaus. Im Keller des Hauses wurden zahlreiche Menschen interniert und von hier aus in Straflager deportiert, wo viele von ihnen umkamen. Später beherbergte die Villa eine Dienststelle der Stasi. Die Geschichte dieses Hauses droht in Vergessenheit zu geratenen und darf nicht gänzlich aus der Erinnerung der Menschen verschwinden. Unsere Gestaltungsidee basiert auf den undurchsichtigen Machenschaften von Geheimdiensten. So wie uns die tatsächlichen Ereignisse in den Folterkellern der Villa nur bruchstückhaft und verschlüsselt überliefert sind, ist auch das kryptische Buchstabenlabyrinth nur auf den zweiten Blick Stück für Stück zu entziffern.

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Villa Offensiv Natalie Rauch, Nora Römer



Die Keller der Villa Offensiv wurden ab 1945 durch den sowjetischen Geheimdienst NKWD für Verhöre und Folter genutzt. Zahlreiche Bürger wurden von hier aus in Straflager deportiert, wo viele von ihnen umgekommen sind.

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Villa Offensiv Natalie Rauch, Nora Römer



Martha Ruben Wolf Spreestraße 1 Natalie Rauch, Nora Römer

Das Haus in der Spreestraße 1 diente der jüdischen Ärztin Martha Ruben Wolf als Praxis und Wohnung. Mit der Machtübernahme Hitlers ist ihr Leben und das ihrer Familie bedroht. Als aktive Kommunistin und Frauenrechtlerin emigriert sie 1933 in die Sowjetunion, wo die Familie jedoch etwa sechs Jahre später dem stalinistischen Terror unterliegt und umkommt. Sie wurde vom »Rassenfeind« zum »Klassenfeind«. Mit dem Begriff »Rassenfeind« wurde eine Person bezeichnet, welche die arische Rasse »bedrohte« und »verunreinigte«. Zumeist bezog sich das auf Juden. »Klassenfeind« hingegen war in den frühen Jahren der Sowjetunion der zentrale Begriff bei der Verfolgung missliebiger Personen, Andersdenkender und Oppositioneller. Später lieferte diese Anschuldigung die Rechtfertigung für Massenverhaftungen, Exekutionen und Deportationen.

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Martha Ruben Wolf Natalie Rauch, Nora Römer



Der Schriftzug kann per Schablonierverfahren auf die Hauswand aufgebracht werden. Die Wahrnehmung von beiden Seiten des Platzes um das Michael-Brückner-Haus wäre damit auf eine unaufdringliche, aber durchaus sichtbare Art gewährleistet.

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Martha Ruben Wolf Natalie Rauch, Nora Römer


Eine andere Möglichkeit der Umsetzung besteht in der Bodenmarkierung, entsprechend dem Konzept »Schöneweide entdecken« (01). Der Erläuterungstext könnte hier z.B. an der Unterseite des Balkons im 1. OG zu finden sein.


Villa Lehmann, Hasselwerder Villa Hasselwerder Straße 22 Claudine Palm, Julia Längert

Die Hasselwerder Villa erinnert an die jüdische Familie Lehmann, die mit ihrer 1880 gegründeten Textilfabrik starke Impulse für die Wirtschaft in Oberschöneweide gegeben hat. Das Haus wurde eigens für den Direktor der Textilfabrik Richard Lehmann erbaut, damit dieser mit Frau und Kindern in der Nähe seiner »Plüschfabrik« residieren konnte. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 flohen die Kinder nach England. Else und Richard Lehmann jedoch blieben: »Uns werden ›die‹ doch nichts tun.« 1942 wurden sie verschleppt und ein Jahr später nach Theresienstadt deportiert, wo Richard 1943 ermordet wurde. Else wurde 1944 in Auschwitz umgebracht. Das Konzept setzt bei der Verbindung der Familiengeschichte im Zusammenhang mit der Textilfabrik und dem Nationalsozialismus an. Dafür wurde eigens eine Schrift aus einem Kreuzstichmuster entwickelt, die für die Fertigung von Textilen, aber auch für Handarbeit und Stickereiarbeiten, und damit für die menschliche Nähe und Bodenständigkeit der Familie steht. Denn die Lehmanns glaubten bis kurz vor ihrer Deportierung noch an ein gutes Ende. Das verdeutlicht das verwendete Zitat, das auch eine verzweifelte Hoffnung widerspiegelt. Dieses zentrale Zitat erstreckt sich über die Hausfassade, erschließt sich jedoch erst, wenn der Betrachter um das Haus herum geht. Auch die weiteren Informationen sind eher versteckt und wollen gefunden werden.

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Villa Lehman, Hasselwerder Villa Claudine Palm, Julia Längert



Die Kreuzstich-Schrift wird per Schablonierverfahren auf die Außenwände der Villa aufgebracht. Sie ist in einem auf die Fassade abgestimmten Grauton gesetzt, damit sie nicht zu sehr kontrastiert und sich so dem Ort anpasst. Mit einer Versalhöhe von 31cm ist die Schrift bereits von der Straße aus lesbar.

»Uns werden ›die‹ doch nichts tun.«

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Villa Lehman, Hasselwerder Villa Claudine Palm, Julia Längert


Der Schriftzug am Zaun entsteht aus einer wetterfesten Kunstfaser, die in den Maschendraht gewebt wird. Die Größe der einzelnen Buchstaben richtet sich nach dem Zaungeflecht, welches ein Raster von 4 x 6 Einheiten vorgibt. Die Versalien sind ungefähr 50 cm hoch und damit schon von Weitem erkennbar.

Die Kreuzstich-Schrift verbindet die Textilfabrik und die Villa nicht nur inhaltlich miteinander, sie passt sich auch dem Zaungeflecht vor der ehemaligen Fabrik perfekt an: Das früher häufig verwendete Wort »Plüschfabrik« wird in den Zaun gewebt.


Eigens für den Direktor der Textilfabrik, Richard Lehmann, wurde in unmittelbarer Nähe der Fabrik die Hasselwerder Villa erbaut. Richard lebte dort mit seiner Frau Else und ihren Kindern. Infolge der Weltwirtschaftskrise 1929 wurde die Villa an die Stadt Berlin verkauft und unter anderem als Gesundheitsamt genutzt. Wegen der jüdischen Herkunft der Familie wanderten Kinder und Enkelkinder nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten nach England aus. Else und Richard blieben: »Uns werden ›die‹ doch nichts tun«. 1942 wurden sie verschleppt und ein Jahr später nach Theresienstadt deportiert, wo Richard 1943 ermordet wurde. Else wurde 1944 in Auschwitz umgebracht.

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Villa Lehman, Hasselwerder Villa Claudine Palm, Julia Längert


Im Siebdruckverfahren wird der Erläuterungstext auf einen Stein an der ehemaligen Textilfabrik aufgedruckt. Der Text in der Schrift Meta, mit einer Versalhöhe von 20 mm, ist mit einem Kreuzstich-Initial versehen und führt so das Konzept der Kreuzstich-Typografie fort.


Kaisersteg Hasselwerder Straße/ Laufener Straße Maria Stier

Mit der zu Ehren Wilhelm II. benannten Fußgängerbrücke, dem »Kaisersteg«, entstand 1897 ein zweiter Spreeübergang und die Verbindung zwischen Niederund Oberschöneweide. Die von der AEG errichtete Brücke erleichterte den Arbeitern den Weg vom S-Bahnhof Schöneweide zu den Fabrikhallen der AEG. Die filigrane Eisenfachwerkkonstruktion, entworfen von Heinrich Müller-Breslau, zählte zu den bedeutenden Leistungen der Ingenieurbaukunst um 1900. Im April 1945 sprengte die SS die Brücke, um den Einmarsch der Roten Armee zu verzögern. Im September 2007 wurde der neue Kaisersteg wieder eröffnet. Die dem historischen Kaisersteg nachempfundenen allegorischen Bildmotive der Elektrifizierung – Blitze, Sonne, Mond und Sterne, Rosette und Glühlampe – stellen eine Verbindung des alten zu dem neuen Bauwerk her. Als Informationsträger werden die Brüstungen verwendet. Auf den Innenseiten der beiden Pylone erinnern Fotos aus den Jahren 1897 und 1900 an den Vorgängerbau. Das Zitat auf der äußeren westlichen Seite »Im Gleichschritt wurde nicht gelaufen« signalisiert mehrdeutig und bereits aus der Ferne, dass es sich hier um einen geschichtsträchtigen Ort in Schöneweide handelt. So soll bei den Passanten das Interesse an der Geschichte des Kaiserstegs geweckt und seine Bedeutung für das Industriegebiet Schöneweide verdeutlicht werden. Nebenbei kann durch die sorgsame Gestaltung auch auf eine zurückgehende Beschädigung durch Graffities gehofft werden.

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Kaisersteg Maria Stier



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Kaisersteg Maria Stier


Erbauung

Schmuck

Konstruktion

Mit der durch die AEG errichteten und zu Ehren Wilhelm II benannten Fußgängerbrücke »Kaisersteg« entstand 1897 ein zweiter Spreeübergang und eine Verbindung zwischen Niederund Oberschöneweide.

Die Portale des Kaiserstegs waren durch Kunstschmiedearbeiten reich verziert. Rosetten, wappenähnlicher Schmuck, Sonne, Mond, Sterne und Blitze dienten allegorischen Darstellung von Elektrizität.

Die filigrane Eisenfachwerkkonstruktion, entworfen von Heinrich Müller-Breslau, zählte zu den bedeutenden Leistungen der Ingenieursbaukunst um 1900.

Neueröffnung

Baukosten

Zerstörung

Mit der Neueröffnung des Kaiserstegs im September 2007 wurde diese Fußgängerverbindung zwischen Nieder- und Oberschöneweide nach 60 Jahren wieder hergestellt.

Die Baukosten des neu gebauten, 140 Meter langen und ca. 400 Tonnen schweren Kaiserstegs betrugen rund 4 Millionen Euro.

Am 22. April 1945 sprengten Einheiten der SS den Kaisersteg, um die anrückende Rote Armee aufzuhalten. Die Industrielandschaft in Schöneweide verlor damit eines ihrer prägenden Wahrzeichen.


Links: Ist–Zustand Rechts: Idee Eine sinnvolle und sorgfältige Gestaltung kann potenziell gefährdete Flächen vor erneuter Verunstaltung schützen.

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Kaisersteg Maria Stier


Die von der AEG 1897 errichtete Fußgängerbrücke Kaisersteg wurde im Volksmund als »Schwindsuchtbrücke« bezeichnet. Wenn man im Gleichschritt über die Brücke ging schwankte sie auf jeder Seite einen halben Meter, sodass man sich leicht die »Schwindsucht« holen konnte.


Entwicklung Schöneweide Stadtplatz Maria Ernicke

Dieses Konzept thematisiert die Entwicklungsphasen Schöneweides vom ländlich verschlafenen Vorort, über die Industrialisierung im 20. Jahrhundert, bis zum heutigen Standort für Wissenschaft, Technik und Kunst. Auf dem Platz am nördlichen Flussufer zwischen Wilhelminenhofstraße, Reinbeckstraße und dem Kaisersteg bietet sich ein freier Blick über das Industriegebiet nördlich der Spree und das südlich gelegene Wohngebiet. Hier informiert eine dreiteilige Tafelkonstruktion mittels Kartenansichten über die Bebauungsstruktur der Jahre 1839, 1907 und 2010 und visualisiert so die wichtigen Etappen in der Entwicklung des Gebietes. Die in einem Metallrahmen gefassten Tafeln lassen sich mit Hilfe eines im Boden verankerten Schienensystems neben- und übereinander betrachten. Die Halbtransparenz der Kartenauschnitte erlaubt somit den direkten Vergleich der dargestellten Entwicklungsstufen.

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Entwicklung Schöneweide Maria Ernicke



200 cm

5 cm

Die Tafeln haben ein Maß von 50 x 200 x 5 cm. Die Karten werden halbtransparent auf ESG-Glas gedruckt. Die dahinterliegende Karte kann so mit der davor befindlichen verglichen werden. Die Karten sind nach Osten ausgerichtet, um mit der Blickrichtung des Betrachters zu korrespondieren.

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Entwicklung Schöneweide Maria Ernicke

50 cm

Der untere Bereich der Tafeln besteht aus Metall und bietet Raum für die Legende sowie einen kurzen Text zu den historischen Hintergründen des auf der Karte dargestellten Zeitabschnitts. Die Versalhöhe der Schrift beträgt 5 mm. Dies gewährt nach DIN 1450 gute Lesbarkeit bis 1,5 Meter Leseabstand.



Der Bulle – Die Industriebahn von Schöneweide Wilhelminenhofstraße 20–25 Alexander Köpke

Oberschöneweide galt als einer der wichtigsten Industriestandorte Berlins. Auf der Suche nach einer Verbindung zwischen den zahlreichen Betrieben, die damals und – zu einem geringen Teil – auch heute noch ansässig sind, stößt man auf den »Bullen«. »Bulle« ist die Bezeichnung für die Industriebahn, die von 1890 bis 1995 über 30 Werksanschlüsse in der Region bediente und eine Strecke von ca. 13 km Länge hatte. Die Idee ist es, den »Bullen«, der eine Art industrielle Herzschlagader der Region darstellte, wieder sichtbar zu machen. Dies soll mittels einer Installation auf den Fenstern und dem Einfuhrtor der ehemaligen Industriebahn an den Rathenau-Hallen realisiert werden. Die stilisierte Darstellung des »Bullen« erfolgt, nahezu in Originalgröße, durch polymere Klebefolien. Auf den Fenstern bleiben die dunklen Flächen der Wagons frei, lediglich Hintergründe, Linien und Texte werden durch halbtransparente Folien in Sandstrahloptik heller abgesetzt. So entsteht außen der visuelle Eindruck einer Spiegelung, während in den Hallen der Lichteinfall kaum beeinträchtigt wird. Die Zitate, die sich auf den Wagons befinden, stammen von ehemaligen Angestellten des TRO, KWO und WF. Sie stellen neben dem »Bullen« einen weiteren Bezug zur weitgehend verschwundenen Industrie in Oberschöneweide dar.

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Der Bulle – Die Industriebahn von Schöneweide Alexander Köpke



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Der Bulle – Die Industriebahn von Schöneweide Alexander Köpke



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Zeiträume Reinbeckstraße 9 Caroline Viola von Zadow

Vor mehr als 120 Jahren wurden die ersten Fabriken in Schöneweide errichtet. Seitdem sind Gesellschaftssysteme aufgestiegen und untergegangen, aber die Mauern der Fabriken stehen noch immer. Hunderttausende Menschen haben ihre Schatten an die Mauern dieser Gebäude geworfen. Sie haben an diesem Ort gearbeitet, gelebt, gelitten, gekämpft und gelernt. Hier haben sie gehofft, geliebt, gelacht und geweint. Und sie haben hier verloren und gewonnen. Die südliche Fassade der Reinbeckhallen bietet fünf Flächen, die von Spaziergängern und Bootsfahrern bereits aus großer Entfernung wahrgenommen werden. Die Gestaltung dieser Flächen soll an all die Menschen erinnern, die diesen Ort am Leben erhalten haben. Jedes der Piktogramme steht für die Menschen einer Epoche. Dass Erinnerungen verblassen, gehört zum Lauf der Dinge. Das Vergessen ist nicht zu verhindern. Und trotzdem: Diese Zeichen stemmen sich dagegen und hellen die Erinnerungen auf.

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Zeiträume Caroline Viola von Zadow



21369 Arbeiter waren hier 1910 bereits beschäftigt. 1890 entstanden in Schöneweide die ersten Fabriken.

26057 Zwangsarbeiter waren im Januar 1944 offiziell in Schöneweide gemeldet. 1290 Widerstandskämpfer aus Schöneweide widmeten ihr Leben dem Kampf gegen den Nazionalsozialismus. 32290 Gestapo-Mitarbeiter waren 1945 für die Bekämpfung »staatsfeindlicher Bestrebungen« zuständig.

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Zeiträume Caroline Viola von Zadow


30000 Fabrikarbeiter waren von 1950 bis 1989 in Schöneweide beschäftigt. 29500 Fabrikarbeiter verloren hier zwischen 1990 und 1996 ihre Arbeitsplätze.

6614 Studenten und Angestellte der HTW Berlin studieren und arbeiten seit 2009 auf dem neuen Campus. 59 Künstler arbeiten heute auf dem Gelände des ehemaligen Industriegebiets in Schöneweide.


Gesamtansicht der Fassade mit Maßen, Schriftgrößen und Leseentfernungen.

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Zeiträume Caroline Viola von Zadow


Piktogrammentw端rfe f端r die Menschen der verschiedenen Epochen


Wilhelm Firl Firlstraße/Wilhelmienenhofstraße Caroline Viola von Zadow

Wilhelm Firl (1894–1937) war überzeugter Kriegsgegner und Kämpfer für die Freiheit. Unter den schweren Bedingungen des Nationalsozialismus nahm er am organisierten Widerstand Teil. 1937 wurde er zum Tode verurteilt und noch im selben Jahr in Berlin-Plötzensee enthauptet. Aus der Todeszelle schrieb Firl Briefe an seine Frau. Im Warten auf den gewissen Tod fand er Worte voller Hoffnung und Ermutigung. Diese sollen in der Firlstraße zitiert werden, um an ihn zu erinnern. Ohne dabei deprimierend oder provozierend wirken zu wollen. Durch die unterschiedlichen Schriftgrößen kommunizieren die Zitate auf zwei Ebenen. Dem Vorbeieilenden erscheinen die Worte leicht. Die Schwere der Bedeutung drängt sich nicht auf, was sich auch in der zurückhaltenden Gestaltung widerspiegelt. Nur wer einen Moment inne hält und näher heran tritt, kann den tieferen Sinn der Zitate erfassen.

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Wilhelm Firl Caroline Viola von Zadow



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Wilhelm Firl Caroline Viola von Zadow


»Denke vorwärts. Auch ich denke nicht zurück. In meiner letzten Stunde denke ich noch vorwärts. Und so aufrecht, wie Du mich hier immer gesehen hast, bin ich bis zuletzt.« Wilhelm Firl


Sozialgeschichte Tim de Gruisbourne

Einhergehend mit der Geschichte der Industrialisierung entwickelte sich in Schöneweide schon sehr früh ein soziales Bewusstsein. Zunächst vereinzelt initiiert wie beispielsweise durch Wilhelmine Rathenau, die sich mit ihrer Stiftung schon 1898 um die Bedürfnisse der Arbeiterinnen und deren Kinder kümmerte. Initiativen dieser Art ziehen sich bis heute durch die Geschichte Schöneweides. Von Werkskrippen und Kindergärten über öffentliche Waschhäuser, Sozialstationen mit Essensausgabe und Kriegsküchen bis zu den viel genutzen Clubhäusern der Fabriken oder den werkseigenen Wassersportvereinen zeichnet sich ein sozialgeschichtliches Bild mit vielen Facetten. Das Denkzeichenkonzept zur Sozialgeschichte Schöneweides greift die lokalen Besonderheiten auf und bringt diese in Bildform ins Stadtbild. Als Träger für die Zeichen werden die vorhandenen Straßenbahnmasten entlang der Wilhelminenhofstraße genutzt. Sie sind dauerhafte Bestandteile des Stadtbildes und durch ihre breiten Profile für diesen Einsatz prädestiniert. Außerdem stellen sie auch auf inhaltlicher Ebene den Zusammenhang zwischen Industrialisierung und sozialgeschichtlicher Entwicklung her.

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Sozialgeschichte Tim de Gruisbourne



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Hinter dieser Mauer befand sich ab 1900 das Casino. Als erste soziale Einrichtung in der Arbeiter kostenlos Mittagessen aus eigener KĂźche bekommen konnten, gehĂśrt es zu den Grundsteinen der sozialen Entwicklung SchĂśneweides.

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Sozialgeschichte Tim de Gruisbourne


* Die Gaststätte »Zum Roten Stern« war in der Zeit der Weimarer Republik die Zentrale der KPD-Kreisleitung von Treptow. Das Ehepaar Jahncke, das die Gaststätte leitete, wurde für sein soziales Engagement geschätzt. Anna Jahncke war bis weit über ihren Tod hinaus als »Mutter Jahncke« bekannt.

Hier befand sich in der Zeit des Ersten Weltkriegs eine Kriegsküche für die Arbeiter Schöneweides und deren Kinder. Man kam vorbei auf »einen Schlag Essen«, um danach zur Arbeit oder in die Schule zu gehen.

* Um im Klubhaus der VEB Kabel Musik spielen zu dürfen, musste man eine Prüfung zum »staatlich geprüften Schallplattenunterhalter« ablegen. Die Prüfung vermittelte unter anderem, dass nur »60 /40« gespielt werden durfte: 60% Ost- und 40% Westmusik.


Elektropolis Wilhelminenhofstraße 20 –25 & 78 Tim de Gruisbourne

Oberschöneweide war einst das größte Industriegebiet Europas. Die hier vornehmlich ansässige Elektroindustrie beschäftigte zu Spitzenzeiten bis zu 50.000 Menschen. Der Stadtteil war dadurch einer der lebendigsten Orte Berlins und einer der Kerne der Elektrifizierung Deutschlands. In der DDR wurde hier weiter produziert. Da aber keine nennenswerte Modernisierung statt fand, musste mit der Wende ein Betrieb nach dem anderen schließen. Über die Jahre sind die architektur- und industriehistorisch wertvollen Gebäude in einen Dornröschenschlaf gefallen. Viele von ihnen stehen heute leer. Doch langsam regt sich dort neues Leben. Die Möglichkeiten der Besichtigung von Schöneweides Industriebauten sind äußerst beschränkt. Der neugierige Besucher kann meist nicht mehr als einen Blick durch die großen Fenster der Fabrikhallen werfen. Mit dem Denkzeichenkonzept für die Elektroindustrie Schöneweide sollen die Gebäude mehr von sich und dem ehemaligen Industrieleben preisgeben.

»Die Industrielandschaft Schöneweide ist für die Elektropolis Berlin nicht weniger charakteristisch – und nicht weniger wichtig – als die Museumsinsel für Spree-Athen.« Prof. Dr. Norbert Huse, Denkmalpfleger

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Elektropolis Tim de Gruisbourne



Das Leben rund um die Elektroindustrie brachte ein ganz eigenes Vokabular hervor. Nur noch wenige wissen heute, dass das »Grüne Ungeheuer« eine riesige Wickelmaschine für Großtrafos war oder die »Trojaner« – die Arbeiter des Transformatorenwerks Oberschöneweide (TRO) – hier ihr tägliches Brot verdienten.

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Elektropolis Tim de Gruisbourne

Diese Wortschöpfungen prägen auf eine besondere Art und Weise das ehemals größte Industriegebiet Europas und wecken unsere Fantasie.


Das inspirierende Vokabular wird in diesem Konzept einzelnen Gebäuden zugeordnet und durch individuelle Lichtinstallationen hinter den Fenstern in Szene gesetzt. So gewinnen wir durch die Fenster einen Einblick in die Geschichte der Elektroindustrie Oberschöneweides.

Je nach Art der Inszenierung wird Elektroluminiszenzfolie direkt von innen an die Fensterscheiben der zu bespielenden Gebäude geklebt oder auch mit Abstand hinter der Scheibe aufgestellt. Elektroluminiszenzfolie zeichnet sich gleich mehrfach für dieses Vorhaben aus:

Zum einen ist sowohl ihr Anschaffungspreis als auch der Stromverbrauch im Vergleich zu allen anderen großflächigen Beleuchtungen sehr gering. Zum anderen ist sie einfach zu verarbeiten, zu montieren und hat eine Lebensdauer von bis zu 50.000 Stunden. Über Spannung und Frequenz lassen sich Leuchtkraft und Farbe steuern.


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Die beiden Beispiele zeigen, wie durch die Art der Inszenierung auf das jeweilige Gebäude und den dazugehörigen Begriff Bezug genommen werden kann. Das Wort »Elektropolis«, das für das gesamte Industriegebiet steht, birgt in sich eine Reihe von Begriffen, die ebenfalls im Zusammenhang mit der Elektrostadt Schöneweide stehen. Durch unterschiedliche Lichtintensität und Farbe werden diese sichtbar und verschwinden wieder, um eine neues Wort zu bilden. Am Abspannwerk mit seiner prägnanten Architektur wird »Abspannen« als Bewegung aufgenommen und in eine Kreisbewegung gebracht.


Treskowbrücke Brückenstraße Tim de Gruisbourne

Der preußische Stadtrat Johann Carl Sigismund von Treskow veranlasste 1904 den Bau einer Brücke über die Spree, um die Ortsteile Nieder- und Oberschöneweide miteinander zu verbinden. Von Treskow gilt als Pionier des Straßen-, Schienenund Kanalisationsbaus, sowie der modernen gesundheitlichen Infrastruktur. Mit dem Bau der Treskowbrücke schuf er eine entscheidende Voraussetzung für die Bildung des damals größten Industriegebietes Europas. Mit ihren 163 Metern Gesamtlänge ist die Treskowbrücke auch heute noch die mit Abstand längste Spreebrücke Berlins. Die ursprüngliche Brücke, 1904 nach den Plänen von Karl Bernhard errichtet, erfuhr zahlreiche Umbauten und wurde im zweiten Weltkrieg komplett zerstört. Das Denkzeichen Treskowbrücke möchte einerseits auf die Bedeutung und Geschichte der Brücke hinweisen und andererseits an ihren Namensgeber erinnern.

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Treskowbrücke Tim de Gruisbourne



Mitten auf der Treskowbrücke gerät das Denkzeichen an einer der am stärksten frequentieten Bereiche Schöneweides täglich in das Blickfeld vieler Menschen.

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Treskowbrücke Tim de Gruisbourne


Das Denkzeichen soll beidseitig auf der inneren Brückenbrüstung angebracht werden. Die dazugehörigen Infotexte befinden sich auf der Rückseite der Brüstung. Die Farbigkeit von Bild und Typografie orientiert sich an der Farbe der Brückenbrüstung. Die Grafik wird als wetterfeste Folie aufgebracht.

Der Mund des Herrn Treskow, also Sigis Mund, bildet das Motiv des Denkzeichens. Mit einem Augenzwinkern erregt das Bild Aufmerksamkeit, gerade weil es zunächst in keinem Bezug zur Brücke zu stehen scheint. (Fotomaterial von Herrn Treskow befindet sich gegenwärtig im Zulauf, weshalb der hier abgebildete Mund nicht dem des Originals entspricht.)


Denkzeichen NS-Zwangsarbeit Uferweg zwischen HTW und Kranhaus-Café Tim de Gruisbourne, Ove Numrich

Als wichtigster Standort der deutschen Elektroindustrie wurden Produkte aus Schöneweide für Licht und Ton der NS-Propaganda sowie für Bomber, Kampfflugzeuge und U-Boote genutzt. Elektronische Bauteile für »Wunderwaffen« sollten die kommende Niederlage des »Dritten Reiches« abwenden. Um die Produktion aufrecht zu erhalten und auszuweiten, wurden ab 1938 in Schöneweide auch Berliner Juden zur Arbeit gezwungen. In den Jahren darauf folgten Menschen aus Westeuropa sowie ab 1941/42 aus Polen und den besetzten Gebieten der damaligen Sowjetunion. Die Unterkunftslager für Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter wurden in unmittelbarer Nähe zu den Fabriken und in Wohnvierteln errichtet. 1944 folgten auch in Schöneweide Außenlager des KZ Sachsenhausen, von wo aus weibliche Häftlinge zur Arbeit im KWO und in der Batteriefabrik Pertrix gezwungen wurden. Dies geschah vor aller Augen, unter dem unmittelbaren Blick der deutschen Öffentlichkeit oder deren aktiver Beteiligung.

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Denkzeichen NS-Zwangsarbeit Tim de Gruisbourne, Ove Numrich



MIT DEM SCHIFF

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Denkzeichen NS-Zwangsarbeit Tim de Gruisbourne, Ove Numrich


ZUR ARBEIT

Das Denkzeichen verweist auf die deutsche Industrie als einem Nutznießer des Nazi Regimes. Die Banalität des Schriftzuges soll die »Normalität« der Zwangsarbeit im »Dritten Reich« thematisieren. Die Tatsache, dass es möglich war, große Unterkunftslager mitten in Wohngebieten zu »vergessen«, soll zeigen, wie die deutsche Gesellschaft während und nach dem Krieg mit dem Thema der NSZwangsarbeit umgegangen ist. In diesem Sinne ist das Denkzeichen ein stilles Mahnmal, dass das Geschehene fortwährend zurück an die Oberfläche holen will.


Der Schriftzug befindet sich an einer ehemaligen Anlegestelle auf der Oberschöneweider Seite der Spree. Gelegen an dem neu geschaffenen Uferweg zwischen dem »Kranhaus-Café« und der HTW, befindet er sich in einem von Ausflüglern und Einheimischen gleichermaßen frequentierten Gebiet.

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Die aus Aluminium gefertigten Lettern befinden sich unterhalb der Wasseroberfläche und sind vom Ufer aus gut sicht- und lesbar. Auf stählernen Stelen verankert, gleichen sie durch einen pneumatischen Mechanismus Tidengang und wechselnde Wasserstände aus. Die Schriftzeichen befinden sich so in ständiger, leichter Bewegung.

Denkzeichen NS-Zwangsarbeit Tim de Gruisbourne, Ove Numrich



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Köpenicker Synagoge – Der letzte Schatten Köpenick, Freiheit 8

Die 1910 errichtete jüdische Synagoge in Köpenick wurde in der sogenannten »Reichskristallnacht« 1938 von den Nationalsozialisten in Brand gesetzt.

Susanne Chmela

Bei einem Luftangriff auf Berlin wurde das Gebäude weiter zerstört. Nach 1945 wurden die Überreste abgetragen. Seither verwies kaum etwas an die jüdische Gemeinde Köpenick und die einst prächtige Synagoge. Lediglich eine Gedenktafel auf dem an gleicher Stelle errichteten Wohnhaus verweist auf die Zerstörung. Der letzte Schatten, den die Synagoge am späten Nachmittag des 8. November 1938 hinterließ, wird mittels eines lasierenden Farbauftrags auf der gegenüberliegenden Häuserwand nachgezeichnet. Durch die schattenhaften Umrisse wird an die verlorene Synagoge und die ursprüngliche Silhouette des Straßenzuges erinnert.

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Köpenicker Synagoge. Der letzte Schatten Susanne Chmela



Für die Rekonstruktion des »letzten Schattens« wurde an Hand alter Fotos ein Modell der Synagoge, der umliegenden Häuser sowie des Straßenzuges in einer 3D-Software nachgebaut. Über eine Simulation des Sonnenstandes am 8. November 1938 wurde dann der Schattenwurf auf die gegenüberliegende Häuserfront berechnet.

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Köpenicker Synagoge. Der letzte Schatten Susanne Chmela


Durch einen lasierenden Farbauftrag wird der Schattenumriss der Synagoge in einer etwas dunkleren Tönung der Fassadenfarbe auf die gegenüberliegende Hauswand des Gebäudes Freiheit 12a und 12b aufgebracht. Eine Versiegelung durch Graffitischutzlack ermöglicht die Beseitigung eventueller Beschmierungen.


»Wer den Fortbestand der Erinnerung sichern will, der hat es unweigerlich mit der Aufgabe zu tun, die Erinnerung ständig zu erneuern, ständig neue Erinnerungen zu schaffen.« Susan Sontag


Projektgruppe/Entwürfe von

Susanne Chmela Tim de Gruisbourne Maria Ernicke Nadine Hädrich Alexander Köpke Julia Längert Ove Numrich Claudine Palm Nathalie Rauch Nora Römer Maria Stier Caroline Viola von Zadow

Projektleitung und Kontakt

Prof. Florian Adler c/o Adler & Schmidt Kommunikations-Design GmbH Bülowstraße 66 10783 Berlin Telefon 030. 860 00 7-0 florian.adler@htw-berlin.de


Impressum

Herausgeber und Redaktion

Prof. Florian Adler

Gestaltung

Tim de Gruisbourne Ove Numrich Caroline Viola von Zadow

Gesetzt in der Schrift

Facit Light, Regular, Semibold

Druck

bookfactory der Verlagspartner GmbH, Bad Münder

Alle Rechte bei den Autoren November 2011

Ein Entwurfsprojekt des Studiengangs Kommunikationsdesign

In Kooperation mit der Entwicklungspartnerschaft Schöneweide sowie dem Förderkreis Dokumentationszentrum zur NS-Zwangsarbeit Berlin-Schöneweide, gefördert im Rahmen des Lokalen Aktionsplan Treptow-Köpenick



Zwölf Studierende des Studiengangs Kommunikationsdesign der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin entwickeln Ideen zur Visualisierung historischer Orte in Schöneweide. Beidseitig der Spree verweisen sie auf Spuren der Industrie-, Sozial- und Kulturgeschichte, des jüdischen Lebens und des Nationalsozialismus. Es werden neue Konzepte erprobt, die jenseits konventioneller Informationstafeln neugierig machen und anregen sollen, anstatt zu belehren.


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